Die Nilbraut - Georg Ebers - E-Book

Die Nilbraut E-Book

Georg Ebers

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Beschreibung

Die Nilbraut war ein unglückliches Opfer ägyptischen Aberglaubens, welches in früherer Zeit, wenn der Nil zögerte zu steigen und das Land zu überschwemmen, in die Flut gestürzt wurde. Die Heldin des Romans, Paula, ist eine Griechin, deren Vater verschollen ist und die nun bei ihren Verwandten im ägyptischen Memphis lebt. Orion, der Sohn des Statthalters soll ein reiches Mädchen in Memphis heiraten; sein Herz aber gehört der schönen Paula. Können beide Liebenden zueinander finden oder ist das Schicksal der Nilbraut unabwendbar? Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 1067

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Georg Ebers

Die Nilbraut

Historischer Roman

Georg Ebers

Die Nilbraut

Historischer Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954189-93-9

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Inhaltsverzeichnis

Be­spre­chung des Ro­mans

Vor­wort.

Ers­tes Ka­pi­tel.

Zwei­tes Ka­pi­tel.

Drit­tes Ka­pi­tel.

Vier­tes Ka­pi­tel.

Fünf­tes Ka­pi­tel.

Sechs­tes Ka­pi­tel.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel.

Ach­tes Ka­pi­tel.

Neun­tes Ka­pi­tel.

Zehn­tes Ka­pi­tel.

Elf­tes Ka­pi­tel.

Zwölf­tes Ka­pi­tel.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel.

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel.

Sie­ben­zehn­tes Ka­pi­tel.

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel.

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel.

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel.

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Neun­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel.

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Fün­fund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Sechs­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Sie­ben­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Achtund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Neun­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel.

Fünf­zigs­tes Ka­pi­tel.

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Herrn Carl Hall­ber­ger

­wid­met dies Buch am Ab­schluss ei­nes Vier­tel­jahr­hun­derts treu­er, nie ge­trüb­ter, im­mer fes­ter ge­knüpf­ter Freund­schaft

Ge­org Ebers.

Besprechung des Romans

ACHTUNG: Die­ser Ab­schnitt ver­rät wich­ti­ge Tei­le der Hand­lung. (Der Ver­le­ger)

Die Nil­braut war ein un­glück­li­ches Op­fer ägyp­ti­schen Aber­glau­bens, wel­ches in frü­he­rer Zeit, wenn der Nil zö­ger­te zu stei­gen und das Land zu über­schwem­men, in die Flut ge­stürzt wur­de. Sol­che Op­fe­rung kam auch noch vor zur Zeit, als das Hei­den­tum der Ägyp­ter längst christ­li­cher Ge­sit­tung ge­wi­chen war und die fa­na­ti­schen An­hän­ger des Pro­phe­ten sieg­reich in das alte Nil­land ein­ge­drun­gen wa­ren. We­nigs­tens in dem neu­en Ro­ma­ne von Ge­org Ebers, der die­sen Ti­tel führt (Stutt­gart und Leip­zig, Deut­sche Ver­lags­an­stalt), bil­det ein sol­ches Jung­frau­en­op­fer den Hö­he­punkt der Hand­lung: Wir wis­sen nicht, ob der Dich­ter an eine ge­schicht­li­che Tat­sa­che an­knüpft oder ob die­se Er­neue­rung al­ter Bräu­che in so spä­ter Zeit eine freie Er­fin­dung sei­ner Fan­ta­sie ist.

Der neue Ro­man von Ebers be­ginnt mit der Dar­stel­lung von Vor­gän­gen, wel­che die Teil­nah­me der Le­ser als­bald ge­fan­gen neh­men: Es ist das um so hö­her an­zu­schla­gen, als Vie­les, was uns da vor­ge­führt wird, am An­fan­ge sehr fremd­ar­tig ge­mahnt. Mit ei­nem ho­hen Be­am­ten, wel­cher den Ti­tel Mu­kau­ki­as führt, müs­sen wir uns erst all­mäh­lich be­freun­den, und die Glau­bens­strei­tig­kei­ten zwi­schen den mel­chi­ti­schen und ja­ko­bi­ti­schen Chris­ten, die sich ge­gen­sei­tig mit grim­mem Has­se ver­fol­gen, sind auch nicht da­nach an­ge­tan, uns son­der­lich zu in­ter­es­sie­ren. Sie bil­den zwar einen An­gel­punkt der Hand­lung; aber erst, wenn wir für die Men­schen, wel­che in die­se Kämp­fe ver­wi­ckelt sind, aus­rei­chen­de Teil­nah­me ge­won­nen ha­ben, über­win­den wir das Fremd­ar­ti­ge die­ser uns so fern­lie­gen­den dog­ma­ti­schen Strei­tig­kei­ten und fol­gen mit An­teil den Ge­schi­cken der Ein­zel­nen, die in die­se häss­li­chen Kämp­fe ei­nes be­schränk­ten Glau­bens­fa­na­tis­mus ver­strickt sind.

