Die letzte Borgia - Sarah Dunant - E-Book
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Die letzte Borgia E-Book

Sarah Dunant

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Beschreibung

Nach dem großen Erfolg von Der Palast der Borgia öffnet Sarah Dunant erneut die schweren Palasttüren und lässt uns einen Blick auf die berüchtigtste Familie Italiens erhaschen.

Es ist das Jahr 1502. Die Gerüchte um Lucrezia Borgia sind zahlreicher denn je, in den Straßen ganz Italiens hört man es raunen: von Lucrezias angeblicher Affäre mit ihrem Bruder Cesare, von der verbotenen Liebe zu ihrem Vater, dem Papst Alexander VI., von Mord und Orgien. Doch wo Lucrezia selbst auftaucht, verstummen die Stimmen – mit ihrer Anmut verzaubert sie die Höfe Italiens, mit ihrem Geschick verbirgt sie ihr dunkles Geheimnis: dass Cesare aus Eifersucht Lucrezias Ehemann ermordet hat, ihre große Liebe. Doch eine neue Stadt wartet auf sie, eine neue Liebe und das nächste gefährliche Spiel um Macht und Reichtum.

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Sarah Dunant

Die letzte Borgia

Roman

Aus dem Englischen von Peter Knecht

Insel Verlag

Die letzte Borgia

Für Professor Roy Porter, 1946-2002

Denn seine Art, Geschichte zu denken, zu lehren und zu schreiben, machte sie so aufregend, wie nur je ein Roman sein kann.

… wie ein Adler in die Lüfte steigt …

wie er eine Schildkröte in die Höhe emporträgt,

damit ihr Fall sie zerschmettere.

Niccolò Machiavelli über die Launen des Glücks

Prolog

FLORENZ, JANUAR 1502

Man konnte ihn nicht groß nennen, er war kaum eine Handbreit größer als sie und von drahtiger Statur. Sein pechschwarzes Haar war unmodisch kurz geschnitten, sein Gesicht, breit in Höhe der Augen, lief über eine schmale Nase bis zu dem glattrasierten Kinn spitz zu. Bei ihrer ersten Begegnung war ihr das Wort »Wiesel« in den Sinn gekommen, aber seltsamerweise hatte sie das nicht abgestoßen. Natürlich hatte Marietta Corsini bereits gewusst, dass ihr künftiger Ehemann klug war (er hatte ein Amt in der Regierung der Stadt inne), und innerhalb weniger Minuten hatte er sie zum Lachen gebracht. Sie war auch errötet, denn dieser Mann mit seiner fast animalischen Ausstrahlung schien sie mit seinen konzentrierten Blicken halb auszuziehen. Als sie sich voneinander verabschiedeten, war sie von ihm hingerissen, und sie ist es jetzt, nach sechs Monaten Ehe, immer noch.

Er geht jeden Morgen, sobald es hell wird, zur Arbeit. Anfangs hat sie gehofft, ihr empfänglicher Körper würde ihn verlocken, länger zu bleiben. Die Stadt ist voll von Geschichten über Ehemänner, die früh aufstehen, um ihre Mätressen zu besuchen, und er gilt als einer, der das Leben zu genießen weiß. Aber selbst wenn es wahr ist, kann sie nichts dagegen tun, nicht zuletzt deswegen, weil ihr Mann, wohin immer er auch gehen mag, in Gedanken bereits fort ist, noch ehe er durch die Tür tritt.

In Wahrheit verlässt Niccolò Machiavelli das warme eheliche Bett nicht wegen einer anderen Frau (dafür ist am Abend, bevor er nach Hause geht, immer noch genügend Zeit), sondern weil es sein Vergnügen wie auch seine Pflicht ist, die Nachrichten, die am späten Abend zuvor und am frühen Morgen eingetroffen sind, als einer der Ersten zu lesen.

Nachdem ausnahmsweise einmal ein bisschen Schnee gefallen war, ist es frostig kalt geworden, der Boden unter seinen Füßen knirscht, als ginge er über ganz feine Tierknöchelchen. Sein Weg führt durch die Via Guicciardini auf der südlichen Seite der Stadt und weiter über den Ponte Vecchio. Auf der Brücke wird bei den Verkaufsständen der Metzger gerade frisches Fleisch abgeladen. Durch die offenen Läden sieht man hinunter auf den Arno, dessen Wasser im Licht der aufgehenden Sonne silbern-orange schimmert. Ein streunender Hund, der seinen Weg kreuzt, schnappt sich einen Knochen von einem der Karren. Es trägt ihm einen Tritt in die Rippen ein, aber seine Zähne lassen seine Beute nicht los. Opportunistischer Aasfresser, denkt Machiavelli nicht ohne einen gewissen Respekt. Das Land ist voll von ihnen — nur tragen die meisten dieser Typen einen Federhut auf dem Kopf und einen Degen an der Seite. Es ist kaum drei Wochen her, da hat der Neffe eines der führenden Männer von Fermo seinen Onkel und andere Honoratioren zu einem Festmahl eingeladen und sie dann alle umbringen lassen, um die Macht über die Stadt an sich zu reißen. Als die Nachricht davon in Florenz eintraf, haben Machiavelli und seine Kollegen Wetten abgeschlossen, wie lange es dauern wird, bis das nächste Fest dieser Art stattfinden wird. Aber was die Erfolgsaussichten des neuen Herrschers von Fermo betrifft, so scheinen diese gar nicht schlecht zu sein, denn der Mann ist zwar ein Schurke, aber er ist auch ein Söldnerführer in Cesare Borgias Armee und somit ein Schurke mit mächtigen Verbündeten.

Auf der anderen Seite des Flusses geht er an der Kirche San Pier Scheraggio vorbei und gelangt auf die Piazza della Signoria, die von dem mit Zinnen bewehrten Palast der Regierung dominiert wird. Auf einem Sockel links vom Eingang steht eine Bronzestatue: die Figur zeigt Judith, die ruhig und konzentriert ihr Schwert erhoben hat, um Holofernes, der ängstlich verkrümmt zu ihren Füßen sitzt, die Kehle durchzuschneiden. In der Regierung gibt es einige, die es beklommen macht, jeden Tag von einer Frau begrüßt zu werden, die einen Mann hinrichtet, aber die Botschaft dieser Judith ist eine andere. Die von Donatello geschaffene Statue, die vor acht Jahren nach der Vertreibung der Medici aus deren Palast hierhergebracht wurde, erinnert den Betrachter drastisch daran, dass die Republik Florenz nie wieder die Alleinherrschaft einer einzelnen Familie dulden wird.

Er schickt Judith einen stummen Gruß. Ach, die Kluft zwischen dem Ideal und der Realität ist in der Politik so tief, dass den meisten davon schwindlig wird. Wenn die alttestamentarische Heldin aufblicken würde, sähe sie vor sich die Stelle auf dem Platz, wo man den Dominikaner Savonarola verbrannt hat, einen Mann, der in seinem fanatischen religiösen Eifer eine Diktatur ganz anderer Art errichtet hatte. Jedes Mal wenn Machiavelli an einer Taverne vorbeigeht, in der eine unaufmerksame Köchin das Fleisch hat anbrennen lassen, erinnert der Geruch ihn an jenen Tag, als er hier auf dem Platz in der Menge stand und den Hals reckte, um über die Schultern der Menschen vor ihm schauen zu können. Er war noch nie dabei gewesen, wenn jemand öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde — die Florentiner haben für solch barbarische Spektakel wenig übrig —, und Savonarola war erwürgt worden, bevor man die Reisigbündel anzündete, aber es hat Machiavelli trotzdem den Magen umgedreht. Die Menge war unheimlich still. Er hat sich gezwungen, bis zum bitteren Ende dazubleiben, und hat zugesehen, wie die Soldaten, als es vorbei war, Asche und Knochen aufsammelten, um sie in den Arno zu werfen, damit nichts übrigblieb, was als Reliquie verwendet werden konnte.

Ihm war klar, dass es keine leichte Aufgabe sein würde, nach so viel Irrsinn wieder eine funktionierende Republik aufzubauen. Und wenn er sich auch nach außen hin zuversichtlich gibt, dass es gelingen wird — schließlich bekleidet er ein hohes Amt im Staat —, so hat er doch insgeheim ernste Zweifel.

Durch eine Seitenpforte betritt er den Palazzo, wechselt ein paar scherzhafte Worte mit einem verschlafen dreinblickenden Wachposten und steigt dann eine gewundene Treppe hinauf zu den Sälen und Dienstzimmern im zweiten Obergeschoss. Sein Schreibtisch steht in einem Vorzimmer des großen Versammlungssaals, der mit viel Gold und Lilienornamenten prächtig verziert ist. Es ist hier fast genauso kalt wie draußen. Wenn die gewählten Mitglieder des Rats sich versammeln, werden Feuer angezündet und Kohlebecken aufgestellt, aber Machiavelli hat in seinem Dienstzimmer keine Heizung, sondern nur eine Wärmflasche aus Ton, die er mit heißem Wasser befüllen muss, damit seine Füße nicht zu Eis erstarren. Er verschiebt es auf später: Sobald er die Siegel der Depeschen, die heute angekommen sind, gebrochen hat, wird er die Kälte vergessen, zumindest für eine Weile.

