Die Ministerin und die Tibet-Mafia - Horst Neisser - E-Book

Die Ministerin und die Tibet-Mafia E-Book

Horst Neisser

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Beschreibung

Immer wieder wird von Menschen berichtet, die scheinbar unsterblich viele Generationen lang durch die Weltgeschichte geistern. Existieren sie wirklich oder sind sie nur Legenden? Wer sind diese sagenhaften Gestalten wie zum Beispiel der ominöse Graf von Saint Germain oder der Highlander? Und wenn es sie gibt, welchen Einfluss nehmen sie auf das Weltgeschehen? Welche Ziele verfolgen diese "Zeitlosen"? Sind sie tatsächlich die wirklichen Herrscher über diese Welt? Die deutsche Umweltministerin Suzan Bergstoh lernt auf einem Empfang des Bundespräsidenten einen geheimnisvollen Grafen kennen, der sie mehr und mehr in seinen Bann zieht und immer größere Macht über sie gewinnt. Was will er von ihr, was sind seine Ziele? Irgendwann entführt er sie bei einer Dienstreise in China aus ihrem Hotel und bringt sie nach Tibet. Eine deutsche Ministerin verschwindet spurlos. Wie reagieren die Öffentlichkeit und die Medien? Doch nach einem Jahr taucht sie wieder auf und ist ein anderer Mensch. Sie gehört nun zu den "Zeitlosen" und weiß um die Gefahren, die der gesamten Menschheit drohen. Zusammen mit ihren Freunden versucht sie, die Katastrophe zu verhindern und riskiert dabei ihr Leben. Sie hat sich zu einer lebensgefährlichen Mission entschlossen und dringt tief in das verborgene Leben der Superreichen ein. Dabei kommt sie in einen der exklusivsten Vergnügungsparks der Welt. Was dort vor sich geht, davon ahnen die Normalsterblichen nichts, sie können nicht einmal davon träumen. Aber nachdem bei einer Sex-Session ein Mord geschieht, wird der Aufenthalt für sie zu einem lebensgefährlichen Alptraum. Überhaupt ist ein Motto der Mächtigen: Wer im Weg steht, wird beseitigt. Bis zuletzt aber bleibt die Fragen: Regieren die Zeitlosen aus dem Hintergrund die Welt und mit welcher Absicht? Welches Spiel spielt der Graf? Wie mächtig ist er, und was will er von Suzan Bergstoh?

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Seitenzahl: 725

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Horst Henrik Neißer

Die Ministerin und die Tibet-Mafia

Ein Verschwörungs-Thriller

Im Mittelpunkt dieses Thrillers stehen die geheimnisvollen Mächte, von denen auch die großen und unermesslich reichen Bankiersfamilien, die die Welt regieren, abhängig sind.

Immer wieder wird von Menschen berichtet, die scheinbar unsterblich viele Generationen lang durch die Weltgeschichte geistern. Existieren sie wirklich oder sind sie nur Legenden? Wer sind diese sagenhaften Gestalten wie zum Beispiel der ominöse Graf von Saint Germain oder der Highlander? Und wenn es sie gibt, welchen Einfluss nehmen sie auf das Weltgeschehen? Welche Ziele verfolgen diese „Zeitlosen“? Sind sie tatsächlich die wirklichen Herrscher über diese Welt?

Die deutsche Umweltministerin Suzan Bergstoh lernt auf einem Empfang des Bundespräsidenten einen geheimnisvollen Grafen kennen, der sie mehr und mehr in seinen Bann zieht und immer größere Macht über sie gewinnt. Was will er von ihr, was sind seine Ziele? Irgendwann entführt er sie bei einer Dienstreise in China aus ihrem Hotel und bringt sie nach Tibet. Eine deutsche Ministerin verschwindet spurlos. Wie reagieren die Öffentlichkeit und die Medien? Doch nach einem Jahr taucht sie wieder auf und ist ein anderer Mensch. Sie gehört nun zu den „Zeitlosen“ und weiß um die Gefahren, die der gesamten Menschheit drohen. Zusammen mit ihren Freunden versucht sie, die Katastrophe zu verhindern und riskiert dabei ihr Leben.

Sie hat sich zu einer lebensgefährlichen Mission entschlossen und dringt tief in das verborgene Leben der Superreichen ein. Dabei kommt sie in einen der exklusivsten Vergnügungsparks der Welt. Was dort vor sich geht, davon ahnen die Normalsterblichen nichts, sie können nicht einmal davon träumen. Aber nachdem bei einer Sex-Session ein Mord geschieht, wird der Aufenthalt für sie zu einem lebensgefährlichen Alptraum. Überhaupt ist ein Motto der Mächtigen: Wer im Weg steht, wird beseitigt.

Bis zuletzt aber bleibt die Frage: Welches Spiel spielt der Graf? Wie mächtig ist er und was will er von Suzan Bergstoh?

Horst Henrik Neißer

Die Ministerin

und die Tibet-Mafia

Circel

Imprint

Horst Henrik Neißer

Die Ministerin und die Tibet-Mafia

Copyright: © 2014 Horst NeisserDruck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

3. Auflage Circel 2017

Der Roman erschien in der ersten Auflage 2013 unter dem Titel: „Die Ministerin im Banne der Eliten.“

Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung (auch elektronisch) vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autors wiedergegeben werden.

Wichtige Vorbemerkung

Die Handlung dieses Romans ist absolut fiktiv.

Alle Personen sind frei erfunden.

Allerdings spielt das Buch in der Gegenwart.

Um eine glaubwürdige Authentizität zu erzeugen, mussten deshalb manchmal existierende Personen aus dem öffentlichen Leben oder reale Zeitungen usw. genannt werden.

So spielt zum Beispiel eine erfundene deutsche Bundeskanzlerin eine entscheidende Rolle. Diese Figur hat jedoch absolut nichts mit der tatsächlichen, bisher einzigen weiblichen Regierungschefin der

Bundesrepublik Deutschland zu tun.

Auch sind für die Handlung erforderliche Medien-Artikel

(zum Beispiel aus der „WELT“ oder dem „SPIEGEL“)

frei erfunden.

Larvatus prodeo

(Unter einer Maske gehe ich meinen Weg)

Wahlspruch Descartes

Mit dem Wissen wächst der Zweifel.

Johann Wolfgang von Goethe

Die junge Ministerin

1

Es war einer jener unsäglichen Abende, die zum Pflichtprogramm einer Ministerin gehören. Der Bundespräsident hatte zu Ehren ausländischer Staatsgäste zu einem Bankett ins Schloss Bellevue geladen. Natürlich mussten an derartigen Feierlichkeiten nicht alle Kabinettsmitglieder teilnehmen, man wechselte sich ab, aber diesmal hatte es sie erwischt.

Das Essen fand im Großen Saal im Obergeschoss des Amtssitzes statt. Man traf sich im Schinkelsaal mit dem riesigen Bild von Karl Friedrich Schinkel. Die goldgerahmte ‚Gotische Klosterruine‘ dominierte auf unerträgliche Weise den Raum. Davor standen die Männer in ihren Fräcken und sahen aus wie Pinguine, um ihre Hälse und an den Frackbrüsten baumelten bunte Kreuze. Gemächlich stolzierten sie mit ihren weiblichen Begleitungen von der einen zur anderen Gruppe. Die Frauen trugen lange Kleider und hatten ihre kostbarsten Brillanten und Perlen aus den Safes geholt. Dazwischen schlängelten sich livrierte Diener und Dienerinnen mit ihren Tabletts, auf denen Champagnergläser, Fruchtsäfte und Mineralwasser standen. Man wartete in diesem eigens dafür vorgesehenen Vorraum, bis sich die Türen zum Festsaal endlich öffneten und man sich seinen Platz suchen durfte. Dieses gesellige Zusammensein vor dem Entree zum Mahl gehörte zur Inszenierung derartiger Festlichkeiten.

Suzan Bergstoh hatte sich für ein schwarzes langes Abendkleid entschieden, schlicht aber elegant. Sie wusste, dass sie noch immer eine gute Figur hatte, die das Kleid prächtig zur Geltung brachte. Dazu trug sie eine Perlenkette und Perlenohrringe. Im Gegensatz zu ihrer Gewohnheit, kaum Schminke zu verwenden, hatte sie für den Abend nicht nur Lidstrich und Lippenstift, sondern sogar ein wenig Make-up aufgelegt. Der Lidstrich war wichtig, denn ihre Wimpern waren so hell, dass ihr Gesicht ohne ihn seltsam blass und unkonturiert wirkte.

Der Abend würde lang und unangenehm werden. Wer würde wohl neben ihr sitzen und mit wem würde sie sich stundenlang unterhalten müssen? Sie wollte dabei einen klaren Kopf behalten und hatte sich deshalb für Mineralwasser entschieden.

Da sich ihr Mann zurzeit in den USA aufhielt, hatte sie keinen Begleiter und stand etwas verlegen in der Ecke. Sie war erst seit wenigen Monaten im Amt und kannte deshalb nur einige der Anwesenden flüchtig. Ihr fehlte ein Gesprächspartner.

Ein Mann fiel ihr auf. Er mochte sechzig Jahre sein, vielleicht älter, vielleicht jünger, durchtrainierte Figur, kaum Bauchansatz, weißes, dichtes Haar, sehr schönes Gesicht. Auch er war ohne Begleitung, aber er bewegte sich zwischen all den Leuten, als wäre er hier zu Hause. Irgendwann öffnete er ohne Umstände die Tür zum Großen Saal und trat ein. Suzan Bergstoh, froh über die Abwechslung, tat es ihm nach und schlüpfte ebenfalls in den Bankettsaal.

Sie beobachtete ihn, wie er, ohne sich um das Personal zu kümmern, das letzte Hand an die Gedecke legte, von Tisch zu Tisch schritt und in aller Ruhe die Tischkarten las. Dann nahm er eine der Karten und vertauschte sie mit einer Karte von einem anderen Tisch. Als er damit fertig war, bemerkte er die Beobachterin.

