Die Krone der Schöpfung - Arno Meyer - E-Book

Die Krone der Schöpfung E-Book

Arno Meyer

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Beschreibung

Michael erlebt im zweiten Weltkrieg die Vergewaltigung einer jungen Frau durch vier russische Soldaten und viele weitere schreckliche Sachen. Er wird sehr christlich und prüde erzogen und wird nach einem abgebrochenen Suizidversuch durch die Bekanntschaft mit einer Witwe an die Wahrheit des menschlichen Daseins und Lebens herangeführt und erkennt nach vielen Beziehungen schließlich, dass dem weiblichen Teil der Menschheit viel zu wenig Wertschätzung entgegengebracht wird ...

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Seitenzahl: 467

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Vorwort

Wenn man die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Entdeckungen ungeprüft in das eigene Wissensrepertoire übernimmt, dann glaubt man einfach den Publizisten der Botschaften.

Aber auch, wenn man lediglich Verbreitern von Annahmen, Irrtümern, Täuschungen oder Lügen vertraut und den Wahrheitsgehalt ihrer Botschaften nicht nachprüft, reiht man sich in eine Glaubensgemeinschaft ein.

Glauben heißt in jedem Falle vertrauen, nicht aber unbedingt auch „wissen“.

Offensichtlich ist die biblische Behauptung, dass das Weib dem Manne untertan sei, eine Irrlehre, geboren aus falscher Wahrnehmung von Gottes Wort durch Abraham, Moses und Konsorten, bis hin zu Mohammed, oder sogar eine vorsätzliche Fehlinterpretation, mithin eventuell eine Lüge aus Frust, weil die männlichen Propheten erkannt hatten, dass das weibliche Potenzial an lebensförderlichen Fähigkeiten und überlebenssichernden Veranlagungen dem männlichen weit überlegen ist.

Mit einer Portion an Wohlwollen gegenüber den monotheistischen Religionen können wir akzeptieren, dass Moses es einfach nicht besser gewusst hatte und diese Behauptung deshalb versehentlich ins Glaubensdogma der drei Religionen gerutscht ist, die auf seine Gesetzestafeln aufbauen.

Schließlich glaubten die Autoren der Schöpfungsgeschichte noch, dass wir unter einem Himmelsgewölbe leben, einem Firmament, einer Halbkugel, einer löchrigen, mit Sternen bestückten Käseglocke gleich, welche ein Chaoswasser so teilt ,dass über ihr und unter ihr Wasser ist, wobei vom oberen Wasser durch Löcher im Firmament der Regen auf uns herabströmt…

Eine große Gruppe von Zweiflern an der biblischen Schöpfungsgeschichte glaubt an eine Urknall - Theorie; „ Am Anfang war Nichts“.

Das ist aber auch nur eine Behauptung, vielleicht sogar Glaube, denn Nichts ist überhaupt nicht beweisbar. Aber von Nix kommt nix.

Und doch soll ein Urknall plötzlich die räumliche Unendlichkeit und die Ewigkeit der Zeit, und dazu Materie und Energie, aus einem absoluten Nichts hervorgezaubert haben.

Danach betritt eine vernunftbegabte Schöpferkraft, Frau Evolution, die Welt und erschafft das Leben.

In der Bibel wird behauptet, dass zuerst ein männliches Wesen, der Herr Gott, alles gemacht haben soll. Ein Mann muss aber Eltern haben, ein Mann kann nicht im Nichts und Niemals existieren und kann selbst nicht aus Nichts entstehen. Aber wer oder was hat den denn erschaffen? Wer waren die Eltern oder Schöpfer Gottes? Und wo kamen die her?

Schlussfolgerung: Alles muss im Nichts verborgen gewesen sein bevor (die, der, das) Gott urknallartig aus diesem Nichts empor tauchte.

Ein absolutes Nichts kann es niemals gegeben haben. Wer die Fähigkeit hat, sich selbst zu eliminieren und sich dann noch ein absolutes Nichts vorzustellen, der/die kann zwar daran glauben, ich vermute aber, dass das dann ein Irrtum ist.

Auch meine eigene Existenz ist die Folge eines Irrtums, vielleicht sogar einer Lüge, der meine Eltern Glauben geschenkt hatten.

Der vorliegende Roman basiert sicherlich auch auf Wahrheiten (tatsächlich Erlebtem und Wahrnehmungen), Irrtümern, und Behauptungen (Erfindungen).

Vorsorglich sei aber darauf hingewiesen, dass in den nachfolgenden Schilderungen keine Daten oder Äußerungen und Handlungen urkundlichen Charakter haben und die jeweilige Zuordnung von Namen frei erfunden ist.

Der Autor

Inhaltsverzeichnis

Kindheit

Die Frau im Moor

Die Offenbarung

Die Frage nach der Wahrheit

Der Urknall

Körper, Geist und Seele

Die Frage nach Gott

Das Ewige Leben

Die Geschlechter

Die Liebe

Die Kommunikation

Das Krebsgeschwür der Erde

Das Wichtige und die Nebensächlichkeiten

Wahrheiten und Irrtümer

Leben für Zwei

Der Umzug

Der Blitzschlag

Die Himmelfahrt

Der Lebenslauf

Die Spiegelhalle des ewigen Gedenkens

Gefallene Mädchen, gefallene Krieger

Noch ein Held

Der König

Das Genie

Meine Ur-Ahnin?

Amalie und Hubert

Die Trennung

Zeit der Reife

Das süße Leben

Das Chaos und die Einsicht

1. Kindheit

Eigentlich wollte mein Vater ja nur seinen Spaß haben, er wollte lediglich seinem Alkoholrausch noch einen Sinnlichkeitsrausch hinzufügen, und meine Mutter konnte sich nicht dagegen wehren; sie musste den Akt über sich ergehen lassen, weil in Deutschland damals noch die eheliche Beischlafpflicht eine gesetzliche gegenseitige Verpflichtung war, die jedes Brautpaar mit der Hochzeit eingehen musste.

Dabei ist es dann passiert (falscher Zeitpunkt für meine Eltern, weil falsch verstandener Knaus – Ogino oder vom „Führer“ absichtlich falsch aufgeklärt; guter Zeitpunkt für mich); ein aufnahmebereites Ovarium, vollgespickt mit Genen aus Jahrmillionen Evolution, lauerte auf ein opferbereites – ebenfalls mit aus Jahrmillionen Evolution entwickelten Genen vollbeladenes – Spermium, von denen mein Vater meiner Mutter im Beischlaf Akt einige Millionen in den Schoß geschossen hatte.

Eines hat den Durchbruch geschafft und wurde vom Ei vereinnahmt (geschluckt, geheiratet, verinnerlicht?) und hat mit seinem Bezwinger, dem hungrigen Ovarium, sofort den Verschmelzungsakt vollzogen, dessen Ergebnis ich schließlich geworden bin.

Meteoritengleich ist ein Pulk von Erbanlagen aus einem Nirwana Jahrmillionen langer Erbvermischungen in einen anderen Pulk von Erbinformationen aus einem anderen Nirwana eingeschlagen und hat mit diesem drei Monate lang sortiert und ausgetauscht, was als Embryonalphase bezeichnet wird (oder die Vermischung früherer Leben), um dann als Fötus ein neues Leben zu beginnen.

In den ersten 6 Wochen meiner Entstehung vereinigten sich harmonische X-Chromosomen, jeweils 2 und 2. Da war ich noch weiblich, aber dann vereinigte sich ein gesundes X-Chromosom mit einem Y-Chromosom (was als verkrüppeltes X-Chromosom angesehen werden kann, das in der Keimzelle, auf seiner Reise zum Ovarium, ein Beinchen - halbe Chromatide - verloren hatte) und ich wurde ein Knabe.

Meine Eltern hatten damals schon drei Töchter und zwei Söhne, und ich sollte gar nicht mehr dazu kommen. Sie wollten ursprünglich, als sie sich für den Bund der Ehe entschlossen hatten, drei Kinder haben; zwei „Stammhalter“ und ein Mädchen. Junge, Mädchen, Junge. Aber die Natur und die falsche Aufklärung meiner Eltern spielten ihnen einen gehörigen Streich; die ersten drei Schwangerschaften führten „nur“ zu Töchtern. Als dann das vierte Kind endlich der ersehnte „Stammhalter“ war, sollte Schluss sein. Er bekam den Namen Siegfried, weil endlich der Vaterwunsch nach einem männlichen Nachkommen sich siegreich durchgesetzt hatte.

Danach sollte Frieden sein, Schluss mit Schwangerschaften.

Die Ehe und der damit verbundene Beischlaf, der für die Gattin ja immer nur eheliche Pflichterfüllung war, sollte künftig nur noch alleine dem sinnlichen Vergnügen (des Gatten) dienen und die Aufzucht der gemeinsamen Kinder sichern.

Aber die Antibabypille gab es noch nicht, und wie bei meiner Zeugung auch, hatte schon – ein Jahr vor mir - mein zweiter Bruder sein Leben ebenfalls der falsch verstandenen Knaus – Ogino – Methode zu verdanken gehabt.

