Die Mutter - Petra Hammesfahr - E-Book + Hörbuch

Die Mutter Hörbuch

Petra Hammesfahr

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Beschreibung

Vera Zardiss lebt mit ihrem Mann Jürgen, einem erfolgreichen Gynäkologen, den Töchtern Anne und Rena sowie ihren Eltern auf einem ehemaligen Bauernhof. Die ländliche Idylle findet ein jähes Ende, als Rena nach ihrem sechzehnten Geburtstag plötzlich verschwindet. Nur ihr Fahrrad wird in der Nähe des Bahnhofs gefunden. Bei der verzweifelten Suche nach ihrer Tochter kommt Vera Geheimnissen auf die Spur, an die im Dorf niemand zu rühren wagt. «Gnadenlos entlarvend der Blick, den Petra Hammesfahr, eine Meisterin im Legen falscher Fährten, hinter die Fassaden eines luxusrenovierten Bauernhofes und seiner Bewohner wirft.» (Brigitte)

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Zeit:13 Std. 34 min

Sprecher:Christina Puciata

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Petra Hammesfahr

Die Mutter

Roman

1.Kapitel

Es gibt Momente, in denen man rundherum zufrieden ist und meint, vom Schicksal begünstigt zu sein. Bei mir war es ein Sonntagnachmittag Ende Mai. Einer von den Tagen zwischen Frühling und Sommer, die fast zu schön sind, um wahr zu sein. Wollte ich ihn beschreiben, es käme nur Kitsch dabei heraus.

Die milde Sonne, die von einem kurzen Regenschauer in der Nacht blank geschrubbten Terrassenfliesen, das frische Grün im Gemüsegarten, den Rasen nicht zu vergessen. Und über allem der sanfte Himmel, nicht blau genug, um unecht zu wirken. Er sah aus wie mit den Resten aus einem Milchtopf übergossen, zarte weiße Schlieren nahmen ihm seine Postkartenanmutung und verliehen ihm Wahrhaftigkeit – uns auch.

Wir saßen auf der Terrasse, die Kuchenteller waren bereits leer, in den Tassen wurde der letzte Schluck Kaffee kalt. Jürgen lehnte sich im Sessel zurück und genoss mit geschlossenen Augen die Sonne. Vater erhob sich und ging in den Garten hinunter, um sich, wie er sagte, die Beine zu vertreten. Dabei wollte er nur seine jungen Pflänzchen bewundern. Kohlrabi, Kopfsalat und das, was einmal Blumenkohl werden sollte. Damit füllte mein Vater auf, was ihm von seinem Leben übrig geblieben war.

Mutter trug den Tortenrest in die Küche, kam zurück und freute sich, dass wir die Kaffeestunde ohne Wespenangriffe überstanden hatten. Sie war ein wenig skeptisch gewesen, den Tisch im Freien zu decken, obwohl Anne ihr mehrfach versichert hatte, dass Wespen erst viel später im Jahr aggressiv wurden.

Anne und ihr Freund Patrick Urban diskutierten eifrig, ob es sich lohnte, für einen bestimmten Film nach Köln zu fahren, obwohl er garantiert in spätestens drei oder vier Wochen auch in «unserem» Kino gespielt wurde. Dann das Hufgetrappel in der Einfahrt. Jürgen öffnete die Augen, grinste und sagte: «Die Hunnen kommen.» Mutter griff eilig nach der Zuckerdose. Damit es nicht gar so auffällig war, nahm sie auch das Sahnekännchen mit in die Küche. Sie verschwand durch die Tür, gerade als Rena hoch zu Ross um die Hausecke bog.

«Dachte ich mir, dass ihr draußen sitzt. Ist noch ein Stück Torte da?» Ihre Augen schweiften über den Tisch, sie stieg ab und sprang mit zwei Sätzen zu uns herauf.

«Musst du das Tier nicht anbinden?», erkundigte sich Mutter durch die offene Küchentür. Das Pferd stand einfach da.

Es war eine Fuchsstute; ein schönes Tier, soweit ich das beurteilen kann. Ich habe nicht viel Ahnung von Pferden, für mich sind sie nur groß. Rena warf der Stute einen Blick über die Schulter zu. «Schön stehen bleiben und nicht den Rasen anfressen. Wenn du brav bist, gibt’s was Feines.»

Sie stürmte in die Küche. Ich hörte Mutters Protest: «Aber doch nicht mit den Fingern.»

Jürgen grinste immer noch. Vater kam aus dem Garten zurück und tätschelte der Stute den Hals. «Du bist ein braves Mädchen, Tanita. Ja, du bist ein braves Mädchen.»

Rena erschien wieder auf der Terrasse, einen Sahneklecks am Kinn, in einer Hand ein angebissenes, zerbröselndes Tortenstück, in der anderen ein paar Zuckerwürfel. Sie hielt der Stute die offene Hand mit den Würfeln hin, stopfte sich den Rest der Torte in den Mund, wischte sich die Hände an der Hose ab, schwang sich kauend in den Sattel und verschwand, wie sie gekommen war. «Bis später, Leute.»

Es gibt Momente, die gaukeln einem vor, man sei unverwundbar. Der Sonntagnachmittag im Mai war so einer. Wenn ich daran denke, kommen mir die Tränen. Ich kann nichts dagegen tun. Wir fühlten uns einfach zu sicher und waren überzeugt, es werde immer so weitergehen.

Es ging uns gut, wir waren eine glückliche Familie. Die Eltern noch bei bester Gesundheit, zwei wohlgeratene Töchter, eine harmonische Ehe, den Traum vom Haus auf dem Land hatten wir uns mit dem Kauf eines alten Bauernhofes auch erfüllt.

Wir sahen und hörten von anderen, denen plötzlich das Leben auseinander gerissen wurde. Ein Unfall, eine tödliche Krankheit, etwas, das meist ohne Vorankündigung über die Betroffenen hereinbrach. Wie der Tod von Susi Rembach. Das geschah an dem Sonntag, als wir auf der Terrasse saßen. Wir erfuhren es am Dienstag. Ein fünf Jahre altes Mädchen – ertrunken im Urlaub am Meer, vor den Augen seiner Mutter.

Entsetzlich, sagten wir, die arme Frau Rembach, wie wird sie das verkraften? Wir kannten sie gut. Sie war Jürgens Patientin. Er hatte sie auch während der Schwangerschaft betreut und wusste, wie sehr sie sich ein Kind gewünscht, wie lange sie vergebens darauf gehofft hatte und wie glücklich sie gewesen war, als er ihr endlich sagen konnte, dass sie schwanger sei. Nach Susis Tod kam sie nicht mehr in die Praxis. Sie gab sich die Schuld an dem Unglück, weil sie einen Moment lang nicht auf das Kind geachtet hatte. Nur zwei Wochen nach der Beerdigung nahm sie sich das Leben. Furchtbar, sagten wir und glaubten fest, dass solche Katastrophen immer nur andere trafen.

Uns passiert so etwas nicht!

Irgendwo im Hinterkopf tickte zwar die Uhr: Eltern sind nicht unsterblich. Mein Vater war fünfundsiebzig, meine Mutter nur zwei Jahre jünger. Ich wusste, dass ich irgendwann, vielleicht ganz plötzlich, einen von beiden würde hergeben müssen. Ich dachte nur nicht darüber nach. Und Sorgen um die Kinder? Es gab keinen Grund.

Dass sie in einem Moment der Unaufmerksamkeit ertrinken könnten, stand nicht zu befürchten. Aus dem Alter waren sie heraus. Anne war fast achtzehn, Rena stand kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag. Auch ein gefährliches Alter, natürlich. Aber unsere Töchter trieben sich nicht in fragwürdigen Lokalen herum. Für sie war sogar die Zigarette ihres Großvaters pures Gift. Was hätten wir uns den Kopf zerbrechen sollen über Drogen oder Aids?

Anne hatte, seit sie fünfzehn war, einen so genannten festen Freund; Patrick Urban, ein netter, wohlerzogener junger Mann aus gutem Haus. Und Rena machte sich noch nichts aus Jungs. Rena liebte Tanita, die Fuchsstute, die sie an dem Maisonntag mit Zuckerwürfeln dafür belohnte, dass sie unseren Rasen nicht auffraß. Sie liebte Berry, den Apfelschimmel, für den sie häufig ein paar Möhren aus dem Garten stibitzte. Sie liebte nach wie vor Blacky, die schwarze Schönheit aus dem Orient, obwohl Blacky bereits im Pferdehimmel war. Man hatte sie im Januar einschläfern müssen. Und der erste Platz in Renas Herz gehörte Mattho, dem braunen Hengst. Ein Prachtexemplar von einem Pferd, ein Wundertier, wenn man Rena Glauben schenkte.

Im Juli verbrachten wir zwei erholsame Wochen in einer gemütlichen Familienpension im Harz – nur Jürgen, die Mädchen und ich. Meine Eltern mochten nicht mehr verreisen, und Jürgen war zu erschöpft gewesen für einen langen Flug. Er hielt es auch nicht mehr für ratsam, sich der südlichen Sonne auszusetzen. Wir unternahmen herrliche Spaziergänge auf schattigen Waldwegen, genossen die Ruhe und hörten zwanzigmal am Tag Renas Seufzer: «Wären wir doch schon wieder zu Hause.»