„Schauen Sie nicht so böse“, sagte er und lächelte. Es war ein bezauberndes Lächeln. „Ich weiß, dass die Leute vom Protokoll stundenlang an der Sitzordnung gefeilt haben. Aber der Abend wird lang werden, und es gibt nichts Schlimmeres, als eine langweilige Tischnachbarin zu haben, bei der schon nach wenigen Minuten der Gesprächsstoff ausgeht. Das, was ich eben getan habe, ist nur Selbstschutz.“

Weiter kam er nicht, denn nun öffneten sich die beiden Türen des Saals und die Gäste strömten herein. Jeder suchte seinen Platz, und auch die Ministerin fand die Tischkarte mit ihrem Namen. Zu ihrem großen Erstaunen saß sie neben dem Fremden. Auf der Karte las sie einen hochtrabenden Namen: Graf von und zu Manderscheidt.

Der trat nun auf sie zu, schüttelte ihr herzlich die Hand, tat, als sei auch er von der Sitzordnung überrascht, und sagte gewinnend: „Welche angenehme Überraschung!“

Der Saal war hell erleuchtet, unangenehm hell. An der Decke brannten kristallene Leuchter mit vielen einzelnen Birnen und an den Wänden glitzerten ebenso viele Wandlampen in der gleichen Art. Der Bundespräsident hatte bereits im Schinkelsaal jeden Gast mit Handschlag begrüßt. Nachdem er und seine Frau Platz genommen hatten, setzten sich alle.

Jeweils acht Personen waren um die großen runden Tische gruppiert. Der Mann links neben Suzan gehörte zu einer ausländischen Gesandtschaft und sprach nur wenig Englisch und kein Deutsch.

Da saß sie nun zwischen diesem selbstbewussten Grafen und einem Gast, dessen Namen sie nicht einmal aussprechen konnte.

‚Das kann ja heiter werden‘, dachte Suzan. ‚Warum habe ich mir das angetan und mich nicht einfach mit einer Ausrede entschuldigt. Aber die schlimmsten Strafen sind die, die man sich selbst auferlegt. ‘

Höflich wandte sich der neben ihr sitzende Graf an sie: „Liebe, gnädige Frau! Wie schön, dass ich mich mit Ihnen unterhalten kann, und dass mir der Zufall eine Prominente als Tischnachbarin geschenkt hat.“

Bergstoh lachte ein wenig verlegen: „Prominent bin ich sicher nicht.“

„Sie sollten nicht so bescheiden sein. Zumindest die Zeitungen berichten, dass sie dem Kabinett unserer hochverehrten Bundeskanzlerin angehören. Was war doch gleich Ihr Ressort?“

„Da sehen Sie, wie prominent ich bin. Sie kennen nicht einmal meinen Geschäftsbereich.“

„Lassen Sie mich raten! Außenministerium?“

Nun lachten beide gleichzeitig so laut, dass sich alle Gesichter am Tisch ihnen zuwandten.

„Nein, zum Glück nicht“, gluckste sie, „ich bin ein Reisemuffel. Und für eine Vizekanzlerin bin ich wohl noch etwas jung.“

„Was nicht ist, kann noch werden. Ich kann mir vorstellen, dass Sie eine ausgezeichnete Außenministerin wären. Sie würden bei allen Staatsoberhäuptern den Kavalier herauskitzeln. Wahrscheinlich würden Sie von jeder Dienstreise eine Menge unanständiger Anträge mit nach Hause bringen.“

‚Dieser Graf von und zu weiß gar nicht, wie recht er hat‘, dachte Suzan.

Laut sagte sie: „Ich bin mit meinem Job als Ministerin für Umwelt und Naturschutz recht zufrieden. Es ist eine wichtige und hochinteressante Aufgabe.“

Suzan Bergstoh war eine schlanke, gepflegte Person und sah mit ihren zweiundvierzig Jahren recht gut aus. Das rötliche Haar trug sie kurz und mit den Sommersprossen auf der Nase sah sie noch jünger aus. Sie hatte grüne Augen, mit denen sie ihre Gesprächspartner fest fixierte. Die Journalisten waren begeistert von der gut aussehenden Ministerin, und der STERN hatte sie sogar auf die Titelseite als Covergirl genommen.

Natürlich gab es stets irgendwelche Männer, die sich selbst etwas beweisen mussten, indem sie Suzan anmachten. Aber das war sie gewohnt und konnte damit umgehen. Sogar beim ersten gemeinsamen Treffen nach der Regierungsbildung, als sich alle Minister zusammen mit der Kanzlerin den Fotografen präsentierten, hatte der neue Innenminister leise zu ihr gesagt, sie sei eine Sünde wert.

Manche Männer, selbst in hohen Positionen, halten eben noch immer starr an der Meinung fest, dass Frauen nur auf anzügliche Komplimente warten und sich davon beeindrucken lassen. Natürlich ist dieses Gerede nur Angeberei und dummes Geschwätz. Wenn sie tatsächlich einmal echtes Interesse an einem Mann zeigte, so wurde der rasch verlegen und machte einen Rückzug.

‚Männer mögen keine starken Frauen‘, das wusste sie. ‚Jemand wie ich macht den Männern Angst. Sie sind wie Pfauen, sie schlagen ein Rad, um zu imponieren. Doch ihre bunte Angeberei fällt rasch in sich zusammen, wenn man sie beim Wort nehmen will.‘

Hätte sie ihren Mann nicht schon vor vielen Jahren auf der Uni kennengelernt, als sie noch beide Studenten gewesen waren, sie wäre sicher heute ledig.

Der Graf unterbrach ihre Gedanken: „Ich habe gelesen, Sie sind so etwas wie ein politischer Shootingstar. Sie haben in Ihrer Partei nicht die Ochsentour gemacht und es dennoch in wenigen Jahren zu einem Ministeramt gebracht. Kompliment!“

„Ich glaube, dass sich die Außenstehenden falsche Vorstellungen von der Politik machen“, wies sie ihn zurecht. „Letztlich zählen in den Spitzenpositionen doch nur Sachverstand und Können. Die treuen Parteisoldaten bleiben alle auf halber Strecke hängen, auch wenn sie sich noch so anstrengen und intrigieren. Ich glaube nicht an den Willen zur Macht. Solides Wissen, Fleiß und Verhandlungsgeschick sind eher Garanten für eine Karriere.“

Der Graf sah sie skeptisch an.

„Sie müssen es ja wissen“, sagte er endlich.

‚Wie bin ich eigentlich wirklich zu diesem Ministeramt gekommen?‘ dachte sie auf einmal.

Sicher sie hatte sich im Ortsverein ihrer Partei engagiert und war schließlich sogar zur Vorsitzenden gewählt worden. Irgendwann bot man ihr dann einen Platz auf der Landesliste für die Landtagswahl an. Doch noch bevor sich das Landesparlament konstituiert hatte, bekam sie einen Anruf von der Kanzlerin, die ihr das Umweltministerium im Bund anbot. Diese Berufung war mehr als seltsam, denn bis dahin war sie eine recht unauffällige Nachwuchspolitikerin gewesen. Eine engagierte Frau, wie sie in allen Parteien zuhauf vertreten sind. Weshalb war gerade sie für das hohe Amt auserwählt worden? Sie wusste es nicht und beschloss, ein andermal darüber nachzudenken.

Das Essen war ausgezeichnet, aber Suzan Bergstoh bekam wenig davon mit, denn ihr Tischnachbar zog sie mehr und mehr in eine immer intensivere Unterhaltung. Dabei war die Verständigung schwierig, denn der große Saal summte und brummte von all den Gesprächen an den Tischen. Der Bundespräsident hatte seine offizielle Rede längst gehalten, der letzte Gang war abgetragen und Kaffee mit Cognac serviert worden. Nun löste sich auch die Sitzordnung auf. Man setzte sich zu Bekannten an andere Tische und sprach dem Wein ohne weitere Hemmungen zu.

„Ich glaube, hier wird es jetzt ungemütlich“, sagte der Graf. „Was halten Sie davon, wenn wir uns ein ruhigeres Plätzchen suchen.“

Dagegen hatte die Ministerin nichts einzuwenden. Aber sie war gespannt, wo der Mann in dieser Abendgesellschaft ein ‚ruhiges Plätzchen‘, wie er sagte, finden wollte. So stand sie mit ihm zusammen auf und folgte ihm nach draußen. Sie durchquerten den Schinkelsaal und landeten im Salon Luise. Dort war es dämmrig, denn es brannten nur die vier Wandlampen neben den Türen. Als der Graf die Türen geschlossen hatte, war es ganz still. Der Lärm und der Trubel der Abendgesellschaft waren ausgesperrt, waren weit weg. Als sie auf der klassizistischen Sitzgruppe Platz genommen hatten, waren sie in einer anderen Welt gelandet.

Und nun änderte sich auch der Mann, der sie hierhergebracht hatte. Er sprach nicht mehr von Politik und erzählte witzige Anekdoten über abgetretene Politiker. Vielmehr berichtete er jetzt von längst vergangenen historischen Ereignissen, so als sei er dabei gewesen: „Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gesicht Ludwig der XV. gemacht hat, als ihn die Pompadour vor allen Leuten auf seine nachlassende Potenz ansprach.“

Er hatte seine ganze Aufmerksamkeit der Ministerin zugewandt, und diese hatte das Gefühl, dass sie in diesem Augenblick für ihn der wichtigste Mensch auf dieser Welt war.

„Erzählen Sie mir von sich“, bat er irgendwann, und sie tat es, ohne lange nachzudenken.

Sie berichtete von ihrem Mann, einem Berufsschullehrer, der nun auch noch einen Beraterjob bei einer Firma für Sonnenkollektoren hatte.

„Haben Sie da nachgeholfen?“ fragte der Graf.

Sie schüttelte den Kopf.