Angeblich wurde meinen Eltern von deren Eltern- meinen Großeltern – beigebracht, dass der Eisprung mit der Menstruation zusammenfällt.

Fehlinformation! Und ich bin das Ergebnis davon.

Noch ein Stammhalter.

Aber wieso Väter männlichen Nachkommen den Vorzug vor Töchtern geben, das verstehe ich nicht. Mädchen haben doch ein viel höheres Überlebenspotenzial als Knaben und sind damit die besseren Garanten für die Weitergabe meiner Gene an die Nachwelt. (schon bei der Geburt werden ihnen vier Lebensjahre mehr in die Wiege gelegt, als den Knaben).

Ich wollte auch gar nicht raus, aus dem Bauch meiner Erzeugerin, da war es schön mollig warm und ich fühlte mich geborgen. Aber als die Wehen meine Geburt ankündigten war der Druck schließlich so groß, dass ich mich nicht mehr halten konnte.

Als ich dann draußen die kalte Umgebung spürte und einen Klaps auf den Po bekommen hatte, da habe ich mich so erschreckt und wurde, wegen meiner Hilflosigkeit, so wütend, dass ich meine Enttäuschung und meinen Unwillen in die Welt hinausschreien musste und hinaus schreiben wollte.

Aber mit dem Schreiben musste ich leider noch warten, sehr lange, bis jetzt.

Vorher hat der Gauleiter Koch meiner Mutter – namens und im Auftrag dieser allgemein bekannten Bestie aus Braunau, die damals die Geschicke Deutschlands in der Hand hatte – ein Mutterkreuz um den Hals gelegt, weil sie mit mir dem Führer angeblich einen strammen Jungen geschenkt hatte.

Pah, dem wollte ich nicht geschenkt werden. Arischer Zuchtbulle oder Kanonenfutter vielleicht? Nee, ich bleibe lieber bei Mama; die Muttermilch und das Oxytocin haben uns versöhnt.

Sie gab mir schmackhafte Milch und sorgte für ein einigermaßen erträgliches, ja, manches Mal sogar behagliches Leben in den ersten Jahren meines Daseins als Erdenbürger.

Sie wurde meine erste große Liebe und blieb es – im tiefsten Unterbewusstsein - bis sie starb, und sie wird es wohl bleiben, bis auch ich das Zeitliche segnen werde.

Unsere erste Liebe sollen wir ja unser Leben lang nicht vergessen, wir sollen sie sogar - allerdings unbewusst - mit allen nachfolgenden Geliebten vergleichen. Das kann ich nur teilweise bestätigen; eine meiner 49 späteren Partnerinnen hat zwar gesagt: „Du musst dich einfach damit abfinden, wenn du nicht gerade eine Jungfrau heiratest, dass außer dir immer noch mindestens ein anderer Mann neben dir im Bett deiner Geliebten schwebt, nämlich ihr erster Liebhaber“.

Es trifft für mich auch zu, dass ich Renate, meine erste wirkliche Geliebte, die mich in die Geheimnisse der körperlichen Liebe eingewiesen hatte (theoretisch und praktisch), nie vergessen werde und oft an sie denke, aber selten im Zusammenhang mit oder in Gegenwart von aktuellen Liebschaften. Sie war die zweite Frau, die mir das Leben schenkte; meine Mutter hat mir das Leben als Dasein geschenkt, Renate hat diesem Dasein das richtige Leben eingehaucht, ihm einen Sinn gegeben, das Dasein mit Liebe und Forschergeist gekoppelt.

Renate bin ich unendlich dankbar und würde sie heute noch heiraten, auch wenn sie alt, grau und hässlich geworden wäre.

Aber das kann nicht mehr passieren, sie weilt ja als Moorleiche in dem Sumpfloch in welches ich sie, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, damals, als unsere Beziehung mit ihrem Tod ein jähes Ende gefunden hatte, versenkt habe.

Ich habe später, nachdem mir von einer Ehemaligen gesagt worden war, dass man sein Leben lang an die erste körperliche Liebesbeziehung denkt, andere Frauen dazu befragt und erhielt nicht von allen die Bestätigung zu dieser Aussage. Für mich galt das auch nicht, jedenfalls nicht in allen Beziehungen. Es gab im Laufe meines Lebens in den Liebesbeziehungen tatsächlich Fälle, bei denen ich Vergleiche zwischen meinen jeweiligen Partnerinnen und meiner Mutter anstellte, aber nicht im Bett, sondern wegen der Haushaltsführung, der Lebensführung allgemein; bei den Einstellungen zu Religion und Esoterik, zu Natur und Totenkult, zu Moral und Politik, Handel und Industrie, Fortschrittswahn und Spiritualität …, und...

Mehr oder weniger behütet – abwechselnd von Mutter, Kindermädchen, Oma, Tante oder meinen älteren Schwestern, verbrachte ich die ersten drei Jahre meines Lebens an meinem Geburtsort in Ostpreußen, ohne besondere Vorkommnisse an welche ich mich heute noch erinnern könnte.

Mir wurde später erzählt, dass ich zwar ein ziemlich zurückhaltendes, ruhiges Wesen hatte, aber stets sehr neugierig die Umwelt bestaunte und erforschte.

An meinem ersten Geburtstag zum Beispiel, bei meinen ersten selbständigen Erkundungsgängen durch unsere Wohnung, hatte ich im Herrenzimmer die Gardinen heruntergerissen, ohne einen Mucks dazu zu sagen. Ich hätte mich einfach in den Tüll gewickelt und sei, so verkleidet, ins Esszimmer zurückgekommen, wo die Gesellschaft bereits bei Bier und Wein – und natürlich auch Bärenfang – saß.

Da bekam ich wohl meine erste Tracht Prügel – von Oma, ausgerechnet am Geburtstag!- und wurde ins Bett gesteckt, wo ich nach reumütigem Schluchzen bald eingeschlafen sei.

Ich soll auch damals schon das System des Recyclings entdeckt haben; die Blaubeeren, die ich zu Mittag gegessen hatte, die ich aber, mangels vollständiger Kauwerkzeuge, nicht vollständig verdaut hatte, die dann einige Stunden später, als ich in der Badewanne saß, an der Wasseroberfläche schwammen, soll ich in aller Seelenruhe mit spitzen Fingern aufgefischt haben und meinem Mund ein zweites Mal zur Verarbeitung eingegeben haben.

Man verabreichte mir weiterhin Blaubeeren (Heidelbeeren), um mich zufrieden zu stellen, wann immer es welche gab.

Vielleicht ist die Heidelbeertorte deswegen noch heute mein Lieblingskuchen.

Kurz vor meinem dritten Geburtstag hatte ich das erste einschneidende Erlebnis aus Kindertagen, an das ich mich – zwar verschwommen – heute noch erinnere und welches mir erstmalig die Andersartigkeit von Frauen und Männern eröffnete:

Wir waren 1945 ( gegen Ende des zweiten Weltkrieges) auf der Flucht (deren Bedeutung ich damals natürlich nicht kannte) während einer Rast irgendwo zwischen Königsberg und Danzig.

Meine Mutter lag auf dem Heuboden über einem Kuhstall unter Strohballen versteckt und meine fünf Geschwister und ich lagen nebeneinander über ihr in einer Reihe.

Russische Soldaten durchkämmten die Halle und zerrten junge Frauen von ihren Lagern weg und stocherten mit ihren Seitengewehren im Stroh herum, um alle größeren Mädchen und die jungen Frauen aus ihren Verstecken zu locken. Manche kamen dann weinend hervorgekrochen und gingen zitternd mit den Uniformierten nach draußen.

Die Soldaten kamen auch an unser Lager: „Wo Mama?“

Meine älteste Schwester war gerade 12 Jahre, sie hustete provozierend: „Mama mit andere Männer weg ...“ und meine anderen beiden Schwestern bekamen auch plötzlich einen Hustenanfall, worauf die Kerle weiterzogen (weil sie offenbar Schiss vor Ansteckung hatten).

Als alle Soldaten mit ihren Opfern verschwunden waren, hatte ich Druck auf der Blase und wollte diesen hinter einer Scheune unweit des Kuhstalls loswerden.

Es war ein sonniger Morgen. Blauer Himmel, Federwölkchen, bunt blühende Blumen auf Beeten und Wiesen, scharrende Hühner und schnatternde Enten, Fliegenschwärme über dem Misthaufen, eine Idylle, ich will hinter den Misthaufen, meine Notdurft verrichten.

