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Dr. Petersen und seine Kollegen haben den Auftrag, in ihrem Labor mysteriöse Kugeln zu untersuchen. Es handelt sich dabei um zwei Exemplare von weltweit Tausenden außerirdischen Sonden, die in den letzten Tagen verteilt auf der ganzen Welt gefunden wurden. Nach einer verheerenden Explosion, ausgelöst durch einen Anschlag, weisen die Objekte besorgniserregende Veränderungen auf. Ein internationales Team ist auf der richtigen Spur und entdeckt Unglaubliches. Der Countdown läuft und es bleibt nur noch wenig Zeit, die Aufgabe im Sinne der Menschheit zu lösen.
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Seitenzahl: 327
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die Kugel schwebte aus dem Morgenhimmel und landete sanft in einer Pfütze, die sich durch den heftigen Regen in der Nacht gebildet hatte. Nicht das geringste Geräusch war zu vernehmen, als sie langsam in das Wasser eintauchte, ohne auch nur die kleinste Welle zu erzeugen. Sie war etwa so groß wie ein Fußball und ihre Oberfläche sah aus wie ein polierter Spiegel, hochglänzend und glatt. Mit ihrer makellosen Hülle reflektierte sie die Strahlen der Sonne, die erst vor wenigen Minuten über den Horizont geklettert war. Auf dem nassen Weg rund um dieses Objekt schimmerten warme Lichter, die im Kontrast zur kalten silbernen Farbe der Kugel standen.
»So ein Mist!« Frank Mertens fluchte mit kräftiger Stimme. Er war mit seinem rechten Fuß ins Wasser getreten. Bei jedem zweiten Schritt gab es von nun an ein platschendes Geräusch. Er schaute sich um und erkannte, dass der Feldweg bis auf eine einzige Pfütze trocken war.
Na toll, und ich Depp finde diese und latsche rein. Er schüttelte lachend den Kopf und spazierte weiter. Sein Kumpel Dexter kannte solche banalen Probleme nicht. Ob seine Hundepfoten nass waren oder nicht, machte für ihn keinen Unterschied. Er achtete nicht auf Pfützen. Im Gegenteil. Es schien fast so, als ob er sie mit Absicht suchte, einfach hindurchlief und nebenbei mit seiner Zunge das Wasser schlabberte.
Die Sonne stand noch tief am Himmel und warf lange Schatten des grauhaarigen Rentners und seines hellbraunen Mischlingsrüden, einem Mix aus Schäferhund und Terrier, auf den Weg vor ihnen. Rechts und links glänzten die Felder nass vom nächtlichen Regen und an manchen Stellen hatten sich kleine Seen gebildet. Der Boden war durch den verregneten Frühling derart gesättigt, dass er nicht mehr in der Lage war, die Wassermassen aufzunehmen. Lediglich die geteerten Wege waren durch den böigen Wind der letzten Tage überwiegend trocken.
Dexter sprintete nach vorne und kam wieder zurück. Frank folgte ihm mit langsamen Schritten und genoss die frische Morgenluft. Er blieb kurz stehen, breitete seine Arme aus, schloss seine Augen und drehte sich zur Sonne. Dieses wohlige Gefühl der wärmenden Strahlen auf seinem Gesicht hatte er in den Wintermonaten und im feuchten Frühling vermisst. Widerwillig löste er sich aus dem kraftvollen Moment der Stille und Wärme. Er atmete tief ein, öffnete seine Augen und drehte sich wieder um.
Ein Lichtstrahl blendete ihn und er blinzelte erschrocken. Auf der Suche nach der Quelle sah er ein gutes Stück vor sich auf dem Feldweg ein ungewöhnliches Farbenspiel. Die Sonne wurde von einem glänzenden Gegenstand reflektiert, wodurch ein Leuchtspektakel entstand. Frank genoss kurz dieses faszinierende Bild und ging dann darauf zu.
»Da hat wohl wieder irgendein netter Zeitgenosse seinen Müll im Feld entsorgt, lass uns doch mal nachsehen«, sprach er zu seinem Hund. Als hätte dieser ihn verstanden, lief er mit wedelnder Rute voraus, blieb plötzlich stehen und bellte. Dexter verharrte geduckt am Feldrand. Er stellte sein Nackenfell auf und richtete den Kopf nach vorne. Mit gefletschten Zähnen knurrte er irgendetwas an, was Frank nicht erkennen konnte. Wieder fiel ihm ein Lichtstrahl ins Auge und er erkannte, dass dieser von der Stelle kam, an der sein Hund in Abwehrstellung stand.
Sekunden später erblickte er die Ursache für die Reflexionen. Mitten auf dem Weg lag eine glänzende Kugel von der Größe eines Fußballs in einer schmutzigen Wasserlache. Die Oberfläche war blank und sah aus wie ein Spiegel.
»Fast so wie früher in der Diskothek«, murmelte er, korrigierte sich dann selber. Nein, das waren damals in den Siebzigern alles Spiegelstückchen, die auf einen Styroporball geklebt waren. Das hier war etwas anderes. Es wirkte eher wie eine übergroße Christbaumkugel. Sein verzerrtes Spiegelbild war auf der Oberfläche zu sehen. Er betrachtete das seltsame Ding eine Weile und überlegte, ob er es mitnehmen sollte. Als hätte Dexter seine Gedanken gelesen, bellte er laut. Er stand einen guten Meter von der Kugel entfernt und starrte diese mit nach vorne gerichteten Ohren an.
»Wenn da jemand gegen tritt, zersplittert es und die ganzen Scherben liegen hier am Feldrand«, sprach Frank seine Befürchtung aus. »Das wollen wir doch nicht, oder? Daran könnten sich andere Hunde verletzen.«
Er bückte sich langsam, um den glänzenden Ball aufzuheben. Seine Knie knackten und er hielt kurz inne. Aus der Nähe betrachtet, wirkte das seltsame Objekt nicht mehr wie eine Glaskugel. Es sah massiv aus, wie eine übergroße Bocciakugel. Mit beiden Handflächen umschloss er es und hoffte, dass es nicht allzu schwer sei.