„Sie sind an ihn herangetreten, und er hat nicht ‚nein‘ gesagt. War mächtig stolz. Ich habe erst davon erfahren, als der Vertrag bereits unterschrieben war.“

„Vorsicht, vorsicht!“ murmelte der Mann. „So etwas macht Sie erpressbar.“

Suzan erzählte von ihrem Elternhaus, von ihren verstorbenen Schwestern und erwähnte sogar ihre erste Liebe, und wie unglücklich sie damals gewesen war.

Plötzlich kam sie zu sich.

‚Bin ich denn verrückt‘, schalt sie sich. ‚Ich sitze hier mit einem wildfremden Mann, von dem ich nichts weiß, und schütte ihm mein Herz aus. Frau Minister reißen Sie sich endlich am Riemen! ‘

Aber der Graf war so sympathisch und geduldig und wusste die richtigen Fragen zu stellen, sodass sie weitererzählte.

Irgendwann erschien ein Bediensteter, um das Licht zu löschen. Er war sehr erstaunt, als er hier zwei Menschen vorfand und sagte, dass sich die Abendgesellschaft bereits aufgelöst habe und nur noch wenige Gäste anwesend seien. Auch der Herr Bundespräsident sei schon vor einiger Zeit gegangen.

„Dann werden wir wohl auch gehen müssen“, sagte der Graf. „Darf ich Sie nach Hause fahren?“

„Mein Fahrer wartet unten.“

„Dann schicken Sie ihn nach Hause. Die Nacht ist so schon kurz für den Mann, schließlich soll er Sie schon morgen früh wieder abholen.“

Suzan nickte. Schaltete ihren Blackberry ein und sagte dem Fahrer, er brauche nicht auf sie zu warten.

Der Graf schien sich im Schloss Bellevue gut auszukennen, denn er führte die Ministerin auf dem kürzesten Weg nach draußen. Als sie aus einer Nebenpforte in die Nacht traten, war es kalt und Suzan fröstelte. Behutsam, wie um sie zu wärmen, legte er den Arm um sie, und sie ließ ihn gewähren. Der Mann führte die Ministerin zum Parkplatz, wo sein Wagen wartete. Es war eine große, schwarze Stretch-Limousine, wie sie in Europa unüblich ist, wohl aber von wichtigen Leuten in den USA gefahren wird. Als der Fahrer seinen Chef kommen sah, sprang er aus dem Auto und riss die hintere Tür auf. Die beiden kletterten hinein. Durch die Standheizung war es angenehm warm. Die Fensterscheibe zum Fahrer war hochgefahren und zusätzlich mit einem Vorhang verdeckt.

„Wo darf ich Sie hinbringen?“ fragte der Graf, und Suzan nannte ihre Adresse.

Der Graf sprach in ein verstecktes Mikrofon, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Nun öffnete er einen kleinen Kühlschrank und entnahm ihm eine Champagnerflasche, die er routiniert öffnete. Er schenkte zwei Kelche voll und stieß mit seinem Gast an.

Dann stellte er die Gläser auf eine Ablage und begann Suzan ohne Umstände zu küssen. Sie ließ es verwundert geschehen. Die Küsse waren nicht intensiv und auch nicht leidenschaftlich. Eher ein wenig zärtlich. Mehr so, wie ein Vater die Tochter auf Wange, Stirn und Augen küsst.

Irgendwann streifte er den Rock ihres Abendkleides hoch und begann sie zwischen den Beinen zu streicheln.

‚Die Frau Minister treibt Petting wie eine Sechzehnjährige‘, dachte sie noch verwundert, bevor sie sich seinen Liebkosungen ganz hingab.

2

Am nächsten Morgen war die Ministerin, Doktor Bergstoh, wie immer pünktlich um sieben Uhr im Büro. Sie war schlecht gelaunt, denn sie hatte kaum geschlafen. Sie war wütend auf sich, dass sie sich von diesem Mann hatte verführen lassen. Aber, und das musste sie sich nun bei Tageslicht hier in ihrem Büro doch eingestehen, sie hatte noch nie einen Mann mit so erfahrenen Händen erlebt.

Die Ministerin zwang sich zum Arbeiten, wühlte sich durch Postmappen und den Presseüberblick. Für neun Uhr war die erste Konferenz angesetzt. Danach hatte sie im Halbstundentakt Termine. Vor elf Uhr in der Nacht würde sie wohl nicht nach Hause kommen.

Sie wurde in ihren Gedanken von ihrer Sekretärin, Frau Warnstrut, unterbrochen, die mit Blumen ins Zimmer kam.

„Das wurde eben für Sie abgegeben“, sagte sie erstaunt.

Blumen erreichen die Ministerin in der Regel nicht. Sie werden unten an der Pforte entgegengenommen und aus Sicherheitsgründen sogleich entsorgt. Doch diesmal hatte einer der Sicherheitsleute den Strauß persönlich gebracht. Der Absender hatte damit ein kleines Wunder vollbracht.

Als das Papier entfernt worden war, kamen drei wunderschöne Orchideen zum Vorschein. An einer war die Visitenkarte des Grafen geheftet. Seine Titel nahmen die halbe Karte ein, aber eine Adresse oder gar Telefonnummer standen nicht auf der Visitenkarte.

Auf der Rückseite fand sich handschriftlich der Satz: „Danke für den wunderschönen Abend. Er bleibt mir unvergesslich!“

Suzan war geschmeichelt und lächelte. ‚Ein Kavalier der alten Schule‘, dachte sie sich. Doch als die Sekretärin die Blumen in eine Vase stellen wollte, fiel ihr Blick auf die Klammer, die die drei Rispen zusammenhielt. Sie sprang auf und nahm Frau Warnstrut den Strauß aus der Hand. Dann ging sie mit der Klammer an Fenster, um im hellen Tageslicht besser sehen zu können.

Es war eine Brosche aus Platin, zu allem Überfluss auch noch reich mit Brillanten besetzt. Flüchtig bemerkte sie auf ihrer Rückseite die eingravierte Zahl 220, die ihr aber nichts sagte. Deshalb dachte sie nicht weiter darüber nach, sondern schätzte stattdessen den Wert dieses Kleinods und kam auf mindestens zwanzigtausend Euro. Suzan Bergstoh erbleichte. Wo war sie da hineingeraten? Solche Geschenke werden nicht ohne Hintergedanken gemacht. Natürlich würde sie das Schmuckstück unverzüglich zurückgeben und die dämlichen Orchideen gleich mit. Was bildete sich dieser Mann nur ein?

Doch wohin sollte sie das Paket schicken? Trotz Visitenkarte hatte sie weder eine Adresse noch eine Telefonnummer. Sie kannte nur den Namen und die angeberischen Titel.

In jedem Ministerium gibt es eine Stelle, bei der offizielle Geschenke abgegeben werden. Schließlich erhält ein Regierungsmitglied eine Fülle von Geschenken und zwar nicht als Person, sondern in seiner Funktion. Dorthin schickte Doktor Bergstoh Frau Warnstrut und ließ die Brosche abgeben. Die Quittung dafür wurde abgeheftet.

Nachdem dies geregelt war, durften auch die Orchideen auf ihren Schreibtisch gestellt werden.

‚So schöne Blumen kann man doch nicht verkommen lassen‘, dachte sie sich.

3

Die Tage vergingen und die Erinnerung verblasste. Suzan Bergstoh hatte andere Sorgen, denn sie war über Nacht in politische Turbulenzen geraten. Eine vertrauliche Planung ihres Ministeriums war einer Zeitungsredaktion in die Hände gespielt worden, und nun gab es in der Öffentlichkeit große Aufregung und Proteste. Sogar ihren Rücktritt hatte man schon gefordert. Eine Konferenz mit Spezialisten aus dem Presseamt jagte die nächste. Bergstoh führte eine Menge Gespräche insbesondere mit Journalisten, um die Gemüter zu beruhigen, telefonierte mit wichtigen Leuten in ihrer Partei, um sich abzusichern und sich den Rücken stärken zu lassen. Endlich wurde sie von der Kanzlerin angerufen. Die erklärte ihr, dass sie hinter ihr stünde und sich ihre Ministerin keine Sorgen machen müsse.

Suzan war erleichtert, fragte sich jedoch, warum die Kanzlerin sich erst so spät vor sie gestellt hatte.

Inzwischen war auch ihr Mann aus den USA zurückgekehrt und hatte in der kurzen Zeit, in der sie sich sahen, viel zu erzählen.

Suzan Bergstoh hatte also wenig Zeit zum Nachdenken, und bald erschien ihr die Nacht in der Stretch Limousine wie trügerische Fantasie. Da war nichts gewesen! Sie hatte es sich nur eingebildet. Sie würde sich doch niemals mit einem Mann, den sie kaum kannte, am ersten Abend auf so etwas einlassen. Und dazu noch im Auto, sie die Ministerin, undenkbar.

‚Ich bin ganz einfach überarbeitet‘, dachte sie, ‚wenn ich schon irgendwelche Fantasien für real halte. ‘

Aber wenn eine der vielen Sitzungen langweilig wurde, und ihre Gedanken abschweiften, dann spürte sie noch immer seine Hände.

Dann kontrollierte sie sogleich ihre Gedanken und verdrängte diese absurden Erinnerungen. Es konnte schon deshalb nichts gewesen sein, weil es nicht gewesen sein durfte. ‚Du bist das, an was du dich erinnerst‘, hatte sie im SPIEGEL gelesen.

Nur die Orchideen verloren nichts von ihrer Pracht. Sie strahlten in der Sonne auf ihrem Schreibtisch und wurden von jedem Besucher bewundert. Suzan konnte sich den Schreibtisch ohne diese Orchideen schon gar nicht mehr vorstellen.