Zu Hause – für Rena war das nicht der Hof, den wir zwei Jahre zuvor gekauft hatten, es war der Reitstall. Damit hatten wir uns abgefunden. Sie hatte sich schwer getan mit dem Wechsel von der Stadt aufs Land. Anfangs hatte sie darauf bestanden, erst am Abend heimzukommen. «Sonst sehe ich meine Freunde ja nicht mehr.»

Das war ganz in meinem Sinne gewesen. Ihre damaligen Freunde gefielen mir nicht. In den ersten Wochen nach unserem Umzug holte ich Rena mittags von der Schule ab und fuhr sie heim. Wenn sie neben mir im Wagen saß, beschwerte sie sich nicht, aber ihre Miene sprach Bände.

«Sie läuft herum wie das Leiden Christi», sagte Jürgen oft.

Anne hatte sich auf der Stelle in unser neues Domizil verliebt. So viel Platz, ein Zimmer, aus dem man gut und gerne zwei hätte machen können, ein eigenes Bad. Und ein Freund mit einem fahrbaren Untersatz! Rena dagegen glaubte sich ans Ende der Welt verbannt. Sie langweilte sich an den Nachmittagen. Bis wir eines Sonntags bei einem Spaziergang an der Koppel vorbeikamen und sie das Energiebündel sah.

Mattho war damals noch ein Fohlen, vier Monate alt. Ein Baby, sagte Rena. Mit diesem Baby wurden die Freunde in der Stadt nebensächlich. Und der Schulbus, der unterwegs noch zwei andere Dörfer streifte, war eine Zumutung. Rena brauchte ein schnelles Fahrrad. Rena stellte Rekordzeiten auf, stürmte bereits eine Viertelstunde nach Schulschluss ins Haus und beschwerte sich, dass das Essen noch nicht auf dem Tisch stand. Dann schlang sie in aller Eile die Mahlzeit hinunter, verzog sich für eine halbe Stunde in ihr Zimmer, um die Schularbeiten zu erledigen. Danach verschwand sie, tauchte erst am Abend wieder auf, schwärmte uns mit leuchtenden Augen von Mattho und seinen ausgewachsenen Artgenossen vor.

Sie bettelte um Reitstunden. Jürgen kannte den Besitzer des Reitstalls und vereinbarte mit ihm eine Stunde pro Woche. Nur der Form halber. Rena war jeden Tag im Stall.

«Aber er will ja auch leben», sagte Jürgen.

Seitdem drehte sich für Rena das Dasein nur noch um Pferde. Und Mattho, inzwischen ein stattlicher Zweijähriger mit den typischen Unarten halbstarker Kraftprotze, war ihr wichtiger als jede Verabredung mit Gleichaltrigen. Hin und wieder durfte sie ihn reiten, sie empfand das als besondere Auszeichnung. Mattho sollte zum Turnierpferd ausgebildet werden, wenn er das richtige Alter erreicht hatte. Es hieß, er werde bald verkauft.

Als wir aus dem Urlaub zurückkamen, musste Rena sich sofort überzeugen, dass er noch im Stall stand. Erst danach konnte sie ihren Koffer auspacken. Und so sehe ich sie noch vor mir: wie sie einen Teil der Kleidungsstücke zur Seite legte und ein paar Sachen zurück in den Schrank hängen wollte. «Das habe ich nicht angehabt.»

«Leg es trotzdem zur Schmutzwäsche.»

«Aber die Sachen sind völlig in Ordnung, Mutti.»

«Sie riechen nicht mehr gut.»

Sie drückte ihre Nase in ein weißes Shirt und schnüffelte am Stoff. «Ich rieche nichts.»

Sie selbst roch nach Stall, nach Pferd. Dieser typische Geruch, der Mutter oft zu einem Naserümpfen veranlasste und zu der Bemerkung: «Wie oft ist dir schon gesagt worden, du sollst duschen, bevor du an den Tisch kommst!?»

«Geh unter die Dusche», sagte ich. «Ich mache das hier für dich.»

Sie schaute mich an – mit diesem Betteln im Blick. «Lieb von dir. Aber wenn du es machst, darf ich dann vielleicht nochmal? Bitte, Mutti! Du glaubst nicht, wie Mattho sich gefreut hat, als er mich sah. Nur eine halbe Stunde, Mutti, bitte, bitte, bitte.»

Sie schlug die Hände aneinander wie ein Baby, während sie mich anschmachtete. Schmollmund und Kulleraugen. Das lange blonde Haar im Nacken mit einer Spange gehalten. Sie war ein so hübsches Mädchen.

Gut vier Wochen später, am ersten Sonntag im September, feierten wir ihren Geburtstag im Kreis der Familie. Die turbulente Party mit Freunden hatten wir meinen Eltern zuliebe um einen Tag verlegt und Mutter die Vorbereitungen mit zwei Konzertkarten versüßt. Obwohl, so turbulent war es nicht.

Jürgen und ich waren mehrfach unten und saßen für eine Weile dabei. Nicht unentwegt, wir wollten nicht den Eindruck von Kontrolle erwecken. Es war auch keine Kontrolle nötig. Es war nett und friedlich. Ich weiß noch, dass ich dachte, wir hätten uns die Konzertkarten sparen sollen. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Mutter zu überzeugen, dass sie nicht immer in allem Recht hatte.

In Mutters Augen machten junge Leute grundsätzlich Lärm und Schmutz, verbreiteten Unordnung, kannten keine Rücksicht, waren für keinen gut gemeinten Rat zugänglich. Und wenn sie in Scharen auftraten, schlug Mutter drei Kreuzzeichen.

Nichts gegen Annes Freund, wenn er am Sonntagnachmittag mit am Kaffeetisch saß. Patrick Urban wusste, was sich gehört. Er bedankte sich für das Stück Stachelbeer-Baiser-Torte und sang anschließend ein Loblied auf Mutters hausfrauliche Qualitäten.

Aber eine Party, ein halbes Dutzend von diesen Quälgeistern! Und keiner weiß die Mühe zu schätzen, die es gekostet hat, die Salate anzurichten! Keiner hat ein Auge für die liebevolle Garnierung. Sie stopfen sich das achtlos in den Mund und lassen sich das Hirn vernebeln von konfuser Musik.

Zu dieser Ansicht war Mutter nicht erst gelangt, seit sie mit ihren Enkeltöchtern unter einem Dach lebte. Als ich in Renas Alter war, wäre eine Party mit Freunden unmöglich gewesen. Die Beatles oder die Stones? Völlig ausgeschlossen! Ich habe niemals Rock ’n’ Roll tanzen gelernt, auch nie Twist. Ich kann Walzer, Foxtrott und ein paar andere Gesellschaftstänze.

Nebensächlichkeiten. Alles ist nebensächlich. Aber es ist auch alles wichtig geworden. Jede Kleinigkeit, jedes noch so winzige Detail könnte eine Antwort geben.

Wir hatten Rena erlaubt einzuladen, wen sie wollte. Der Kontakt zu ihren früheren Freunden war abgebrochen. Nicht völlig, das wusste ich. Sieben Jugendliche waren es gewesen, drei Jungs, vier Mädchen. Alle waren sie ein, zwei oder sogar drei Jahre älter als Rena. Den Zugang zu dieser Clique hatte sie durch Nita Kolter bekommen.

Wie Anne und Rena besuchte auch Nita Kolter das Humboldt-Gymnasium. Sie war einmal nicht versetzt worden und für eine Weile in Renas Klasse aufgetaucht. Da war sie dreizehn gewesen und für Rena nichts weiter als eine neue Mitschülerin, die sie bereits flüchtig vom Sehen kannte. Besonders auffällig kann Nita zu dieser Zeit nicht gewesen sein. Aber es begann bald. Und es dauerte nicht lange, da bestand die Klassenlehrerin darauf, dass Nita in die Parallelklasse überstellt wurde.

Sie war ein überaus schwieriges Mädchen, ohne Vater aufgewachsen. Ihre Mutter inserierte in diversen Zeitungen unter der Rubrik «Begleitung».

Irgendeiner aus unserem Bekanntenkreis war einmal über solch eine Annonce gestolpert. Es stand sogar die Adresse dabei. Für die Männer war das ein Anlass zum Schmunzeln. Jürgen sagte: «Sieh an, ein Privatpuff in unserer kleinen sauberen Stadt. Haben wir überhaupt Bedarf für so etwas?»

Hatten wir wohl. Schlecht verdienen konnte Regina Kolter mit ihren Begleitungen nicht. Sie hatte sich eine der sündhaft teuren Eigentumswohnungen auf dem Gelände des ehemaligen Verladebahnhofs zugelegt, fuhr ein Mercedes-Coupé 350SL, hüllte sich von Herbstbeginn bis Frühlingsanfang in diverse Pelze. Kurz und gut, sie tat alles, um dem Klischeebild einer Edelnutte zu entsprechen.

Auf Nita hatte der Lebensstil ihrer Mutter eine verheerende Wirkung. Sie trieb sich herum, suchte bei den unmöglichsten Figuren Bestätigung und Anschluss. Mit ihrem losen Mundwerk und ihrer schrillen Art hatte sie Rena eine Weile imponiert. Damit war es seit dem Umzug vorbei. Es ließ sich zwar nicht verhindern, dass sie in den Pausen auf dem Schulhof zusammentrafen, doch nicht einmal darauf schien Rena noch Wert zu legen. Manchmal hörte ich von Anne, dass Nita wieder einmal den Versuch unternommen hatte, Rena zu einem Nachmittag in der Stadt zu bewegen. Aber ich hörte es nur von Anne. Und es klang immer so, als sei es Rena lästig und unangenehm gewesen, sich – und sei es nur für ein paar Minuten – mit Nita auseinander zu setzen.