»Scheiße!«
Seine Hände öffneten sich reflexartig, als ob er sich verbrannt hätte. Er taumelte rückwärts und fiel unfreiwillig auf den Hosenboden. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Das Herz raste und erschrocken sog er die Luft ein.
»Was war das denn?«
Es dauerte eine Weile, um den Schreck zu verarbeiten. Erst jetzt realisierte er, dass er in einer Pfütze saß. Das kalte Wasser drang durch den Stoff seiner Jeans bis auf die Haut. Er erhob sich langsam und schaute sich um. Dexter stand mit eingezogener Rute hinter ihm. Die Kugel war weggerollt und lag am Feldrand. Vorsichtig näherte er sich. Er bückte sich erneut und legte seine Hände wieder um das Objekt. Diesmal war er vorbereitet. Er hielt die Luft an, packte fest zu und stand langsam auf.
Es war das Gewicht, das ihn erschreckt hatte. Es kam ihm vor, als würde die Kugel fast schwebend sich selbst erheben. Die Hülle schien extrem dünn zu sein, wie bei einem Ballon. Allerdings war die Oberfläche dafür zu hart und zu glatt.
Frank drehte das seltsame Ding in seinen Händen, als ihm auffiel, dass es sich nicht kalt anfühlte. Die Lufttemperatur betrug an diesem Morgen etwa fünfzehn Grad und der Weg, auf dem die Kugel gelegen hatte, war deutlich kühler. Dennoch fühlte sie sich handwarm an. Er legte das sonderbare Objekt zurück auf den Boden und drehte sich zu Dexter um, der noch immer knurrend dastand. Frank befestigte die Leine an dessen Geschirr und hob die Kugel auf. Vorsichtig trug er seinen Fund nach Hause und versuchte dabei, beruhigend auf seinen Hund einzuwirken. Dieser war jedoch nicht davon zu überzeugen, dass von dem seltsamen Ball keine Gefahr ausging. Immer wieder zerrte er an der Leine und wäre am liebsten ohne Herrchen – und ohne die Kugel – nach Hause gerannt.
Frank öffnete die Haustüre und legte das Objekt auf die Garderobenablage im Hausflur. Er zog seine Jacke und die schmutzigen Schuhe aus und nahm dem Hund das Geschirr ab. Dexter blieb kurz stehen und bellte dieses merkwürdige Ding an, das Herrchen ja unbedingt mit nach Hause nehmen musste. Dann verzog er sich auf seine Decke, die in einer Ecke des Wohnzimmers lag.
Frank nahm die Kugel, öffnete die Terrassentür und legte seinen Fund draußen auf einem Tisch ab. Als er wieder das Haus betrat, sah er die nassen Flecken auf dem Boden und erinnerte sich, dass er in eine Pfütze getreten war. Die Schuhe hatte er zwar ausgezogen, aber sein rechter Socken war pitschnass. Zum Glück musste seine Frau noch arbeiten, sonst hätte sie ihren Gatten sicher wegen seiner Tollpatschigkeit ausgelacht.
Er zog sich eine saubere Hose und Socken an, ging in die Küche, schaltete die Kaffeemaschine ein und wählte das Programm für einen Milchkaffee. Er entnahm das selbst gebackene Bauernbrot aus dem Vorratsschrank, schnitt eine dicke Scheibe ab und bestrich diese mit Frischkäse. Dann holte er den fertig gebrühten Kaffee aus der Maschine, nahm den Teller mit dem belegten Brot und setze sich mit seinem Frühstück in den gemütlichen Sessel. Um sich abzulenken, schaltete er den Fernseher ein. Nun, da die Kugel im Garten lag, beruhigte sich Dexter. Er kam zu Frank, legte sich neben sein Herrchen und ließ sich kraulen.
Irgendetwas schien jedoch heute mit dem Fernsehgerät nicht zu stimmen. Das Bild war verzerrt und alle paar Sekunden verschwand es vollständig. Er erinnerte sich an seinen letzten Anruf bei einer Servicehotline: ›Haben Sie versucht, es aus- und wieder einzuschalten?‹
Wie oft musste er sich diesen dämlichen Hinweis schon anhören? Aber warum nicht? Vielleicht war dieser Tipp gar nicht so blöd. Er griff zur Fernbedienung, schaltete das Gerät aus und nach ein paar Sekunden wieder ein. Nachdem das keine Verbesserung brachte, zog er den Stecker für eine kurze Zeit aus der Wanddose und startete den Fernseher komplett neu. Der Tipp war doch blöd, denn das Problem bestand weiterhin. Er bootete den Router, um die WLAN-Verbindung neu aufzubauen. Auch das half nicht, die Empfangsprobleme blieben. Verärgert schaltete er das TV-Gerät aus und schaute aus dem Fenster. Missmutig kaute er auf seinem Brot und schluckte den Rest des inzwischen kalt gewordenen Kaffees hinunter.
Dieses seltsame Objekt kam ihm wieder in den Sinn und er beschloss, dass es nun an der Zeit wäre, sich seinen Fund genauer anzuschauen. Als er aus dem Sessel aufstand, knurrte Dexter. Das war sonst nicht seine Art, irgendetwas schien ihn heute zu irritieren. Er erinnerte sich an den Spaziergang und wie aggressiv der Hund auf dieses Ding reagiert hatte.
»Platz, du bleibst im Wohnzimmer.« Dexter gehorchte und legte sich brav wieder hin.
Frank ging in den Garten und nahm die Kugel in die Hände. Sie sah aus, als ob sie auf Hochglanz poliert worden wäre. Er hob sie hoch und schüttelte sie. Vielleicht war ja irgendetwas in dem Ding. Es erstaunte ihn erneut, wie leicht sie war. Er drehte sie in alle Richtungen, um zu prüfen, ob es eine sichtbare Verbindungslinie gab. Er kannte dies von anderen kugelförmigen Objekten, die aus zwei Hälften zusammengeklebt wurden. Es war jedoch keine Stelle zu finden, die auf eine Naht schließen ließ. Im Gegenteil, die Kugel war glatt und makellos.