Den Grafen traf die Ministerin überraschend auf einer Sitzung wieder. Geladen waren wichtige Vertreter aus Wirtschaft und öffentlichem Leben. Es war ein erlauchter Kreis, der sich da unter dem Vorsitz der Kanzlerin Kruschka zusammenfand. Aus dem Kabinett waren der Wirtschaftsminister, der Innenminister und eben Bergstoh vom Ministerium für Umwelt anwesend.

Suzan hatte zusammen mit dem Präsidenten der Bundesbank den Sitzungssaal betreten. Sie war so in das Gespräch vertieft gewesen, dass sie den Grafen erst entdeckte, als die Kanzlerin die Sitzung bereits eröffnet hatte. Er saß ganz am unteren Ende des Tisches und meldete sich während der zweistündigen Diskussion kein einziges Mal zu Wort. Die Kanzlerin hatte ihn nicht in seiner Funktion vorgestellt, sondern nur seinen Namen, Graf Manderscheidt, genannt.

Die Versammlung verbiss sich schließlich in zwei Alternativen, und man konnte sich für keine der beiden entscheiden. Etwa die Hälfte der Anwesenden bevorzugte die eine Lösung und die andere Hälfte die andere. Es wurde erregt debattiert, und ein Ende des Streits war nicht abzusehen.

Da meldete sich der Graf zu Wort. Er fasste kurz die wesentlichen Argumente zusammen und empfahl dann lächelnd als Lösung: „Aggressives Hinwarten!“

Nach anfänglicher Verblüffung und Schweigen meldeten sich nach und nach die Teilnehmer zu Wort und unterstützten den Vorschlag. Damit war er angenommen und die Sitzung beendet.

Später beim Hinausgehen traf Suzan den Grafen. Er begrüßte sie herzlich. Seine lange, schmale, gepflegte Hand, deren Finger sie noch immer in Erinnerung hatte, umklammerte die ihre mit einem festen Druck.

„Wir sollten zusammen essen gehen“, sagte er dabei.

Weiter kam er nicht, denn eine Stimme stellte fest: „Sie kennen sich also!“

Es war die Kanzlerin, die hinter ihnen stand und fortfuhr: „Dann muss ich Sie gar nicht mehr vorstellen.“ Sie wandte sich an den Grafen und sagte: „Ich muss mit Ihnen noch einiges besprechen. Darf ich Sie bitten, mich in mein Dienstzimmer zu begleiten?“

Als ihre Chefin mit dem Grafen abzog, blieb Suzan enttäuscht zurück. Erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass es ein Gefühl von Eifersucht war, welches in ihr tobte.

4

Für diesen Tag waren keine weiteren Konferenzen und Termine mehr angesetzt. Schließlich war das Ende dieser so überaus wichtigen Sitzung unter der Leitung der Kanzlerin nicht absehbar gewesen. Und obgleich ihr Schreibtisch mit unerledigten Aufgaben bedeckt war, die sie eigentlich bis in die Nacht hinein hätte aufarbeiten müssen, ließ sich Suzan Bergstoh von ihrem Fahrer nach Hause bringen.

Die Haushaltshilfe, die treue Seele, hatte für ihren Mann gedeckt und das Abendessen gerichtet. Er saß im Speisezimmer ein wenig verloren an dem großen Tisch, las in einer Zeitschrift und kaute dabei gedankenverloren auf seinem Brot. So einsam wie er dasaß, tat er ihr sehr leid. Sie konnte auf ihn keine Rücksicht nehmen, und er führte eigentlich das Leben eines Singles. Wie er sich wohl fühlte? Sie wusste es nicht. Sie wusste überhaupt nicht, was in ihrem Mann vor sich ging. Die Zeiten, in denen sie vertraut waren und jeden Gedanken miteinander geteilt hatten, waren längst vergangen.

„Was habe ich mit diesem Mann noch zu schaffen?“ fragte sich Suzan.

Sie war unbemerkt in der Tür stehen geblieben und beobachtete Simon. Er war so alt wie sie selbst, aber während sie sich noch jung und tatkräftig fühlte, fielen ihm bereits die Haare aus, und sein Bauch wölbte sich mächtig nach vorn.

Unwillkürlich musste sie an den Grafen denken, seine sportliche Figur, die kontrollierten Gesichtszüge und das gepflegte Haar. Ob er wohl ein Toupet trug? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Das hätte nicht zu seinem Stil gepasst.

Vielleicht sollte sie sich von Simon scheiden lassen, dachte sie. Schließlich war er für sie zu einem Fremden geworden. Es verband sie nichts mehr. Ihr Zusammensein war eine Lüge.

‚Nach all dem, was wir zusammen erlebt haben, hätte er mehr Ehrlichkeit verdient. Jetzt hatte er noch die Chance, eine Frau zu bekommen, die auch zu ihm passt. ‘

Aber eine Trennung kam nicht infrage, solange sie noch in der Politik Karriere machen wollte. Das hätte sie zu viele Wählerstimmen gekostet. So etwas konnte sich vielleicht ein Paradiesvogel wie Joschka Fischer leisten, aber kein normaler Politiker. Selbst dieser Seehofer war schließlich zähneknirschend zu seiner Frau zurückgekehrt.

Nun bemerkt Simon die Beobachterin und stand erfreut auf. Er und seine Frau umarmten sich flüchtig, dann lief er in die Küche und holte Teller und Besteck für sie.

„Gab es heute etwas Besonderes?“ fragte Simon, als sie sich gegenübersaßen.

„Nein“, antwortete sie laut, „nur eine endlose Sitzung“ und dachte bei sich: ‚Natürlich gab es etwas Besonderes, ich habe den Grafen wiedergetroffen, und er hat mich zum Essen eingeladen. ‘

Dann erinnerte sie sich, wie die Kanzlerin ihn abgeschleppt hatte und dachte bitter: ‚Ob wohl die Kruschka auch etwas mit ihm hat? ‘

Der Gedanke war ihr unangenehm, und sie verdrängte ihn sogleich mit aller Macht.

Sie hatte eben ihren Teller Suppe zu Ende gegessen und belegte sich eine Scheibe Toastbrot mit ungarischer Salami, da klingelte das Telefon. Simon stand unwillig auf und hob den Hörer ab.

Kurz darauf sagte er: „Es ist für dich!“

Sie überlegte, wer sie so spät noch zu Hause anrufen würde? Doch als sie die Stimme hörte, blieb ihr beinahe die Luft weg. Es war ER!

„Ich freue mich auf dich“, sagte er mit seiner ruhigen, tiefen Stimme. „Bitte komme herunter, ich warte hier auf dich.“

Bevor Suzan etwas antworten konnte, hatte er bereits aufgelegt.

Sie starrte den Telefonhörer an und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ich muss noch einmal weg“, sagte sie.

„Schade“, war die Antwort ihres Mannes, „wir hätten uns endlich wieder einmal einen gemütlichen Abend machen können.“

Seine Worte reizten sie. Wütend antwortete sie: „Deine Klagen und Beschwerden kann ich nun gar nicht gebrauchen. Du wusstest, als ich in die Politik ging, dass dies eine Belastung für unsere Ehe werden würde. Ich habe es dir damals ausdrücklich gesagt. Und du warst auch damit einverstanden, dass ich das Ministeramt übernehme. Was soll also jetzt das Lamentieren. Ich kann eben nicht so frei über meine Zeit verfügen wie du.“

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und sagte versöhnlich: „Vielleicht dauert es ja auch nicht lange. Ich werde mich auf jeden Fall beeilen, dann habe wir doch noch etwas von dem Abend.“

Als sie langsam die Treppe hinunterstieg, fragte sie sich, wie der Graf wohl an ihre private Telefonnummer gekommen sein mochte. Wie alle Minister hatte sie natürlich eine Geheimnummer, die nur wenige Leute ausgehändigt bekamen.

Vor dem Haus standen zwei Autos. Der Polizeiwagen mit den Beamten, die sie rund um die Uhr bewachten, und die Stretch Limousine, die sie schon kannte.

Sie sah nach oben zu ihrer Wohnung und meinte dort am erleuchteten Fenster eine Bewegung gesehen zu haben. War dies Simon, der sie beobachtete? Rasch stieg sie in den schwarzen Wagen, der sogleich losfuhr.

Der Graf saß in der Ecke. Es war dunkel, und sie konnte sein Gesicht nur schemenhaft sehen. Er reichte ihr seine kühle, gepflegte Hand und sagte: „Schön, dass du gekommen bist.“

Wie beim ersten Mal öffnete er geschickt eine Flasche Champagner und schenkte zwei Sektkelche ein. Er stieß nicht mit ihr an, sondern trank sogleich schlürfend einen Schluck. Dann nahm er noch einen Schluck und wandte sich seinem Gast zu.

„Bitte zieh dich aus“, sagte er mit sanfter Stimme.

Suzan war es, als habe sie nicht richtig gehört und eine Ohrfeige erhalten. Sie reagierte nicht.

„Bitte zieh dich aus“, wiederholte der Graf noch einmal.

Sie wusste selbst nicht warum, aber nun knöpfte Suzan langsam ihre Bluse auf. Dabei ärgerte sie sich über sich selbst. Was fiel diesem arroganten alten Typ eigentlich ein? Er behandelte sie wie eine Hure. Dabei war sie eine wichtige Persönlichkeit in dieser Republik. Sie, Doktor Suzan Bergstoh, verhandelte mit den wichtigsten Politikern dieses Erdballs. Jede öffentliche Bemerkung von ihr stand am nächsten Tag in der Presse, und Hunderte von Leuten rätselten, was sie damit wohl habe ausdrücken wollen.

Nun aber saß sie hier in diesem amerikanischen Angeber-Auto, fuhr völlig sinnlos durch die Nacht und zog sich vor einem fremden Mann aus. Was war in sie gefahren? Welche Macht übte dieser Graf auf sie aus? Ob er wohl mit der Kanzlerin auch so umsprang?

Sie hatte die Knöpfe der Bluse geöffnet und zog sie aus. Da saß sie nun mit ihrem weißen BH, der in der Dunkelheit leuchtete. Bis hierhin war sie bereit, diese Verrücktheit mitzumachen, aber nun sollte es Schluss sein.