Durch den Reitstall hatte sie neue Bekanntschaften geschlossen. Udo, Armin, Horst, Katrin, Tanja, Ilona – für mich waren es lange Zeit nur Namen. Ich kannte ihre Gesichter nicht, wusste nicht, wie alt sie waren. Ich hörte nur, dass Udo der Sohn eines Landwirtes aus dem Dorf und Ilona die Tochter eines Rechtsanwaltes aus der Stadt war. Dass Katrin ein eigenes Pferd besaß, dass Horst furchtbar gelitten hatte, als Blacky sterben musste, dass er seitdem viel lieber Tierarzt als Steuerberater werden wollte. Dass Tanja neuerdings eine Zahnspange tragen musste und Armin eine Brille. An dem Samstagabend lernte ich sie endlich kennen.

Die drei Mädchen waren jünger als Rena, die drei Männer– Jungen waren es nicht mehr – älter. Udo schon Ende zwanzig, ein wahres Kraftpaket, gut eins neunzig groß und muskulös. Man sah ihm an, dass er gewohnt war, fest zuzupacken. Er war ein bodenständiger Typ, etwas wortkarg und verschlossen, aber sympathisch.

Horst war ein schmächtiges Kerlchen mit blassem, rundem Kindergesicht und dünnem rotem Haar. Ich schätzte ihn in Renas Alter und war erstaunt zu erfahren, dass auch er die zwanzig bereits überschritten hatte. Später erfuhr ich, dass er mit vierzehn Jahren an Leukämie erkrankt war. Er hatte die Krankheit überwunden, doch sie hatte seine Entwicklung stark beeinträchtigt. Mir fiel auf, dass er in rührender Weise um Rena bemüht war. Sein Verhalten hatte etwas naiv Schwärmerisches, als ob er ein Idol anhimmele, von dem er wusste, es war unerreichbar für ihn. Horst war ein lieber Kerl, abgeklärt und weise wie ein alter Mann.

Auch Armin hatte mit seinen achtzehn Jahren nichts von dem Gehabe, das viele Gleichaltrige an den Tag legen. Ich konnte ihn mir eher mit einem dicken Wälzer am Schreibtisch als auf einem Pferderücken vorstellen. Ein intelligenter junger Mann mit einem Faible für Paläontologie. Jürgen hatte seine helle Freude an ihm. Sie unterhielten sich lange. Von Jürgen hörte ich auch, dass ich mit meiner Vorstellung vom dicken Wälzer der Wahrheit sehr nahe gekommen war. Armins Vater hatte die Reitstunden zwangsverordnet, um den Sohn wenigstens stundenweise vom Schreibtisch fern zu halten.

Ich war erstaunt, als kurz vor neun noch einmal die Türklingel anschlug. Und begeistert war ich nicht, als ich sah, wer vor der Tür stand: Nita Kolter nebst Anhang. Genauso schrill und aufdringlich, wie ich sie im Gedächtnis hatte. Und wie früher nur darauf aus zu schockieren.

Ich erinnere mich an eine Gelegenheit; wir lebten noch in der Stadtwohnung. Da kamen an einem Nachmittag einige aus der Gruppe, um Rena abzuholen. Zwei Jungen und Nita. Rena war in ihrem Zimmer. Sie musste noch eine Arbeit für die Schule erledigen. Ich wollte, dass sie das in Ruhe tat, und bat die drei, für ein paar Minuten im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Dort saß Anne mit einem Buch und einer Tasse Tee. Und auf dem Tisch stand die kleine Dose mit Annes Süßstofftabletten. Einer der Jungen nahm die Dose und drückte die Tabletten heraus. Drückte sie einfach heraus, eine nach der anderen, ließ sie auf den Boden fallen und zertrat sie.

Ich war, nachdem ich sie hereingelassen hatte, zurück ins Schlafzimmer gegangen, telefonierte mit meinem Vater und hörte Anne fragen: «Aber sonst geht’s dir gut, ja?»

Sie bekam keine Antwort. Ich hörte nur ein Kichern– Nita amüsierte sich – und nach ein paar Sekunden wieder Annes Stimme: «Jetzt reicht’s. Stell die Dose zurück auf den Tisch, du Idiot.»

Ich ging hinüber, um zu sehen, was los war. Doch ich kam nicht dazu, etwas zu unternehmen. Genau in dem Augenblick, als ich das Wohnzimmer betrat und etwas sagen wollte, kam Rena aus ihrem Zimmer. Sie war mit ihrer Schularbeit fertig und innerhalb weniger Sekunden waren sie verschwunden. Zurück blieben die zertretenen Krümel auf dem Fußboden. Es war sinnlos und überflüssig. Es war Ablehnung, eine Demonstration von Anderssein.

Dass Rena ihre alte Clique eingeladen hatte, glaubte ich nicht eine Sekunde lang. Sie hatte, als Mutter wissen wollte, ob sie zwei oder drei Salate machen sollte, gesagt: «Mach nicht zu viel, Großmutter. Ein Salat reicht schon für ein paar Leute. Wir haben ja auch Chips und Nüsse und all den anderen Kram. Ich meine, die Fleischplatte und die Fischplatte und den Käse.» Nita musste in der Schule von Renas Party gehört und mit den anderen darüber gesprochen haben.

Wir saßen im Wohnzimmer, Jürgen und ich. Als es klingelte, ging ich zur Tür, öffnete und sah Nitas weiß gepudertes Gesicht mit den rot umrandeten Augen vor mir. Sie trug einen schwarzen Schlapphut und einen langen schwarzen Umhang, sah damit aus wie ein Vampir, es fehlte nur das Plastikgebiss mit den entsprechenden Zähnen.

Neben ihr stand der, den Anne einmal Idiot genannt hatte. Er hatte einen Arm um Nitas Taille gelegt, etliche dünne Goldringe durch Ohrmuscheln, Nasenflügel und Augenbrauen gezogen. Die anderen fünf standen mit teils gelangweilten, teils gespannten Mienen im Halbkreis hinter ihrer Anführerin.

Mir schien, Nita hatte getrunken. Sie schwankte, ihre Sprache klang verwaschen. «Überraschung, Überraschung!», nuschelte sie. «Das ist eine Freude, was? Jetzt kommt Schwung in die Bude!»

Ihre Stimme brachte Jürgen in die Diele. «Ihr habt euch sicher verfahren», meinte er. «Also passt mal auf, ihr fahrt jetzt runter bis zur Landstraße und biegt nach rechts ab. So kommt ihr am schnellsten zurück in die Stadt. Da habt ihr garantiert mehr Möglichkeiten, auf eure Kosten zu kommen, als hier.»

Nita grinste ihn an. «Wir wollen nur gratulieren!»

«Hier ist niemand, der Wert darauf legt», sagte Jürgen.

Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da drehte sich einer der Jungen hinter Nita um und ging zu einem der beiden Wagen, mit denen sie gekommen waren. Er öffnete die Fahrertür und rief: «Jetzt lasst den Quatsch und kommt!» Den Worten und seiner Miene nach zu schließen, war ihm Nitas Auftritt peinlich. Er distanzierte sich, sah auch nur halb so schrill aus wie die anderen. Niemand beachtete ihn.

Nita grinste weiter, reckte sich auf Zehenspitzen und spähte über Jürgens Schulter in die Diele. «Hey, Pferdchen», rief sie. «Du hast vergessen, deinen Türsteher zu informieren, dass noch Ehrengäste kommen.»

«Es reicht», sagte Jürgen ruhig. «Verzieht euch.»

Der Junge stieg in den Wagen und fuhr davon. Nita und ihr restlicher Anhang beachteten weder seine Abfahrt noch Jürgen. «Hey, Pferdchen», rief sie noch einmal. «Was treibst du? Lässt du dich schon mal einreiten?»

Ein paar grinsten. In Jürgens Miene regte sich nichts. Ohne ein Wort schloss er die Haustür und ging zurück in das Wohnzimmer. Ich ging in die Küche. Vom Fenster aus sah ich, dass sie noch sekundenlang unschlüssig zusammenstanden. Nita gab neue Anweisungen, dann setzte sie sich in Bewegung. Sie torkelte. Der mit den Goldringen fasste sie wieder um die Taille.

Von dem Jungen und seinem Auto war nichts mehr zu sehen. Sie zwängten sich zu sechst in den zweiten Wagen und verschwanden wieder. Es wunderte mich, ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie kampflos das Feld räumten. Es passte nicht zu Nita, sich die Tür vor der Nase schließen zu lassen. Ich ging ebenfalls zurück ins Wohnzimmer.

«Ich glaube, sie war betrunken», sagte ich.

Jürgen schüttelte den Kopf. «Bekifft kommt eher hin. Eine Fahne hatte sie nicht.»

Rena musste Nitas Stimme gehört haben, aber sie nahm das unschöne Intermezzo nicht zur Kenntnis. Sie saß mit Udo, Horst, Armin, Katrin, Tanja und Ilona in einer Ecke und spekulierte über ihr Geburtstagsgeschenk. Wir hatten keinen Ton darüber verlauten lassen. Aber sie wusste genau, dass sich am nächsten Morgen ihr Herzenswunsch erfüllen sollte. Ein eigenes Pferd.

