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"Ich weiß, dass er tot ist. Ich habe ihn schließlich getötet", erwiderte John ruhig. Jahrelang hat Diana aus Liebe das Geheimnis des Magiers John bewahrt. Doch dann nutzt er seine Fähigkeiten, um einen Freund von ihr zu töten. Obwohl sie sich von ihm abwendet, hält er an seiner Liebe fest und durch ihre Ablehnung wird er nur gefährlicher. Um ihn seiner Kräfte zu berauben, begibt Diana sich schließlich auf eine Reise in die erbarmungslose Welt, aus der er stammt. Niemals hätte sie geahnt, dass dort noch größere Bedrohungen auf sie warten.
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Seitenzahl: 944
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Diana hielt den Atem an. Drei Meter über der Bühne schwebend griff John mit der rechten Hand in die Luft und hielt plötzlich eine rote Rose darin. Er sah zu ihr hinab. Sein Blick war dabei nicht liebevoll, sondern eher drohend, und obwohl sie sich sicher war, dass keine Gefahr von ihm ausging, begann ihr Herz aufgeregt schneller zu schlagen. In der nächsten Sekunde verschwand die Rose aus seiner Hand und erschien fast zeitgleich in ihrer. Ein Scheinwerfer wurde auf sie gerichtet und tauchte sie in helles Licht. Mit feuchten Händen hob sie die Blume leicht an, während um sie herum der Beifall losbrach. Sie räusperte sich. Es war ihr etwas unangenehm, derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Bereits in der nächsten Sekunde erlosch das Scheinwerferlicht jedoch wieder. Eine unsichtbare Macht riss ihr die Rose aus der Hand und zog sie über die Köpfe der Menge. Trotz der Dunkelheit blieben die Umrisse der Rose erkennbar. Die Blüte entblätterte sich und die einzelnen Rosenblätter bildeten das Abbild eines Herzens. Leicht wehten sie in dem kalten Wind, der im Saal herrschte.
Sie strich sich über die Arme. Es war Sommer und sie trug eine kurze Bluse, doch mit jeder Sekunde schien es kälter zu werden. Langsam sank John dem Boden wieder entgegen. Bevor er diesen aber erreichte, durchschnitten weiße Tauben die Dunkelheit wie ein Blitz und flogen nur knapp an ihm vorbei auf die Rosenblätter zu. Als sein Fuß den Bühnenboden dann berührte, drehten sie sich abrupt zu ihm um. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrten sie in ihrer Bewegung. Ihre Augen fixierten ihn, dann flogen sie im Sturzflug auf ihn zu. Die spitzen Schnäbel leuchteten in der Dunkelheit. Je näher sie John kamen, desto besser war auch er wieder zu erkennen. Sein Blick drückte Zufriedenheit aus. Ruhig zog er seinen schwarzen Umhang aus und breitete ihn vor sich aus. Sobald die Vögel ihn erreichten, verschwanden sie einfach in dem Mantel, als wäre er ein schwarzes Loch. Mit Schwung legte John den leeren Umhang wieder über seine Schultern.
Erleichtert atmete Diana aus.
Dann verbeugte John sich und tosender Beifall erfüllte abermals das Theater. Wer noch nicht stand, erhob sich nun. Es verging eine Weile, bis John die Verbeugung beendete. Nach einem letzten Blick ins Publikum wurde er von einem weißen Nebel umhüllt und als dieser sich auflöste, war auch von John nichts mehr zu sehen. Der Beifall endete nicht. Noch Minuten forderte die Menge eine Zugabe. Schließlich senkte sich der Vorhang, die Lichter im Theater gingen wieder an und die Show war zu Ende. Dennoch löste sich die Gesellschaft nur langsam auf. Diana konnte sie verstehen. Schon oft war sie Besucherin dieser Vorführung gewesen und selbst auf sie hatte die Show ihre Wirkung noch nicht verloren.
„Sie hatten die Rose doch hier irgendwo versteckt, nicht wahr?“, fragte eine alte Frau, die neben Diana ihren Platz hatte.
Diana lächelte sie an. Schon seit einiger Zeit besuchte sie die Show nur noch selten zusammen mit Freunden, weil sie genau solche Fragen von ihnen hasste. „Nein, ich weiß leider auch nicht, wie er das gemacht hat“, machte es ihr hingegen nichts aus, die fremde Frau zu belügen. Dann drängte sie sich auf den Ausgang des Saals zu. Sie schlich sich an den Kamerateams vorbei, die vor dem offiziellen Zugang zum Backstage-Bereich warteten, und betrat durch den Zugang einer Verkaufstheke die Personalräume. Der Geruch der warmen Schokoladenmuffins, die dort angeboten wurden, lag ihr noch in der Nase, als sie die Treppe hinaufging, die zu den Umkleiden führte. Roter Teppichboden dämpfte den Klang ihrer Schritte und doch wusste sie, dass John sie hören würde. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie versucht, sich an ihn heranzuschleichen und auf Zehenspitzen zu gehen, diese Zeiten waren jedoch längst vorbei. Sie klopfte auch nicht mehr an, als sie schließlich seine Tür erreichte.
„Ganz schön gemein, dass du mir die Rose wieder abgenommen hast“, sagte sie gespielt vorwurfsvoll.
Er drehte sich mit einem Lächeln zu ihr um. Seine Augen strahlten. „Du hättest sie doch nicht die ganze Zeit festhalten wollen, oder?“
Statt zu antworten, ging sie zu ihm, legte ihm ihre Hände auf die Hüfte und küsste ihn. Er selbst zog sie dabei noch fester an sich, sodass sie seinen muskulösen Körper eng an ihrem spüren konnte.
„Ich liebe dich“, sagte er und trat einen Schritt zurück, um sie besser ansehen zu können. Seine Augen musterten sie so intensiv, dass sie sogleich wieder das Bedürfnis überkam, ihn zu küssen. Stattdessen entfernte auch sie sich ein Stück von ihm. „Das habe ich mir nach deiner kitschigen Show vorhin schon gedacht“, erwiderte sie lachend.
Johns Augenbrauen schossen in die Höhe. „Kitschig?“, wiederholte er. „Wie könnte ein so mächtiger Herrscher über die dunklen Mächte kitschig sein?“
Sie rollte amüsiert mit den Augen. „Es war jedenfalls schön“, sagte sie, als ihr bewusst wurde, dass sie sich noch nicht für diese Geste bedankt hatte.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Zweisamkeit.
„Anton“, erwiderte John auf ihren fragenden Blick und öffnete die Tür, indem er einmal mit der Hand in deren Richtung winkte.
Mit einem strahlenden Lächeln trat der Manager ein. „Das war wie immer eine sehr gute Show!“, verkündete er. Nach einem erneuten Winken schloss John die Tür hinter ihm wieder, doch Anton schenkte dem gar keine Aufmerksamkeit. „Du solltest den Hinterausgang nehmen“, fuhr er an John gerichtet fort. „Vorne stehen überall Journalisten, die sicher nicht nur für die Kritiker gekommen sind. Wenn du also heute nicht dein erstes Interview geben möchtest, verschwinde am besten durch den Keller.“
„Gut, danke.“ John sperrte sein Schwert in den Schrank in der hinteren Ecke des Zimmers. Den Schlüssel ließ er in die Hosentasche seines eleganten Anzugs gleiten. Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, ging Diana auf ihn zu und legte den Arm um ihn. Zu ihrer Zufriedenheit legte John seinerseits sofort auch seinen Arm um sie.
„Dann sehen wir uns übermorgen“, sagte er zu Anton.
„Du kommst also morgen nicht zur Show, um zu sehen, wie sich deine Schüler machen?“
„Nein. Morgen bin ich privat verplant.“
Diana nahm seine Hand und drückte sie.
„Ah?“, fragte Anton mit unüberhörbarer Neugier. „Was macht ihr denn morgen Schönes?“
Sie atmete tief durch. „Gemütlich kochen und hoffentlich ein bisschen feiern. Morgen haben wir Jahrestag und außerdem habe ich ein Bewerbungsgespräch.“ Ein Adrenalinrausch ging durch ihre Adern, als sie den Gedanken daran zuließ.
„Oh, wo denn?“
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Als Medienmanagerin bei PGV. Ich hoffe, ich bin gut vorbereitet.“
„Na, dann viel Glück!“ Er klopfte ihr auf die Schulter. „Ich schätze, ich lasse euch dann wohl mal besser wieder alleine“, fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Du schaffst das schon, Diana. Da habe ich keine Zweifel.“
Sie nickte nur dankend und sah Anton dann dabei zu, wie er den Raum verließ. Obwohl sie Anton mochte, freute sie sich, wieder alleine mit John zu sein.
„Und was machen wir jetzt heute Abend noch?“, wechselte sie bewusst das Thema.
Er musterte sie kurz, aber eingehend. Demonstrativ wanderte sein Blick auf seine Uhr.
„Es ist zehn“, nahm sie ihm seinen Kommentar ab. „Ich würde sagen, Zeit für einen Sekt, um auf deinen Erfolg heute anzustoßen, ist noch.“
„Was denn für ein Erfolg?“ Er klang ehrlich irritiert.
Natürlich wusste er nicht, worauf sie anspielte, denn er hätte sich kaum weniger für etwas interessieren können. An diesem Tag hatten sich einige einflussreiche Personen seine Show angesehen. „Hast du Andrew Dolphin gesehen?“, nannte sie nur einen. „Er war total begeistert. Ich wette, in den nächsten Tagen wird Anton mit Angeboten aus Hollywood überschüttet.“
John winkte diese Nachricht ab, als wäre sie etwas Negatives. „Anton weiß, wie er mit solchen Angeboten umzugehen hat“, erklärte er zuversichtlich.
