Die Last auf meinen Schultern - Fabian Besecke - E-Book

Die Last auf meinen Schultern E-Book

Fabian Besecke

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Beschreibung

An einem verlängerten Wochenende ist David unterwegs im Wald, unweit seiner Heimat. Er trifft auf Väter und Töchter, auf Pfadfinder und eine tierische Bedrohung; hat zu kämpfen mit dem Wetter und seiner eigenen Gesundheit. Das alles nur, um sein Ziel zu erreichen, um die Last von seinen Schultern zu nehmen. Doch die Erinnerungen an seine Kindheit sind stets mit ihm, bereit, ihn heimzusuchen, wie das Monster aus der Dunkelheit.

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Seitenzahl: 245

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die Last auf meinen

Schultern

Fabian Besecke

Impressum

Copyright © 2020 Fabian Besecke

Alle Rechte vorbehalten

Fabian Besecke

Grambker Dorfstraße 12

28719 Bremen, Deutschland

E-Mail: [email protected]

@_besecke auf Twitter und Instagram

Coverdesign: J.R. Designs

13-stellige ISBN: 9798649097611

Independently published

Kapitel

Nordwesten

Nesterweg

Wie eine riesige Gewitterwolke

Mit 9 Jahren

Ein Stück weiter westlich

Tikki und Tipi

Mich fallen lassen

Weltraum und Wildtier

Mit 10 Jahren

Dämliche scheiß Ordnung

Wahrscheinlich Türkis

Kannst du eine Seele erkennen?

Mit 11 Jahren

Am Fluss

Versickern in dunkler Erde

Vor 8 Tagen

Nordwesten

Grau verwittert, in geschwungener Form. Vertikal und horizontal greifen sie ineinander, die länglichen Steine unter meinen Füßen. Ein prüfender Blick hinter mich. Das Auto ist ordnungsgemäß abgestellt; präzise steht es zwischen den weißen Linien und schwebt an der Front mit einigen Zentimetern Abstand über dem bewucherten Kantstein.

Der Griff an die Hosentasche, rechts der Schlüsselbund, links das Portemonnaie; alles, wo es sein soll. Gelassen senken sich meine Augen in ihren Höhlen und richten sich erneut auf das graue Muster des Parkplatzes. Die Sonne steht knapp über den Bäumen, sodass sich der Schatten zu meinen Füßen weit erstreckt. Wie schmale Äste zeichnen sich meine Arme zu den Seiten ab, leicht schwankend mit jedem meiner Schritte, die Fingerspitzen ausgefahren wie kleinste Triebe.

Ganz vorn, in fast vier Metern Entfernung, endet die Silhouette in zwei rechtwinkligen Kanten. Verdeckt ist die Kontur meines Kopfes von der Monstrosität auf meinem Rücken, die sich Rucksack schimpft. Ein größeres Exemplar hätte ich mir kaum aussuchen können. Dunkelgrün ist der Regenschutz, der den oberen breiten Reißverschluss umhüllt. Zwei weitere, schmale Versionen befinden sich an den Seiten, zusammen mit einigen Haltenetzen für Flaschen und andere Utensilien. Das Gewicht ist ebenso stattlich. An die 30 Kilo mögen es sein — ich hatte ihn zuhause nicht gewogen —, aber das sollte einem Mann von meiner Statur auch auf Dauer keine Probleme bereiten; so hoffe ich zumindest.

Etwa die Hälfte des Parkplatzes liegt nun hinter mir. Ich bin nicht der Einzige, der sich an solch einem warmen Tag auf den Weg macht. Mehrere Personen holen auf und passieren mich, mit meinen langsamen Schritten. Meist Paare sind es — jung und alt —, die zielstrebig voranstapfen, auf jene Bäume am anderen Ende der grauen Ebene zu. Ein Tagesausflug wird es bei einer Vielzahl von ihnen sein, eine Wandertour im Schatten des Waldes. Nur ein Männlein und ein Weiblein unter ihnen mache ich aus, wenige Meter neben mir, mit Rucksäcken so groß wie der meine. Eine Übernachtung im Wald haben sie womöglich geplant, mit genug Proviant vielleicht auch zwei. Richtige Naturmenschen.

Schließlich erreiche auch ich die Grenze zur grünen Welt. Der flache Stein weicht hier plattgetretener Erde, übersät mit unzähligen Schuhabdrücken. Die hellen Strahlen der Sonne müssen sich mehr und mehr den dichten Ästen der Bäume geschlagen geben. Die Luft kühlt rasch ab, sinkt auf bestimmt unter 20 Grad und wandelt ihren Duft von fast neutral mit einem Hauch von Benzin, zu einer Mischung aus frischem Gras, Kräutern und dem blühenden Geflecht zwischen ihnen.

