Die letzte Fee - Honoré de Balzac - E-Book

Die letzte Fee E-Book

Honore de Balzac

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Beschreibung

Es war einmal ein Chemiker, der mit seiner Frau in Eintracht und glücklich lebte. Der Chemiker war stets beschäftigt, hatte seine Brille auf der Nase, und erhielt das Feuer in seiner Oefen und fachte es einige Mal täglich mit einem abgenutzten und geschwärzten Blasebalge an; er sprach kein Wort, und seine Frau, welche in dem Laboratorium saß, beklagte sich weder über den Rauch, noch über den Kohlendunst oder die andern Gerüche; sie sprach selten und ihre gewöhnlichste Rede war das liebenswürdige lächeln, welches über ihre schönen Lippen schwebte, wenn es dem von seiner Arbeit ermüdeten Chemiker einfiel, einen Blick auf das geliebte Weib zu werfen. Sie war schon und hatte nichts unangenehmes in ihrer ganzen Person; da sie aber Beide den ganzen Tag in ihrem Laboratorium zubrachten, da sie sich nicht oft anblicken, wohl aber sich anbeteten, so dachten sie nur wenig an ihren Anzug und ein Fremder würde ihre beiderseitige Schönheit nicht auf den ersten Blick bemerkt haben.

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 Die letzte Fee

von

Honoré de Balzac

Impressum

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Public Domain

Inhaltsverzeichnis
1. Der Chemikers.
2. Meinung des Chemikers.
3. Der gute Chemiker stirbt.
4. Eine Fee.
5. Die Liebe im Dorfe.
Geschichte der jungen Schnitterin.
6. Die Perlenfee.
7. Die Wunderlampe.
8. Versuch der Lampe.
9. Von dem Feenreiche.
10. Catharine.
11. Die Lampe wird gestohlen.
12. Abel im Reich der Feen.
13. Abel bei der Perlenfee.
14. Wer die Perlenfee ist.
15. Briefwechsel.
16. Catharine’s Abschied.
17. Die Hochzeit in der Stadt und die Verlobung auf dem Dorfe.
18. Der Kammerdiener.
19. Ein Nebenbuhler.
20. Der Chemiker hatte Recht.
Impressum

1. Der Chemikers.

Es war einmal ein Chemiker, der mit seiner Frau in Eintracht und glücklich lebte. Der Chemiker war stets beschäftigt, hatte seine Brille auf der Nase, und erhielt das Feuer in seiner Oefen und fachte es einige Mal täglich mit einem abgenutzten und geschwärzten Blasebalge an; er sprach kein Wort, und seine Frau, welche in dem Laboratorium saß, beklagte sich weder über den Rauch, noch über den Kohlendunst oder die andern Gerüche; sie sprach selten und ihre gewöhnlichste Rede war das liebenswürdige lächeln, welches über ihre schönen Lippen schwebte, wenn es dem von seiner Arbeit ermüdeten Chemiker einfiel, einen Blick auf das geliebte Weib zu werfen. Sie war schon und hatte nichts unangenehmes in ihrer ganzen Person; da sie aber Beide den ganzen Tag in ihrem Laboratorium zubrachten, da sie sich nicht oft anblicken, wohl aber sich anbeteten, so dachten sie nur wenig an ihren Anzug und ein Fremder würde ihre beiderseitige Schönheit nicht auf den ersten Blick bemerkt haben.

Das Laboratorium, welches sie bewohnten, hatte eine ziemliche Aehnlichkeit mit einem Keller. Die Wände der Mauern hätten dreißig Centner Kienruß liefern können, wenn man sie hätte abkratzen wollen. Die Scheiben der Fenster, welche in Blei gefaßt waren, hatten ein veto gegen das Tageslicht erlangt, und ließen dasselbe nicht mehr durchfallen, da sie völlig mit Staub bedeckt waren. Ein heiterer Rebstock, welcher außerhalb an der Mauer stand, hatte überdieß ein Netz von seinen verschlungenen Zweigen vor die Fenster geworfen. Der Fußboden, welcher feucht und schmutzig war, bot ein eigenes Ansehen dar: hier und da bemerkte man ein rundes oder viereckiges Stück desselben, welches so blank war wie ein Geldstück, das eben erst aus der Münze kommt, weil ein physikalisches Objekt an dieser Stelle gelegen hatte. Furchen, welche durch den Besen in den Staub gezogen waren, bewiesen, wie oft eine edelmütige Hand dieses Chaos aufzulösen versucht hatte. Oft hörte man die Stimme eines Heimchens, welches sich freute, daß es in seinem Idyl nicht gestört wurde, und mehr als eine Maus lief ruhig durch diesen Wohnsitz der Unschuld, des Friedens und der Chemie, ohne die trügerischen Fallen fürchten zu dürfen.

Der Chemiker saß zwischen seinem Bollwerk von Tischen, Flaschen und Instrumenten, die Haare bedeckt mit den weißlichen Ueberresten der auf dieselben geflogenen Kohlen, und blickte auf eine Retorte, während die Hellniß der Flamme, durch welche Alles geröthet wurde, auf der Frau des Chemikers erstarb, die abwechselnd arbeitete und dann wieder das Innere mit einem befriedigten Blicke überschaute. Das schwarze Gewölbe, die Abwesenheit der Sonne, deren Licht man nur durch den schmalen Raum erblickte, welcher zwischen der Thür und dem Boden war, der chemische Apparat, ein chemischer Ehemann, das Alles würde nicht jeder Frau gefallen da aber der Chemiker und seine Frau sich glücklich fanden, so darf Niemand dieselben mit Strenge beurtheilen, denn man könnte sonst glauben, das Glück hinge von einem Kehrbesen, von dem Tode eines Heimchens, von der Entfernung eines Spinnengeweben, oder von dem Schwanze eines armen Mäuschens ab: das Glück hängt dagegen von ganz anderen Dingen ab.