Sie lachte. „Ja, ich weiß. Ich sage ja auch nicht, dass du sie annehmen sollst, ich sage ja nur, dass es cool ist, sie zu bekommen.“
Amüsiert runzelte er die Stirn.
Sie nahmen eine Treppe, die hinunter in den Keller führte. Ein leichter Geruch von Staub lag in der Luft und ihre Absätze ertönten laut hallend auf dem kalten, grauen Steinboden, doch an diesem Ort mussten sie nicht befürchten, von Journalisten entdeckt zu werden.
„Gehen wir in den Wald, um den Sekt zu trinken?“, kam John wieder auf die Abendgestaltung zurück.
Bei dem Gedanken an den Wald stieg ihre Laune noch weiter. „Zur Steinrose?“, fragte sie nach.
„Mit Pizza?“
„Und ganz viel Knoblauch?“
„Diana, du hast morgen ein Vorstellungsgespräch“, erinnerte er sie leicht tadelnden Tones.
„Na gut, du hast Recht. Vielleicht sollte ich heute lieber auf den Knoblauch verzichten.“
Er rollte mit den Augen. „Ich verstehe immer noch nicht, warum du für so etwas nicht meine Hilfe in Anspruch nehmen willst.“
Darauf antwortete sie ihm nicht. Sie hatte ihm bereits oft genug erklärt, warum sie seine Magie nicht zu oft nutzen wollte, und er wartete auch nicht auf eine Antwort. Gemeinsam setzten sie sich in sein Auto und keine fünfzig Minuten später gingen sie mit einer Pizza, einer Flasche Sekt und zwei magisch erschaffenen Sektgläsern von dem Waldparkplatz zu der steinernen Rosenblüte, die sich an einer abgelegenen Stelle des Waldes befand. Früher hatte sich an jener Stelle lediglich ein Felsen befunden. Nun wirkte es, als habe ein Steinmetz sich die Arbeit gemacht, die Form einer Rose in den Stein zu meißeln. Die einzelnen Blütenblätter bildeten riesige Treppenstufen, die zu der Spitze der Rosenblüte führten. Diana kletterte John voran daran empor und balancierte dabei die Pizzaschachtel und die Sektgläser in den Händen. Auf dem obersten Blütenblatt goss John ihnen den Sekt aus.
„Auf uns!“, sagte sie und stieß mit ihm an. „Ich bin so froh, dass ich dich habe.“
Lächelnd trank er von seinem Sekt. Dann wurde sein Lächeln breiter und schließlich lachte er los.
„Was ist?“, fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hätte früher nur niemals gedacht, dass jemand einmal so etwas zu mir sagen würde. Und irgendwie klingt es auch manchmal ganz schön absurd.“
Auch Diana lächelte leise. Sie sah zum Himmel hinauf. „Ja, weil es früher absurd war, dass du jemanden so nah an dich heranlassen könntest. Nicht weil die Menschen es nicht gewollt hätten.“
„Glaube mir, die Menschen wollten auch nicht nah an mich heran.“
Diana nahm sich ein Stück Pizza. Mittlerweile war diese bereits kalt, doch das machte ihr nichts aus. Sie strich mit dem Zeigefinger ihrer freien Hand über eine Kerbe, die sich in dem sonst perfekten steinernen Blütenblatt befand, auf dem sie saßen. „Manchmal wünschte ich, ich hätte dein früheres Ich auch kennengelernt.“
„Warum?“ Aufmerksam sah er sie an.
Sie spürte, wie sie leicht rot wurde, trank noch einen Schluck von dem Sekt und zog dann eine Schulter hoch. „Na, vielleicht würde ich dich dann weniger perfekt finden und mich nicht so klein neben dir fühlen.“ Als Antwort auf den kritischen Blick, den er aufsetzte, während sie sprach, zuckte sie noch einmal mit den Schultern. „Nur manchmal.“
„Es ist lächerlich, dass du dich klein neben mir fühlst“, sagte er bestimmt. „Ohne dich würde ich mich in dieser Welt gar nicht zurechtfinden.“
Sie nickte.
„Außerdem kanntest du mein altes Ich“, erklärte er weiter. „Und kennst es noch. Mag sein, dass du mich etwas verändert hast, aber ich möchte doch klarstellen, dass ich immer noch ich selbst bin. In jeder Sekunde. Und du liebst mich trotzdem.“
„Trotzdem“, wiederholte sie lachend. Sie sah auf die Bäume, die vor ihnen wuchsen. „Ich wünsche mir ein kleine Briese Wind“, sagte sie ruhig.
Kurz sah er sie schweigend an, dann bewegte er seinen linken Arm langsam in Richtung der Bäume. Mit Mittel- und Zeigefinger winkte er zu sich. Sofort begannen die Blätter der Bäume in einem leisen Wind zu wehen. Eine Sekunde später zog die Briese auf Diana zu und erfasste ihr Haar.
Diana schloss die Augen und atmete tief ein. Es roch nach Sommer und Wald. „Unglaublich, dass deine Zuschauer wirklich glauben, hinter deiner Magie stecken nur Tricks.“
Nachdenklich nickte er. „Gut, dass sie es tun“, erwiderte er ernst.
„Achtung!“ Sie erhob sich und sprang von der fünf Meter hohen Steinrose. Mitten im Fall wurde sie von einem Windzug erfasst, als wäre sie ein leichtes Blatt, und sacht auf den Boden gesetzt. John sprang ebenfalls von der Rose und landete weniger sanft neben ihr.
„So etwas sollst du doch nicht machen!“, erklärte er anklagend.
„Warum nicht?“
„Du hättest dir sämtliche Knochen brechen können.“
„Hätte ich nicht. Ich wusste doch, dass du mich auffängst.“
„Ich hätte auch unaufmerksam sein können.“
„Das denke ich nicht. Ich weiß genau, dass du immer auf mich aufpasst. Und außerdem habe ich vorher extra ‚Achtung‘ gesagt.“
Er lächelte nachgiebig, wenn auch immer noch besorgt. „Ich möchte doch nur nicht, dass du dich unnötig in Gefahr begibst.“
„Ganz ehrlich“, antwortete sie und küsste ihn, „ich kann mir nicht vorstellen, was mir in dieser Welt noch gefährlich werden könnte.“
„Guten Morgen, meine Liebe!“, weckte John Diana am nächsten Tag mit sanfter Stimme. In seinen Händen trug er ein Tablett, auf dem frische Brötchen, Rührei mit Speck und weitere Leckereien lagen. „Wie fühlst du dich heute?“
Sie gähnte laut und wischte sich den Schlaf aus den Augen, während ihr der Duft der Brötchen und des Specks in die Nase stieg. Sie hatte sich bereits in den letzten Minuten nur im Halbschlaf befunden, doch bewusst an diesem Schlaf festgehalten, da sie sich nicht von der Gemütlichkeit hatte trennen wollen. Die Gerüche, die jetzt das Zimmer erfüllten, boten ihr einen neuen Anreiz. „Guten Morgen, mein Schatz“, antwortete sie immer noch müde. „Womit habe ich denn das verdient?“ Langsam setzte sie sich auf.
„Ich dachte, wir könnten es uns schon vor deinem Bewerbungsgespräch etwas gemütlich machen“, erklärte er lächelnd und stellte das Tablett vor ihr auf dem Bett ab. „Es ist reine Handarbeit, so wahr mir Gott helfe.“ Wie zu einem Schwur hob er feierlich die Hand.
Noch einmal gähnte Diana, dann gab sie ihm einen Kuss. „Danke!“ Glücklich sah sie auf das Tablett vor sich. Mehr und mehr verdrängten ihre Lebensgeister ihre Müdigkeit. „Ich fühle mich gut“, beantwortete sie seine anfängliche Frage und nahm sich eine Gabel zur Hand. „Es ist auch einmal ganz schön, nicht zur Arbeit zu müssen.“
Er nickte zufrieden. Seine Augen musterten sie liebevoll. „Von mir aus könnte es immer so sein.“
Bei dem Gedanken daran, was hinter dieser Aussage steckte, schüttelte sie den Kopf. Betont entschuldigend sah sie ihn an. „Das wäre auf Dauer nichts für mich.“ Dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Frühstück. Sie nahm eine Gabel Rührei in den Mund und sofort breitete sich ein beträchtlich zu intensiver Salzgeschmack auf ihrer Zunge aus. Schnell trank sie einen Schluck Orangensaft, um das versalzene Ei zu neutralisieren. Sie biss in ein Schinkenbrötchen und aß erst danach die nächste Gabel voll Ei.
John nahm sich ebenfalls ein Brötchen. „Soll ich dich gleich zum Bewerbungsgespräch fahren?“
Sie legte die Arme um ihre Beine. „Nein, ich glaube, ich gehe gleich im Auto lieber noch einmal meine Stärken und Schwächen durch. Das kann ich besser, wenn ich alleine bin.“
„Mein Gott!“, stieß er zusammenhangslos aus. Dann legte er seine Gabel weg. Er hatte gerade von dem Ei probiert und musterte Diana jetzt kurz. Lächelnd nahm er den Teller mit dem Ei von dem Tablett. „Danke“, sagte er und brachte das Ei zurück in die Küche, wo er es wegwarf.
„Der Rest ist super lecker!“, rief sie ihm nach und nahm sich einen der kleinen Muffins, die John ihr gebracht hatte. „Hast du die selber gebacken?“, fragte sie, als er wiederkam.
