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Einige Schriftsteller aus Bern planen eine Reise nach Sizilien. Doch kurz vor ihrer Abreise erreicht sie die Nachricht von der Ermordung einer Kollegin. Führt die Spur der Täter nach Palermo? Hat die Mafia ihre Finger im Spiel? Kommissarin Katharina Tanner und ihr Assistent Beppe Volpe ermitteln auch in ihrem zweiten Fall mit schizerischer Gründlichkeit und italienischer Spontaneität.
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2023
Daniel Himmelberger & Saro Marretta
Die letzte Reise nach Palermo
Kriminalroman
© 2023 Daniel Himmelberger & Saro Marretta 3. Auflage
1. Auflage: Pendragon Verlag Bielefeld, 2008.
2. Auflage: Digital Publishers Stuttgart, 2017.
Foto: Saro Marretta
Umschlag: Daniel Himmelberger
Lektorat: Margrit Dietschi und Lennart Janson
Verlag und Druck: tredition GmbH,
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Softcover
978-3-347-90599-3
Hardcover
978-3-347-90601-3
E-Book
978-3-347-90605-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autoren unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Zum Inhalt
Einige Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Bern planen eine Reise nach Sizilien. Doch kurz vor der Abreise erreicht sie die Nachricht von der Ermordung einer Kollegin. Führt die Spur der Täter nach Palermo? Hat die Mafia ihre Finger im Spiel?
Kommissarin Katharina Tanner und ihr Assistent Beppe Volpe ermitteln auch in ihrem zweiten Fall mit schweizerischer Gründlichkeit und italienischer Spontaneität.
Über die Autoren
Daniel Himmelberger lebt als Autor und Musiker in Bern. Er veröffentlichte den Künstler-Roman „Kaspar – Café des Pyrénées“, den Kriminalroman „Der Straßenmörder“, den Gedichtband „Sprache Sprach Gespräch“ und zusammen mit Saro Marretta „Die letzte Reise nach Palermo“, „Der Tod kennt keine Grenzen“, „Spurensuche“ und „Die Leiche im Schnee – 46 Kurzgeschichten“.
Als Musiker: „Piano solo“, „ALPHA Latino Live“, „Blues and Ballads“ und „Destiny of Time“ mit der Band „Downtown“.
www.daniel-himmelberger.com
Saro Marretta wurde in Sizilien geboren und lebt ebenfalls in Bern. Er schrieb den Bestseller „Das Spaghettibuch“, Kurzkrimis und Romane. Weitere Veröffentlichungen: „Agli“, Pronto commissario?“, „La commissaria“, „Piccoli italiani in Svizzera“.
Zusammen mit Daniel Himmelberger: „Der Tod kennt keine Grenzen“, „Die letzte Reise nach Palermo“, „Spurensuche“, und „Die Leiche im Schnee“.
„Se vogliamo che tutto rimanga come è, bisogna che tutto cambi.“
„Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, dann muss sich alles ändern.“
Aus dem Roman: Der Leopard (1959) von Giuseppe Tomasi di Lampedusa
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Zum Inhalt
Über die Autoren
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
Kapitel 49
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1
Dienstag, 26. September.
Um sechs Uhr morgens klingelten in Bern zwölf Wecker. Beinahe gleichzeitig verließen elf Personen ihr Bett und machten sich für die Reise bereit.
Eine Person blieb im Bett liegen. Sie hatte das Klingeln des Weckers nicht gehört. Konnte es nicht hören, denn ihr Körper war bereits kalt und starr. Es war die Schriftstellerin Eva Berger, die morgens um sieben Uhr an der Berner Rathausgasse 68 im ersten Stock von ihrer Tochter Sarah tot im Bett aufgefunden wurde. Mit einem Dolch in der Brust lag die Mutter in ihrem Blut. Sie hatte noch versucht sich zur Wehr zu setzen. Die Polizei fand später unter ihren Fingernägeln Spuren eines kurzen Kampfes: ein paar Hautfetzen und Haare. Aber sie hatte keine Chance. Der Mörder hatte sie im Schlaf überrascht. Der Tod ihrer Mutter war für Sarah ein fürchterlicher Schock.
