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Liora ist anders, und genau das könnte das Schicksal von Lunoria entscheiden. Als die zwölfjährige Liora plötzlich in die geheimnisvolle Welt von Lunoria gezogen wird, entdeckt sie, dass sie die Hüterin des Lichts ist, die Einzige, die den mächtigen Schattenfürsten aufhalten kann. Zusammen mit ihren Freunden Taro, Kiran und Nemea muss sie gefährliche Prüfungen bestehen, dunkle Geheimnisse entschlüsseln und lernen, an sich selbst zu glauben. Auf ihrer Reise warten Mut, Freundschaft und unerwartete Herausforderungen und eine Erkenntnis: Jede:r hat die Kraft, über sich hinauszuwachsen. Ein fesselndes Fantasy-Abenteuer für Kinder ab 11 Jahren, das zeigt: Wer seinen eigenen Weg geht, kann alles schaffen und ist dabei genau richtig, so wie er oder sie ist.
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Hallo du,
dieses Buch erzählt eine Geschichte. Ich habe sie mir ausgedacht, aber vielleicht ist sie gar nicht so weit weg von der Wirklichkeit.
Als ich selbst noch ein Kind war, war vieles nicht leicht. Zu Hause war es immer laut und meine Eltern waren nicht liebevoll zu uns. Oft war niemand da, der richtig Zeit für mich hatte. Ich habe versucht, alles richtig zu machen, brav und leise zu sein. Und trotzdem hatte ich oft das Gefühl, dass ich nie gut genug in den Augen meiner Familie war.
Also habe ich mir meine eigene Welt ausgedacht. Eine Welt, in der ich mutig war, in der ich einfach ich sein durfte. Und in der es Menschen (und auch Tiere!) gab, die mich einfach mochten – ganz genau so, wie ich war.
In diesem Buch geht es um ein Mädchen, das auch so eine Welt für sich erschafft. Vielleicht kennst du das Gefühl, wenn du dir wünschst, dass alles ein bisschen anders ist. Vielleicht macht dir diese Geschichte einfach Spaß, oder du findest etwas darin, das dich stark macht – oder dich ein bisschen verstanden fühlen lässt.
Komm mit, lass uns gemeinsam herausfinden, was passiert.
Die Geschichte fängt gleich an.
Vorwort
Kapitel 1– Der Umzug ins Schweigen
Kapitel 2 – Das leuchtende Flüstern
Kapitel 3 – Die Farben von Lunoria
Kapitel 4 – Das Herz des Waldes
Kapitel 5 – Die Nacht der flüsternden
Kapitel 6 – Die Träne des Kristallhirsches
Kapitel 7 – Der See der Erinnerungen
Kapitel 8 – Das Haus aus Wind und Licht
Kapitel 9 – Die Schattenkante
Kapitel 10 – Der Spiegel des Vergessens
Kapitel 11 – Der Junge aus dem Spiegel
Kapitel 12 – Der Herzbaum im Dunkel
Kapitel 13 – Das Labyrinth von Noctaris
Kapitel 14 – Die Lichtquelle im Nebel
Kapitel 15 – Am Rand des Erwachens
Kapitel 16 – Die Brücke aus Erinnerungen
Kapitel 17 – Die Halle der Schattenstimmen
Kapitel 18 – Der Fluss der vergessenen
Kapitel 19 – Das Haus mit den vielen Türen
Kapitel 20 – Die Schattenbibliothek
Kapitel 21 – Die Brücke zwischen den
Kapitel 22 – Der Pfad der Dunkelheit
Kapitel 23 – Die Hundert Schatten
Kapitel 24 – Der Schattenkrieg
Kapitel 25 – Zwischen den Welten
Vorschau auf Band 2: Mila – Das Schatten
"Mach schon, Liora! Der Umzugswagen kommt gleich!”
Mamas Stimme klang so, als wäre sie sauer und gleichzeitig ganz fertig. Liora stand im Türrahmen ihres alten Kinderzimmers und starrte auf den Boden. Irgendwie wusste sie nicht, was sie machen sollte.
Liora war zwölf Jahre alt, eher ruhig und nachdenklich. Sie war nicht das Kind, das laut und wild mit den anderen mitmischte. Stattdessen schaute sie viel zu – der Welt, den Erwachsenen und ihren Geschwistern.
Sie war die Älteste von fünf Kindern, obwohl sie selbst noch klein war, aber irgendwie fühlte sie sich deswegen verantwortlich, die Große zu sein.