„Nein, keine Sorge, die sind nur selbst gekauft.“
Amüsiert musste sie grinsen. „Normalerweise kannst du gut backen und kochen.“
„Sicher. Ich kann alles gut.“
„Das stimmt.“ Sie gab ihm einen Kuss, als er sich zu ihr hinunterbeugte, um sich auch einen Muffin zu nehmen. „Ich freue mich schon auf heute Abend.“
„Boah, was bilden die sich eigentlich ein?!“, wollte Diana eine Woche später von John wissen, als sie am Abend nach Hause kam. In den letzten Tagen hatte sie insgesamt sieben Bewerbungsgespräche geführt, die alle darauf hinausgelaufen waren, dass man sie als Einstellungskriterium darum gebeten hatte, ein Interview mit John zu arrangieren.
John sah sie an und schwieg. Er hatte sich schon die letzten Tage ihre Wutausbrüche anhören müssen. Auch ihren Jahrestag hatten sie aufgrund ihrer schlechten Laune nicht mehr richtig genießen können.
„Als ob ich nicht auch gut wäre, würde ich nicht deine Freundin sein“, sagte sie nicht zum ersten Mal diese Woche.
John nickte nur.
„Er liebt Sie doch. Für Sie würde er das sicher machen“, ahmte sie die Stimme der Frau nach, die sie soeben getroffen hatte. „Blöde Kuh!“
Er lachte leise.
„Ist doch wahr!“, beschwerte sie sich. „Als ob ich unter solchen Leuten arbeiten wollen würde.“
„Das musst du ja auch nicht“, antwortete er und gab ihr einen Kuss. „Du wirst schon noch eine Firma finden, die dein Talent zu würdigen weiß.“
„Pff, das sagst du schon die ganze Woche.“
„Weil es wahr ist. Ich weiß doch, dass du gut bist.“ Er wendete den Fisch, den er gerade in der Pfanne zubereitete. Sie sah auf das brutzelnde Fett, das den Fisch langsam braun färbte. Unvermittelt nahm sie ihm den Pfannenwender ab und stellte sich selbst an den Herd. Nur um etwas zu tun zu haben, schob sie den Fisch in der Pfanne hin und her. „Ach, ja? Woher willst du das eigentlich wissen? Du hast doch keine Ahnung davon“, gab sie übelgelaunt zurück.
„Wenn ich das richtig verstanden habe, hast du deine Doktorarbeit doch mit der bestmöglichen Note abgeschlossen, oder etwa nicht?“ Er öffnete eine Flasche Wein.
„Ja toll, die habe ich bestimmt auch nur geschenkt bekommen, weil meine Prüfer sich bei dir einschmeicheln wollten.“
Wieder lachte John. „Das glaubst du doch selbst nicht.“
„Ach, was weiß ich.“ Ihr war nicht nach Lachen zumute. Am liebsten hätte sie sich gar nicht mehr weiter beworben.
John ließ sich von ihrer Laune nicht aus der Ruhe bringen. „Du wolltest dir doch ohnehin jetzt erst einmal ein paar Wochen frei nehmen“, erinnerte er sie. „Warum entspannst du dich nicht erst einmal? Du hast noch genug Zeit, den richtigen Beruf für dich zu finden.“
„Ja, das wollte ich eigentlich schon, aber jetzt möchte ich einfach nur herausfinden, ob es auch noch vernünftige Unternehmen da draußen gibt.“
„Die gibt es sicher.“ Er nahm sie in den Arm. „Du schaffst das schon.“
Genervt befreite Diana sich aus seiner Umarmung und verließ den Küchenbereich, um sich auf die Wohnzimmercouch zu setzen. „Und wie?“, fragte sie und sah herausfordernd zu ihm herüber.
Er schaltete den Herd aus und stellte die Pfanne auf eine kalte Platte. Dann kam er zu ihr hinüber. „Das weißt du sicher besser als ich.“ Er setzte sich neben sie.
Demonstrativ wandte sie sich von ihm ab. „Na, danke für deine Hilfe.“
Behutsam strich er ihr mit dem Daumen über den Nacken. „Du weißt aber, dass ich es für dich machen würde, nicht wahr?“, fragte er nach einem Moment der Stille.
„Das du was für mich machen würdest?“
„Ein Interview geben, für wen auch immer. Von mir aus auch eine Show.“
Abrupt stand sie auf. „Du denkst also auch, dass ich es nicht ohne dich schaffe?!“
„Nein, das wollte ich damit nicht sagen.“
„Nicht? Was denn dann bitte?“
„Nein, ich wollte doch nur, dass du weißt…“
„…dass du mein großer Beschützer und Versorger bist und immer alles für mich klären wirst und ich mich um nichts kümmern brauche, richtig?“
„In gewisser Weise ja, aber…“
„Mensch, du verstehst aber auch gar nichts“, beschwerte sie sich und nahm die Treppe, um die Wohnküche zu verlassen. Sie wusste, dass John es einfach nur gut meinte und doch ärgerte es sie, dass er offensichtlich nicht verstand, worum es ihr ging.
„Diana, warte doch!“, hörte sie John hinter sich sagen, doch sie wollte seine Erklärungen im Moment nicht hören. Sie schlug die Schlafzimmertür hinter sich zu. „Lass mich in Ruhe“, rief sie ihm zu und bereute es fast schon im selben Augenblick. Das Problem mit John war, dass er sich meistens sehr genau daran hielt, wenn sie ihm sagte, dass sie ihn nicht sehen wollte. Natürlich wäre es ihr aber lieber gewesen, er hätte sie doch irgendwie dazu gebracht, dass sie nicht mehr sauer auf ihn und auf sich selbst war.
Schmollend legte sie sich aufs Bett und schaltete das Radio ein. Sie sah zur Tür. „Wieso kommst du nicht einfach rein?“, dachte sie für sich, in dem Wissen, dass ihm das Gedankenlesen nicht möglich war. Dann nahm sie sich das Buch, das auf ihrem Nachttisch lag, und begann es zu lesen. Hunger verspürte sie ohnehin keinen.
Es vergingen zwei Stunden, bis er wieder an die Tür klopfte.
„Ja“, sagte sie und verwendete mit einer gewissen Absicht einen missgelaunten Ton.
Vorsichtig öffnete John die Tür und steckte seinen Kopf ins Zimmer. „Darf ich hereinkommen?“
Sie rollte mit den Augen. „Das ist genauso dein Zimmer wie meins, also kann ich wohl nichts dagegen sagen. Im Prinzip gehört es sogar mehr dir als mir, immerhin hast du von deinem Geld das Haus gekauft.“
John schloss die Tür hinter sich. „Dir ist bewusst, dass ich dieses Geld ohne dich nie verdient hätte, oder? Du weißt, dass ich ohne dich verloren in dieser Welt wäre.“
„Ach, das stimmt doch schon längst nicht mehr. Ich habe dir einmal geholfen und das war es auch.“ Jetzt zumindest brauchte er sie nicht mehr. Mit jedem Tag weniger.
John setzte sich neben sie ins Bett und streichelte sie. „Du hilfst mir jeden Tag. Wirklich. Du weißt selbst, wie es ist, in einer fremden Zeit zu sein. Glaubst du wirklich, ich könnte dieser Zeit ohne dich standhalten?“
„Boah, jetzt mach mir bitte keinen Vorwurf, dass du in dieser Zeit bleiben musst. Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass…“
„Diana“, sagte er beschwichtigend, „du weißt, dass ich dir damit keinen Vorwurf machen wollte.“
„Ja, ich weiß, dass du das nicht wolltest. Aber trotzdem stimmt es doch. Du würdest lieber nicht hierbleiben. Ich bin die Einzige, die dich hält. Du musst mich nicht immer wieder daran erinnern, ich habe auch so schon ein schlechtes Gewissen, danke. Aber ich könnte einfach noch weniger für immer in deiner Welt leben, verstehst du das nicht?“
Lachend erhob er sich vom Bett. Er tat dies manchmal, wenn er nicht weiter streiten wollte und wusste, dass es keinen Grund für einen Streit gab. Manchmal regte sie dieses Lachen noch mehr auf und sie bekam das Gefühl, dass er sie nicht ernst nahm. Viel öfter aber erkannte sie, dass es tatsächlich lächerlich war, dass sie sich über ihn aufregte und sie stimmte in sein Lachen mit ein. Heute kämpfte sie gegen ein solches Einstimmen an, doch sie konnte ihm nichts vormachen, er wusste, dass er sie gebrochen hatte.
„Warum möchtest du unbedingt streiten?“, fragte er sie liebevoll.
„Jetzt setz dich schon wieder neben mich“, bat sie ihn.
Er kam ihrer Bitte nach und setzte sich auf seinen Teil des Bettes. Sie lehnte sich gegen ihn. „Ich möchte doch gar nicht streiten“, versuchte sie sich zu erklären, obwohl sie sich selbst nicht ganz verstand. „Ich möchte nur irgendwie meine Wut loswerden. Ich bin einfach enttäuscht und sauer. Natürlich nicht auf dich. Es ist nur…“, begann sie unüberlegt.
„Es ist was?“, hakte er nach.
„Ach nichts“, versuchte sie ihn abzuwimmeln, obwohl ihr bewusst war, dass es zu spät dafür war.
„Na, sag schon“, forderte er sie auf, ihren Satz zu beenden.
Sie wusste, dass sie selbst schuld war, dass er mehr hören wollte und wollte es auch irgendwie erzählen, also ergab sie sich in ihr Schicksal: „Es ist nur… irgendwie… bin ich manchmal einfach eifersüchtig auf dich.“
Irritiert runzelte er die Stirn. „Eifersüchtig?“ Er rückte ein Stück von ihr ab und betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
Es störte sie, dass sie bereits jetzt wieder das Gefühl hatte, sich rechtfertigen zu müssen. „Ja, ist das nicht klar? Dir gelingt immer alles, was du tust. Die ganze Welt liebt dich und zwar um deinetwillen und nicht etwa, weil ich so toll wäre.“
John kniff die Augen leicht zusammen, wie er es immer tat, wenn er nicht ganz einverstanden mit dem war, was sie sagte.