Er überlegte, was er mit diesem seltsamen Teil anfangen sollte. Als Dekoration passte es nicht in ihr Haus. Die Innenwände waren in gedeckten warmen Farben gestrichen, die Möbel bestanden aus hellbraunem Holz und die Couch war mit schwarzem Leder bezogen. Ihm kam der unangenehme Gedanke, dass er diese glänzende Oberfläche täglich abwischen müsste, weil Staub und Fingerabdrücke darauf sein würden. Auf seinem Gesicht erschien ein erschrockener Ausdruck. Er hatte es aufgehoben und nach Hause getragen. Er hatte es mehrmals in den Händen gedreht. Da sollten etliche Abdrücke zu sehen sein. Aber da war nichts, absolut nichts. Es sah aus, als wäre es gerade noch poliert worden. Ihm wurde flau im Magen. »Was zur Hölle bist du für ein Ding?«, murmelte er mit zittriger Stimme. Von der Terrassentür her hörte er ein Knurren. Dexter war aufgestanden und brachte wieder seine Meinung zum Ausdruck.
»Ich glaube, du hast recht, Kumpel. Ich werde es sofort entsorgen.«
Frank ging in die Garage und holte einen Hammer, um die Kugel zu zerschlagen. Er legte sie in die Mülltonne, damit die Reste gleich am richtigen Ort waren. Um zu verhindern, dass ihm Splitter ins Gesicht flogen, zog er eine Schutzbrille an und schlug behutsam zu. Sie schien deutlich stabiler zu sein, als es den Anschein machte, also legte er mehr Kraft in seinen Schlag. Der Erfolg war der Gleiche, die Kugel blieb völlig unversehrt.
Irritiert hob er das Ding aus dem Eimer und sah es sich genauer an. Nicht eine einzige Delle, nicht mal ein Kratzer, war zu erkennen. Er patschte sich mit der freien Hand an die Stirn. Klar, im Mülleimer lag so viel Zeugs rum, da war der Untergrund zu weich.
Ich brauche eine harte Unterlage, dachte er und ging in die Garage. Dort legte er das seltsame Objekt auf den Betonboden und nahm den Hammer. Er schlug kräftiger zu als vorhin, dann noch fester und schließlich mit voller Kraft. Die Kugel flutschte beim letzten Schlag weg und flog in die Ecke unter das an der Wand stehende Regal. Er musste sich tief bücken, um sie darunter hervorzuholen, und sah sie sich gründlich an. Sie war nach wie vor vollkommen unversehrt. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es bei den Schlägen keinerlei Geräusche gegeben hatte. Es kam ihm vor, als hätte er auf eine Gummimatte gehauen. Das war unheimlich. Selbst wenn das Material kein Glas, sondern Metall wäre, müsste irgendeine Beschädigung zu erkennen sein. Außerdem sollte es dann deutlich schwerer sein.
Ein Schauder lief ihm über den Rücken. War es klug gewesen, das Objekt mit nach Hause zu nehmen? War es sogar gefährlich? Er lauschte, ob er ein Geräusch im Inneren vernehmen konnte. Er kannte das aus Filmen, da tickte und summte immer irgendwas. Aber da war nichts. Oder es war so leise, dass er es nicht hören konnte. Egal, er wollte dieses Ding nicht mehr im Haus haben. Nur, wohin damit? Auf keinen Fall würde er es zum Fundort zurückbringen, regte er sich doch in aller Regelmäßigkeit über Leute auf, die ihr Zeugs einfach irgendwo abluden. Also legte er die Kugel in die Mülltonne. Am nächsten Morgen würde sie geleert werden und das Problem wäre erledigt. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Frank ging zurück ins Haus und versuchte, nicht mehr an seinen Fund zu denken. Aber wie war das mit dem Elefanten? Ein Verbot, an einen rosa Elefanten zu denken, lässt uns unweigerlich eben dieses tun. Er hatte nichts Weiteres im Sinn als diese Kugel. Um sich mit Hausarbeiten abzulenken, nahm er den Staubsauger aus der Abstellkammer und reinigte die Fußböden. Er räumte die Spülmaschine aus und stellte alles an seinen Platz. Er holte die Wäsche aus der Maschine, um sie aufzuhängen. Es half nichts, all seine Gedanken blieben bei diesem blöden Ding.
»Okay, dann gehen wir raus in den Garten. Da kann ich bestimmt abschalten«, sprach er zu Dexter und der folgte ihm mit freudig wedelndem Schwanz.
Der Liegestuhl stand im Schatten unter einem alten japanischen Zierahorn. Frank schob ihn an eine sonnige Stelle, ließ sich hineinfallen und genoss die wärmenden Strahlen. Die Entspannung setzte langsam ein, aber nach wenigen Minuten war der rosa Elefant wieder in seinem Kopf. Er drehte sich um und sah, dass Dexter vor der Mülltonne stand und sie anstarrte. Er musste etwas tun, das ihn auf andere Gedanken brachte. Schließlich ging er ins Haus, nahm ein Buch und setzte sich in seinen Sessel. Vielleicht würde eine spannende Geschichte ihn ablenken. Er war gerade in den Roman vertieft, als er aufschreckte. Es hatte an der Haustüre geklingelt und Dexter kam bellend durch die Terrassentür gerannt. Frank stand auf, schickte den Hund zu seinem Platz und öffnete die Tür.
Draußen standen zwei Männer. Einer hielt ein seltsames Gerät in der Hand. Auf der Straße hinter ihnen parkte ein weißer VW-Transporter mit einer großen, unförmigen Antenne auf dem Dach.
»Guten Tag, mein Name ist Rainer Winter und mein junger Kollege hier heißt Kurt Sommer.«
Frank prustete los. »Echt jetzt? Sommer und Winter? Der Frühling sitzt wohl noch im Auto.« Er hielt sich den Bauch vor Lachen und krümmte sich. Als er wieder aufblickte, sah er das kalte Gesicht vom Winter. Erneut lachte er los und verschluckte sich dabei. Nachdem sein Hustenanfall vorbei war, schaute ihn sein Besucher ernst an.