Noch eine Weile begleiten uns Wandernde zwei Reihen von Kantsteinen in den Wald hinein. Wie besorgte Aufpasser weisen sie uns den Weg und bieten die Erde zwischen sich zum Laufen an. Dass wir uns doch bloß nicht verirren, schon so früh auf unseren Reisen. Minuten sind es, die ich so voranschreite, mit etwa einem Dutzend zufälliger Begleiter, welche allesamt nach und nach ihr Tempo verringern. Auch wenn kein Wind durch die Blätter rauscht und kein Bach in der Nähe fließt, so sorgen immerhin einige Vögel und raschelnde Bodenbewohner für ganz natürliche Unterhaltung. Das Geäst zu beiden Seiten des Weges verdichtet sich Meter um Meter und die bunte Geräuschkulisse nimmt einem doch mit der Zeit die Eile.

Die Kantsteine, die ich gerade zu leiden begonnen habe, enden, ohne sich zu verabschieden. Der Weg zwischen ihnen mündet in noch mehr plattgetrampelter Erde. Ein Kreis ist es diesmal, bedeckt mit einer kaum wahrnehmbaren Schicht Holzspäne. Sie sind tief eingearbeitet in den schwarzen Boden, wie Müsli in einen geschmacksneutralen Joghurt, und bilden mit ihm eine stimmige, fürs Auge angenehme Struktur. Ausgehend von diesem schwarzen Joghurt führen vier weitere Wege in vier ganz unterschiedlichen Richtungen tiefer in den Wald hinein. Bevor man sich jedoch auf einen von ihnen wagen kann, lauert noch ein letztes Hindernis. Ein Holzbalken —vier Seiten, vier Kanten — ragt genau in der Mitte des Kreises aus dem Boden heraus. An ihm befestigt sind nicht weniger als drei flache rechteckige Tafeln, die sich wie eine Schildbarriere um ihre Halterung legen. Jeweils ein Abschnitt des Waldes ist auf einer jeden von ihnen zu erkennen. Abdrücke, wie die aus einem Atlanten, mit einigen Beschriftungen, kleinen Symbolen, und einem Maßstab am unteren Rand.

In einer Traube platzieren sich meine fremden Mitläufer um die Tafeln und scheren sich dabei nicht um ihren persönlichen Raum. Ihre Köpfe allesamt nach oben gerichtet, die Augen scheinbar ruhelos wandernd; wie eine Gruppe Flamingos, die gespannt nach Gefahren Ausschau halten. Ihre Konzentration dabei beeindruckt mich, zweifellos war sie ihnen anzusehen. Meine Chance also, ein wenig Abstand zwischen mich und die Horde zu bringen. Ein wirkliches Ziel habe ich so oder so nicht und deshalb steuere ich, vorbei an Tafel und Traube, geradewegs auf einen der mittleren Pfade zu. Denn ich will nur weg, meine Ruhe haben, will alleine sein. Nordwesten steht auf dem Schild geschrieben — und Sperlingpfad —, befestigt an einem schmalen Pfahl, und auf dem bin ich nun wohl unterwegs.

Den Holzspanjoghurt verlassend verhärtet sich der Boden augenblicklich unter mir. Schmale Baumwurzeln schneiden von beiden Seiten in etwas, das man nur als Trampelpfad bezeichnen kann. Wenige Zentimeter ragen sie an einigen Stellen hervor, aber meine Füße heben sich weit genug empor, um ihnen auszuweichen. Bunte Blätter bleiben an meinen Wanderschuhen kleben. Ihre Stiele brechen mit jedem Schritt, ihre Adern reißen, bis sie schließlich zurück auf die Erde fallen.

An meinem Gang, der mich stetig vorwärtsführt, hat sich beinahe nichts geändert. Keine Hektik liegt in dem rhythmischen Schwingen meiner Knie; nur meinen Oberkörper beuge ich leicht nach vorn, um das Gewicht des Rucksacks auszugleichen. Im Südosten hat der wütende Feuerball noch immer nicht aufgegeben. Mit der gesamten Kraft des Vormittags zwängen sich seine feinen Lichtstrahlen durch das Laubwerk über meinen Kopf hinweg. Für die meisten von ihnen endet die Reise auf dem Boden. Nur eine Auslese schafft es bis an meine Kleidung und meine Wangen, während ich den leichten Windungen des Pfades folge.

Nach einem ausgedehnten, kurvenfreien Abschnitt korrigiere ich gerade meine Richtung in einem leichten Rechtsdrall, bereite mich vor auf ein erneutes Einlenken, als sich ein Windstoß vorbei an den Seiten meines Rucksacks und um meine Ohren legt. Das Rascheln der Bäume bringt er mit sich und unterdrückt für einen Moment den nahen Vogelgesang. Monoton dröhnt es in meinem Trommelfell und endet schließlich mit einem einzigen leisen Knacken direkt hinter mir. Eine kurze Überraschung, die mich aus meinem verträumten Zustand reißt, ein Adrenalinschub — das Zeugnis uralter Instinkte —, dann jedoch die schnelle Realisierung. Schade, denke ich mir noch, und mein Kopf dreht sich bereits zur Seite. Wohl doch nicht allein.