Als Sekretär des Rats der Zehn für Frieden und Freiheit muss er ein immer aktuelles Bild von Italien im Kopf haben, muss jede Verschiebung und Veränderung in der politischen Landschaft bemerken. Solche Dinge haben ihn immer schon fasziniert. Er war gerade dreizehn, als sein Vater eine frisch gedruckte Ausgabe der Römischen Geschichte des Livius vor ihn hinlegte, ein Buch, das als die erste große Liebe seines Lebens seine Sicht der Welt prägen sollte.

»Das ist das Wertvollste, was es in diesem Haus gibt. Wenn es brennt, musst du selbst zusehen, dass du mit dem Leben davonkommst, denn ich werde zuerst das hier retten.« Von dieser Art war der trockene Humor seines Vaters gewesen.

Manchmal fragt sich Machiavelli, was Livius wohl von dem modernen Italien halten würde. Er selbst sieht im Geist die Halbinsel als einen großen Stiefel von den Alpen herabhängen, das Leder gefleckt und verblichen im Lauf der Geschichte und ihrer Widrigkeiten. Den Norden hält, zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts, eine französische Armee besetzt; sie beherrscht Mailand und wirft einen dunklen Schatten über ein Dutzend kleinerer Staaten in der Nachbarschaft. An der Adria ist Venedig vollauf damit beschäftigt, seinen Reichtum zu mehren und sich mit den Türken herumzuschlagen, während der wilde Süden, von einigen alten Festungen der Franzosen einmal abgesehen, in spanischer Hand ist.

Aber am meisten hätte Livius sicher das interessiert, was sich in der Mitte abspielte.

Die Geschwindigkeit und die wilde Entschlossenheit, mit der die Familie Borgia aufgestiegen ist, hat alle überrascht. Es hat natürlich auch früher schon skrupellose Päpste in Rom gegeben, die in aller Heimlichkeit ihren »Neffen« oder »Nichten« zu Reichtum und Macht verhalfen, aber das hier ist etwas anderes. Papst Alexander VI. benutzt ganz offen seine illegitimen Kinder als Werkzeuge, um eine neue dynastische Macht zu schaffen. Sein ältester Sohn Cesare, früher Kardinal, marschiert jetzt an der Spitze einer Söldnerarmee durch Italien und nimmt eine ganze Reihe von Stadtstaaten in Besitz, die von alters her der Kirche gehörten. Und seine skandalumwitterte Tochter Lucrezia hat der Pontifex schon mehrmals auf dem Heiratsmarkt verhökert.

Zwei der Depeschen, die heute Morgen eingetroffen sind, enthalten Nachrichten über die Fortschritte, die die Borgia machen. Die Tochter des Papstes befindet sich mit einem Gefolge, das so zahlreich ist wie eine kleine Armee, auf der Reise durch halb Italien zu ihrem dritten Ehemann, dem Erbprinzen von Ferrara, während der Papst und sein Sohn, die ihre jüngsten Eroberungen Piombino und Elba besucht haben, per Schiff zurück nach Rom aufgebrochen sind. Wann werden sie dort ankommen? Wenn der Wind ihnen günstig ist, werden Vater und Sohn schneller reisen, als es auf den winterlichen Straßen möglich wäre, wenn auch Machiavelli für seinen Teil den Landweg vorziehen würde. Wie auch immer — die Toskana kann aufatmen, denn offenbar hat Cesare Borgia fürs Erste nicht vor, mit seinen Truppen dort einzumarschieren.

Während Machiavelli die aktuellen Nachrichten in einem kurzen Bericht zusammenfasst, dringt durch die vereisten Fensterscheiben der Schall der Glocken von Santa Maria del Fiore herein, die den Tag einläuten. Seine Gedanken schweifen kurz ab zu der Werkstatt beim Dom, in der ein Bildhauer seit neun Monaten an einem Marmorblock meißelt. Der Mann heißt Michelangelo Buonarroti und hat den Auftrag bekommen, eine Figur des David zu schaffen, die an der Fassade der Kathedrale angebracht werden soll. Bis jetzt hat niemand seine Arbeit besichtigen dürfen, aber es wird davon geredet, dass die Statue ungeheuer groß und schön werden soll. Nun ja, man wird sehen, ob dieser David groß genug sein wird, um die Stadt vor dem Goliath Borgia zu schützen.

Als die letzten Glockenschläge verhallen, klingen von irgendwo in der Nähe mehrere heiser gepresste Schreie an Machiavellis Ohr. Ein Paar, das sich immer noch im Bett wälzt? Eine Messerstecherei am frühen Morgen? Er lächelt. Das sind die Geräusche seiner geliebten Heimatstadt, ja, die Geräusche ganz Italiens.

Winter1501/1502

Es gibt kein Laster oder Verbrechen, das im Vatikan nicht ganz offen praktiziert würde. Der Papst ist ein Abgrund der Gräuel, ein Übeltäter, der alles Recht umstürzt … Alle fürchten ihn und seinen Sohn Cesare, der von einem Kardinal zu einem Mörder geworden ist, der Männer töten und in den Tiber werfen lässt und sich an ihrem Besitz bereichert.

Aus einem anonymen Brief,der im Dezember 1501 in Rom zirkulierte

Erstes Kapitel

Es ist später Nachmittag, und die päpstlichen Galeeren dümpeln in einer Flaute unter einem wolkenlos blauen Himmel. Sie sind bei Tagesanbruch in Piombino in See gestochen, angetrieben von einem mäßigen Wind, der allerdings unstet war und endlich ganz zum Erliegen kam. Backbord ist die Küste als dunkle Linie am Horizont zu erkennen. Die zwei Schiffe sind nur einen Pfeilschuss weit voneinander entfernt, das von Papst Alexander hinten, das Cesares, des Herzogs von Valentinois, vorn.

Trotz der beißenden Kälte vergnügt sich Alexander, der in Pelze eingehüllt an Deck steht, bestens. Es war eine wunderbare Reise; der Papst ist von seinem Volk herzlich aufgenommen worden, von Einsiedlermönchen mit stinkendem Atem ebenso wie von hübschen Frauen, die den Saum seines Gewands küssten und wie gebannt seinen Worten lauschten. Er wäre gerne noch länger geblieben, aber Cesare drängt wie immer zur Eile. Alexander hätte nichts dagegen, noch einmal die Sonne im Meer untergehen zu sehen, wenn auch das Schauspiel wohl kaum so prächtig ausfallen würde wie vor fünf Tagen, als sie in Piombino ankamen. Obwohl er sein Leben zumeist in schlecht beleuchteten Räumen damit zugebracht hat, Kirchenpolitik zu machen, hat dieser Bär von einem Mann sich die Fähigkeit bewahrt, zu staunen angesichts der Wunder der Natur, und er hat fasziniert beobachtet, wie die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, eine ungeheure rotglühende Metallscheibe, die von einem gigantischen Magneten angezogen wurde. Es hat ihn entzückt, zu welchem Überschwang an Poesie er imstande war. Er sollte öfter verreisen. Selbst der Fürst der Christenheit braucht hin und wieder ein bisschen Erholung von all den Pflichten, die so schwer auf ihm lasten.

Cesare auf der anderen Galeere ist weniger gut gelaunt. Der am meisten gefürchtete Krieger Italiens fühlt sich auf dem Wasser nicht wohl. Wenn das Wetter ruhig ist, macht ihm die unendliche Leere des Meeres zu schaffen, und wenn der Wind auffrischt, sodass der Boden unter seinen Füßen heftig zu schwanken beginnt, dreht sich ihm der Magen um. Es ist demütigend, wenn man seinen eigenen Eingeweiden ausgeliefert ist, und das Gefühl der Kränkung kann leicht in Aggression umschlagen. Er braucht den Kitzel der Gefahr, der ihn von dem Aufruhr in seinen Innereien ablenkt.

Er geht hinüber auf die andere Seite des Decks, wo der Kapitän steht und den Himmel im Westen beobachtet. Er stellt sich neben ihn, breitbeinig, eine Hand an der Reling — er imitiert die Haltung des Seemanns, aber das ist ihm nicht bewusst. »Was seht Ihr da?«, fragt er.

»Nichts, Herr. Nur das Wetter.« Der Mann ist braun gebrannt und hat pechschwarze Locken, eine Gestalt wie aus indischem Ebenholz geschnitzt. Wenn er nicht das päpstliche Wappen auf dem Rücken trüge, könnte man ihn für irgendeinen heidnischen Wilden halten.

»Was für ein Wetter? Da rührt sich nichts. Wenn es so weitergeht, liegen wir die ganze Nacht lang hier fest. Warum lasst Ihr nicht rudern?«

»Die Leute sind erschöpft. Sie brauchen eine Pause.« Der Kapitän blickt unverwandt zum Horizont.

Die Luft ist unbewegt, nicht der leiseste Windhauch. Träge klatschen Wellen gegen die Bordwand, ansonsten ist es so ruhig, als stünde die Welt still. Cesare schweigt, späht mit verkniffenen Augen hinaus ins endlose Nichts. Er hat eine solche Stille an Land nur in den Momenten unmittelbar vor der Schlacht erlebt, wo alles darauf wartet, dass die ersten Kanonen feuern. Könnte es sein, dass irgendwo dort draußen außerhalb seiner Sichtweite Segel sind? Ist es das, was der Kapitän sieht?