„Was? Stimmt doch, oder nicht?“, reagierte sie auf diesen Blick.
Er schüttelte nur den Kopf und stand abermals vom Bett auf. „Wir sollten jetzt schlafen gehen, denkst du nicht?“, wechselte er das Thema. Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Diana folgte ihm ins Bad. „Warum schüttelst du den Kopf?“, fragte sie ihn.
John atmete einmal tief durch, drückte Zahnpasta auf seine Zahnbürste und steckte sich diese in den Mund. Erwartungsvoll beobachtete Diana ihn dabei. Es dauerte nicht lange, bis John die Zahnbürste zurücklegte. Er fuhr sich einmal mit dem Daumen über die Lippen. „Du weißt, warum ich mir die Zähne putze, oder?“
Dieses Mal verstand sie sofort, was er ihr sagen wollte. Mit einem schlechten Gewissen sah sie auf den Fußboden. „Weil ich es unfair fand, wenn nur ich das tun muss“, erwiderte sie ruhiger.
„Nein“, antwortete John, „in Wahrheit tue ich es, weil du es nicht magst, wenn ich zu oft Magie anwende, egal ob für mich oder für dich. Ich könnte die Bakterien in deinem Mund ebenso schnell töten, wie jene in meinem Mund.“
Sie rollte mit den Augen, ohne etwas dazu zu sagen.
„Es ist lächerlich zu sagen, die Menschen dieser Welt würden mich um meinetwillen lieben“, fuhr er nüchtern fort, „denn sie wissen nicht einmal, wer ich bin.“
Diana verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt, was ich damit sagen wollte“, stellte sie fest.
„Und du weißt, dass du die Person geschaffen hast, die alle lieben“, erwiderte er ernst. „Du hast mir diesen Beruf als Zauberkünstler und Lehrer ausgesucht. Du sagst mir, wie ich mich in dieser Welt präsentieren soll. Und das Einzige, was ich tue, ist, mich daran zu halten.“ Ohne sie noch einmal anzusehen verließ er das Bad. Er wirkte kontrolliert wie immer, doch dass er sie nicht angesehen hatte, verriet ihr, dass er niedergeschlagener war, als sie erwartet hätte.
„Was ist denn los?“, fragte sie vorsichtig, als sie sich im Schlafzimmer neben ihn ins Bett legte.
Er küsste ihre Hand. „Ich habe nur Angst, dass ich der Grund dafür sein könnte, dass es dir nicht gut geht.“
„Das bist du doch nicht. Denk das bitte nicht!“ Sie schmiegte sich näher an ihn. „Du bist der beste Freund, den man sich vorstellen kann.“
Sie hörte, wie er unzufrieden zu lächeln begann. „Nur ein wenig zu perfekt, ja?“
Diana küsste ihm das Haar. „Vergiss einfach, dass ich das gesagt habe, einverstanden?“
Er drehte sich zu ihr. Nachsichtig musterte er sie. „Vielleicht sollten wir doch noch einmal Urlaub machen“, schlug er vor. „Du weißt, wie die Menschen meiner Zeit dich verehren. Dort bist du der Höhepunkt, nicht ich. Vielleicht würde dir das jetzt nach diesen Bewerbungserfahrungen ganz guttun.“
„Vielleicht hast du damit sogar Recht“, stimmte sie ihm zu, „aber ich möchte auch in der richtigen Welt anerkannt sein.“
„In der richtigen Welt“, erwiderte John schmunzelnd.
Sie wusste, dass diese Worte für ihn etwas anderes bedeuteten als für sie selbst.
„Ich glaube, das bist du mehr, als du denkst“, fuhr er fort. „Anerkannt, meine ich, auch in dieser deiner richtigen Welt.“
„Ja, vielleicht.“
„Und? Was sagst du zum Urlaub? Es wäre ohnehin mal wieder an der Zeit.“
„Tut mir leid, aber ich würde mich gerade lieber erst einmal um die Bewerbungen kümmern. Danach wäre ich sicher auch entspannter.“
„Schade, aber ja. Gut, dann später.“
„John?“
„Ja?“
„Machst du mir den Mund sauber?“
John lachte. „Na endlich.“ Er strich ihr mit dem Daumen über die Lippen. Sofort erfüllte ein Frischegefühl ihren Mund.
„Danke!“
„Diana Kresse?“, hörte Diana eine unbekannte Stimme hinter sich rufen, als sie von einem weiteren erfolglosen Bewerbungsgespräch auf dem Weg nach Hause war.
Sie blieb stehen. Obwohl sie wusste, was auf sie zukommen würde, und momentan keine große Lust hatte, sich mit Johns Fans zu unterhalten, drehte sie sich mit freundlichem Lächeln um.
„Ja?“
„Sie sind doch die Frau von John Gold, oder?“, fragte eine rothaarige Frau mittleren Alters.
„Seine Freundin, ja“, korrigierte Diana höflich.
„Oh, ja natürlich. Es muss wundervoll sein, mit ihm zusammenzuleben, nicht wahr?“
„Sonst wäre ich nicht mit ihm zusammen“, gab sie betont freundlich zurück und fragte sich dabei zugleich, ob sie es damit wirklich vollbrachte, ihre genervte Stimmung zu verbergen.
„Ich habe leider seine einmalige Autogrammstunde verpasst“, fuhr die Frau fort, „dabei bin ich mit Sicherheit sein größter Fan.“
„Mit Sicherheit“, antwortete Diana. Sie hätte gar nicht zählen können, wie oft sie diesen Satz schon gehört hatte.
„Meinen Sie, Sie könnten mir vielleicht ein Autogramm von ihm besorgen? Ich meine, wo wir uns jetzt doch schon so zufällig hier treffen…“
„Tut mir leid, ich würde Sie bitten, dafür auf eine nächste Autogrammstunde zu warten. Ich müsste dann jetzt auch einmal weiter.“
„Nun, schade. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Sie ein Stück begleite?“
Innerlich verdrehte Diana die Augen. „Generell natürlich nicht“, antwortete sie immer noch höflich, „aber ich habe es momentan ein wenig eilig. Ich wollte mir gerade ein Taxi nehmen.“
Wie gerufen kam in diesem Augenblick tatsächlich ein Taxi die Straße entlanggefahren, das Diana sogleich zu sich winkte. Sie verabschiedete sie sich eilig von der fremden Frau, stieg in das Auto und fuhr mit diesem einmal um den Block. Immer noch leicht verärgert, betrat sie schließlich ihren Garten, um durch den Hintereingang in das Haus zu gelangen. Sie freute sich schon auf die Aussicht, den ganzen Wirbel um John für einen Moment hinter sich lassen zu können. Noch bevor sie die Haustür jedoch erreichte, öffnete John ihr.
„Diana, du bist schon wieder zurück?“
Sie runzelte die Stirn. „Und du bist nicht in der Zauberschule?“
„Nein, ich habe heute früher Schluss gemacht.“
„John! Deine Schüler bezahlen dich für den Unterricht“, erklärte sie ihm nicht zum ersten Mal.
„Ich weiß, aber ich denke, sie kommen momentan auch ohne mich zurecht. Wieso bist du schon so früh wieder hier? Wie verlief dein Bewerbungsgespräch?“
Als Antwort warf sie ihm nur einen genervten Blick zu, den er ausreichend gut deuten konnte.
Mitfühlend strich er ihr über die Schulter. „Hast du Lust, spazieren zu gehen?“
„Danke“, würdigte sie sein Angebot kurz, aber verneinend. „Ich würde mich jetzt lieber einfach nur auf die Couch legen.“ Sie wollte auch gar nicht weiter über ihre Misserfolge sprechen. Sie wollte nur noch die Füße hochlegen und abschalten. Es wäre ihr auch nicht unrecht gewesen, alleine zu sein, doch sie hatte weder die Energie noch die Lust, weiter mit John über seine Pflichten zu diskutieren.
„Oh, ok.“ Es wirkte beinahe enttäuscht, als John nickte und ihr gezielt ins Wohnzimmer vorausging, während sie ihre Jacke an die Garderobe hing.
Statt ihm direkt zu folgen, ging sie die Treppe hinauf, um ihre Tasche im Arbeitszimmer abzulegen.
„Was machst du?“, wollte er wissen.
„Ich bringe nur meine Sachen hoch. Ich komme sofort.“
„Mach das doch später und setz dich erst einmal zu mir.“
„Ich bin doch gleich bei dir.“ Sie nahm die letzten Stufen, John gab sich mit dieser Antwort jedoch nicht zufrieden. „Diana, warte bitte.“ Er folgte ihr die Treppe hinauf und als sie die Türklinke des Arbeitszimmers hinunterdrückte, ließ sich die Tür nicht öffnen. Verwirrt drehte sie sich zu ihm um. „Was soll das?“
„Würde es dir etwas ausmachen, jetzt nicht ins Arbeitszimmer zu gehen?“
„Warum, was ist denn da drin? Ein Geschenk für mich?“ Noch einmal versuchte sie die Tür zu öffnen, doch nach wie vor ließ John es nicht zu.
„Nein, das ist es nicht“, widersprach er ihr.
Erst in diesem Moment hörte sie ihm seine Anspannung an. Misstrauisch musterte sie ihn. „Was ist es dann?“
John atmete tief durch. Er setzte zu einer Antwort an und sagte dann doch nichts.
„John, was ist da drin?“, forderte sie ihn erneut auf, ihr eine Erklärung zu liefern.