An einem Frühlingsmorgen hatte man ein Fenster geöffnet, die reine Luft zirkulierte, und die Sonne, welche einen ihrer schönsten Strahlen in das Laboratorium warf, bildete durch denselben eine leuchtende Linie, in welcher eine Menge kleiner Atome von Staub schwammen, die einander haschen zu wollen schienen und durcheinander flogen, gleich den Mückenschwärmen, welche über dem Wasser an einem schönen Sommerabende spielen. Die Gedanken des Chemikers waren eben so zahlreich und durchkreuzten sich ebenso vielfach wie die Staubteilchen, so daß der wohltuende Einfluß der Luft ihnen eine solche Richtung gab, welche völlig derjenigen entgegengesetzt war, in der sie sich gewöhnlich aus dem Gehirne erhoben. Der Chemiker schaute daher auf seine Frau. Diese saß auf einem wurmstichigen Stuhle und belustigte sich damit, zum tausendsten Male die Kupferstiche in dem Feenkabinet zu betrachten; der Ausdruck der Unschuld lag auf ihren Zügen, ihre Haare, welche von bleicher Goldfarbe waren, erschienen nach jungfräulicher Weise geordnet und warfen einen Heiligenschein der Unschuld um ihre sanften blauen Augen. Sie erriet, daß sie von ihrem Manne angeblickt werde und legte ihr Buch hinweg. Der Chemiker dachte während dieses Augenblicks darüber nach, daß das junge Mädchen, welches er bisher nur mit seinen Augen geliebt und als eine süße Erholung während seiner langen Arbeit betrachtet habe, durchaus nicht so viel Anteil an den Versuchen und Studien, die ihn ganz und gar fesselten, nehmen könne wie er.

Von diesem Tage an zeigte er sich weit sorgfältiger gegen die junge Gattin, deren Glück ihm anvertraut war; er widmete ihr nun an manchem Tage eine ganze Stunde.

Nach einem Jahre empfingen diese edlen Opfer eine süße Belohnung. Die Frau des Chemikers brachte ein Kind zur Welt, welches schön war wie der Tag.

Nun wurde das Laboratorium zu einem Schauspiel von Scenen, welche rührender und mannichfaltiger waren, als diejenigen, von welchen wir eine kurze Uebersicht erteilten: das schwarze Gewölbe erschallte von kindlichem Geschrei, und der Chemiker konnte nichts dagegen einwenden. Caliban, der alte und einzige Diener des Hauses, setzte seinen Grabspaten hinweg und eilte herbei, um durch das Fenster zu schauen, seinen grausigen Zügen ein Lächeln abzuzwingen und eine sanfte Stimme anzunehmen, während er mit dem Kinde plauderte. Die Frau des Chemikers, die noch immer auf ihrem wurmstichigen Stuhle saß, tätschelte das kleine Kind auf ihren Knieen und bedeckte es mit Küssen, wenn es ihr zulächelte. Sie brachte das Kind zum Lachen, und wenn es eine Phiole zerbrach, so lachte der Chemiker selbst darüber, ohne sich über den Verlust seiner Elixiere zu betrüben. Kurz, seine Frau, diese junge Bäuerin, die er wegen ihrer Unschuld und wegen seines Mangels an Bekanntschaften geheirathet hatte, entfaltete die ganze Kraft ihres Geistes für ihr Kind und wurde selbst geistreich, wenn es sich um das Kind handelte; sie lebte von dem Athem dieses kleinen Wesens, welches’ an ihrem Busen spielte, und der glückliche Chemiker bemerkte, daß die Natur Schmelztiegel habe, welche schöner seien, als die seinigen, und eine Weise besitze, um weit vollkommnere Mischungen zu veranstalten, als ihm möglich war.

Dieser Chemiker war einer von den originellsten und wunderbarsten Geistern, welche das Sonnenlicht je beschienen hat. Wenn die Ideen von der innern Form des Gehirns abhängen, so mußte das seinige den wunderlichen Anblick jener chemischen Produkte gewähren, welche von den Apothekern in ihren Fenstern ausgestellt werden und die glänzendsten Krystallisationen darstellen. Seit seiner frühesten Jugend hatte er nur den Künsten gelebt und die Naturwissenschaften mit Eifer studiert. Daher hatte er eine so tiefe und genaue Kenntnis von der menschlichen Natur erlangt, daß er zunächst, wie wir gesehen haben, ein Kind zu erlangen wußte, dann aber die physischen Kräfte unserer Maschine so trefflich kennen lernte, daß er durch einen einzigen Blick die Symptome, den Verlauf und die Ursachen einer Krankheit entdeckte, dann aber diese Krankheit schnell zu heilen wußte. Diese vollendete Wissenschaft bezog sich nicht nur auf den Körper, sondern auch auf den Geist, und er entdeckte die Ursache unserer Leiden und Freuden, unserer Neigungen und Jugenden mit einer solchen Ueberlegenheit, daß er zunächst mit seiner Frau ein vollkommenes Glück erreicht hatte, dann aber mit einem Blicke Alles überschaute, was Diesem oder Jenem zu seinem Glücke fehlte; er brauchte nur den Schädel eines Menschen zu betasten, den Fuß oder das Rückgrat zu befühlen, und wußte dann schon zu sagen, was derselbe in einer bestimmten Lage thun und sogar sagen mußte.