Ihr Gesicht war weich und rund, und ihre großen, dunklen Augen sahen manchmal so aus, als wären sie ein wenig traurig. Ihre Gefühle waren groß und bunt, aber fast nie durfte sie sie nach außen lassen.
Liora war klein und nicht besonders sportlich, aber in ihrem Herzen war sie mutig. Nur traute sie sich das nicht immer zu. Ihre Stimme war leise, manchmal fast wie ein Flüstern, aber in ihrem Kopf tobten ihre Gedanken wild herum.
Ihr Lieblingsding war ihr Kuscheltier, Herr Plumps, ein alter Plüschelefant, der für sie ein Stück Heimat war.
Sie liebte spannende Geschichten und träumte oft davon, stark und mutig zu sein – ganz anders als im echten Leben.
Oft fühlte sie sich allein, obwohl alle um sie herum waren. Sie strebte danach, für ihre Mutter und ihre Geschwister stark zu sein, wobei sie gelegentlich ihre eigene Traurigkeit aus den Augen verlor.
Ihr Rucksack hing schief an ihrer Schulter, der Reißverschluss klemmte und ihre Finger taten weh, weil sie ihn kaum zu bekam. Auf dem Roden neben ihr stand eine voluminöse braune Umzugskiste.
Darin lagen ihre Kuscheltiere ordentlich gestapelt, fast wie eine kleine Festung. Ganz oben saß Herr Plumps. Dessen Fell war an ein paar Stellen ganz dünn und seine Knopfaugen blickten müde aus dem Karton.
Liora hatte ihn als Letztes eingepackt – so dass er als Letzter mitkommen konnte. Doch jetzt war er verschwunden, versteckt im Chaos der Kiste, eingesperrt wie sie selbst.
„Ich will aber nicht umziehen“, flüsterte Liora so leise, dass niemand sie hörte und sie hatte das schon so oft gesagt, dass es sich wie eine dumme Ausrede anhörte, die niemand mehr hören wollte.
„Liora! Jetzt komm endlich!“, rief Mama aus dem Flur.
Ihre Stimme war noch lauter und klang so, als würde sie gleich weinen oder schreien.
Mama war Ende 20, schlank, aber sah immer müde aus. Ihr Gesicht war blass, mit feinen Linien, die aussahen wie Sorgenfalten. Manchmal schien es so, als wolle sie am liebsten einfach verschwinden. Ihre Haare hatte sie meistens zu einem Zopf gebunden und sie zog immer einfache Sachen an, die praktisch für den Alltag mit fünf Kindern waren.
Mama machte ganz schön viel und hatte selten Zeit für sich. Sie rannte von einer Sache zur nächsten – kochen, wickeln, arbeiten, putzen – und sah oft aus, als würde sie gleich zusammenbrechen.
Obwohl sie ihre Kinder liebte, wirkte sie oft distanziert, weil sie einfach zu müde war. Manchmal klang ihre Stimme hektisch, als würde sie gegen die Zeit kämpfen.
Liora spürte, wie sich ihr Herz eng zusammenzog. Langsam trat sie über die Türschwelle. Ihr altes Kinderzimmer wirkte nun fremd und leer. Es war nie wirklich ihr Zuhause gewesen, aber jetzt fehlte es ihr trotzdem schrecklich. So, als hätte sie etwas verloren, was sie nicht zurückbekam.
Vor ihr war der Flur, voll mit dem Trubel des Umzugstages: Die Zwillinge schrien, rannten wild herum und hatten überall Bauklötze verstreut wie kleine Bomben. Ein Wäschekorb war umgekippt und aus ihm fielen Sachen auf den Boden.
Mamas Stimme war laut und fordernd und Papas Blick sah genervt und müde aus. Er wirkte, als wäre er in Gedanken ganz weit weg.
Papa war Mitte 30, groß und kräftig, mit breiten Schultern, die den Stress kaum verbergen konnten. Sein Gesicht war kantig und seine dunklen Augen sahen manchmal streng und müde aus.
Er trug meist Hemd und Jeans und sah aus, als würde er mit sich selbst kämpfen. Wenn er sprach, war es kurz und manchmal schroff, weil er die Nerven verlor oder nicht wusste, was er sagen sollte.
Papa wollte das Beste für alle, aber zeigte das nicht oft. Gelegentlich wirkte er anwesend, aber irgendwie auch nicht. Seine Geduld war dünn und die kleinen Katastrophen des Alltags nervten ihn schnell, aber wenn es bedeutsam war, war er da – auch wenn man es selten merkte.