Immer noch angespannt sah er auf die verschlossene Tür. Man sah ihm förmlich an, wie es in seinem Kopf arbeitete. Schließlich sah er zurück zu ihr. Sein Blick traf direkt in ihre Augen. „Könntest du dich damit zufriedengeben, dass ich es dir nicht sagen möchte?“, fragte er ruhig.
Empört öffnete sie den Mund, doch er ließ ihr nicht die Zeit, um zu antworten.
„Würdest du einmal kurz spazieren gehen? Danach hätte ich diese Unannehmlichkeit sicher beseitigt. Bitte.“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „John, du tust ja gerade so, als wäre da eine andere Frau in dem Zimmer. Und da wir beide wissen, dass das lächerlich ist, sag mir doch einfach, was du zu verbergen versuchst.“
Erneut wanderte Johns Blick zur geschlossenen Tür des Arbeitszimmers. Er ging gar nicht auf die Absurdität dessen ein, was sie gerade ausgesprochen hatte.
„Ich denke, du würdest das nicht verstehen“, sagte er schlicht, ohne sie anzusehen. Besorgnis zeichnete seine Gesichtszüge. Fast schon demonstrativ presste er seine Lippen aufeinander, um ihr zu verdeutlichen, wie ernst es ihm war. Er wollte wirklich nicht weitersprechen.
Ebenso demonstrativ hob sie die Augenbrauen. „Glaubst du wirklich, ich werde jetzt Ruhe geben? Lass mich die Tür aufmachen! Jetzt. Wenn du wirklich nicht willst, dass ich erfahre, was hinter dieser Tür ist, musst du schon Magie anwenden, um es zu verbergen. Denn so einfach gebe ich mich sicher nicht zufrieden.“ Sie wusste, was sich auch immer im Arbeitszimmer befand, John würde keinen Zauber nutzen, um es zu verstecken. Er hatte ihr einmal versprochen, dass er seine Magie niemals gegen sie einsetzen würde. Auch nicht, um sie zu täuschen. Und John hatte noch nie eines seiner Versprechen gebrochen.
„Noch einmal: Lass mich die Tür aufmachen“, forderte sie.
„Da drinnen“, erklärte John nun und deutete mit der rechten Hand auf das Arbeitszimmer, „ist ein Magier aus meiner Zeit.“
„Was?“ Mit einer solchen Antwort hatte sie nicht gerechnet. Und sie wirkte ihrer Verwirrung nicht entgegen, sondern verstärkte sie nur. „Aus Aeb?“, fragte sie nach, während sie noch versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
„Er ist von Aeb aus hierhergereist, ja.“
„Das ist doch aufregend“, stellte sie langsam und immer noch irritiert fest. Viele Magier schien es auch in Johns Welt nicht zu geben, weswegen sie besonders gespannt war, diesen Mann kennenzulernen. „Warum darf ich ihn nicht sehen?“
John rollte mit den Augen. Ein sichtbarer Vorwurf darüber, dass sie seinen Wunsch stillzuschweigen nicht akzeptierte, lag in seiner Haltung. „Das ist komplizierter. Es ist einfach besser, wenn du dir keine Gedanken darum machst.“
„Geht es Miriam nicht gut?“
„Es ist nicht Miriam, die ihn geschickt hat, er ist aus eigennützigen Gründen hier.“
„Und ist er so stark wie du? Ist er gefährlich?“ Sie entfernte sich einen Schritt von der Tür, als ihr bewusst wurde, dass dies Johns Verhalten hätte erklären können. Doch auch mit diesem Gedanken schien sie nicht richtig zu liegen. „Nein“, winkte John ab. „Sonst wäre er nicht hier.“
„Und warum ist er hier?“
„Wirklich, Diana…“
„John!“
„Nun, er ist hier, weil er mich um meine Hilfe ersucht.“
Sie legte den Kopf zur Seite. „Hilfe wobei?“
Angestrengt atmete John tief durch. „Im Prinzip möchte er, dass ich mich in einen Krieg einmische, und ich bin nicht bereit dazu, dies zu tun“, ergab er sich dann jedoch in sein Schicksal. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Einen Krieg?“ Je mehr Bruchstücke er ihr verriet, desto mehr wuchs ihre Verwirrung.
„Ja.“
„Ja, natürlich mischst du dich da nicht ein.“
Noch einmal atmete er hörbar tief durch, doch klang es immer noch eher angestrengt als erleichtert. „Gut, dass wir uns da einig sind“, erklärte er angespannt, „dann kann ich ihn ja jetzt wegschicken.“
„Kannst du.“ Mit einer einladenden Handbewegung deutete sie auf die Zimmertür.
„Diana, bitte. Du solltest ihn nicht sehen.“
„Ach komm, das ist doch lächerlich. Jetzt mach endlich die Tür auf.“
Nachgiebig hob John endlich die Hand. Zeitgleich ertönte ein Rumpeln im Inneren des Raums. Ohne länger zu zögern, betrat Diana das Arbeitszimmer. Ein Mann Anfang zwanzig kniete dort auf dem Boden und umfasste keuchend seinen Hals. Er trug einen braunen Kittel, der ihm das Aussehen eines Mönches verlieh. Sein Kopf war unnatürlich rot, sein Blick zu Boden gerichtet. Als Diana einen Schritt auf ihn zu trat, sah er verängstigt zu ihr auf. Seine geröteten Augen waren geweitet, Schweiß lag auf seiner Stirn und er zitterte. Sobald er sie aber erkannte, erhellte sich sein Blick schlagartig. „Gnädige Diana“, stieß er so erleichtert aus, dass es Diana tief ins Herz traf. Aus seiner knienden Position heraus verbeugte er sich derart ausufernd, dass er beinahe am Boden lag. Neben Mitleid überkam sie ein mulmiges Gefühl. Den Mann zu ihren Füßen zu sehen erschien ihr unwirklich und das mulmige Gefühl wurde auch dadurch nicht gemildert, dass sich John im nächsten Moment zwischen sie beide begab.
„Ich muss Euch nun erneut bitten, mein Haus zu verlassen“, erklärte er dem Fremden bestimmt.
Die blauen Augen des Mannes weiteten sich wieder. Mit einem Kopfschütteln sah er von John zu Diana und schließlich zurück zu John. „Nein, bitte, das könnt Ihr nicht… Frau Diana…“, wollte er sich direkt an sie wenden, doch John schnitt ihm das Wort ab. „Ich sagte Euch bereits…“
Auch jener Mann ließ John nicht aussprechen. Mit einem „Bitte“ übertönte er John und warf sich vollends vor dessen Füße, ganz offensichtlich mit der Absicht, seine Schuhe zu küssen. Bevor seine Lippen aber das dunkle Leder berührten, wurde der Mann durch eine unsichtbare Macht von John fortgeschleudert.
Erschrocken schrie Diana auf, als der Fremde gegen die hintere Wand des Raumes prallte.
Ungerührt ergriff John abermals das Wort. „Ich warne Euch…!“, richtete er sich an den zu Boden Gesunkenen. Er wollte weitersprechen, doch der Mann ignorierte die Warnung. Hilfesuchend sah er zu Diana. „Bitte, hört mich an!“, flehte er panisch.
John trat einen Schritt nach rechts, sodass er ihr den Blick auf den Mann vollends versperrte. Mit einer knappen Handbewegung öffnete er das Fenster im Raum.
„Geht jetzt freiwillig, oder…“
„John!“ Dieses Mal war es Diana, die John unterbrach. Es war für sie unbegreiflich, was gerade in diesem Raum vor sich ging. Sie konnte nicht länger verstehen, dass John diesen Hilfesuchenden derart kühl zurückweisen wollte und ihn darüber hinaus ohne jeglichen Ansatz von Respekt behandelte.
John musste ihr diese Gedanken ansehen. Sie spürte, wie seine Anspannung zunahm. Mit eindringlicher Miene drehte er sich zu ihr um. „Ich dachte, wir waren uns einig?“
Diese Aussage verärgerte sie nur noch mehr, weil es ganz offensichtlich war, dass er ihr nicht alles berichtet hatte. Trotz dieser Verärgerung antwortete sie so ruhig, wie es ihr möglich war: „Ich möchte mir anhören, was er zu sagen hat.“ Sie drängte sich an John vorbei. Der fremde Mann saß immer noch am Boden. Mit der rechten Hand hielt er seinen linken Arm umfasst, den er sich scheinbar bei dem Aufprall gegen die Wand verletzt hatte. Hoffnungsvoll sah er sie an.
„Diana“, warf John ein, als sie auf den Fremden zuging, um ihm aufzuhelfen.
„Ja?“ Sie hielt dem Mann am Boden eine Hand entgegen. Immer noch ängstlich sah dieser auf ihre Hand und schließlich zu John. Diana folgte seinem Blick. John seinerseits sah zu ihr. Sie hätte nicht sagen können, was seine Miene ausdrückte, doch in diesem Moment war ihr das auch nahezu egal. „John, unser Gast scheint etwas verstört zu sein“, erklärte sie ihm ihrerseits kühl. „Möchtest du uns nicht einen Tee kochen? Das ist gut für die Nerven.“
Angestrengt schloss John die Augen. Er ballte die Hand zur Faust. Dann öffnete er die Augen wieder, drehte sich um und verschwand aus dem Zimmer.
Mit einem Schulterzucken widmete Diana ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann zu ihren Füßen. Dessen Blick war starr auf die Stelle gerichtet, an welcher John verschwunden war.
„Möchten Sie nicht aufstehen?“, versuchte Diana zu ihm durchzudringen. „Dann können wir hinunter ins Wohnzimmer gehen. Dort ist es sicherlich gemütlicher als hier.“
Auf ihre Worte hin lächelte der Mann vorsichtig. Er ergriff ihre immer noch ausgestreckte Hand und richtete sich auf. „Mein Name ist Matthias“, stellte er sich vor. „Ihr ahnt nicht, welch eine Ehre es für mich ist, Euch kennenzulernen.“ Er deutete einen Handkuss an.