Nicht ihren Liebling Mattho. Das war uns zu riskant erschienen. Ein junger Hengst im besten Flegelalter, unberechenbar, wenn ihn der Hafer stach, wie Hennessen, der Besitzer des Reitstalls, es ausdrückte. Hennessen hatte uns gestanden, dass sogar er manchmal Blut und Wasser schwitzte, wenn Rena sich in Matthos Sattel schwang.

«Er hat seine Macken, der Kerl. Mit ihm ist nicht jeden Tag gut Kirschen essen. Wenn er die Augen verdreht, weiß ich Bescheid.» Hennessen hatte uns eine Stute empfohlen, braun wie Mattho, doppelt so alt wie er, im Gegensatz zu ihm jedoch sanft wie ein Lamm. Wir hatten mit Hennessen vereinbart, dass er das Tier früh am Sonntagmorgen auf den Hof brachte. Er sollte es in der Scheune anbinden, nur für ein paar Stunden.

Wir konnten die Stute noch nicht dauernd auf dem Hof unterbringen. Die Stallungen waren in sehr schlechtem Zustand. Ursprünglich hatten wir sie abreißen lassen wollen. Deshalb waren sie nicht zusammen mit dem Wohnhaus und der Scheune renoviert worden, als wir den Hof kauften. Nun hatten wir uns entschlossen, auch das Gebäude instand setzen zu lassen. Dann hatte Rena ihren Traum in der Nähe und konnte, wenn sie Lust hatte, schon in aller Herrgottsfrühe lospreschen.

Ich stellte mir vor, wie sie mit roten Wangen am Frühstückstisch saß, das lange Haar noch feucht von der Dusche, wie sie mittags aus der Schule kam. Wie ihr erster Weg sie in den Stall führte. Wie sie mit Sattel und Zaumzeug hantierte, braunes Fell striegelte, Heuballen schleppte und restlos glücklich war. Das war sie!

Beim Frühstück am Sonntagmorgen zappelte sie herum, nahm sich kaum die Zeit, Annes Geschenk auszupacken. Ein Paar neue Stiefel. Anne war besorgt, ob sie auch richtig passten. Rena zwängte die Füße hinein und alles war bestens. Von meinen Eltern bekam sie einen Sattel. Damit stand fest, was wir ihr zugedacht hatten. Sie hatte uns schließlich oft genug erklärt, dass es nicht so war, wie wir es aus alten Wildwestfilmen kannten. In Hennessens Stall gehörte der Sattel zum Pferd, nicht zum Reiter. Rena wollte auf der Stelle hinaus. «Wo ist er? Wo habt ihr ihn versteckt?»

«Nun mal langsam», sagte Jürgen. «Wir können sicher zuerst in Ruhe frühstücken. Ich fürchte, später kommen wir nicht mehr dazu. Du hältst es doch bestimmt noch so lange aus, bis wir alle unseren Kaffee getrunken haben. Dann gehen wir zusammen hinaus und haben alle was davon.»

Sie gab sich große Mühe, geduldig zu sein. Aber die obligatorische Zigarette ihres Großvaters nach dem Frühstück konnte sie nicht abwarten. Sie stürmte auf den Hof, blinzelte ins grelle Licht, schaute mit zusammengekniffenen Augen zur Scheune hinüber. Dann lief sie los, zerrte das Tor zur Seite, verschwand im Dämmerlicht. Ich höre sie noch heute rufen: «Mattho! Mein Mattho!»

Jürgen war dicht hinter ihr. «Sie heißt Isabella», sagte er. «Aber sie ist daran gewöhnt, dass man sie Bella nennt.» Er lachte leise. «Wem sage ich das? Du kennst sie doch besser als ich.»

Rena war stehen geblieben, als er zu sprechen anfing. Sie drehte sich zu ihm um. «Aber Hennessen sagte, Mattho ist verkauft. Er wollte mir nicht sagen, wer ihn gekauft hat. Und da dachte ich…»

Sie brach ab. Jürgen vollendete den Satz: «Da dachtest du, wir hätten den braunen Teufel für dich gekauft. Weil wir ganz wild darauf sind, unsere Namen auf ein Gipsbein zu schreiben. Wenn es beim Gipsbein bleibt.»

«Er hat mich noch nie abgeworfen.»

«Einmal ist immer das erste Mal», sagte Jürgen und ging auf die Stute zu. «Und bisher war Hennessen in der Nähe. Hier ist niemand, der eingreifen könnte, wenn das Biest mit dir durchgeht.» Er tätschelte den Hals der Stute und forderte: «Na, komm her und begrüße sie. Ist sie nicht hübsch?»

Rena ging die paar Schritte. «Doch», sagte sie. Sehr begeistert klang es nicht.

«Und was sagt man zu einem hübschen Geschenk?», fragte Jürgen.

«Danke», sagte Rena.

Es war ein paar Minuten nach zehn, als sie der Stute den Sattel auflegte und losritt. Wir standen auf dem Hof und schauten ihr nach.

Mutter sagte: «Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich das sehe, so ein großes Tier.»

Vater erkundigte sich bei Jürgen: «Was hast du bezahlt?»

«Noch nichts», sagte Jürgen. «Wir wollten erst sehen, ob es funktioniert und sie sich Mattho tatsächlich aus dem Kopf schlägt. Hennessen sagte, sie hatte mit Bella noch nie zu tun. Sie hat bisher immer die Fuchsstute geritten. Aber die wollte er nicht verkaufen. Sie ist trächtig.»

Vater nickte verstehend. «Dann frage ich anders. Was soll Bella denn kosten?»

«Fünf», sagte Jürgen. «Das ist ein akzeptabler Preis.»

Über Mittag kam Rena nicht heim, wir hatten auch nicht mit ihr gerechnet. «Vor dem Kaffee sehen wir sie nicht wieder», meinte Jürgen.

Um vier kam sie zurück, zu Fuß. Sie ging in ihr Zimmer, wusch sich, zog sich um und kam herunter. Mutter hatte sich viel Mühe gegeben mit der Kaffeetafel. Zwei frisch gebackene Torten und der Geburtstagskuchen mit den brennenden Kerzen. Rena blies die Kerzen aus, nahm ein Stück Kuchen auf ihren Teller und griff nach der Gabel.

Bevor sie den ersten Bissen zum Mund führte, erklärte sie: «Bella ist nicht so schnell wie Mattho, aber sie springt gut. Er scheut manchmal vor den Hindernissen. Hennessen meint, es liegt am Alter, mit der Zeit wird er ruhiger und vernünftiger. Ich möchte wissen, wer ihn gekauft hat. Hennessen wollte achtzehntausend Mark für ihn haben, wusstet ihr das?»

«Nein», sagte Jürgen.

Bissen und Gabel schwebten noch in halber Höhe zwischen Teller und Renas Mund. «Was habt ihr denn für Bella bezahlt? Nicht so viel, oder?»

Jürgen lachte. «Habe ich dich gefragt, was das Aftershave gekostet hat, das du mir zum Geburtstag geschenkt hast?»

«Entschuldigung», murmelte Rena und führte endlich die Gabel zum Mund. Wenn sie morgens enttäuscht gewesen war, am Nachmittag hatte sie das bereits überwunden. Davon bin ich überzeugt und ihr Verhalten gibt mir Recht.

Nach dem Kaffee holte sie ihr Fahrrad aus der Scheune und verschwand wieder. Zum Abendessen kam sie zehn Minuten zu spät. Sie wollte nach dem Essen noch einmal los; Bella gute Nacht sagen. Jürgen meinte, es reiche für den ersten Tag. Um zehn ging sie hinauf in ihr Zimmer.

Montags saßen wir morgens um sieben zusammen am Frühstückstisch. Wir frühstückten immer gemeinsam, auch wenn Jürgen und ich dafür früher aufstehen mussten. Aber Jürgen hatte ohnehin eine innere Uhr, die ihn pünktlich um sechs aus dem Schlaf riss. Und mir war diese halbe Stunde Gemeinsamkeit bei Tagesbeginn sehr wichtig. Kinder brauchen das Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Sie brauchen es auch noch mit sechzehn.

Um halb acht bestiegen sie ihre Fahrräder. Sie fuhren meist mit den Rädern zur Schule. Auch im Winter. Bis zur Bushaltestelle im Dorf ist es mehr als einen Kilometer zu laufen. In der Zeit waren sie auf ihren Rädern schon fast am Ziel. Es sind über die Landstraße sieben Kilometer, durch die Felder nur vier. Sie nahmen immer den Feldweg, er war sicherer als die Straße mit ihren unübersichtlichen Kurven und Bäumen.

Jürgen und ich verließen das Haus um halb neun. Nach dem Umzug hatte ich begonnen, mit ihm in der Praxis zu arbeiten. Ich habe Medizin studiert, allerdings nur bis zum ersten Staatsexamen. Kurz danach wurde ich mit Anne schwanger und brach mein Studium ab. Knapp zwei Jahre später wurde Rena geboren. Es war mir wichtiger, für meine Kinder da zu sein, als meine Ausbildung zu beenden. Nur waren die Kinder inzwischen dem Alter entwachsen, in dem sie ständige Betreuung brauchten. Und um den Haushalt kümmerte sich Mutter. Sie hatte nie etwas anderes getan, als einen Haushalt zu führen. Das waren fünfundvierzig Jahre Erfahrung, damit konnte keine Tochter konkurrieren.