„Wo ist das Ladegerät für die elektrischen Zahnbürsten?“, rief Mama durch den Flur, während sie verzweifelt nach etwas suchte.
„Keine Ahnung!“, brummte Papa und versuchte, mit vollen Armen zum Auto zu kommen. „Wir müssen los, der Fahrer wartet nicht ewig!“
Liora machte ein paar Schritte nach vorne. Ein Knoten zog sich tief in ihrem Bauch zusammen.
„Warum bauen wir eigentlich ein Haus?“, fragte sie ganz leise, fast so, als hätte sie Angst vor der Antwort.
Papa drehte den Kopf kurz zu ihr, tat dann aber so, als hätte er sie nicht gehört oder wollte sie nicht hören.
„Weil’s besser ist für alle“, sagte er knapp, ohne sie anzuschauen.
Mama schwieg. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die Zwillinge davon abzuhalten, ihre Gummistiefel in den Wäschekorb zu stopfen – ein Chaos, das scheinbar niemand im Griff hatte.
Die Fahrt begann.
Laut und unruhig. Die Zwillinge schrien, weil sie einen Keks teilen mussten. Juna, das mittlere Kind, wollte unbedingt ihr Lieblingshörspiel hören, das aber in einer Kiste lag, die sie bisher nicht gefunden hatten.
Mama suchte hektisch im Navi die neue Adresse und Papa saß stumm am Steuer, den Blick starr auf die Straße gerichtet.
Liora saß irgendwie eingequetscht zwischen zwei Rucksäcken, ihr Ellenbogen drückte unangenehm gegen den Sitz und ihre Beine waren erschöpft vom vielen Stehen und Tragen. Draußen zogen Straßen und Häuser vorbei – erst viele nacheinander, dann wurden sie immer weniger, bis nur noch Felder und Himmel zu sehen waren.
„Guck mal, Kühe!“, rief einer der Zwillinge plötzlich ganz aufgeregt.
„Die stinken!“, lachte Juna und zog eine Grimasse.
Liora lachte nicht. Sie starrte weiter aus dem Fenster. In ihrem Kopf raste alles wild durcheinander und der Knoten saß immer noch tief in ihrem Bauch.
Als sie am neuen Haus ankamen, schien die Sonne auf die gelbe Fassade. Die weißen Fenster sahen freundlich aus, aber das Haus wirkte fremd und kühl.
Die Tür glänzte sauber, der Briefkasten war leer – weil noch keiner die Post gebracht hat. Der Weg zum Haus war mit glatten Steinen gepflastert, kein Unkraut wuchs da und es gab keine Kreidezeichnungen auf dem Bürgersteig.
„Wow“, sagte Papa bewundernd.
„Sieht schön aus“, murmelte Mama, aber ihre Stimme klang kraftlos, als wäre sie selbst überrascht von diesem fremden Ort.
Mila, die zweitälteste, rannte sofort in den Garten.
„Da ist eine Schaukel!“, rief sie begeistert.
Liora folgte ihr langsam. Die Schaukel schwang leicht im Wind und quietschte leise. Aber niemand saß drauf.
„Hilfst du mit auspacken?“, fragte Mama, wobei die Frage eher wie eine Aufforderung klang.
Liora nickte, obwohl ihr Herz dagegen war. Sie wusste, dass das keine Einladung war, sondern nur eine weitere Aufgabe.
Das neue Zimmer war zwar groß und lag im Erdgeschoss, neben Küche und Wohnzimmer, aber sie sollte es sich wieder mit Mila teilen. Zwei Betten standen nebeneinander, zwei kleine Schränke und ein wackeliger Tisch, der beim Berühren schwankte. Der Teppich war neu und weich, roch aber nach Geschäft und bisher nicht nach Zuhause.
„Ich will das Bett am Fenster!“, rief Mila und sprang ganz stolz darauf herum.
Liora zuckte mit den Schultern, es war ihr egal. Hauptsache, sie konnte nachts das Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen.
Niemand unterstützte sie beim Auspacken. Ihre Kiste mit den Kuscheltieren blieb einfach zu. Der Kleiderschrank hatte schiefe Griffe und wenn man ihn öffnete, quietschte er so laut, dass es fast wie das Miauen einer nassen Katze im Regen klang.