Mit einem Lächeln entzog sie ihm ihre Hand. „Nun lassen Sie uns doch zunächst einmal hinunter ins Wohnzimmer gehen. Dann sehen wir, ob ich Ihnen überhaupt weiterhelfen kann.“
„Es bedeutet mir bereits sehr viel, dass Ihr mir überhaupt Gehör schenkt.“
„Gerne“, antwortete sie mit einem Kloß im Hals, denn die Befürchtung, ihm wirklich nicht weiterhelfen zu können, holte sie ein. Sie ging ihm voran in Richtung Wohnzimmer. Bereits von der Treppe aus konnte sie John sehen, der auf der Couch saß und eine Tasse Tee in der Hand hielt. Wachsam musterte er sie und den Mann neben ihr, während sie die Treppen hinunterstiegen. Er gab keinen Ton von sich, als sie neben ihm auf Sessel und Couch Platz nahmen. Diana goss für Matthias Tee aus der Kanne, die John dort bereitgestellt hatte, und schenkte auch sich selbst ein. Dankend nahm Matthias die Tasse entgegen und trank sogleich einen Schluck daraus. Seine Haltung entspannte sich ein wenig. Nicht viel, aber doch spürbar.
„Nun Matthias, ich bin mir sicher, Sie haben es John bereits erklärt, aber sagen Sie mir doch auch noch einmal, warum Sie hier sind.“
Matthias stellte die Tasse wieder vor sich auf dem Tisch ab. Seine Hände zitterten leicht. „Es geht um meine Frau“, antwortete er. Eindringlich fokussierten seine Augen die ihren. „Sie wurde entführt und es steht nicht in meiner Macht, sie zu befreien.“
„Was?“, fragte sie erneut überrascht. „Wieso? Ich dachte, es geht hier um Krieg?“
Matthias nickte erschöpft. „Darum geht es auch. In diesem Krieg geht es um einige Städte in der Nähe Aebs. Im Moment sind wir Teil Heroniens, doch die Gallianen wollen das Land für sich beanspruchen. Es ist der Truppenführer der Gallianen, der meine Frau entführte. In nicht einmal mehr zwei Wochen wird es zu einer Schlacht kommen und die Gallianen möchten mich dazu zwingen, an ihrer Seite zu kämpfen. Meine Kräfte sind nicht ansatzweise vergleichbar mit der Macht Eures Mannes“, er sah flüchtig zu John, „und doch würde es ihnen einen massiven Vorteil bieten, würde ich an ihrer Seite kämpfen. Sie würden meine Frau töten, täte ich nicht, was sie von mir verlangen.“ Den letzten Satz sprach er nur mit holpriger Stimme aus. Mit seinen zittrigen Händen griff er wieder nach der Teetasse.
Diana sah zu John hinüber, während sie sich aktiv daran erinnern musste, dass Heronien in Johns Welt etwa dem entsprach, was sie heute als Deutschland kannte. Auch von Gallia hatte John ihr bereits berichtet. Die Gallianen, denen sie in Johns Welt begegnet war, hatten Französisch gesprochen. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Diana sich noch gewundert, dass so viele Parallelen zwischen Johns und ihrer Welt existierten, obwohl sie zeitlich nicht miteinander verbunden waren, bis John ihr berichtet hatte, dass die Welten sich eine gemeinsame Vergangenheit teilten und nur kleine Veränderungen im Weltgeschehen sowie eine zeitliche Verzögerung dazu geführt hatten, dass sie sich voneinander unterschieden.
John hatte seinen Tee inzwischen ausgetrunken und goss sich nun nach. Er wirkte noch immer unbeeindruckt.
„Und wie können wir Ihnen da helfen?“, fragte Diana wieder an Matthias gewandt. Bewusst ignorierte sie Johns unangebrachte Gelassenheit.
Matthias schien froh zu sein, die Gelegenheit zu bekommen, sich zu erklären. „Ich wäre nicht gezwungen, gegen meine eigenen Leute zu kämpfen, wenn ich meine Frau einfach nur befreien könnte“, erwiderte er schnell. „Und sie zu befreien, dazu sollte ich in der Lage sein, vorausgesetzt, ich wüsste, wo sie ist. Doch sie aufzuspüren, das geht weit über meine Macht hinaus. Ein Mann wie der schwarze Magier aber, für solch einen Mann sollte es ein Leichtes sein, eine verschollene Frau ausfindig zu machen.“ Wenn auch nur kurz, so wanderte sein Blick besorgt zurück zu John.
Diana folgte seinem Blick und fühlte sich selbst dabei alles andere als unsicher. „Könntest du das?“, fragte sie John direkt.
John trank noch einen Schluck Tee. Seine Haltung änderte sich nicht. Weder die Bitte des Fremden noch ihre Frage schien ihn zu beeindrucken. Seine Augen musterten sie ruhig. „Diana, du wolltest ihm zuhören und du hörst ihm zu. Du wolltest, dass er Tee trinkt und er trinkt Tee. Ob ich zu tun vermag, wonach er ersucht, spielt hier keine Rolle, denn ich habe nicht vor, ihm zu helfen und ich werde ihm nicht helfen. Und vor Menschen, die mich in einen Krieg verwickeln wollen, beliebt es mir nicht, darüber zu berichten, was ich zu tun vermag und was nicht.“
„Ihr versteht das falsch“, versuchte Matthias, sich zu rechtfertigen. „Ich versuche nicht Euch in einen Krieg zu verwickeln, sondern mich selbst eines Krieges zu entziehen.“
„Also kannst du es?“, fragte Diana noch einmal.
Stechend musterte John ihren Besucher. „Gehen wir davon aus, ich könnte es nicht, wie sähe Euer Plan dann aus?“
„Dann“, antwortete Matthias und senkte den Blick, „würde ich Euch bitten, in der Schlacht gegen mich zu kämpfen, sodass ich tun kann, was von mir verlangt wird, und doch niemandem schade.“
„Und damit wäre ich also nicht in einen Krieg verwickelt?“
„Aber Ihr könnt sie doch aufspüren, nicht wahr?“, fragte Matthias mit wiederaufkommender und unverhohlener Panik.
John schüttelte den Kopf, doch nicht als Antwort auf die Frage. „Der Tee ist leer“, sagte er stattdessen, nahm die Kanne zur Hand und stand auf.
„Bitte!“, stieß Matthias verzweifelt aus und warf sich John erneut vor die Füße. „Helft mir!“
John trat um den Mann herum, ohne ihn weiter zu beachten, ging in den Küchenbereich und von dort aus in die Speisekammer. Er schloss die Tür hinter sich.
Mit leidvollem Gesichtsausdruck setzte Matthias sich wieder auf. Tiefes Mitgefühl erfüllte Diana, als sie ihn so sah. „Bitte“, sagte sie zu ihm, „machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Ich rede mit ihm.“ Mit diesen Worten erhob sie sich, ging ebenfalls an Matthias vorbei und folgte John.
„Was soll das?“, forderte sie eine Erklärung von ihm, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
John holte gerade frischen Tee aus einem der Regale. Er blickte nicht einmal zu ihr. „Diana, ich werde nicht nach Aeb reisen, wenn dort Krieg ist“, erwiderte er entschieden und nach wie vor ruhig. Es wirkte, als berührte ihn das Schicksal ihres Besuchers aus der Vergangenheit nicht einmal. Mit seiner Gelassenheit ließ er Dianas innere Unruhe hingegen nur wachsen, denn sie verstand nicht, woher er seine Entschiedenheit nahm. Das Argument, dass er sich nicht in einen Krieg einmischen wolle, kam ihr mit einem Mal wie eine dumme Ausrede vor.
„Aber du musst doch nicht in den Krieg eingreifen“, widersprach sie ihm. „Du sollst doch nur diese Frau befreien. Das kannst du doch, oder?“
John sah zu der verschlossenen Tür. Diana kannte den Blick, den er dabei verwendete. Er zauberte.
„Baust du gerade eine schallundurchlässige Wand?“, fragte sie ihn. „Glaubst du wirklich, dass wir Matthias so wenig vertrauen können?“
Leicht rollte er mit den Augen. „Was ich weiß, ist, dass weder du noch ich ihn kennen. Und damit gibt es für mich keinen Grund, ihm zu vertrauen.“
„Miriam hat ihn zu uns geschickt“, entgegnete sie.
„Und Miriam weiß, dass ich vorsichtig bin“, entkräftete er ihr Argument.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Schön, dann sei es eben. Aber wieso möchtest du ihm nicht helfen? Was würdest du tun, wenn mich jemand entführt hätte? Würdest du dann nicht auch alles daransetzen, mich zu befreien? Dieser Mann ist verzweifelt!“
John nickte und trat einen Schritt auf sie zu. „Diana, sollte das Unglück geschehen, dass dich jemand in seine Gewalt bringt, würde ich keine Sekunde ruhen, bis ich dich wieder in Sicherheit wüsste, glaube mir. Aber das“, er deutete mit der Hand in Richtung Tür, „ist nicht meine Angelegenheit. Ich habe dir schon immer gesagt, dass ich meine Mächte nicht zum Wohle der Menschheit einsetze. Und du stimmtest mir zu, dass es mein Recht ist, ein eigenes Leben zu führen.“
„Ja, und das denke ich auch immer noch. Aber dieser Mann hat dich konkret um deine Hilfe gefragt. Er ist nur wegen dir hier und sieht in dir seine einzige Hoffnung. Willst du sie ihm wirklich nehmen? Er möchte weder seine Frau verlieren, noch einen Krieg gegen sein eigenes Land führen. Kannst du das nicht verstehen?“, versuchte sie noch einmal an sein Mitgefühl zu appellieren.
