Die Krone der Sterne - Kai Meyer - E-Book
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Die Krone der Sterne E-Book

Kai Meyer

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Beschreibung

Der dritte Band der magischen Space Opera aus der Feder von Bestsellerautor Kai Meyer! Die Galaxis steht in Flammen. Die Maschinengötter sind erwacht und stürzen das Sternenreich in einen kosmischen Krieg. Inmitten der Wirren kämpft Iniza Talantis um die Sicherheit ihrer Familie. An Bord der Nachtwärts jagen sie durchs All, verfolgt von den Schergen des Hexenordens. Denn Inizas Tochter Tanys gilt den Hexen als Schlüssel zum Sieg. Ihr Weg führt sie auf den verbotenen Mond der Waffenmeister und durch ausgetrocknete Ozeane, auf verseuchte Dschungelwelten und in die Slums der Taragantum-Drift. Doch ihr Schicksal erwartet sie auf Tiamande – der Thronwelt der Gottkaiserin. Ein ungewöhnlicher Autor mit einer einzigartigen Serie.

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Kai Meyer

Die Krone der Sterne

Maschinengötter

FISCHER E-Books

 

 

 

 

 

 

In Erinnerung an

Ernst Vlcek (1941–2008)

und

Mythor (1980–1985)

»In jenen Tagen strahlten die Sterne heller.

Es gab Könige, die über Sonnen herrschten. Adelshäuser regierten wie Götter im All. Die Schiffe, in denen sie zwischen den Gestirnen reisten, waren groß wie Städte, manche gar wie Monde: Schiffe voller Anmut und Eleganz, Schiffe voller Tod. Denn wo Leidenschaften entbrannten und das Streben nach Macht, da wurden Kriege entfesselt und gewaltige Schlachten geschlagen, weit draußen in der Leere.

Jene, die ihr Leben in Wracks über verwüsteten Welten ließen, wussten nur selten, wofür sie starben. Die Ambitionen ihrer Herrscher waren so mysteriös wie die Sternennebel, auf die sie mit erschöpften Augen blickten, und manch einer erkannte in seinen letzten Momenten, dass eben doch nicht alles endlos ist, nicht einmal der Kosmos.

Feuer loderten, wo keine Flamme hätte flackern dürfen, und mächtige Geschütze rissen Wunden selbst ins Vakuum. Menschen, die hier gesiedelt hatten, um ein neues Leben zu finden, entdeckten vielfache Wege, den Tod zu säen.

Zivilisationen vergingen, Welten zerbrachen, Sonnen zerstoben zu Sternenstaub.

 

Niemand weiß mehr, wie lange das Zeitalter der tausend Kriege währte, und aus der Asche des Alten erwuchs nichts Neues, sondern abermals der Mensch mit seinen Begierden und Gelüsten. Doch diesmal vereinten sich die Völker widerwillig zur Hegemonie, bauten neue Schiffe, besiedelten tote Welten, infizierten das All wie eine Seuche. Das gnadenlose, das grandiose Tiamande wurde zum Herz dieses Reiches, ein Planet der Legenden und Wunder nur für jene, die ihn nie mit eigenen Augen sahen.

Die Herrschaft der ungeliebten Hegemonie konnte nicht ewig währen, und auf sie folgte die Ära der Maschinen: ein Erstschlag eisigen Intellekts, der Aufstand künstlichen Lebens. Waren es die Diener, die sich gegen ihre Meister erhoben, oder kamen die Maschinen von anderswo? Im Sturm der Gerüchte ging als Erstes die Wahrheit verloren.

Drei Jahrhunderte lang zermalmte der Maschinenherrscher mit stählerner Faust ganze Sonnensysteme, trug Vernichtung auf zahllose Welten. Das menschliche Leben drohte unterzugehen im Inferno von Klingen und Panzerketten, Laserkanonen und nuklearem Feuer.

Doch das präzise Töten gebar die Anarchie des Lebens, und aus dem Nichts kamen die Hexen. Der Glaube an ihren kosmischen Götzen, das Schwarze Loch Kamastraka, verlieh ihnen Macht jenseits dessen, was selbst die besten Prozessoren verarbeiten konnten. Die Maschinen wurden geschlagen, ihre Armeen auf hunderten Welten begraben. Aber wo nie Leben war, kann keines schwinden.

Fortan lenkten die Hexen das Reich Tiamande mit der harten Hand der Religion, regiert von ihrer Gottkaiserin, für immer jung und rätselhaft. Kein gewöhnlicher Mensch sah sie je in den Tiefen ihres Palastes auf der Thronwelt, wo sie ihre Befehle von Kamastraka selbst empfing, von der Stimme des Schwarzen Lochs weit außerhalb der Galaxis.

Als die Überlebenden in den verstreuten Systemen erkannten, dass die eine Tyrannei von einer anderen abgelöst worden war, regte sich Rebellion gegen den Hexenorden. Wieder wurden Kämpfe entfacht, so töricht wie aussichtslos. Die Königreiche der Taragantum-Drift fielen, das Sternbild der Eisenfaust. Die Paladinarmeen der Hexen erstickten jeden Aufstand, zerschlugen alle Hoffnung.

Am Rand des Reiches, in einem Wall aus Welten, den die Menschen die Marken nennen, siedelten viele, die nicht nach den Gesetzen des Ordens leben wollten. Auf Schürferplaneten und Elendswelten kämpften sie um ihre Existenz, ausgebeutet von der Minengilde der Marken und der Sippe, die sie führte – dem Haus Caudor, Verbündeter der Hexen und doch ihr heimlicher Gegner.

 

Und noch weiter draußen, jenseits der Marken – die Äußeren Baronien. Von dort kamen Iniza, einzige Tochter des Hauses Talantis, und ihr Gefährte Glanis, der Vater ihrer Tochter Tanys. Sie verließen ihre Heimatwelt Koryantum und stießen in den Marken auf neue Verbündete und Feinde. Gejagt von den Hexen, die in der kleinen Tanys die Stimme der verstummten Gottkaiserin zu erkennen glaubten, fanden sie die Freundschaft der Alleshändlerin Shara Bitterstern und des grimmen Kranit, des letzten Waffenmeisters von Amun.

An Bord von Sharas RaumschiffNachtwärtsentgingen sie zahlreichen Gefahren und Konfrontationen mit den Hexen des Ordens. Die Muse – eine Maschine in Menschengestalt – schloss sich der Gruppe an und rettete Iniza das Leben. Gemeinsam verschlug es sie alle auf die Piratenwelt Noa, wo Inizas Onkel Fael Talantis seine Rückkehr in die Baronien und die Machtübernahme auf Koryantum plante. Hier begegneten sie Gavanqe, die zu Tanys’ Amme und treuer Beschützerin wurde.

 

Noa fiel im Laserfeuer einer Kriegsflotte des Hauses Caudor, doch der Triumph der Gilde währte nicht lange: Eine Roboterarmee erwachte in den Marschen des Planeten und stürzte sich auf die Feinde im Orbit. Denn in einem Akt fatalen Größenwahns hatte Fael die Auferstehung der Maschinen ausgelöst, erst nur auf Noa, dann überall im Sternenreich von Tiamande.

Die Hexen, die jahrhundertelang die Rückkehr eines anderen Gegners gefürchtet hatten – die Wiederkehr des Ikonoklasten aus dem Katarakt– , sahen sich unvermittelt einem Feind gegenüber, der nicht von außen kam, sondern von den vergessenen Schlachtfeldern inmitten ihres Machtbereichs.

Fortan befehligten Ebenbilder der Muse gewaltige Heerscharen von auferstandenen Kriegsdrohnen, deren einziges Streben die Auslöschung der menschlichen Rasse war. Gerüchte über ihre Siege wanderten durch die Leere zwischen den Sternensystemen, Geschichten von entvölkerten Welten und erloschenen Sonnen.

 

Auf Empedeum, der Ursprungswelt des Hexenordens am äußeren Rand der Baronien, wurde ein Tor zum Pilgerkorridor geöffnet, einer abgeriegelten Sternenstraße durch den Hyperraum, von der niemand weiß, wohin sie führt. Dabei wurde eine unbekannte kosmische Macht entfesselt, der König der Gnade, der uralte Wächter des Pilgerkorridors. Shara und Kranit sahen mit eigenen Augen, wie er Empedeum verwüstete und eine Raumstation der Hexen verschlang. Im letzten Moment gelang beiden die Flucht. Was aus dem König der Gnade wurde und was sein Auftauchen für die Baronien bedeutete, blieb ungewiss.