Die erste Nacht war ungewohnt still. Keine Autos, kein Lachen draußen, kein Brummen der alten Heizung, die sie früher warm gehalten hatte. Nur der Wind und das Knarzen der neuen Holzdielen.
Liora lag wach und hörte Mila ruhig atmen. Ein Ast kratzte leise am Fensterglas, fast wie ein Flüstern, das sie nicht verstand.
Sie drehte sich zur Wand und zog die Decke bis zum Kinn. Es roch ungewohnt nach Teppich und Farbe, nicht nach ihrem vertrauten Zimmer.
Die Schule begann drei Tage später. Neue Ranzen, neue Wege und viele neue Gesichter.
„Du bist neu, oder?“, fragte ein Junge mit Sommersprossen und funkelnden Augen, als er sie beim Spielen sah.
Liora nickte schüchtern.
„Stadtkind“, sagte er mit einem abfälligen Unterton und drehte sich um.
Im Klassenzimmer herrschte eine ungewohnte Lautstärke und Unruhe. Die Lehrerin war freundlich, aber sie wirkte gestresst.
Die Kinder flüsterten und lachten hinter vorgehaltener Hand. Liora verstand kaum etwas.
In der Pause setzte sie sich allein auf eine Bank auf dem Schulhof und schaute den anderen beim Spielen zu.
„Warum guckt die so?“, hörte sie eines der Mädchen flüstern, dass sie kaum kannte.
Am Nachmittag war ihr Radiergummi weg und zwei Tage später lagen ihre Schuhe in der Mädchentoilette im Mülleimer.
Liora sagte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Wer glaubte schon der „Neuen“?
Zuhause war es nicht besser. Es war genauso laut und anstrengend wie vorher.
„Liora! Hol die Windeln!“
„Pass auf Juna auf, ich muss kochen.“
„Und kannst du mal den Tisch decken? “
Sie tat alles, ohne zu meckern und ohne sich zu beklagen.
Papa kam stets spät von der Arbeit. Mama wirkte immer müde, egal, ob morgens oder abends. Manchmal stritten sie leise hinter der Küchentür.
Sie bemühten sich, mit niemandem darüber zu sprechen, aber es gelang ihnen nie.
Liora war immer die Große. Diejenige, die funktionieren musste, die den Ärger bekam, wenn die Geschwister Blödsinn machten.
Doch in der Nacht, wenn alle schliefen, lag Liora wach.
Ganz leise schlich sie sich dann unter die Decke, griff in die Schublade ihres Nachtschränkchens und zog ihr Notizbuch heraus.
Auf dem Einband war ein Einhorn, zerkratzt, aber es war noch da. Genau wie Herr Plumps – eingepackt, aber in ihren Geschichten lebendig.
Sie schaltete ihre kleine Taschenlampe an. Das Licht war gedämpft, aber zum Schreiben reichte es.
Sie schrieb:
„Liora, Hüterin des Lichts. Sie war mutig, schnell und. stark. In ihrer Welt war sie nicht das stille Mädchen mit den schweren Gedanken. In ihrer Welt leuchtete sie. Mit ihrer goldenen Laterne durchstreifte sie dunkle Wälder. Schatten flüsterten. Sie flüsterte zurück. Sie fand Funken, die andere verloren hatten. Sie bewahrte sie auf – in kleinen Gläsern aus Licht. Niemand konnte sie aufhalten.“
Sie schrieb, bis ihre Augen schwer wurden und sie schließlich einschlief.
Am nächsten Morgen roch es nach Toast. Juna hatte Marmelade auf das Sofa gekleckert, Papa stand mit dem Handy in der Hand da und sah müde und genervt aus, Mama redete schnell und laut. Alles wie gewohnt.
„Liora, hol sofort ein Tuch!“, rief ihre Mama, obwohl sie noch nicht einmal aufgestanden war.
Sie sprang aus dem Bett. Wieder musste sie reagieren, bevor es Ärger gab.
Aber in ihrem Kopf blieb der eine Satz: „Niemand konnte sie aufhalten.“
Liora saß auf ihrem Bett und zog die Decke über den Kopf. Es war wie ein kleines Zelt, das sie sich selbst zum Schutz gebaut hatte.
Es war eng, aber warm und gemütlich. Neben ihr schlief ihre kleine Schwester Mila.
Mila atmete ganz ruhig und leise, fast wie ein sanfter Rhythmus, der die ganze Nacht in Frieden hüllte.