In meinem Rücken, vielleicht zwanzig Meter entfernt, erblicke ich sie; einen Mann und eine Frau. Ein Paar, davon gehe ich im ersten Moment aus, und Mitglieder der Traube, wie ich sofort feststellen kann. Ihr schweres Gepäck ist unverkennbar. Bereits auf dem Parkplatz habe ich die beiden gesehen, wie sie mich mit ihren energiegeladenen Schritten passierten. Diese Energie steckt offensichtlich auch jetzt noch in ihren Beinen. Ein freundliches Lächeln wirft mir der männliche Part an der Spitze entgegen, während er lässig mit dem rechten Bein über einen mittelgroßen Ast steigt und das linke gekonnt nachzieht. Das Lächeln legt seine Mundwinkel in tiefe Falten und zieht seinen vollen Bart zu beiden Seiten des Gesichtes in die Höhe. Was ihm da von seinem Kinn bis zum Kragen seines Holzfällerhemdes hinunterwächst, fehlt ihm indessen auf dem Kopf. Eine blanke Glatze prangt zwischen den großen Ohren und reflektiert einzelne Sonnenstrahlen, während der Wanderer stapfend zu mir aufschließt. Eine breite Statur hat er, trägt eine dunkle Hose, die sich am Bund gütig über sein Hemd zieht, und ebenso dunkle Schuhe, die ihre besten Tage bereits hinter sich haben.

Dahinter seine Gefährtin. Zierlich im direkten Vergleich, und doch hievt sie ihren Rucksack ohne Probleme. Sie ist jung, deutlich jünger als ihr Vorläufer. Stufiges, nussbraunes Haar fällt ihr an den Seiten bis über die Schultern und verbirgt sich auf dem Kopf unter einem tiefrotenKäppi.

Das Holzfällerhemd hat mich mittlerweile gänzlich eingeholt. Die Hände an die Riemen seines Rucksacks greifend verlangsamt er sein Tempo ein wenig und gleicht es dem meinen an. Seinen Kopf hält er in einem leicht schrägen Winkel und mustert dabei schamlos mein Gesicht. Solange, bis ich ihm endlich den ersehnten Augenkontakt schenke. Das Lächeln zeigt sich erneut, in noch stärkerer Form diesmal; vielleicht ist es aber auch nie verschwunden.

»Du bist aber flink gewesen da eben an den Wegtafeln«, beginnt er ebenso energiegeladen zu sprechen wie er wandert. »Einmal geblinzelt hab ich, und weg warste!«

Er lacht.

Bei mir reicht es zumindest für ein Regen der Mundwinkel.

»Das stimmt«, krächze ich zurück und merke, dass ich meine Stimmbänder heute noch gar nicht benutzt habe. Ich räuspere mich so unauffällig wie möglich, streiche mir dabei einige Male über die Brust.

Der Mann mit dem eindrucksvollen Bart nickt knapp. »Bist wohl öfter hier unterwegs, ja?« fährt er fort, »Dass du dich so gut auskennst und gleich losläufst.«

Im Geiste durchfliege ich etliche Jahre meines Lebens, durchstöbere jene Familienausflüge, an die ich mich noch erinnern kann, aber dieser Wald kommt darin nicht vor. Wobei, eine Sache ist da. Ein Schulausflug, das mochte in der Vierten gewesen sein, vielleicht auch die Fünfte? Irgendetwas mit einem Pförtner, der Bestimmung von Baumarten und einer kleinen Schatzsuche ganz am Ende. Zumindest glaube ich das, aber es war ganz sicher dieser Wald. Der gleiche graue Parkplatz, der große Doppeldeckerbus, in dem wir ankamen; ich glaube, ich täusche mich nicht.

Die gütigen Augen neben mir holen mich in die Gegenwart zurück. Keine Ahnung wie lange ich ihn bereits anstarre, aber die noch immer heitere Miene des Bärtigen lässt mich hoffen, dass es nicht allzu lange war.

»Seit meiner Kindheit«, antworte ich ihm schließlich — technisch gesehen keine Lüge.

Ein erneutes Nicken meines Nebenmannes. Den Kopf dreht er langsam geradeaus in Richtung des schier endlosen Trampelpfades unter unseren Füßen, lässt ihn jedoch augenblicklich wieder zurückschnellen.

»Ach, wo sind denn nur meine Manieren geblieben?« In Richtung Stirn fährt seine rechte Hand zunächst und ruht dann Sekunden später auf seiner Brust. »Alexander ist mein Name. Und diese wundervolle Dame hier ...« Er bleibt stehen und macht einen Ausfallschritt. »... ist Chloe.«

Ich tue es ihm aus Reflex gleich und gemeinsam schauen wir sie nun an — eine zweifellos schöne Frau —, während sie die letzten Meter zurücklegt und uns einholt. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter und ergänzt: »Meine Tochter.«

Zwei Worte, die umgehend einen Schwall der Erleichterung durch meinen Körper senden.