»Haha. Sie glauben gar nicht, wie oft wir diese Witze über unsere Namen hören.«
»Das ist aber auch zu komisch«, meinte Frank immer noch belustigt. »Wie kann ich Ihnen denn behilflich sein? Ich brauche weder ein Zeitungsabo noch eine Enzyklopädie über das Römische Reich.«
»Wir sind Mitarbeiter vom Prüf- und Messdienst der Bundesnetzagentur«, antwortete Winter. Er war der kleinere der beiden und war ziemlich korpulent. Seine Augen versteckten sich unter buschigen Brauen und seine große Nase schwebte über einem Schnauzbart. »Unsere Messungen haben ergeben, dass sich in Ihrem Haus ein Störsender befinden könnte.«
Frank schaute ihn skeptisch an. »Können Sie sich ausweisen? Man hört ja leider zu oft, wie leicht sich Betrüger Zugang zu Häusern und Wohnungen von Rentnern verschaffen.«
»Selbstverständlich«, antwortete der Besucher. Er holte den Dienstausweis aus seiner Jackentasche und reichte diesen an Frank weiter. Der sah sich die Plastikkarte an, obwohl er nicht wusste, wie so ein Ausweis aussehen sollte.
»Danke, und was genau wollen Sie hier?«
»Wie ich bereits sagte, befindet sich wahrscheinlich ein Störsender in Ihrem Haus. Es gibt zurzeit massive Funkstörungen, die sogar eine Gefahr für die Flugsicherheit darstellen. Außerdem behindern sie den Mobilfunk sowie die Rundfunk- und TV-Signale«, ratterte Winter seinen Text herunter, wie wohl Tausende Male zuvor in seinem Berufsleben.
»Oh, das kenne ich, bei mir war heute das Bild vom Fernseher gestört. Wobei, ich habe ja nicht direkt ferngesehen, sondern einen Stream angeschaut.«
»WLAN-Signale sind ebenfalls Funkwellen, daher kann es auch da zu Störungen kommen«, schaltete sich Kurt Sommer in das Gespräch ein. Dieser war deutlich größer und schlanker als sein Kollege. Er schien ein paar Jahre jünger zu sein als Winter. »Erlauben Sie, dass wir Ihr Haus betreten, um die Störquelle zu suchen?«
»Ja klar. Bitte nicht erschrecken, ich habe einen Hund.«
Frank ließ den beiden den Vortritt und schloss die Haustüre. Als er ins Wohnzimmer kam, kniete Rainer Winter auf dem Boden und kraulte Dexter, der sich auf den Rücken gerollt hatte und sich offensichtlich wohlfühlte.
»Wonach genau suchen Sie denn? Wie sieht so ein Störsender aus?«
»Ach, da gibt es beinahe unendlich viele Möglichkeiten. Das muss nicht unbedingt irgendein spezielles Bauteil sein. Manchmal handelt es sich einfach um defekte elektronische Geräte. Wir haben in den letzten Jahren immer häufiger Probleme mit chinesischen Billigprodukten. Eigentlich dürften die gar nicht in Deutschland betrieben werden. Grundsätzlich handelt es sich um Geräte, die unzulässige Frequenzen nutzen. Wir hatten sogar mal jemanden mit einem illegalen Rundfunksender erwischt.«
Frank sah ihn empört an. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, ich würde hier einen Piratensender betreiben?«
»Natürlich nicht. Das war bloß ein Beispiel«, beruhigte Rainer Winter ihn. »Meistens sind es unscheinbare Dinge. Ein defekter Funkwecker oder ein Thermofühler einer Wetterstation oder ein Marderschreck im Garten. Sie könnten uns bei der Suche behilflich sein. Die Störung ist erst vor wenigen Stunden erstmalig aufgetreten. Haben Sie heute ein neues Gerät gekauft oder eines jetzt erst in Betrieb genommen?«
»Nein, aber ...«, murmelte Frank nachdenklich. »Das einzige Teil, welches ich erst seit heute im Haus habe, ist diese merkwürdige Kugel.«
»Was denn für eine Kugel?«
»Ich habe sie heute Morgen beim Spaziergang auf einem Feldweg gefunden. Sie sah interessant aus, wie sie da lag und in der Sonne glitzerte. Ich dachte, sie wäre aus Glas und habe sie daher mit nach Hause genommen. Später bekam ich dann aber ein ungutes Gefühl und habe sie in der Mülltonne entsorgt.«
Frank verschwieg bei seiner Ausführung bewusst, dass er sie nicht nur in den Müll gelegt, sondern vergeblich versucht hatte, sie zu zerstören. Wie hätte er dies auch erklären sollen, ohne dass man ihn für verrückt hielt?
»Würden Sie uns die Kugel zeigen?«
»Aber natürlich, folgen Sie mir bitte.«
Frank ging voraus zur Terrassentür und von dort zu der Ecke hinter der Garage. Hier standen die verschiedenen Mülltonnen nebeneinander. Er zeigte auf die Restmülltonne und trat einen Schritt zurück. Dexter blieb derweil im Türrahmen stehen und knurrte.
Winter öffnete den Deckel und sah das Objekt, wie es auf einem Berg von gefüllten Müllbeuteln lag. Sein Kollege, der ein seltsames Gerät in der Hand hielt, das entfernt wie ein übergroßes Mikrofon aussah, trat an die Tonne heran. Er richtete das Messinstrument auf die Kugel und nickte.
»Das ist es, definitiv.«
»Ist es gefährlich?« Frank schaute ihn unsicher an.
»Wohl eher nicht. Was wir gemessen haben, sind lediglich Funkwellen, die auf einer bestimmten Frequenz liegen und dabei andere Geräte stören. So, dann schauen wir doch mal, ob wir es abschalten können.«
»Ich bin ja kein Fachmann, aber einen Schalter konnte ich da nirgends erkennen«, wandte Frank ein.
»Keine Sorge, dafür sind wir ja jetzt da.« Rainer Winter griff nach der Kugel, um sie aus der Tonne zu heben, und hielt erschrocken inne.
Frank konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Seltsam, nicht? Ist überraschend leicht das Ding.«
Vorsichtig hob der Techniker das Objekt an. »Ich habe ja schon einige ungewöhnliche Geräte gesehen. Sowas hatte ich aber noch nicht in den Händen.« Er drehte es und suchte nach einem Schalter, allerdings war tatsächlich nichts zu sehen.