Derweil kehrte Iniza für kurze Zeit zurück nach Koryantum, wo ihr Onkel Fael erneut nach der Macht griff. Schon bald sah er in ihr eine Konkurrentin um den Thron. Iniza, Glanis, das Mädchen Tanys und die Amme Gavanqe konnten entkommen und fanden sich wieder an Bord der Nachtwärts.

Und während das Schiff aufbrach, um inmitten der Kriegswirren eine sichere Zuflucht zu finden, wurde Hadrath Talantis, Inizas zweiter Onkel und skrupelloser Bruder des Usurpators Fael, in den brennenden Trümmern von Noa zum willigen Diener der Maschinen.

 

Zweieinhalb Jahre sind seit dem Fall von Noa vergangen.

Inizas Tochter Tanys ist drei Jahre alt.

Die Galaxis steht in Flammen.

1

»Sind sie noch hinter uns?«

»Ich kann nichts sehen«, sagte Kranit.

»Das weiß ich«, entgegnete Shara. »Aber sind sie noch hinter uns?«

Der alte Waffenmeister verzog verächtlich den Mund und klopfte auf die Anzeigen des Laserleitstands. »Vielleicht hast du mehr Vertrauen in die Augen der Nachtwärts als in meine. Jedenfalls ist uns bislang nichts aus dem Hyperraum gefolgt.«

Iniza trat von hinten an ihn heran und beugte sich mit einem Lächeln über seine Schulter. »Nichts für ungut, aber der Gesamtzustand dieses Schiffes ist kaum erfreulicher als deiner.«

»Komm du in unser Alter.« Kranit tätschelte die Armlehne seines Sitzes, als gehörte die Nachtwärts schon lange nicht mehr Shara allein, sondern ihnen allen. Die Alleshändlerin quittierte das routiniert mit einem Schnauben.

Kranits langer Pferdeschwanz und der gewaltige, zu Zöpfen geflochtene Bart waren während des Kampfes gegen die Ordensmutter Setembra schneeweiß geworden. Iniza hatte sich längst daran gewöhnt, nicht aber an das kränkliche Grau seiner Haut und die ausgezehrte Miene. Kranit war groß und breitschultrig wie eh und je, selbst angeschlagen eine imposante Erscheinung. Und doch spürten sie alle, dass etwas an ihm nagte, über das er kein Wort verlor.

Im hinteren Teil des Cockpits quietschte Tanys fröhlich auf, lief zu Iniza und deutete zwischen den Pilotensitzen hindurch auf den Planeten, der im runden Sichtfenster der Nachtwärts aufgetaucht war.

Taragantum IV. Die Welt der brennenden Regenbogen.

Tanys’ Vater Glanis registrierte es mit einem Stoßseufzer: Immerhin hielt der Anblick die Kleine davon ab, sich ein weiteres Mal an seiner Hand in den Antigravschacht der Nachtwärts stürzen zu wollen. Tanys liebte es, wie auf unsichtbaren Händen die drei Decks nach unten zu schweben. Die Monotonie langer Raumflüge war für jedermann eine Herausforderung; mit einer gelangweilten Dreijährigen an Bord hätte sie schnell zum Albtraum werden können.

Darum stand das Abenteuer Antigravschacht zur Ablenkung des Mädchens bei allen hoch im Kurs, und es gab niemanden in der Nachtwärts, der sich nicht wieder und wieder mit Tanys in das weiche Schwerkraftfeld fallen ließ. Zu Kranits Verdruss liebte sie es ganz besonders, dabei seine Bartzöpfe im Schacht umherwirbeln zu sehen und mit ihren kleinen Händen danach zu greifen. Über den letzten Waffenmeister von Amun waren zahllose Geschichten im Umlauf, und jeder an Bord hatte ihm schwören müssen, dass diese hier das Schiff nicht verlassen würde.

Während sich vor ihnen die hellbraune Planetenkugel wie eine Schlammpfütze vom funkelnden Sternenmeer abhob, lehnte Shara sich zurück und verschränkte die Hände am Hinterkopf. »Bald seht ihr Matuul, die Perle am Ufer des Ozeans.«

Überrascht bemerkte Iniza die Wärme in der Stimme der Alleshändlerin. Sharas letzter Besuch auf ihrer Geburtswelt lag viele Jahre zurück, und Iniza konnte sich nicht erinnern, dass Shara darüber je ein Wort des Bedauerns verloren hätte. Seit jedoch klar war, dass ein Schaden an den Waffensystemen die Nachtwärts zu einer Rückkehr nach Taragantum IV zwang, zeigte die Alleshändlerin von Tag zu Tag stärkere Heimatgefühle: Ständig fluchte sie in den unverständlichen Dialekten der Drift.

Shara hatte sie alle überzeugt, dass es nur auf Taragantum IV die nötigen Mechaniker für eine Generalüberholung der Nachtwärts gäbe. Hier hatte sie das Schiff einst für ihre Zwecke umrüsten lassen, und nirgendwo sonst wurde so häufig gegen das Technologieverbot des Ordens verstoßen.

Erst vor kurzem war die Nachtwärts in den Marken in eines der zahlreichen Scharmützel geraten, die sich die Söhne des Hauses Caudor um das zerfallende Minenimperium der Gilde lieferten. Seit dem Tod des Patriarchen Padrag Caudor und dem Untergang der Gildenflotte über Noa, bei dem auch Padrags ältester Sohn Granwill ums Leben gekommen war, war zwischen den sechs verbliebenen Caudor-Söhnen ein offener Krieg um das Erbe ausgebrochen. Dabei ging es längst nicht mehr um die Nachfolge an der Spitze der Gilde. Vielmehr war jeder der sechs bemüht, sich möglichst große Stücke des Kuchens zu sichern, die Welten mit den reichsten Rohstoffvorkommen. Seit über einem Jahr hetzten sie ihre Söldnerarmeen aufeinander und zeigten wenig Interesse daran, dass im Kernreich und in Teilen der Marken längst ein ungleich größerer Konflikt entbrannt war – der Krieg um die Zukunft der Menschheit.

Die Besatzung der Nachtwärts hatte sich während der vergangenen zweieinhalb Jahre, so gut es ging, von den gefährlichsten Brennpunkten und Krisenherden der Marken ferngehalten, und trotzdem waren sie mehr als einmal vom Bruderkrieg der Caudors eingeholt worden.

Zuletzt hatten sie die Aufmerksamkeit einer Gilden-Armada auf sich gezogen, die eine der profitablen Indigowelten besetzt hielt. Ein Söldnerkreuzer hatte sie ohne Ankündigung unter Beschuss genommen. Die Waffensysteme der Nachtwärts, zuvor bereits angeschlagen, hatten ein paar üble Treffer einstecken müssen. Mit Müh und Not hatten sie die nächste Hypersprungschleuse erreicht und Kurs auf die Taragantum-Drift genommen, unsicher, ob ihnen die Caudorsöldner in den Hyperraum folgen würden.

Zumindest diese Befürchtung schien sich nicht zu erfüllen. Vielleicht war alles zu schnell gegangen, um die Kennung des Sichelschiffes zu überprüfen.

»Noch immer keine Verfolger«, verkündete Shara, nachdem sie ihre Instrumente überprüft hatte. »Keine weiteren Aktivitäten an der Schleuse.«

»Wie ich schon sagte«, bemerkte Kranit.

»Was du gesagt hast, war: Ich kann nichts sehen.« Shara grinste verschmitzt. »Das ist ein Unterschied.«

»In meinem Gesamtzustand«, sagte der Waffenmeister betont, »wünscht man sich vor allem Respekt vor dem Alter.«

Die Alleshändlerin zwinkerte Iniza über die Schulter zu. »Wir finden schon noch eine stinklangweilige Welt für deinen Ruhestand.«

»Jedenfalls bezweifle ich, dass dieses Drecksloch da unten geeignet wäre«, sagte Kranit.

Shara holte tief Luft. »Taragantum IV ist das strahlende Herz der Drift. Kein Wunder, dass dort damals der Aufstand gegen den Orden begonnen hat.«

»Und wie wundervoll er für alle Beteiligten ausgegangen ist«, sagte Kranit. »Drei gefallene Königreiche, hundert Millionen Tote und zigtausende Schiffswracks zwischen den Sternen, die bis heute der Grund dafür sind, dass es hier mehr Ersatzteile für Reparaturen gibt als anderswo.«

Shara wollte etwas erwidern, machte aber nur kurz den Mund auf und zu und winkte dann ab. Iniza verdrehte die Augen über die ewigen Sticheleien der beiden und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Planeten. Sie hatte sich abgewöhnt, beim Anflug auf neue Welten Hoffnung zu verspüren. Meist wünschte sie sich nur, dass alles nicht so schlimm werden würde wie auf der letzten.