Da sehe ich im Sonnenlicht, vor dem hölzernen Geräteschuppen, auf einem Rasenstück, die junge Tante stehen, die mich immer freundlich angelächelt hatte, wenn wir uns irgendwo begegnet sind. Sie hat nicht mehr das schöne blaue Kleid mit den weißen Punkten an, das mir so gut gefiel. Das liegt auf ihrem Mantel auf dem Rasen unter ihr. Ein Soldat hält ihr einen Gewehrlauf an die Brust, ein anderer nimmt ihr die Halskette und die Armbanduhr ab, ein dritter zieht ihr den Schlüpfer runter und der vierte knöpft gerade seinen Hosenladen auf. Der sieht mich, bückt sich nach seinem Gewehr und zielt auf mich. Ich laufe weg, ich habe Angst und kann nicht mehr pinkeln, ich sehe den Weg nicht, auf dem ich zurück laufe, ich sehe nur noch die junge Frau ohne Kleid, das lachsfarbene Unterkleid, den lachsfarbenen Hüftgürtel und die Strümpfe…

Wir mussten noch ein paar Tage in der Scheune ausharren, bis wir in einen Güterzug nach Stettin verladen werden konnten.

Ich habe immer nach der jungen schönen Frau Ausschau gehalten, habe sie aber auf dem ganzen Gelände nie mehr gesehen.

Davon habe ich nie jemandem etwas erzählt.

Viel später erkannte ich erst die Bedeutung dieses Vorfalls mit der halbnackten Frau.

Noch fast 30 Jahre ist mir dieses Bild hin und wieder nachts im Traum erschienen. Dabei blendete ich die Männer immer aus und ich spürte jedes Mal eine sonderbare Erregung...

Vielleicht hatte ich damals schon ein gewisses Empfinden von Ehrfurcht für diese schöne Frau, vielleicht schon meine Erkenntnis, dass sie von vier Männern gleichzeitig begehrt wurde, dass sie ganz anders ist als ein Mann, dass sie wertvoller sein muss.

Der Anblick muss meine Sexualität beeinflusst haben, lange habe ich mir Partnerinnen gewünscht, die Strapse und Strümpfe tragen.

Im weiteren Verlauf unserer Flucht von Ostpreußen nach Schleswig Holstein habe ich es fortan vermieden mich alleine von meinen Geschwistern und Mutter zu entfernen.

Wenn mich die Blase drückte, oder der Stuhlgang sich meldete, bat ich immer eine meiner Schwestern um Begleitung.

Am Tag als wir in einen Güterzug nach Stettin beordert wurden, hatte es geschneit und die Tage davor gab es Nachtfröste. Wir kamen in einen schlecht gereinigten Viehwaggon und mussten stehen, weil da so viele Leute waren, die nach Westen wollten. Damit wir Luft bekommen, wurde die Schiebetür einen Spalt breit aufgelassen. Direkt vor mir stand ein junger Invalide. Wir fuhren rumpelnd die ganze Nacht durch, ziemlich langsam und mit vielen Halten. Als wir am nächsten Morgen auf einem Rangiergleis abgestellt wurden und die Tür geöffnet wurde, damit die Klo - Eimer (leere Marmeladen - oder Gurkeneimer) entleert werden konnten, fiel der junge Mann vor mir steif erfroren, tot, vornüber in das Schotterbett zwischen die Gleise.

Er hatte mir wohl das Leben gerettet; hätte ich, an seiner Stelle, den vorderen Platz eingenommen, wäre ich erfroren.

Auch dieses Erlebnis hat mein zukünftiges Verhalten im Leben geprägt; obwohl ich zeitweilig ein sehr guter Schüler war, sorgte ich immer dafür, dass ich niemals der Beste in der Klasse war, auch nie der Erste bei Wettkämpfen. Am liebsten waren mir immer die Plätze 3 bis 5, je nach Anzahl der Konkurrenten.

Im weiteren Verlauf der Flucht musste ich noch öfter Ängste ausstehen. Zum Beispiel, wenn wir in tiefen Gräben um unsere Leben liefen, wenn wir von den tieffliegenden Bombern beschossen wurden, die immer über uns kreisten und mal von rechts und mal von links kamen. Wer sich nicht rechtzeitig gegen die Grabenwand in die Richtung drückte, aus welcher wir beschossen wurden, der wurde verletzt oder getötet. Einen abgetrennten Kinderarm, der vor mir im Matsch lag, wollte ich aufheben und mitnehmen, als Reserve, falls mir oder meinen Geschwistern einmal einer fehlen würde. Verstümmelte Leichen gab es ja genug auf unserem Fluchtweg. Meine Schwester zerrte mich aber weiter: „Lass das, damit können wir nie was anfangen, komm, wir müssen laufen.“

Völlig verdreckt, durchnässt und mit vollen Hosen, bei noch winterlichen Temperaturen, stolperten wir über Verletzte und Leichen bis die Schießerei endlich vorbei war.

Dann kamen wir an einen Bahnhof, wo uns ein quer auf dem Bahnsteig liegender toter Schaffner den Weg versperrte. Wir stiegen einfach über ihn weg und in den nächsten Zug Richtung Grimmen, wo wir bei einer Tante Unterschlupf fanden, die dort eine Bäckerei hatte. Der Onkel – der Bäckermeister - war in Stalingrad und kam nie wieder.

In Grimmen sollten wir warten bis der Krieg zu Ende war, oder bis mein Vater nachkam, den wir bei Antritt der Flucht zurücklassen mussten, weil er den Bahnhof verteidigen musste.

Er war nämlich Bahnhofsvorsteher.

Dort, im Dachgeschoss der Bäckerei in Grimmen, wurde mein dritter Bruder geboren, aber wir konnten nicht einmal ein halbes Jahr bei meiner Tante bleiben; die russische Front rückte näher und wir flohen weiter in Richtung Rostock.

Auf dem Marsch nach Rostock erkrankte der Säugling (mein kleiner Bruder, Peter) an Hirnhaut- Entzündung, Masern, Typhus und Keuchhusten gleichzeitig. Als er im Todeskampf lag mussten wir uns vom Treck trennen.

Eine Kinderschwester, die zufällig im Zug war, blieb bei uns, um meiner Mutter beizustehen. Wir fanden Unterschlupf in einer verlassenen Gärtnerei. Als der Kleine sein kurzes Leben aushauchte, betreute die Krankenschwester uns Kinder, während meine Mutter weinend und zitternd hinter dem Gewächshaus eine Grube aushob und danach eine Holzkiste suchte. Sie bettete die kleine Leiche in die Kiste (offenbar eine ehemalige Bananenkiste) und legte ein paar halb verwelkte Blumen auf seine Brust und zwischen die gefalteten Händchen.

Sie nahm zwei Schnüre von einem Haken an der Wand des Gewächshauses und legte sie parallel, am Kopfende und Fußende, unter die Bananenkiste. Sie bat meine älteste Schwester, Ruth, sich zwei Schnur Enden zu packen und vor die Grube zu gehen, sodass die beiden den Pseudo-Sarg langsam in die Grube hinab lassen könnten. Plötzlich riss die Kinderschwester die Arme hoch:

„Halt, haltet ein! Das Kind lebt noch!“

Sie nahm den kleinen Menschenkörper aus der Kiste und drückte ihn an ihre Brust: „Da, seht, er bewegt das Däumchen.....“

Einen kurzen Moment war Totenstille. Nach wenigen Sekunden legte die Krankenschwester mein Brüderchen in die Arme meiner fassungslosen, kreidebleichen Mutter. Meine Schwestern hörten auf zu heulen und sprangen jubelnd in die Höhe: „Peter lebt! Peterchen du lebst, Gott hat dich gerettet...“

Sie hüpften wie blöde durch die Gegend, sprangen über die Beete und kriegten sich nicht ein.

Ich behaupte natürlich, dass es nicht Gott war, der unser Kind gerettet hatte, sondern die Krankenschwester. Und die Arme wurde dafür selbst mit dem Tode bestraft. Weil sie wegen uns zurückgeblieben ist, und weil uns die russische Front einholte.

Kurz nachdem wir unsere Flucht gen Westen wieder aufgenommen hatten, traf ein Querschläger unsere Helferin in die Halsschlagader, weswegen sie sofort verblutete. Wir konnten sie nicht einmal begraben, weil wir von russischen Soldaten verfolgt wurden.

Was meine Mutter da geleistet hatte, junge Frau mit sieben Kindern, über ein halbes Jahr alleine auf der Flucht unterwegs, einen kranken Säugling mitgeschleppt, auf den Feldern angefrorene Kartoffeln und Rüben gesammelt, über Feldsteinen Brennnesselsuppe in einem verbeulten Aluminiumtopf gekocht und – an sonnigen Tagen– uns und unsere Kleider in kalten Bächen und Teichen gewaschen... ich war einfach noch zu klein um das alles zu verstehen und genügend Erinnerungen zu speichern. Aber an eine Sache kann ich mich noch vage erinnern:

Wir hatten wieder einen längeren Aufenthalt auf dem Gelände eines verlassenen Gutshofes. Wohl hundert Flüchtlinge waren auf die verschiedenen Gesindehäuser verteilt.

Meine Familie teilte sich ein Haus mit zwei anderen Familien, mit deren Kindern wir Verstecken oder Völkerball spielten.

Beim Versteck spielen entdeckte meine jüngste Schwester, Iris, dass die Enten auf einer kleinen Insel im Teich ein Nest mit drei Eiern hatten.