Sie war Lioras jüngere Schwester, die zwei Jahre jünger war. Sie war ein zartes, süßes Mädchen mit langen, dunklen Haaren. Ihr Haar fiel sanft über ihre Schultern, wie ein kleiner Wasserfall. Ihr Gesicht war rund und weich, mit roten, frischen Wangen vom Spielen. Ihre Augen waren geschlossen und von langen Wimpern geschützt, die kleine Schatten auf ihre Haut warfen. Obwohl Mila schlief, schien es, als ob sie voller Neugier und Hoffnung träumte.
Liora fühlte sich sicher, wenn Mila neben ihr lag. Es war, als würde ihr Atem sie beschützen, auch wenn Mila nicht wach war. Das Zimmer war ruhig und dunkel, nur das schwache Licht ihrer Taschenlampe schimmerte.
In ihren Händen hielt Liora ihr kleines Notizbuch. Sie schlug eine neue, leere Seite auf. Das Papier war an den Ecken weich und abgenutzt, weil sie so oft darin schrieb und malte.
Vorsichtig begann sie zu zeichnen. Mit der Spitze ihres Stiftes malte sie einen Baum.
Der Stamm war hell und die Äste wuchsen wie Finger in die Luft. Anstelle von Blättern zeichnete sie zahlreiche kleine leuchtende Punkte, die aussahen wie Glühwürmchen, die im Dunkeln schwebten.
Plötzlich merkte Liora, dass das Licht der Taschenlampe flackerte. Erst wurde sie matter, dann wieder heller.
Und dann hörte sie sie, eine ganz leise und zarte Stimme.
„Liora ... kannst du mich hören?“
Sie hielt den Atem an und lauschte. Ihr Blick wanderte zur Tür, aber das Zimmer war dunkel und still. Die Stimme kam wieder, ganz leise, fast wie ein Flüstern:
„Du hast mich gemalt.“
Liora blätterte hastig in ihrem Notizbuch herum. Da, auf Seite sieben, erschien ein kleines Lichtlein. Es glühte zuerst schwach, dann immer heller. Ein leuchtendes Wesen aus Licht und Luft tauchte vor ihr auf.
Es war Elyra. Sie war zart und fast durchsichtig, wie Tau auf einem Spinnennetz am Morgen. Ihr Körper schimmerte silbern, und feine Linien, die aussahen wie kleine Adern, pulsierten langsam und lebendig.
Ihre Flügel waren dünn und durchsichtig, wie Libellenflügel, die im Sonnenlicht glitzern.
Über ihre Haut zogen sich Muster, die aussahen wie kleine Sternbilder an einem klaren Himmel in der Nacht, die sanft leuchteten. Es war, als würde Elyra das ganze Universum in sich tragen.
Ihre Augen strahlten in tiefem und geheimnisvollem Glanz. Sie strahlten Wärme aus, die Liora auf eine Weise ermutigte und tröstete.
Elyras Stimme war leise und melodisch, fast wie der Wind, der durch die Blätter eines alten Waldes streicht. Ein leises Knistern begleitete ihre Bewegungen, als ob sie zu einer fantastischen, magischen Welt gehörte, die nur in Träumen existieren kann.
Elyra bewegte langsam den Kopf, während ihre Flügel leicht zitterten.
„Ich heiße Elyra“, sagte sie. „Ich komme aus Lunoria.“
Liora schnappte überrascht nach Luft.
„Du kannst sprechen?!“
„Ja“, antwortete Elyra. „Du hast mich erschaffen.“
„Aber ich hab dich doch nur hier gemalt!“ Liora konnte es kaum glauben.
„Und trotzdem bin ich jetzt hier.“
Das Papier in Lioras Notizbuch begann zu leuchten. Auf der Seite neben Elyra erschienen von selbst Linien. Sie bildeten einen Kreis und es entstanden Wege, Berge und Flüsse.
Es entstand eine Art Landkarte. Die Linien zitterten und glühten leicht.
Liora beugte sich neugierig näher.
„Was ist das?“
„Das ist Lunoria“, erklärte Elyra. „Deine eigene Welt und nun auch meine.“
Liora spürte ein Kribbeln in ihren Händen. Ihre Finger begannen leicht zu zittern.
„Wenn du möchtest“, sagte Elyra, „zeige ich dir den Weg.“
Liora war unsicher. „Ist es gefährlich? “
„Die Dunkelheit kennt deinen Namen bereits“, antwortete Elyra geheimnisvoll.