Auf mehreren Markenwelten hatten zu viele Menschen gewusst, wer sich an Bord der Nachtwärts befand. Dass der Hexenorden eine hohe Belohnung für die Gefangennahme von Tanys und Iniza in Aussicht stellte, hatte sich selbst inmitten zweier Kriege blitzschnell in Raumhafenspelunken und Schürfertavernen herumgesprochen.

Der einzige Vorteil, den das Erwachen der Maschinen für Iniza und ihre Tochter mit sich brachte, war wohl der, dass viele Söldner und Kopfgeldjäger es vorzogen, sich in den Marken zu verkriechen, wo die Bedrohung durch die Roboterheere bislang nur selten zu spüren war. Der Weg nach Tiamande durch kosmische Schlachtfelder hingegen erschien den meisten als ein Risiko, das kein noch so hohes Kopfgeld aufwiegen konnte.

Doch es gab Ausnahmen. Mutige, vielleicht auch Verzweifelte, die selbst angesichts des Bürgerkriegs in den Marken und des Maschinenholocausts im Reich dem Lockruf einer Belohnung nicht widerstehen konnten. Einigen war die Nachtwärts bereits begegnet, und da draußen lauerten mit Sicherheit noch mehr von ihnen.

Glanis schob seine kleine Tochter sanft zur Seite, um in den zweiten Copilotensitz neben Shara zu sinken. Tanys protestierte, ließ sich dann aber von Iniza auf einen der Notsitze im hinteren Teil des Cockpits ziehen und anschnallen. »Und diesmal lässt du die Finger vom Gurt«, sagte sie in der Gewissheit, dass Tanys spätestens beim Landeanflug daran herumspielen würde. Zwischen den drei Pilotensesseln gab es einfach mehr für sie zu sehen.

Das offene Schott in der Rückwand des Cockpits grenzte unmittelbar an den Antigravschacht, in dem gerade die beiden übrigen Besatzungsmitglieder auftauchten. Als Erste glitt die Muse mit elegantem Schwung aus der Schwerelosigkeit des Schachts in die Kabine, lächelte Iniza zu und setzte sich auf einen der freien Notsitze neben dem Durchgang. Ihr schwarzer Overall war so eng, dass er Teil ihres künstlichen Körpers hätte sein können, ihr glattes, rotes Haar floss über die Schultern, und wie meist war sie barfuß. Selbst ihre nackten Füße waren vollkommen, als hätte ein Bildhauer der Goldenen Welten sie aus Marmor gemeißelt.

»Ich kenne nicht ein einziges Gedicht, das auf Taragantum IV geschrieben wurde«, sagte sie, nachdem sie den korrekten Sitz ihres Gurts überprüft hatte. »Und ich kenne Millionen Gedichte von Tausenden Welten.«

Shara zog abfällig die Nase hoch. »Wir aus der Drift haben es nicht so mit Poesie.«

»Wo doch selbst euer Dialekt klingt wie Gesang«, bemerkte Glanis spöttisch und legte eine Reihe von Schaltern um.

In der Öffnung zum Antigravschacht erschien Gavanqe und zog sich mit einer fließenden Bewegung ins Cockpit. Niemand wechselte so graziös aus der Schwerelosigkeit in die Bordgravitation wie die Muse, doch auch Gavanqe hatte erstaunliches Geschick darin entwickelt. Die Amme hatte an Gewicht verloren, seit sie an Bord der Nachtwärts lebte, auch wenn sie immer eine große, kräftige Frau bleiben würde. Sie verabscheute die billigen Lebensmittel, mit denen Shara in Raumhäfen ihre Vorräte aufstockte. Obwohl es ihnen nicht an Geld mangelte, ließ die Alleshändlerin es sich nicht ausreden, dass es zum Dasein auf den Sternenstraßen gehörte, ein gewisses Durchhaltevermögen in Sachen Ernährung aufzubringen. Einzig für Tanys besorgte sie schmackhafte Kindernahrung, und einmal hatte Iniza sich dabei ertappt, wie sie heimlich einen der Becher auslöffelte, um wenigstens an einem Tag auf Sharas komprimierte Nährfladen verzichten zu können.

»Wir müssen uns was einfallen lassen«, sagte Gavanqe, die die letzte Stunde damit verbracht hatte, die maroden Hygieneeinrichtungen der Nachtwärts zu überprüfen. »Ich kann mich vielleicht so gerade noch daran gewöhnen, scheußliche Synthetik zu essen, aber ich werde mich nicht auf Blechtöpfe setzen, nur weil an Bord die Wasserleitungen verstopft sind. Und allzu lange werden sie nicht mehr durchhalten.«

Kranit blickte hinüber zur Wölbung von Taragantum IV. »Sicher gibt es im strahlenden Herzen der Drift auch Teile für Raumschiffklosetts.«

»Auf den Märkten von Matuul gibt es schlichtweg alles«, sagte Shara stolz.

»Das befürchte ich. Vor allem Hexen, Gildesöldner, Kopfgeldjäger und jede andere Form von menschlichem Aussatz.«

»Allein der Blick von den Piers in den Sonnenaufgang ist es wert, dass du an deiner Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem arbeitest.«

»Ich kenne die Piers«, sagte Kranit. »Ich war schon mal dort.«

Gavanqe stemmte mit finsterer Miene die Arme in die Hüften. »Hallo? Wir sprechen hier von Bedürfnissen, die jeder von uns hat, nicht von Sehenswürdigkeiten irgendeiner –«

»Ich kümmer mich darum«, fiel Shara ihr ins Wort. »Ich hab da unten Beziehungen.«

Iniza bemerkte, dass sie nicht Freunde sagte, und sie fragte sich, ob ihr das zu denken geben sollte. Doch da flutschte Tanys schon wieder unter den Gurten hindurch und lenkte sie ab.

Dabei hätte sie sich nur auf die Fürsorge und Schnelligkeit der Amme verlassen müssen. Bevor Tanys zwei Schritte machen konnte, hatte Gavanqe sie bereits vom Boden geangelt. Spielerisch drehte sie sich einmal mit der Kleinen im Kreis, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und setzte sie zurück auf ihren Platz.

»Was ihr fehlt, ist eine anständige Erziehung«, knurrte Kranit.

»Ach?«, sagte Iniza giftig, während sie sich neben Tanys setzte und sie anschnallte. »Und wie sollte die wohl deiner Meinung nach aussehen?«

»Auf Amun hatten wir unsere Methoden.«

Shara lachte. »Da bin ich sicher.«

»Wir Waffenmeister haben gelernt, Befehlen zu gehorchen und Anweisungen auszuführen.«

Iniza blickte hilfesuchend zu Glanis’ Spiegelbild in der Scheibe. Nickte er etwa? Hoffentlich nur eine Täuschung. Es gab immer wieder Augenblicke, in denen er nicht verhehlen konnte, dass er selbst von klein an zum Soldaten erzogen worden war. Niemand wurde ohne Drill zum Hauptmann der Leibgarde einer Baroness.

»Damals auf Amun hatten wir harte Lehrmeister«, fuhr Kranit unbeirrt fort. »Feste Regeln. Strenge Disziplin. Entsprechende Resultate.«

»Tanys ist drei«, sagte Iniza.

Der Waffenmeister hob die Schultern. »Da hatte ich schon ein halbes Dutzend Auszeichnungen im Messerkampf.«

»Möglicherweise wünscht sich nicht jede Mutter, dass ihr Kind zu jemandem wird, der junge Frauen für Geld entführt.«

»Hab ich dich gerettet oder nicht?«, fragte Kranit.

»Versehentlich!«

»Auch wegen meiner harten Lehrmeister.«

Die Muse beugte sich zu ihr herüber. »Er zieht dich nur auf.«

Iniza aber geriet zunehmend in Fahrt. »Ihr musstet tagelang nackt in einem eiskalten Tempel stehen und auf Erleuchtung warten!«

»Das kam später. Nach der guten Erziehung.« Kranit schob beiläufig den Hebel nach oben, der die verbliebenen Waffensysteme scharf machte. »Der erste Befehl, an den ich mich erinnern kann, lautete: Verbrenne ein Bild deiner Eltern!«

»Das erklärt eine Menge«, murmelte Shara.