Henri Wyss, verschuldeter Antiquitätenhändler und Übersetzer esoterischer Bücher, die niemand kaufte, war der Präsident des Berner Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Vereins und hatte für eine Autorengruppe eine Reise nach Sizilien organisiert.
Nun öffnete er die Fensterläden, atmete tief durch und hob seine rechte Hand zum Gruß zur rot leuchtenden Morgensonne. Dann setzte er sich mitten im Wohnzimmer auf seinen kostbaren Orientteppich. Dort verharrte er einige Minuten im Schneidersitz und meditierte mit geschlossenen Augen.
Vor wenigen Jahren war Henri Wyss zum Buddhismus konvertiert. Nun achtete er auf das konsequente Einhalten von religiösen Ritualen und Bräuchen.
Als Vereinspräsident der Berner Schriftsteller war er bekannt für seine autoritäre und unnachgiebige Haltung, wenn es um finanzielle Fragen wie beispielsweise Honorare für Lesungen oder Anschaffungen für das Sekretariat des Vereins ging.
Nachdem Henri Wyss sich sorgfältig angezogen und sein Gepäck noch einmal überprüft hatte, bestellte er ein Taxi. Eine Viertelstunde später fuhr er von seiner Wohnung in Muri nach Bern vors Bundeshaus.
Im noblen Spiegel-Quartier am Fuße des Berner Hausberges Gurten, von wo die Aussicht über die Altstadt von Bern am schönsten ist, schraubte Esther Gasser soeben im Badezimmer ihren Lippenstift zu. Beim Verlassen ihrer Villa schulterte sie schwungvoll den blauen Rucksack. Der schwere, rote Koffer stand schon auf dem Gehsteig. Nun befestigte sie das sperrige Ding mit einem elastischen Riemen auf dem Gepäckträger ihres alten Militärfahrrades. Dann stieg sie entschlossen auf ihr Rad und fuhr hügelabwärts durch die Monbijoustraße zum Bundeshaus. Esther freute sich. Sie hatte 30 Franken fürs Taxi gespart.
Fausto, der Chauffeur, beobachtete einen graumelierten Herrn mit Kraushaaren, der aus einem Taxi stieg und sich dem italienischen Reisebus näherte.
„Sie kommen“, raunte Fausto seinem Begleiter Giuseppe zu.
Die beiden stiegen aus und Fausto begrüßte den Gast: „Buongiorno signore, viene a Palermo con noi?“
„Sì, sono il presidente“, antwortete Henri Wyss würdevoll.
„Ah, Sie sind aber sehr pünktlich, Herr Präsident! – Sind Sie immer der Erste?“
Henri schaute Fausto verwundert an und blickte dann auf seine Uhr: Sie zeigte 6.45 Uhr.
„Die anderen werden bestimmt bald kommen. Ich bringe inzwischen mein Gepäck in den Bus.“
Nun näherte sich eine schwarz gekleidete Dame auf einem alten Militärfahrrad. Auf ihrem Rücken tanzte ein blauer Rucksack und hinten auf dem Gepäckträger schwankte der breite, rote Koffer. Unmittelbar vor dem Bus bremste sie abrupt und verlor fast das Gleichgewicht.
„Guten Morgen, wo sind denn die anderen? – Bin ich etwa die Erste?“, fragte sie den Chauffeur.
„Sie sind die prima donna“, antwortete Fausto lächelnd,
„der Präsident ist schon da.“
„Könnten Sie mir bitte mit meinem Gepäck helfen? Ich muss noch mein Fahrrad abstellen.“
„Certamente, signora.“
2
Beppe Volpe verließ am selben Dienstagmorgen um 6.30 Uhr das Hotel Arabelle in der Berner Länggasse und hastete wie üblich hinüber zur Confiserie Glatz. Der Duft der frischen Croissants umschwebte ihn. – Zu viele Kalorien, dachte er traurig. Er wollte auf keinen Fall Gewicht zulegen und achtete streng auf seine bella figura.