Besonders erkennt man die außerordentliche Weisheit und Größe seines Geistes daraus, daß er, welcher den Höhenpunkt menschlicher Wissenschaft erstiegen hatte, in seinem Laboratorium zwischen einem Heimchen, einer Maus, Caliban, einigen Spinnen, seiner Frau und seinem Kinde lebte. Gewiß, der Chemiker hätte nach Paris gehen sollen, wo er sich ein Bündel Ruhm gesammelt haben würde, so dick, daß es für hunderttausend Menschen hingereicht hatte; allein er hatte nachgedacht und eingesehen:

Daß, wenn er die ganze Welt heilte, die ganze Welt zu ihm kommen würde; daß es dann keine Kranken mehr geben würde, folglich auch keine Aerzte mehr, und daß ihn die Aerzte dann nach der dritten Halbkugel wünschen dürften;

Daß, wenn er den Nutzen eines jeden erriethe, auch alle Prozesse hinwegfallen würden, und die Anwalte den Aerzten nachahmen dürften, worauf ihn seine Wissenschaft in die Gefahr bringen möchte, in die Hände der Procuratoren zu fallen, welche noch grausamer waren, als die Aerzte;

Daß, wenn die Regierung erführe, er könne Diamanten machen, dieselbe ihn einschließen würde, wie den Esel der Prinzessin Eselshaut, damit er ihr fortwährend Diamanten mache; oder daß man ihm vielleicht auch die Augen ausstechen würde, damit er keine machen und in diesem Falle fand er die Regierung noch grausamer, als die Aerzte und Procuratoren;

Daß endlich die Vervollkommnungsfähigkeit der menschlichen Vernunft zu dem Grunde des Unterganges der menschlichen Gesellschaft werden dürfte, weil dieselbe nur durch die Narrheiten, die Krankheiten, die Leidenschaften, die Verschwendungen und Beiträge eines jeden besteht. Nun war er so unglaublich vernünftig, den Ruhm, welchen er erlangt haben würde, mit dem Rauche seines Ofen zu vergleichen, die Reichthümer mit den Kohlen, welche die Hände schwarzen und deren Dunst endlich tödtet; anstatt daher den Gott des Glücks bei den Ohren zu ergreifen, versuchte er vielmehr, ihn nie loszulassen, indem er seine Hütte nie verließ.

Auf solche Weise vereinfachte er sein Dasein: um sich eine Beschäftigung zu verschaffen, suchte er neue Geheimnisse zu entdecken, und nahm ein hübsches Weib, welches nichts that, nichts wußte und fast gar nichts sprach; er beschloß, daß für sie wie für ihn die Natur an der Thür der Hütte beginnen und an der Gartenmauer endigen solle; des Abends ergingen sie sich unter einem schattigen Baumgange und bewunderten das reine Blau des Himmels; der Chemiker lobte Caliban, daß er den Garten gut gehalten habe, und verglich den geheimnißvollen Schein der Sterne mit dem liebevollen Scheine, welcher aus den Augen seiner Gattin strahlte. Sie lächelte, indem sie dachte, daß sie so schön sei wie ein Stern, und betete ihren Mann an; Caliban verwunderte sich, daß man so vernünftig sei und alle kehrten in ihre Hütte zurück, während sie glücklich waren und zufrieden, und über die Menschheit lachten, von welcher der Chemiker zeigte, daß sie sich aufreibe, um die Seifenblasen zu haschen, welche in den Händen platzten; die drei Menschen gingen so ihren Lebensweg mit einander und hatten nicht einmal Zeit, sich etwas zu wünschen, denn sie arbeiteten den ganzen Tag und schliefen die ganze Nacht. Sie waren glücklich, tausend Mal glücklich!

Der Chemiker schlug vor Freude in seine Hände und drückte einen Kuß auf die Lippen seiner Frau, die in der Meinung stand, daß alle Männer Chemiker waren; er freute sich über den betretenen Lebensweg und sagte, daß er die größte Aufgabe gelöst habe, nämlich die, ein glückliches Leben zu erlangen.

Indem er von dieser Ansicht ausging, handhabte er immer fleißiger seine Tiegel und suchte mit einem Feuer ohne Gleichen der Natur ein neues Geheimnis abzulauschen, während er zugleich seiner Frau zu erklären suchte, was er machte: diese begriff davon nichts, hörte aber mit Aufmerksamkeit zu, als ob sie etwas begriffen hätte.

Die drei Menschen hatten gar keine Verbindung mehr mit der übrigen Menschheit, und es ist nöthig, den Beweis zu liefern, daß diese Abschließung möglich war: zu diesem Zwecke muß man in ihr vergangenes Leben zurückgehen und erklären, durch welche Mittel sie in einer so tiefen Zurückgezogenheit lebten.