Glanis sagte: »Bei uns war es: Zerstöre dein erstes Spielzeug!«

Iniza warf fassungslos die Hände in die Luft. »Und wie schön, dass es hier an Bord anders zugeht!«

Die beiden Männer wechselten einen verstohlenen Blick.

»Wenn dann alle so weit wären«, sagte Shara, »könnten wir landen und die Wunder von Taragantum IV genießen.«

»Falls wir es durch den ganzen Müll im Trümmerring schaffen«, sagte Kranit.

»Und vorbei an den verstrahlten Wracks der Orbitalwerften«, ergänzte Glanis.

»Wir hassen euch«, sagte Shara.

Iniza nickte heftig.

»Ich nur ein bisschen«, sagte die Muse.

2

Überall in den Marken war die Rede von Flüchtlingsschiffen aus den Baronien und der Rückkehr des Ikonoklasten.

Doch niemand sprach vom König der Gnade.

Niemand außer Shara und Kranit.

In den ersten Wochen nach ihren Erlebnissen auf der Hexenstation über Empedeum hatten sie über kaum etwas anderes geredet. Über den kontinentgroßen Strudel auf der Oberfläche des Planeten und das formlose Biest, das ihm entstiegen war, befreit von den Fesseln des Pilgerkorridors. Über das fremdartige, unbegreifliche Ding, das einzig vom Wunsch nach Vernichtung beherrscht zu sein schien. Über die Mühelosigkeit, mit der es eine Flotte der Hexen ausgelöscht hatte und danach auf der Wölbung des Planeten gekauert hatte wie eine sattgefressene Spinne.

Doch nach einigen Monaten hatten die beiden begonnen, das Thema zu meiden. Fragte man sie danach, sprachen sie nur noch widerwillig über Empedeum und verloren kaum ein Wort über den Wächter des Pilgerkorridors.

Sie waren nicht die Einzigen, die den Ausbruch der Kreatur mitangesehen hatten. Eine Kathedrale des Ordens war gerade noch in den Hyperraum entkommen und mit ihr die Besatzung von Zigtausenden. Selbst für den Hexenorden musste es schwierig sein, so viele Menschen verstummen zu lassen – es sei denn für immer. Früher waren Gerüchte aus dem Kernreich mit Lichtgeschwindigkeit in die Marken gelangt, doch diesmal war es, als stünde ein Wall aus Schweigen zwischen Empedeum und dem Rest der Galaxis.

Auch über das Schicksal der übrigen Baronien hörte man nur vages Raunen: dass der Ikonoklast aus dem Katarakt zurückgekehrt sei, um das Ordensreich zu zerstören; dass er sich einer Waffe bemächtigt habe, die ganze Welten verheerte; dass diese Waffe – vielleicht – ein lebendes Wesen sei, groß wie ein Planet, das jedem Befehl seines Meisters gehorchte; und dass ein Strom von Flüchtigen der evakuierten Baroniewelten in die Marken dränge. Dort, so hieß es, wurden sie bereits von den Fleischbarken der Sklavenjäger erwartet, die ihr Glück kaum fassen konnten, alle Starken und Schönen aussortierten und die übrigen massakrierten.

Vieles davon mochte wahr sein. Die weltenverschlingende Kreatur hatten Shara und Kranit mit eigenen Augen gesehen. Dass der Ikonoklast, den alle für einen Mythos gehalten hatten, zurückgekehrt war, fiel schwerer zu glauben – auch wenn es nicht undenkbar war. Die Flüchtlingsflotten aus den Baronien hingegen gab es ohne jeden Zweifel. Jene, die die Angriffe der Sklavenhändler überlebt hatten und auf Basaren der Marken verkauft worden waren, mochten die Geschichten über den Ikonoklasten und seinen Diener in die Welt gesetzt haben.

Obgleich die Ungewissheit über das Schicksal Koryantums Iniza das Herz brach, konnte sie Shara und Kranit keine Rückkehr in die Baronien einzig aus Neugier zumuten. Was immer auf Empedeum geschehen war und sich womöglich gerade auf Koryantum, Tern und den anderen Baroniewelten wiederholte – es musste warten, bis ihnen verlässlichere Informationen vorlagen.

»Soll das der Ozean sein?«, erkundigte sie sich, als die Nachtwärts in den Anflug auf die alte Hafenmetropole Matuul überging.

Kranit stieß ein knurrendes Lachen aus, während Shara mit glänzenden Augen durch das Cockpitfenster blickte.

»An seiner tiefsten Stelle ist er vierzig Kilometer tief«, schwärmte die Alleshändlerin.

»Und Wasser gibt’s darin auch?«, fragte Glanis.

»Es ist ein ausgetrockneter Ozean, Banause!«

Was schwerlich zu übersehen war. Eine hellbraune Felsenwüste bedeckte den gesamten Planeten. An vielen Stellen erhoben sich schroffe Hochplateaus, die womöglich einmal Inseln gewesen waren. Hier und da klafften bodenlose Canyons, durch die in grauer Vorzeit Tiefseefische getaucht sein mochten.

»Hoffentlich gibt es wenigstens noch Bier«, sagte Kranit.

Gavanqe fluchte in der Sprache ihrer Heimatwelt Corwin.

»Ich verstehe jedes Wort«, rief Shara über die Schulter.

»Das hoffe ich sehr.«

»Jedem die Welt, die ihm gefällt«, sagte die Alleshändlerin. »Auf meiner gibt es Felsen, auf deiner den Rostbrand.«

Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, weil Shara ihren Angriff wieder einmal zielsicher unter der Gürtellinie platziert hatte. Gavanqe hatte auf Corwin ihre Söhne zurücklassen müssen, als sie von Sklavenhändlern verschleppt worden waren. Ob die beiden noch lebten, war ungewiss, weil der Planet vor ein paar Jahren von der mörderischen Rostbrandseuche heimgesucht worden war. Große Teile der Bevölkerung waren ausgerottet, doch Gavanqe gab die Hoffnung nicht auf, ihre Kinder wiederzusehen. Sie hätten mittlerweile fast erwachsen sein müssen, und Iniza hatte Gavanqe versprochen, sie bald zurück nach Corwin zu bringen, damit sie nach den beiden suchen konnte.

In Wahrheit aber zögerte Iniza das Einlösen dieses Versprechens seit Wochen hinaus. Nicht um Tanys’ willen, die ihre Amme von Herzen liebte, sondern weil sie fürchtete, dass eine Rückkehr auf den verseuchten Planeten Gavanqes Todesurteil bedeutete. Doch lange konnte sie den Flug dorthin nicht mehr aufschieben, ohne die Amme vor den Kopf zu stoßen.

»Ein schneller Tod durch die Seuche ist mir lieber als das jahrhundertelange Siechtum dieser Welt da draußen«, sagte Gavanqe beherrscht.

Selbst die Alleshändlerin besaß den Anstand, die Sache damit auf sich beruhen zu lassen.

»Wir haben also einen Ozean ohne Wasser«, stellte Kranit fest, »und eine Welt der brennenden Regenbogen ohne brennende Regenbogen. Oder übersehe ich da draußen irgendwas?«

Der Himmel über der Gesteinslandschaft hatte die Farbe von Bernstein, durchzogen von einem Aderwerk aus dunkelbraunen Wolken, die an verzweigte Rauchfahnen erinnerten. Die Sonne stand niedrig, womöglich würde es dunkel werden, ehe die Nachtwärts gelandet war. An manchen Stellen hatten sich zwischen den Felsen kristalline Salzseen gebildet, über deren Oberflächen bunte Lichtreflexe tanzten. Nur Regenbogen waren nirgends zu sehen. Kein Wunder, ohne Regen.

»Abwarten«, sagte Shara. Iniza sah das Gesicht der Alleshändlerin nur als blasse Spiegelung in der Fensterwölbung, und ihr Grinsen beunruhigte sie ein wenig.

Im Landeanflug rotierte das Schiff in die Horizontale. Das Kopfmodul mit dem Cockpit im Zentrum des Sichelrumpfs drehte sich gegenläufig, so dass es seine waagerechte Position im Verhältnis zur Oberfläche beibehielt. Das Gravitationssystem summte leise und glich die Schwerkraft an Bord behutsam der des Planeten an. Oftmals gingen damit Übelkeit und Ohrensausen einher, doch diesmal spürte Iniza nichts. Auch Tanys, die anfälliger dafür war, verzog keine Miene, während sie angestrengt nach draußen blickte.