Da es noch früh war, musste er nicht lange auf die Bedienung warten. „Was wünschen Sie?“, fragte die Verkäuferin freundlich. „Am liebsten hätte ich so ein feines Buttercroissant, aber geben Sie mir doch besser dieses Baguette hier und einen Cappuccino.“
Beppe bezahlte, trank rasch seinen Cappuccino und verließ wenige Minuten später die Confiserie Glatz. Der Cappuccino hatte mehr Schaum als Kaffee in der Tasse, genauso wie er es liebte. Und er war fast so gut wie in der legendären Bar Gambrinus an der Via Chiaia 1 in Napoli. Er schwang sich, das Baguette in der linken Hand, auf sein Fahrrad und radelte durch die Länggasse bis zur Grossen Schanze und von dort hinunter zum Bubenbergplatz, wo er links Richtung Stadtzentrum einbog.
Mit erhobenem Baguette grüßte er symbolisch den heiligen Christophorus, der unter dem Bahnhofplatz sein trauriges Dasein fristete. Fast hätte er bei dem Manöver sein Baguette verloren. Deshalb bog er nun etwas vorsichtiger links in die Bundesgasse ein. Von weitem sah er einen Reisebus aus Italien, der vor dem Bundeshaus geparkt war.
Beppe verlangsamte seine Fahrt, um das Kennzeichen zu studieren.
„Ah, da, Palermo!“, rief er erfreut und schwenkte dabei sein Baguette: „Ciao, amici!“, rief er den beiden Männern zu, die vor dem Reisebus warteten.
Der eine wollte gerade ein rotes Tuch in der Kanalisation verschwinden lassen und schaute irritiert auf, als ihn Beppe auf Italienisch begrüßte.
„Ciao amico, gehst du heute die historische Altstadt von Bern besichtigen?“
„Nein, ich muss zurückfahren, nach Palermo.“
„Dann wünsche ich euch eine gute Reise! Grüßt mir unterwegs Napoli, meine Heimatstadt.“
„Und auch deine Mamma?“, spotteten die beiden Italiener.
„Ja natürlich“, antwortete Beppe, „sie fehlt mir sehr.“
Beppe trat kräftig in die Pedale. Er wollte heute pünktlich bei seiner Chefin sein. Wenn er früh am Morgen im Büro erschien, schenkte sie ihm als Erstes ihr hinreißendes Lächeln. Er liebte ihre langen, blonden Haare. Ab und zu stellte er sich vor, wie er seine bezaubernde Chefin in die Arme nehmen würde. Sie war zwar etwas größer als er, vielleicht zwei Zentimeter, aber mit seiner durchtrainierten Figur, seinen schwarzen Haaren und seinem dunklen Teint wären sie trotzdem ein schönes Paar.
– Bestimmt wäre auch Mamma begeistert, dachte Beppe, aber leider war Katharina seine Vorgesetzte. Ob sie schon im Büro vor ihren Parfumflaschen steht und den passenden Duft für den heutigen Tag aussucht? überlegte er weiter.
Vom Bundesplatz bis zum Polizeihauptgebäude am Waisenhausplatz hatte Beppe quer über den Bärenplatz 400 Meter zurückzulegen. Diese schaffte er mit seinem schnellen Fahrrad locker in zwei Minuten. Der Zeiger seiner neuen Swatch zeigte genau auf sieben Uhr, als er die Treppen zum Büro hinaufeilte und dabei immer zwei Stufen auf einmal nahm.