Ausgerechnet an diesem Tag hatte meine arme Mutter Geburtstag. Meine Geschwister und ich beschlossen, unserer lieben Mutti eine Freude zu machen. Es war nicht kalt, die Aprilsonne schien milde vom Himmel. Wir sechs Kinder bildeten eine Kette vom Ufer zur Insel. Die vier größten mussten leider ins Wasser, Egbert und ich waren die kleinsten und konnten auf dem Uferstreifen bleiben.

Vorsichtig tastete sich Ruth voran, das Wasser ging ihr etwa bis zur Brust. In das Körbchen aus Binsengras, welches meine Schwestern vorher eiligst geflochten hatten, legte Ruth zwei Enteneier. Das dritte wollte sie ihren schnatternden Eltern belassen damit sie wenigstens ein Kindchen großziehen können. Dann zogen Egbert und ich unsern Bruder und unsere Schwestern vorsichtig wieder an Land. Wir sammelten Feldsteine, trockenes Laub und Holz und machten daraus eine kleine Feuerstelle. Helga, hatte eine alte Konservendose gefunden. Da legten wir die zwei Eier rein und taten Wasser dazu. Während die Eier kochten, sammelten die Mädchen Blumen und bereiteten auf einem Holzdeckel, den sie von einem Futterzuber genommen hatten, einen Geburtstagstisch vor.

Als die Eier gar waren, schreckte Ruth sie am Teich Ufer mit kaltem Seewasser ab, trocknete sie in ihrer Schürze und legte sie zwischen die Blumen auf die Holzplatte. In der Zwischenzeit holten Iris und Helga unsere Mutter, die mit unserem Baby gerade beim Wäschewaschen in der Wäscherei war und sich mit anderen Flüchtlingsfrauen unterhielt. Sie führten sie an den Händen zu ihrem Geschenk, und wir umringten sie und sangen: „Wir wünschen dir alles Gute zum Geburtstag, liebe Mutti, bleib gesund und beschütze uns weiter ...“

Die anderen Frauen, die uns neugierig beobachtet hatten, weinten.

Ich erlebte in meinem vierten Lebensjahr wohl noch manche Grausamkeit, Hunger, Durst, Krankheiten und sonstige Qualen; meine Mutter hat das alles gemeistert und ich fand mich irgendwann, nach zwei Jahren mit meiner Familie – inzwischen war mein Vater auch wieder aufgetaucht – in einem Wochenendhaus in der Nähe von Elmshorn.

Beim ersten Wiedersehen (das war noch in Hamburg - Eidelstedt, wo meine Mutter eine vorläufige Bleibe für unsere Familie in einer baufälligen Baracke gefunden hatte), da hat mein Vater geheult wie ein Schlosshund, hat uns Kinder alle nacheinander einmal kurz an seine dreckige Eisenbahner - Uniform gedrückt und ist die ganze Nacht mit meiner Mutter hinter einem Vorhang im Wohnzimmer verschwunden, wo sie sich auf einer alten Couch den gefühlsvollsten Wiedersehensfreuden hingaben. Ich hörte nur immer wenn mein Vater mit weinerlicher Stimme schluchzte: „Wie hast du das nur geschafft, mit sieben Kindern...“

„Ja...“, dachte ich, wenn ich später (so ab sieben Jahren) über die Vergangenheit nachdachte, „ob der Vater uns auch alle lebend durchgebracht hätte? Wohl kaum, Väter haben gar nicht das Potenzial dafür, er hätte dem Säugling nicht die Brust geben können; und ob er für uns Kräuter und Rinden gekocht hätte, und dazu fähig gewesen wäre aus vergammeltem Viehfutter sättigende Mahlzeiten in einem verbeulten Aluminiumtopf zuzubereiten, das wage ich noch heute zu bezweifeln“.

Der Aluminiumtopf war wohl das wertvollste Fluchtutensil das meine Mutter stets ängstlich bei sich trug.

Früh erkannte ich, dass Frauen wohl das Leben erhaltende Element der Menschheit sind, während Männer eher zerstören.

Wir waren in einem grün gestrichenen Holzhaus einquartiert worden. Das war das Wochenendhaus eines Hamburger Industriellen. Große Wohnküche mit Kohleherd, weiß getüncht; kleines Zimmer mit Naturholzwänden mit vier Etagenbetten, blau - weiß karierte Vorhänge, hölzerne grüne Klappläden mit Karo - Löchern außen vor den Fenstern. Größeres Zimmer, bunt tapeziert, mit einem Doppelbett und einem Kinderbettchen. In letzteres kam mein kleiner Bruder Gerd, der eine Folge der ersten Wiedersehensfreude meiner Eltern war, die sich ja fast zwei Jahre aus den Augen verloren hatten und entsprechend viel eheliche Beischlafpflicht nachzuholen gehabt hatten.

Als meine Mutter- in eine Pferdekutsche gepackt - zur Entbindung nach Elmshorn gebracht wurde, sangen wir Kinder: „lieber Klapperstorch du Bester, bring uns eine Schwester...“

Dann wären wir vier und vier gewesen. Aber, obwohl der wahnsinnige Führer bereits– durch Eigenverschulden - verreckt war und kein Kanonenfutter mehr brauchte, hatte sich das Schicksal trotzdem nochmal zugunsten der Männlichkeit entschieden.

Als ich das merkte betete ich zu Gott, dass er mich zu einem Mädchen zurück wandeln möge, nur wegen der Gerechtigkeit.

Leider habe ich aber sehr früh erfahren müssen, dass Gottes Auffassung von Gerechtigkeit stark von unserem menschlichen Verständnis über Gerechtigkeit abweicht.

Egal ob als Mädchen (was ich lieber geworden wäre) oder als Junge, für Kinder war dieses Häuschen unter riesigen Linden an der Flussgabelung von Pinnau und Krückau ideal.

Während meine älteren Geschwister die Schulbank drückten und meine Mutter die beiden jüngeren Brüder versorgte, stromerte ich durch die nähere Umgebung, an den Ufern der Flüsse entlang, durch Knicks und Gräben, entlang der Feldwege und Weiden, oder ich erforschte den nahegelegenen Bauernwald.

Dort richtete ich mir in einer hohlen Eiche eine kleine Kinderwohnung ein und versteckte darin meine Bienen und Käfer, welche ich in leere Streichholzschachteln gesammelt hatte. Die Bienen habe ich vorsichtig von Blüten abgepflückt und hoffte, dass sie mir Honig liefern würden; über das Wie und Wann hatte ich leider nicht nachgedacht und wusste auch noch nicht, dass die armen Tiere in Gefangenschaft verenden würden. Voll Reue und enttäuscht hob ich neben dem Eichbaum mit einem alten Suppenlöffel eine kleine Grube aus, legte die Kadaver vorsichtig hinein, bedeckte sie mit Eichenblättern und einem Sandhügel, worauf ich Gänseblümchen steckte. Dass Tote vergraben werden müssen, das wusste ich ja von der Flucht.

Ich meine, dass ich damals, etwa mit sechs Jahren angefangen habe nachzudenken und logisch zu denken:

Eines Tages, als meine großen Geschwister in der Schule waren, kam mein Vater mit dem Schlitten auf der zugefrorenen Pinnau, die sich bei unserem Haus aus dem Zusammenfluss von Krückau und Schlickau bildet, aus Elmshorn vom Nachtdienst nach Hause. Wenn der Fluss zugefroren war, dann benutze er ihn als Fahrweg für seinen Rodelschlitten, weil das bequemer war, als mit dem Fahrrad über die Feldwege zur Arbeit zu fahren.

Er nahm zwei Staken, die er aus einem Besenstiel selbst angefertigt hatte, indem er diesen einfach in der Mitte durchgesägt hat und je einen Nagel am Fußende einschlug, dem er mit der Kneifzange den Kopf abzwickte.

Wenn er sich von uns nach dem Mittagessen zum Spätdienst verabschiedet hatte, nahm er Schlitten, Staken, Aktentasche und eine Wolldecke, ging zum Fluss hinunter, wickelte sich in die Decke, setzte sich auf den Schlitten, klemmte die Aktentasche mit dem Abendbrot und Tee vor sich, zog die Wollmütze – die er unter der Uniform Mütze trug - über seine Ohren, senkte seinen Kopf, bückte sich vor und schubste sich mit den Staken vorwärts.

Als er an diesem Morgen vom Nachtdienst kam, roch er nach Alkohol und wollte, dass meine Mutter sofort mit ihm ins warme Bett geht; das ganze Haus wurde ja nur vom Küchenherd aus beheizt.

Meine Mutter wehrte sich aber und wollte den „Schweinkram“ nicht mehr machen, sie hatte schon genug Schwangerschaften gehabt und es müsse doch endlich mal genug sein. Im Übrigen müsse sie sich um die Kleinen kümmern. Mein Vater bestand aber auf die eheliche Beischlafpflicht und drohte mit Scheidung.

