Die Magische Mauer - Jana Kollmann - E-Book

Die Magische Mauer E-Book

Jana Kollmann

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Beschreibung

In Ajan sind friedliche Zeiten angebrochen und Suna freut sich darauf, gemeinsam mit ihren Freunden ihren 12. Geburtstag zu verbringen. Als jedoch Lenn nicht zur Feier erscheint, und obendrein das Leben seines ajanischen Beschützers Larry plötzlich am seidenen Faden zu hängen scheint, ahnen Suna und die Tiere Schreckliches. Wenn Larry stirbt, wird Suna Lenn dann vielleicht nie wiedersehen? Das Mädchen und seine Freunde machen sich auf den Weg zu einem Heiler, um das Unvermeidliche doch noch abzuwenden. Was sie jedoch nicht wissen: Larrys Krankheit ist nur eines der Unheile, das gerade auf der eigentlich sicheren Seite der Mauer vor sich geht ...

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Seitenzahl: 289

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Birthday Girl

Geschenke, Torte und ein Besuch bei Larry

Ein Kuscheltier ist eins zu wenig

Aufbruch ins Ungewisse

Der Schauderfenn

Eine herbe Enttäuschung

Der garstige Alte

Schniffschnuffel

Der Wasserfall und die Adler

Der Caladriusberg

Das ewige Leben

Schlechte und gute Neuigkeiten

Ein schrecklicher Fund

Ein richtig blöder Plan

Wo ist Pelle?

„Etwas stimmt nicht!“

Rot wie das Feuer der Hölle

Die Last der Schuld

Freude über die Farbe Grau

Wie Fahrrad fahren

Lenns Portal

Nicht greifbar

Unverhofft kommt oft

Was zum …

Wer ist Charly?

Die Entscheidung

Parfum de Katz

Alter Baum

Ein ganz besonderer Abend

Birthday Girl

„Happy birthday to you, happy birthday to you …“, Mama und Papa gaben sich größte Mühe, die Töne zu treffen. Feierlich sahen sie Suna an. Die war gerade in die Küche gekommen, wo schon der gedeckte Frühstückstisch auf sie wartete. Es duftete nach Kakao und Croissants.

Heute wurde sie zwölf Jahre alt. Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch wartete sie, bis ihre Eltern ihr Ständchen beendet hatten.

„Alles Gute zum Geburtstag, mein Baby!“, sagte Mama und nahm ihre Tochter überschwänglich in die Arme.

„Mamaaa!“, mahnte Suna in gespielt strengem Tonfall und schob ein lieb gemeintes „Danke“ hinterher. Mama wusste genau, dass sie Suna nicht ständig ihr ‚Baby‘ nennen sollte, aber sie tat es trotzdem jedes Mal wieder. Sie sagte dann immer, dass Suna für immer ihr Baby bliebe und sie rein gar nichts dagegen tun könne.

Auch Papa drückte sie und gratulierte ihr herzlich. Suna schielte zu den Geschenken, die auf dem Tisch lagen.

„Na, mach schon, Suni, pack aus!“, forderte Papa sie auf. Das ließ Suna sich nicht zweimal sagen. Sie nahm sich das erste Paket, zerrte an der Schleife und riss das Papier entzwei. Ein Tierlexikon mit riesengroßen, wundervollen Fotografien war darin. Toll! Suna liebte Tiere. Mit solch einem Geschenk machte man ihr immer eine Freude. Im zweiten Paket war ein Tagebuch, in das sie jeden Tag ihre Erlebnisse schreiben konnte. Sie hatte in letzter Zeit wirklich genug erlebt, um gleich mehrere Bücher füllen zu können, dachte Suna. Dann nahm sie das dritte Geschenk in die Hand. Mama zwinkerte ihr zu. Suna zerriss das Geschenkpapier. Ein funkelnagelneues Handy kam zum Vorschein.

„Dann musst du nicht mehr mein altes, kaputtes Smartphone benutzen“, sagte Papa. „Ein paar Nummern haben wir dir schon einprogrammiert.“

Wow! Damit hatte sie nicht gerechnet. Was für eine Überraschung! Sofort kam ihr in den Sinn, dass sie unbedingt mit Lenn Nummern austauschen musste, damit sie mal miteinander würden telefonieren können. Lenn war Sunas bester Freund. Aber nicht nur das. Seit ein paar Wochen waren sie fest zusammen. Jedes Mal, wenn sie an Lenn dachte, fühlte es sich in ihrem Bauch an, als säße sie in einer Achterbahn und schösse gerade vom höchsten Punkt abwärts. Lenn war ein Menschenkind, genau wie sie. Sie hatten sich in Ajan kennengelernt. Gemeinsam hatten sie bereits viel durchgemacht und die Abenteuer, die sie in diesem fernen, alten Land erlebt hatten, hatten sie sehr zusammengeschweißt. Wann immer sie konnten, trafen sie sich seitdem dort. Dort, wo man nur über seine Träume hinkam. Papas altes Handy war zum Sprechen nicht wirklich zu gebrauchen, denn man hörte sich gegenseitig immer entweder sehr laut oder sehr leise. Das war äußerst anstrengend. Deswegen war Suna nie wirklich auf die Idee gekommen, mit Lenn telefonieren zu wollen. Suna hatte Mama zwar von Lenn erzählt, allerdings nicht, woher sie ihn kannte. Und Mama hatte nicht danach gefragt. Sie musste wohl etwas ahnen. In der realen Welt waren Suna und Lenn sich noch nicht begegnet.