In den letzten Tagen hat er oft an Piraten gedacht. An Geschichten, die man in Piombino und auf Elba erzählt. Die Bewohner seiner neuen Territorien leben in ständiger Angst vor Ungläubigen, die ganz plötzlich vom Meer her einfallen, Dörfer überrennen, die Männer niedermachen und die schreienden Frauen und Kinder auf ihre Schiffe schleppen. Jahre später kann es dann passieren, dass eines dieser entführten Kinder auf dem Sklavenmarkt in Venedig verkauft wird und in einen christlichen Haushalt kommt, wo es durch den Nebel der Zeit ein Wiegenlied wiedererkennt, das eine Mutter singt, oder die Worte des Vaterunsers, obwohl diese bedauernswerten Wesen in den Jahren ihrer Gefangenschaft bei den Heiden ihre Herkunft und ihren wahren Glauben schon längst vergessen hatten. Wenn die Leute solche Geschichten erzählten, traten immer Tränen in die Augen seines Vaters, Cesare dagegen schwelgte in wilden Rachephantasien.

Mein Gott, wenn sie nur kämen! Er würde ihnen die türkischen Bäuche aufschlitzen, ihre Schiffe mit brennenden Segeln heim nach Konstantinopel schicken. Wenn ihre Galeeren jetzt am Horizont auftauchten, würde er diesen Heiden zeigen, was eine Handvoll christlicher Krieger kann. Er hat sich die Geschütze, die hier stehen, genau angesehen, kennt ihre Reichweite und Feuerkraft und hat sich auch schon in Gesprächen mit der Besatzung vergewissert, dass sie damit umzugehen weiß. Er würde zu gerne sehen, was passiert, wenn so eine Kanonenkugel in den Rumpf eines feindlichen Schiffs einschlägt. Hat nicht sein Namensvetter Caesar eine ganze ägyptische Flotte angegriffen und versenkt? Oder war das der Kaiser Augustus? In letzter Zeit bringt er manchmal historische Ereignisse durcheinander, so als würde ihm ein bisschen schwindlig von dem rasenden Tempo, in dem er seinen eigenen Mythos schafft.

»Ist mit Piraten zu rechnen?«

»Es besteht keine Gefahr, Hoheit. Die päpstlichen Galeeren sind so schnell, dass nichts und niemand sie einholen kann, wenn die Männer an den Rudern sich ins Zeug legen.«

»Ihr meint: Wir würden uns nicht zum Kampf stellen?«

»Nein.«

»Ihr habt Angst vor ein paar Ungläubigen?«

»Es geht nicht darum, ob wir Angst haben oder nicht, Herr«, sagt der Mann gleichmütig. Es fällt ihm schwer, zu verbergen, wie sehr es ihm missfällt, dass dieser junge besserwisserische Bastard des Papstes sich anmaßt, ihm ins Handwerk zu pfuschen. »Es geht nur darum, dass wir unsere kostbare Fracht heil ans Ziel bringen.«

Eine Kakerlake huscht nahe bei ihren Füßen übers Deck. Cesare, ein Meister in der Kunst, aus Komplimenten die darin versteckte Kritik herauszuhören, macht einen flinken Ausfallschritt und genießt das befriedigende Knacken unter seiner Sohle.

»Warum fahrt Ihr nicht näher ans Ufer und lasst mich mit dem Beiboot an Land übersetzen? Corneto muss ganz in der Nähe liegen. Dort kann ich Pferde für mich und meine Männer bekommen, sodass wir nach Rom reiten können.«

»Das ist gefährlich, Hoheit. Es gibt hier verborgene Riffe. Das Schiff könnte auf eines getrieben werden.«

»Aber wie könnte das passieren? Die See ist spiegelglatt, und es weht kein Wind.«

»Ja, im Moment.« Der Kapitän blickt jetzt auch auf das Deck, wo eine zweite Kakerlake aufgetaucht ist. »Aber in dieser Gegend kann sich das sehr schnell ändern.« Noch eine Kakerlake krabbelt über die Planken und noch eine.

»Das Ungeziefer hier ist ganz schön munter«, knurrt Cesare gereizt. »Oder vielleicht haben sie die Warterei auch satt.«

Der Kapitän geht nicht darauf ein. Er blickt wieder zum Horizont, dann dreht er sich abrupt um und geht eilig weg.

Spürt er, der das Meer besser kennt als den Körper einer geliebten Frau, es bereits? Was hat er bemerkt? Einen bestimmten Geruch in der Luft? Eine Bewegung des Wassers in der Ferne, eine Art Muskelzucken? Oder vielleicht haben es ihm auch die Kakerlaken verraten, denn Gott hat den am meisten verachteten Geschöpfen oft besondere Gaben verliehen.

Was immer es sein mag, er weiß, dass er ihm mit dieser Rudermannschaft nicht entkommen wird. Solche Galeerensklaven hat er noch nie gehabt, lauter ausgemergelte Elendsgestalten. Er gibt dem Mann im Ausguck Anweisung, eine Signalflagge zu setzen. Das Schiff hinter ihnen soll den Abstand verringern. Es ist sicherer, wenn sie näher beisammen sind.

Alexander spürt den Ruck, der durchs Schiff geht, als die Männer auf den Ruderbänken die Riemen eintauchen und durchziehen. In Gedanken war er bei seiner Tochter, die durch Italien reist, von einer Stadt zur nächsten, und überall mit ihrem Lächeln die Menschen bezaubert. Seine süße Lucrezia. Es ist erst ein paar Wochen her, dass sie voneinander Abschied genommen haben, aber sie fehlt ihm bereits schmerzlich. Mein Gott, ihr Ehemann soll ja zusehen, dass er sie gut behandelt, sonst schickt Alexander ein Heer, sie zurückzuholen.

Die Galeere nimmt Fahrt auf, und er blickt hinunter auf die Ruderer. Von seinem Platz auf dem erhöhten Deck aus kann er gesenkte Köpfe und Schultern sehen, er hört die Leute ächzen, ihm ist fast, als spürte er selbst, wie ihre Muskeln sich anspannen. Die Schiffe lagen im Trockendock, als die Entscheidung fiel, auf dem Seeweg nach Piombino und wieder zurück zu reisen — Cesare hat es so gewollt, aus einer Laune heraus, wie so oft —, und der Zeremonienmeister hatte alle Mühe, in den Gefängnissen Roms die nötige Rudermannschaft aufzutreiben. Arme Kerle. So eine brutale Schinderei, bei der man sich selbst die Arme aus den Gelenken reißt, sollte man eigentlich nicht einmal Sträflingen, die ihrem Papst dienen, zumuten. Er wird ihnen seinen Segen spenden, wenn es vorbei ist. Er, der keine Skrupel kennt, wenn es darum geht, aus Kardinälen Geld herauszupressen, hatte immer schon ein Herz für die Armen und Schwachen.

Aber jetzt ist nicht der Moment, zartfühlenden Regungen nachzugeben. Er spürt einen Windstoß im Gesicht und blickt auf. Im Westen, wo vorher nichts als blauer Himmel war, steigt ein bedrohlich finsteres Wolkenband auf. Es kommt rasend schnell näher, breitet sich aus, er kann zusehen, wie es die tiefstehende Wintersonne verschluckt. Die Temperatur fällt, das Wasser ist jetzt eisengrau, der immer heftigere Wind peitscht es auf. Der Seegang wird stärker, die Galeere beginnt unter den Füßen des Papstes zu schlingern. Er sucht Halt an der Reling. Wie schnell das Wetter umgeschlagen ist! Als bliese Neptun seine Backen auf und schickte mit einem einzigen Atemstoß einen veritablen Sturm über die Welt.

Die Kapläne kommen angerannt, um ihn ins Deckshaus zu bringen, als der Regen einsetzt, dicke schwere Tropfen. Über ihren Köpfen zerreißt ein gezackter Blitz den Himmel. Er fasst den Handlauf der Reling fester. Es ist nicht der erste Sturm auf See, den er erlebt, er weiß, was die entfesselte Gewalt der Elemente anrichten kann. Vor zwanzig Jahren — nein, es muss schon dreißig Jahre her sein —, als er päpstlicher Legat war und von einer Reise nach Spanien zurückkehrte, geriet seine Flotte in ebendiesen Gewässern in ein Unwetter. Das Meer tobte und kochte, und er musste hilflos zusehen, wie ein Begleitschiff auf die Küste zugetrieben wurde, auf ein Unterwasserriff auflief und auf den Felsen zerschmettert wurde, als wäre es nur ein Bündel Kleinholz. Noch Monate danach hörte er in seinen Träumen das Heulen des Sturms und die verzweifelten Schreie der Ertrinkenden. Eine ganze Anzahl Prälaten und Edelleute gingen an diesem Tag zum Herrn ein, mögen sie ruhen in Frieden. Alexander kann noch heute die Namen der meisten aufzählen, und auch einige Gesichter sind ihm in Erinnerung geblieben. Cesares verfluchte Ungeduld!, denkt er. Sie ist die Krankheit der Jugend, die nicht weiß, dass Schnelligkeit keine Strategie ist. Er hätte Cesares Drängen, nach Rom zurückzukehren, nicht nachgeben sollen. Es hätte nichts geschadet, wenn sie noch einen Tag länger in Piombino geblieben wären.

»Bringt Eure Leute unter Deck«, schreit der Kapitän Cesare zu. »Sie stehen hier nur der Besatzung im Weg.«

»Habe ich es nicht gleich gesagt, dass wir rudern sollten? Wir könnten schon auf halbem Weg nach Rom sein«, faucht Cesare. »Wie lange wird das dauern?«

»So lange, wie Gott will«, murmelt der Kapitän und bekreuzigt sich.