Im Büro des Kriminalkommissariats saß Katharina Tanner wie jeden Morgen an ihrem Schreibtisch, las die eingegangenen Mails, hörte den Anrufbeantworter ab, sortierte die Akten, die sie heute bearbeiten musste, und überflog in der Berner Zeitung die wichtigsten Schlagzeilen. Dazu trank sie eine heiße Schokolade aus dem Automaten. Auf Seite drei las sie: Nationalbank-Gold verhökert. Gold zu früh verkauft … Die Schweizerische Nationalbank hat 1300 Tonnen Gold in einem ungünstigen Moment zu einem Schleuderpreis veräußert. Aktuell würde sie 10,8 Milliarden Franken mehr lösen.
Katharina Tanner war in den Zeitungsartikel vertieft, als es an die Tür klopfte.
„Herein!“, rief sie und schaute auf die runde Wanduhr.
7.00 Uhr. Die Tür öffnete sich und ein älterer Polizist trat ein. Er rückte seine dicke Hornbrille zurecht und murmelte mit besorgter Miene: „Guten Morgen, Frau Kommissarin. Heute erwarten wir nur 2000 Demonstranten vor dem Bundeshaus. Sie sind gegen das neue Asylgesetz. Jedes Jahr engagieren sich weniger Leute für dieses Problem.“
Er kicherte, rückte wieder seine Hornbrille zurecht, verzog seinen Mund, wandte sich gemächlich um und schlurfte zur Tür hinaus. Als er gerade das Büro verlassen wollte, tauchte plötzlich Beppe vor ihm auf.
„Was hast du denn in der Hand, Beppe? Einen Knüppel? – Bereitest du dich etwa schon auf die Demo vor?“
„Nein, was denkst du, das ist mein Frühstück!“ Beppe betrat das Büro von Katharina Tanner.
„Guten Morgen, Chefin!“, begrüßte er sie gutgelaunt.
„Tag Beppe“, antwortete sie, „so pünktlich wie heute bist du selten.“
„Das sind wir bei uns in Italia ja auch nicht gewohnt. Da gibt es immer eine Zeitspanne, sagen wir so zwischen null und zwei Stunden, je nachdem, wo man arbeitet. Und was sind schon zwei Stunden gemessen an der Ewigkeit! In Napoli machte es überhaupt nichts, wenn ich mal nicht zur Arbeit erschien.“
„Hattest du denn keinen Chef, der dich kontrollierte?“
„Sì, certo, aber der war selbst auch nicht immer pünktlich. Also war es nicht so schlimm, wenn wir Polizisten ab und zu fehlten. Einmal kam der oberste Kommissar aus Mailand mit einem dicken Buch zu uns. Darin waren alle Namen der Polizisten von Neapel mit Adresse und Qualifikation fein säuberlich aufgelistet. Es waren 123 Namen, und ausgerechnet an dem Tag, als er zur Inspektion erschien, waren nur 20 Polizisten anwesend, weil in Neapel am gleichen Abend das wichtigste Fußballspiel der Saison gegen die Polenta-Fresser aus Milano stattfand. Da konnte tagsüber vor Aufregung natürlich keiner mehr arbeiten. Weil der Oberkommissar aber selbst ein Mailänder war, hatte er kein Verständnis für unsere arme Mannschaft. Er fragte mich, ob ich kein Tifoso sei.
„Jeder Neapolitaner ist Tifoso“, antwortete ich.
„Und wo sind die anderen Polizisten?“, wollte er darauf wissen.
„Sie bewachen freiwillig das Stadion, damit den Mailänder Fans nichts geschieht“, antwortete ich schlagfertig.
Der Inspektor durchforstete seine Namensliste und deutete mit dem Zeigefinger auf einen Namen. Es war Gennaro Esposito.
„Schützt dieser Mann auch die Mailänder?“
Ich machte ein ernstes Gesicht und sagte: „Was für ein Zufall, Herr Oberkommissar, das bin ja ich in persona!“ Dabei legte ich meine linke Hand aufs Herz.