Neben ihrer Hütte war ein Garten, welcher eigens für sie geschaffen schien; das Gemüse wuchs in demselben mit Luft, das Rebgeländer beugte sich unter der Last der Trauben und eine reine und klare Quelle bewässerte diesen kleinen Winkel des gelobten Landes. Der Chemiker hatte seiner Frau bewiesen, denn sie glaubte Alles, was er sagte, daß man das Feuer der Leidenschaften lösche, wenn man nur von Gemüse lebe; demnach lebten sie auch nur von dem Ertrage ihres Gartens, in welchem zwei Hennen ihre Nahrung fanden, und eine Kuh das frische Gras weidete. Caliban, der Bediente dieses glücklichen Hauses, besorgte die Weinlese und die Ernte, so wie er auch das Getreide mittelst einer Maschine schnitt, welche der Chemiker erfunden hatte; der gute Diener fand es ganz unmöglich, ein anderes Leben zu führen, als das, welches er gewohnt war; mit Tagesanbruch erhob er sich, arbeitete in dem Garten, speiste einfach, bereitete das Mahl des Chemikers, spann im Winter, webte Leinen aus dem gesponnenen Garne und legte sich des Abends weder zu spät, noch zu früh zu Bett; übrigens hatte er dem Gebrauche des Denkens entsagt, als einer zu ermüdenden Tätigkeit, und das non plus ultra seines Dienstes war es, daß er die siebzehn Franken Steuern zum Einnehmer der Gemeinde trug, welche der Chemiker von seinen zwei Morgen, seiner Frau, seinen Hühnern, seinen Heimchen, Mäusen und Spinnen, von Caliban, der Kuh, den Ratten und einem kleinen schwarzen Pudel entrichten mußte, von denen der letztgenannte der Freund des ganzen Hauses war. Die französische Regierung versammelte also die beiden Kammern, hob Armeen aus und versah sie mit Flinten, Hauptleuten, Obristen und Generalstäben, um vierzehn ziemlich bedeutungslose Wesen für die mäßige Summe von siebzehn Franken zu beschützen! Wahrhaftig, wie vermag man sich nun noch über den Druck der Steuern zu beklagen?

Die Hütte, in welcher sie lebten was sehe ich, zehn Seiten, großer Gott! Die Zeiten sind jetzt so drückend, daß man ein längeres Kapitel gar nicht wurde lesen können.

2. Meinung des Chemikers.

Die Hütte, in welcher diese vier Wesen lebten, welche ganz für einander geschaffen schienen, verdient eine genaue Beschreibung; überdieß kann man in die Einzelheiten eines Feenmährchens nicht genug Wahrheit legen. Durch die Wahrheit der Erzählung muß man zum Vergessen bringen, daß die Grundlage erdichtet ist. Diese Hütte des Glücks lag, was wir zunächst bemerken müssen, zwanzig Stunden von Paris, in einem jener Thäler, welche sich nur mit allen ihren Schätzen zurückgezogen zu haben scheinen; die Gegend bot die schönste Abwechslung dar: hier die herrlichsten Bäume, die lachendsten Wiesen, die klarsten Bache; dort am Abhange des Berges ein Weingarten, eine ländliche Hütte, weiterhin eine Mühle mit ihrem rauschenden Wasserfall; bisweilen hörte man auch die reine Stimme eines jungen Mädchens, welches kunstlos irgend ein ländliches Lied anstimmte; die Töne einer Hirtenflöte verbanden sich mit dem eintönigen Liede und fügten zu den Wonnen der Natur noch den Reiz der Schwermuth, welcher stets nur, von dem Menschen ausgeht: kurz, es war ein so lachendes und einsames Thal, so fern von allen Städten, daß alle in Ungnade gefallenen Minister dort während der ersten Augenblicke nach ihrem Sturze hätten leben mögen.

Da die Diebe bei dem Chemiker nichts anderes gefunden haben würden, als gelehrte Bücher, Kohlen, Retorten, kleine Flaschen und Tinte, so hatte er ohne Gefahr diese Hütte beziehen können, welche an dem Hange eines hübschen Hügels und ziemlich fern von dem nächsten Dorfe lag. Der Chemiker ließ stets seine Thür offen, und dieser letzte Zug vervollständigt auf bewundernswürdige Weise das Gemälde seiner einfachen Sitten. Die Hütte war so gebaut, daß der Schornstein mit der obern Fläche des Hügels in gleicher Ebene lag, hinter dem Hügel aber begann ein gewaltiger Wald, aus welchem der Chemiker seine Kohlen und die köstlichen Ingredienzien holte, deren er bedurfte.

Wer einige Reisen in Frankreich gemacht hat, der weiß, daß es dort entlegene Gegenden gibt, kleine Dörfer, die zwischen ihren Aeckern verschwinden, fern von allen Straßen sind und mit allen weltlichen Dingen vollkommen unbekannt bleiben. Man erfährt in denselben die Umwälzungen in der politischen Welt nur durch die Veränderung des Stempels, welcher der Aufforderung des Einnehmers aufgedrückt ist; auch bildet der Stempel, welcher den Tabakspacketen aufgedrückt ist, für solche Orte eine Chronik und Zeitgeschichte; da es aber Dörfer gibt, welche keine Steuern zahlen und deren Bewohner keinen Tabak rauchen, so lebt man in solchen Dörfern, ohne je zu erfahren, wer der Sterbliche ist, welcher das Land regiert, ohne je etwas von dem Paraguay-Roux, von den Brustplätzchen Regnaults, von Lord Byron und Wasserstoffgas, von Marabouts, Herzoginnen und Wasserträgern zu hören. Es ist das ein großes Unglück für die Könige, für die Dichter, die Unternehmer von Bällen und besonders für die Herzoginnen; aber es ist Wahrheit, und diese lichtvolle Beobachtung hat keinen andern Zweck, als zu zeigen, daß dieses Dorf, von welchem die Wohnung des Chemikers eine Viertelstunde entfernt lag, eins dieser bevorzugten Dörfer war.