Ich kam mir in den ersten Wochen auf dem Land ziemlich überflüssig vor. Und ausgerechnet zu dem Zeitpunkt verlor Jürgen eine langjährige Angestellte. Er war lange Jahre der einzige Gynäkologe in der Stadt gewesen. Nun hatte sich eine junge Ärztin niedergelassen, und unsere gute Frau Sehl zog es vor, ihre Brötchen fortan bei der Konkurrenz zu verdienen. Für Jürgen war es ein harter Schlag. Er brauchte dringend einen Ersatz. Vater machte den Vorschlag, dass ich für Frau Sehl einspringen könnte, statt nutzlos mit Mutter zu debattieren, ob die Fenster jede Woche oder nur alle vierzehn Tage geputzt werden mussten.

Es hatte einiges für sich, und so hoch waren die Anforderungen nicht. Ich assistierte Jürgen bei Untersuchungen und unterstützte Sandra Erken, unsere Laborkraft, die nur halbtags kam, bei der Arbeit. Das meiste in diesem Bereich wird zwar eingeschickt, aber ein wenig fällt immer an. Schwangerschaftstests, mikroskopische Untersuchungen auf Pilzbefall und dergleichen, so etwas macht man in der Praxis.

Wir nahmen Jürgens BMW an dem Montagmorgen. Morgens fuhren wir immer gemeinsam, am Nachmittag getrennt. Jürgen hatte oft abends noch mit Papierkram zu tun. Er fand, wenigstens ich sollte pünktlich Feierabend machen können.

Über Mittag fuhren wir heim, saßen um zwei gemeinsam am Tisch. Rena schlang ihr Essen schneller hinunter als sonst. Sie hatte noch etwas Wichtiges für die Schule zu erledigen. Anne sollte ihr dabei helfen. Anschließend musste Rena dringend zum Reitstall, Bella einreiten. Jürgen schmunzelte über den Ausdruck. «Eingeritten dürfte sie aber sein.»

Rena war bereits auf dem Weg nach oben, erklärte über die Schulter: «Das schon. Aber wir müssen uns doch aneinander gewöhnen.»

«Das hört sich anders an», sagte Jürgen.

Pünktlich um drei waren wir wieder in der Praxis. Zu dem Zeitpunkt saß Rena wohl im Sattel. Es war nicht viel zu tun an dem Nachmittag. Ich kam kurz nach fünf heim. Am Morgen war es noch sonnig gewesen. Der Spätnachmittag hatte den Garten in ein Schattenspiel verwandelt. Es war kühl und windig.

Anne saß mit ein paar Büchern im Wintergarten, ich setzte mich für eine Weile zu ihr. Wenig später kam auch Jürgen, inspizierte zum wiederholten Mal die Stallungen und überschlug im Kopf, wie teuer die Instandsetzung werden könnte. Vater war im Garten beschäftigt, Mutter in der Küche.

Der Dienstag und der Mittwoch waren nicht anders. Nur das Wetter verschlechterte sich. Ein atlantischer Tiefausläufer, hieß es im Fernsehen. Für den Donnerstag wurde ein Sturm angekündigt mit weiteren heftigen Regenfällen.

Rena verbrachte die meiste Zeit im Reitstall. Wir haben sie nicht oft zu Gesicht bekommen, das weiß ich. Aber eine Sechzehnjährige führt man nicht mehr an der Hand wie ein Kleinkind. Und im Gegensatz zu vielen anderen Eltern wussten wir zu jeder Minute, was unsere Kinder taten und wo sie sich aufhielten. Anne daheim oder bei Patrick, Rena bei den Pferden.

Hennessens Reitstall liegt in westlicher Richtung etwa dreihundert Meter hinter den letzten Häusern am Ortsrand. Durchs Dorf sind es vier Kilometer. Die Straße verläuft wie ein großer runder Bogen über einer geraden Linie. Die gerade Linie ist ein Feldweg neben dem alten Bahndamm, der von unserem Hof direkt zu Hennessen führt. Der Weg ist für den normalen Straßenverkehr gesperrt. Es ist auch nicht ratsam, ihn mit einem Pkw zu befahren.

Er ist nicht befestigt, wird von Traktoren benutzt und ist in entsprechendem Zustand. Die Fahrspuren sind mindestens dreißig Zentimeter tief. Zwei breite Rinnen, in denen nach starken Regenfällen das Wasser noch tagelang steht. Mit einem Fahrrad ist es kein Problem, wenn man sich auf der Seite hält, die an die Äcker grenzt.

Rena fuhr immer mit dem Rad. Nur wenn es stark regnete, ließ sie sich mittags von mir oder von Vater mit dem Wagen zum Reitstall bringen. Oder sie rief am Abend an und wollte abgeholt werden. Am Dienstag und Mittwoch hatte sie das getan. Einmal war ich gefahren, einmal Vater.

Am Donnerstagmorgen hatte sich der Wind gelegt, es nieselte nur noch. Anne wollte trotzdem den Schulbus nehmen. Sie berief sich auf den angekündigten Sturm. «Ich habe keine Lust, mit dem Rad in ein Unwetter zu geraten.»

Rena nörgelte: «Dann sind wir erst Viertel nach zwei zu Hause. Und von der Bushaltestelle bis hier werden wir auch klitschnass.»

Anne blieb hart, und allein mit dem Rad fahren mochte Rena nicht. Sie schloss sich Anne an.

Im Laufe des Vormittags bewies der Wetterbericht seine Glaubwürdigkeit. Schon um zehn sah der Himmel aus wie mit Teer überzogen und die Schlieren wirbelten tüchtig durcheinander. Jürgen hatte um halb zwölf einen Termin bei der Bank. Im Hinausgehen sagte er: «Da kommt ja mächtig was runter.»

Er fragte nach einem Regenschirm. Jasmin – sie saß an der Anmeldung, bediente das Telefon, machte Termine aus und so weiter – hatte einen Schirm dabei. Jürgen wollte ihn sich ausleihen, um auf dem kurzen Weg zum Wagen nicht tropfnass zu werden. Aber es war unmöglich, einen Schirm aufzuspannen.

Es saßen noch zwei Patientinnen im Wartezimmer, als Jürgen die Praxis verließ. Eine ältere Frau, die nur das Ergebnis ihrer Mammographie erfahren wollte, und eine Schwangere, die für Ultraschall vorgemerkt war. Beide konnte ich übernehmen.

An dem Donnerstag fuhren wir mittags nicht zur üblichen Zeit heim. Jürgen wurde in der Bank länger aufgehalten als vorhergesehen. Er kam erst kurz vor eins in die Praxis zurück, da hätten wir losfahren können. Doch inzwischen goss es wie aus Kübeln, und was draußen wehte, konnte man nicht mehr Wind nennen.

Ich stand am Fenster im Sprechzimmer, als Jürgen hereinkam. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kam eine große, kräftige Frau aus dem Supermarkt und wollte zu ihrem Auto. Sie zog einen Einkaufswagen hinter sich her. Er war schwer beladen. Doch als sie ihn losließ, um die Autotür zu öffnen, trieb der Sturm ihn weg. Er rollte gegen einen Stein und kippte um. Konserven und andere Lebensmittel kullerten und flogen in alle Richtungen davon.

«Sieh dir das an», sagte ich.

«Muss ich mir nicht ansehen. Ich war gerade drin.»

Ans Fenster kam er doch. Wir schauten zu, wie die Frau sich abmühte, ihre Waren aufzusammeln und im Auto zu verstauen.

«Das ist Annegret Kuhlmann», sagte Jürgen. «Ihre Einkäufe hätte sie besser auf morgen verschoben. Bei dem Wetter fährt man doch nicht freiwillig los. Und ihre Kinder hat sie auch dabei.»

Er schüttelte verständnislos den Kopf. Ich sah eins der kleinen Gesichter für einen Moment hinter der Scheibe im Auto.

Jürgen sagte: «Wir warten, bis es nachlässt.» Es ließ nicht nach.

Kurz nach zwei machten wir uns trotzdem auf den Weg. In der Stadt ging es noch. Doch sobald wir auf der Landstraße waren, hatte Jürgen Mühe, den Wagen unter Kontrolle zu halten.

Auf freier Strecke hatte es einen schweren Unfall gegeben. Ein Auto lag auf dem Dach im Feld. Es musste sich mehrfach überschlagen haben, war so zerdrückt und verdreckt, dass ich nicht erkennen konnte, um welchen Typ es sich handelte oder welche Farbe es hatte.

Polizei und Feuerwehr waren da und hatten schon zwei der Insassen geborgen. Am Straßenrand lagen die in Plastikplanen gewickelten Bündel. Die Planen flatterten hin und her. Als wir vorbeifuhren, löste sich eine zur Hälfte und gab den Blick auf eine völlig deformierte, blutige Masse frei.

Wir waren erleichtert, als wir endlich auf dem Hof eintrafen. Mutter war verstimmt, weil wir so spät kamen. «Jetzt muss ich das Essen aufwärmen.»

«Lass nur», sagte ich. Uns war der Appetit vergangen. Ich erzählte Mutter von dem Unfall. Sie spekulierte, ob es sich um jemanden aus dem Dorf handelte. Danach beschäftigte sie sich mit den Pflanzen im Wintergarten. Vater hatte sich nach dem Essen hingelegt. Das tat er regelmäßig. Er schlief nachts nicht mehr gut und holte tagsüber gerne ein Stündchen nach.

Anne war in ihrem Zimmer. Von ihr hörte ich, dass Rena sich kaum die Zeit zum Essen genommen hatte und gut zehn Minuten vor unserer Ankunft zum Reitstall aufgebrochen war. Mit dem Rad!