Die Nachtwärts bog um einen Wall aus schroffen Felstürmen, die mehrere Kilometer hoch in den Himmel ragten. Dahinter kam ein weiteres Stück Ozeanboden zum Vorschein. Das Gelände stieg allmählich bis zu einer Kette von Gebäuden an, die einst an der Promenade des alten Matuul gelegen hatten. Seither hatten sich Wanderdünen als gewellte Hänge an den Fassaden emporgeschoben.

Inmitten der versandeten Küste waren die Piers nicht zu übersehen, von denen Shara gesprochen hatte. Es waren drei, die in weiten Abständen vom Ufer hinaus in das ausgetrocknete Meeresbecken ragten, jeder an die drei Kilometer lang, hundert Meter breit und am äußeren Ende mindestens fünfhundert hoch. Die komplexen Gittergerüste aus rostigen Streben und Säulen sahen wenig vertrauenerweckend aus, die Plattformen waren menschenleer. Die langen Gebäudereihen, die man einst darauf errichtet hatte, waren nur noch Ruinen, viele davon ausgebrannt.

Hinter der vorderen Häuserzeile an der Küste breitete sich die Stadt bis zu einem fernen Gebirge aus, eine verschachtelte Masse aus flachen Dächern und Kuppeln. Ein Moloch aus ockerfarbenen Behausungen, zweckmäßigen Türmen und ein paar heruntergekommenen Palästen. Auf den ersten Blick unterschied Matuul sich nur durch seine Größe von der Piratenstadt auf Noa.

»Es gibt modernere Städte auf Taragantum IV«, sagte Shara, »aber keine mit einer so langen Geschichte wie Matuul.«

»Sicher haben wir Zeit für eine spannende Stadtführung«, sagte Kranit missmutig und schwenkte versuchsweise die Geschütze. Die meisten reagierten mit roten Warnleuchten. Nur der schwere Laser am Kopfmodul war verlässlich einsatzbereit. Allerdings war er für Gefechte im All gedacht, nicht für einen Kampf am Boden.

»Sollten wir nicht allmählich irgendwas vom Raumhafen hören?«, fragte Iniza. »Wollen die nicht wissen, wer wir sind und welche Verbrechen wir planen?«

»Würden wir uns für eine Landung auf dem Raumhafen anmelden, wäre das wohl so.«

»Und wo landen wir stattdessen?«

Shara deutete mit einer Kopfbewegung voraus. »Seht ihr die dunklen Flecken zwischen den Häusern? Das sind Einflugschächte zu den unterirdischen Reparaturwerften. Halb Matuul steht auf einem Höhlensystem, das seit dem Rückgang des Ozeans trockengelegt ist. Nirgendwo in den Marken werdet ihr bessere Mechaniker und mehr illegale Technik finden als dort unten.«

»Wir fliegen in eines dieser Löcher, ohne zu wissen, was uns erwartet?«, fragte Gavanqe.

»Alte Bekannte.«

Glanis murmelte einen Fluch in seinen braunen Vollbart. Sein schulterlanges Haar fiel ihm immer wieder ins Gesicht.

Kranit fixierte Shara von der Seite. »Wie viel?«

»Was meinst du?«

»Wie viel schuldest du diesen alten Bekannten?«

Shara schob Regler hinauf und herunter, drückte Knöpfe und beobachtete zitternde Zeiger. »Wie kommst du auf so was?«

»Du bist nervös.«

»Das macht die Wiedersehensfreude.«

»Also?«

Sie seufzte. »Kleingeld. Nichts, weswegen ihr euch Sorgen machen müsstest. Ein paar Löhne für diese und jene Gefälligkeiten, an die sich bestimmt keiner mehr erinnert.«

»Es muss doch einen Grund geben, warum du in all den Jahren nie zurückgekehrt bist.« Kranit zeigte auf die versandete Uferpromenade. »Bei so einer Aussicht von den Piers.«

Sie warf ihm einen giftigen Blick zu, knurrte etwas vor sich hin und schüttelte schließlich den Kopf. »Lasst mich mal machen.«

Die Muse beugte sich zu Iniza und sagte: »Sie fürchtet, es wird Ärger geben.«

»Ich bin nicht taub!«, rief Shara nach hinten.

Die Muse nickte. »Deshalb hab ich nicht lauter gesprochen.«

Iniza warf einen Blick auf Tanys, die noch immer mit großen Augen auf Matuul blickte. Sie war nicht sicher, ob die Kleine einordnen konnte, was sie da sah. Eine Stadt dieser Größe hatten sie seit der Flucht von Koryantum nicht angeflogen. Iniza hätte sich gewünscht, dass Tanys mehr Fragen stellte, überhaupt mehr redete, doch die meiste Zeit über war das Mädchen ungewöhnlich schweigsam für eine Dreijährige. Gavanqe meinte, Kinder unterschieden sich eben in ihrer Entwicklung, aber Iniza machte sich insgeheim Sorgen.

Sie löste ihren Gurt und trat zwischen Shara und Glanis. »Hat die Muse recht? Wird es Ärger geben?«

Kranit lachte, doch es klang nicht besonders vergnügt. »Als gäbe es jemals keinen Ärger, wenn Shara eine ihrer brillanten Ideen ausheckt.«

Die Alleshändlerin beugte sich vor und blickte an Iniza und Glanis vorbei zum Waffenmeister. »Diese Sache auf Oprum III war nicht meine Schuld!«

»Worüber man diskutieren könnte.«

»Und das Missgeschick im Ragusa-Nebel hätte jedem passieren können.«

»Immerhin hast du zuerst geschossen.«

»Und falls du auf die Söldner auf Kedwigs Stern anspielst –«

»Eine Söldnerarmee.«

»Wir sind ihnen entkommen, oder?«

»Weil ich uns rechtzeitig –«

»Hey!«, unterbrach Iniza die beiden. »Ich will nur wissen: Wie gefährlich ist es da unten?«

Hinten im Cockpit redete Gavanqe leise auf Tanys ein, die schon wieder in ihren Gurten zappelte.

»Ich hab euch keinen Urlaub versprochen«, sagte Shara eingeschnappt, »sondern Reparaturen. Und jetzt muss ich mich konzentrieren.« Ehe jemand widersprechen konnte, drückte sie eine Tastenkombination in das Feld des Kommunikators und nahm Funkkontakt zum Boden auf. »Nachtwärts an Sternenkönig Bolg! Nachtwärts ruft Sternenkönig Bolg!«

»Sternenkönig wer?« Glanis riss ungläubig die Augen auf.

Kranit klopfte auf die flackernden Anzeigen seiner Geschütze. Die Lämpchen erloschen. »Das ist kein gutes Zeichen.«

»Herrje.« Iniza setzte sich zurück auf ihren Platz, zog den Gurt vor ihre Brust und brachte ein missglücktes Lächeln in Tanys’ Richtung zustande.

Die Lautsprecher knackten. »Sternenkönig Bolg hier! Bist du das, Shara?«

Die Alleshändlerin sah triumphierend zu ihren Copiloten. »Bolg, alter Freund!«, rief sie übertrieben fröhlich. »Wie schön es ist, deine Stimme zu hören.«

Kurzes Schweigen, dann sagte Bolg: »Ziemlich mutig von dir, hier aufzutauchen.«

Da haben wir’s, dachte Iniza.

Die Muse hob einen Finger, um sich zu Wort zu melden, aber Gavanqe legte ihr eine Hand aufs Knie und schüttelte stumm den Kopf.

»Ich brauche deinen technischen Sachverstand«, sagte Shara.

»Du brauchst Hilfe«, sagte Bolg. »Du musst ziemlich am Ende sein, dass du dich bei mir blicken lässt.«

»Ich hab genug Geld dabei, um meine Schulden zu bezahlen.«

Seit zweieinhalb Jahren lebten sie alle von der Summe, die Iniza für ihre Flucht mit Glanis auf geheimen Konten der Bankenclans deponiert hatte. Davon kauften sie Treibstoff für die Nachtwärts, die scheußliche Verpflegung und was sonst so anfiel, wenn es die halbe Galaxis auf einen abgesehen hatte. Schmiergelder, vor allem. Jede Menge Schmiergelder.