Lucrezia in ihrem Zimmer im Palast von Urbino tun die Füße weh. Ihre Sohlen brennen bei jedem Schritt, und selbst nachts, wenn sie im Bett liegt, hat sie noch das Gefühl, ihre Zehen würden brutal zusammengedrückt. An den Schmerzen sind nicht allein die Zwänge der Mode schuld: Die Schuhe ihrer Aussteuer, siebenundzwanzig Paar aus feinstem spanischen Leder, parfümiert, vergoldet, mit Edelsteinen verziert, wurden nach einem Leisten ihrer Füße in Valencia angefertigt und kamen so spät in Rom an, dass keine Zeit blieb, sie anzuprobieren und anzupassen.

Es wäre besser, wenn sie weniger tanzen würde. Aber wie könnte sie der Verlockung widerstehen? Sie, die es so sehr genießt, allabendlich bei den Festen übers Parkett zu gleiten und zu wirbeln, so lange, bis alle anderen schließlich ihrer Bewunderung dadurch Ausdruck verleihen, dass sie Seitenstechen vortäuschen und aufgeben, um deutlich zu machen, dass sie mit so viel Grazie und Ausdauer nicht mithalten können. Nein, Lucrezia Borgia kann nicht aufs Tanzen verzichten, es ist ihre ganze Lebensfreude. Und überdies wird es auch von ihr erwartet.

Vielleicht wäre es leichter, wenn die Wegstrecken zwischen den Festlichkeiten kürzer wären. In den zwölf Tagen, die seit der Abreise aus Rom vergangen sind, haben sie in fast ebenso vielen Städten Station gemacht, und sie haben erst den halben Weg bis nach Ferrara zurückgelegt. Selbst bei gutem Wetter wäre das, was sie sich da zumutet, noch strapaziös, denn es ist eigentlich nicht so sehr eine Reise als vielmehr eine Art Feldzug: Die Tochter des Papstes erobert Stadt für Stadt mit den Waffen ihres Charmes. Am Anfang hat sie, in Pelze gehüllt, tapfer den eisigen Temperaturen getrotzt. Es schneite, und trotzdem liefen die Leute überall in Scharen zusammen, um sie zu sehen, und sie hat ihnen zugewinkt und unermüdlich gelächelt. Wenn diese Menschen die Kälte aushielten, konnte sie es auch. Aber dann trat Regen an die Stelle des Schnees, scheußlicher Schlamm bedeckte die Straßen, und darum sucht sie jetzt meistens Zuflucht in ihrer Sänfte. Auf flachen Etappen ist das leidlich komfortabel, aber auf den steilen, gewundenen Pfaden in den Apenninen und in Städten wie Gubbio und Urbino wird sie so heftig durchgeschüttelt, dass ihr alle Knochen weh tun.

Sie macht es sich in den Kissen und Polstern am Fenster ihres Schlafzimmers bequem. Im Kamin brennt ein Feuer, an den Wänden hängen Gobelins. Es ist köstlich, es endlich wieder warm zu haben. Draußen hört sie Diener rumoren, die Kisten und anderes Gepäck herumtragen. Es dauert jedes Mal eine halbe Ewigkeit, bis all die Sachen, die auf diesem Heerzug mitgeführt werden, ausgeladen und verstaut sind. Die Unterkunft heute ist ungewöhnlich großartig. Der Palast von Urbino ist in ganz Italien für seine Kunstschätze berühmt. Es wird ihnen wenig Zeit bleiben, sie zu bewundern, denkt sie und seufzt. Kaum hat man die Kisten und Truhen geöffnet, muss man schon wieder alles zusammenpacken und verladen, und dieser Abend wird schon bald mit allen anderen zu einer einzigen Orgie von Höflichkeiten verschwimmen: Geschenke, Verbeugungen, Küsse, Nettigkeiten, Komplimente, Tanz. Sie spürt ein Stechen in den Füßen, wenn sie nur daran denkt. Sie sehnt sich danach, wieder einmal ausschlafen zu können, ein paar Stunden Muße zu haben, um ein Buch zu lesen oder sich die Haare zu waschen, allein zu sein, missgelaunt vielleicht oder sogar traurig, aber jedenfalls von niemandem belästigt.

Über dem marmornen Kamin verläuft ein Fries mit fröhlich tanzenden nackten Putti, die Tamburine und goldene Hörner in den Händen halten. Es ist ein Wunder, wie man aus Stein so rundlich weiches Fleisch formen kann. Bevor sie Rodrigo zur Welt gebracht hat, hat sie solche Geschöpfe kaum wahrgenommen — jetzt sieht sie überall Babys und Putti. Sicher hat der Bildhauer selbst Kinder gehabt, sonst hätte er diesen Figuren nicht so individuelles Leben einhauchen können. Sie stellt sich vor, dass sie einen davon auf dem Schoß hält. Er hat seine pummeligen Ärmchen um ihren Hals geschlungen, seine marmorne Haut ist weich und warm. Unwillkürlich beugt sie sich vor, um an seiner Kopfhaut zu schnuppern, die schon so erstaunlich dicht mit lockigem Haar bewachsen ist. Mit blondem Haar, obwohl sein Vater dunkelhaarig ist.

»Madonna Lucrezia? Störe ich?«

»Nein, nein, Signor Pozzi.« Sie wischt den phantasierten Kinderkörper von ihrem Schoß und kehrt in die Realität zurück. »Ich genieße es, von so viel Schönheit umgeben zu sein. Ich verstehe gar nicht, warum wir nicht länger hierbleiben. Der Herzog und die Herzogin sind so großzügig in ihrer Gastfreundlichkeit: Sie stellen uns ihren eigenen Palast zur Verfügung. Es kommt mir fast unhöflich vor, wenn wir morgen schon wieder abreisen.«

Der Gesandte von Ferrara tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. Er wäre froh, wenn er dieses Gespräch schon hinter sich gebracht hätte.

»Hoheit, ich versichere Euch, sie verstehen sehr wohl die Notwendigkeiten, welche die gegebenen Umstände uns auferlegen. Wir haben noch viele Meilen vor uns, und das Datum Eurer Vermählung —«

»Oh, ich kenne das Datum so gut wie Ihr, glaubt mir. Es ist in meinem Herzen eingeschrieben, und ich fiebere dem Moment entgegen, da ich endlich meinen lieben Gatten kennenlernen darf.« Und in ihrer Stimme klingt eine solch innige Sehnsucht, dass niemand an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln könnte. »Aber« — sie macht eine Pause — »damit ich seine Erwartungen erfüllen kann, muss ich Gelegenheit bekommen, auch einmal Atem zu schöpfen, bevor ich ihm gegenübertrete.«

Gian Luca Pozzi, dieser mit allen Wassern gewaschene Diplomat, wird von Lucrezias Hofdamen auch »Der Storch« genannt, weil seine Beine so unnatürlich lang sind. Er hat in den vergangenen Monaten Lucrezia aus nächster Nähe beobachtet, ihre Eignung, in das Haus Este einzuheiraten, geprüft und seinem Herrn, dem Herzog von Ferrara, darüber berichtet. Jetzt muss er dafür sorgen, dass sie rechtzeitig zum Hochzeitstermin in Ferrara eintrifft.

»Und zudem ist zu bedenken«, fährt sie fort, »dass Urbino nicht allein meiner neuen Familie in Ferrara durch eine Heirat verbunden ist, sondern auch enge Beziehungen mit Seiner Heiligkeit Papst Alexander unterhält. Darum glaube ich, dass meine beiden Väter es für politisch klug halten würden, wenn wir unseren Besuch der Stadt etwas ausdehnten, meint Ihr nicht?«

Der Gesandte kaut an seiner Unterlippe. Wenn diese zierliche junge Dame, die oft den Anschein erweckt, als würde sie sich keine anderen Gedanken machen als darüber, was sie als Nächstes anziehen soll, den Papst ins Spiel bringt, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass sie nicht so leicht aufgeben wird. Der Regen trommelt nervös gegen die Fensterscheiben. Urbino ist berühmt für seinen modernen Komfort — nicht auf allen Stationen der Reise wurde der Reisegesellschaft eine so behagliche Unterkunft geboten. Überall im Palast hängen die Leute ihre nassen Sachen zum Trocknen auf und richten sich ein, als rechneten sie fest damit, dass sie länger hierbleiben werden.

»Hoheit, meine Liebe, ich bitte Euch, Ihr müsst —«

»Und« — ihre Stimme klingt immer noch sanft und heiter, wenn auch eine Spur lauter — »Ihr habt sicher gemerkt, dass einige meiner Hofdamen mit Schnupfen und Fieber zu kämpfen haben. Angela ging es heute Morgen so schlecht, dass wir ernstlich überlegten, ob wir sie nicht zurücklassen müssen. Und wenn auch ich krank werden würde … ich weiß nicht, ob Herzog Ercole es Euch jemals verzeihen könnte, wenn ich vollkommen geschwächt und elend in Ferrara ankäme.«

Pozzi lächelt verkniffen. Er weiß, dass sein Herr es ihm ganz bestimmt nicht verzeihen würde, wenn sie zu spät in Ferrara ankäme, denn der Hochzeitstermin wurde vor sechs Monaten nach aufwendigen astrologischen Berechnungen festgelegt, und die höchsten Herrschaften aus halb Italien sind bereits unterwegs, um an den Festlichkeiten teilzunehmen. Und was Madonna Lucrezias Gesundheit angeht, so könnte er ihr durchaus einige Empfehlungen geben, etwa die, weniger zu tanzen und weniger Zeit für die tägliche Toilette zu verwenden und mehr zu schlafen. Aber das würde nichts nützen. Der Papst hat unmissverständlich klargemacht, dass er, nachdem er ein Vermögen ausgegeben hat, um seine Tochter zu verheiraten, nun auch etwas für sein Geld haben will: Diese Reise soll ein Triumphzug sein, der Italien in der Person Lucrezias die ganze Pracht und Herrlichkeit der Borgia vor Augen führt.