«Ist sie denn verrückt», sagte ich. «Sie kann doch unmöglich mit dem Rad fahren bei dem Wetter. Warum hat sie nicht gewartet oder sich nicht von Großvater fahren lassen?»

«Großmutter wollte nicht, dass sie fuhr», erklärte Anne. «Und du weißt ja, wie sie ist. Sie hat sich ihr Regencape geschnappt und trockene Sachen zum Umziehen mitgenommen.»

Wann sie zurück sein oder ob sie abgeholt werden wollte, hatte Rena nicht gesagt. Stattdessen hatte sie Anne im Bus anvertraut, morgen sei sie krank. «Sie schreiben morgen eine Arbeit», sagte Anne. «Mathe. Da kommt ihr ein tüchtiger Schnupfen bestimmt gelegen.»

Mathematik war Renas wunder Punkt. Im letzten Zeugnis hatte es nur zu einer schwachen Vier gereicht. Ob sie die halten konnte, war noch die Frage. Die Anforderungen wurden höher. Anne bereitete sich auf ihr Abitur vor und hatte nicht immer Zeit zu helfen. Ich hatte bereits an Nachhilfeunterricht gedacht. Aber Jürgen meinte, es könne nicht jeder ein Genie sein und ein wiederholtes Schuljahr sei kein Grund, sich graue Haare wachsen zu lassen. Sogar Einstein sei einmal sitzen geblieben.

Ich sagte zu Anne: «Großvater soll sie um fünf abholen. Auf die Weise ersparen wir ihr den Schnupfen und sie kann noch ein bisschen üben.»

Anne nickte. «Ich sag’s ihm, wenn er aufsteht.»

Ich konnte es ihm nicht sagen. Wir mussten zurück in die Praxis. Jürgen bestand darauf, dass wir früher als üblich losfuhren und dass ich meinen Wagen stehen ließ. Vater schlief noch, als wir das Haus verließen.

Am Donnerstagnachmittag war die Praxis von siebzehn bis neunzehn Uhr geöffnet. Es lagen neun Anmeldungen vor, zwei Frauen erschienen ohne Termin. Um halb sieben machte Jasmin Feierabend, eine Viertelstunde später stand Eva Kettler vor der Anmeldung. Sie trug eine hautenge schwarze Hose und einen weißen Pullover. Rippenstrick! Ihr Busen stach wie die Kinderzeichnung von zwei Berggipfeln ins Auge.

Es macht mich noch immer wütend, wenn ich daran denke! Weil ich es noch so genau weiß und mich nicht erinnere, ob Rena beim Frühstück die weiße Haarspange oder ein Stirnband trug. Vielleicht ist es normal. Man lebt seinen gewohnten Trott, schenkt der Frisur der Tochter keine besondere Beachtung und ein aufreizender Fetzen an einer Frau, die man lieber von hinten sieht, prägt sich ein.

Eva Kettler war zweiunddreißig und seit einigen Jahren wegen diffuser Beschwerden in Behandlung. Jürgen erzählte mir unentwegt, es sei psychisch bedingt. Ich hatte das Gefühl, sie kam aus Langeweile. Sie war eine von den Frauen, die nicht wissen, was sie mit sich und ihrer Zeit anfangen sollen. Der Ehemann viel unterwegs als Fernfahrer, keine Kinder, kein Beruf, und für teure Vergnügen reichte das Geld nicht.

Ich mochte Eva Kettler nie. Sie hatte mir gegenüber eine Art! Es war immer dasselbe Theater. Ich habe nie darauf bestanden, von Patientinnen mit Frau Doktor angesprochen zu werden. Es ist nicht mein Titel, mir reichte «Frau Zardiss». Für Eva Kettler war ich das kleine Frauchen; eine Person, über die man geflissentlich hinwegsah.

Zum Glück bekam ich sie nicht oft zu Gesicht. Jürgen wusste, dass ich mich nicht mit ihr auseinander setzen konnte, und hatte Jasmin angewiesen, Eva Kettler, wenn eben möglich, den späten Termin zu geben. Sie wollte ohnehin meist nur reden, da musste ich nicht dabeistehen.

Sie wunderte sich, dass ich noch in der Praxis war. «Was denn? Muss das kleine Frauchen heute Überstunden machen?» Dann kam ihr Standardsatz: «Ich will den Doktor sprechen, persönlich und sofort!»

Jürgen hatte noch zu tun. Eva Kettler setzte sich ins Wartezimmer. Als ich sie ein paar Minuten später rufen wollte, war sie verschwunden, ohne Erklärung.

Kurz vor acht machten wir uns auf den Heimweg. Gut eine halbe Stunde später kamen wir an. Sonst brauchten wir nicht einmal zehn Minuten. Auf den zwanzig Metern von der Scheune zum Wohnhaus wurden wir beide völlig durchnässt. Jürgen blieb einen Moment in der Haustür stehen und schaute kopfschüttelnd zu den Stallungen hinüber. Auf dem Hof lagen die Stücke von zerbrochenen Dachziegeln. Das Stalldach war schon bei unserem Einzug schadhaft gewesen. Wir hatten uns bisher nicht darum gekümmert. Jetzt packte der Sturm die verbliebenen Ziegel und warf damit um sich.

Wir mussten zuerst hinauf, uns umziehen und die Haare trocknen. Die Tür zu Renas Zimmer war geschlossen. Ich nahm an, dass sie seit fünf Uhr mit ihren Schularbeiten beschäftigt und wütend auf mich war. Immerhin hatte ich veranlasst, dass sie ihre Zeit mit der verhassten Mathematik statt mit den Pferden verbringen musste. Da wollte ich sie lieber nicht stören. Genauso gut könnte ich sagen, ich hatte keine Lust auf ihren gequälten Blick.

Meine Eltern saßen im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Mutter teilte kurz mit, Anne sei um halb fünf von Patrick abgeholt worden. Sie hätte nicht sagen können, wann sie heimkäme. Mehr sagte Mutter nicht. Sie war noch ein wenig verstimmt, weil wir ihren Gemüseeintopf mit geräucherten Schweinerippchen zu Mittag verschmäht hatten.

Der Suppentopf stand im Kühlschrank. Er war noch zur Hälfte gefüllt. Oben hatte sich eine dicke Fettschicht abgesetzt, darunter schwammen ein paar Fleischstücke, jede Menge Porree, Bohnen, Kartoffeln, Sellerie und Möhren in der Brühe. Ich mag keine gekochten Möhren und Sellerie würgt mich. Ich schöpfte eine Portion für Jürgen aus dem Topf, fischte auch für mich ein wenig heraus, wärmte die Suppe rasch in der Mikrowelle auf – mehr Mutter zum Gefallen als aus Appetit. Wir blieben mit unseren Tellern in der Küche. Jürgen wollte noch einen Kaffee, die Tassen nahmen wir mit in das Wohnzimmer.

Der Fernseher war zu laut eingestellt. Jürgen nahm die Fernbedienung vom Tisch und dämpfte den Ton. Dann streckte er sich im Sessel aus. Draußen war es bereits Nacht.

«Schöne Sauerei», sagte er. «Der ganze Hof liegt voller Scherben. In nächster Zeit wird wohl nichts aus dem Pferdestall. Da steht jetzt bestimmt alles unter Wasser.»

Vater reagierte nicht, hing wie gebannt am Bildschirm. Mutter nickte flüchtig und erkundigte sich, wie uns der aufgewärmte Eintopf geschmeckt habe.

«Es war köstlich», sagte ich. «Ein guter Eintopf schmeckt aufgewärmt fast besser als frisch zubereitet.»

«Er war auch heute Mittag vorzüglich», verteidigte Mutter sich.

«Das habe ich doch nicht bezweifelt.»

«Nur Rena hatte wieder zu nörgeln. Die Rippchen waren ihr zu fett. Sie hat nichts von dem Fleisch angerührt.»

Und sonst kein Wort über Rena. Stattdessen wollte Mutter wissen, ob wir inzwischen erfahren hätten, wer am frühen Nachmittag bei dem Unfall ums Leben gekommen sei. Wo hätten wir das erfahren sollen?

Vater griff nach der Fernbedienung, stellte den Ton wieder lauter und machte Jürgen darauf aufmerksam, dass es sich um eine Sondersendung handelte. Ausschreitungen rechtsradikaler Jugendlicher. Ich sah ein paar Halbstarke mit kurz geschorenen Haaren über den Bildschirm marschieren, hörte sie johlen und brüllen, sah selbst gebastelte Brandsätze, dicke Knüppel und Vaters angespannte Miene.

Als Jürgen sich aus dem Sessel erhob, um die Lautstärke am Gerät zu drosseln, stand ich ebenfalls auf und ging zur Tür. «Ich schaue mal, was Rena macht.»

Und da erst sagte Mutter: «Sie ist noch nicht hier.»

Im ersten Moment dachte ich, Rena sei nach dem Abendessen noch einmal zum Stall aufgebrochen. Mutter erklärte, sie sei nicht zum Essen erschienen.

«Sie sollte um fünf zu Hause sein. Warum hat Vater sie nicht abgeholt? Ich hatte Anne aufgetragen, ihn darum zu bitten.»

«Davon weiß ich nichts», sagte Mutter.

Ich dachte, Anne hätte es vergessen, schaute zu Vater hin, er hatte nur Augen für das Geschehen auf dem Bildschirm. Dort zwang ein uniformierter Polizist einen martialisch aussehenden Jugendlichen zu Boden.