Die Hel­din des Ro­mans, Pau­la, ist eine Grie­chin, de­ren Va­ter, ein tap­fe­rer Strei­ter im Kamp­fe ge­gen die Mos­le­min, ver­schol­len ist und die bei ih­ren Ver­wand­ten in der Fa­mi­lie des Statt­hal­ters in Mem­phis lebt. Der Sohn des Hau­ses, Ori­on, von By­zanz zu­rück­ge­kehrt, soll ein rei­ches Mäd­chen in Mem­phis hei­ra­ten; sein Herz aber ge­hört der schö­nen Pau­la, die sich in­des an­fangs von dem Un­ge­treu­en ab­wen­det. Der Dieb­stahl ei­nes pracht­vol­len Sma­ragds, des­sen sich Ori­on schul­dig macht, den er aus ei­nem vom Va­ter ge­kauf­ten Tep­pich ent­wen­det und ei­ner frü­he­ren Ge­lieb­ten nach Kon­stan­ti­no­pel schickt, ent­frem­det ihm Pau­las Herz noch mehr; Ori­on ver­lei­tet die ihm be­stimm­te Braut Ka­tha­ri­na zu falscher Aus­sa­ge vor Ge­richt; Pau­la, wel­che Ori­on ver­der­ben konn­te, da sie Zeu­gin je­nes Dieb­stahls war, ver­schont ihn. Wie nun je­ner Sma­ragd mit ei­nem an­dern, wel­cher Pau­la ge­hört und den sie ver­äu­ßert, um einen Bo­ten zu be­zah­len, der ih­ren ver­schol­le­nen Va­ter auf­sucht, ver­wech­selt wird: Das hat einen ge­wis­sen mär­chen­haf­ten Reiz, und in der Tat liest sich der ers­te Band wie ein bun­tes ori­en­ta­li­sches Mär­chen. Auch spä­ter tau­chen Ge­stal­ten auf, die aus den Er­zäh­lun­gen ei­ner Sche­he­rezade ent­sprun­gen zu sein schei­nen: So der fa­na­ti­sche ägyp­ti­sche Ma­gier, wel­cher Pau­la um je­den Preis ver­der­ben will, und der schwar­ze Vi­ze­feld­herr des Ka­li­fen, Oba­dah, ein grim­mes Raub­tier. Pau­la und Ori­on ha­ben sich wie­der­ge­fun­den; aber da sie die Flucht mel­chi­ti­scher Non­nen be­güns­tig­ten, ver­fal­len sie dem Ge­richt der ara­bi­schen Macht­ha­ber und der christ­li­chen Geist­li­chen. Da zu­gleich die Seu­che Ägyp­ten ver­heert, der Nil nicht stei­gen will, so wird die zum Tode ver­ur­teil­te Pau­la dazu be­stimmt, das Op­fer des Strom­got­tes zu wer­den. Al­les ist schon zum Fes­te ge­rüs­tet, das Op­fer soll in die Flut ge­sto­ßen wer­den: Da er­scheint Ka­tha­ri­na, die an Pau­las Stel­le sich frei­wil­lig dem Tode weiht.

Die­ser Ro­man von Ge­org Ebers, der nur in der Mit­te et­was zu sehr ins Brei­te geht, wäh­rend der ers­te und letz­te Band in­ter­essant und span­nend sind, ist mit vie­lem Ge­schick ent­wor­fen und be­währt eine ori­gi­nel­le Er­fin­dungs­kraft; alle Fä­den sind gut ge­schürzt und glei­ten dem Dich­ter nir­gends aus der Hand. Dass sei­ne Fan­ta­sie da­bei nicht ins Blaue schweift, son­dern durch ge­schicht­li­che Stu­di­en wohl­ge­schult ist, gibt dem Gan­zen einen fes­ten Halt, und durch Klar­heit der Dar­stel­lung ver­mag uns der Ver­fas­ser in ei­ner Zeit zu ori­en­tie­ren, in wel­cher sich Ägyp­ten in einen bun­ten Völ­ker­markt ver­wan­delt hat­te und die Glau­bens­kämp­fe in­ner­halb der christ­li­chen Kir­che wie zwi­schen den Chris­ten und den Mos­lem mit ih­ren oft ver­wir­ren­den Stich­wör­tern durch ein­an­der wog­ten.