»Wahrscheinlich muss man es erst öffnen«, meinte sein Kollege.
»Okay, wenn ich denn wüsste, wie.« Er drehte es erneut in alle Richtungen, um eine Naht zu finden. Er versuchte, Ober- und Unterseite zu verdrehen, drückte an sämtlichen möglichen Stellen aber es widerstand all seinen Versuchen, das Innere preiszugeben. Die beiden Besucher sahen sich ratlos an.
»Was nun?«, fragte Kurt Sommer.
»Keine Ahnung.« Reiner Winter zuckte mit den Schultern.
»Hättet ihr mal den Herbst mitgebracht, der wüsste bestimmt, was zu tun ist«, spöttelte Frank und erntete erneut böse Blicke.
»Wir haben den Auftrag, den Störsender zu finden und zu deaktivieren. Wenn das nicht zerstörungsfrei möglich ist, müssen wir halt etwas rabiater an die Sache rangehen«, meinte Sommer. »Hauptsache, das Störsignal ist weg. Macht es Ihnen was aus, wenn wir es zerschlagen?«
»Kein Problem. Viel Erfolg dabei«, erwiderte Frank belustigt. Er dachte zurück an seine eigenen Versuche und war gespannt auf die Gesichter der beiden, wenn sie ebenfalls scheiterten.
Winter legte die Kugel vor sich auf den Boden und hob das rechte Bein an.
»Vorsicht! Nicht drauftreten!«, rief Frank, aber es war zu spät. Der Mitarbeiter vom Messdienst trat mit voller Wucht auf das am Boden liegende Objekt und rutschte mit dem Fuß ab. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schrie er auf.
»Ich hatte noch versucht, Sie zu warnen.« Frank schaute ihn mitleidig an.
»Leider zu spät.« Rainer Winter setzte sich auf einen Mauervorsprung und hielt sich seinen schmerzenden Fuß. Sein Kollege kam zu ihm geeilt.
»Oh oh, das sieht übel aus. Sollen wir zu einem Arzt fahren?«
»Danke, es geht schon wieder.« Er stand auf und hob mit erbostem Blick die Kugel hoch. »Haben Sie mal einen Hammer für mich?« Die Frage war an Frank gerichtet, wobei er die Kugel mit zusammengekniffenen Augen grimmig anstarrte.
»Klar doch.« Frank grinste, ging in die Garage und holte das Werkzeug, mit dem er zuvor erfolglos war.
»Was ist jetzt wieder so lustig?« Winter schaute ihn mit hochrotem Gesicht an.
»Ach, nichts. Bitte sehr.«
Der Techniker nahm den Hammer und schlug mit voller Wucht auf das am Boden liegende Objekt. Das Werkzeug prallte heftig ab und flog ihm aus der Hand. Die Kugel war dabei ungefähr einen Meter weggerollt.
»Lass mich mal ran.« Sommer nahm den Hammer auf und ging zu dem störrischen Teil. Er klemmte es sich zwischen die Füße und schlug so hart zu, wie er konnte. Der Effekt war der gleiche wie zuvor bei seinem Kollegen, nämlich null. Er hob das Objekt hoch und schaute es sich an. »Das ist merkwürdig, ich kann keinen einzigen Kratzer erkennen.«
Die beiden sahen sich ratlos an.
»Das ist definitiv nicht normal. Das sollen sich andere anschauen«, sagte Rainer Winter außer Atem vor Anstrengung. »Ich denke, wir nehmen es mit und lassen unsere Spezialisten entscheiden, was damit zu tun ist.«
Während die beiden miteinander redeten, war Frank immer weiter zurückgewichen. Was hatte er sich bloß dabei gedacht, dieses Objekt mit in sein Haus zu bringen? Er hätte die Reaktion von Dexter ernst nehmen sollen. Seine Stimmung kippte. Eben war er noch zu Späßen aufgelegt, aber jetzt wurde ihm zunehmend mulmiger.
»Mir ist egal, was Sie damit machen, Hauptsache es verschwindet hier. Nicht, dass es doch gefährlich ist und mir irgendwann um die Ohren fliegt.«
Winter humpelte entschlossen auf die Kugel zu, nahm sie auf und sagte mit fester Stimme: »Komm Kurt, wir gehen.«
Nachdem die zwei sich verabschiedet hatten, setzte sich Frank nachdenklich in seinen Gartenstuhl. Sein Hund kam und legte sich neben ihm ins Gras. Die Gefahr schien gebannt, denn Dexter lag friedlich und entspannt auf der Seite und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen.
Als sie am Nachmittag bei ihrem Bürogebäude in Köln ankamen, parkten sie ihr Fahrzeug vor den Garagen, die abseits vom Verwaltungsgebäude lagen. Eine von ihnen wurde als Lagerraum genutzt. Kurt Sommer öffnete das Tor und ging hinein.
In der hinteren Ecke stand ein massiver Schrank. Dieser war nicht vergleichbar mit normalen Möbelstücken, denn er war ein Faradaykäfig, darauf ausgelegt, elektromagnetische Wellen zu blockieren. Dazu war er mit einer leitfähigen Schicht aus Kupfer umgeben, die die Funkwellen daran hinderten, hinein- und hinauszugelangen. Dieses teure Teil war vor Jahren angeschafft worden, um genau für solche Fälle gewappnet zu sein. Leider kam es gelegentlich vor, dass sich Geräte nicht deaktivieren ließen oder dass man weitere Untersuchungen daran vornehmen musste. Er öffnete den Schrank und räumte zuerst den ganzen anderen Kram raus. Im Laufe der Zeit war hier einiges untergebracht worden, was hier nicht hingehörte. Er legte die Kugel hinein und verschloss den Käfig sorgfältig.
»Ich könnte jetzt einen kräftigen Kaffee vertragen. Willst du auch einen?«, fragte Winter, als sie zurück im Büro waren.