Das ist aber noch nichts! die Wohnung des Chemikers war noch von einem anderen heilsamen Cordon der Unwissenheit umgeben, welcher um so unmöglicher zu überschreiten war, als man ihn dem Aberglauben und dem Kirchendiener des Dorfes verdankte. Um die ganze Kraft dieses Gordons zu erkennen, muß man den Augenblick kennen lernen, in welchem der Chemiker in diese Gegend kam.

Es war Nacht, und zwar eine ziemlich dunkle Nagt, denn an dem Monde zogen dichte schwarze Wolken vorüber; es war ferner ein Samstag, ein Tag des Sabbaths, und zwar der legte Samstag im Monat Dezember, folglich eine unheimliche Zeit. Caliban leitete am Zügel ein schlechtes abgemagertes Pferd, dem in der Apokalypse gleich, dessen Knochen man zählen kann und das den Tod trägt: dieses Pferd zog einen Karren, zwischen dessen Leiterbäumen man ein Gemeng von Matratzen, Retorten, physikalischen Instrumenten, Quartanten, Globen, Phiolen, Brillen, Oefen etc. erblickte; in der Mitte dieser chemischen Ladung erhob sich der Chemiker in Person, das Haupt bedeckt mit einer Mütze von Bärenpelz, mit einer grünen Brille vor den Augen und mit beiden Händen seine Bücher und Werkzeuge haltend. Ein kalter Wind pfiff, und mehr als ein Baumzweig fiel auf die Dächer der Hütten, indem er ein Geräusch hervorbrachte, welches die enger an einander trieb, die bei dem Feuer saßen und den Erzählungen einer alten Frau lauschten, deren Antlitz den Reinette Aepfeln glich, welche erst um Pfingsten zeitig werden. Die Erde war mit Schnee bedeckt, so daß man weder die Tritte des Pferdes und Calibans hörte, noch auch das Rollen des unheimlichen Karrens, vielmehr glaubte, wenn man durch die schlechten und gesprungenen Fensterscheiben den grausigen Zug erblickte, es bewege sich derselbe durch die Lüfte. Das Glöckchen, welches eben für einen Verstorbenen geläutet wurde, die erschrecklichen Erzählungen der Großmutter, die Furcht, Calibans Flüche, das Heulen des Sturmes, der blutige Schein des Mondes, welcher diesem Schauspiele das Aussehen eines diabolischen Zugs verlieh; das Alles trug dazu bei, den Schrecken zu verbreiten, so daß derjenige, welcher die Hütte und den Garten an den Chemiker verkauft hatte, seine Thaler an Niemanden loswerden konnte, sondern sie in der nächsten Stadt umsetzen mußte, in welche er sich jetzt zum ersten Mal in seinem Leben begab.

Das Alles wäre jedoch vergessen und hatte keine Folgen hinterlassen, hätte man hinterher den Chemiker gleich einer natürlichen Person ausgehen gesehen, um auf dem Markte einzukaufen, oder in dem Wirthshause ein Glas zu trinken und eine Pfeife zu rauchen; aber nein, nichts von alle dem ereignete sich.

Da wagte man denn zu beobachten, was bei dem Abgesandten des Teufels vorgehe; denn die Neugierde bleibt sich allenthalben und unter allen Verhältnissen gleich. Man sah nie Jemand aus dem Hause kommen, sondern alles schien in demselben abgestorben: nur wallte bisweilen ein reichlicher und schwarzer Rauch aus dem ungeheuren Kamine der Hütte, woraus man die Folgerung zog, daß Satanas dort ein Abzugsloch der Hölle geöffnet habe; die Sache fiel noch mehr auf, da der Chemiker seinen Schlot erweiterte, so daß ein Reiter mit Roß, Lanze und Schnauzbart hätte hindurchsetzen können, ohne auch nur die Cocarde an seinem Schacko zu verletzen. So viel ist gewiß, daß auch der gleichgültigste Bauer auf unheimliche Dinge schließen mußte, da er den Schornstein fortwährend einen so starken Rauch ausstoßen sah; andere Leute hatten sich vielleicht gewundert, wenn sie den Schornstein nicht hätten rauchen gesehen, aber in einem Dorfe, und noch dazu in einem unwissenden Dorfe, verfährt man auf eine ganz andere Weise als anderswo.