Auch wenn ihre Mutter ihr den Weg in dieses, für Menschenkinder schwer zugängliche, Land geebnet hatte, so war sich Suna nicht sicher, wie viel ihre Mutter von Sunas regelmäßigen Besuchen dort wusste. Man musste sich dorthin träumen. Und nur die Allerwenigsten schafften es, nicht nur davon zu träumen, sondern leibhaftig dorthin zu reisen. Suna war überrascht gewesen, bei ihrer Rückkehr aus Ajan festzustellen, dass ihre Mutter dort einst selbst Zeit verbracht haben musste. Mama war es gewesen, die ihr von der Magischen Mauer erzählt hatte, als Suna Angst gehabt hatte, im Dunkeln einzuschlafen.

Sie hatte es nur für eine Geschichte gehalten und sich anschließend eher unfreiwillig in ebenjenem Land wiedergefunden, in dem die Kuscheltiere aller Kinder an einer großen, mit Magie verstärken Steinmauer das Böse abwehrten. Das Böse, das waren die Alpträume der Kinder, von den Ajanern nur Schatten genannt, denn genau so sahen sie auch aus: wie Schattengestalten.

Suna hätte damals zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt dort auftauchen können. Die Mauer war ihrer Schutzmagie beraubt worden. Ajan hatte unter den Angriffen der Schatten und am Verrat aus den eigenen Reihen gelitten. Doch Suna und ihre Freunde hatten den Ajanern geholfen, die Ordnung an der Mauer wieder herzustellen. Seitdem kam Suna regelmäßig in das Land, in dem sich der Alltag nachts abspielte. Der Ort war ihr, mitsamt seinen Bewohnern, sehr ans Herz gewachsen. Inklusive Lenn, der ebenfalls immer wieder nach Ajan kam.

Mit Mama hatte Suna nie wieder über die Magische Mauer gesprochen, doch jeden Abend, wenn sie Suna ‚gute Nacht‘ sagte, glaubte Suna, einen wissenden Blick in ihren Augen zu sehen.

„Danke, Papa! Danke, Mama!“ Suna fiel ihren Eltern in die Arme und drückte sie.

„Ein Geschenk haben wir noch für Suna, nicht wahr, Mila?“, fragte Papa mit suchendem Blick in Mamas Richtung. Mama nickte, zog etwas hinter dem Tablett an der Wand hervor und überreichte ihrer Tochter einen Umschlag. „Mittlerweile, dachten Papa und ich, ist es vielleicht etwas für dich.“

Suna öffnete das Kuvert und nahm zwei Karten heraus. Es waren Gutscheine für einen Kinobesuch für zwei Personen.

„Wie cool, danke!“

Noch vor gar nicht allzu langer Zeit wäre Suna niemals ins Kino gegangen. Sie hatte immer schreckliche Angst vor der Dunkelheit gehabt. Das hatte sich geändert, seit sie das erste Mal in Ajan gewesen war.

Mama stellte die Croissants auf den Tisch und sie frühstückten gemeinsam. Suna nahm einen Schluck Kakao, schmierte sich Butter auf das Hörnchen und zappelte auf ihrem Stuhl herum. Sie war so aufgeregt! Es war das erste Mal, dass sie kaum abwarten konnte, dass ihr Geburtstag schnellstmöglich um ging. Sie freute sich einfach zu sehr, Lenn nach dem Einschlafen wiederzusehen.

Das Telefon klingelte und Suna sprang hektisch auf. Vielleicht war Lenn ja irgendwie an ihre Telefonnummer gekommen? War es möglich, dass er sie anrief?

Papa zuckte zusammen und ihm fiel sein Brötchen aus der Hand. Es klatschte mit der bestrichenen Seite nach unten auf den Teller. „Wir essen doch, Suna“, stöhnte er leicht genervt. Mama sah ihn tadelnd an. „Sie hat doch Geburtstag! Ist doch klar, dass sie rangehen möchte.“

Suna wartete wie in Starre auf Papas Antwort.

„Ja klar, geh“, sagte er nur.

Sie stürmte los. Atemlos hob sie den Hörer von der Station. „Hallo?“ Es war Oma. Suna freute sich über Omas Anruf, spürte jedoch, wie die Enttäuschung ihre Schultern nach unten sinken ließ.

Mama war an sie herangetreten und streichelte ihr über den Arm. Sie schien zu spüren, dass Suna irgendetwas im Kopf herumging. „Erwartest du einen Anruf von Lenn, mein Schatz?“, fragte Mama, als Suna aufgelegt hatte und traf mit ihrer Frage genau ins Schwarze. Suna zuckte mit den Schultern. „Ach, ich glaube, er hat meine Nummer gar nicht. Und sicher hat er auch Wichtigeres zu tun als früh morgens bei mir anzurufen. Ich kann ja nicht davon ausgehen, dass sich seine ganze Welt nur um mich dreht.“

„Tust du das denn? Vergiss mal deine Selbstzweifel, Suna, und vertraue darauf, dass du es wert bist, angerufen zu werden!“

Mama nahm Suna fest in den Arm und strich ihr sanft übers Haar.

Suna machte sich für die Schule bereit und packte ihren Rucksack.