»Hi«, sagt Chloe und steht nun etwa eine Armlänge von mir entfernt. Ihre Hand reicht sie mir zur Begrüßung entgegen, zusammen mit einem schmalen, doch ehrlichen Lächeln. Leuchtend blaue Augen hat sie, und um ihren Hals eine unscheinbare Goldkette, welche an der Front im Kragen ihres weißen T-Shirts verschwindet. Über den Beinen eine olivgrüne Hose mit genügend Taschen, um den Inhalt einer ganzen Drogerie zu verstauen. Ein schwarzer Gürtel hält sie an der Hüfte, die Schuhe wirken sportlich und sind ebenso tiefrot wie das Käppi auf ihrem Kopf. Ein farbenfroher Mensch.

»Hallo«, erwidere ich und kämpfe damit, mich nicht in ihren Augen zu verlieren. Ihre gut verborgene, leicht hohe Stirn; diese dezenten, spitz zulaufenden Wangenknochen; ein attraktives Wesen. Und ich sei verdammt, diese Augen.

Ein wenig jedoch erinnert sie mich an meine Mutter.

Ich schaudere unauffällig. Ein überraschender und vor allem besorgniserregender Gedanke ist das. Innerlich fuchtel ich mit den Armen und scheuche ihn schnell davon, und spüre gleichzeitig wieder den gütigen Blick Alexanders neben mir. Zeitlos scheint er zu sein, als könne ich ewig hier verweilen, könnte das Universum voranschreiten, millionen Jahre vergehen lassen, und dieser treue Wanderer würde sich noch immer gedulden. Ein erwartungsvoller Blick ist es, ganz offensichtlich, nur bin ich in der Lage dazu, diese Erwartungen zu erfüllen? Ich weiß es nicht, ich überlege, und ... natürlich, der Name; du Idiot.

»David«, kommt es zögernd aus mir heraus.

»David ist mein Name«, setze ich noch einmal nach, um auch mich selbst zu überzeugen. Meine Augen schweifen von Gesicht zu Gesicht, unsicher, auf wem sie ruhen sollen. »Freut mich.«

Große Zufriedenheit breitet sich bei Alexander aus. »Uns ebenso«, antwortet er und umfasst dabei die Schultern seiner Tochter so behutsam, wie es nur ein Vater kann. »Wollen wir aber mal nicht zu lange verweilen, ja? Scheinst es immerhin eilig zu haben.«

»Ja.« Ich lache so dämlich, ich verschlucke fast meine Zunge.

»Also dann.«

Nesterweg

Zu dritt setzen wir uns nun in Bewegung. Es war nicht meine Entscheidung, aber was soll ich denn sagen. Alexander begibt sich in die Mitte, und Chloe und ich folgen zu beiden Seiten. Der Pfad vor uns streift auf der Rechten gerade die Ausläufer eines Hügels und schwingt sich in leichten Wellen an ihm empor, schmiegt sich an Bäume und Sträucher, während er uns weiter in die Höhe treibt. Die Steigung, wenn auch nur gering, bremst das Vorankommen in gewissem Maße. Kleinere Schritte sind es ab hier über vereinzelte Ansammlungen von Geröll, das tief verwoben in kräftigen Wurzeln liegt.

Ich habe nicht direkt gemerkt, wie, doch bin ich mir ziemlich sicher, dass es passiert ist. Aus irgendeinem Grund bin ich nun Teil dieser Gruppe. Wer von uns diese Entscheidung getroffen hat, das weiß ich nicht. Ich vermute mal den Bärtigen dahinter. So habe ich diesen Ausflug zwar eigentlich nicht geplant, für den Moment aber gebe ich mich dem Ganzen hin, denn entgegen meinen Erwartungen hält Alexander problemlos mit. Auf Mitte 50 schätze ich ihn, mit einem Rucksack über den Schultern, der vielleicht etwas weniger wiegt als der meine. Er scheint geübt zu sein im Bezwingen eines Waldes, und als würde er meine Gedanken lesen, antwortet er mir auf eine Frage, die ich nie gestellt habe.

»Wir machen solche Ausflüge häufig, Chloe und ich«, sagt er mit einem gewissen Stolz, »Einmal im Monat mindestens, aber meist doch eher zweimal. Schon unglaublich, wo es einen im Laufe der Zeit so überall hinbringt.«

Deutlich hört man die tiefen Atemzüge zwischen seinen Worten, aber mir geht es kaum anders.