Auf das Höchste wurde der Schrecken gesteigert und ein unüberwindlicher Wall zwischen der Hütte und dem Dorfe errichtet, als man die Erzählung des Pedells gehört hatte. Dieser letztere, welcher durch die priesterliche Macht, mit welcher er bekanntlich so verwandt ist, wie der Schreiber eines Huissiers mit der Gerechtigkeit, die Kraft erhielt, eines Abends vor dem Hause vorüber zu gehen, weil der Pfarrer zu wissen wünschte, ob der Chemiker im Stande sei, ihm Neujahrsbrote zu liefern; der Pedell also, welcher als ein wichtiger Mann im Dorfe (denn er konnte rechnen und las ganz geläufig), den Starkgeist spielte, erblickte den schrecklichen Caliban, welcher auf einem großen bemoosten Steine saß und mit seinem lieben schwarzen Pudel spielte, der sein geistreiches und verständiges Haupt auf das des Bedienten legte, der eine eingebogene Nase hatte und breite Lippen, welche Zähne sehen ließen, die so breit waren wie Ballschlägel. Das Antlitz des Chemikers war schwarz wie ein Schornstein; dabei war er auf wunderliche Weise gekleidet, gleich, allen Gelehrten, die sich mehr um ihre Arbeiten kümmern, als um die Welt; er strich seinen langen schwarzen Bart mit Händen, welche schmal waren, wie die eines Entbindungsarztes, und die Frau des Chemikers lehnte ihr hübsches Köpfchen mit den liebestrahlenden Augen an die Schultern ihres Mannes und mischte das Gold ihrer blonden Haare unter die üppigen schwarzen Locken des Chemikers; ihre weißen und zarten Hände waren um den Hals des Gatten gelegt und deuteten darauf, daß sie ihn am Nachdenken verhindern wollte und einen süßen Blick Liebe von ihm wünschte. Die untergehende Sonne goß über diese Gruppe eine röthliche Färbung aus, welche den Pedell in den Glauben versetzte, daß die Hütte zu dem Eingang der Hölle geworden sei. Ihm kehrte Alles in das Gedächtnis zurück, was man von den Versuchungen des heiligen Antonius sagt, und Caliban erschien ihm gleich einem großen Affen, der auf einer gewaltigen Schildkröte ritt; sein Hund kam ihm gleich einem gehörnten Dämon vor, und die schöne Ehehälfte des Chemikers wurde zu einer allerliebsten Teufelin mit liebenden Händen, himmlischem Antlitz und den Augen einer Buhldirne, welche ihre Miethe bezahlen will; der Chemiker endlich erschien ihm als der oberste Teufel, von Schlangen umgeben, und Calibans Grabspaten wurde zu einer Ofengabel. Vollends aber wurden die Sinne des Pedells verwirrt, als bei seiner Ankunft Heimchen, Henne, Kuh und Hund zu gleicher Zeit ihre Stimmen hören ließen, der Chemiker aber mit seiner Frau laut auflachten und Caliban fluchte, weil ihn der Pudel in das Ohr gebissen hatte. Den Pedell ergriff eine entsetzliche Furcht und er entfloh, während es ihm vorkam, als ob tausend Legionen Teufel ihm auf den Füßen folgten. Allenthalben erzählte er die großen Gefahren, in denen er geschwebt hatte, und es wäre eine Tollkühnheit gewesen, hätte man auf den Hügel gehen wollen, auf welchem der Chemiker oder vielmehr der Teufel wohnte.

In den Zeiten des Aberglaubens, als man noch junge Mädchen verbrannte, welche im Traume Hexen zu sein gewähnt hatten, waren so wunderliche Dinge nicht vorgekommen, wie solche jetzt in der Erzählung des Pedells enthalten waren. Das unwissende Dorf glaubte dem Bericht des Kirchendieners, und man schaute nach der Hütte nur mit einem Grausen, zu welchem sich Neugierde gesellte: eine doppelte Schutzmauer der Unwissenheit und der Furcht trennte daher das Dorf und die glückliche Hütte, welche, wie wir weiter oben gesehen haben, von der ganzen übrigen Schöpfung getrennt lag.

Kehren wir daher zu dem Chemiker zurück und zu seiner sanften und unwissenden Frau, zu dem schwachköpfigen Caliban und zu dem kleinen Abel, zu dem Heimchen, der Maus etc.

Als Abel größer wurde, spielte er mit dem Hunde, steckte oft seine kleinen Finger in das Loch des Heimchens und beunruhigte die Maus; allein die guten Thiere wurden nicht böse darüber, und als Abel eines Tags das Heimchen gefangen hatte, machte ihm seine Mutter begreiflich, daß er es nicht verwunden dürfe. Ach! die gute Mutter wußte, wie viel sie leiden würde, wenn man Abel verwundete, und erklärte ihm das; das liebe Kind ließ daher das arme Thierchen wieder frei und blickte ihm nach, als es nach seinem Schlupfwinkel eilte, indem es lächelte wie ein Engel. Als der Chemiker dieses Gemälde bemerkte, welches man vielleicht ein wenig zu unschuldig findet, da verließ er seinen Herd und ließ eine der schönsten Flüssigkeiten verdampfen, die er je entdeckt hatte; er setzte sich auf einen Schämel und spielte mit seinem Kinde; Caliban aber lehnte sich mit seinem ganzen Körper auf seinen Grabspaten und beschloß, sich ebenfalls zu verheirathen.

Abel wurde in keine Windeln gebracht, seine zarten Glieder entwickelten sich in vollkommener Freiheit, und er wälzte sich in dem Laboratorium umher, während seine Mutter befürchtete, daß er die Flaschen zerstoßen möchte, in denen Gifte und heftige Säuren enthalten waren; allein Abel ermuthigte sie und rief ihr mit sanfter Stimme zu: »Ich nehme mich in Acht, mein Mütterchen!« Zugleich vermischte er die tausend Locken seiner schönen braunen Haare mit den Geweben der Spinnen und beschmutzte sein Antlitz mit Kohlen, und kletterte auf die Oefen und wollte alles kosten und befühlen, lachte, schäkerte, ohne Kummer und ohne Zwang, während die Natur zu dem göttlichen Gemälde lächelte, welches durch das Laboratorium dargestellt wurde, in dem sie als Souverainin herrschte.

Wer vermöchte aber die Freude, die Wonne und die Luft Abels zu schildern, als seine Mutter einen Band des Feenkabinets öffnete und ihm die Kupferstiche zeigte? Er wandte alle Kräfte seiner schönen schwarzen Augen an, welche noch in der Feuchtigkeit der Kindheit schwebten und glich einem Jesuskindlein von Raphael, wenn er neben seiner Mutter stand, die noch einer reinen Jungfrau glich, und den grünen Serpentin, Gracieuse und Percinet, den blauen Vogel und die Fee Truitonne bewunderte; allein der schönste Kupferstich, welcher ihn in das größte Entzücken versetzte, war die Erscheinung der Fee Abricotine.