Der Inspektor machte ein verdutztes Gesicht, kratzte sich am Hals und meinte mürrisch: „Bene, es scheinen ja alle hier zu sein. Du bist bereits der dritte, der seinen Namen auf Anhieb erkennt. Ich scheine heute das große Los gezogen zu haben. Bringen Sie mich zu Ihrem Chef, signor Esposito.“
Ich führte den Oberkommissar durch die leeren Gänge des neapolitanischen Polizeihauptgebäudes. Beim Fahrstuhl in der hintersten Ecke drückte ich auf den Schalter, aber der Lift rührte sich nicht. Erst jetzt sah ich das Schild: Ausser Betrieb!
„So was“, murmelte ich ungläubig, „wir müssen wohl oder übel die Treppe in den vierten Stock hinaufsteigen, wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Oberkommissar.“
Der Inspektor schaute kurz auf seine Schuhspitzen, dann meinte er entschlossen: „Die Inspektion ist für heute abgeschlossen, signor Esposito. Ich habe genug gesehen und bin soweit zufrieden. Ich werde Ihnen meinen ausführlichen Bericht in etwa drei Monaten zustellen. Darin sind alle Stärken und Schwächen des neapolitanischen Polizeicorps detailliert beschrieben. Ich danke Ihnen für die freundliche Auskunft und ihren vorbildlichen Einsatz, signor Esposito.“
Katharina Tanner schüttelte ungläubig den Kopf.
„So was, das ist kaum zu glauben!“ Sie zeigte mit dem Finger auf die Schlagzeile in der Berner Zeitung.
„Ach so, die Geschichte mit dem Schweizer Gold!“, meinte Beppe, „das begreife ich nicht. Bei uns in Italien werden solche Sachen anders geregelt.“
„Wie denn?“
„Bevor in Napoli das Geld beim Volk ankommt, hat es sich bereits in Luft aufgelöst – sogar das schwere Gold löst sich dort einfach in Luft auf, wumm!“
3
Als Sarah ihre Mutter erstochen im Schlafzimmer fand, erschrak sie zutiefst und rannte entsetzt vors Haus. Einige Nachbarn hörten ihr Schreien und öffneten verwundert die Fenster zur Straßenseite, wo sich die junge Frau ins Gebüsch übergab. Mit der rechten Hand zeigte sie, am ganzen Leib zitternd, zum Eingang ihrer Wohnung. In ihren Augen stand Entsetzen.
„Sollen wir die Polizei rufen?“, fragte der ältere Mann aus dem zweiten Stock besorgt.
„Ja, meine Mutter … tot… ermordet …“
„Ermordet? – Eva ist ermordet worden?“, wiederholte der Mann entsetzt und verschwand vom Fenster. Kurze Zeit später trat er mit dem Mobiltelefon in der Hand aus der Tür und gab es der jungen Frau.
„Kriminalpolizei Bern?“
„Sarah Berger“, meldete sich die junge Frau.
„Katharina Tanner. Guten Morgen, Frau Berger. Was ist geschehen?“
Sarah begann zu weinen: „Etwas Furchtbares: Meine Mutter ist ermordet worden. Ich habe nichts davon bemerkt, weil ich die Mansarde bewohne. Als ich vorhin zu ihr wollte, lag sie erstochen im Bett.“
„Ihre Adresse, bitte.“
„Rathausgasse 68, erster Stock.“
„Wir kommen sofort.“
Sarahs verzweifeltes Schluchzen übertönte die Stimme der Kommissarin.
Nachdem Katharina Tanner den Hörer aufgelegt hatte, befahl sie energisch: „Beppe, komm, beeil dich, es gibt Arbeit für uns!“
„Was denn? Ich wollte doch gerade meinen Cappuccino trinken und das Baguette genießen, so wie jeden Morgen vor der Arbeit.“
„Später – los jetzt, es handelt sich um einen Mordfall!“
„Mordfall? – Mamma mia, wenn ich das meiner Mamma in Neapel erzähle!“
Bei Bergers klingelte das Telefon. Sarah eilte in die Wohnung und griff nach dem Hörer.