Der Dich­ter, des­sen an­dau­ern­des, schwe­res Lei­den die all­ge­meins­te Teil­nah­me er­weckt, hat in Richard Go­sche (»Ge­org Ebers«, Leip­zig, Schloemp) einen Bio­gra­fen ge­fun­den, der sei­nen Ver­diens­ten durch­aus ge­recht wird.

Die Gar­ten­lau­be, Heft 3, 1887

Vorwort.

»Die Nil­braut« ist kei­nes Vor­wor­tes be­dürf­tig.

Nur für die Fach­ge­nos­sen hab’ ich zu be­mer­ken, dass ich mich von der Au­to­ri­tät des treff­li­chen de Goe­je habe be­stim­men las­sen, an der ei­ge­nen Ver­mu­tung fest­zu­hal­ten, das Wort Mu­kau­kas sei nicht für den Na­men, son­dern für den Ti­tel des Man­nes zu hal­ten, den die ara­bi­schen Quel­len, de­ren ich mich zu be­die­nen hat­te, als den­je­ni­gen be­zeich­nen, wel­cher als Statt­hal­ter des by­zan­ti­ni­schen Kai­sers die ihm an­ver­trau­te Pro­vinz der mus­li­mi­schen Macht über­ant­wor­te­te. Ka­ra­ba­ceks dem Mu­kau­kas ge­wid­me­te Un­ter­su­chun­gen wa­ren mir lei­der nicht mehr zu be­nüt­zen ge­stat­tet.

Dass ich den al­ten Ho­rus Apol­lon (Hora­pol­lon) in das sie­ben­te Jahr­hun­dert ver­set­ze, wird mir je­der mit Recht ver­den­ken, der den Ver­fas­ser der Hie­ro­gly­phi­ca für den­sel­ben hält wie den ägyp­ti­schen Ge­lehr­ten glei­chen Na­mens, der nach Sui­das un­ter Theo­do­si­us leb­te und den schon Ste­pha­nus von By­zanz (Ende des fünf­ten Jahr­hun­derts) er­wähnt. Doch der erst­ge­nann­te Le­xi­ko­graph, Sui­das, zählt die Wer­ke des Gram­ma­ti­kers und Kom­men­ta­tors grie­chi­scher Dich­ter Hora­pol­lon aus, ohne die Hie­ro­gly­phi­ca, auf die es hier al­lein an­kommt, zu er­wäh­nen, und alle an­de­ren Al­ten, wel­che des Na­mens Hora­pol­lon ge­den­ken, las­sen, wie auch C. Lee­mans, der bes­te Ken­ner der Hie­ro­gly­phi­ca, zu­gibt, vol­le Frei­heit, zwei Hora­pol­lon an­zu­neh­men, von de­nen der zwei­te recht wohl erst im sie­ben­ten Jahr­hun­dert ge­lebt ha­ben kann, da zu sei­ner Zeit die ge­naue­re Kennt­nis der Hie­ro­gly­phen­schrift schon viel­fäl­ti­ger ver­lo­ren ge­gan­gen sein muss­te, als wir dies für das vier­te Jahr­hun­dert nach Chris­tus an­neh­men möch­ten, wenn wir be­den­ken, dass sich noch gut aus­ge­führ­te hie­ro­gly­phi­sche In­schrif­ten aus der Zeit des De­ci­us 250 n. Chr. er­hal­ten ha­ben. Der ägyp­ti­sche Kom­men­ta­tor grie­chi­scher Dich­ter hat schwer­lich ei­nes Über­set­zers be­durft, wäh­rend die Hie­ro­gly­phi­ca erst von Phil­ip­pus ins Grie­chi­sche über­tra­gen wor­den zu sein schei­nen. Un­se­re Kom­bi­na­ti­on, nach wel­cher der auf ägyp­tisch Ho­rus (Sohn der Isis) ge­nann­te Schrift­stel­ler der Isis­in­sel Phil­ae ent­stamm­te, auf wel­cher der heid­nisch-ägyp­ti­sche Kul­tus am längs­ten ge­übt ward und wo sich auch ei­ni­ge Kennt­nis der Hie­ro­gly­phen­schrift bis spät er­hal­ten ha­ben wird, trägt den wah­ren Ver­hält­nis­sen in der von uns ge­wähl­ten Epo­che Rech­nung.

Tut­zing am Starn­ber­ger See, den 1. Ok­to­ber 1886.

Ge­org Ebers.

Erstes Kapitel.