»Oh ja, den kann ich jetzt gut brauchen. Das war schon ein ungewöhnlicher Tag heute.«
Er öffnete den Schrank, in dem sie ihre Kaffeepads aufbewahrten. »Was darf’s denn sein? Classic, Strong, Cappuccino?«
»Extra Strong, bitte. Einen doppelten.«
Rainer legte zwei Pads für seinen Kollegen ein und startete die Kaffeemaschine. Nachdem auch sein Kaffee fertig war, saßen sie eine Zeit lang schweigend an ihren Schreibtischen und genossen die Ruhe. Jeder von ihnen dachte an diesen seltsamen Einsatz und an das merkwürdige Objekt.
»Wir sollten die Zentrale informieren«, unterbrach Kurt die Stille.
»Ja, das sollten wir.« Rainer nahm das Telefon in die Hand und drückte die Kurzwahltaste für die Zentralstelle in Bonn, um den Fund zu melden. Es dauerte nicht lange, bis eine Kollegin den Hörer auf der anderen Seite abnahm.
»Bundesnetzagentur Bonn, mein Name ist Helena Schraminger, was kann ich für Sie tun?«
»Hallo Helena, Rainer Winter hier vom Büro in Köln.«
Er zögerte, da er nicht wusste, wie er ihren Fund erklären sollte.
»Jaaa …?«, kam es nach einer Weile aus dem Hörer.
»Hallo Helena.«
»Das sagtest du schon. Hallo Rainer.«
Er holte tief Luft. »Du glaubst nicht, was für einen schrägen Störsender wir heute gefunden haben.«
»Lass mich raten. Ich tippe mal auf eine glänzende Kugel.«
»Äh, ja. Woher weißt du das?«, fragte er überrascht.
»Weil ihr nicht die einzigen seid. Bisher haben wir dreiundzwanzig von diesen seltsamen Objekten gefunden. Es gibt aber weitere Quellen. Alle senden das gleiche Signal aus und einige Teams sind noch unterwegs.«
Patricia Leyendecker, die Leiterin des Krisenteams der Bundesnetzagentur in Bonn, rief ihre Kollegen zurück in die Behörde – und das unverzüglich! Die meisten hatten das Büro bereits verlassen und waren auf dem Weg nach Hause. Sie telefonierte sich die Finger wund, erwischte letztlich jeden Einzelnen und beorderte alle für 19:00 Uhr in den Besprechungsraum im achtzehnten Stock.
Für den herrlichen Ausblick auf den Rhein von hier oben war heute keine Zeit. Sie schaute in die verwunderten Gesichter ihrer Kolleginnen und Kollegen reihum und kam direkt zur Sache. Sie war nicht gewillt, sich mit langen Vorreden oder Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.
»Guten Abend. Es tut mir leid, dass ich euch alle nochmal herbitten musste. Es gibt aktuell eine Situation, die dies erforderlich macht. Heute wurden in ganz Deutschland verteilt Störsender gefunden. Es handelt es sich dabei um fünfunddreißig kugelförmige Objekte. Alle senden ein identisches Signal aus. Mitarbeiter von den einzelnen Stationen berichten zudem über ungewöhnliche Eigenschaften. So sind diese Dinger wohl extrem leicht, wobei das noch untertrieben ist. Wir erhielten Informationen, wonach sie nur wenige Gramm wiegen – bei der Größe eines Fußballs.«
»Ich habe schon im Radio davon gehört«, meldete sich ein Mitglied ihres Teams. »Da gibt es aber wohl ein paar Problemchen mit.«
»Problemchen ist eine krasse Untertreibung. Wir sind außerstande, diese Sender zu deaktivieren. Nach wie vor stören sie wichtige Funkfrequenzen.«
»Warum nimmt man die nicht einfach auseinander?«, fragte eine Kollegin.
»Wenn das so einfach wäre. Einige Jungs vom technischen Dienst haben es versucht. Angeblich sind die Kugeln unzerstörbar.«
»Quatsch, sowas gibt es nicht. Das ist doch nur eine Frage der richtigen Technik.«
Es folgte eine hitzige Diskussion, wie mit diesen Objekten weiter verfahren werden sollte. Es kamen skurrile Vorschläge und Leyendecker wunderte sich nicht zum ersten Mal über die Fantasie ihrer Mitarbeiter. Nach einer Weile beendete sie das Stimmengewirr, indem sie kräftig in die Hände klatschte.
»Leute, wir können hier stundenlang diskutieren, ob man die Dinger zerstören kann oder nicht. Oder ob bisher einfach jeder nur zu blöd war, um den richtigen Knopf zum Deaktivieren zu finden. Oberste Priorität hat der Schutz unserer Mitarbeiter. Wir wissen nicht genau, um was es sich bei diesen Kugeln tatsächlich handelt. Daher ordne ich hiermit an, dass keine weiteren Untersuchungen an den Objekten durchgeführt werden, also auch keine gewaltsamen Versuche, diese zu zerstören.«
»Okay, wir schicken heute noch eine Info an unsere Zweigstellen raus.«
»Ich glaube, ihr habt den Ernst der Lage nicht verstanden. Wir reden hier über unbekannte Objekte mit völlig anormalen Eigenschaften. Ich will keine Info, sondern eine strikte Anweisung.«
»Klar, Chefin.«
»Bis zur weiteren Klärung möchte ich außerdem, dass die Kugeln da bleiben, wo sie gerade sind. Falls abgeschirmte Schränke verfügbar sind, sollen diese verwendet werden. Hoffentlich können wir damit zumindest die Störsignale isolieren. Unsere Zuständigkeit endet hier. Ich werde umgehend das BMI verständigen. Sobald ich eine Rückmeldung von denen habe, werde ich euch informieren. Danke. Das war alles für heute.«
Am nächsten Morgen betrat Werner Fuchs das neue Dienstgebäude am Moabiter Werder in Berlin. Hier hatte das Bundesministerium des Innern und für Heimat seit 2015 seinen Sitz. Das BMI war als oberste Bundesbehörde für die innere Sicherheit Deutschlands verantwortlich, demzufolge auch für den Schutz vor Extremismus, Terrorismus, Sabotage und Spionage. Seit vier Jahren war Werner Leiter des Bereichs ›ÖffentlicheSicherheit‹.