Sie wird die in sie gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen, dessen ist sich Pozzi sicher. Es mag Frauen in Italien geben, die noch schöner sind, aber sie besitzt eine Anmut und Lebhaftigkeit — besonders wenn sie tanzt, so schwerelos, als berührten ihre Füße kaum den Boden —, die jeden, der sie sieht, in ihren Bann ziehen.

Wie viele andere hatte er, als er an den päpstlichen Hof kam, unter dem Eindruck dessen, was alles geklatscht wurde, erwartet, eine eitle Teufelin vorzufinden, getrieben von Wollust und Grausamkeit. Aber schon nach wenigen Wochen haben seine Berichte lauter Beschreibungen ihres angenehmen, bescheidenen Wesens enthalten. Erst später stieß er auf den harten Kern in der weichen Schale. Aber Ferrara hat schon seit Jahren keine Herzogin mehr, und möglicherweise hatte er ganz vergessen, wie listig kluge Frauen sein können und wie hartnäckig sie bei aller Sanftmut ihre Ziele verfolgen. Wenn die Dame nun einmal nicht nachgeben will, was soll er machen? Er hebt zum Zeichen der Kapitulation die Hände.

»Ausgezeichnet.« Sie strahlt und sieht plötzlich noch jünger aus als einundzwanzig. »Wir werden übermorgen gut erholt die Reise fortsetzen. Die Abgesandten meines Bruders werden uns in seine Städte und anschließend nach Bologna führen, von wo aus wir dann auf dem Wasser weiterreisen. Das wird bequemer für uns alle sein, und« — hier nimmt ihre Stimme einen leicht koketten Ton an — »wenn Ihr mich erst mal auf dem Schiff habt, könnt Ihr endgültig sicher sein, dass ich Euch nicht mehr entkommen kann, nicht wahr?«

Er verbeugt sich — sein Lächeln ist ebenso professionell wie sein Stirnrunzeln. Er hat den Text der Depesche, die er heute abschicken wird, schon im Kopf: In den Schlachten der Diplomatie darf man keinen Fußbreit Boden kampflos preisgeben, aber selbst schwerste Niederlagen müssen nicht bedeuten, dass der Krieg verloren ist.

Er ist kaum aus der Tür, da ist sie schon aufgesprungen und ruft nach ihren Hofdamen: »Angela, Nicola, Camilla … lasst alles stehen und liegen. Der Palast von Urbino wartet auf uns!«

Vor der toskanischen Küste sind die beiden Galeeren Spielzeug des Sturms, besonders hart trifft es die des Papstes, die sich weiter draußen befindet. Dichter Regen fegt fast waagrecht durch die Luft, turmhohe Wellen ergießen ihre Fluten über das Deck. Immer wieder wird das Schiff vorwärtsgerissen, steigt einen Wellenberg hinauf bis zum Gipfel, wo es eine Schrecksekunde lang stehen zu bleiben scheint, bevor es wieder abstürzt, mit einer solchen Wucht, dass man meint, der Rumpf müsste in lauter Splitter zerbersten. Dann kippt es plötzlich zur Seite, und alles, was nicht fest mit dem Schiff verbunden ist, rutscht von Steuerbord nach Backbord und anschließend wieder zurück. Das Deck ist eine Todesfalle: Wenn ein Mann ausrutscht, kann er sich nur noch dadurch retten, dass er sich an irgendetwas klammert, das Halt verspricht, und wenn er sich nicht mit eisernem Griff festhält, wird die nächste Woge ihn über Bord spülen. Im Ruderdeck liegen die Sträflinge flach auf dem Boden, unter ihnen die Ruder, die sie mit ihren Körpern sichern, denn in dem wild bewegten Schiff verwandelt sich jeder lose Gegenstand in eine Sturmramme oder eine fliegende Keule.

Den Seeleuten, die vor Landratten gerne mit ihren gefährlichen Abenteuern auf See prahlen, ist zu Mute, als wären auch die kühnsten Übertreibungen, die sie in Hafenkneipen zum Besten gegeben haben, plötzlich wahr geworden. Jeder Brecher, der hereinstürzt, bringt neue Gefahr: ein Stück von einem gerefften Segel oder irgendein Holzteil reißt sich los, und natürlich muss man Wasser schöpfen und pumpen. Es ist eine alte Art der Folter: Man steckt einen Gefangenen in ein Loch, in das ständig Wasser fließt, und so muss er immerfort schöpfen, wenn er nicht ertrinken will. Noch Jahre danach werden die Leute der Besatzung in ihren Albträumen Wasser schöpfen. Jedes Mal wenn wieder eine Welle kommt, schreien ein paar von ihnen entsetzt und verzweifelt auf, aber ihre Stimmen sind kaum zu hören im Tosen des Sturms und im Ächzen und Krachen des Holzes.

Und mittendrin in dem Toben sitzt im Deckshaus in Pelze eingehüllt der Heilige Vater aus Rom, Oberhirte der Christenheit, und singt Psalmen.

Die launische Göttin Fortuna entfaltet in solchen Momenten ihren ganzen Eigensinn. Wenn alles drunter und drüber geht, lässt sie mit Vorliebe Männer im Stich, die sich tagtäglich durch nichts als Güte und Tugend hervortun, und sie findet ein perverses Vergnügen daran, andere zu beschützen, die, selber erbarmungslos in ihrem ganzen Handeln, eine natürliche Seelengröße beweisen, wenn sie in das weit aufgesperrte Maul des Drachen blicken. Rodrigo Borgia gehörte immer zur Sorte der Letzteren. Als der Feind mit Kanonen vor den Mauern Roms anrückte, öffnete er die Tore und bat ihn herein. Nachdem ein Blitz in einen Kamin des Vatikanpalasts eingeschlagen hatte und die Decke über ihm eingestürzt war, saß er, während alle lauthals den Tod des Papstes beklagten, ganz ruhig und gefasst unter einem Berg von Schutt, bis man ihn ausgegraben hatte, unverletzt, weil sich durch eine wunderhafte Fügung zwei abstürzende Dachbalken knapp über seinem Kopf ineinander verkeilt und ihn so vor allem Schaden bewahrt hatten. Das verklärte Lächeln, das von seinem Gesicht strahlte, als man ihn herauszog, war wirklich sehenswert.

Und jetzt lächelt er wieder so, denn er ist mit der Konstitution eines alten Seebären gesegnet, und während andere in der Kabine sich die Seele aus dem Leib speien, geht er nun, da der Sturm am wildesten tobt, hinaus aufs Deck.

Cesares Galeere ist im Aufruhr der Elemente nirgends zu sehen, aber Alexander weiß, dass sie nicht weit sein kann. So viele Jahre hat er, gestützt auf die Kraft seines Sohnes und die Reize seiner Tochter, darauf hingearbeitet, einen Staat in Italien zu gründen, einen Staat der Borgia. Es ist unmöglich, dass sie jetzt nach allem, was sie erreicht haben, scheitern. Er könnte nicht eine solche Ruhe in sich spüren, wenn in diesem Moment Cesare von den Wellen verschlungen würde. So gerecht Gott auch immer sein mag — er kann nicht so grausam sein.

Der Kapitän, der, ein Tau um den Leib, am Steuerrad steht, sieht durch den Regen die massige Gestalt des Papstes. Mit Fuchteln und Schreien will er ihn dazu bewegen, zurück ins Deckshaus zu gehen, aber Alexander, flankiert von zwei Kaplänen, hebt nur lässig die Hand zum Segen. Zwei Seeleute in der Nähe bemerken ihn, werfen sich, bevor der nächste Brecher kommt, vor ihm nieder, fassen den Saum seines seidenen Gewands und bitten ihn, für sie zu beten. Er bedeutet den Kaplänen, ihnen aufzuhelfen, spendet ihnen seinen Segen und schließt dann die durchnässten Männer in seine Arme wie ein Vater seine Söhne.

Als die nächste Welle über das Schiff hereinstürzt, drängen die Kapläne den Papst gegen die Wand des Deckshauses, versuchen ihn so gut es geht mit ihren Körpern vor dem Schlimmsten zu schützen. Triefnass, aber fest auf seinen Füßen steht er da, als die Flut wieder abläuft. Die Leute der Besatzung, die ihn sehen, beten laut.

»Fürchtet euch nicht, meine Söhne«, ruft er mit dröhnender Stimme. »Der Herr zeigt sich denen, die er am meisten liebt, in der gewaltigen Majestät seiner Schöpfung. Ihr habt den höchsten seiner Diener an Bord, Gott wird euch nicht verlassen.«

Sie können kaum ein Wort davon verstehen, aber allein die Tatsache, dass er da ist, erfüllt sie mit ehrfürchtigem Staunen. Seeleute kennen die Stellen in der Bibel genau, wo Gott besonders zu ihnen spricht: Jonah findet Schutz im Bauch eines Wals, Moses befiehlt den Fluten, sich zu teilen, der Heiland selbst erwählt Fischer zu seinen Jüngern, beruhigt stürmische Wogen und wandelt auf dem Wasser.