»Hab’s mir gedacht«, antworte ich ihm, »Sie scheinen echt gut in Form zu sein.«

»Bitte ...« Wieder dieses erwartungsvolle, warme Lächeln. Aber ich begreife sofort.

»Du ... scheinst gut in Form zu sein?«

Alexander lacht laut auf. »Schon besser!«

Währenddessen wirft seine Tochter mir einen vielsagenden Blick zu. Ihre leuchtenden Augen geben mir zu verstehen; ja, der ist immer so.

»Hält einen halt fit, weißt du?«, spricht ihr Vater indes weiter, »Alles eine Einstellungssache. Und wie könnte man bei solch Anblicken auch schlecht drauf sein?«

Mit neuem Elan schreitet er voran und dabei gleiten seine Füße scheinbar schwerelos über den Waldboden, umlaufen jedes Hindernis mit Geschick und bringen ihn schnell einige Meter vor das übrige Zweidrittel der frisch geformten Gruppe.

Chloe und ich laufen schweigsam hinterher. Unsere Blicke gerichtet auf den heiteren Herren, wie zwei stolze Eltern mit ihrem unermüdlichen Sprössling. Die Lücke zwischen uns ist noch dieselbe, die eben jener hinterlassen hat. Kein Wind, kein Rauschen zieht vorbei an unseren Ohren, nur das Knistern und Knacken eines jeden Schrittes ist zu vernehmen. Ihre Neugierde siegt dann schließlich vor der meinen. Behutsam dreht Chloe ihren Kopf und erhascht einen schnellen Blick auf meine rechte Gesichtshälfte, ein flüchtiger Moment nur, bevor auch ich einknicke und sich unsere Augen zum dritten Mal an diesem Tag begegnen. Dieses Mal ist es jedoch anders. Ein Lächeln erscheint auf ihren Lippen, begleitet von einer Reihe ebener weißer Zähne.

»Er ist immer so drauf, wenn wir unterwegs sind«, sagt sie. Ihre Zarte Stimme füllt den Raum zwischen uns. »Diese Wanderungen machen ihn meistens ganz euphorisch, und manchmal wohl auch etwas aufdringlich. Sorry deswegen.«

Leicht hebe ich die Schultern, als gäbe es nichts Belangloseres auf der Welt. »Ach was. Zumindest hat er immer noch so viel Spaß in seinem Leben. Kann nicht jeder von sich behaupten.«

Meine Worte lassen den Schimmer in Chloes Augen verblassen. Eine Niedergeschlagenheit breitet sich in ihnen aus, die sich jedoch in keinem anderen Bereich ihres Gesichtes widerspiegelt.

»Ist wohl was dran«, sagt sie nur, und ich zerbreche mir bereits den Kopf über meine Wortwahl; bin mir allerdings keinem Fehler bewusst.

Chloe ist derweil schon längst darüber hinweg. Was es auch war, der Schimmer ist zurückgekehrt und leuchtet mir bereits in seiner ganzen Pracht entgegen. Wieder formen ihre Lippen Worte: »Du warst also schon öfter hier unterwegs, ja?«

Da waren sie, die ersten Konsequenzen meiner verbogenen Wahrheit.

»Dann kennst du dich doch bestimmt auch ein wenig aus. Wir sind nämlich auf dem Weg zu einer beliebten Wiese, ungefähr in dieser Richtung. Soll super zum Zelten sein.«

Meine weit geöffneten Augen folgen ihrem ausgestreckten Arm.

»Papa!«, tönt es kurze Zeit später.

Alexander dreht sich augenblicklich um.

»Die Karte!«

Ein Zögern, dann ein Hochziehen der Augenbrauen. »Richtig!«, erwidert er aufgeweckt, »Die Karte, Die Lichtung; einen Moment!«

Aus einem der Netze an seinem Rucksack fischt er ein flach zusammengedrücktes Papier, das sich abrupt entfaltet wie eine Ziehharmonika. Das Werk in Händen schreitet er vor, übergibt es fast zeremoniell seiner Tochter und wartet geduldig, während sie es weit auseinanderfaltet.

»Sie ist besser mit sowas«, bemerkt er noch in meine Richtung.

Die abgedruckten Farben auf dem Papier zeigen einen Teil des Waldes, der mir in etwa so viel sagt wie die Schriftzeichen in einem asiatischen Restaurant.

»Hier«, sagt Chloe und zeigt auf einen Abschnitt rechts oben am Kartenrand. »Hier irgendwo soll die Stelle sein, aber eingezeichnet ist sie nicht.«

Verloren starre ich auf die hellgrüne Fläche vor mir. Es mochte der Abschnitt eines völlig anderen Waldes sein, in einem ganz anderen Bundesland und es würde mir doch nicht auffallen. Um schnelles, weises Handeln geht es jetzt. Alles Vertrauen lege ich in mein Gehirn — eine bereits äußerst fragwürdige Entscheidung —, doch die Antwort ist offensichtlich. Ohnehin wird es Zeit, dass sich unsere Wege trennen. Nach der Ruhe, nur zu finden in Isolation, sehne ich mich; auch wenn sich etwas in mir regt. Ich müsste sie also in eine ganz entlegene Richtung schicken und selbst einen anderen Weg einschlagen.