Meine Mutter weinte und jammerte: „ Und was soll dann aus den Kindern werden...?“

Den weiteren Verlauf der Diskussion zwischen meinen Eltern habe ich, unbemerkt unter der Küchenbank kauernd, belauscht bis sie zusammen im Schlafzimmer verschwanden, möchte ihn hier aber nicht wiedergeben, weil das mir zu peinlich wäre.

Aber ich fühlte mich plötzlich überflüssig, ungewollt und schuldig.

In den nächsten Tagen bemerkten meine Eltern wohl meine Verhaltensänderung, kamen aber nicht auf die Idee, diese zu hinterfragen.

Ihnen fiel auf, dass ich mich plötzlich sehr intensiv um meine beiden kleinen Brüder kümmerte, wenn die übrigen Geschwister in der Schule waren, und dass ich meiner Mutter beim Kartoffelschälen und Putzen helfen wollte, auch dass ich meine täglichen Erkundungsgänge einschränkte, mich dafür ab dem folgenden Frühjahr aber oft zu den Anglern an die Pinnau gesellte und einem Bauern half, Futterrüben aus der Miete zu holen und in den Pferdewagen zu werfen.

Da fing für mich das bewusste Leben an.

Ich hatte seitdem ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen meiner Existenz. Ich wollte meinen Eltern keine Belastung sein und versuchen, mich selbst zu versorgen.

Aber alleine in der hohlen Eiche im Bauernwald konnte ich nicht überleben.

Darum bat ich den Landwirt, mit dem ich beim Aufladen der Rüben inzwischen Freundschaft geschlossen hatte, mich als Knecht zu beschäftigen.

Meine Familie bekam – ein paar Wochen vor meiner Einschulung und meinem 7. Geburtstag– eine Wohnung im Dorf.

Der Bauernhof lag nur eine Straße weiter weg.

Der Bauer versprach mir 50 Pfennig die Woche Lohn, wenn ich in meiner schulfreien Zeit seine Kuh Herde beaufsichtigen würde.

Außerdem könne ich umsonst bei ihm Mittag essen und an Sonntagen ein Stück Kuchen zur Vesperzeit erhalten.

Ich sollte ihn Onkel Hans nennen und seine Frau Tante Anita.

Ihre zwei Kinder hießen Grete und Piet. Grete war ungefähr in meinem Alter, Piet konnte schon Auto fahren.

So kam ich mit sieben Jahren zu meiner ersten Anstellung, als Kuh Hirte. Am ersten Tag meiner Beschäftigung, quasi bei Dienstantritt, brachte mich die Bäuerin zu einem Kleeacker und erklärte mir, dass ich aufpassen müsse, dass die 26 Rinder nicht durch die beiden Gräben rechts und links auf die Nachbarfelder laufen. Dahinter floss die Pinnau, vorne, wo ich mich erst mal aufstellen sollte, war der Feldweg, von dem Acker abgetrennt durch einen Graben hinter einer Hecke. Tante Anita gab mir ein Kännchen Tee und belegte Brote (eine Scheibe Schwarzbrot und eine Scheibe Weißbrot, bestrichen mit echter Butter und mit Zucker bestreut) und bat den Knecht, den ich jetzt mit Viehhüten ablösen sollte, mir seinen Weidenstock zu übergeben und eilte mit ihm zurück zum Bauernhof mit dem Hinweis, dass in vier Stunden die Magd oder der Knecht kommen würde um mich und das Vieh zum Melkplatz abzuholen.

Mein erster Arbeitstag verlief problemlos, ich musste in den vier Stunden – unter Einsatz meines Weidenstocks - nur sieben Kühe am Durchqueren der Gräben hindern. Ich brauchte die Tiere aber nicht zu schlagen, ihnen genügte schon der Anblick des erhobenen Stocks. Das war vielleicht lustig; wenn ich den Viechern den Stock zeigte, dann glotzten sie mich mit ihren großen Augen an, warfen die Vorderbeine hoch und machten mit einem eleganten Satz eine halbe Kehrtwendung zurück und grasten auf der eigenen Weide weiter.

Die freundliche Magd, Christel, holte uns ab und brachte mir – auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin – bei, wie man Kühe melkt. Die Bauersleute haben vorher ihre Zustimmung gegeben.

Christel setzte sich auf einen Dreibeinhocker vor das prall gefüllte Euter einer braun-weiß gefleckten Kuh, nahm mich auf den Schoß und klemmte sich einen Eimer zwischen ihre Knie.

Sie führte meine Hände an zwei Zitzen und zeigte wie ich Daumen und Finger halten musste und welche Druck– und Zugbewegungen ich zu machen hatte. Dabei bekam ich unvermittelt ein angenehmes Druckgefühl in den Unterleib, ließ mir aber nichts anmerken, musste aber sofort an die schöne Frau von der Flucht denken, wobei ich die vier Soldaten schon aus dem Erinnerungsbild gelöscht hatte.

Ich begriff das System der Milchgewinnung sehr schnell und durfte fortan jeden Abend zwei Kühe melken. Meine Lieblingskühe, Iris und Helga. Als ich einmal sagte: „Ich hab Helga schon gemolken“, berichtigte mich der Bauer sofort und erklärte mir, dass gemolken passiv sei! Von wegen dummer Bauer; „ich melke, habe gemelkt, werde melken“ aber, „die Kuh wird, wurde, ist gemolken worden“...

Christel hat mir im Laufe der nächsten vier Jahre sehr viel über Landwirtschaft und Viehzucht beigebracht und immer gesagt:

„Mein lieber Freund“, sie war also meine zweite Freundin, nach meiner Mutter. Die war ja Freundin und Geliebte, aber nicht so richtig Geliebte, nicht mit Erotik, eher eine sehr Verbundene. Christel gehört nicht zu meinen 49 Geliebten, sie ist nur meine zweite Freundin gewesen. Aber beinah könnte ich sie doch zu meinen Geliebten zählen, denn sie hat bei mir zweimal dieses tolle Gefühl in der Hose ausgelöst. Das erste Mal war ja beim Melken lernen, das zweite Mal war reiner Zufall, ohne Berührung:

Es war ein verregneter Sonntag, das Vieh stand im Stall.

Gewöhnlich machte ich an solchen Tagen in der Diele, auf dem Hundekissen vor der Haferkiste vor dem Pferdestall, einen Mittagsschlaf zwischen Asta und Stoffel, den beiden Jagdhunden von Onkel Hans.

An diesem Sonntag lag ich aber bei einem Kälbchen im Futtertrog und ließ mir gerade die rechte Hand abschlecken, als die Magd mit einer Schüssel Wasser und Handtuch und Seife in den vorderen Gang des Stalles kam. Ich konnte sie gut sehen, sie nahm von mir aber keinerlei Notiz. Sie stellte die Schüssel auf einen Schemel, zog den Rock ganz hoch und fing an, sich die Füße zu waschen. Ich verhielt mich ganz leise und starrte auf ihre schönen Schenkel, sah sogar einen lachsfarbenen Schlüpfer hervorblitzen und bekam unverzüglich eine enge Hose. Sofort erschien mir wieder das Bild von dem hübschen, halbnackten, Flüchtlingsmädchen.

Beim Kuchenessen saß Christel mir am Tisch direkt gegenüber.

Ich wurde rot und begann leicht zu schwitzen. Das hat aber niemand gemerkt. Nachts habe ich von Christel und ihren schönen Schenkeln geträumt.

Weder meine Mutter noch meinen Vater oder meine Schwestern hatte ich jemals nackt gesehen, nicht einmal die Beine oberhalb der Knie oder die Körperteile unterhalb des Halses.

Bei dem Flüchtlingsmädchen bin ich mir nicht sicher, ob ihr Anblick meine Körperreaktion im Unterleib ausgelöst hatte, das war wohl die Angst vor den Soldaten und der Harndrang, aber hier bei Christel war keine Angst und kein Harndrang im Spiel; das muss weibliche Zauberkraft gewesen sein.

Das war ein angenehmes Druckgefühl, keine Spur von Angst oder Verlegenheit, einfach schön.

Aber zwei Jahre später hatte ich meinen ersten Orgasmus, das war kurz nach meinem 9. Geburtstag. Ich wusste nicht wie mir geschieht und was das war, ich hatte Todesangst und spürte gleichzeitig eine innere Explosion, im Bauch ein Gefühl wie Niesen, nur viel stärker, ich wusste nicht ob ich zum Arzt gehen musste, traute mich aber auch nicht, mich jemandem anzuvertrauen. Selbst vor Christel, die mir so viel über Landwirtschaft und Viehzucht beigebracht hatte, habe ich Hemmungen gehabt. Sie, die mir erklärt hatte, wie Kälbchen und Hundewelpen entstehen, wollte ich nicht fragen. Sie hat mit mir die Kuh an den Zaun gebunden um sie vom Bullen decken zu lassen und hat mir erklärt, dass die meisten weiblichen Haustiere, aber auch die Weibchen auf freier Wildbahn, in eine Duldungsstarre verfallen, wenn sie merken, dass ein Männchen sie begehrt. Ich habe mich später oft gefragt, wie das Verhalten meiner Partnerinnen zu bewerten sei.