Der Mann, der sich so bescheiden Sternenkönig Bolg nannte, schien einen Moment nachzudenken, dann sagte er: »Vielleicht lässt sich was machen. Aber erst später.«

»Was heißt später?«

»Meine Reparaturgruben sind voll. Morgen früh müsste was frei werden. Das heißt, wenn es dir ernst ist mit dem Geld.«

»Ehrenwort«, sagte Shara.

»Ich hab ein paar feste Plätze auf dem Raumhafen. Für die Nacht kannst du einen davon haben.«

»Das ist fair.«

»Für einen geringen Aufpreis.«

Shara seufzte. »Schick mir die Koordinaten.«

»Warum fragen wir nicht irgendeinen anderen?«, fragte Glanis.

Kranit antwortete für Shara: »Weil die anderen sie über den Haufen schießen würden, sobald sie bei ihnen auftaucht.«

Shara überhörte das geflissentlich und speicherte eine Zahlenreihe ab, die vor ihr auf einem Bildschirm erschienen war.

»Angekommen?«, fragte die Stimme des Sternenkönigs.

»Ja, besten Dank. Du bist ein wahrer Freund.«

»Dann sehen wir uns morgen.«

»Gibt es Pandeas Taverne noch?«, fragte Shara.

Sie bekam keine Antwort. Bolg hatte die Verbindung bereits getrennt.

Die Muse räusperte sich, obwohl sie nicht heiser werden konnte. »Der Mann ist ein Betrüger.«

Alle schwiegen.

»Oh«, sagte sie, »das wusstet ihr schon.« Sie lehnte sich zurück und presste die Lippen aufeinander.

»Er wird einen solchen Wucherpreis verlangen, dass uns Hören und Sehen vergeht«, sagte Shara.

»Wie viel Geld haben wir noch?«, fragte Kranit. Auf seinem Schaltpult glühte eine neue Warnleuchte.

»Genug«, sagte Iniza. Nur sie und Glanis kannten die Höhe der Summe auf ihren anonymen Konten. Ohnehin war fraglich, wie lange das Datennetz der Bankenclans aktiv blieb, wenn die Maschinen immer mehr Welten im Kernreich überrannten. Besser, sie steckten es heute in die Nachtwärts, als später nicht mehr heranzukommen.

Hoch über der Stadt legte Shara das Schiff in eine weite Kurve. Der Bernsteinhimmel war jetzt so dunkel wie angelaufenes Gold. »Nachtwärts an Raumhafen Matuul!«

Sie musste den Funkruf zweimal wiederholen, bis ihr eine weibliche Stimme antwortete: »Gerade wollten wir die Luftabwehr einschalten und ein Feuerwerk veranstalten. Bist du das, Shara?«

»Eben die.«

Mehr Bekannte, formte die Muse wortlos mit ihren makellosen Lippen. Sie wirkte als Einzige erfreut darüber.

»Wie lautete noch dieser Nachname, den du dir gegeben hast?«, fragte die Frauenstimme. »Bitterbier?«

»Bitterstern«, sagte Shara.

»Bitte Bier«, rief Tanys mit ihrem Kinderstimmchen.

Shara gab die Koordinaten des Liegeplatzes durch, die Sternenkönig Bolg ihr geschickt hatte.

Es dauerte eine Weile, dann meldete die Stimme des Raumhafens: »Bestätigt. Ist frei, gefegt und bereit zur Landung.«

»Ich liebe gute Nachrichten«, sagte Shara.

»Das hier ist Taragantum IV«, erwiderte die Stimme. »Gute Nachrichten gibt es dreißig Lichtjahre westlich von hier. Jedenfalls erzählt man sich das.«

»Bitte, bitte Bier«, trällerte Tanys.

»Für mich auch«, sagte Kranit.

»Bitterstern«, rügte Shara die Kleine sauertöpfisch.

Tanys nickte. »Bitteschön.«

»Und Bier«, sagte Kranit.

Wie nett es wäre, dachte Iniza, mal einen ganzen Tag unter Erwachsenen zu verbringen.

Tatsächlich wurden sie von einigen erwartet.

3

Die Landestelzen waren kaum in ihrer endgültigen Position eingerastet, als Kranit durchs Fenster nach draußen deutete.

»Oh«, sagte die Muse entzückt, »ein brennender Regenbogen!«

Tatsächlich wölbte sich nun über dem Raumhafen eine feurige, bogenförmige Schliere, die aussah, als wäre sie mit einem Photonentriebwerk unter die Wolken gemalt worden.

»Das meine ich nicht«, sagte Kranit. »Sind diese Leute da vorne auch alte Bekannte von einer der Anwesenden?«

Shara verengte die Augen und spähte angespannt hinaus aufs Landefeld. Ihnen gegenüber reihten sich Schiffe aneinander, die meisten nicht größer als Raumyachten. Weiter hinten erhoben sich mehrere Barken und Kreuzer.

Vor all diesen Schiffen, auf der breiten Fahrbahn zwischen den Landebuchten, hatten sich mehrere Gruppen Bewaffneter versammelt. Es handelte sich augenscheinlich um Söldner und private Wachleute, nicht um das offizielle Sicherheitspersonal des Raumhafens. Zwischen ihnen standen einige Männer und Frauen in wallenden Gewändern.

Shara fluchte im lokalen Dialekt.

»Gibt es vielleicht noch mehr Schulden, an die sich niemand mehr erinnert?«, fragte Glanis.

Iniza sprang auf, ebenso die Muse. »Was sind das für Typen?«

»Geschäftsleute«, sagte Shara, und zum ersten Mal, seit Iniza sie kannte, klang sie fast kleinlaut. »Und ihre Mitarbeiter.«

»Verbrecherbosse«, sagte Kranit, »und ihre Mörderbanden.«

»Ich finde nicht, dass so ein paar Kerle den Begriff Bande rechtfertigen«, widersprach Shara. »Wirklich nicht.«

»Dieser Sternenkönig hat sich ja mächtig ins Zeug gelegt, um in so kurzer Zeit die halbe Unterwelt von Matuul zusammenzutrommeln«, sagte Kranit. »Und deine Freundin vom Raumhafen hat anscheinend auch keine Veranlassung gesehen, dich zu warnen.«

Shara strich sich über die bloße Kopfhaut. »Wahrscheinlich hatten sie gar keine andere Wahl, als mit denen da draußen zusammenzuarbeiten.«

»Oder sie mögen Geld«, sagte Glanis.

»Oder«, mischte Iniza sich ein, »sie wollen einfach lieber deren Freunde sein als deine.«

»Kein Grund, gleich persönlich zu werden.«

»Wenn Tanys irgendwas geschieht …«

Shara drückte ein paar Knöpfe. »Kein Problem. Wir werden einfach die Triebwerke wieder hochfahren und von hier verschwinden.« Ihre Miene verfinsterte sich, als ihr Blick auf die Anzeigen fiel.

»Was?«, fragte Iniza.

»Ein Fangstrahl«, sagte Kranit, der ihn offenbar schon vorher bemerkt hatte. »Unter uns im Boden. In Matuul weiß man, wie man Schuldner davon abhält, sich aus dem Staub zu machen.«

Shara schlug mit der Faust auf die Armaturen. »Früher hat’s so was nicht gegeben!«

Der Waffenmeister warf ihr einen Seitenblick zu. »Möglicherweise hielten sie das erst für nötig, als ihnen jemand entwischt ist, der wirklich bei jedem in der Stadt Schulden hatte.«

In den Lautsprechern knisterte es. »Hey da, Nachtwärts! Shara – oder wie du dich heute nennen magst –, wir wissen, dass du da drinnen bist.«

Iniza musterte nacheinander die Gestalten, die in gut fünfzig Metern Entfernung vor der Nachtwärts standen. Schließlich entdeckte sie unter ihnen einen rundlichen Mann mit goldenem Umhang, der sich ein winziges Mikrophon an die Lippen hielt. »Wer ist das?«

»Pompus Brant«, sagte Shara. »Aber viel wichtiger ist, dass er für jemanden namens Quidium Kaan arbeitet.«

Glanis verdrehte die Augen. »Und dieser Quidium Kaan ist zufällig der mächtigste Gangster von Matuul?«

»Eher so was wie die Graue Eminenz der ganzen Taragantum-Drift«, sagte Kranit. »Er hat mich mal angeheuert.«

Alle sahen ihn an.