Er ging rasch an den Fahrstühlen vorbei und öffnete die abgelegene Tür zum Treppenhaus. Er war nicht eine Stunde früher als sonst gekommen, um fünf Minuten auf den lahmen Aufzug zu warten. Trotz seines kleinen Wohlstandsbäuchleins, das er sich mit gutem Essen redlich verdient hatte, war er mit seinen neunundfünfzig Jahren körperlich fit. Leichtfüßig stieg er die Stufen hinauf bis zur fünften Etage, auf der sein Zimmer am Ende des langen Flurs lag, und ging an den verschlossenen Türen vorbei. Um diese frühe Zeit war kaum jemand anwesend.
In seinem Büro angekommen zog er sein Jackett aus und hängte es in einen Einbauschrank. Dann stellte er sein Handy in die Ladestation, nahm am Schreibtisch Platz und startete seinen Laptop. Wie jeden Morgen öffnete er zunächst das E-Mail-Programm, um zu prüfen, ob wichtige Informationen seit dem Vortag eingegangen waren.
Der Kollege aus dem Nachbarbüro klopfte an seine Tür und trat unaufgefordert ein. »Guten Morgen, Werner.« Er setzte sich auf den freien Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.
»Guten Morgen, Laurentius. Was machst du denn schon hier?« Werner lächelte den jungen Mann an, der immer ein wenig nervös und übereifrig wirkte.
»Scherzkeks. Du weißt doch, dass ich Frühaufsteher bin. Aber du kommst sonst um Punkt acht. Schlafprobleme?«
»Das kann man wohl sagen. Ich habe mir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen und die Meldungen über diese Kugeln verfolgt. Hast du davon gehört?«
»Ja klar, die Nachrichten bringen ja nur noch das Thema.«
»Und?« Werner lehnte sich zurück und schaute Laurentius fragend an. »Was hältst du von diesen ominösen Dingern?«
»Bis jetzt weiß ich auch nicht mehr als das, was in den Medien erzählt wird. Da wurden ein paar glänzende Bälle gefunden und angeblich stören sie die Funkfrequenzen. Ach ja, und sie sollen unzerstörbar sein – erzählen jedenfalls ein paar unseriöse Quellen.«
»Das scheint tatsächlich so zu sein. Ich habe mir gestern Abend ein paar Videos im Internet angesehen.«
»Im Internet, ah so. Dann muss es ja stimmen.« Laurentius schaute ihn belustigt an.
»Okay, im Allgemeinen sind solche Videos ja nicht unbedingt eine Quelle der Wahrheit. Du weißt, dass ich normalerweise nichts von so was halte. Aber hunderte von solchen Filmchen lassen schon vermuten, dass es keine Fakes sind.«
»Wieso hunderte? Ich denke, man hat nur ein paar Dutzend von den Dingern hier bei uns gefunden?«
»Hallo? Erde an Laurentius! Wann bist du gestern ins Bett gegangen?«
»Relativ früh, wieso?«
»Dann hast du wohl nicht mehr mitbekommen, dass die Kugeln auf der ganzen Welt aufgetaucht sind. Mittlerweile redet man von mehr als eintausend. Tu mir doch bitte einen Gefallen: Suche mir alles raus, was über diese Objekte bekannt ist. Wir müssen erfahren, ob sie eine Gefahr darstellen und wo sie herkommen.«
»Okay, mach ich sofort.« Laurentius nickte und verließ eilig das Büro.
Werner Fuchs wandte sich wieder seinem Laptop zu. Er überflog die ungelesenen Nachrichten und filterte die unwichtigen heraus. Dann sah er die Mail mit der Absenderdomain von der Bundesnetzagentur und dem Betreff ›Wichtig! Kugelförmige Störquellen!‹
Sie kam von einer Patricia Leyendecker. Gemäß Signatur war sie Leiterin des Krisenteams bei der BNetzA. Sie beschrieb die Situation um die aufgefundenen Störsender und bat um schnellstmöglichen Rückruf.
Fuchs erkannte am Header der Mail, dass diese am Vortag um 19:50 Uhr versendet worden war. Er schaute in die Signatur und wählte die dort angegebene Telefonnummer. Hoffentlich ist sie bereits da, wenn sie gestern so lange im Büro war, dachte er, als er eine energische Stimme am anderen Ende der Leitung hörte.
»Patricia Leyendecker, Bundesnetzagentur Bonn.«
»Guten Morgen Frau Leyendecker, Werner Fuchs hier vom BMI. Sie hatten mir gestern Abend eine E-Mail geschickt.«
»Oh, ja. Vielen Dank für Ihren Rückruf. Sie haben sicher aus den Medien entnommen, dass nicht nur bei uns eine große Anzahl an glänzenden Kugeln gefunden wurde.«
»Ja, ich habe einiges dazu gelesen und gesehen.«
»Gut, dann muss ich nicht allzu viel erklären. Wir haben in Deutschland insgesamt fünfunddreißig von diesen Objekten aufgespürt. Alle senden ein identisches Störsignal aus, wodurch sie leicht zu lokalisieren waren. Es ist höchst ungewöhnlich, dass gleichzeitig so viele identische Störquellen auftauchen. Auch die Beschaffenheit der Objekte ist sonderbar. Niemand von uns hat jemals zuvor so etwas gesehen.« Sie machte eine Pause. »Jetzt wird es ein wenig schräg. Wir glauben, dass die Signale hauptsächlich dazu dienen, dass die Kugeln gefunden werden.«
Werner setzte sich kerzengerade auf. Ihm war sofort klar, was Leyendecker damit andeuten wollte. »Das sieht nach einer gezielten Aktion aus.«
»Genau das vermuten wir. Aber jetzt wird es noch schräger. Man könnte ja annehmen, dass jemand absichtlich diese fünfunddreißig Dinger hier bei uns verteilt hat. Zwischenzeitlich sind jedoch Meldungen aus aller Welt eingetroffen. Dies scheint ein globales Phänomen zu sein. Die Theorie einer Einzelperson oder kleinen Gruppe als Verursacher ist damit hinfällig.«
Fuchs zückte seinen Kugelschreiber und machte sich Notizen. »Wo sind die Kugeln jetzt?«
»Wir haben gestern Abend in einer Sitzung vereinbart, dass sie zunächst bei den Standorten verbleiben, wo die Dinger geortet und gefunden wurden. Wo möglich, wurden sie in abgeschirmte Schränke gesteckt. Alles Weitere wollte ich mit Ihnen besprechen. Wir können nicht ausschließen, dass eine Gefahr von ihnen ausgeht. Bisher verhalten sich alle Kugeln bis auf die Störsignale passiv. Soweit wir gehört haben, trifft dies auch auf die Objekte in anderen Ländern zu. Für eine etwaige Schadensabwehr sind wir aber nicht zuständig. Daher habe ich Sie kontaktiert.«
»Das war die richtige Entscheidung. Ich werde diese Angelegenheit intern besprechen und melde mich in Kürze wieder bei Ihnen.«
Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, rief Fuchs seinen Kollegen Laurentius Steinhaus zu sich ins Büro. »Hast du was herausgefunden?«
»Oh ja, das Internet ist voll von Informationen über diese Dinger. Da ist ziemlich krasser Scheiß dabei.« Er war sichtlich aufgeregt.