Liora schluckte. „Was bedeutet das?“
Elyra antwortete nicht sofort. Das Licht auf der Seite wurde stärker. Es summte leise, dann flackerten Taschenlampe, Karte und Elyra gleichzeitig.
Liora riss die Augen voller Angst auf. Alles begann sich zu drehen – und plötzlich befand sie sich nicht mehr in ihrem Zimmer.
Sie stand auf einem weichen, moosigen Boden. Das Moos fühlte sich an wie ein lebendiger Teppich und bei jedem Schritt entstand ein leises, federndes Geräusch, das ihre Sinne weckte. Die Luft roch frisch nach Regen, Harz und wilden Blumen – angenehm und beruhigend zugleich.
Sie stand auf einem weichen, moosigen Boden. Das Moos fühlte sich an wie ein lebendiger Teppich und bei jedem Schritt entstand ein leises, federndes Geräusch, das ihre Sinne weckte. Die Luft roch frisch nach Regen, Harz und wilden Blumen – angenehm und beruhigend zugleich.
Über ihr spannte sich ein tiefblauer und samtiger Himmel. Zwar ohne Sterne, aber ein geheimnisvolles Leuchten tanzte um sie herum.
Um sie herum standen hohe Bäume mit rauer, moosbedeckter Rinde. Ihre Äste bewegten sich sanft, obwohl kein Wind wehte. Es war, als würde der ganze Wald atmen. Das Flüstern der Blätter sprach direkt zu Lioras Herz.
Liora war sprachlos vor Staunen.
Etwas Weiches und Schönes, gemischt mit einem leisen Vermissen, strömte durch sie. In ihrem Herzen tat sich etwas auf, als ob etwas lange Verborgenes hinaus in die Welt wollte. Diese Welt war geheimnisvoll, magisch und doch irgendwie vertraut.
Sie drehte sich um und rief: „Elyra?“
Ein leises Knistern war zu hören, dann erschien Elyra neben ihr. Sie schwebte knapp über dem Boden.
„Willkommen in Lunoria“, sagte Elyra freundlich.
Liora schaute sich um. „Ist das echt?“
„So echt, wie du es brauchst“, antwortete Elyra.
Plötzlich knackte es hinter ihnen. Liora wirbelte herum. Zwischen den Bäumen formte sich eine Art Schatten. Er war kolossal, breit und dunkel, ohne klare Form. Wie eine dunkle Wolke, die sich langsam ausbreitete. Der Schatten war kalt und unheimlich, als wolle er alles Licht verschlingen.
„Was war das?“, fragte Liora erschrocken.
„Sie haben gemerkt das du angekommen bist“, flüsterte Elyra.
„Wer?“
„Die Suchenden.“
Liora wich einen Schritt zurück. „Ich will zurück!“
„Dafür ist es zu spät“, sagte Elyra.
„Wie – zu spät?“
„Du hast die Karte betreten, jetzt musst du sie durchqueren.“
Ein Zweig knackte ganz nah. Liora rannte panisch los, so schnell sie konnte, weg vom Schatten.
Elyra folgte ihr.
„Links!“, rief Elyra.
Liora bog ab und rutschte auf dem Moos aus.
Sie stieß sich an einem Baumstamm, rappelte sich aber wieder auf. Der schwarze Schatten kam näher. Er hatte keine erkennbaren Gesichtszüge, sondern war lediglich eine undurchsichtige, flimmernde Erscheinung.
„Was ist das?“
„Ein Schleicher“, keuchte Elyra. „Er riecht deine Angst.“
„Dann sind wir verloren!“
„Nicht, wenn du dich erinnerst.“
„Woran erinnern?“
„Woran du geglaubt hast, als du mich gezeichnet hast.“
Liora griff hastig nach ihrem Notizbuch. Ihre Finger umklammerten es fest. Die Seite mit Elyra war weit aufgeschlagen und das Lichtwesen schien die Seiten zu bewachen. Das Papier schimmerte im Licht des Waldes und die Karte pulsierte, als hätte sie ein eigenes Herz.
Liora spürte die Wärme des Buches durch ihre Hände und fühlte sich ein wenig sicherer.
„Du bist sehr mutig“, sagte Elyra.
„Du hast mich erschaffen. Jetzt nutze mich.“
Liora hob das Buch hoch, zögerte kurz und rief dann: „Licht!“
Aber es geschah nichts und der Schleicher kam immer näher.
Sie rief noch einmal: „Licht!“