Doch der Graf war nicht zufrieden. Er nippte wieder an dem Sektkelch und flüsterte: „Bitte auch den Büstenhalter.“

Suzan wollte widersprechen, nach dem Sinn dieser törichten Aktion fragen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Bitte…“, sagte er eindringlich.

Obgleich sich alles in ihr sträubte, griff sie nach hinten und öffnete den Verschluss. Der BH fiel auf ihren Schoß, und ihre Brüste standen leuchtend weiß von ihrem Körper ab.

„Danke“, flüsterte er wieder. „Und nun die Hose. Bitte!“

Suzan wollte erneut protestieren, sich wieder anziehen, den Wagen anhalten lassen und aussteigen. Sie würde mit ihrem Mobiltelefon ein Taxi rufen und nach Hause fahren. Dieser Mann war ein Verrückter, ein Perverser. Wahrscheinlich war er sogar gefährlich. Sie hatte alle Vorsicht außer Acht gelassen und war ohne Personenschutz im Dunklen zu einem fremden Mann, den sie kaum kannte, ins Auto gestiegen.

Doch sie sagte nichts, presste die Lippen aufeinander und begann, die Knöpfe ihrer Hose zu öffnen. Als sie sich von dem Sitz ein wenig erhob, um die Hose abzustreifen, bemerkte sie, dass sie erregt war. Und sie ärgerte sich noch mehr über sich selbst. Dann war sie völlig nackt. Sie sah auf ihre Scham herunter und schämte sich.

„Du darfst es jetzt machen“, sagte er sanft.

5

In dieser Nacht schlief Suzan Bergstoh nicht eine Minute. Sie hörte das leise Schnarchen ihres Mannes, während sie sich von einer Seite auf die andere wälzte. Was war nur in sie gefahren? War sie von allen guten Geistern verlassen? Hatte sie den Verstand verloren?

Sie hatte sich im Auto eines fremden Mannes zu exhibitionistischen Sexspielen verleiten lassen. Wenn sie jemand gesehen oder gar fotografiert hatte, war sie erledigt. Paparazzi gab es schließlich überall, und für so ein Bild wäre von den entsprechenden Redaktionen bis zu einer Million gezahlt worden.

„Die Frau Minister auf der Straße beim Sex Spiel ertappt!“

Eine tolle Schlagzeile – und sie wäre sogar wahr gewesen.

Wie hatte der SPIEGEL einmal geschrieben? „Es ist eine Welt, in der Berühmtheit als Ware gehandelt wird.“

Ihr Wert als Ware wäre ins Unermessliche gestiegen. Sie musste unbedingt den Kontakt zu diesem perversen Grafen abbrechen. Sie würde keine Sekunde mehr mit ihm allein verbringen. Diese Eskapaden waren Vergangenheit. Sie würde sich nun wieder zusammenreißen.

Während sie so im Bett lag und verzweifelt zu schlafen versuchte, fiel ihr eine Episode aus ihrer Schulzeit ein. Es war im Abiturjahr gewesen. Die Klasse war auf einen Schulausflug nach Italien gefahren. Der sie begleitende Klassenlehrer hatte Mathematik unterrichtet. Die weibliche Begleitung war eine Lehrerin aus der Parallelklasse gewesen, die vor dem Mathekollegen großen Respekt gehabt hatte.

Suzan wusste nicht mehr genau, wie es dazu gekommen war. Sie hatten alle zusammen ein Weinlokal besucht und auf dem Nachhauseweg war sie, ohne dass die anderen es bemerkt hätten, mit dem Lehrer zurückgeblieben. Und dann hatte er sie geküsst und ihr unter den Rock gefasst. Sie hatte es damals nicht nur geduldet, sondern sogar genossen. Anschließend hatte sie alles ihrer Freundin erzählt. Die war wahnsinnig neugierig und aufgeregt gewesen.

O.K., dachte sie, der Vorfall damals war noch verständlich. Schließlich war der Lehrer eine Respektsperson gewesen, und es hatte ihrer Eitelkeit enorm geschmeichelt, dass er sich mit ihr abgab. Aber heute leitete sie ein wichtiges Ministerium, eine gigantische Behörde. Heute müsste der Lehrer stolz sein, wenn sie ihm überhaupt die Hand gab.

Bei dem Wort Hand fielen ihr wieder die Hände des Grafen ein. Diese weichen, langen, gepflegten Finger. An sein Gesicht konnte sie sich nur schwer erinnern, aber die Hände standen ihr ganz plastisch vor Augen.

Hatte ihr der Lehrer damals einen psychischen Schaden zugefügt, sodass sie sich heute nicht gegen diesen anmaßenden Grafen wehren konnte? Was war das überhaupt für ein Graf? Eine seltsame, eine dubiose Gestalt. Und da war auch noch die Bundeskanzlerin Kruschka. Sie kannte den Grafen scheinbar recht gut. Ob er wohl mit ihr auch diese Spielchen trieb?

Am nächsten Morgen war sie müde und schaffte es erst gegen acht Uhr im Büro zu sein. Natürlich brachte die Verspätung ihren ganzen Tagesplan durcheinander. Nur einmal, als sie stark erkältet gewesen war, hatte sie sich eine derartige Undiszipliniertheit gestattet.

Als sie sich mit schwerem Kopf hinter ihren Schreibtisch setzte, fiel ihr Blick auf die Orchideen. Sie rief die Sekretärin und ließ die Blumen entfernen.

„Ich habe nun lange genug auf diese Dinger gestarrt“, bemerkte sie dabei.

„Aber sie sind noch immer sehr schön“, sagte die Sekretärin. „Darf ich sie im Vorzimmer aufstellen?“

„Nein!“ war die barsche Antwort. „Ich möchte, dass sie weggeworfen werden.“

Müde griff sie zur Unterschriftenmappe, öffnete den teuren Parker Füller und machte sich an die Arbeit. Dabei fiel ihr Blick auf ihre Finger und auf den Ring mit dem blauen Brillanten, der seit gestern Nacht dort steckte. Als sei sie bei etwas Unanständigem ertappt worden, verbarg sie sogleich mit ihrer linken Hand den Ring.

Dieser Ring war das endgültige Zeichen ihrer Blödheit. Als sie wieder vor ihrer Wohnung angekommen waren, und sie bereits aussteigen wollte, hatte ihr der Graf diesen Ring entgegengehalten und sie mit seiner weichen Stimme gebeten: „Bitte trage ihn ab jetzt ständig.“

Sie hatte nicht geantwortet und auch nicht nach dem Sinn dieses Geschenkes gefragt, sie hatte sich den Ring übergestreift und war dann wort- und grußlos aus dem Auto gestiegen und ins Haus geeilt.

Sollte sie dieses Symbol ihrer Unterwerfung nun tatsächlich tragen? Sie verschob die Entscheidung auf später und vertiefte sich erst einmal in die Post.

Sie hatte die erste Mappe erst zur Hälfte abgearbeitet, da wurde sie von der Sekretärin unterbrochen. Ein Bote habe wieder Blumen gebracht, erklärte sie und stellte sieben langstielige Rosen vor Suzan auf den Tisch.

Ein kleines Couvert war an einen Rosenstiel gebunden. Die Ministerin öffnete es und heraus fiel die bekannte Visitenkarte mit der Bemerkung: „Um die Lücke zu füllen, die die weggeworfenen Orchideen hinterlassen haben.“

Was war das für ein Mann? Was wollte er von ihr? Was wusste er? Aber noch wichtiger war ihr die Antwort auf die Frage, warum tat sie alles, was er ihr befahl? Warum erregte er sie so sehr?

Ihm selbst konnte es doch nicht um sexuelle Befriedigung gehen. Er machte nicht die geringsten Anstalten mit ihr zu schlafen oder sich auf andere Weise befriedigen zu lassen. Sie hatte nicht einmal eine Erektion bei ihm gesehen.

‚Vielleicht sollte er eine dieser blauen Pillen nehmen‘, dachte sie und schmunzelte ungewollt. ‚Wahrscheinlich ist er impotent und gewinnt ein perverses Vergnügen, wenn er Frauen in solche Situationen bringt. ‘

Andererseits, wie ein alter Lustmolch sah er nicht aus und gerierte sich auch nicht so. Welche Absichten verfolgte er? Was sollte das Ganze? Galt sein Interesse ihr als Ministerin oder ihr als Frau? Aber alle diese Gedanken hatte sie bereits in den langen Nachtstunden hin und her gewälzt, ohne eine Antwort zu finden.

Da standen nun die Rosen vor ihr und zogen ihre Blicke auf sich. Obgleich sie es mit all ihrer Energie versuchte, war Suzan nicht in der Lage, sich auf die Post zu konzentrieren. Endlich gab sie auf. Sie rief die Sekretärin. Diese sollte im Vorzimmer der Bundeskanzlerin anrufen und um die Adresse des Grafen Manderscheidt bitten. Doch sie erhielt die ablehnende Botschaft, dass diese Adresse nur mit Zustimmung der Kanzlerin selbst mitgeteilt werden dürfe.

Das war mehr als seltsam. Doch Bergstoh dachte nicht weiter darüber nach, sondern ließ um einen raschen Termin bei der Kanzlerin bitten. Es würde nur ein paar Minuten dauern.

Suzan wusste, wie sehr die Kruschka derartige Überfälle hasste, aber sie sah keine andere Möglichkeit, um ihre Ruhe wiederzufinden. Sie erhielt einen Termin um 11 Uhr 45 und beauftragte ihr Vorzimmer, alle Termine für diesen Tag abzusagen. Ihre Mitarbeiterinnen sahen sie erstaunt und verständnislos an. Die Chefsekretärin versuchte noch einige Einwendungen. Ob die Frau Minister nicht wenigstens an der Sitzung um 15 Uhr teilnehmen könne? Schließlich sei dieses Treffen wegen ihr bereits viermal verschoben worden. Doch Suzan schüttelte nur unwillig den Kopf.