Die Stunden flogen nur so vorbei und am Abend saß Suna nach einem erfüllten Tag in ihrem Bett. Papa hatte ihr bereits ‚Gute Nacht‘ gesagt. Alles war vorbereitet für Ajan. Sie hatte ihre Kuscheltiere ordentlich neben sich aufgereiht, wie zu einer kleinen Mauer, die sie vom Raum abtrennte. Dort saßen Halka, eine Eule, die früher einmal Mama gehört hatte, Ando, der Eisbär, Felan, ein Wolfsjunge und Jonne, ein kleines Igelmädchen. Nicht zu vergessen Teddy, der wichtigste ihrer Stoffkameraden, ihr allerbester Freund. In der Ecke saß noch Benno, ein riesiger Bär, den Suna an einer Losbude auf der Kirmes gewonnen hatte. Er war einfach zu groß, um mit im Bett zu sitzen. Aber durch Sunas Liebe, war auch er zu einem Beschützer in Ajan geworden, auch wenn Suna ihn dort erst wieder in den Kreis der anderen Tiere hatte zurückholen müssen. Er war zunächst verdächtigt worden, gemeinsame Sache mit den Schatten zu machen. Doch dann hatte ihn der Rat der Ältesten als Spion mit den Verrätern zusammen nach Ost-Ajan geschickt, wo er diese im Auge behalten sollte und alle verdächtigen Aktionen melden sollte. Gleich. Gleich würde Suna Lenn in Ajan sehen. Ein warmes Kribbeln, wie von tausend Schmetterlingen, breitete sich in ihrem Bauch aus.

Mama schaute zur Tür herein. „Bereit zum Gute-Nacht-Sagen?“

„Jep.“ Suna streckte ihre Arme aus. Mama drückte sie ganz fest und gab ihr einen dicken Kuss. „Schlaf schön und bis morgen früh in alter Frische“, flüsterte Mama.

Suna nickte und lächelte Mama an. „Gute Nacht! Bis morgen früh!“

Mama schaltete das Licht aus und zog die Tür zu. Suna legte sich auf die Seite, nahm Teddy in den Arm und war ein paar Minuten später schon tief und fest eingeschlafen.

Geschenke, Torte und ein Besuch bei Larry

Suna hatte den Weg nach Ajan schon etliche Male zurückgelegt. Dort war es: das niedliche, kleine Gartentor - ihr Portal, ihr Eingang nach Ajan! Sie stieß es auf und sah sich um. Sie war wieder da! Sogleich schlug ihr der wunderbare Duft des nahegelegenen Waldes und der Blumen und Kräuter aus dem kleinen Garten vor ihr entgegen.

Felan, der junge Wolf, sah sie kommen und kam ihr entgegengerannt. Überschwänglich sprang er an ihr hoch. Halka, Sunas Eule, schaute aus der runden Öffnung des grasbewachsenen Wohnhügels, der sich an den Fuß der riesigen Steinmauer schmiegte, die hinter ebendiesem hoch aufragte.

Ein prasselndes, knackendes Feuer brannte in einem Steinkreis in der Mitte des kleinen Gärtchens, das ihr nun schon so vertraut erschien. Es war ihr zu einem zweiten Zuhause geworden.

„Mein Kind! Wie schön, dich zu sehen! Bin gleich da!“, rief Halka und ihr Kopf verschwand sofort wieder in der Behausung. Suna sah Felan irritiert an. Der zuckte nur grinsend mit den Schultern. Suna sah sich suchend um. „Wo sind denn die anderen alle?“ In diesem Augenblick kam Teddy mit Jonne auf den Schultern auf dem Schotterweg angelaufen, der an den Gärten entlangführte.

„Teddy! Jonne!“, rief Suna, als sie die beiden sah und rannte ihnen entgegen. „Hey, Suna! Bist du schon lange da?“, wollte Teddy wissen und gratulierte Suna herzlich zum Geburtstag.

„Nein, gerade erst gekommen“, antwortete Suna, und sie schlenderten gemeinsam zurück in den Garten. Halka, die Eule und Ando, der Eisbär, kamen aus dem Erdhügel heraus. Halka trug eine riesige Torte mit leuchtenden Kerzen darauf. Sie stellte sie mittig zwischen den Tieren ab, auf einem kleinen, niedrigen Holztisch, lächelte Suna kurz zu und schaute in die Runde. Ihr Blick blieb an Teddy hängen. Der nickte und flitzte, so schnell er konnte, aus dem Gartentor und über den Schotterweg zur Nachbarhütte – die im Übrigen noch nicht lange dort stand – verschwand darin und kam kurz darauf mit einem riesengroßen Bären in Latzhose im Schlepptau wieder heraus. „Benno!“ Suna warf sich ihm in die Arme, kaum dass er das Gartentor erreicht hatte. „Suna! Wie schön, dich zu sehen!“, dröhnte seine tiefe Stimme durch die Nacht. Ein beseeltes Lächeln erhellte sein Gesicht. Arm in Arm gesellten sie sich zurück zu den anderen ans Feuer.

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin fingen die Tiere an, Suna ein Geburtstagsständchen zu singen. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus und sie verdrehte vor lauter Verlegenheit ihre Finger ineinander. Als die Tiere geendet hatten, riefen alle begeistert ihre Geburtstagsgrüße durcheinander und jeder sprang auf in dem Versuch, Suna zuerst zu umarmen. Schlussendlich ließ man Teddy den Vortritt. Innig knuddelte er seine beste Freundin, und Suna drückte ihn fest an sich.