Jürgen grinste und sagte: «Man sollte diese Idioten Asylantenquartiere schrubben lassen. Jedem einen Eimer Wasser und einen Wischlappen in die Hand, neben jedem ein stämmiger Bantu-Krieger mit einer Peitsche. Das wäre die richtige Methode.»

Vater beachtete ihn nicht, saß vorgebeugt auf der Couch und lauschte mit gerunzelter Stirn dem Kommentator. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihn anzusprechen. Und es gab keinen Grund zur Besorgnis, nicht in dem Moment.

«Dann wird es aber höchste Zeit, dass sie heimkommt», sagte ich, ging zum Telefon und wählte Hennessens Nummer. Die Leitung war frei, doch es hob niemand ab.

Jürgen meinte: «Sie werden im Stall sein.» Und im Stall gab es kein Telefon.

Ich setzte mich zurück in meinen Sessel. Vater stand auf und drehte den Fernsehton lauter. Um halb zehn versuchte ich es zum zweiten Mal. Wieder ohne Erfolg, diesmal hatte ich das Besetztzeichen in der Leitung. Und Jürgen sagte: «Sie meldet sich schon, wenn sie abgeholt werden will. Mit dem Rad kommt sie bestimmt nicht, da käme sie keine zehn Meter weit.»

Und noch eine Viertelstunde. Um Viertel vor zehn flimmerte der Nachspann der Sondersendung über den Bildschirm. Die nachfolgenden Beiträge interessierten Vater nicht. Er ging hinauf, um Musik zu hören. Ich ging zum dritten Mal ans Telefon. Diesmal wurde sofort abgehoben. Hennessens Schwester war am Apparat. Hennessen war vierundfünfzig und nicht verheiratet. Seine Schwester schaute im Haushalt nach dem Rechten. Ich kannte sie flüchtig, wusste allerdings nicht, wie sie hieß. Ich fragte nach Rena und bekam zur Antwort: «Ach, die ist völlig verzweifelt. Der braune Teufel hat die junge Stute getreten. Sieht böse aus. Mein Bruder musste den Arzt rufen.»

Der braune Teufel, das war Mattho, da musste ich nicht nachfragen. Ich dachte, mit der jungen Stute sei Bella gemeint. Und dann brauchte es wirklich keine Erklärung für Renas langes Ausbleiben. Ich bedankte mich für die Auskunft. Dass sie Rena ausrichten solle, wir würden sie gleich abholen, betonte ich nicht ausdrücklich. Ich dachte, das sei klar gewesen bei diesem Wolkenbruch und dem Sturm.

Ich erklärte Jürgen die Situation mit ein paar Worten, war überzeugt, dass er sich sofort auf den Weg machen würde. Aber er sagte: «Um noch großartig für Mathe zu üben, ist es ohnehin schon zu spät. Warten wir noch fünf Minuten.»

Warten! Ich hasse dieses Wort. Ich habe es schon als Kind gehasst. Wenn ich es höre, beginnt mein Herz zu rasen, meine Hände werden feucht. «Kannst du nicht warten, Vera?» Den Satz habe ich einmal zu oft gehört. Wenn ich hungrig war und Vater noch nicht daheim: «Kannst du nicht warten, Vera? Es wäre unhöflich Vater gegenüber, ohne ihn zu beginnen.» Wenn ich eine Frage hatte und Mutter keine Zeit oder keine Lust, mir zu antworten: «Kannst du nicht warten, Vera? Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.»

«Kannst du nicht warten, Vera?!»

Nein, das konnte ich nicht. Als Kind war ich dazu gezwungen worden, und ich war kein Kind mehr. Ich war zweiundvierzig, und wenn jemand zu mir sagte: ‹Kannst du nicht warten?›, oder: ‹Lass uns doch erst einmal abwarten›, oder: ‹Warten wir noch fünf Minuten›, rannte ich los wie mit einem Schlüssel aufgezogen.

Wir hatten einmal darüber gesprochen. Ich weiß nicht mehr, bei welcher Gelegenheit. Aber dass Jürgen sich darüber amüsierte, habe ich nicht vergessen. Jetzt kenne er das Zauberwort, meinte er, um mich auf Trab zu bringen. Doch auch ein Zauberwort wendet man nicht immer mit Absicht an. Ob er es nur so dahersagte, weil er keine Lust hatte, bei dem Wetter noch einmal vor die Tür zu gehen, oder ob es der kurze Nachrichtenbeitrag war, den er sich anschaute, weiß ich nicht.

Als ich in die Diele ging, schien er verärgert. «Jetzt warte doch, Vera. Was hast du es denn plötzlich so eilig? Es kommt doch auf fünf Minuten nicht an.»

Ich antwortete ihm nicht. Während ich mir den Mantel überzog, rief er: «Nimm meinen Wagen. Mit deinem fliegst du von der Straße. Aber komm nicht auf die Idee, ihr Rad im Kofferraum zu verstauen. Das funktioniert nicht bei dem Wind. Da muss sie eben morgen zu Fuß gehen.»

Als ich die Haustür öffnete, klatschte mir der Regen wie ein nasser Lappen ins Gesicht. Eine Sturmbö riss mir die Tür aus der Hand, sie schlug gegen die Dielenwand. Jürgen rief: «Halt bloß die Autotür fest, wenn du aussteigst!»

Einen Schirm aufspannen zu wollen war utopisch. Ich ging noch einmal zur Garderobe und band mir ein Tuch um den Kopf. Dann lief ich zur Scheune. Für den Weg zum und durchs Dorf brauchte ich fast dreimal so lange wie sonst. Ich konnte nur Schritt fahren. Auf der Landstraße waren es der Wind und abgerissene Äste von den Bäumen, im Dorf das Wasser.

Die Hauptstraße hatte sich in einen Wildbach verwandelt. Aus den Gullys gurgelte das Wasser in die Höhe, statt darin zu verschwinden. Bei der Spar- und Darlehenskasse war die Feuerwehr im Einsatz. Es gab bei so heftigen Regenfällen häufig Probleme mit der Kanalisation. Als wir den Hof kauften, war im Gemeinderat die Rede von Auffangbecken gewesen, die dringend gebraucht wurden. Gebaut worden waren sie noch nicht.

Genau um halb elf kam ich bei Hennessen an. Das weiß ich sicher, weil ich auf die Uhr geschaut habe. Und ich weiß auch, dass ich unterwegs nur zwei anderen Fahrzeugen begegnet bin: einem Lkw mit Anhänger und einem roten Kadett Kombi, ein Uraltmodell. Einen grauen Kleinbus habe ich nicht gesehen! Ich weiß es deshalb so genau, weil ich in der Straßenmitte fuhr und rechts ran musste, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. Auf Fußgänger habe ich nicht geachtet. Wenn da jemand war, der sich eng an den Häusern vorbeidrückte, um ein wenig geschützt zu sein… Ich habe nichts gesehen. Ich rechnete auch nicht damit, dass jemand zu Fuß unterwegs sein könnte.

Bei Hennessen schien alles ausgestorben. Das Wohnhaus, die Reithalle und der große Innenhof lagen im Dunkeln. Bei der Einfahrt stand eine Laterne, aber sie reichte nicht über die Mauer. Im Licht der Scheinwerfer sah ich, dass kein Wagen auf dem Hof stand. Also hatten der Tierarzt und Hennessens Schwester das Anwesen schon verlassen.

Im hinteren Bereich des Stalls schimmerte es gelb durch zwei der hoch angebrachten und von Schmutz blinden Fenster. Das Tor stand offen, was bei dem Wetter ungewöhnlich war. Ich fuhr den BMW so nahe wie möglich heran, stieg aus, warf die Autotür hinter mir zu und hetzte mit einem Sprung ins Trockene. Es war niemand zu sehen, nur ein paar Pferdeköpfe über den Boxen.

Hennessen hatte zwölf Boxen in seinem Stall, sechs auf jeder Seite, dazwischen ein Gang. Und vorne, wenn man zum Tor hereinkam, war ein freier Raum, wo die Gerätschaften untergebracht waren. Dort blieb ich stehen. Ich mochte nicht zwischen den Pferden durchgehen. Sie streckten immer ihre Köpfe über die Türen, wenn jemand kam. Der Gang war zwar breit, aber… Ich mochte das eben nicht. Ich war keine große Tierfreundin.

Es war feucht, kalt und dunkel im vorderen Bereich. Die meisten Tiere schienen schon zu schlafen. Bella stand noch in der zweiten linken Box. Ich war erleichtert, sie zu sehen. Nicht auszudenken, wenn sie ernsthaft verletzt gewesen wäre. Das Drama vom Januar war mir noch in bester Erinnerung. Obwohl Rena kaum etwas mit Blacky zu tun gehabt hatte, war sie fast mit gestorben, als die Araberstute eingeschläfert werden musste.

Ich rief nach Rena, und weiter hinten, wo das Licht brannte, richtete Hennessen sich auf. Er hatte in der letzten Box auf dem Boden gekniet, hob die Hand zum Gruß und rief: «’n Abend, Frau Zardiss. Moment, ich komm nach vorne.»

Er wusste, dass ich Renas Liebe zu Pferden nicht teilte. Er verließ die Box und kam langsam auf mich zu, wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und streckte mir die Rechte entgegen. Nicht, um mich mit Handschlag zu begrüßen, das tat er nie. Ob er meinen Ruf nicht verstanden hatte, weiß ich nicht. Er schien zu glauben, ich käme, um Bella zu bezahlen.