Um halb zwölf ließ sie ihren Wagen vorfahren. Dann fuhr sie mit Blaulicht von der Alexanderstraße zum Bundeskanzleramt. Es dauerte zehn Minuten. Dort gab es die üblichen, wenn auch eingeschränkten Sicherheitskontrollen.

Das Kanzleramt in Berlin ist ein Haus voller zeitgenössischer Kunst. Der Chef des Kanzleramts hatte irgendwann für alle Minister und Staatssekretäre eine Führung gemacht und die Historie jedes einzelnen Kunstwerks beschrieben. In der Tat, das Haus hat eine Menge Überraschungen zu bieten. Aber darauf achtete Bergstoh heute nicht. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl in den 7. Stock. Dort residierte die Kanzlerin auf Augenhöhe mit dem Plenum des Bundestages. Sie hatte sich bewusst einen Mann als Sekretär ins Vorzimmer gesetzt, der Suzan nun freundlich bat, noch etwas zu warten. Im Warteraum wurden ihr Kaffee und etwas Gebäck serviert.

Dort dachte Suzan darüber nach, was die Kruschka wohl mit dem Mann in ihrem Vorzimmer demonstrieren wollte. War es eine Geste an die feministische Bewegung in Deutschland? Sollte es ein Zeichen für die Gewerkschaften sein? Oder arbeitete Hannelore Kruschka einfach lieber mit Männern zusammen?

Suzan wusste, dass die Kanzlerin bei allen Entscheidungen einen Hintergedanken hatte. Sie tat nichts und ordnete nichts an, was nicht genau durchdacht war. Hannelore Kruschka legte großen Wert auf symbolische Akte.

Bergstoh wurde in ihren Gedanken unterbrochen und zur Kanzlerin gebeten. Die kam ihr schon an der Tür entgegen und gab ihr herzlich die Hand. Beide Frauen trugen dunkle Hosenanzüge und dezenten Schmuck. Aber zu ihrem Erschrecken sah Suzan, dass die Kanzlerin den gleichen Diamantring trug wie sie selbst. Möglichst unbemerkt drehte sie ihren Ring, sodass der Stein nun unter der Handfläche verborgen war und nur noch der schmale Goldreif nach oben zeigte. Es hätte sich nun auch um einen einfachen Ehering handeln können.

Ihr Blick wurde wie immer von dem Bild an der Wand hinter dem großen Schreibtisch angezogen. Es stellte den ersten Kanzler der Republik dar, Konrad Adenauer, gemalt von Oskar Kokoschka. Doch die Kanzlerin führte sie nicht zu ihrem Schreibtisch. Sie hatte sich angewöhnt, an einer Ecke des großen Besprechungstisches zu arbeiten. Von da sei der Weg zum Büro der Sekretärin am kürzesten, behauptete sie.

„Ich habe in der Presse von ihren erfolgreichen Verhandlungen mit RWE gelesen“, begann Hannelore Kruschka das Gespräch. „Mein Kompliment, das haben Sie wunderbar geregelt.“

Suzan bedankte sich und erläuterte, dass man in ihrem Ministerium gerade an einer Richtlinie zur CO2-Reduzierung arbeite und eine entsprechende Vorlage in Bälde der Kanzlerin vorgelegt werden könne.

„Ein lobenswertes Unterfangen“, war die Antwort. Nach einer kleinen Pause kam die Frage: „Was führt Sie zu mir?“

Suzan Bergstoh beugte sich nervös vor und sagte: „Sie kennen doch den Grafen Manderscheidt? Ich muss unbedingt mit ihm Kontakt aufnehmen, weiß aber nicht, wie ich ihn erreichen kann. Er ist wie ein Gespenst. Er taucht einfach auf und verschwindet dann wieder im Nichts.“

Nun lachte die Kruschka herzlich: „Fürwahr eine treffende Beschreibung. Natürlich kann ich Ihnen die Adresse des Grafen geben. Ich werde im Vorzimmer Bescheid sagen. Geht es um eine wichtige Angelegenheit?“

„Wie man es nimmt“, antwortete Bergstoh ausweichend. „Ich glaube schon, dass es von Bedeutung ist. Wenn es Sie interessiert, werde ich Sie bei Gelegenheit unterrichten.“

„Darum bitte ich.“

Einer plötzlichen Eingebung folgend fragte Suzan: „Wissen Sie eigentlich, wie alt der Graf ist?“

Die Kanzlerin sah sie erstaunt an, stand plötzlich auf und ging zum Fenster. Ihre Ministerin folgte ihr. Die beiden Frauen starrten eine Weile schweigend auf den Tiergarten und auf den Potsdamer Platz.

Endlich sagte die Kruschka: „Der Jüngste ist er sicherlich nicht mehr. Er selbst sagt von sich, er sei unendlich alt. Er nennt sich in persönlichen Gesprächen den Grafen von Saint Germain. Wissen Sie, auf wen er dabei anspielt?“

Suzan hatte den Namen schon gehört, wusste aber nicht genau, wer gemeint war. Irgendeine historische Persönlichkeit.

Die Kanzlerin sah ihre Unsicherheit und fuhr erklärend fort: „Der Graf von Saint Germain war eine schillernde Persönlichkeit. Er lebte im 18. Jahrhundert. In nüchternen Quellen wird er als Abenteurer, Geheimagent, Alchemist, Okkultist und Komponist bezeichnet. In anderen gilt er als Wanderer durch die Zeiten, der immer wieder als Reinkarnation auftaucht und die Geschicke dieser Welt mitbestimmen soll. Da werden Namen genannte wie Merlin, Bacon oder Paracelsus. Madame Blavatsky, Sie haben sicher schon von dieser Spiritistin gehört, sie hat die Theosophie begründet. Also, diese Madam Blavatsky hielt Saint Germain für einen der geheimen tibetischen Weisen. Das alles ist natürlich Unsinn, aber ich glaube unserem Grafen schmeicheln diese Legenden, und er spielt mit ihnen.“

Die Kanzlerin war ins Erzählen gekommen und rief sich nun wieder demonstrativ zur Ordnung.

„Ich bin doch eine Plaudertasche und lasse mich einfach gehen. Bitte entschuldigen Sie mich. Ich halte Sie auf und weiß doch, wie sehr Sie unter Zeitdruck stehen.“

Dieses Abschweifen und dann diese demonstrative Selbstkontrolle hatte Suzan bei der Kruschka schon häufiger beobachtet. War dies eine Inszenierung oder tatsächlich ein Charakterzug von ihr. Klar war nur, dass die Besucherin jetzt gehen sollte.

Die Kanzlerin begleitete ihre Ministerin zur Tür und gab im Vorzimmer Anweisung, die Adresse des Grafen herauszusuchen.

Bevor sie sich verabschiedete, sagte sie noch: „Bitte gehen Sie pfleglich mit dem Grafen um und behandeln Sie ihn mit äußerster Vorsicht. Er ist sehr einflussreich.“

Ernest Altmann, der engste Mitarbeiter der Kanzlerin, machte ihr einen Ausdruck aus einer Computerdatei, und dann hielt sie tatsächlich die Adresse des Grafen in den Händen. Adresse? Sechs Adressen! Eine davon im Villenvorort Falkensee-Finkenkrug in Berlin.

6

Wieder in ihrem Büro erklärte die Ministerin, sie wolle nicht gestört werden. Dann setzte sie sich an den Computer und rief Wikipedia auf. Tatsächlich fand sich dort ein Eintrag zum Grafen von Saint Germain.

Danach war ein Mann mit diesem Namen im 18. Jahrhundert durch Europa vagabundiert. Er hatte Zugang zu den höchsten Stellen, zu Fürsten und Königen gehabt. Er verfügte über große Geldmittel, war gebildet und ein exzellenter Musiker. Dieser Mann gab an, Zeuge wichtiger, weit zurückliegender historischer Ereignisse gewesen zu sein, die er in genauen Einzelheiten schilderte und dabei sehr gute historische Kenntnisse durchblicken ließ.

Die Pompadour machte ihn mit dem französischen König Ludwig XV. bekannt. Der richtete ihm im Trianon-Schlösschen in Versailles ein Alchemistenlabor ein. Außerdem stellte er dem Grafen von Saint Germain Räume im Loire-Schloss Chambord zur Verfügung, wo dieser unter anderem an neuen Methoden für die Textilfärberei experimentierte. Saint Germain behauptete, Fehler in Edelsteinen beseitigen und kleine Diamanten zu größeren verschmelzen zu können. Er lieferte dem König auch Proben ab, hütete sich aber, in diesem Fall Tricksereien anzuwenden. Anscheinend war Saint Germain auch in der Pharmazie bewandert und behauptete, ein Aqua benedetta zu besitzen, das bei Damen das Altern stoppen konnte. Dies trug sehr zur Beliebtheit des Grafen bei.

Doch die Gunst des Königs schuf ihm auch mächtige Gegner, sodass er schließlich nach London fliehen musste. Saint Germain mied nun eine Weile Frankreich und hielt sich hauptsächlich in den Niederlanden und in Deutschland auf, wo er gerne den Decknamen Welldone benutzte. Später soll er sogar eine wichtige Rolle beim Putsch von Katharina II. 1762 in St. Petersburg gespielt haben.

‚Immer wieder Frauen‘, dachte Suzan. ‚Ob er wohl auch mit der Pompadour oder Katharina seine Spielchen getrieben hat? Vielleicht in dunklen Kutschen?‘

Doch dann schalt sie sich selbst. Nun ging sie doch tatsächlich dem Grafen Manderscheidt auf den Leim und nahm seine propagierte Legende als Tatsache.

‚Das Einzige, was die beiden Männer verbindet‘, sagte sie sich, ‚ist ihr Hang zum Geheimnisvollen und zur Hochstapelei. ‘

Und noch etwas hatten die historische Figur und der zeitgenössische Mann gemeinsam, sie konnten Frauen um den Finger wickeln.