Einen Moment später hatten alle eine Umarmung bekommen, so dass sie sich ums Feuer setzten und auf den Kuchen stürzten. Suna war glücklich, Benno endlich einmal wieder neben sich zu haben. Erst vor Kurzem war er aus Ost-Ajan zurückgekehrt. Suna hatte dafür gesorgt, dass er seinen rechtmäßigen Platz an der Seite ihrer anderen Beschützer wieder einnehmen konnte. Nun hatte er sich dazu entschlossen, sich neben Sunas anderen Tieren eine eigene Hütte zu bauen. Mit diesem Projekt war er tagein tagaus beschäftigt gewesen, so dass Suna ihn kaum zu Gesicht bekommen hatte. Zu Halka und Ando zu ziehen, war ihm nicht richtig vorgekommen. Er hatte zu lange allein gelebt, um sich wieder an die Enge des kleinen Erdhügels gewöhnen zu wollen. Das hatte er zumindest gesagt, auch wenn es nur die halbe Wahrheit war. In Wirklichkeit hatte Suna das Gefühl, dass sich Benno nie wirklich mit Andos Anwesenheit hatte abfinden können. Er schien in dem Eisbären einen Konkurrenten um Sunas Liebe zu sehen, auch wenn Ando Benno nie einen Anlass zum Groll gegeben hatte. Die Tiere hatten seinen Wunsch nach einer eigenen Hütte verstanden. Schließlich konnte man sich immer sehen und zusammensitzen, wenn einem der Sinn danach stand. So wie jetzt.

Halka wandte sich voller Neugier an Suna: „Kommt Lenn heute gar nicht, mein Kind?“

Suna war sehr verunsichert. Sie hatte ihn schon längst hier erwartet. Was war bloß los? Warum kam er nicht nach Ajan, wie abgemacht? „Eigentlich schon. Ich weiß nicht, wo er bleibt.“

„Sicher kommt er bald“, sagte Teddy, der neben ihr saß und ihr sanft das Knie tätschelte. Suna nickte ihm dankbar zu. „Hoffentlich.“

„Wir haben etwas für dich, Suna!“ Teddy zog ein kleines Paket hinter seinem Rücken hervor und überreichte es ihr feierlich. „Es ist von uns allen!“ Überrascht schaute sie in die Runde. Die Tiere sahen sie aufmunternd an. Suna wollte gerade das Tuch zurückschlagen, als sie alle eine Stimme vom Tor her vernahmen. „He, bin ich zu spät zur Party?“ Suna schaute auf. „Pelle! Nein, bist du nicht! Komm rein!“

„Ein Glück! Ich hatte schon Angst, dass ihr verfressene Bande den weltbesten Kuchen ohne mich verdrückt!“ Das kleine Eichhörnchen zwinkerte Halka freundlich zu. Die Eule lächelte zurück. Pelle gratulierte Suna und setzte sich neben sie, die sich sofort daranmachte, das Geschenk ihrer Freunde weiter auszupacken. Sie schlug das Tuch auseinander und sah ein kleines, rundes Kissen vor sich. Es war weiß, mit bunten Stickereien verziert und einem Rand aus Spitze. Aber das Besondere daran war, dass es duftete. Suna steckte sofort die Nase hinein.

„Das ist ein Duftkissen“, sagte Felan.

„Ja! Halka hat es genäht, Jonne hat es bestickt und der Duft kommt von Andos Lavendel, den Felan und ich getrocknet haben“, fügte Teddy hinzu.

„Es ist wunderschön! Danke!“ Suna freute sich riesig, dass die Tiere an sie gedacht hatten. Aber wo blieb Lenn? Langsam fing sie an, sich zu sorgen.

„Das hier ist von mir.“ Suna blickte auf und sah in Bennos warme Augen. Er streckte ihr ein kleines Bündel entgegen. Suna wickelte es aus und hielt ein Taschenmesser mit dunklem, hölzernem Griff und Verzierungen auf der Klinge in der Hand. „Danke, Benno! Das ist der Wahnsinn!“ Sie strich über das kühle Metall und das warme Holz. Es war perfekt gearbeitet. Selbst Felan bekam große Augen. Dann sprang Pelle auf und stellte sich direkt vor Suna. Er streckte seine kleinen Ärmchen vor sich aus und hielt ihr etwas hin. Es war unverpackt. Suna nahm es in die Hand und betrachtete es von Nahem. Es war die Schale einer halben Walnuss und darin lag ein winzig kleines Püppchen auf einem noch winzigeren Kopfkissen und mit einer klitzekleinen Decke zugedeckt, so dass fast nur das Köpfchen herausschaute. „Oooh!“, entfuhr es Suna.

„Ist DAS süß! Hast du das auch selbst gemacht?“

Pelle stemmte die kleinen Fäuste in die Hüften und sah sie empört an. „Na, hör mal! Was denkst DU denn???“ Dann lachte er und man sah seine Brust schwellen vor Stolz. Erleichtert schnaufte Suna aus. Sie hatte schon befürchtet, er hätte sich auf den Schlips getreten gefühlt. Sie sollte Pelle jedoch mittlerweile gut genug kennen, um zu wissen, dass er sich nicht schnell beleidigt fühlte. „Danke, Pelle!“

„Gerne, gerne“, sagte er und beäugte dann gierig die Torte.

Sie saßen lange beieinander, aßen Halkas weltbeste Torte und lachten und feierten im Schein des Feuers. Es wurde ein toller Abend, aber ohne Lenn fehlte etwas.