Abels Züge deuteten auf Schlauheit und kindliche Unschuld, welche sich mit einem zärtlichen, sanften, liebevollen und muthigen Charakter vereinten, der in seinem achtzehnten Jahre den schönsten Pagen aus ihm gemacht haben würde, welchen je der Hof einer Prinzessin hätte sehen können; allein der Chemiker hatte zu wunderliche Ansichten in Bezug auf sein Kind, als daß er dasselbe je an den Hof eines Fürsten hätte bringen sollen.

Der große Mann, welcher stets nachdachte und suchte, hatte endlich gelernt, dasjenige zu finden, was er suchte: sein Nachsinnen lehrte ihn, daß den Menschen in der Welt mehr Leiden träfen als Freuden. Er behauptete, daß Adam und Eva nur darum im Paradiese glücklich gewesen wären, weil sie in der Unwissenheit gelebt hätten, und daß dieses Bild aus der Bibel und den Weg zum Glück lehren müsse. Die Civilisation verleihe allerdings außerordentliche Genüsse, allein die Sehnsuchten und Leiden derselben wären auch eben so grausam, wie die Freuden lebhaft feien; im natürlichen Zustande habe man dagegen viel weniger Leiden, man kenne die Freuden nicht und vermisse sie daher auch nicht, und wenn man sich wenig freue, so wären dagegen auch diese wenigen Freuden so rein wie das Wasser, welches aus einer Quelle abfließe.

Diese Ansichten waren es, welche ihn zu der Hütte geleitet hatten, in der seine Frau, Caliban und er ein ungetrübtes Leben verlebten, ein ländliches Leben, welches sogar reich an Poesie war. Die Liebe, die Erkenntlichkeit, das Wohlwollen und eine leichte Arbeit waren die Würze ihres Lebens, und die süße Verbindung alles dessen, was die Natur dem Menschen darbietet, verbunden mit den einfachsten Genüssen, bildete ihr Gesetzbuch. Das Obst schmückte ihren Tisch, die Sonne war ihr Licht, das reine Wasser des Quells erfrischte sie, und ihre Kleidung war eine bescheidene; Caliban vertrat die Stelle eines ergebenen Freundes, dessen Herz nur einen einzigen Gedanken begriff, die Dankbarkeit des Hundes und dessen führende Treue, seinen unbedingten Gehorsam und leidende Freundlichkeit. Was fehlte ihnen noch? Der Chemiker betete seine Frau an, die Frau betete ihren Mann an, ihre Herzen bildeten nur eins und alle ihre Nächte wurden durch den Honigmond erleuchtet. Wie manche Frau möchte nicht ihre Paläste, Diamanten und kostbaren Kleider gegen das leinene Gewand des Chemikers, dessen Hütte und dessen einfache Freuden vertauschen!

Der Chemiker, der sich über das Gelingen seines Versuchs freute, wollte seinen lieben Abel in seinen Grundsätzen erziehen; sein Herz und sein schöner Körper sollen sich so entwickeln, wie es der gütigen Natur gefallen würde; er sollte nicht mit der Erlernung von Kenntnissen gequält werden, welche zu der Vergrößerung des Glücks nichts beitragen. Seine Mutter, seine zärtliche Mutter, die ihn ohne Unterlaß mit ihren Augen verfolgte, sein Vater, der ihn eben so sehr liebte, aber auf ernstere Weise, Caliban und der Sund, das waren die einzigen Wesen, welche er kennen lernen sollte; die Hütte mußte für ihn das Weltall sein und der Garten die ganze Natur; einige Kiesel und weicher Thon konnten lange zu seinen Spielen hinreichen. So hatte der Chemiker durch seinen auf Grundsätze aufgebauten Obscurantismus die Erziehung außerordentlich vereinfacht.

Sein glückliches Kind beklagte sich nie; das unschuldige Lächeln der Kindheit schwebte stets auf seinen Lippen, seine Bewegungen und seine Rede waren gleich frei von Zwang, und der Chemiker antwortete gefällig auf alle neugierigen Fragen seines Sohnes, allein so, daß dabei stets die Grundsätze beobachtet wurden, auf denen das künftige Leben seines lieben Abel beruhte. Er schmeichelte sich um so mehr, daß er Erfolg erlangen werde, als ihm seine Kenntnisse die Hoffnung verliehen, ein sehr hohes Alter zu erreichen und ihm daher die Zeit bleiben mußte, seinen Sohn zu einem Philosophen zu machen, wie er selbst war. Die Mutter, überzeugt, daß ihr Mann ein lebendiges Bild Gottes sei, dachte, daß er am besten handle und fügte sich in seine Pläne; überdies befaß sie keine hinreichende Kraft des Nachdenkens, um Einwürfe erdenken zu können, war auch nicht entschlossen genug, um wirklich erdachte Einwürfe auszusprechen. Daher zeigte sie eine vollkommene und aufrichtige Unterwerfung, dachte nur an ihr Kind, fand Alles gut und glaubte wie an einen Glaubensartikel, an alles, was ihr Mann sagte. Als Frau that sie daran Recht; als Mutter that sie eben so wenig Unrecht, denn sie lebte ruhig und glücklich, und da sie ihrem Chemiker dieses Glück dankte, so tröstete sie sich natürlich: »Er wird es dahin bringen, daß mein Sohn eben so glücklich wird, wie ich es bin.