„Saint Germain“, las sie weiter, „spielte in verschiedenen Freimaurerzirkeln eine bedeutende Rolle. 1778 gelang es Saint Germain in Hamburg, die Freundschaft des von Alchemie und Freimaurermythen begeisterten Karl von Hessen-Kassel, dem Statthalter des dänischen Königs in Schleswig, zu erringen. Auf seinem Sommerschloss richtete dieser dem Grafen ein Alchemistenlabor ein, und im nahen Eckernförde gründeten beide eine Seidenfärberei.

Zu seinen zahlreichen chemischen Entdeckungen zählte auch ein goldähnliches Metall. Er nannte es Similor, also similor – ähnlich Gold, auch als Carlsgold beziehungsweise Neu-Platinum bekannt.

„Wer war dieser seltsame Graf?“ las sie auf dem Bildschirm. „Eine Hypothese ist, dass er der Sohn der letzten spanischen Habsburgerkönigin Maria Anna von Pfalz-Neuburg (1667–1740) und eines jüdischen Bankiers in Madrid, Comte Adanero, war, den sie zu ihrem Finanzminister machte. Auch der Saint-Germain-Forscher Charconac plädiert für die Pfalz-Neuburg-Variante und gibt als Vater Jean Thomas Enriquez de Cabrera an, Herzog von Rioseco, elfter und letzter Amirante von Kastilien, mit umfangreichem Besitz in Sizilien.

Saint Germain war vielsprachig – er sprach perfekt italienisch, deutsch, spanisch, portugiesisch, französisch, englisch und las einige tote Sprachen.“

Dann kam ein äußerst interessanter Hinweis: Saint Germain soll einen prominenten Schüler gehabt haben, nämlich den Arzt Franz Anton Mesmer. Mesmer wiederum gilt als Entdecker der Hypnose und Begründer der hypnotischen Behandlung. War der historische Graf etwa in der Lage, psychische Kontrolle über andere Menschen auszuüben? Und hatte er diese Fähigkeit vielleicht an Graf Manderscheidt weitergegeben? Dies würde ihre Willenlosigkeit in seiner Gegenwart erklären. Dann war sie bei diesen sexuellen Eskapaden gar nicht bei Sinnen gewesen, sondern einem Psychoguru aufgesessen?

Sie las dann noch, dass die Zeitgenossen des historischen Grafen behaupteten, er wäre nicht gealtert. Viele Memoirenschreiber wollen ihn noch bis weit ins 19. Jahrhundert gesehen haben. Aber offiziell ist er laut Kirchenbucheintrag am 27. Februar 1784 in Eckernförde gestorben.

Sie klickte sich weiter durch verschiedene Internetseiten und stieß dann auf die Eintragung eines Horace Walpole, der 1745 über die Verhaftung eines Mannes namens Graf von Saint Germain berichtete:

„Er war in den letzten Jahren hier in England, will aber nicht sagen, wer er ist oder woher er kommt. Er gibt an, dass er nichts mit irgendeiner Frau zu tun hat, noch zu tun haben will. Er singt, spielt wundervoll Geige, komponiert, ist verrückt und nicht sehr vernünftig.“

Nun war die Ministerin völlig verwirrt. Sie hatte den Grafen wirklich anders erlebt. Wahrscheinlich waren dieser Saint Germain und der Manderscheidt doch nicht identisch. Und doch, musste sie vor sich zugeben, er hatte keinerlei Anstalten gemacht, selbst zu einer sexuellen Befriedigung zu kommen.

7

Der Graf empfing die Ministerin Bergstoh in seinem Labor. Sie hatte in Wikipedia gelesen, dass der Graf von Saint Germain bekannt für seine naturwissenschaftlichen Experimente gewesen war. Trieb es dieser seltsame Graf bei seiner Imitation des historischen Vorbilds so weit, dass er dessen Forschungen nachahmte?

Sie hatte ein eng anliegendes dunkelblaues Kostüm an, von dem sie wusste, dass es ihr besonders gutstand. Dazu trug sie eine antike Granatbrosche, die einst ihrer Mutter und davor deren Mutter gehört hatte. Die roten Steine bildeten zu dem Blau der Jacke einen faszinierenden Kontrast.

Der Graf hatte die Jacke seines dreiteiligen dunklen Anzugs ausgezogen und stattdessen eine große Lederschürze übergestreift. Die Ärmel seines blütenweisen Hemdes waren bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt. Er war gerade damit beschäftigt, aus einer Flasche mit der Aufschrift „Schwefelsäure“ ein Reagenzglas zu füllen. Er trug keine Handschuhe, sondern benutzte die blanken Finger. Etwas Unaufmerksamkeit, eine unachtsame Bewegung, ein kurzes Zittern und diese Hände, diese magischen Hände, wären verätzt.

Oder war dies etwa eine für sie inszenierte Show? War er rasch, nachdem er von ihrer Ankunft erfahren hatte, in dieses Labor geeilt und hantierte lediglich mit Wasser? War dieser Mann vielleicht der perfekte Selbstdarsteller?

Nachdem der Graf das Reagenzglas abgestellt hatte, trat er mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. Er breitete die Arme aus und rief: „Wie schön, nun sehen wir uns endlich auch einmal bei Tageslicht.“

Dabei sah Suzan Bergstoh eine Tätowierung auf seinem Unterarm. Eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt in der Form einer horizontalen Acht, also das Zeichen für Unendlichkeit. Diese Schlange hält ein Adler in den Klauen, der zu sieben Sternen fliegt. Es war ein seltsames Tattoo, aber Suzan dachte nicht weiter darüber nach, sondern wich seiner Umarmung aus und fragte: „Wer sind Sie?“

„Ein Mensch!“

„Und was wollen Sie von mir?“

„Dich!“

„Was heißt das?“

„Ich will dich ganz und gar.“

„Und ich werde nicht gefragt?“

„Du willst es doch auch.“

„Was?“

„Alles!“

„Nein! Bitte lassen Sie mich in Ruhe!“

„Ich kann dich doch nicht unglücklich lassen.“

„Ich bin nicht unglücklich. Ich möchte von Ihnen nicht mehr belästigt werden.“

Mit diesen Worten zog sie den Brillantring vom Finger und legte ihn auf den Tisch. Daneben legte sie die wertvolle Spange, mit der die Orchideen geschmückt gewesen waren, sie hatte sie aus dem Fundus holen lassen. Dann wandte sie sich wortlos zum Gehen.

Sie hörte ihn leise lachen und dann die Worte: „Mädchen, du weißt genau, dass du mir nicht entgehen kannst. Alles, was ich von dir will, willst du doch auch. Sei endlich einmal in deinem Leben ehrlich zu dir selbst!“

Suzan drehte sich um und sah ihm in die Augen.

„Ich sage Ihnen, was ich möchte. Ich möchte nicht von Ihnen vergewaltigt werden.“

„Ich vergewaltige dich nicht. Ich helfe dir lediglich das zu tun, was du in deinem Innersten willst. Ich befreie dein wahres Ich. Dafür solltest du mir danken.“

„Auf diese Hilfe kann ich verzichten. Ja, Sie haben mich schwach erlebt, und Sie haben diese Schwäche ausgenutzt. Doch nun bin ich wieder bei mir selbst. Ich weiß nicht, welche Tricks sie angewandt haben, um mich gefügig zu machen, aber damit ist nun Schluss! Noch einmal: lassen Sie mich in Zukunft in Ruhe!“

„Aber mein liebes Mädchen, es hat dir doch Spaß gemacht.“

„Ich bin nicht Ihr liebes Mädchen. Merken Sie sich das! Nein, es hat mir keinen Spaß gemacht. Es hat mich gedemütigt. Und ich weiß nicht, weshalb Ihnen meine Demütigung Genugtuung verschafft. Ich weiß nicht, welche perversen Absichten Sie noch hegen. Ich bin sicher auch nicht die einzige Frau, an der Sie Ihre Neigungen austoben. Aber mit mir nicht mehr!“

„Habe ich dich etwa zu etwas gezwungen? War nicht alles ganz freiwillig? Habe ich etwa keine Lust auf deinem Gesicht gesehen und aus deinem Mund gehört?“

Darauf wusste Suzan nichts zu antworten. Sie ging und sah sich nicht mehr um.

In ihrem Dienstwagen mit dem vorausfahrenden Polizeiauto hatte sie Zeit zum Nachdenken. Sie bat den Fahrer, das Telefon abzustellen und schaltete auch ihr Blackberry aus.

Hatte sie eben richtig gehandelt? Die Warnung der Kanzlerin klang ihr zwar noch im Ohr, aber sie hatte keine Angst vor seinem Einfluss. Nun gut, dann sollte er ihr eben Schwierigkeiten machen. Sie würde das schon überstehen. Aber sie würde sich nicht für ihren Job prostituieren. Das kam nicht infrage.

Seine Hände fielen ihr ein. Diese außergewöhnlichen Hände, mit denen er eben noch das Reagenzglas gehalten hatte. Diese Hände waren so ungeheuer erotisch. Plötzlich sehnte sie sich nach der Berührung durch diese Hände. Nach ihrem Auftritt eben würde sie diese Hände nie wieder spüren. Ein Schmerz durchzuckte sie. Vielleicht hatte sie überreagiert, falsch gehandelt?

Sie erinnerte sich an die erste Nacht in dieser Stretch Limousine. Was war das Auto überhaupt für eine Marke? Ein Lincoln?

Unter diesen Händen hatte sie sich völlig geborgen gefühlt. So geborgen, dass sie sich hatte hingeben können. Das hatte sie noch nie zuvor in ihrem Leben erlebt.

Mit aller Macht versuchte sie, diese Gedanken zu verdrängen. Sie dachte an ihre nicht erledigten Aufgaben, an die morgige Pressekonferenz, die Besprechung mit den Umweltschutzgruppen. Sie wusste, in der Verfassung, in der sie war, würde sie das alles nicht durchstehen.