»Was denn? Das war ehrlich verdientes Geld.«

Shara schien etwas erwidern zu wollen, als sich Pompus Brant erneut über Lautsprecher meldete. »Wir wollen nur, was uns zusteht, Shara. Es gab bei deiner überstürzten Abreise gewisse Ausstände. Offene Rechnungen. Finanzielle Übereinkünfte, die nicht eingehalten wurden.«

Kranit schüttelte den Kopf. »Du hast allen Ernstes Geld von Quidium Kaan geliehen?«

Shara zuckte mit den Schultern. »Er würde es nicht leihen nennen.«

Um Shara nicht an die Gurgel zu gehen, schaute Iniza rasch nach hinten zu ihrer Tochter. Tanys gluckste vergnügt, weil Gavanqe ihr etwas ins Ohr flüsterte. Iniza und die Amme wechselten einen besorgten Blick.

»Shara, Shara«, sagte Pompus Brant. »Hast du eine Ahnung, wie lästig es uns allen war, Hals über Kopf hierherzukommen? Alle, die wir hier stehen, kostet das einen Haufen Geld. Und jede einzelne Minute dieser ärgerlichen Zeitverschwendung bedeutet einen Aufschlag auf deine Schulden.«

Zwischen den verschiedenen Gruppen entstanden jetzt Gassen, durch die zwei mobile Geschützeinheiten heranrollten, käferförmige Stahlkuppeln mit mannsgroßen Laserkanonen.

»Panzer?« Kranit pfiff durch die Zähne. »Verdammt, wie viel schuldest du diesen Vogelscheuchen?«

»Es war nicht billig, die Nachtwärts umzurüsten.«

Selbst Glanis, der sich besser im Griff hatte als die anderen, wurde allmählich wütend. »Und das fällt dir erst jetzt wieder ein?«

»Ich dachte, wir tauchen kurz auf, verschwinden in Bolgs Raumwerft und hauen wieder ab. Ich hab diesem Drecksack vor langer Zeit mal den Hals gerettet.«

Die Muse erhob sich und öffnete ein Wandfach. »Vielleicht wäre das der richtige Augenblick, um die Blaster zu verteilen.«

Niemand widersprach.

»Schilde sind oben«, sagte Glanis. »Sie werden einem Punktbeschuss von den Dingern da draußen ein paar Minuten standhalten. Drei, schätze ich. Vielleicht vier.«

Iniza deutete auf die majestätische Erscheinung des Flammenbogens am Himmel. Davor waren die Silhouetten von mehreren Einmannjägern unterschiedlicher Bauart zu erkennen. Sie standen starr in der Luft wie Raubvögel, die ihre Beute beobachteten. Das goldene Lodern zuckte um ihre Rümpfe wie Elmsfeuer.

»Was sagen die Schilde zu denen da?«, fragte sie.

Glanis überflog mit verkniffenem Gesicht die Energieanzeigen und schien es vorzuziehen, die Antwort für sich zu behalten.

»Die werden die Nachtwärts nicht zerstören«, sagte Shara.

Als hätte Pompus Brant sie gehört, sagte er: »Übergib uns ohne Widerstand das Schiff, und wir reden in Ruhe über den Rest deiner Schulden. Niemand muss heute verletzt werden.«

Tanys sagte etwas zu Gavanqe, das Iniza nicht verstand, aber es machte ihr eindrücklich bewusst, dass hier weit mehr auf dem Spiel stand als ihr eigenes Leben.

»Falls du eine Ladung an Bord hast«, fuhr Pompus Brant fort, »ist sie hiermit beschlagnahmt.«

Shara drückte die Sprechtaste an der Armatur. »Seit wann redest du wie ein Richter daher, Pompus?«

»Seit ich einer bin«, erklärte der Mann in Gold. »Sollte es keine Ladung geben, wärest du wirklich eine erbärmliche Alleshändlerin. Und wir müssten uns über Alternativen unterhalten. Passagiere wären eine Möglichkeit.«

»Wie meint er das?«, fragte Gavanqe.

Shara wechselte einen Blick mit Kranit, der mit Unschuldsmiene beide Hände hob. »Matuul ist seit jeher ein Hauptumschlagplatz der Fleischbarken.«

Iniza platzte der Kragen. »Du bringst uns in eine Stadt voller Sklavenhändler?«

»Auch Fleischbarken müssen gewartet werden. Und es gibt nicht viele Orte, an denen das möglich ist. Man kann nicht alles haben, Sicherheit und anonyme Reparaturen.«

Glanis lachte bitter auf. »Anonym!«

Die Muse trat mit einem Armvoll Blaster heran und bot jedem einen an. »Hier.«

Iniza überlegte, ob dies ein guter Moment wäre, um Shara damit den Schädel einzuschlagen. Oder gleich ein Loch in den tätowierten Stern an ihrem Hinterkopf zu brennen.

»Also«, sagte Kranit, »fassen wir das mal zusammen. Wir werden von einem Fangstrahl festgehalten. Da draußen wartet eine kleine Armee darauf, dass wir von Bord gehen. Tun wir das nicht, werden sie mit ihren Panzern die Ladeluke sprengen und zu uns reinkommen. Wir könnten einige hier drinnen erledigen, aber das hilft uns nicht mit dem Fangstrahl weiter. Früher oder später werden sie uns überwältigen, und dann enden Iniza, Gavanqe und Tanys auf dem Sklavenmarkt. Shara, Glanis und mich werden sie töten. Und jemand wird auf die Idee kommen, dass eine Muse seit Beginn des Krieges mehr als nur eine interessante Investition geworden ist. Allein sie ist ein Vermögen wert, mehr als die Nachtwärts.«

»Oh«, sagte die Muse, »vielen Dank.«

»Immer gern.«

Ruhig fügte sie hinzu: »Natürlich würde ich vorher sehr viele von ihnen töten.«

Iniza schüttelte den Kopf. »Wir können hier drinnen nicht kämpfen. Nicht mit Tanys an Bord.«

»Seh ich genauso«, sagte Kranit.

Glanis zeigte mit ausgestrecktem Arm auf ein Schiff, das zwanzig Meter hinter den versammelten Verbrecherbanden stand. »Was ist damit?«

Kranit bleckte grinsend die Zähne.

»Ist das ein Tanker?« Iniza kannte diesen Typus, auf Koryantum wurden damit Einmannjäger im Einsatz betankt.

»Hier in der Drift schmuggelt darin vermutlich jemand Schnaps«, sagte Shara.

Derweil hatte Pompus Brant gestenreiche Zwiesprache mit einigen der anderen Anführer gehalten. Nun wandte er sich wieder der Nachtwärts zu. »Falls es dir entgangen sein sollte, Shara, das war vorhin ein Friedensangebot. Keine Antwort darauf werte ich als Ablehnung. Wenn du in zwei Minuten nicht hier draußen bist, kommen wir zu dir rein.«

»Das dauert eh schon alles viel zu lange.« Ohne weitere Absprache packte Kranit die Steuerung des verbliebenen Geschützes und presste den Daumen auf den Feuerknopf. Mehrere Laserbolzen zuckten hinüber zu ihren Gegnern und zersprangen kurz vor ihnen in glühenden Funkenfontänen.

»Mobile Schilde«, stellte er fest. »Hätte mich auch gewundert.«

Die beiden Panzer erwiderten augenblicklich das Feuer und begannen einen konzentrierten Dauerbeschuss auf den Frontalschild der Nachtwärts. Der eine hatte es auf Kranits Geschütz abgesehen, der andere auf das Schott des Laderaums.

Der Waffenmeister lachte auf, jetzt ganz in seinem Element, und schoss erneut, diesmal über die Köpfe der Menschen und den Rand ihres unsichtbaren Energieschilds hinweg. Die Laserbolzen krachten in die gewaltigen Ladetanks des Schiffs im Hintergrund, zerrissen die stählerne Ummantelung – und hätten eigentlich auf der Stelle den Inhalt entzünden müssen.

Stattdessen geschah nichts. Nur Funkenflug wehte zu den Bewaffneten rund um die Panzer herüber.

»Leer«, sagte Kranit. »Das ist nicht gut.«

Glanis fluchte herzhaft.

»Und was nun?«, fragte Gavanqe.

Shara war verdächtig lange ruhig geblieben und hatte auf einem ihrer Monitore ein labyrinthisches Diagramm betrachtet. »Macht euch bereit für den Ausstieg. Jetzt!«

»Was –«, begann Kranit.