Der Papst rezitiert den achtzehnten Psalm:

Herr, du mein Fels, meine Burg, mein Retter …

In meiner Not rief ich zum Herrn …

Die geübten Stimmen der Kapläne kommen der seinen zu Hilfe, und einen Moment lang finden die Verse der Heiligen Schrift eine Gasse durch das Heulen des Windes. Kann es sein, dass die Gewalt des Sturms ein bisschen nachgelassen hat?

… und schrie zu meinem Gott.

Aus seinem Heiligtum hörte er mein Rufen …

Die nächste Welle geht über sie hinweg, aber ihre Wucht scheint weniger heftig zu sein. Einige Seeleute, die die Worte des Psalms wiedererkannt haben, stimmen mit ein, sogar der Kapitän schreit gegen den Wind an.

Er griff aus der Höhe herab und fasste mich,

zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.

Kein Zweifel, der Regen lässt nach, das Schiff behauptet sich gegen die Wellen:

Er zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.

Das Schlimmste — es ist ein Wunder! — ist überstanden.

Lucrezia und ihre Hofdamen bewegen sich wie ein Schwarm bunter Vögel durch den Palast. Wenn einige von ihnen krank waren, so sind sie durch ein Wunder geheilt worden. Sie haben einen Ruhetag! Ihre Herrin hat ihn dem Storch abgerungen, was für ein Sieg. Sie laufen über marmorne Treppen, durch Dutzende von eleganten Sälen und Salons. In einem davon sitzen sie Wange an Wange mit gräulich phantastischen Fratzen, die in die Lehnen von steinernen Sesseln gehauen sind. In einem anderen bestaunen sie Bilder von Märtyrerinnen, die so exquisit gekleidet sind, als gingen sie nicht zu ihrer Hinrichtung, sondern zu einem Fest. In einem dritten stehen sie fasziniert vor einem Gemälde, das eine neue, ideale Stadt zeigt, Architektur mit vollkommenen Linien und Proportionen. Was sagt der Storch immer über Ferrara? Dass der alte Herzog eine ganze Stadt im modernen Stil geschaffen habe. »In einer solchen Umgebung werdet Ihr leben, Hoheit!«, ruft eine der Damen. »Wenn wir durch die Straßen spazieren, streifen unsere Röcke über lauter Marmor.«

Und sie lachen, denn sie lassen sich gern begeistern. Diese hübschen jungen Frauen sind alles, was Lucrezia von ihrem Leben in Rom bleibt. Sie sind allesamt von edler Geburt und ihrer Herrin treu ergeben, aber man hat bei der Auswahl derer, die gemeinsam mit Lucrezia in die Fremde geschickt werden sollten, auch Wert auf eine heitere Gemütsart gelegt. Einige von ihnen sind mit ihr aufgewachsen, haben sie durch Freud und Leid begleitet, andere kamen erst jetzt, da ein neues Kapitel in Lucrezias Leben beginnt, hinzu. Ihre Hofdamen sollen sie vor Heimweh schützen, und sie nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Später, als sie auf ihrer Besichtigungstour zu einem Bild der Muttergottes mit dem Kind kommen, dessen in die Ferne gerichteter Erwachsenenblick in sonderbarem Kontrast zu dem rundlich weichen Säuglingskörper steht, beobachten sie ihre Herrin aufmerksam. Woher kommt der eigenartige Glanz in ihren Augen? Ist sie hingerissen von der Schönheit des Gemäldes, oder hat es vielleicht eine schmerzliche Erinnerung in ihr wachgerufen?

»Hoheit, kommt her, kommt. Ist das nicht der hässlichste Mann, den Ihr in Eurem ganzen Leben gesehen habt?« Angela Borgia, eine entfernte Cousine, immer zu Spaß und Spott aufgelegt, ist neu in der Schar. Sie ist erst fünfzehn — was weiß sie von der Härte des Lebens? »Ich würde sofort wegrennen, wenn der in meine Nähe käme!«

»Pssst.« Lucrezia lächelt. Sie weiß, dass jeder Anflug von Niedergeschlagenheit oder Trauer ihre Hofdamen in Alarmstimmung versetzt. Darum ist es ihr manchmal lieber, allein zu sein. »Das Bild stellt den verstorbenen Vater unseres Gastgebers dar. Die Frau daneben ist seine Gemahlin.«

»Mag sein, aber das ändert nichts daran, dass er hässlich wie die Sünde ist. Schaut nur, sie wollte nicht einmal gemalt mit ihm zusammen sein.«

Tatsächlich: Der Mann und seine Ehefrau, beide im Profil dargestellt, starren einander über eine trennende Rahmenleiste hinweg kalt an. Ihr Gesicht ist nicht weiter bemerkenswert oder auffällig, seines dagegen sehr wohl: verkniffen und missgestaltet, ein vorspringendes Kinn, ein glotzendes Fischauge, eine Hakennase mit einer tiefen Kerbe an der Nasenwurzel, als wäre dort ein Stück herausgehackt worden. Normalerweise werden Künstler, die vornehme Herrschaften porträtieren, dazu angehalten, ihre Bilder schmeichelhaft zu gestalten, doch dieses Porträt ist von fast schockierender Wahrheitstreue.

»Aber Ihr habt recht, Madonna Lucrezia«, sagt Angela kichernd. »Jetzt sehe ich die Familienähnlichkeit. Wenn der regierende Herzog hier hereinkäme, wäre sein Kinn schon da, bevor er selbst durch die Tür träte — allerdings nur dann, wenn er es schaffte, in halbwegs gerader Haltung zu gehen statt wie ein wandelndes Fragezeichen.«

»Wenn es wahr ist, was die Leute reden, ist der krumme Rücken nicht sein einziges Gebrechen«, sagt eine andere.

»Was genau reden denn ›die Leute‹, Camilla?«

Die jungen Frauen wechseln hektische Blicke. Sie kennen diesen tadelnden Ton, den ihre Herrin anschlägt, aber sie sind in Rom aufgewachsen, wo Klatschen so normal wie Atmen ist, und können der Versuchung einfach nicht widerstehen.

»Der Herzog von Urbino kann nicht«, flüstert Angela theatralisch. »Er ist ein kastrierter Bock. Das stimmt doch, oder?« Sie sieht sich hilfesuchend um. Diese pikante Information ist neu, und sie möchte gerne, dass die anderen es bestätigen.

»Ja, wirklich, es ist wahr.«

Und jetzt reden sie alle wild durcheinander.

»Das hindert ihn allerdings nicht, es immer wieder zu probieren.«

»Offenbar weiß seine Frau nie, wann es über ihn kommt; plötzlich bespringt er sie wie ein Hund, und sie hat ihre liebe Not, ihn abzuschütteln.«

»Manchmal reibt er sich auch an ihrem Bein.«

»Nein, nein! Drusilla, Camilla, Angela, hört auf damit!« Lucrezia hält sich die Ohren zu, aber sie hat Mühe, ernst zu bleiben. Sie war selbst zu oft das Opfer bösartiger Verleumdungen, um jeden Klatsch, der erzählt wird, zu glauben. »Der Herzog ist ein Edelmann, und seine Frau Elisabetta eine vornehme Dame, kultiviert und bescheiden. Wir sind Gäste in ihrem Haus, ich will keinen Ton mehr von alledem hören.«

Trotzdem, wie kann sie jetzt, da es nun einmal ausgesprochen wurde, Elisabetta oder ihren krumm gewachsenen Mann je wieder unbefangen ansehen? Das ist das Schlimme an solch schmierigen Gerüchten: Irgendeine Wirkung haben sie immer.

Sie löst sich von der Gruppe und geht in den nächsten Raum, wo elegante Fenster von der untergehenden Sonne beleuchtet werden. Sie öffnet eines. Es ist so hoch oben in der Mauer, dass einem der Atem stockt, wenn man hinunterblickt. Das Erstaunlichste am Herzogspalast von Urbino ist, dass er überhaupt gebaut werden konnte. Das war ihr erster Gedanke, als sie ihn von der Straße aus sah: diese schimmernd weiße Fassade mit den schlanken byzantinischen Türmen, die zum Himmel streben, kam ihr vor, als wäre sie aus dem Felsen hervorgewachsen. Jetzt sieht sie ebendiese Straße, auf der sie gekommen ist, eine schmutzig dunkle Schnur, die sich durch das Tal schlängelt. Wenn man hier steht, kann man jede feindliche Streitmacht, die auf Urbino zumarschiert, über eine Entfernung von zwanzig, ja dreißig Meilen hinweg ausmachen.

Sie denkt an Cesare, den gefürchteten Feldherrn; wie er sechs Städte nördlich von hier erobert hat, nachdem seine Kanonen scheinbar unüberwindliche Festungsanlagen zerschossen haben. Seine militärischen Erfolge sind der Grund dafür, dass sie jetzt hier ist. Obwohl ihre Mitgift selbst einen Sultan beeindrucken könnte, hätte sie allein den Herzog von Ferrara, Oberhaupt des alten Adelsgeschlechts der Este, nie und nimmer dazu bewegen können, einer Ehe seines Sohns und Erben Alfonso mit der übel beleumundeten Tochter eines Papstes, die schon zweimal verheiratet gewesen war, zuzustimmen. Nein, die Angst vor ihrem gewalttätigen Bruder hat den Ausschlag gegeben. Die Allianz mit Ferrara ist ein Triumph der Borgia, ein weiterer Baustein in ihrem Projekt, eine Dynastie zu gründen. Was kümmerte es Cesare, dass dieser Erfolg mit dem Leben von Lucrezias geliebtem Ehemann erkauft worden war?