Christel hat mich zusehen lassen, wie an einem Tag nacheinander fünf Rüden eine Hündin besprungen haben.

Während der Knecht in solchen Fällen immer versuchte, die Hunde mit einem Eimer Wasser zu trennen, hat Christel gemurmelt: „Hat die 's gut“. Unmittelbar erinnerte ich mich wieder an die Flüchtlingsfrau mit den vier Soldaten. Ich hatte Angst, dass die Tiere zusammen gehakt sind, sie konnten sich nicht trennen und wollten in verschiedene Richtungen laufen.

Ich wollte Wasser holen, weil der Knecht das immer so gemacht hatte. Da hat Christel gesagt: „Nein, lass das, das muss so sein wenn Hunde sich lieben, sonst klappt´s nicht“.

Ein paar Wochen später hat die Hündin vier Welpen das Leben geschenkt, eins ähnelte der Mutter, die anderen waren verschieden.

Ach ja, mein erster Orgasmus; natürlich wusste ich nicht, dass es einer war. Ich dachte, dass ich mich verletzt hatte, nur war das ein schöneres Gefühl als sonst. Und obwohl Christel mir so viele Geheimnisse des Lebens erklärt hatte, ich wollte sie wegen dieser Sache nicht befragen. Ich schämte mich zu sehr.

Ich hatte also wieder mal die Kühe auf dem Klee Acker zu beaufsichtigen und mir einen Aufsichtsplatz auf einer jungen Eiche gesucht, von welchem ich ziemlich schnell die Gräben erreichen könnte, wenn eine Kuh versuchen sollte abzuhauen.

Die Eiche wuchs aus der Hecke heraus und war gut belaubt, sodass ich von den ganz selten vorbeigehenden Menschen nicht gesehen werden konnte. Ich passte auf die Herde auf und entdeckte plötzlich an der rechts gegenüber liegenden Hecke die Cousine von Christel mit Stoffel, dem großen braunen Jagdhund mit den Schlappohren, der mich beim Mittagsschlaf immer beschützte.

Die Cousine war etwa 15 Jahre alt, sie bemerkte nicht meine nahe Anwesenheit und breitete unbekümmert an einer sonnenbeschienenen Stelle zwischen Hecke und Graben auf der Nachbarwiese eine Decke aus. Ich verhielt mich ganz ruhig. Ich sah, dass sie die Bluse und den Rock auszog, und danach auch die Schuhe und Kniestrümpfe. Die ausgezogene Kleidung legte sie an das dem Gebüsch zugewandte Ende der Decke. Dann schmuste sie ein bisschen mit dem Hund und bettete anschließend ihren Kopf auf die Kleidungsstücke. Sie wurde von Kopf bis Fuß von den Sonnenstrahlen beschienen.

„Hoffentlich will jetzt nicht gerade eine Kuh ausreißen“, dachte ich.

Ich krabbelte, um besser sehen zu können, eng an den Eichenstamm gepresst, eine Astgabelung höher. Und dabei passierte es; ein unheimlich beängstigender Schmerz zuckte von meiner Penisspitze bis zum Bauchnabel hoch, als ob dort etwas kratzt oder reißt, aber zugleich war das Gefühl angenehm. Ich schaute nach, ob ich blute, ich fürchtete, dass ich mir an einem hervorstehenden Aststumpf oder einem überstehenden Nagel, den vielleicht jemand früher mal in den Stamm eingeschlagen hatte, den Unterleib aufgeschlitzt habe, …heute könnte ich dazu sagen, die junge Eiche hat mich entjungfert.

Aber ich war kein unschuldiges Mädchen, das entjungfert worden war und dadurch ihrer Unschuld beraubt, sondern ich war ein schuldbeladener Junge (wegen der toten Bienen und Käfer). Kein unschuldiger Junge mehr, und jetzt auch noch sexuell schuldig, mit 9 Jahren.

Aber mit 9 Jahren wusste ich noch nicht, dass ich einen Orgasmus hatte, deshalb konnte ich mir erst einige Jahre später Gedanken darüber machen, wieso Gott die größte Sünde der Welt mit dem schönsten Gefühl der Welt bestraft... es war zwar ein sehr schönes, ein himmlisches Gefühl im Bauch, aber auch ein sehr beängstigendes, wem sollte ich mich anvertrauen?

Ich schämte mich und beschloss zu schweigen, auch wenn ich sterben müsste.

Ein paar Tage wartete ich, dass mir etwas Schlimmes passieren würde, dass mein Bauch platzt oder ich sterbe. Aber nichts dergleichen geschah und das Ereignis und das sonderbare Gefühl auf dem Baum gerieten in Vergessenheit, bis ich 14 Jahre alt war.

Kurz nach meiner Konfirmation hatte ich wieder so ein seltsam angenehmes Gefühl. Bis dahin lebte ich mein Doppelleben als Schüler und Bauernknecht. Längst hatte ich zu meiner Tätigkeit als Kuh Hirte fast alle anderen Arbeiten auf dem Bauernhof, in Scheune, Stall und auf den Feldern, mit übernommen, die sonst der Knecht erledigt hatte, bevor dieser rückwärts vom Heuwagen gefallen war und sich dabei das Genick gebrochen hatte. Nur die liebenden Hunde mit einem Eimer Wasser trennen, das habe ich nie gemacht.

Um möglichst viel arbeiten zu können, habe ich fast nie mit anderen Kindern gespielt und habe meine Zeit schon als Erstklässler sinnvoll eingeteilt.

Statt von der Schule aus die drei Kilometer Fußweg direkt nach Hause zu gehen, habe ich mich, wenn trockenes Wetter war, bäuchlings in die Böschung am Chaussee Graben gegenüber dem Schulgebäude gelegt und dort meine Hausaufgaben erledigt, während ich etwa 20 Minuten auf den Milchmann gewartet habe, der um diese Zeit immer mit seiner umgebauten Pferdekutsche von seiner Verkaufstour zurück kam. In der ersten Klasse hatte ich ja noch eine Schiefertafel. Da konnte ich leicht Verbesserungen vornehmen. Aber ab Klasse Zwei musste ich sorgfältiger sein, denn da mussten wir Schreibhefte benutzen.

Sobald ich den Einspänner mit dem Milchmann heran traben hörte, packte ich das Heft in den Ranzen, – meistens war ich sowieso schon fertig mit den Aufgaben – und ging auf die andere Straßenseite hinüber. Dort nahm mich der freundliche Milchmann zu sich auf den Kutschbock und setzte mich dann vor dem Haus unseres Vermieters wieder ab. Wenn schlechtes Wetter war, habe ich unter der Brücke gewartet.

Weil ich sehr selten mit anderen Kindern spielte, habe ich erst spät Schwimmen gelernt und die üblichen Doktorspiele nur vom Hörensagen kennengelernt, dafür aber sehr früh – auf dem Bauernhof – Fahrrad fahren geübt (wobei mich Christel unterstützt hat) und hatte als erstes Kind im Dorf ein selbstverdientes eigenes Fahrrad, natürlich gebraucht.

Und selbstverständlich durfte ich das Pferd Alex reiten, das nur mich auf seinem Rücken duldete, während es alle anderen Kinder – oder Erwachsenen – sofort abwarf. Wenn Alex merkte, dass ein anderes Wesen außer mir seinen Rücken besteigen wollte, bockte er und trat aus. Wenn ein besonders sportlicher Junge es doch schaffte auf den Pferderücken zu gelangen, konnte der sich keine Minute halten, weil Alex derartige Bocksprünge vollführte, dass kein Halt möglich war.

Manche Arbeiten, wie Eggen oder Jauche ausfahren, erledigte ich auch vom Pferderücken aus. Das war dann aber Lore, die Frau von Alex. Lore war größer und kräftiger als ihr Mann. Sie war sehr zahm und arbeitswillig. Während ihr Mann, der Hengst, ein schwarzbraunes Fell hatte, mit weißen Fesseln, war Lore, die Stute, hellbraun und hatte eine weiße Stirn. Wenn ich sie bei der Heuernte vor dem Leiterwagen führte, liebkoste sie mich immer mit ihren Nüstern und stupste mich.

Die ganze Arbeit strengte mich ziemlich an, ich wollte jedoch nicht schwach wirken.

Der Bauer merkte wohl, dass ich mit der Rolle des Knechts etwas überlastet war und fragte mich, ob es mir nicht zu viel wird, was ich aber mit einem Kopfschütteln verneinte.

Obwohl ich beim Schulunterricht oft einschlief, war ich trotzdem kein schlechter Schüler. Nur wegen meiner Sauklaue wurde ich hin und wieder vor die erste Bank beordert, damit der Lehrer mir mit einem Stock den Hosenboden gerben konnte.