Suna starrte in die Funken, die mit lautem Knacken gen Himmel stoben. Hatte sie etwas falsch verstanden? Oder ihn möglicherweise mit irgendetwas verärgert? Ihr fiel jedoch beim besten Willen nicht ein, was das hätte sein können. Vielleicht hatte er keine Lust mehr, Zeit mit ihr zu verbringen? Oder er hatte etwas Wichtiges vor. Heute war Freitag. Sie konnte ja schließlich nicht davon ausgehen, dass Lenn immer nur Zeit für Suna hatte. Aber gerade heute hätte sie ihn hier so gerne bei sich gehabt! War sie zu egoistisch?

Auf einmal spürte sie etwas Weiches auf ihrer Haut. Es war Halka. Sie strich sanft mit der Spitze ihrer Schwinge über Sunas Hand. „Mein Kind, wenn du dir solche Gedanken machst, dass Lenn nicht kommt, frag doch Lenns Beschützer Larry nach ihm. Vielleicht hat er etwas gesehen und kann dir weiterhelfen!“

Suna blickte Halka erstaunt an. „Das ist eine gute Idee, Halka. Danke! Das mach‘ ich!“ Die Eule zwinkerte ihr langsames Eulenzwinkern und lächelte Suna an, die daraufhin Halka kurz umarmte und aufstand, um ihrem Rat nachzugehen. Da Larry Lenns Beschützer war, hatte Larry ja vielleicht in seinen Träumen gesehen, ob bei Lenn alles in Ordnung war. Suna entschuldigte sich bei den anderen, die lachend am Feuer saßen und versprach, schnell zurückzukommen. „Ich begleite dich, Suna“, sagte Teddy sofort, der mitgehört hatte, und erhob sich. Suna nickte ihm dankbar zu. Gemeinsam spazierten sie durch das kleine Gartentor und wandten sich auf dem Schotterweg, der direkt davor verlief, nach links in Richtung der großen Eiche. Larry wohnte ein Stück den Weg hinunter. Der Affe lebte mit seiner Frau und zwei Kindern zusammen, die ebenfalls alle Schimpansen waren. Es waren nicht ihre echten Kinder, aber das störte niemanden. Sie hatten das Gefühl, zusammenzugehören, und hatten sich lieb, auch ohne miteinander verwandt zu sein. Hier in Ajan war niemand wirklich mit jemand anderem blutsverwandt. Jeder lebte, mit wem es ihm gefiel.

Larry besaß mit seiner Familie einen Erdhügel nahe dem großen, hölzernen Tor, das diesen Teil von Ajan vom gefährlichen Teil trennte. Die Schatten kamen immer noch jede Nacht. Das würde wohl auch stets so bleiben, aber sie waren nicht mehr solch eine große Gefahr für die Ajaner. Nicht so, wie sie es zu einer Zeit vor Sunas erstem Besuch in Ajan mal gewesen waren. Es war eine ruhige und verhältnismäßig friedliche Zeit in Ajan angebrochen.

„Da ist es.“ Teddy zeigte auf einen grasbewachsenen Erdhügel mit einer hölzernen, roten Eingangstür. Im Garten vor der Behausung stand ein Baum, in dem eine Schaukel hing. Ein Ball lag auf dem Kiesweg, der zum Haus führte, und aus dem Fenster neben der Tür drang ein warmer Lichtschein nach draußen.

Sie durchquerten den Garten und klopften an. Die Tür öffnete sich sofort einen Spalt. Larrys Frau schaute heraus. Als sie sah, dass es Suna und Teddy waren, machte sie die Tür weiter auf und lächelte leicht.

Hinter ihrem Bein guckte ein kleines Affenmädchen schüchtern hervor.

„Hallo Lina! Wir möchten gerne mit Larry reden. Ist er da?“, fragte Suna freundlich.

„Hallo ihr zwei. Larry ist sehr krank. Es geht ihm nicht gut.“ Ein sorgenvoller Blick trat in Linas Augen. Das Affenmädchen hinter ihrem Bein steckte sich den Daumen in den Mund und fing hektisch an zu nuckeln, während sie Suna und Teddy aus großen Augen ansah. „Oh, das tut …“ Suna war mitten im Satz, als Larrys Stimme nach draußen drang. „Lina? Wer ist es denn?“

„Suna und Teddy. Sie möchten mit dir sprechen.“

„Lass sie ruhig rein!“

Lina machte einen Schritt zur Seite und deutete den beiden hereinzukommen.

„Danke“, sagte Suna und betrat die Behausung. Larry lag auf einem Blümchensofa mit runden Holzfüßen neben einem kleinen Kamin, in dem munter ein Feuer prasselte. Ein Arm war in einem Tuch fixiert. Er setzte sich auf, als die Besucher eintraten. Er sah müde aus.

Sie begrüßten sich und Larrys Frau bot den Gästen Tee an. Suna lehnte dankend ab. Lina tätschelte dem Affenmädchen sanft den Kopf und sagte: „So, Lilly. Du sagst deinem Vater jetzt ‚Gute Nacht‘, dann kannst du Lale noch ein Kussi geben und ich bringe dich ins Bett.“ Lale war Lillys Schwester, die sich offensichtlich in einem der anderen Zimmer des Hauses aufzuhalten schien. Lilly rannte zu Larry und legte ihre Ärmchen um seinen Hals. „Nacht, Papi“, sagte sie und lief dann schnell zurück zu ihrer Mutter. „Nacht, mein kleines Äffchen“, antwortete Larry. Lina nahm Lilly an die Hand und verschwand mit ihr in ein anderes Zimmer. Suna und Teddy setzten sich auf zwei Hocker, die neben dem Sofa standen.

„Larry, was ist passiert?“, platzte Suna heraus.