Es ist eine besondere Grausamkeit des Schicksals, dass ihr neuer Gatte denselben Namen trägt wie ihr alter. Nur wird ihr Alfonso niemals alt werden. Bis ans Ende ihrer Tage, noch als fette Matrone oder als knochendürre Greisin wird sie ihren Alfonso jung und reizend in Erinnerung behalten, seine schlanken Tänzerbeine, seine ebenmäßig geschnittenen Züge, diese strahlenden Augen, blau wie Lapislazuli.

Ihr schwindelt vor dem Abgrund, in den sie blickt, und sie hält sich am Fensterrahmen fest.

»Nein, Lucrezia«, murmelt sie leise, »Das ist nicht der rechte Moment …«

Aber es ist zu spät, sie ist im Geist wieder in der Vergangenheit. Sie hört das Heulen in ihrem Kopf, während sie vor ihrem Bruder steht, der ihr sagt, dass er, der immer von Dutzenden Bewaffneter umgeben ist, keine andere Wahl gehabt habe, weil Alfonso einen Anschlag auf sein Leben geplant habe. Feigling! Lügner! Damals war sie ihm mit Eiseskälte begegnet, aber jetzt verwandelt sich in ihrer Phantasie ihre Trauer in einen wilden Sturm, der Cesare erfasst, ihn durchs Fenster schleudert in einen feurigen Mahlstrom eines der Höllenkreise, die in Dantes ungeheurer Dichtung Gestalt angenommen haben.

Aber was würde das nutzen? Was würde dann aus ihr? Eine Frau, die weder ihren Mann noch ihren Bruder hätte. Ein Schauder überläuft sie.

Sie spürt Angelas Hand an ihrem Arm. »Es ist gut«, sagt sie schnell. »Mir ist nur ein Moment lang schwindlig geworden von dem Blick. Kommt, es wird Zeit, dass wir uns schönmachen.«

Und es stimmt. Es ist alles gut. In wenigen Wochen wird sie Herzogin des für seine Kultur berühmten Ferrara sein, denn da der regierende Herzog Witwer ist, wird schon zu seinen Lebzeiten der Titel seiner Frau auf sie übergehen. Sie wird einen eigenen Hof mit Musikern und Dichtern haben, und wenn sie auch kein Heer befehligen und keine Mauern brechen wird, kann sie doch auf ihre Weise Eroberungen machen, die keinen Menschen das Leben oder die Freiheit kosten. So wie sie es heute Abend tun wird, wenn sie lacht und tanzt und zusieht, wie alle in Urbino vor der Macht ihres Charmes die Waffen strecken.

Was? Glauben Männer wie der Storch denn tatsächlich, dass schöne Frauen nichts im Kopf haben? Er hätte dabei sein sollen, als sie in Abwesenheit des Papstes im Vatikan die Geschäfte führte oder als Gouverneurin von Spoleto und Narni amtierte. Wenn Diplomatie Krieg ohne Waffen ist, warum sollten Frauen diese Kunst weniger gut beherrschen als Männer? Ihr Vater war nie so kurzsichtig. Sie wissen beide, dass das Verhältnis zwischen Urbino und dem Papsttum in der Vergangenheit nicht immer ungetrübt war, und sie haben vor Lucrezias Abreise ausführlich darüber gesprochen, dass ihr Aufenthalt in der Stadt eine Gelegenheit ist, die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern. Jetzt hat sie noch einen Tag zusätzlich bekommen und wird alles tun, was in ihren Kräften steht, um diese Sache zu fördern.

Nein, Cesare, sagt sie in Gedanken, als sie sich vom Fenster abwendet, du bist nicht der Einzige, der Städte erobern kann.

Cesare, der sich noch nie geduldig darauf verlassen hat, dass Gott die Dinge zum Besten lenken wird, kämpft erbittert gegen die Übelkeit an. Er hat keine Zeit zu verlieren, in Rom warten Depeschen auf ihn, die er unbedingt lesen muss, Nachrichten von seiner Schwester, Schreiben von Söldnerführern, die sich und ihre Truppen zum Kauf anbieten, Informanten, die er auspressen muss. Und jetzt sind sie hier alle auf diesem Schiff eingepfercht wie Schweine, die aus Angst vor dem Messer des Metzgers quieken. Der Teufel soll diesen arroganten Kapitän holen.

Er sieht sich in der Kabine um. Wie sein Vater hat er nur wenige Vertraute, lauter Spanier aus alten Familien, im Krieg erprobte, ihm treu ergebene Männer. Sie würden alle ohne nachzudenken ihr Leben für ihn opfern, im Moment allerdings sind sie hauptsächlich damit beschäftigt, den Inhalt ihrer Mägen bei sich zu behalten. Niemand hier betet, man hört nur Würgen und Fluchen.

Einzig Miguel da Corella, Michelotto genannt, der Leibwächter des Herzogs, wirkt ganz unbeeindruckt. Sein Gesicht ist voller Narben, die er einem Mann verdankt, der nicht lange genug lebte, um das Blut trocknen zu sehen. Waren es fünf oder sechs, die Michelotto an jenem Tag zur Hölle schickte? Mit jeder Erzählung werden es mehr. Allerdings ist nicht er derjenige, der davon erzählt, er legt keinen Wert auf Geschichten. Er ist bereits eine lebende Legende, ein Mann, der sich Eitelkeiten in eigener Sache versagt und mit Leib und Seele ganz im Dienst seines Herrn lebt. In einer anderen Welt mit einem anderen Gott hätte er ein vorbildlicher Mönch werden können, einer, der mit Freuden Mühen und Schmerzen ertragen, Verführungen aller Art widerstehen und die Zehn Gebote mit demselben Eifer befolgen würde, mit dem er sie in dieser Welt bricht. Wenn Cesare Borgia überhaupt einen Vertrauten hat, dann ist es dieser Mann.

Er spürt, wie rasend frustriert der Herzog ist und was in ihm vorgeht. Die Wellen beruhigen sich, der Regen, der gegen die Wand der Kabine peitscht, lässt nach. Offenbar ist das Schlimmste überstanden. Sein Blick begegnet dem Cesares, und er nickt, denn er weiß, was jetzt kommt.

»Ich kann doch nicht der Einzige sein, der genug hat von dem allen, verdammt.« Cesares Stimme ist laut und klar. Er steht auf. »Gibt es hier jemanden, der nicht schwimmen kann?«

Links von Michelotto hebt einer langsam die Hand, zieht sie aber sofort wieder zurück.

»Gut.« Der Herzog grinst. »Dann werden wir heute Nacht alle in Federbetten schlafen.«

»Das blaue Seidenkleid, denke ich, und dazu das Perlenhäubchen.« Sie streicht über die beiden Gewänder, die man ihr hinhält. »Beim Tanzen kommen die Schlitze in den Ärmeln schön zur Geltung.«

Bei den Festlichkeiten hier werden wie immer Gesandte und Spione aus dem ganzen Land da sein, die jede ihrer Gesten bemerken, den Wert jedes Schmuckstücks schätzen, jede Rüsche an ihrem Kleid zur Kenntnis nehmen und alles sogleich per Kurier nach Hause melden werden. Die obszön üppige Mitgift fordert Neid und Häme geradezu heraus, und es hat Momente gegeben, in denen sie das notwendige Maß an Prachtentfaltung überschritten hat, sodass die Unmenge an Edelsteinen auf ihrer Haut und ihren Kleidern es den Menschen schwer machte, den aufrichtigen guten Willen wahrzunehmen, der aus ihren Augen sprach. Aber sie hat schnell dazugelernt.

»Vielleicht würde zu dem Fest hier das goldene besser passen, Hoheit.«

»Mag sein, aber ich habe es schon einmal in Rom getragen. Stellt Euch vor, wie meine künftige Schwägerin feixen würde, wenn ihr Spion ihr das in seinem Bericht über den heutigen Abend schreiben würde.«

Er ist der Schlimmste von allen. Er ist mit dem Gefolge irgendeines hohen Herrn hierhergekommen, aber in Wahrheit ist er ein Höfling von Isabella d'Este, der Markgräfin von Mantua. Jedermann weiß, dass sie in Dingen der Mode eine unerbittlich strenge Richterin ist und es nur schwer ertragen kann, dass so eine von Skandalen umwitterte Person, die nicht einmal einen ehrlichen Namen hat, ihren hochadeligen Bruder heiraten soll. Der kleine Dicke, der in ihrem Auftrag Lucrezia nachspioniert, hat sich wie eine Klette an sie geheftet, studiert mit besessenem Eifer ihre Garderobe, zählt ihre Juwelen vom größten bis zum kleinsten und schreibt alles in ein Büchlein, das er an einer Kette immer bei sich trägt. Alle lachen über ihn, aber er fürchtet seine Herrin mehr als jeden Spott.