Mit prüfendem Blick überfliege ich die Karte, lege meine Stirn dabei in tiefe Falten und bringe immerhin ein kräftiges »Hm« zustande. Zwischen all dem aufgedruckten Grün ziehen unzählige blaue Striche ihre Bahnen. Verschieden breit verzweigen sie sich ineinander, bilden gemeinsam noch breitere Exemplare von sich selbst, oder teilen sich immer weiter, bis sie schließlich im Grün verschwinden. Wasserläufe, das erschließt sich mir, und einer davon zieht sich gemächlich durch jenen Abschnitt am Kartenrand, um den es geht. Ein Glücksspiel ist es jetzt noch, während sich mein Finger entlang des Striches der Karte nähert.

»Da ... ungefähr«, murmle ich und kreise mit der Fingerspitze um ein etwa zwei Zentimeter breites Areal. »Zumindest ist das der einzige Fleck, der mir in dem Bereich bekannt ist.«

Schweiß sammelt sich in meinem Nacken und bahnt sich einen Weg hinunter zu meinem T-Shirt. Zum Glück habe ich die Sonne als mein Alibi. Die Köpfe von Vater und Tochter, die bis zuletzt meinem Finger gefolgt sind, schweben nun wie gebannt über der auserkorenen Stelle. Alexander kann sich als erster davon lösen und lässt seinen Blick an mir vorbeischweifen, durch den Wald, bis er leicht Schräg vom Pfad aus zwischen die Bäume schaut.

»Also ein Stück weiter nördlich?«, überlegt er in einem fragenden Tonfall. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf seine Tochter.

Diese antwortet nur mit einem Nicken, bevor sie selbst laut zu denken beginnt: »So nah an einer Wasserquelle wäre wirklich Ideal. Macht auf jeden Fall Sinn, dass es da irgendwo ist.« Ihr Gesicht leuchtet auf. »Dank dir.«

»Da nicht für«, entgegne ich nur. Ein Satz, den ich noch nie so wortwörtlich gemeint habe.

Tiefer geht es in den Wald hinein. Alexander hat sich wieder eingereiht — auf der rechten Seite wohlgemerkt —, was seine Tochter in unsere Mitte schob. Schulter an Schulter laufen wir nun und kommen uns dabei so nahe, dass ich meine Hände sicherheitshalber in den Hosentaschen verstecke.

»Was bringt dich eigentlich so allein in die Natur?« Es ist die Stimme von ganz rechts, die mir diese Frage stellt. »Ein besonderes Vorhaben vielleicht? Eine geheime Unternehmung?« Amüsiert scheint der Tonfall, mit einer brennenden Neugier versteckt darunter.

Ich lasse mich darauf ein. »Regierungsangelegenheiten, zweiter Testlauf, aber von mir wisst ihr nichts; wenn ihr es denn überhaupt übersteht.«

Gewagt, der Satz, aber Chloe gefällt er, und auch ihr Vater scheint offen für solchen Quatsch — als hätte ich etwas anderes erwartet.

»Einer von denen also.« Seine Augen ziehen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. »Eurer Art begegnen wir ziemlich häufig. Bestimmt Biowaffen.« Er lacht, natürlich lacht er; lässt aber nicht locker. »Also einfach ein einsamer Wochenendausflug?«

Einsam, das klingt so deprimierend. Zutreffend wohl, aber in der Art und Weise, in der Alexanders es sagt, tut es fast weh. Ich will auf jeden Fall nicht bemitleidet werden.

»Ist nur um zu entspannen«, antworte ich ihm so gleichgültig wie möglich, »Weg von der Arbeit, raus aus der Stadt. Ein wenig Ruhe, wisst ihr?«

Chloe wiegt unauffällig den Kopf und auch der Blick des bärtigen Mannes spricht Bände. Anscheinend wissen sie nicht so recht.

»Okay, klar, wir ja auch«, murmelt Alexander, »Aber so ganz allein? Ich meine, das wird doch langweilig, oder nicht?«

»Einstellungssache.« Mehr fällt mir nicht ein.