„Ach, eine dumme Geschichte. Aber erzählt doch erst einmal, warum ihr hier seid?“

„Wir haben Lenn heute in Ajan erwartet, aber er ist nicht gekommen! Weißt du, was los ist?“, wollte Suna wissen. Larry fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und stöhnte. Suna und Teddy sahen sich irritiert an.

„Es gab einen Zwischenfall …“ Larry schüttelte leicht den Kopf. „Lenn hatte Streit mit seinem Vater. Das habe ich in meinem Traum gesehen. Sein Vater wollte mich Lenn wegnehmen. Er war der Meinung, Lenn vernachlässige seine Pflichten und meinte außerdem, sein Sohn sei zu alt, um noch mit Kuscheltieren zu spielen. Lenn sollte mich abgeben. Aber er hat sich geweigert. Da wurde sein ohnehin schon wütender Vater noch wütender und hat an mir gerissen. Daher auch meine Verletzung am Arm, denn Lenn wollte mich festhalten. Sein Vater war natürlich stärker. Er brachte mich irgendwo hin. Ich schätze, in einen Schrank oder eine Schublade, wo er mich hineingesteckt hat. Seitdem habe ich keine Träume mehr. Es ist alles einfach nur noch schwarz. Und mein Arm tut weh - deshalb die Schlinge.“ Er deutete auf das Tuch.

Suna sah Larry entsetzt an. „O Mann, das ist ja furchtbar!“

„Können wir irgendetwas für dich tun, Larry?“, wollte Teddy wissen.

Larry rückte sich sein Kissen zurecht. „Ihr seid wirklich lieb, aber ich denke, das wird schon wieder. Lina kümmert sich gut um mich.“

„Aber Larry, was ich nicht verstehe: Dass du weggesperrt wurdest, erklärt doch nicht, warum Lenn nicht herkommen kann!? Oder doch?“ Suna sah Larry irritiert an.

„Nein, Suna. Das erklärt es nicht. Und ich verstehe selbst nicht, warum er nicht schon längst hier ist.“

Suna kam ein Gedanke: „Larry, hat Lenn noch andere Kuscheltiere, die seine Beschützer sind, oder bist du der Einzige hier in Ajan?“

Teddy schaute seine Freundin überrascht an. „Ja, Suna! Was für eine gute Idee. Vielleicht finden wir so etwas mehr darüber heraus, warum Lenn nicht nach Ajan kommt.“

Larry schüttelte jedoch den Kopf. „Ich muss euch leider enttäuschen. Ich bin der Einzige. Das heißt, warum auch immer, scheint ihm der Weg nach Ajan momentan versperrt zu sein und ich habe nicht den leisesten Schimmer, warum … es tut mir sehr leid!“

Suna und Teddy ließen die Schultern hängen und Suna wurde das Herz schwer.

„Danke, Larry! Wir wünschen dir eine gute Besserung! Sagst du uns Bescheid, wenn du etwas Neues über Lenn in Erfahrung bringen kannst?“ Suna erhob sich. Teddy tat es ihr gleich. Larry nickte geschwächt. Sein Atem ging nun schwer und das Sitzen schien ihm Unbehagen zu bereiten. „Ja, na klar“, sagte er nur.

Suna wollte sich gerade abwenden, da sah sie etwas sehr Erschreckendes. Larrys Hand flackerte und wurde für einen kurzen Moment durchsichtig. Ihre Augen weiteten sich. Larry bemerkte ihr Entsetzen. „Was ist los? Sehe ich so schlecht aus?“

Suna sah zu Teddy, doch der schien ebenso auf Sunas Antwort zu warten.

„Deine Hand!“ Suna wusste nicht, ob sie sich vielleicht versehen hatte.

„Meine Hand ist okay! Es tut weiter oben weh“, widersprach Larry.

„Nein, deine Hand - sie war weg!“

Suna hörte selbst, wie dumm sich das anhörte, aber genau das war passiert! Da geschah es wieder. Diesmal sah es auch Teddy. Larry blickte seine Hand an und bekam riesengroße Augen.

Ein Kuscheltier ist eins zu wenig

„Nein!“, flüsterte Larry. „Nein!“ Diesmal lauter. „O nein!“, rief er mit Panik in der Stimme. Lina kam ins Zimmer gerannt. „Was ist los?“

Als sie seine durchsichtige, fast nicht mehr vorhandene Hand sah, weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Sie schrie auf. Auch Teddy schien höchst alarmiert zu sein. Suna wusste nicht, was hier geschah.

Lina stürzte zu Larry. „Larry! Bleib bei mir! Was ist denn bloß mit dir?“

In Larrys Augen sah man nur Angst und Verzweiflung. „Lina, ich verschwinde!“

„Nein, mein Schatz, verlass‘ mich nicht! Bitte!“

Larry antwortete nicht, sondern besah sich seine langsam schwindenden Finger. Lina wandte sich zu Teddy und Suna um. „Was ist mit Lenn? Warum braucht er Larry nicht mehr?“

„Nein, Lina!“ Larry nahm Linas Hand. „So ist es sicher nicht! Lenn braucht mich sehr wohl, aber unsere Verbindung scheint irgendwie getrennt worden zu sein. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich langsam verschwinde. Anders kann ich es mir nicht erklären.“

Suna trat einen Schritt näher. „Wenn ein Kind also seinen Beschützer nicht mehr braucht, verschwindet dieser? Wohin?“

Larry sah sie traurig an. „Das weiß keiner. Wer einmal ganz verschwunden ist, der kommt nicht wieder. Keiner weiß, wohin man geht. Aber ich glaube nicht, dass Lenns Glaube an mich der Grund für mein Verschwinden ist. Es muss etwas anderes dahinterstecken.“

„Was passiert denn mit Lenn, wenn du verschwindest?“, wollte Suna wissen.