„Guten Morgen, Sarah, Henri vom Berner Schriftsteller-Verein am Apparat. – Ist Ihre Mutter schon unterwegs?“
„Unterwegs? – Nein, sie liegt tot im Bett, mit einem Dolch in der Brust.“
Es folgte ein langes Schweigen. Dann hörte Sarah wieder die Stimme von Henri Wyss: „Hast du die Polizei gerufen?“
„Ja, ich habe soeben mit der Kommissarin Katharina Tanner von der Berner Kriminalpolizei telefoniert. Sie wird gleich hier sein. Könntet ihr bitte mit der Abfahrt warten? Vielleicht muss sie mit euch sprechen.“
„Ja, natürlich. Ich werde in einer halben Stunde noch einmal anrufen und jetzt sofort mit Frau Tanner Kontakt aufnehmen. Mein tiefstes Beileid, Sarah.“
4
Vor dem sizilianischen Reisebus beim Bundesplatz hatte sich inzwischen fast die ganze Gruppe des Berner Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Vereins versammelt: Der Präsident und Reiseleiter Henri Wyss, Esther Gasser, Alice Käser, Reto Müller, die Bestsellerautorin Shelly Dunn, die Krimiautorin und Gourmetspezialistin Katja Romero, Silke Herrmann, die in Bern wohnhafte Deutsche aus Hamburg, Raul Kern, der Theologe Bernhard Ryser und der Verleger John Schneider.
Alle warteten nur noch auf den Krimiautor Professor Rufus Fuhrer und die Bestsellerautorin Eva Berger. Bleich im Gesicht und mit zittriger Stimme teilte Henri Wyss der Gruppe mit, dass die Abfahrt verschoben werden müsse, weil etwas Schreckliches geschehen sei. Bestürzt vernahmen die Wartenden, dass ihre Kollegin Eva Berger einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Für eine Weile wurde es ganz still. Sie, die sonst so viel erzählten, wussten auf einmal nicht mehr, was sie sagen sollten.
Rufus Fuhrer hatte lange unter der Dusche gestanden. Seine Gedanken verweilten bei seinem neuen Kriminalroman. „Endlich habe ich sie getötet!“, schrie er plötzlich begeistert und meinte damit die Hauptfigur Maya Müller, für die er bisher einfach nicht die richtige Todesart hatte finden können. „Mit dem Dolch muss sie sterben – dass ich nicht früher darauf gekommen bin!“ Mit nassen Haaren verließ er das Badezimmer, zog sich hastig an und schrieb wie im Fieber die vierte Szene ins Notebook.
„So, nun kann’s losgehen“, murmelte er zufrieden. Er schaute auf die Uhr und erschrak. 7.00 Uhr. „Die werden sicher auf mich warten!“ Hastig nahm er seinen Koffer und eilte zur Tramhaltestelle.
Als er endlich vor dem Bundeshaus eintraf, erwarteten ihn seine Kolleginnen und Kollegen mit versteinerten Mienen.
„Tut mir schrecklich leid, dass ich zu spät komme! Aber es ist etwas ganz Wichtiges dazwischengekommen: Endlich habe ich sie getötet!“
Entsetzt blickten ihn alle an.
„Ja, mit einem Dolch habe ich sie erstochen!“ Grabesstille breitete sich unter den Anwesenden aus. Belustigt ergänzte Rufus: „Ich meine natürlich Maya Müller, meine Romanfigur.“
Nachdem Rufus Fuhrer vom Mord an Eva Berger erfahren hatte, sagte Henri zur Reisegruppe: „Wir müssen uns für Auskünfte zur Verfügung halten. Am besten bleiben wir hier, bis ich mit der Polizei gesprochen habe.“
Um 7.30 Uhr telefonierte er mit der Kommissarin Katharina Tanner.