»Einstellungssache«, wiederholt er, als höre er das Wort zum ersten Mal, »Vielleicht ein Generationending.«

Ein Kampf tobt in seinem Inneren, es ist unverkennbar. Eine Frage geistert durch den Kopf des Glatzigen und ich kann sie mir bereits denken. Ein Pulverfass; also lieber schnell entschärfen, diese drohende Explosion, bevor ich mich aus einer weiteren Situation herauswinden muss. Meine Augenbrauen ziehe ich nach oben, lege den Kopf leicht zur Seite, und beginne: »Manchmal sehne ich mich einfach nach Isolation; also wirklicher Isolation. Ein, zwei Tage ganz für sich allein zu sein, dem Leben im Wald horchen, die frische Luft, und vielleicht ein gutes Buch lesen, während ich mich ausruhe.«

Ich habe gar kein Buch dabei, aber es verleiht dem Ganzen doch noch ein wenig mehr Wirkung. Und es hat bereits den gewünschten Effekt. Sichtliches Grübeln in Alexanders Gesicht, gefolgt von etwas, das ich wohl als Einsicht deute. Nein, ich würde sie nicht begleiten wollen auf ihrer Reise, das versteht er bereits, ohne zu fragen. Ich höre, wie er durch die Nase ausatmet, ein wenig frustriert vielleicht.

»Was machst du denn überhaupt beruflich«, fragt er dann, »dass du so viel Zeit und Ruhe brauchst?«

»Abteilungsleiter, im Supermarkt; etwas außerhalb. Aber ihr seid ohnehin nicht von hier, oder?«

Ein Kopfschütteln von Alexander. »Nein, wir haben eine etwas längere Fahrt hinter uns. Abteilungsleiter sagst du? Bist aber doch noch ziemlich jung.«

»26. Und es klingt beeindruckender als es ist. Ein wenig mehr Geld für einen Haufen mehr Verantwortung.« Verlegen neige ich den Kopf. »Wollte niemand so wirklich machen und dann bin ich da irgendwie reingerutscht.«

Ein wippender Zeigefinger streckt sich mir entgegen. »Na na, nicht unter Wert verkaufen. Meine kleine hier wird bald 21 und will dann noch studieren; drei, vier Jahre verstreichen lassen.« Er schaut sie mit einem Auge an. »Da dauert das Geldverdienen noch, während du bereits aufsteigst. Ist doch gut für dich.«

Seine Worte sind keineswegs bös gemeint, doch die stumme Reaktion seiner Tochter lässt mich ahnen, dass dieses Thema nicht zum ersten Mal angeschnitten wird. Ich überlege, mich nach ihrem Studiengang zu erkundigen, will dadurch nur nichts entfachen, auf das ich nicht vorbereitet bin. Trotzdem sehe ich mich gezwungen, die Situation zumindest ein wenig zu entschärfen.

»Naja«, flüstere ich beinahe, »Jeder in seinem Tempo. Wer weiß, vielleicht studiere ich auch einmal, wenn sich die Möglichkeit dazu ergibt. Lernen kann man immer.«

»Nur was man lernt, das ist wichtig.« Der zweite Nadelstich des Vaters.

Chloe kann sich nicht mehr zurückhalten. »Wirklich?!«, platzt es aus ihr heraus. Mitten im Schritt bleibt sie stehen und spannt ihre Schultern an. »Gerade jetzt fängst du wieder damit an?«

Einige Sekunden lang hält Alexander ihrem wütenden Blick stand, bevor sich seine Arme zu einer entschuldigenden Geste ausbreiten. Es folgt eine Grimasse, die aussieht wie die eines Sechsjährigen, der gerade mit seiner Hand in der Keksdose erwischt wurde. Ein faszinierender Anblick bietet sich mir. Wahrer Zorn auf der einen, gegenüber väterlicher Sorge auf der anderen Seite. Und ich habe nicht einmal den Hauch einer Ahnung, worum es überhaupt geht.

»Ach, ich weiß ja«, stößt der Bärtige aus.

Chloe rümpft die Nase. Mit einem Seitenblick streift sie mich, wohl darauf bedacht, keine Szene zu machen.

»Nur mal zwei Tage ohne Diskussion«, flüstert sie, ihre Augen streng auf Alexander gerichtet. »Bitte, Papa.«

Ihren Vater hingegen scheint das Szenemachen nicht zu stören. In theatralischster Manier faltet er seine Hände hinter dem Kopf zusammen und lehnt sich weit zurück, bis ich fast glaube, dass er umfällt.

»Tut mir leid; tut mir leid, mein Schatz. Ist wieder mein Dickkopf, der nicht schweigen will. Ich werd nichts mehr sagen, an diesem Wochenende; versprochen.«

Die Entschuldigung scheint zu wirken. Wie in einem Bühnenstück komme ich mir vor. Nicht eines jener Großen, aufgeführt vor gut gekleideten Massen; eher wie ein kleines Projekt des Darstellenden-Spiel-Kurses mit elterlicher Beteiligung.

»Komm her.« Mit großen Schritten stapft Alexander auf seine Tochter zu und will sie in den Arm nehmen. Sie bleibt starr, zu Beginn, doch gibt schließlich nach. Das Licht erlischt, der Vorhang fällt, das Publikum ist außer sich.