„Es ist gut möglich, dass Lenn dann nie mehr in der Lage sein wird, nach Ajan zu kommen.“

Suna traf diese Nachricht wie ein Schlag. Wenn Lenn nicht mehr nach Ajan würde kommen können, bedeutete dies, dass sie sich niemals wiedersehen würden. Suna hatte das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Ihre Beine zitterten so stark, dass sie befürchtete, sie würden sie nicht länger tragen. Lenn war ihr so unendlich wichtig geworden! Sie brauchte ihn! Er war ihr bester Freund, ihr Seelenverwandter und noch viel mehr als das! Sie hatte ihn doch so lieb gewonnen! Wenn Larry sterben sollte, würde Lenn für Suna gleich mit sterben. Natürlich nicht wirklich sterben, aber sie würde niemals wieder mit ihm sprechen können, denn sie wusste nichts über sein Leben in der Menschenwelt. Und das wäre fast so, als wenn Lenn wirklich tot wäre. Warum hatten sie denn nicht daran gedacht, Nummern auszutauschen?!

„Kann dir denn nicht geholfen werden, Larry? Gibt es hier nicht so etwas wie einen Arzt, einen Heiler?“ Suna blickte von Larry zu Lina und schließlich zu Teddy.

„Niemand, der in der Lage wäre, das Verschwinden aufzuhalten …“ Larry ließ entmutigt die Schultern hängen. Mit leeren Augen starrte er an die Wand.

Lina öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Teddy kam ihr zuvor. „Na ja …“, sagte er. Alle blickten ihn erwartungsvoll an. „ … es gibt da jemanden, allerdings weiß ich nicht, ob er uns helfen WILL!“

„Es gibt jemanden, der Larry helfen kann?“ Hoffnung schimmerte in Linas Augen. „Wer?“

„Tief im Wald lebt einer, den sie ‚Waldbu‘ nennen. Halka hat uns mal von ihm erzählt. Es ist ein Wichtel, uralt schon. Er war einmal ein Beschützer, so wie wir. Aber das ist lange her. Schon seit Ewigkeiten hat er kein Beschützerkind mehr. Trotzdem ist er noch hier. Keiner weiß, warum. Er hätte längst verschwunden sein müssen. Er ist eine Art Schamane, ein Heiler und war einst ein sehr mächtiger Magier. Leider hat er sich in der jüngsten Vergangenheit nicht besonders hilfsbereit gezeigt. Er will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Er ist ein merkwürdiger, alter Kauz. Aber er soll wirklich überragende heilende Fähigkeiten besitzen, hat Halka erzählt.“ Teddy blickte in die Runde.

Lina war sogleich Feuer und Flamme. „Na, dann bringen wir ihn am besten sofort zu ihm!“

„Es ist ein sehr weiter Weg dorthin. Wie gesagt, der Waldbu führt ein einsames und zurückgezogenes Leben. Und es gibt keine Garantie, dass er uns helfen wird. Dann hätten wir Larry ganz umsonst den Strapazen einer langen Reise ausgesetzt.“ Teddy schien skeptisch, was die Chance auf Erfolg anging.

Larry stöhnte und ein Teil seines Handgelenks begann, sich in Luft aufzulösen. „Ich will nicht verschwinden! Helft mir! Bitte!“

Lina blickte flehend von Teddy zu Suna und zurück. „Bitte helft ihm! Wir brauchen ihn so sehr!“

Und Lenn ebenso, dachte Suna und spürte, wie die Last des Gedankens an ihren Egoismus schwer auf ihr lag. Schnell schob sie ihn beiseite.

„Teddy, kennst du den Weg?“

Teddy erklärte, er wisse nur die grobe Richtung. Er war der Meinung, Halka würde weiterhelfen können. Sie beschlossen, sie um Rat zu fragen, um dann so schnell wie möglich zu Larry zurückzukehren.

Lina gefiel das gar nicht. Sie hätte Larry am liebsten sofort auf dem Weg zu diesem Heiler gesehen. Aber sie musste sich wohl oder übel gedulden. Schließlich brauchten sie Proviant und Decken für die Reise. So etwas musste gut vorbereitet werden.

Suna und Teddy liefen den Weg zurück, so schnell sie konnten. Schnaufend und prustend kamen sie zu Hause an. Die anderen saßen immer noch ums Feuer.

Pelle war gerade dabei, mit vollem Körpereinsatz einen Witz zum Besten zu geben. Alle lachten. Benno schlug sich mit den Pranken auf die Schenkel und Halka gluckste in sich hinein.

Als sie Suna und Teddy angerannt kommen sahen, wurden sie still. Pelle hielt inne und wartete ab, was die zwei zu sagen hatten.

Suna fiel Halka in die Schwingen. Diese war überrascht, streichelte jedoch sofort zärtlich über Sunas Haar. „Was ist denn los, mein Kind?“ Fragend blickte sie Teddy an, der immer noch versuchte, zu Atem zu kommen, bevor er sagte: „Larry ist schwer krank. Er verschwindet, Halka!“

Entsetzen machte sich breit. Halka schien sofort zu verstehen, warum Suna so verzweifelt war.