„Ich sagte nie, dass ich ihn nicht verstehe“, erklärte er. Nur schien dieses Verständnis nichts an seiner Meinung zu ändern.
„Und würdest du dich nicht automatisch auf die Seite der Gallianen stellen, würdest du ihm nicht helfen?“, versuchte sie sich wieder auf seine Argumentationsebene einzulassen.
„Und stellte ich mich nicht automatisch auf die Seite der Heronen, würde ich es tun?“, entgegnete er nur.
„Na ja, du bist doch Herone.“
„Was bitte macht mich dazu?“
Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
„Diana“, redete John weiter auf sie ein. „In diesem Krieg geht es lediglich um Land. Mir ist es egal, welcher König Aeb oder die Dörfer darum für sich beansprucht. Ich lebe ohnehin weder nach den Gesetzen des heronischen noch nach jenen des gallianischen Königs. Ich bezahle weder Steuern noch leiste ich sonstige Abgaben und Dienste. Und glaube mir, weder der heronische noch der gallianische König würden es wagen, dies von mir zu verlangen.“
„Nur geht es hier gerade nicht um dich, oder?“, fuhr sie ihn an. „Wie kannst du so egoistisch denken? Was ist mit deinen Freunden dort? Ragnor und Apolonia werden sicher mit ihren Männern in den Krieg ziehen müssen. Willst du sie einfach so sich selbst überlassen? Und dann auch noch Matthias gegen sie kämpfen lassen?“
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass du das nicht verstehen würdest.“
„Nein, ich verstehe dich auch nicht. Wie kannst du denn so herzlos sein?“
Zusätzlich zu der frischen Minze nahm John sich ein paar Pfefferminzteebeutel zur Hand. „Ich schätze Ragnor und Apolonia sehr“, antwortete er und wich dabei weiterhin ihrem Blick aus, „aber stell dir nur einmal vor, ich würde beispielsweise einen Schutzzauber auf Ragnor legen. Was meinst du, wie viele nicht weniger unschuldige Männer während des Krieges durch seine Hand sterben würden, bliebe er unverwundet?“
Je länger sie mit John redete, desto weniger verstand sie ihn. Sie schüttelte den Kopf. „Wie kannst du nur so rational denken?“
Johns Augen wanderten durch die Vorratskammer, als suchten sie nach etwas weiterem, das er mit in die Küche nehmen konnte. „Ich denke, das ist die einzige Art, wie man einen Krieg betrachten kann“, erwiderte er dabei ungerührt. „Es gibt nie eine gute und eine böse Seite. So einfach ist das nicht.“
„Sie sind deine Freunde!“
„Nicht sie sind es, die mich gerade um Hilfe bitten, oder?“
„John, ich möchte, dass du diesem Mann hilfst. Du sollst einfach nur seine Frau finden. Es geht überhaupt nicht darum, dass du dich auf irgendjemandes Seite stellst. Und wir haben doch nichts zu verlieren, oder?“, sprach sie weiter, was er nicht leugnen konnte. „Du hast mir doch selbst schon unzählige Male erklärt, dass diese Vergangenheit dort nicht mit unserer Welt verbunden ist, sondern eine andere Welt, die noch nicht so weit vorangeschritten ist wie unsere. Egal, was dort geschieht, es hat keinen Einfluss auf unsere Zukunft, nicht wahr?“
Unvermittelt umarmte er sie. Sie hörte seinen Atem in ihrem Ohr. „Mein Schatz“, erwiderte er, „das ist es nicht, was ich befürchte.“
Wieder spürte sie seine Anspannung. Erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass ihm Bedenken durch den Kopf gingen, die er nicht in Worte fassen konnte oder von denen er glaubte, sie könne sie nicht verstehen. Als sie sich nun einen Augenblick Zeit gab, weiter darüber nachzudenken, glaubte sie auch zu begreifen, worum sich diese Bedenken drehten. Er musste befürchten, in diesem Krieg die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und etwas zu tun, das er bereuen können würde. Sie wusste, es war nicht ohne Grund geschehen, dass die Menschen seiner Zeit ihn fürchteten.
„Und wenn du trotzdem versuchst, ihm zu helfen?“, fragte sie immer noch in seinen Armen. Bewusst sprach sie versöhnlich. „Ich habe nur solches Mitleid mit ihm, weil ich mir vorstellen muss, wir wären auf solch eine Weise voneinander getrennt. Wäre das nicht schrecklich?“
„Unsagbar schrecklich“, antwortete er völlig ernst und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Zum ersten Mal, seitdem sie in die Küche gekommen war, sah er ihr in die Augen.
Diana drückte ihn fester an sich. „Du wirst ihm also helfen?“
Er löste sich von ihr. „Ich halte das für keine gute Idee. Wenn ich erst einmal in Aeb bin, können so viele unvorhergesehene Dinge geschehen. Auch wenn es nicht die Absicht dieses Mannes auf unserer Couch ist, so kann es doch so einfach geschehen, dass ich auf irgendeine Weise in den Krieg verwickelt werde, wenn ich erst einmal dort bin. Und du hast keine Ahnung von dem, was geschehen kann, wenn ich mich in einen Krieg einschalte.“
„John, ich bitte dich. Hilf ihm. Mir zuliebe.“
Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er abermals die Augen schloss. „Noch etwas, das nicht in meiner Macht steht“, sagte er und öffnete die Augen wieder, „dir einen Wunsch abzuschlagen.“
Diana gab ihm einen langen Kuss auf den Mund. „Ich danke dir!“
Er trat einen Schritt von ihr weg und nahm ihre Hand. Eine unnatürliche Wärme ging von seiner Hand aus und erfüllte ihren gesamten Körper. „Was war das?“, fragte sie John, als er ihre Hand losließ.
„Nun, was denkst du, was es war? Ich werde es sicherlich nicht zulassen, dass mir das gleiche Schicksal widerfährt wie diesem Matthias.“
„Ein Schutzzauber? Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich das nicht will. Was wird sein, wenn ich mich auf der Arbeit an Papier schneide und jemand sieht, dass ich nicht zu bluten beginne?“
„Du arbeitest zurzeit nicht.“
„Danke, dass du mich daran erinnerst. Trotzdem. Du weißt, was ich meine.“
„Es ist kein Schutzzauber“, erwiderte John. „Jedoch ist es ein Zauber, der es mir erlauben wird, dich wiederzufinden, falls du verloren gehst. Egal wie weit du von mir entfernt sein magst. Ich passe auf dich auf.“
Sie hatte auch ohne John erstaunlich gut geschlafen und sich in der Nacht nicht einmal Sorgen um ihn gemacht. Eine innere Stimme sagte ihr, dass ihm nichts geschehen würde. Sie hatte schon so oft Geschichten von ihm über Menschen gehört, die ihm hatten schaden wollen und in jeder dieser Geschichten, war es für ihn kein Problem gewesen, seine Feinde zurückzuschlagen. Sie glaubte auch nicht, dass er selbst befürchtet hatte, in diesem Krieg verletzt zu werden. Auch nach dem Erwachen hatte sie solche Sorgen daher erfolgreich zur Seite schieben können. Am Morgen war sie mit ihren Freunden zum Frühstücken verabredet gewesen, die durch ihre Schwärmereien für John und seine Fähigkeiten das Übrige dazu beigetragen hatten, dass sie sich noch einmal seine Stärke hatte bewusst machen können. Sie beschäftigte sich stattdessen also eher mit den Problemen, die ihre eigene Welt betrafen. Dazu gehörte es auch, eben diese Freunde nach dem Frühstück wieder loszuwerden. Sie hatte erwähnt, dass sie noch mit Anton sprechen musste und seitdem waren ihre Freunde Feuer und Flamme, sie zu begleiten. Sie hatte ihnen nicht gesagt, dass es bei dem Gespräch darum gehen würde, dass John erst einmal nicht auftreten konnte. Gesagt hatte sie allerdings, dass sie alleine mit ihm sprechen wollte, doch auch dies hatte ihre drei Freundinnen nicht interessiert. Schließlich hatte sie ihnen zumindest zugestanden, ihnen Anton einmal vorzustellen. Am Mittag standen sie also gemeinsam vor Antons Bürogebäude.
Eilig öffnete Diana die große Glastür, die in das Innere führte, und ließ die anderen hinter sich eintreten. Sie wollte dieses Treffen einfach nur schnell hinter sich bringen. Am Empfang stellte sie ihre Freundinnen kurz vor, dann wurden sie trotz ihres mangelnden Termins sofort zu Anton durchgelassen.
„Hallo Anton“, begrüßte sie den Manager, der mit einem Lächeln aufstand, zu ihr hinüberkam und ihr jeweils ein Küsschen links und rechts auf die Wange gab.
„Hallo, meine Liebe“, antwortete er. „Was kann ich für euch tun?“ Er sah zu ihren Freundinnen. Schüchtern standen sie aufgereiht da.
„Das sind Annemarie, Julia und Martina“, erklärte Diana, „gute Freundinnen von mir, die dich unbedingt einmal kennenlernen wollten.“
Überrascht lachte Anton auf. „Mich?“ Er gab ihnen nacheinander die Hand. „Womit habe ich denn diese Ehre verdient?“
„Nun, schließlich sind Sie einer der bedeutendsten Manager des Landes“, kam es von Julia. Ihre Wangen hatten sich mittlerweile rot verfärbt. „Wenn nicht sogar der bedeutendste überhaupt.“ Unsicher trat sie von einem Fuß auf den anderen.