«War ’ne gute Entscheidung», sagte er, als er nahe genug war. «Mit Mattho hätten sie nicht so viel Glück gehabt. Da tritt mir das Biest doch der Fuchsstute in den Bauch. Sie will gar nicht aufstehen. Hoffentlich verliert sie das Fohlen nicht.»

Dicht vor mir blieb er stehen. Er hatte Flecken auf seiner Hose. Ich konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, ob es Blut war oder nur Feuchtigkeit.

«Ich will nur rasch Rena abholen», sagte ich.

Er schaute mich verwundert an. «Was denn, ist die noch nicht zu Hause? Na, ich hatte ihr geraten, durchs Dorf zu gehen. Aber da müsste sie Ihnen doch eigentlich in die Arme gelaufen sein.»

Ich hatte keinen Zipfel von ihr gesehen. Hennessen kratzte sich am Kopf, meinte zweifelnd: «Ob sie denn doch durchs Feld ist? Kann ich mir nicht vorstellen.» Dann fiel ihm ein: «Sie ist bestimmt bei Udo reingesprungen.»

Ich mochte mich nicht nach Udos Adresse erkundigen, hielt das auch für überflüssig. Udo war ein vernünftiger junger Mann, er hatte ein Auto und würde sie fahren. Ich fragte nur noch: «Seit wann ist sie weg?»

Hennessen zuckte mit den Achseln. «Halbe Stunde ungefähr. Genau kann ich’s nicht sagen. Meine Schwester kam rein und sagte, Sie hätten angerufen. Da ist sie los. Ich hab noch zu ihr gesagt, warte lieber, es kommt bestimmt einer. Aber sie raffte ihre Sachen zusammen und war wie ein Wiesel zum Tor raus.»

Ich verabschiedete mich.

«Schönen Gruß an den Doktor», rief Hennessen mir nach. «Und fahren Sie bloß vorsichtig. Haben Sie schon gehört? Heute Mittag hat es Annegret Kuhlmann von der Straße gefegt. Sie hatte die Kinder im Auto. Tot, alle drei. Den Kuhlmann haben sie gleich wegbringen müssen. Aufhängen wollte er sich, als die Polizei kam. Meine Schwester hat es eben erzählt.»

Annegret Kuhlmann! Die große, kräftige Frau beim Supermarkt. Ich sah sie vor mir, wie sie sich nach den davonrollenden Konservendosen bückte. Das Kindergesicht hinter der Scheibe im Auto. Das Blechknäuel im Feld und das blutige Bündel unter der Plastikplane. Für einen Moment würgte es mich. «Wir sind an der Unfallstelle vorbeigekommen. Aber ich wusste nicht, wer es war.»

Hennessen nickte schwer. «Furchtbar, so was», meinte er und ging zurück zur letzten Box.

Auf dem Heimweg fuhr ich noch langsamer und mit dem Gefühl, dass mir der Wagen davonschwamm. Ich hatte Angst, mit einem Rad in einen offenen Kanalschacht zu geraten. Es war schon häufiger passiert, dass bei derart starkem Regen ein paar Deckel hochgedrückt worden waren. Ich fuhr wieder in der Straßenmitte. Deshalb weiß ich mit Sicherheit, dass mir auf der Heimfahrt kein Fahrzeug begegnete.

Ich ließ die Senke, in der das Dorf liegt, hinter mir, fuhr ein wenig schneller die Anhöhe hinauf, rechnete damit, dass mir Udos Wagen entgegenkäme, bog nach rechts ab, die letzten vierhundert Meter bis zur Einfahrt. Nichts!

Ich hatte keine Lust, noch einmal durch den Regen zu laufen, stellte den BMW vor der Haustür ab, sprang mit zwei Riesenschritten unter das Vordach und weiter in die Diele. Aus dem ersten Stock polterte mir ein Stück aus Wagners «Ring des Nibelungen» entgegen, Vaters Lieblingsmusik.

Jürgen saß im Wohnzimmer bei einem Rémy Martin. Mutter war zu Bett gegangen, Anne noch nicht zurück. Und Jürgen wunderte sich, dass ich alleine kam. Ich sprach von Hennessens Vermutung, dass Rena zu Udo gelaufen sei.

Jürgen sagte: «Dann soll Udo sie mal bringen. Es wird ja langsam Zeit.» Er telefonierte. Ich stand daneben, sah seiner Miene an, dass sein Gesprächspartner nicht eben freundlich Auskunft gab. Jürgen legte auf und verzog das Gesicht. «Himmel, war der kurz angebunden. Bei Udo ist sie nicht. Es hat sie auch keiner gesehen.»

Sorgen um Rena machte ich mir anfangs nicht. Im Gegenteil, ich war verärgert. Annes Worte von der Krankheit am nächsten Morgen und Hennessens Hinweis auf das wieselflinke Verschwinden ließen nur einen Schluss zu: Rena hatte den Feldweg genommen. Sie wusste, dass wir ihr dort nicht mit dem Wagen folgen konnten. Sie würde sich einen tüchtigen Schnupfen holen. Eine gute Entschuldigung, um am nächsten Morgen im Bett zu bleiben.

Jürgen amüsierte sich über meinen Ärger. «Reg dich nicht auf, Vera. Du weißt doch, wie sie ist, wenn es um Mathe geht.»

«Wir können ihr das aber nicht so durchgehen lassen.»

Jürgen zuckte mit den Schultern und grinste. Ich zog Tuch und Mantel, Schuhe und Strümpfe aus. Im Gegensatz zu Rena, die ausschließlich in derben Jeans herumlief, trug ich einen Rock. Er war vorne durchnässt. Jürgen verlangte, dass ich ihn auszog. Er gab mir auch etwas zu trinken. Unseren Schlummertrunk nannte er das. Jeden Abend die gleiche Zeremonie. Wenn die Gläser leer waren, gingen wir ins Bett.

Dann saßen wir da, die Ohren voll Wagner, als bliesen die Posaunen zum Weltuntergang. Dass Mutter bei dem Lärm schlafen konnte! Wir sprachen über Hennessen, der nicht ernsthaft angenommen haben konnte, ich käme nachts um halb elf durch ein Unwetter gefahren, um Bella zu bezahlen, und dem wir in den nächsten Tagen einen Scheck geben müssten. Über die Strafpredigt für Rena, die ich mir fest vorgenommen hatte, die Jürgen für überflüssig hielt. Über Eva Kettler und ihre Impertinenz. Jürgen versprach wieder einmal, mit ihr zu reden.

Wir sprachen auch über die Tragödie, die Kuhlmann getroffen hatte, und seine Reaktion auf die Nachricht. Jürgen kannte ihn, er ist im Dorf aufgewachsen und kennt fast alle.

«Er wird’s wieder versuchen», meinte er, «sobald sich ihm die Gelegenheit bietet. Er war immer depressiv und hätte schon vor Jahren therapeutische Hilfe gebraucht. Aber wenn hier einer zum Psychologen geht, ist er für die anderen verrückt. Das tut sich keiner freiwillig an. Kuhlmann hat sich an Annegret festgehalten.»

Jürgen schüttelte den Kopf, murmelte: «Armer Kerl. Zwei arme Kerle, wenn man’s genau nimmt. Für Udo ist es vielleicht noch schlimmer.» Annegret Kuhlmann sei eine geborene von Wirth gewesen, erklärte Jürgen, die Zwillingsschwester von Udo.

«Dann ist Rena unter aller Garantie zu ihm gelaufen! Sie hat von Hennessens Schwester gehört, was passiert ist.» Und Rena hatte ein mitfühlendes Naturell. Sie ertrug es nicht, wenn ein Mensch litt oder trauerte, setzte alles daran zu trösten.

Jürgen schüttelte erneut den Kopf. «Vera, es hat bei den von Wirths kein Mensch einen Zipfel von ihr gesehen. Sie sitzt irgendwo draußen und lässt sich Zeit. Sie weiß genau, dass wir ihr auf dem Weg nicht entgegenkommen können.»

Können schon, dachte ich, nur nicht fahren. Hin und wieder warf ich einen Blick auf die Uhr und dachte, jetzt muss sie bald kommen. Aber Rena kam nicht.

2.Kapitel

Um halb zwölf wurde es im ersten Stock still. Vater hatte sein abendliches Wagner-Ritual vollzogen. Der Lärm im Haus hatte das Gerumpel draußen übertönt und mir das Gefühl vermittelt, es sei alles wie immer. Die plötzliche Ruhe im ersten Stock machte mich nervös. «Jetzt ist sie seit anderthalb Stunden unterwegs», sagte ich. «Sie müsste längst hier sein. Es sind doch nur zwei Kilometer.»

Jürgen schmunzelte. «Zwei Kilometer im Sturm. Und wenn du mit deiner Vermutung richtig liegst, wird sie keinen Schritt schneller gehen als unbedingt nötig. Wenn sie überhaupt geht. Ich traue ihr zu, dass sie sich unter die erste Unterführung gesetzt hat. Da wird sie nicht nass und ist auch ein bisschen vor dem Wind geschützt. Am besten schreibst du schon mal die Entschuldigung für die Schule. Und dann gehen wir ins Bett. Ich habe nicht vor, die halbe Nacht im Sessel zu sitzen und darauf zu warten, dass unser Fräulein Tochter eintrudelt. Ich brauche meinen Schlaf.»