„Halka, warum hat Lenn denn bloß nur Larry? Warum hab ich euch alle hier und Lenn hat nur einen Beschützer? Könnte er sich nicht noch schnell ein anderes Kuscheltier aussuchen, damit er wieder hierherkommen kann?“, fragte Suna flehend.

Halka erklärte ihr, man müsse schon eine ganz besondere Beziehung zu einem Kuscheltier haben, damit es hier die Rolle des Beschützers übernähme. Man könne nicht einfach irgendeines nehmen und glauben, nun würde es zu einem Ajaner. Man müsse es von Herzen lieb haben. „Ein solches Gefühl entsteht nicht über Nacht, sondern wächst langsam, wie eine kleine Knospe, die ihren Kopf aus der Frühlingserde steckt und zu einer wunderschönen Blume wird, mein Kind. Nicht jeder verliert sein Herz so schnell an so viele Kuscheltiere, wie du es tust.“ Halka lächelte Suna voller Liebe an. Diese löste sich von der Eule und wischte sich mit dem Ärmel über die leicht feuchten Augen. Suna musste unwillkürlich an Borsti denken. Borsti war ein Kuscheltierschwein, das so böse dreinschaute, dass Suna es auf den Dachboden verbannt hatte, weil sie Angst vor ihm hatte. Borsti war nie ein Ajaner geworden. Es stimmte, was Halka sagte: All ihre Kuscheltiere, die hier in Ajan waren, hatte sie ganz besonders lieb.

Jonne saß neben ihr. Sie streichelte mit ihren winzigen Fingerchen sachte über Sunas Knie. Suna lächelte ihr zu und Jonne tat es ihr gleich. Teddy ergriff das Wort: „Halka, du hast uns doch schon mal vom Waldbu erzählt. Vielleicht kann ER uns helfen!?“

Halka sah Teddy überrascht an. „Du willst Larry zum Waldbu bringen? Ich habe dir aber doch auch erzählt, dass er niemandem mehr helfen will! Früher war das mal anders, aber schon seit Langem möchte er alleingelassen und nicht gestört werden.“

Suna zupfte leicht an Halkas Gefieder. „ … aber wir müssen es doch wenigstens versuchen!“ In Suna regte sich das schlechte Gewissen: Natürlich wollte sie Larry retten, aber noch viel mehr sehnte sie sich danach, Lenn wiederzusehen. Ihre eigenen Belange waren ihr wichtiger als Larrys Leben! Pelle riss sie aus ihren Gedanken. „Ach übrigens: Ich kenne den Weg. Ich könnte euch hinführen.“

Ando schaute Pelle überrascht von der Seite an. „Du kennst den Weg zum Waldbu?“

Pelle streckte die Brust raus, stemmte die Pfötchen in die Seite und reckte das Kinn in die Höhe. „Ts, was soll denn dieses überraschte Getue? Na klar, kenn‘ ich den Weg! Wenn sich auch nur einer mal für MEINE magische Gabe interessiert hätte, wüsstet ihr, dass ich sozusagen eine lebende Karte bin. Ich kenne viele Orte wie meine Westentasche! Muss nur einmal irgendwo langlaufen und schon merke ich mir den Weg.“

„Das heißt, du warst schon einmal dort?“, wollte Ando wissen.

„Jep. Durch Zufall. Allerdings kann ich den Weg mit einem Kranken im Schlepptau nicht besonders empfehlen. Wir müssten durch den Schauderfenn. Einen ziemlich großen Sumpf. Es gibt zwar einen Steg hindurch, aber es ist ziemlich unwegsam.“

„Den Schauderfenn?“, echote Suna. Sie hatte nicht das Gefühl, bereit zu sein für eine solche Reise. Sie wollte doch eigentlich nur hier am Feuer sitzen und mit ihren Freunden ihren Geburtstag feiern! Die letzten Wochen waren so wunderschön ereignislos gewesen. Konnte es nicht so bleiben?

„Und welchen Weg kannst du dann empfehlen?“, mischte Halka sich wieder ins Gespräch ein. Pelle sah die Eule verwirrt an. „Na, gar keinen. Entweder den oder keinen. Alle anderen wären Umwege von vielen Tagen, wenn nicht Wochen. Bis dahin wäre Larry sicher schon lange verschwunden.“

Halka sah Ando fragend an, wie um seine Meinung zu hören. Doch Ando schien auch keine bessere Idee zu haben und zuckte mit den Schultern.

Da sagte Suna: „Ich werde gehen.“ Sie war sich auf einmal mehr als bewusst, dass sie niemals hier am Feuer sitzen und tagelang auf eine Nachricht würde warten können, während die anderen auf dem Weg zum Waldbu waren. Ihre Entscheidung war gefallen, auch wenn ihr Magen ihr zu sagen schien, dass sie in keinster Weise die Richtige für diesen Job war.

„Das wirst du sicher nicht!“ Benno hatte bisher nicht viel gesagt, aber nun brach es spontan aus ihm heraus und seine Pranke landete dabei mit einem dumpfen Klatscher auf seinem Bein. Suna war überrascht von Bennos Reaktion, ebenso wie Ando und Halka und die anderen auch.

„Warum nicht?“, fragte Suna.

„Warum willst du denn unbedingt auf eine solch aussichtslose Reise gehen? Er wird es eh nicht schaffen.“

Suna sah Benno aus zusammengekniffenen Augen an. „Das kannst du nicht wissen, Benno! Und wenn DU es wärst? Soll ich dich dann auch gleich aufgeben?“

Benno zuckte zusammen und zog den Kopf ein wenig zwischen die Schultern, wandte aber den Blick nicht von ihr ab.