Kleine Lachfältchen legten sich um Antons Augen. „Wenn man der Presse glaubt, mag das sogar stimmen“, entgegnete er amüsiert. „Aber in Wahrheit wissen wir doch alle, dass die wahren Manager der großen Stars zuhause bei ihnen wohnen.“ Er warf Diana einen vielsagenden Blick zu. „Zu meiner Zeit damals haben wir nicht einmal gewusst, welches Organisationstalent überhaupt hinter den einzelnen Stars steckt. Aber schön, dass auch ich jetzt meinen eigenen kleinen Fanclub habe“, fuhr er an ihre Freundinnen gewandt fort.
„Wie ist es denn so, mit den Stars zusammenzuarbeiten?“, fragte Martina.
„Und für wen haben Sie überhaupt schon alles gearbeitet?“, wollte Annemarie wissen.
Unbeschwert zuckte Anton mit den Schultern. „Es macht Spaß. Ich suche mir aber natürlich auch immer nur die netten Berühmtheiten aus. Trotzdem ist der Umgang mit machen von ihnen natürlich einfacher und mit anderen komplizierter.“ Er sah wieder zu Diana. „Du kommst doch nicht, um mir schlechte Nachrichten zu bringen?“
Obwohl er dies eher im Scherz sagte, traf er damit genau den Ernst der Lage. Sofort spürte Diana wie eine Last auf ihren Magen drückte. Sie mochte Anton und hasste es, ihn enttäuschen zu müssen. Ihre Hände wurden feucht, während sie sich Worte für eine passende Antwort zurechtlegte. Leider war es ihr dabei nicht möglich, ihre Gedanken vor den anderen zu verbergen.
Für einen Moment verlor Anton seine gelassene Ausstrahlung. Einen kurzen Augenblick lang schloss er die Augen und atmete tief durch. Schließlich öffnete er die Augen wieder und blickte Diana sorgenvoll an. „Was ist es?“, fragte er.
Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. „Wir sollten besser gleich alleine darüber sprechen. Ich glaube, meine Freundinnen wollten noch ein Foto mit dir machen.“
Damit vertrieb sie die Sorgen aus seinem Gesicht. Sofort setzte er wieder ein strahlendes Lächeln auf. „Ein Foto mit so wunderschönen jungen Damen? Gerne!“
Wie kleine Teenager kicherten ihre Freundinnen über das Kompliment.
„Ich mache das Foto“, bot sich Diana an, ohne dem Manager seine gute Laune abzukaufen. Noch immer hatte sie ein schlechtes Gefühl in der Magengegend.
„Und mit wem arbeiten Sie noch so?“, wiederholte Annemarie Martinas Frage, nachdem das Foto geschossen worden war.
„Im Moment ist John Gold selbstverständlich mein Haupt-Schützling“, erwiderte Anton. „Und ich habe das Gefühl, dass in diesem Fall noch eine Menge Arbeit auf mich zukommt. Dürfte ich euch eventuell bitten, draußen zu warten, während ich mit eurer Freundin spreche?"
„Ach, Diana hat doch nicht wirklich etwas dagegen, wenn ihre lieben Freundinnen zuhören, oder?“, fragte Annemarie lachend. Diana wusste nicht, was sie sagen sollte, doch zu ihrer Erleichterung musste sie auch gar nicht antworten, da Anton ihr zuvorkam.
„Es tut mir leid, doch in diesem Fall muss ich euch mitteilen, dass diese Entscheidung nicht bei Diana liegt. Ich arbeite für John Gold, der sich in allem, was mit seiner Arbeit zusammenhängt, auf meine Diskretion verlässt. Diana ist von ihm ausdrücklich bevollmächtigt worden, mit mir über alles zu sprechen, was ihn und seine Arbeit angeht, aber Dritte werde ich nicht einweihen können. Ich hoffe, das versteht ihr?“
„Selbstverständlich“, beeilte Martina sich zu antworten. „Wir gehen dann mal. Diana, melde dich, wenn du noch einmal Lust hast, etwas zu unternehmen, ja? War schön, Sie kennengelernt zu haben, Herr Seher“, fügte sie hinzu.
„Die Freude war ganz auf meiner Seite“, erwiderte Anton und verabschiedete sich auch höflich von den anderen beiden. Diana war froh, als er die Bürotür dann hinter den Dreien schloss. Als Anton sich aber zu ihr umdrehte, verdrängte ihr schlechtes Gewissen die Erleichterung über die Abwesenheit der Freundinnen. Denn in seinem Gesicht erschienen wieder Sorgenfalten. „Du willst mir nicht sagen, dass er die nächsten Tage nicht auftreten kann, oder? Das Theater ist ausverkauft!“
Diana spürte, wie sich auch ihre Stirn in Falten legte. „Es tut mir leid“, sagte sie kleinlaut.
Anton ging an ihr vorbei und ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen. Mit Daumen und Zeigefinger fuhr er sich über die Augen, bis sich die beiden Finger schließlich über seiner Nase trafen. „Bitte“, sagte er dann und sah sie ernst an. „Wir reden hier schon wieder von einem...“
„Er ist krank“, unterbrach Diana ihn und wusste, dass Anton ihr ansehen konnte, dass sie log. Er biss die Zähne aufeinander, sodass seine Wangenknochen hervorstachen. Nach einem Schlucken sagte er: „Bitte, Diana, wir haben allein für die nächsten beiden Tage fünftausend Karten verkauft. Weißt du, was das bedeutet? Das sind… bitte, Diana, suche ihm einen Arzt. Du weißt, dass wir nicht mehr versichert sind.“
„Es tut mir leid, es geht wirklich nicht. Aber er wird die Show nachholen, wenn es ihm wieder besser geht.“
„Es geht doch gar nicht allein um den Preis. Mir ist bewusst, dass die wenigsten ihr Geld zurückverlangen werden, sondern eher auf eine Ersatzshow hoffen. Dennoch geht das mit einem Image-Schaden einher. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass er einen Auftritt ausfallen lässt.“
Diana wusste, dass Anton Recht hatte und doch wusste sie nicht, was sie dazu sagen sollte. Ihr war zum Weinen zumute. Hilflos verschränkte sie die Arme vor der Brust. Zu ihrem Glück begann Anton im nächsten Augenblick zu lächeln, als er einsah, dass er sie nicht umstimmen konnte. „Ach, Diana, jetzt mach dir doch nicht so große Sorgen“, sagte er, stand auf, umrundete seinen Schreibtisch und legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie und ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. „So groß, kann sein Image-Schaden gar nicht werden. Magier tanzen eben nicht nach der Nase der schlichten Bevölkerung, richtig? Lass mich nur nicht veröffentlichen, er sei krank. Wir nennen es private Gründe, dann können sich die Leute ihren Teil denken. Ein Magier wird doch nicht krank. Vielleicht können wir John ja auch zu einem kleinen Extra für die nächste Show überreden, um seine Fans wieder zufrieden zu stimmen. Keine Autogrammstunde oder Ähnliches“, beeilte er sich hinzuzufügen, obwohl Diana ihm gar nicht widersprochen hatte. „Vielleicht einen Open-Air-Auftritt. Was hältst du davon?“ Aufmunternd sah er zu ihr hinab. Diana war erleichtert, dass er ihr keinen Vorwurf mehr machte und die ganze Sache so locker anging. Sie umarmte ihn. „Du bist der beste Manager der Welt!“, sagte sie.
Grinsend löste er sich aus ihrer Umarmung. „Nun, ich will mir schließlich auch nicht vorwerfen lassen, dass ich für mein Geld nichts tue.“
„Das brauchst du dir ganz sicher nicht vorwerfen lassen. Mir ist bewusst, dass wir dir viel zu verdanken haben und dass wir eher zu deinen schwierigeren Fällen gehören.“
Dieses Mal lachte Anton laut auf. „Eher“, wiederholte er.
„Ich hoffe, dass John schnell wieder gesund wird. Leider kann ich noch nicht genau sagen, wann das sein wird.“
„Gut. Gib mir einfach Bescheid, sobald du etwas Neues weißt.“ Anton war klug genug, nicht weiter nach der angeblichen Krankheitsursache zu fragen. „Ich werde mich um alles Nötige kümmern.“
„Sehr gut. Danke.“ Sie machte sich bereit zu gehen, als Anton sie noch einmal aufhielt. „Diana?“
„Ja?“
„Jeder, der nicht erkennt, dass du ein wahrer Gewinn für ein Medienunternehmen wärest, hat dich nicht verdient.“
Lächelnd nickte sie. „Danke!“
Dann verließ sie das Büro.
Sie war froh, dass sie es hinter sich gebracht hatte, Anton die schlechten Nachrichten zu überbringen. Noch bevor diese Erleichterung allerdings in gute Laune münden konnte, rief eine männliche Stimme hinter ihr ihren Namen.
„Diana Kresse?“
Es störte sie, dass sie nicht einmal die hundert Meter, die sie von Antons Bürogebäude entfernt geparkt hatte, ungestört überqueren konnte. Gereizt drehte sie sich zu der unbekannten Person um, während sie antwortete: „Nein, tut mir leid, ich bin nicht die Freundin von John Gold.“
Erst als sie sich vollständig zu dem blonden Mann umgedreht hatte, bemerkte sie aber, dass ihr die vermeintlich unbekannte Person gar nicht so unbekannt war. Es war ein alter Schulfreund. „Daniel!“, stieß sie verwundert aus.
Er begann zu lächeln. Noch immer war er der typische Schönling, der er schon zu Schulzeiten gewesen war. Seine Augen funkelten strahlend blau, als er sie musterte.
„Ich wusste doch direkt, dass du es bist“, sagte er.
Sofort überkam sie nun doch gute Laune. „Daniel, wie schön, dich zu sehen. Was treibt dich hierher? Ich dachte, du wärest irgendwo im Ausland.“