Der gute Chemiker sah indeß als ein wahrhaft Weiser Alles voraus, was sich ereignen konnte, und sagte seiner Frau, daß er unter seinem großen Herde in dem Laboratorium einen Talisman gegen alle Leiden vergraben hätte, durch welche sie und ihr Sohn betroffen werden könnten, wenn er, ihr Beschützer, einmal an irgend einem Zufalle sterben sollte; zugleich benachrichtigte er sie aber auch, daß der Stein nicht eher aufgehoben werden dürfe, bis sie die Hütte verlassen wollten, um sich anderswo hin zu begeben. Nachdem er darauf alle seine Bücher zusammengestellt, seine Phiolen, seine Instrumente, seine Flaschen und Retorten in die beste Ordnung gebracht hatte, hörte er auf, der Chemie sein ganzes Dasein zu widmen. Man fuhr indeß fort, sich in dem Laboratorium aufzuhalten, in welchem der Chemiker Abels Bett hatte aufschlagen lassen, um seinen Sohn stets unter den Augen zu haben, und welches dadurch in der That zu Abels Kammer geworden war.

Das Alles ging aber nur allmählich vor sich, denn die einzelnen Ereignisse dieser friedlichen Colonie folgten einander nur in langen Zwischenräumen. Abel, ein wahres Kind der Natur, war groß geworden und erreichte schon das fünfzehnte Jahr: Der Chemiker war fünfzig alt und die Mutter vierzig. Der Vater, welcher schon weiße Haare hatte, da sein fleißiges Studieren diese Wirkung vor der Zeit hervorgebracht hatte, verwandte seine ganze Zeit dazu, um Abel auf dem Wege zu erhalten, welchen er ihm vorgezeichnet hatte, und der Chemie bediente er sich nur noch, um die gelegentlichen Ausgaben bestreiten zu können, die durch den lieben Sohn nöthig wurden. Das Gerücht, welches von der Hütte behauptete, daß sie in den Händen des Teufels sei, beschützte noch immer die Bewohner derselben, und kein betrübender Zufall störte deren Glücke.

3. Der gute Chemiker stirbt.

Die Zeit, welche zwischen dem Gemälde verstrich, welches das Laboratorium im ersten Kapitel darstellte, und der Epoche, mit welcher wir nun beschäftigt werden, mußte Veränderungen herbeiführen, welche eine neue Beschreibung verlangen.

Man legte sich im Winter nicht mehr mit der Sonne nieder; gegen fünf Uhr zündete Caliban eine Lampe an, die mit einem von dem Chemiker hergestellten Oele gefüllt war. Dieser letztere saß auf dem wurmstichigen Stuhle, seine Frau nahm den Schämel, Caliban säuberte seine Sämereien an einem Ende des Tisches, und man verschloß die Thür. Der weißhaarige Greis, dessen Antlitz und gelblicher Teint von Runzeln überzogen war, die bei dem Scheine der Lampe noch mehr hervortraten, hielt das Feenkabinet in der Sand und lehrte dem schönen jungen Manne, von dessen Bitten bewegt, die Märchen lesen, welche durch die beigefügten Kupferstiche die Freude seiner Kindheit gewesen waren. Die Mutter hörte ihren Sohn buchstabieren, als wäre sein schwieriger und stotternder Versuch, die Worte hervorzubringen, eine Musik der Engel gewesen. Sie ihrerseits hatte sticken gelernt und schmückte den überzuschlagenden Kragen ihres Sohnes mit einem Blumenkranze, welchen der Vater mit blauer Tinte vorgezeichnet hatte; oder sie nähte ein Kleid nach mittelalterlichem Schnitt, dessen Herstellung ihr endlich nach einem Kupferstiche zu dem Märchen Prinz Liebreich gelungen war. Da man nun zu jener Zeit zu Paris kurze Ueberröcke trug und Beinkleider, welche in der Mitte und unten gleich denen der Türken in Falten gelegt waren, so hatte jene Tracht nichts Lächerliches, und machte ihren Sohn tausend Mal schöner als Percinet, der Liebhaber der Grascieuse, war.

Zwischen dem Chemiker und seiner Frau stand demgemäß ein junger Mann von sechzehn Jahren, der von einem ziemlich hübschen Wuchse war und dessen Gestalt etwas Edles und eine seltene Eleganz zeigte. Seine Feueraugen athmeten Offenherzigkeit und Unschuld, seine Stirn war rein wie die einer Diana, und weiß wie Elfenbein, so daß dadurch noch mehr seine schwarzen Haare hervorgehoben wurden, welche in Locken über seine schneeweißen Schultern fielen. Sein Antlitz besaß jene Blüthe der Jugend, jene Lebhaftigkeit der Färbung, jene markigen Züge und jenen jungfräulichen Ausdruck, verbunden mit einem anmuthigen Stolz, welche für uns die Idee verwirklichen, die man sich von den jungen Griechen oder von den Engeln macht, seine weitgeschlitzten Augen, die mit langen Wimpern besetzt waren, blickten nur bisweilen von dem Buche hinweg, in welchem er las, um einen liebevollen Blick seiner Mutter zu erwidern, und hatte er einen ganzen Tag gelesen, so drückte er einen Kuß auf die heitere Stirn des Greises.

Caliban vergaß oft seine Arbeit, um verstohlener Weise das Meisterwerk der Natur, den Abgott seiner Mutter zu bewundern: Alles schien dieser tugendhaften Gruppe zuzulächeln, welche in diesem schwarzen Gewölbe, unter den Oefen und chemischen Apparaten einem Strauße wilder Blumen glich, welche zwischen dem Schutte einer Höhle hervorwachsen.