Da stehe ich nun, Hände in den Hosentaschen, und weiß nicht so recht, was ich tun soll. Der Tag schreitet voran und die Sonne prangt mittlerweile Stolz über den höchsten Wipfeln, wärmt mir angenehm den Kopf. Der anfängliche Elan scheint ebenso verschwunden; als Teil dieses Trios bin ich mittlerweile langsamer unterwegs als allein. Wenn wir nur nicht andauernd stehenbleiben würden wegen jeder Kleinigkeit. Trennen muss ich mich von der zweiköpfigen Familie, je früher desto besser. Die nächste Wegegabelung wird es sein, ganz egal in welche Richtung, dort werde ich mich verabschieden von den beiden und das Weite suchen.

Endlich löst sich die Umarmung vor mir und leicht beschämte Blicke werden in meine Richtung geworfen. Ich erstarre fast. Keine Ahnung, wie eine angemessene Reaktion in meiner Lage auszusehen hat, also bemühe ich mich erst gar nicht darum.

»Verzeih uns«, beginnt Alexander, »Oder mir wohl eher. Es ist manchmal etwas kompliziert.«

Sehe ich da Tränen in den Winkeln seiner Augen? Ich glaube ja. Vielleicht handelt es sich auch um eine allergische Reaktion oder sowas. Wunschdenken. Zweifellos ist er dem Gefühlsausbruch nahe oder auch bereits mittendrin. Ich denke, arbeite, formuliere; nein, Schweigen scheint die beste Option, kombiniert mit einem breiten, versiegelten Lächeln, während mein Blick ziellos über sein Gesicht wandert.

'Lauft', sagt eine Stimme in meinem Inneren, 'Lauft doch endlich weiter und hört auf, Zeit zu verschwenden.'

Hoffnungsvoll schaue ich auf Chloe, die gerade ihr Käppi zurechtrückt. Ihr linker Fuß hebt sich vom Boden und bewegt sich nach vorn. Das reicht mir schon. Meine Chance auf Gruppendynamik. Schnell ziehe ich nach, setze einen Fuß vor den anderen, und siehe da, es funktioniert. Bewegung, diesmal mit Chloe und mir an der Spitze, dicht gefolgt von einem mittlerweile wieder gefassten Alexander.

Unser Weg ist kaum noch als solcher zu erkennen. Nur eine vermutete Route bleibt, vorbei an den hochragenden Baumstämmen mit ihren bunten Blättern und den vereinzelt aufgestellten Holzmarkierungen. Die Mittagshitze drückt derweil unnachgiebig auf Gemüt und Schweißdrüsen. Ich spüre, wie sich die Feuchtigkeit zwischen dem Rucksack und meinem Rücken sammelt und mein T-Shirt vollkommen durchnässt. Es klebt überall. Eine Dusche, genau jetzt, oder zumindest ein Bach zum abkühlen, das wäre der Himmel auf Erden. Vielleicht habe ich mich doch überschätzt mit dem Gewicht, das ich mit mir herumschleppe. Ich musste ja auch alles einpacken. Doch es ist zu spät zum Jammern.

Neben mir stiert Chloe verträumt auf den laubbedeckten Boden. Ihre Gangart ähnelt einem Schlendern und ihre Miene lässt vermuten, dass sie nicht sonderlich tief in ihren Gedanken versunken ist. Einen Konversationsstarter überlege ich mir und bereue es bereits, während ich darüber nachdenke. Es folgt der Klassiker und ein Zeugnis meiner Begabung mit Worten.

»Ist alles in Ordnung?«

Chloe fährt ihre Empfangssysteme wieder hoch. »Hm? Ja, alles gut.« Ihre klaren Augen ergreifen mich augenblicklich. »Hoffe, wir kommen dir jetzt nicht zu bekloppt vor.«

Ich antworte ehrlich: »Halb so wild. Bei meiner Verklemmtheit kommt mir fast jede Art von Emotion sehr extrem vor.«

»Einer von den ganzen Coolen also.«

»Cool, bis man bei einer Beerdigung sitzt und während einer Trauerrede die Schwester des Verstorbenen fragt, ob es danach ein Buffet gibt.«

Sie lacht und es fühlt sich gut an. »Ist dir das wirklich passiert?«

»Nein, aber ich würde es mir zutrauen.«

»Und ich wäre gerne dabei.« Ein Zögern, gefolgt von einem Schmunzeln auf ihrem Gesicht. »Das klang jetzt irgendwie finster.«

Sie sieht hübsch aus mit der Sonne auf ihrer Nasenspitze.

»Also nicht mal Beerdigungen holen etwas aus dir heraus?«, fragt sie weiter, mit einer Neugierde, die sie ganz klar zur Tochter ihres Vaters macht.

Leicht schürze ich die Lippen und verziehe das Gesicht zu einer Grimasse, meine Worte umhüllt mit einem Hauch von Selbstgerechtigkeit: »Die von meinem Vater hat es zumindest nicht.«