»Ihr hättet sehen sollen, was für Augen er gemacht hat, als ich ihm gesagt habe, wie viele Perlen, Diamanten und Rubine in Eurem roten Gewand verarbeitet sind. Ihm war bei dem Versuch, sie zu zählen, schon ganz schwindlig geworden.«

Donna Angelas strahlendes Lächeln ist wirklich ein Segen. In den letzten Wochen hat sie all ihren jugendlichen Liebreiz aufgeboten, um sich mit dem Zuträger der Markgräfin anzufreunden, ihn einzuwickeln und mit »streng vertraulichen« Informationen aus erster Hand zu versorgen, damit seine Herrin zuverlässig erfährt, welchen Aufwand an Pracht und Extravaganz ihre künftige Schwägerin zu treiben gedenkt. Man kann diesen Spieß auch umdrehen, und man will ja nicht, dass Isabella die modische Herausforderung unterschätzt, die auf sie zukommt.

»Ich habe ihm weisgemacht, dass ich die genaue Zahl deswegen kenne, weil ich jedes Mal, wenn Ihr das Kleid getragen habt, nachzählen muss, ob auch noch alle Edelsteine da sind. Er glaubt mir jedes Wort, das ich sage.«

Im Gegenzug hat der Mann seinerseits auch ein paar Geheimnisse preisgegeben. Etwa, dass im Palast von Mantua einige illyrische Frauen, Spezialistinnen in der Kunst der Goldstickerei, seit fast zwei Monaten wie Gefangene gehalten werden, um sicherzustellen, dass sie mit ihrer Arbeit rechtzeitig fertig werden. Es wäre natürlich interessant, Näheres über Stil und Materialien des Stücks zu erfahren, mit dem sie beschäftigt sind, aber das hat Zeit bis morgen. Heute geht es darum, Urbino einzunehmen.

Als sie angekleidet ist, bewegen sich die Zofen mit Handspiegeln in einem langsamen Tanz um sie herum, damit sie ihre Frisur inspizieren kann, eine labyrinthisch komplizierte Konstruktion aus Locken und Flechtwerk unter einem mit Perlen besetzten Häubchen, das die fein geformten Ohren frei lässt. Das Mieder umschnürt eng Taille und Brust. Sie holt probeweise ein paarmal tief Luft.

»Keine Angst, Hoheit, die Schneiderin hat die Nähte verstärkt.«

Catrinella, eine nachtschwarze Schönheit mit üppigen frischen Lippen und scharfen weißen Zähnen, ist erst vor kurzem zur obersten Kammerzofe ernannt worden und sehr stolz auf ihre Beförderung. Wie groß sie geworden ist, denkt Lucrezia. Sie war noch ein Kind, als sie in den Haushalt der Borgia kam, gekauft als ein modisches Accessoire für Lucrezias erste Hochzeit. Sie sieht sie im Geist noch vor sich, die Brautschleppe in der Hand, die exotisch dunkle Haut und die weiße Seide inmitten eines Meers von bunten Farben. Und dieses ernste Gesichtchen, grimmig entschlossen, alles genau richtig zu machen.

»Ihr habt abgenommen in den letzten Wochen, Hoheit. Alle sagen, Ihr müsst mehr essen, damit das Tanzen Euch nicht erschöpft.« Sie schnalzt mütterlich besorgt mit der Zunge. Sie spricht mittlerweile fließend Italienisch und zwei spanische Dialekte, beherrscht außerdem perfekt die Sprache der Mode und ist ihrer Herrin in grenzenloser, unerschütterlicher Treue ergeben.

»Mag sein, aber ich muss auch noch atmen können.«

Sie hebt ein bisschen den Saum des blassblauen Kleids an, sodass unter den Spitzen der Unterröcke die wohlgeformten Fußknöchel sichtbar werden. Sie hat sich vorgenommen, heute Abend mit dem Herzog zu flirten, aber behutsam, um die Herzogin nicht zu verstimmen. Und dann, weil er wegen seiner Rückgratverkrümmung nicht tanzt, wird sie für ihn tanzen, eine keusche Salome, die nichts weiter im Sinn hat als höfische Unterhaltung zu seinem Vergnügen.

Eines fehlt noch. Catrinella, die vor ihr kniet, hat vergoldete Schuhe in der Hand.

»O nein, keine neuen«, stöhnt sie. »Ich trage wieder die von gestern.«

»Das geht nicht, Hoheit. Die hatten Flecken und mussten mit Wasser saubergemacht werden. Jetzt sind sie noch feucht. Wir haben diese hier auf einen Leisten gespannt, damit sie sich etwas weiten, so gut es eben geht.«

Nicht genug. Das Leder kneift brutal ihre armen Zehen.

Das ernste, dunkel schimmernde Gesicht blickt zu ihr empor. »Nach ein paar Runden auf dem Parkett werdet Ihr es kaum noch spüren.«

Lucrezia lacht, denn sie weiß, dass es stimmt.

»Um Gottes willen, was machen die da?«

Der Sturm ist vorbei, aber die gute Laune des Papstes verfliegt, als der Dunst sich lichtet und er Cesares Galeere sieht, die Segel gesetzt hat und auf die Küste zuhält.

»Eure Heiligkeit, Ihr seid vollkommen durchnässt. Kommt in die Kabine, lasst Euch trocknen und wärmen.«

Aber Alexander denkt gar nicht daran. »Heilige Muttergottes, schaut, seht euch das an! Sie halten aufs Land zu! Wissen die nicht, dass da überall Riffe sind? Wenn sie auflaufen, sind sie verloren.«

Zerschmettert zu lauter Kleinholz. Das ist damals passiert: Das Meer hat Prälaten und Höflinge verschlungen und später ihre Leichen an den Strand gespuckt, zusammen mit Kisten voller Kirchengerät und Kleidung. Und er und alle seine Reisegenossen konnten nichts anderes tun als zusehen. Es war vor genau dieser Küste hier, in denselben tückischen Gewässern. Gott wird ihm das nicht antun, nein, es wäre zu schrecklich.

»Wir müssen sie aufhalten. Wissen die nicht, wie gefährlich das ist?«

Dieselbe Frage hat der Kapitän sich im Stillen auch schon gestellt. »Der Kommandeur ist ein erfahrener Seemann, Eure Heiligkeit«, sagt er. »Offenbar will er das Schiff näher an die Küste bringen, um das Beiboot auszusetzen.«

Der Papst nestelt an seiner triefnassen Kappe. »Aber das ist doch Wahnsinn! Wie, um Himmels willen, kann er so etwas tun?«

»Ich vermute, der Herzog Valentino hat es ihm befohlen, Heiliger Vater«, sagt der Kapitän ruhig. »Ihr erinnert Euch, wie eilig es der Herzog hatte, nach Rom zu kommen. Wenn das Boot die Küste erreicht, können er und seine Leute sich Pferde besorgen. Corneto ist nicht weit.«

Cesare hat es befohlen. Sosehr der Gedanke den Papst auch erschreckt, scheint er ihm doch plausibel. Er fasst den Handlauf der Reling fester und stöhnt. Was hilft der ganze Heldenmut, den er im Aufruhr der Elemente an den Tag gelegt hat, wenn er seinen eigenen Sohn nicht dazu bringen kann, ihm zu gehorchen?

»Können wir sie aufhalten?«

»Wir sind zu weit weg. Bis wir bei ihnen sind, haben sie das Boot schon zu Wasser gelassen.«

»Wie gefährlich ist es?«, fragt Alexander leise.

»Wenn der Sturm nicht wieder auflebt und wenn die Leute, die rudern, kräftig genug sind …«

Wenn. Ein kleines Wörtchen. Wenn vor einer Stunde das Schiff vollgeschlagen wäre, wenn der Hauptmast gebrochen wäre — auf dem Meer gibt es endlos viele Wenns …

»Ich bin mir sicher, dass sie heil an Land kommen werden, Eure Heiligkeit.«

Aber auch Alexander denkt gerade daran, was alles hätte passieren können und was wirklich passiert ist. Seitdem er vor all den Jahren Zeuge jenes Schiffsbruchs wurde, hat er einen langen Weg hinter sich gebracht. Er ist zu immer größerem Reichtum und Einfluss gekommen, ist auf den Papstthron gelangt, hat eine Dynastie gegründet, und jetzt herrschen die Borgia über eine Reihe von Stadtstaaten und werden vielleicht bald noch weitere in Besitz nehmen. So viel haben sie schon erreicht, aber es bleibt noch so viel zu tun. So mächtig Alexander auch ist, kann er es nicht allein schaffen. Er hat bereits einen Sohn begraben müssen, der ein Opfer verblendeter Eitelkeit geworden ist, und will nicht noch einen verlieren. Er lässt sich von den Kaplänen ins Deckshaus führen. Nach seinem spektakulären Auftritt während des Sturms braucht er jetzt Stille, um zu beten.

Das Beiboot platscht hart auf, eine Menge Wasser schwappt herein, bevor es sich wieder aufrichtet. Die Bordwand der Galeere ist eine senkrecht abfallende Klippe, noch dazu eine, die sich bewegt. Die Strickleiter schaukelt wild, schlägt immer wieder heftig gegen die Planken des Schiffsrumpfs. Cesare trägt nur ein Wams über dem Hemd, man hat ihm zur Sicherung ein Tau um die Taille gebunden. Bewegungslos steht er da und wartet, neben ihm zwei ausgesucht kräftige Galeerensträflinge, die nach ihm hinuntersteigen sollen, dahinter Michelotto und seine Männer. In der extremen Anspannung seiner Nerven haben sich alle Anzeichen von Seekrankheit bei Cesare verflüchtigt, sein Geist ist geschliffen scharf, seine Sinne hellwach. Wenn der Tod kommt, wird er sich so anfühlen, so klar, so süß, so gleißend. Er weiß es. Wieso sollte er sich vor ihm fürchten?