Nachdem ich meine zweite Tracht Prügel wegen schlechter Schrift bekommen hatte, stopfte ich mir immer, morgens bevor ich mich auf den Weg zur Schule machte, ein altes Romanheftchen (das ich zuhause aus der Toilette stibitzt hatte, bevor es als Klopapier verbraucht werden konnte) hinten in die Hose. Wenn ich dann, wegen meiner schlechten Handschrift wieder in der Klasse nach vorne gerufen wurde, wo zwei Mitschülerinnen mich an den Armen festhalten mussten, damit ich während der Klopperei nicht abhauen konnte, grinste ich die Mädchen an und der Lehrer bildete sich ein, dass ich Tapferkeit vortäuschen wollte. Den Trick mit dem Heft in meiner Hose hat er offenbar nie erkannt.

Onkel Hans hatte wohl eingesehen, dass ich auf Dauer keinen ganzen Knecht ersetzen kann. Er stellte eine neue landwirtschaftliche Hilfskraft ein und ich war entlastet. Mein Arbeitgeber bestand sogar darauf, dass ich wenigstens einen freien Tag pro Woche nehmen sollte.

So einen freien Tag hatte ich auch einmal während der Schulferien, als, wie jedes Jahr, Brunhilde Braun aus dem Rheinland bei ihrer Tante in unserem Dorf zu Besuch war.

Brunhilde war zwei Jahre älter als ich. Der Sohn ihrer Tante, Brunhildes Cousin, war einer meiner Klassenkameraden, Günther Klasen. Den besuchte ich an besagtem Tage.

Als ich ankam, waren da auch noch Wilfried Ewald aus meiner Klasse und sein jüngerer Bruder Fritz. Wir wollten zusammen etwas spielen, wussten aber noch nicht was. Günthers Mutter ermahnte uns, dass wir vernünftig sein sollen, die alte bucklige Frau Kroll nicht wieder ärgern sollten und meinte: „Eigentlich könntet ihr doch auch Brunhilde mitnehmen, was soll die hier alleine bei mir herumsitzen, ihre einzige Freundin von hier, Ingrid, ist doch dieses Jahr zur Erholung auf Sylt.“

Unterwegs sammelten wir noch Manfred Schelling auf, der früher auch in unserer Klasse war, jetzt aber eine Klasse unter uns, weil er so schlechte Zensuren hatte, dass er deswegen sogar von seinem Vater verprügelt worden ist. Als er Brunhilde in unserer Mitte sah, brummte er: „Was wollt ihr denn mit der, mit Weibern kann man doch nicht spielen.“

Ihr Cousin verteidigte sie: „Quatsch nicht so doof, sonst brauchst du nicht mitkommen; Brunhilde ist schließlich bei mir zu Besuch, sie kommt aus dem Rheinland und kann uns vielleicht sogar was Neues zeigen.“

Wir gelangten auf eine Wiese hinter den Gärten einer Siedlung aus abgestellten Eisenbahnwaggons. Die Eisenbahnwaggons waren Notunterkünfte für Flüchtlinge und Ausgebombte. Sie wurden mit Tiefladern zu vorbereiteten „Bauplätzen“ transportiert und konnten dann sofort ans Stromnetz angeschlossen werden und auch sofort bezogen werden. Sie hatten meistens eine kleine Küche mit Kohleherd, dahinter eine Wohnstube und dahinter ein Kinderzimmer und danach einen Toilettenraum. In solch einem Schuppen wohnten Wilfried und Fritz. Unser Sammelplatz auf der Wiese befand sich genau hinter deren Anwesen, Familie Ewalds Behelfswohnheim.

Es war ein milder Sommertag. Die Wiese unter uns stand in saftigem Grün, dazwischen bunte Wiesenblumen zwischen denen sich Bienen und Hummeln tummelten. In Ewalds' Gartenhecke zankten sich Spatzen.

„Was machen wir jetzt?“ fragte Günther.

Brunhilde: „Wir können doch Soldaten und Offizier spielen.“

Manfred: „Oh ja, du bist der Offizier, weil du die älteste bist“.

Dann nahm das Unheil seinen Lauf; keine Widerrede, also befahl Brunhilde: „Stellt euch der Größe nach in einer Reihe auf. Der kleinste links.“

Wir gehorchten, allerdings wollte Fritz nicht der kleinste sein und schubste Manfred nach außen.

„Zieht eure Hemden aus!“

„Legt die Hemden hinter euch ins Gras und legt euch drauf.“

Sie stellte sich breitbeinig vor uns: „So, wenn ihr wollt, dass ich mich auch ausziehe, müsst ihr eure Hosen runter ziehen.“

Ich bekam spontan wieder diesen angenehmen Druck in die Lendengegend und leistete, dadurch etwas gehemmt, Folge. In diesem Moment ertönte ein Donnerwetter aus dem Garten von Ewalds:

Die Mutter von Fritz und Wilfried: „Ihr Schweine, was macht ihr da denn für Sauereien! Fritz, Wilfried, kommt sofort her!

Ihr schamlosen Säue, verschwindet, ich zeig euch an, ihr kommt allesamt in die Erziehungsanstalt!“

Sie kam auf uns zugelaufen, packte Günther und mich an den Armen und zerrte uns zu Klasens. Dabei schimpfte sie ununterbrochen auf uns und bezeichnete uns als primitives verdorbenes Lumpenpack, das unbedingt in eine Besserungsanstalt gesperrt werden muss. Sie lieferte uns bei Brunhildes Tante ab und trommelte die anderen Mütter zusammen.

In Klasens Hof drohte Brunhilds Tante, dass sie das Mädchen mit dem nächsten Zug nachhause schicken wolle, wir Jungs wurden von unseren Müttern verdroschen und bekamen drei Tage Hausarrest. Wenn wir so etwas noch einmal machen würden, würde die Polizei uns holen und in ein Erziehungsheim stecken.

Ich schämte mich fast zu Tode und verbrachte den Hausarrest mit Büffeln für die Schule, obwohl Ferien waren und ich schon alles konnte; ich tat einfach so, als hätte ich Einsicht für mein Fehlverhalten gewonnen. Obwohl, ich weiß heute noch nicht, was daran sündhaft war, es war doch kein Doktorspiel!

Den Rest der Ferienzeit verbrachte ich auf dem Bauernhof und beschloss, später, wenn ich vor die Berufswahl gestellt werde, Landwirtschaft zu studieren.

Bald, nachdem die Schule wieder begonnen hatte, als die Klassenarbeiten für das zweite Halbjahr geschrieben waren, war ich fast Klassenbester. Nur Inge Siedenbüller hatte bessere Zensuren. Ich hatte die schlechteste Handschrift in der Klasse, was bei der Benotung Minuspunkte gab.

Ich probierte, ob ich mit der linken Hand vielleicht schöner schreiben könnte. Das gelang nach einiger Zeit tatsächlich.

Dadurch konnte ich mir bereits als Schüler nebenbei auch noch Geld verdienen. Mein Banknachbar war schon zweimal sitzengeblieben. Er bekam von seinen reichen Eltern ziemlich viel Taschengeld. Wenn wir Klassenarbeiten schrieben, schob er mir immer sein Heft hin und ich schrieb beide Arbeiten.

Seine Arbeit mit der linken Hand, meine mit der rechten.

Damit es nicht auffällt, habe ich abwechselnd bei ihm und bei mir verschiedene kleine Fehler eingebaut. Sodass wir tatsächlich unterschiedliche Zensuren bekamen. Von Hansi, so hieß mein Nachbar, bekam ich für jede Arbeit 50 Pfennig.

Er hat mir auch das gebrauchte Fahrrad für 6 Mark vermittelt.

Entweder haben die Lehrer tatsächlich nichts von meiner Nebentätigkeit gemerkt, hatten vielleicht gedacht, dass bei Hansi endlich der Groschen gefallen sei, oder hatten sie eher (das denke ich heute auch) Mitleid mit Hansi und mir gehabt, oder sie taten ahnungslos weil sie mir – trotz meiner schlechten Schrift – wohlgesonnen waren.

Einmal ist ein Lehrer vor der versammelten Klasse nämlich sogar direkt auf mich zugesprungen und hat mit vorgestrecktem Zeigefinger gerufen: „Du bist der kleine Gauß“, weil ich angeblich dieselben mathematischen Fähigkeiten wie diese Berühmtheit hätte.

Mein späterer beruflicher Werdegang kann das nicht bestätigen, es war offenbar purer Zufall.

(allerdings wiederholte sich so etwas Ähnliches später mit dem Satz des Pythagoras nochmals in der Mittelschule).

Meine Klassenlehrerin war krank. Der Lehrer einer höheren Klasse, Herr K., musste meine Klasse beschäftigen. Er gab uns eine Rechenaufgabe: wir sollten alle Zahlen von 1 – 10 aufsummieren. In der Zwischenzeit wolle er seiner Klasse eine Aufgabe geben und uns danach sofort wieder weiter betreuen.

Er befahl meinen Klassenkameraden, das Ergebnis zu überprüfen und schickte mich nach Hause.