»Raus mit euch. Nehmt den Notausstieg am Heck.«

»Das geht nicht. Der Beschuss der Panzer –«

»Vertraut mir.«

Nach allem hätte Iniza eher einem koryantischen Hornwiesel vertraut, aber da übernahm Shara schon die Kontrolle über den Laserleitstand und eröffnete das Feuer. Sie schoss nicht mehr auf das fremde Schiff, auch nicht auf die Männer hinter den mobilen Schilden, sondern auf eine Stelle unmittelbar zwischen der Nachtwärts und den versammelten Geldeintreibern. Der Asphalt des Landefelds glühte auf und begann zu brodeln wie kochender Ölschlamm. Schwarzer Rauch stieg auf, dann erbebte das gesamte Schiff.

Durch die Schwaden waren Pompus Brant und die anderen nicht mehr zu sehen, doch was Iniza sehr wohl erkannte, war das gewaltige Loch, das mit einem Mal im Boden klaffte.

Glanis war bereits aufgesprungen, gefolgt von Kranit. »Du kommst mit«, sagte der Waffenmeister zu Shara. »Denk nicht, dass ich dich hier zurücklasse.«

»Ich liebe die Nachtwärts. Aber ich sterbe nicht für sie.« Shara tätschelte die Armaturen, dann stand sie auf. »Ich komm zurück und hol dich.«

Kranit schob die anderen in Richtung des Antigravschachts. Iniza schnappte sich Tanys, dann schwebten sie auch schon durch die Röhre in die Tiefe. Gemeinsam stürmten sie hinaus in den Laderaum und in einen der angrenzenden Korridore.

Sie brauchten keine zwei Minuten, bis sie den Notausstieg erreichten. Fast lautlos glitt das getarnte Schott beiseite. Eine Leiter fuhr automatisch nach unten aus.

Aus dem schwarzen Rauchwall drang unvermindert das Hämmern der Panzergeschütze, durchmischt mit dem Wutgebrüll der Eintreiber.

Kaum hatte Iniza den Boden erreicht, nahm sie Tanys von oben entgegen und rannte los. Glanis und die Muse flankierten sie mit ihren Blastern, Gavanqe folgte ihnen. Kranit und Shara liefen voraus, geradewegs in den Qualm und den Teergestank. Laserfeuer zuckte, als Kranit auf jemanden schoss, der seitlich von ihnen aufgetaucht war, dann auf zwei weitere Männer vor ihnen. Offenbar rückten trotz des Qualms einige Angreifer vor.

Unvermittelt endete der Asphalt an einem Abgrund. Sharas Beschuss hatte nicht einfach einen Krater in den Boden gestanzt, sie hatte einen Zugang zu den Höhlen unter der Stadt geöffnet. Deshalb also hatte sie das Diagramm auf dem Bildschirm studiert.

»Weiter, weiter!«, rief Kranit und scheuchte sie die Trümmerhalde hinunter, während er selbst ein paar vage Silhouetten im Rauch unter Beschuss nahm. Das Dauerfeuerstakkato der Panzer erhellte den Rauch in einem ekstatischen Rhythmus, zuckte aber viel zu hoch über sie hinweg, um ihnen gefährlich zu werden.

Während Iniza Tanys an ihre Schulter presste, in der Hoffnung, dass sie nicht zu viel von dem stinkenden Qualm einatmete, schlitterte sie mit den anderen in die Tiefe, achtete nur auf ihre Füße im Schutt und wich Pfützen aus geschmolzenem Teer aus.

»Schneller!«, brüllte Kranit und hörte gar nicht mehr auf zu schießen. Während er den übrigen folgte, feuerte er ununterbrochen zum Rand der Öffnung hinauf, und Iniza hätte schwören können, dass sie ihn dabei lauthals lachen hörte.

4

Iniza hatte finstere Grotten erwartet, nackte Felswände, vielleicht sogar Tropfsteine. Stattdessen rannten sie durch Tunnel, deren stahlverkleidete Wände mehr Ähnlichkeit mit den Gängen einer Raumstation besaßen als mit einem natürlichen Höhlensystem.

Die Decken waren dreißig, vierzig Meter hoch. Wie die Seitenwände waren sie mit einem Muster aus sechseckigen Metallwaben überzogen. Iniza fühlte sich winzig, während sie Shara tiefer in das Tunnelsystem folgte. Mehrfach wies die Alleshändlerin ihnen den Weg durch schmale Öffnungen in Wartungskorridore, aber immer bogen sie schon nach kurzer Zeit wieder in die Haupttunnel ab. Zweimal flogen Gleiter über ihre Köpfe hinweg, ohne dass die Piloten ihnen Beachtung schenkten.

»Warum verfolgt uns keiner?«, fragte Glanis.

Kranit, der den Abschluss bildete, lächelte unter seinem weißen Bart. »Ein paar haben es versucht, aber sie sind nicht weit gekommen.«

Iniza hatte nicht einmal bemerkt, dass der Waffenmeister ein weiteres Feuergefecht bestritten hatte. Vielleicht war es die Sorge um Tanys, die sie jetzt abwechselnd mit Gavanqe trug? Vielleicht machte sie auch die Wut auf Shara blind und taub.

»Aber da sollten noch mehr sein«, sagte Glanis. »Das waren vier oder fünf verschiedene Gruppen.«

»Sie haben die Nachtwärts«, entgegnete Shara. »Diesen Leuten geht es um Geld, nicht um Rache. Quidium Kaan unterscheidet da sehr genau. Er wird die anderen auszahlen oder erpressen, bis er als Einziger übrig ist und das Schiff für sich beanspruchen kann.«

Shara schien den Verlust erstaunlich gelassen hinzunehmen. Offenbar rechnete sie tatsächlich damit, die Nachtwärts zurückzubekommen, und wie Iniza sie kannte, sollte das eher früher als später geschehen.

»Wir können es nicht mit der ganzen Unterwelt von Matuul aufnehmen«, sagte Glanis, der offenbar ähnliche Gedanken hatte.

Erneut bogen sie in einen der Wartungskorridore ab, die nicht breiter als zwei Meter waren. Leuchtröhren summten unter der niedrigen Decke.

»Erst einmal führe ich euch an einen Ort, an dem ihr sicher seid«, sagte Shara. »Dann kümmere ich mich um alles andere.«

Iniza lag eine Erwiderung auf der Zunge – darüber, wie weit Sharas Pläne sie zuletzt gebracht hatten –, aber dann verkniff sie sich alle giftigen Bemerkungen. Ein Streit half ihnen nicht weiter.

Schließlich wurden sie langsamer, und Tanys konnte an der Hand zwischen Iniza und Glanis laufen. Die meisten anderen Kinder wären wahrscheinlich längst quengelig und störrisch geworden. Tanys aber blieb so still wie eh und je, beobachtete mit wachem Blick das Verhalten der Erwachsenen und schien sich einen eigenen Reim auf die Situation zu machen. Sie hatte schon früher die eine oder andere Flucht miterlebt – Shara und Kranit hatten die Angewohnheit, sich auf jeder verdammten Welt Ärger einzuhandeln –, aber einen Ort wie diesen Irrgarten aus Tunneln hatte sie noch nicht zu sehen bekommen. Dabei zeigte sie weder Furcht noch Unruhe. Dass sie kein gewöhnliches Kind war, hatte Iniza bereits während der Schwangerschaft gespürt, als Tanys sie in Gedanken vor Gefahr gewarnt hatte. Mittlerweile sagte das Mädchen gelegentlich Sätze, die nach einer Erwachsenen klangen, nicht wie die einer Dreijährigen, nur um dann wieder tagelang zu verstummen. Die Hexen hatten als Erste erkannt, dass Tanys anders war – wie anders zeigte sich nun von Monat zu Monat mehr.

Sie waren seit über zwei Stunden unterwegs, als Shara sie durch ein weiteres Schott führte, dann einen kurzen Tunnel hinunter, der sich als Lüftungsschacht entpuppte. An seinem Ende befand sich ein mannshohes Gitter. Kranit wollte es aus der Verankerung schießen, aber Shara schüttelte den Kopf, machte zwei kurze Handbewegungen an einer der Verankerungen und stieß das Gitter wie eine Tür nach außen. Dass es an zwei Scharnieren hing, war zuvor kaum zu erkennen gewesen.

»Wer hat das präpariert?«, fragte Kranit.

Shara gestattete sich ein zufriedenes Grinsen. »Ich bin hier aufgewachsen. Glaubst du, den Weg hierher hab ich mir in den paar Sekunden am Bildschirm eingeprägt?«