»Danke für die blumige Ausführung. Kannst du bitte eine Präsentation mit den relevanten Facts daraus vorbereiten? Wir treffen uns in einer Stunde im Konferenzraum.«
Er öffnete den Outlook-Kalender, plante eine Besprechung für 08:30 Uhr und lud die leitenden Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen ein. Zusätzlich kontaktierte er alle per Mobiltelefon. Er wollte sicher sein, dass niemand die Einladung verpasste.
Auf dem Weg zum Konferenzraum ging er in Gedanken nochmals alle Fakten durch, die ihm bekannt waren. Vor der Tür blieb er kurz stehen, richtete seine Krawatte und betrat mit ernstem Gesicht den Raum. In dessen Mitte stand ein langer Tisch, um den zwölf Stühle verteilt waren. An den meisten davon saßen mittlerweile die eingeladenen Personen. Auf einer Leinwand war die von Laurentius vorbereitete Präsentation zu sehen. Werner bedankte sich mit einem Nicken bei seinem Kollegen.
»Guten Morgen. Wie Sie vielleicht schon aus der Presse erfahren haben, wurden gestern bei uns im Land fünfunddreißig silbrig glänzende Kugeln entdeckt. Diese senden ein Störsignal aus, welches bisher nicht deaktiviert werden konnte. Nach wie vor stören sie unsere Frequenzen. Mittlerweile wissen wir, dass in anderen Ländern identische Objekte gefunden wurden. Weltweit sind es inzwischen wohl über zweitausend.«
»Was? Ich dachte, es wären nur ein paar Dutzend?« Rolf Schubeck sah ihn erstaunt an. Auch andere im Raum schien diese Information zu überraschen, denn plötzlich sprachen alle wild durcheinander.
Werner wartete, bis der Geräuschpegel wieder gesunken war. »Nein, Herr Kollege. Die Nachrichten haben sich gestern spät am Abend und heute Morgen regelrecht überschlagen. Aus immer mehr Ländern kommen Meldungen über Funde.«
Er hob die Hand und unterbrach die erneut aufkeimende Unruhe. »Die Kugeln bestehen nach ersten Erkenntnissen aus einem extrem harten und widerstandsfähigen Material. Was uns jedoch am meisten beunruhigt, ist das Gewicht der Objekte. Bei der ungefähren Größe eines Fußballs wiegen sie nur etwa zwölf Gramm. Ein solch stabiles und gleichzeitig leichtes Material ist uns bisher nicht bekannt.«
Wieder ging ein Raunen durch den Besprechungsraum und ein heilloses Durcheinander an Stimmen erhob sich.
»Das ist bestimmt ein Übertragungsfehler«, rief Schubeck. »Das muss Kilogramm heißen.«
»Quatsch, haben Sie schon mal einen zwölf Kilo schweren Fußball gesehen?«
»Nein, aber die Dinger sind doch aus Metall, oder?«
Das Stimmenchaos verebbte und alle richteten die Augen auf Werner Fuchs.
»Ist doch so, oder?«, fragte Schubeck.
»Tja, das wissen wir noch nicht. Es wirkt metallisch, aber bisher fehlen uns gesicherte Informationen darüber.«
»Weiß man denn, woher die Objekte kommen oder wer sie abgelegt hat?«, fragte eine Mitarbeiterin.
»Nein, leider nicht. Seit gestern Morgen um halb acht wurden die Störsignale von der Station Konstanz der Bundesnetzagentur erfasst. Alle fünfunddreißig Signale traten im selben Moment auf.«
»Sind die Dinger gefährlich?«
»Darüber gibt es keine Erkenntnisse. Bisher geht offenbar keinerlei Gefahr von ihnen aus. Dennoch sollten wir beachten, dass es die wichtigste Aufgabe des Staates ist, für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Daher werden wir die Objekte abholen lassen und sicher verwahren.«
»Und wie geht es dann weiter? Es nutzt ja nichts, die Kugeln einfach hier irgendwo in Berlin zu deponieren.« Der Einwurf kam von Janine, einer jungen Mitarbeiterin seiner Abteilung. Andere schien diese Frage ebenfalls brennend zu interessieren, denn erneut wurde es unruhig im Besprechungsraum.
»Um Himmels willen. Ihr könnt doch keine gefährlichen Objekte hier in der Hauptstadt rumliegen lassen«, war einer der nachvollziehbaren Einwände.
»Natürlich nicht. Wir lassen sie umgehend nach Sperenberg bringen.«
»Gute Idee.« Laurentius Steinhaus nickte.
»Scherenberg?« Janine schaute fragend in die Runde.
»Nein, Sperenberg. Das ist ein alter Militärflugplatz der sowjetischen Streitkräfte in Brandenburg«, klärte Laurentius sie auf. »Bis 1994 wurde dieser auf ehemaligem DDR-Gebiet genutzt. Seitdem ist das brachliegendes Gelände. Einige der dortigen Gebäude haben wir bereits in der Vergangenheit für unsere Zwecke eingesetzt.«