Natürlich bin ich sofort zum Bauernhof geeilt und habe dem neuen Knecht, Lothar, meine Hilfe angeboten. Der meinte aber, ich sei doch noch ein Kind und er könne mir heute keine geeignete Aufgabe zuteilen. Ich dürfe aber, wenn ich Lust dazu hätte, mich auf ´s Pferd setzen, während er mit dem Gespann zum Heu wenden ginge.

Das hat auch Spaß gemacht, weil wir aber etwas lange bei der Arbeit waren und ich nur kurze Hosen trug, waren meine Innenschenkel ganz wund, als Lothar mich von Lores Rücken herunter hob. (Ich bin stets ohne Sattel geritten).

Das bemerkte Piet und sagte: „ Da wird die Mutter sich aber freuen, na ja, vielleicht merkt die´s gar nicht, bei so vielen Gören.“

Der Knecht: „Wieso, viele Gören, wie viele denn?“

„Na, acht glaube ich, stimmt´s?“

Der Knecht an mich gewandt: „Was, Acht? wie alt ist das Jüngste?“

„Fünf“

„Und wie alt ist deine Mutter?“

„Einundvierzig“

Da schaute der Knecht den Bauernsohn mit verächtlicher Miene an: “So ´ne Sau, mit 36 noch ´n Kind, hoffentlich wirft die nicht nochmal.“

Das gab mir einen Stich in die Magengegend. Ich beeilte mich, in den Stall zum Jungvieh zu kommen. Dort musste ich weinen und umarmte ein Kalb: „Lothar ist ganz böse, hoffentlich bestraft der Liebe Gott ihn.“

Das war das erste Mal in meinem Leben, wo ich bewusst über den Wertunterschied von Müttern und Vätern nachgrübelte. - Sind es nicht die Frauen, die Mütter, die mehr zum Erhalt des Lebens beitragen?

Mindestens ein halbes Jahr lang betete ich jeden Abend vor dem Einschlafen: „Lieber Gott, beschütze meine Mutter, damit sie nie wieder beschimpft wird. Mutti ist mehr wert als Lothar.

Lieber Gott, ich weiß, dass meine Mutter nicht so viele Kinder haben wollte, aber du hast es so bestimmt und ich wollte auch gerne leben. Dafür danke ich dir. Beschütze auch bitte meinen Vater und alle meine Geschwister und lass uns alle fromm sein; Amen“.

Bis zu meiner Konfirmation blieb ich auch fromm und betete jeden Morgen, wenn ich aufwachte und jeden Abend wenn ich mich zum Schlafen legte. Bevor ich nicht gebetet hatte konnte ich nicht einschlafen, das Gebet wirkte auf mich wie eine Schlaftablette.

Aber im Schlaf musste ich oft von der schönen Frau mit den vier Soldaten träumen. Eines Nachts, wenige Tage vor meiner Konfirmation, hatte ich wieder so einen Traum. Ich kämpfte mit den Soldaten und verjagte sie. Die Schöne in ihrer lachsfarbenen Unterwäsche und mit runter gezogenem Schlüpfer umarmte mich dankbar und flüsterte etwas in mein Ohr. Ich weiß aber nicht mehr was. Und gleich danach träumte ich von Christel, wie sie sich im Kuhstall die Füße wusch und wie ich ihre Schenkel sah. Ich spürte im Unterleib ein wahnsinnig tolles Jucken und Zucken und bin aufgewacht. Ich fühlte die Feuchtigkeit in meiner Pyjama Hose und fürchtete, dass ich mich im Schlaf voll gepinkelt hätte.

Ich habe die Hose heimlich ausgewaschen und versteckt.

Mein Freund und Namensvetter Michael war die einzige Person, der ich mich am nächsten Tag anvertraute. Der hat nur gesagt: „Pollution, du bis jetzt ein Mann.“

Dann hat er mir erklärt, dass ich das wunderbare Gefühl jetzt auch jederzeit selber erzeugen könnte, ich müsse nur immer vorsorglich ein Taschentuch dabei haben. Er erzählte mir, dass viele Jungens und Männer Selbstbefriedigung machen würden, dass sie sich Bilder von spärlich bekleideten, oder wenn möglich, ganz nackten Frauen anschauen und sich dabei befriedigen.

Wenn man das nicht macht, kommt es alle zwei bis drei Wochen von selber zu einer Pollution. Das ist ähnlich, wie bei den Mädchen die Tage.

Das mit den Tagen bei Mädchen erklärte mir später seine Mutter.

Als hätten meine Eltern etwas bemerkt, einige Tage später rief mein Vater mich in die Küche, schloss die Türe und forderte mich auf, am Tisch Platz zu nehmen. Er setzte sich über Eck dazu und vermied es, mir in die Augen zu sehen. Mit hochrotem Gesicht druckste er herum:

„Mutti hat gesagt ich soll dich aufklären; also, du bist jetzt bald 15, da kann ein junger Mann schon Kinder zeugen. Wenn dir das passieren sollte, dann fliegst du hier raus, egal was für eine schielende oder fette Schlampe von dir ein Kind kriegen sollte, die wird geheiratet und du hast sie und das Kind zu ernähren.

Aber weit weg vom Elternhaus. Vor 21 macht man so etwas sowieso nicht, sonst ist das strafbar und eine große Sünde. Die bestraft der Liebe Gott mit ganz schlimmen Geschlechtskrankheiten.

Außerdem willst du ja mal eine Jungfrau heiraten, und was du nicht willst was man dir tu, das füg` auch keinem anderen zu.

Die Mädchen wollen vor der Ehe keinen Sex, von der Natur aus sind sie sogar durch ein Jungfernhäutchen – der Unschuld - geschützt damit sie vor der Ehe sowas nicht machen. Sie machen das nur ihrem Verlobten zuliebe, wenn sie wissen, dass er sie auch heiratet. Wenn sie das vorher machen und der Freund sie sitzen lässt, haben sie keine Chance mehr, einen Ehemann zu kriegen. Sie können dann Kranzgeld verlangen, aber das bringt ihnen die Chancen nicht zurück. Jedem Mann steht eine Jungfrau zu. Wenn du nicht bis zur Hochzeit warten kannst und volljährig bist, kannst du ja ins Freudenhaus gehen oder eine Witwe trösten. Merk dir das!

Und lass deine Finger weg von da unten, da verliert man Rückenmark und verblödet. So, jetzt weißt du `s. Kannst gehen.“

So (un)-aufgeklärt konnte ich zwar erahnen, weswegen der Anblick von Frauenbeinen – oder noch etwas mehr weibliche Natur– bei mir eine Erektion erzeugt, aber ich durfte mit dieser nichts anfangen, musste immer schön brav abwarten, bis ich mich wieder abregte. Es war aber ein Dilemma, eine Zwickmühle zwischen Gehorsam gegen Gott und Eltern, christlicher Tugendhaftigkeit und dem süchtigen Drang nach sinnlichem Vergnügen. Die Scham vor meiner Mutter, wenn ich alle zwei bis drei Wochen die Folgen nächtlicher Träume im Schlafanzug entdeckte, ließ mich einen Kompromiss entwickeln; immer, wenn ich spürte, dass die Pollution bevorstand, befolgte ich Michaels Rat. Ich nahm mir auf dem Klo abends eine Illustrierte oder Modezeitschrift (die da zum Gebrauch als Toilettenpapier lagen) und suchte Bilder von Strumpfreklamen oder Unterwäscheangeboten raus. Erleichtert und mit mäßig schlechtem Gewissen konnte ich anschließend mein Bett aufsuchen. Von da an suchte ich auch das Gespräch über Sex und Moral mit meinem Freund Michael und dessen sehr aufgeschlossener Mutter.

Während diese nichts an der Selbstbefriedigung auszusetzen hatte, im Gegenteil mir sogar die „Gondel“ mitgab, ein altes Herrenmagazin mit retuschierten Abbildungen von nackten Damen, warnte sie mich aber auch vor der Verführung von Jungfrauen, dass man solche Mädchen nicht enttäuschen dürfe und dass schließlich jedem Manne eine Jungfrau zustünde. Die Unschuld sei das größte Opfer, das eine Frau einem Manne darbieten könne und ich solle mir das zu Herzen nehmen. Die Jungfrauen erschienen mir nun als göttliche Wesen und ich hatte Hochachtung vor allen unverheirateten Mädchen von denen ich annahm, dass sie schon ihre Periode bekamen.

Weil ich mir diese – fast übereinstimmende - Lüge von Michaels Mutter und meinem Vater so verinnerlichte, dass ich in meinem Gerechtigkeitswahn den Jungfrauenwahn respektierte und für mich selbst übernahm, sodass ich, solange ich mir nicht sicher war zu heiraten, keine Jungfrau angerührt habe, um nicht einem anderen Mann das Höchste zu klauen, natürlich in der Hoffnung, dass die anderen Männer genauso fair sind, deswegen habe ich bis heute noch nie das Vergnügen mit einer Jungfrau gehabt.-

Jetzt ist´s zu spät.

Nach der Konfirmation wurde ich auf die Mittelschule geschickt und musste meinen Job als Knecht aufgeben.