Dann dachte sie an Simon, ihren Mann. Sie kannten sich bereits über fünfzehn Jahre. Sie hatten viel miteinander erlebt. Aber wirklich erregt hatte er sie nie. Da waren natürlich auch noch andere Männer gewesen. Sie hatten ihrem Selbstwertgefühl geschmeichelt, und sie hatte auch Sex mit ihnen gehabt. Aber nie war es so intensiv gewesen wie im Auto des Grafen. Dieser Mann weckte irgendetwas Verborgenes in ihr. Ließ etwas zum Durchbruch kommen, was sie bisher unterdrückt und kontrolliert hatte.

Wie hatte er gesagt: „Ich helfe dir lediglich das zu tun, was du in deinem Innersten willst. Ich befreie dein wahres Ich.“

Woher konnte er ihr wahres Ich kennen? Woher konnte er wissen, was sie wirklich wollte? Dies war eine dieser typischen männlichen Anmaßungen. Männer glauben immer zu wissen, was für Frauen gut ist. Dabei sind sie so dumm und ignorant. Sie gehen immer nur von sich selbst aus. Sie hatte noch keinen Mann getroffen, der sich in sie hätte hineinversetzen können. Stets wollten sie immer und immer wieder nur das Gleiche: sie penetrieren.

‚Nein, das ist viel zu harmlos ausgedrückt‘, dachte sie. ‚Männer denken nicht so gewählt, Männer sind vulgär, sie gebrauchen keine Worte wie penetrieren. Sie wollen ihren Schwanz in mich hineinstecken, und dann glauben sie, dass sie mich damit glücklich machen. Sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass ich die gleiche Lust wie sie empfinde. Welch‘ eine Ignoranz! Männer sind so grenzenlos dumm! ‘

Zumindest hatte sie es sich abgewöhnt, ihnen den Gefallen zu tun, und beim Sex etwas vorzuspielen.

Aber der Graf hatte bisher keinen Versuch in dieser Richtung unternommen. Und tatsächlich hatte sie bei ihm zum ersten Mal in ihrem Leben wirkliche Lust verspürt. Was war eigentlich so schlimm an dem, was sie getan hatte? Hatte sie kein Anrecht auf Lust? Warum sollte sie sich schämen?

Die Wagenkolonne war vor dem Ministerium angekommen und das Blaulicht wurde ausgeschaltet. Ihr Fahrer sprang aus dem Wagen und hielt ihr die Tür auf.

Im Büro war die Sekretärin schon ganz aufgeregt. Es hatte eine Fülle von Anrufen gegeben, darunter sehr dringliche und wichtige. Die Rückrufliste, die es nun abzuarbeiten galt, war lang. Auch ihr Mann hatte angerufen. Mit ihm ließ sie sich zuerst verbinden.

„Was willst du?“ fragte sie kurz angebunden.

„Ich habe Theaterkarten besorgt und möchte dich anschließend zum Essen einladen.“

Wut stieg in ihr hoch. Er wusste doch, dass er mit einer Spitzenpolitikerin verheiratet war, und dass sie sich nicht einfach so mir nichts dir nichts einen Abend freinehmen konnte. Sie war keine Sachbearbeiterin und auch keine Lehrerin. Sie war Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Und das sagte sie ihm auch und spürte, dass er beleidigt war.

„Aber gestern Abend bist du doch auch früh nach Hause gekommen“, wandte er ein.

„Gestern war gestern und heute ist heute! Abgesehen davon, dass ich gestern auch wieder wegmusste.“

Er antwortete nicht, und so schwiegen beide eine Weile. Endlich wurde es ihr zu viel: „Du weißt ganz genau, dass ich es nicht mag, wenn du diese Kleinkind-Tour abziehst. Mama ich bin so allein. Mama kannst du mich nicht ins Bett bringen.“ Sie verstellte die Stimme und äffte ein kleines Kind nach.

„Nun gut“, antwortete er daraufhin. „Wie du willst. Ich wollte uns beiden nur etwas Gutes tun. Aber du hast Recht! Jeder von uns sollte seiner eigenen Wege gehen, ohne an den anderen viele Gedanken oder gar Gefühle zu verschwenden.“

Damit legte er auf.

Suzan starrte noch eine Weile auf den Hörer. Sie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. So hätte sie ihn nicht abfertigen dürfen. Das wusste sie. Er hatte es doch nur gut gemeint. Aber sie empfand Simon seit einiger Zeit wie einen Klotz am Bein.

Bewusst hatte sie bisher keine Kinder zugelassen, obgleich über das Warum in allen Klatschspalten gerätselt worden war. Nein, auf ein Kind konnte sie sich in ihrem Leben nicht konzentrieren. Es wäre verantwortungslos gewesen, wenn sie ein Kind in diese Welt gesetzt hätte.

Aber wenn sie sich schon kein eigenes Kind gönnte, dann brauchte sie gewiss auch kein großes Kind, keinen Mann, der an ihrem Schürzenzipfel hing. Wann begriff Simon das endlich?

Dann stürzte sie sich in die Arbeit, studierte Vorlagen, lehnte Anträge ab und machte sich Gedanken über die große Rede, die sie in acht Tagen im Bundestag halten musste. Zwei Referenten hatten ihr einen Entwurf geschickt, der ihr jedoch nicht gefiel.

Um sechs Uhr ließ sich noch Doktor Gültner melden. Es war ihr parlamentarischer Staatssekretär und damit ihr Stellvertreter und beinahe genauso mächtig wie die Ministerin.

‚Nein, mächtiger‘, entschied sie für sich selbst.

8

In dieser Nacht kam sie spät nach Hause. Eine Delegation aus ihrem Wahlkreis war nach Berlin gekommen. Die Ministerin hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich den Abend mit den Leuten zu verbringen. Es waren der Chef der Landesgruppe, Ortsvereinsvorsitzende, deren Stellvertreter und Stellvertreterinnen und andere Leute, die dort eine wichtige Rolle spielten, wo man das Kreuzchen auf dem Wahlschein zur Landtagswahl für sie gemacht hatte.

Die Leute hatten für sie gekämpft, hatten Plakate geklebt, Stunden an Informationsständen in den Fußgängerzonen verbracht, am Abend Flugblätter ausgetragen, heiß diskutiert und ihrer Hand für sie, ihre Kandidatin, ins Feuer gelegt. Ohne diese Menschen wäre die Ministerin niemals in das Ministeramt gelangt. Sie hatte ihnen viel zu verdanken. Die Leute wussten das auch und forderten nun diese Dankesschuld ein. Von den gewählten Abgeordneten verlangt der Wahlkreis eine Art von Demut.

Natürlich wurde auch erwartet, dass die Ministerin persönlich zum Telefonhörer greift, wenn in ihrem Wahlkreis Hilfe von höherer Stelle nötig sein sollte. Sei es, dass der Sohn des Landesgruppenchefs eine Assistentenstelle bei einem Bundestagsabgeordneten anstrebt, sei es, dass die Kommune, in der ihre Partei die Mehrheit hat, Probleme mit der Gewerbesteuer bekommt, oder wenn beim Kampf um abgelehnte Zuschüsse für den Straßenbau eine Intervention nötig wird.

Das Wichtigste aber ist die regelmäßige Präsenz im Wahlkreis, sowie die Betreuung von Delegationen, wenn die schon mal den Weg nach Berlin finden. Die Volksvertreter sind für vier Jahre gewählt und wollen doch sicher noch einmal für vier Jahre gewählt werden. Es ist eine Symbiose. Die Abgeordneten brauchen den Wahlkreis, und der brauchte sie. Das war das Kleingedruckte in dem ungeschriebenen Vertrag der Parteimitglieder untereinander.

Morgen würde die Gruppe durch das Ministerium und anschließend durch das Bundeskanzleramt geführt werden. Auch eine Stadtführung war geplant und die Besichtigung des Bundestages. Dies alles und ganz besonders die Bewirtung des heutigen Abends musste natürlich bezahlt werden. Die Parteifreunde erwarteten, dass man sie freihielt. Aber dafür gab es ja einen Bewirtungs-Fond, über den jeder Minister verfügen konnte. Er war zwar nicht für die Wahlkreispflege gedacht, denn die gehörte nicht zu den offiziellen Aufgaben eines Ministers. Streng genommen war der Einsatz dieser Mittel für Besuche von Parteifreunden illegal. Aber alle setzten den Fond dafür ein, und deshalb tat die Ministerin das Gleiche und dachte nicht weiter darüber nach.

Zwei ihrer Referenten hatten sie begleitet, und einer hatte auch die Rechnung mit der offiziellen Kreditkarte bezahlt.

Am nächsten Morgen wartete ein Team von „RTL Explosiv“ vor ihrem Ministerium auf sie. Als sie aus dem Wagen stieg, wurde sie sogleich umringt. Eine Reporterin hielt ihr ein Mikrofon unter die Nase und fragte unschuldig: „Frau Minister, ich hoffe, Sie haben gestern einen schönen Abend verbracht?“

Suzan Bergstoh lachte und antwortete: „Aber gewiss! Es ist immer schön, einen Abend mit Freunden zu verbringen“

Und dann kam die Bombe: „Frau Minister, lassen Sie sich Ihre Abende mit Freunden immer vom deutschen Steuerzahler bezahlen?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen?“

Die Stimme der Journalistin wurde schärfer. Man hörte ihr die Empörung an: „Wer hat denn die Rechnung gestern Abend bezahlt? War das nicht Ihr Referent?“

Mit einem Schlag wurde es der Ministerin heiß und kalt. Sie sah die Falle, in die sie gelockt werden sollte.

„Natürlich hat er dies in meinem Auftrag und mit meinem Geld gemacht.“

„Mit Ihrem Geld? Wurde nicht vielmehr eine dienstliche Kreditkarte eingesetzt?“