Sie gab ihm folgende Anweisungen: „Wir haben den Tatort abgeriegelt, und die Leute von der Spurensicherung sind an der Arbeit. Ich erwarte Sie und die ganze Reisegruppe um neun Uhr im Polizei-hauptgebäude am Waisenhausplatz. Bitte melden Sie sich beim Empfang im Parterre, ich werde Sie dort abholen.“
Henri Wyss teilte diese Hiobsbotschaft unverzüglich der Reisegruppe mit, die sich widerwillig fügte. Es gab in der Gruppe fünf Krimiautoren. Aber ein wirkliches Verbrechen hatte noch keiner von ihnen hautnah erlebt. Und ausgerechnet die erfolgreichste Autorin war jetzt das Opfer.
Nachdenklich gingen sie, Henri Wyss an der Spitze, zum Bärenplatz. In der überdachten Veranda des Restaurants Gfeller diskutierten sie darüber, ob sie die Reise antreten sollten.
„Der Mord ist kein gutes Omen für die Reise“, meinte Katja Romero.
Esther Gasser erwiderte: „Anderseits können wir nichts mehr für die arme Eva tun und das Leben geht halt weiter. Ich finde, wir sollten die Reise trotzdem durchführen. Das wäre sicher auch im Sinne von Eva.“
Alle nickten. Eigentlich wollte niemand von ihnen wirklich daheimbleiben, aber eine unbeschwerte Reise, das konnten sie sich auch nicht mehr vorstellen.
Henri Wyss fasste zusammen: „Vorerst halten wir uns für die polizeiliche Befragung zur Verfügung. Das kann mehrere Stunden dauern. Wenn wir alle Fragen beantwortet haben, gibt es für uns hier nichts mehr zu tun. Wer lieber hier bleibt, um Eva Berger die letzte Ehre zu erweisen, soll es mir mitteilen. Die andern werden wie geplant an der Reise teilnehmen.“
5
Um neun Uhr meldeten sich die elf Personen des Berner Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Vereins und die beiden sizilianischen Fahrer beim Empfang des Polizeihauptgebäudes am Waisenhausplatz.
Die Kommissarin Katharina Tanner und ihr Assistent Beppe Volpe warteten schon auf sie. Der Fahrer Fausto aus Palermo und sein Partner Giuseppe wurden nach Aufnahme ihrer Personalien sofort wieder entlassen.
„Es dauert etwa zwei Stunden, dann können Sie losfahren“, bemerkte Beppe, bevor die beiden Italiener das Gebäude verließen. Dann sagte die Kommissarin: „Mein Büro befindet sich im zweiten Stock. Dürfte ich Sie, Herr Präsident, als Ersten bitten, mit nach oben zu kommen?“
„Das klingt ja nach einem Verhör“, antwortete Henri Wyss gequält und stieg zusammen mit Katharina Tanner und Beppe Volpe die Treppen empor. Die anderen zehn warteten unten in einem engen Raum, wo es nur sechs Stühle gab. John Schneider zündete sich nervös eine Zigarette an. Eine Polizistin deutete auf das Schild ‘Rauchen verboten’, welches unmittelbar neben ihm an der Wand hing. John fluchte leise und drückte die Zigarette an der Verbotstafel aus.
Im Büro wies die Kommissarin Henri Wyss an, sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch zu setzen. Beppe stellte sich unauffällig in die Ecke und beobachtete das Verhör.
„Herr Wyss, Frau Berger war Mitglied Ihres Vereins. Sie wollte mit Ihnen nach Italien reisen. Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt mit ihr?“
„Vor zwei Wochen, da rief sie mich zuhause an und fragte, ob sie ihren Badeanzug einpacken solle.“
„Und was haben Sie geantwortet?“
„Ja, unbedingt, denn wir werden ein paar Abstecher ans Meer machen und wer möchte, kann dort auch baden gehen.“
„Waren Sie mit Eva Berger gut befreundet?“