Die Hälf­te ei­nes Lu­strums war ver­gan­gen, seit­dem sich Ägyp­ten der jun­gen, mit un­er­hör­ter Kraft und Schnel­lig­keit auf­ge­wach­se­nen Macht der Ara­ber un­ter­wor­fen hat­te. Leich­ten Kau­fes war es ei­ner wohl ge­führ­ten klei­nen Schar mus­li­mi­scher Krie­ger in die Hän­de ge­fal­len, und die schö­ne Pro­vinz, wel­che noch vor kur­z­em eine Zier des by­zan­ti­ni­schen Kai­ser­rei­ches und die treues­te Pfle­ge­rin des Chris­ten­tums ge­we­sen, ge­horch­te jetzt dem Ka­li­fen Omar und muss­te es dul­den, den Halb­mond sich über­all ne­ben dem Kreu­ze er­he­ben zu se­hen.

Ein hei­ße­rer Som­mer hat­te das un­glück­li­che Land nur sel­ten ge­drückt, und der Nil, des­sen Wachs­tum man in der »Nacht des Trop­fens« am 17. Juni wie im­mer mit fest­li­chen Vor­be­rei­tun­gen er­war­tet, hat­te bis­her die Hoff­nung der Ägyp­ter be­tro­gen und war, statt zu stei­gen, klei­ner und klei­ner ge­wor­den. – In die­ser Zeit der Be­sorg­nis – am 10. Juli des Jah­res 643 – zog eine Ka­ra­wa­ne von Nor­den her in Mem­phis ein.

In der ent­völ­ker­ten, ver­fal­len­den Py­ra­mi­den­stadt, wel­che sich in Form ei­nes mäch­ti­gen Schilf­blat­tes nur in die Län­ge ent­wi­ckelt hat­te, da ih­rem Wachstun. in die Brei­te durch den Nil und das li­by­sche Ge­bir­ge Schran­ken ge­setzt wa­ren, zog schon die­se klei­ne Ka­ra­wa­ne die Bli­cke der Vor­über­ge­hen­den auf sich, wäh­rend es die Mem­phi­ten in frü­he­ren Jah­ren kaum für der Mühe wert ge­ach­tet hat­ten, den Kopf auf­zu­he­ben, wenn un­ab­seh­ba­re, mit Han­dels­gü­tern be­frach­te­te Wa­gen­rei­hen, wenn statt­li­che Züge von Och­sen­wa­gen, glän­zen­de kai­ser­li­che Rei­ter­ma­ni­peln oder end­lo­se Pro­zes­sio­nen die mehr als mei­len­lan­ge Haupt­stra­ße be­leb­ten.

Der Kauf­herr, wel­cher aus ei­nem Dro­me­dar von aus­ge­sucht ed­ler Zucht der Ka­ra­wa­ne vor­an­ritt, war ein ha­ge­rer, in wei­che Sei­de ge­klei­de­ter Mus­lim. Ein brei­ter Tur­ban be­deck­te den klei­nen Kopf die­ses Man­nes und warf ei­ni­gen Schat­ten auf sein zar­tes, ält­li­ches Ge­sicht.

Der Ägyp­ter, wel­cher ne­ben dem Kauf­herrn als Füh­rer auf ei­nem flin­ken Ese­lein da­hin­ritt, sah oft und gern in dies an sich nicht schö­ne Ant­litz mit den ein­ge­fal­le­nen Wan­gen, dem spär­li­chen Voll­bart und der großen Ad­ler­na­se; denn es glänz­ten aus dem­sel­ben zwei hel­le Au­gen von an­mu­ten­der Be­son­nen­heit und herz­li­cher Güte. Aber die­ser schmäch­ti­ge alte Herr, dem Schmerz und Krank­heit man­che Fur­che in die wohl­wol­len­den Züge ge­gra­ben, ver­stand auch zu be­feh­len und sei­nem Wil­len Gel­tung zu ver­schaf­fen, das sah man dem fei­nen, fest ge­schlos­se­nen Mun­de an, und dem Ei­fer, wo­mit die trot­zi­gen, bär­ti­gen, bis an die Zäh­ne be­waff­ne­ten Krie­ger­ge­stal­ten, wel­che ihm folg­ten, sei­nen Win­ken ge­horch­ten.

Sein ägyp­ti­scher Beglei­ter, der Vor­ste­her der Her­me­neu­ten oder Frem­den­füh­rer­zunft, ein mür­ri­scher, bräun­li­cher Mem­phit, zog, wenn er ein­mal sich den wil­den Dro­me­dar­rei­tern un­ver­se­hens nä­her­te, den Rücken ein, als sei er ei­nes Hie­bes oder Sto­ßes ge­wär­tig, wäh­rend er dem Kauf­herrn Ha­schim, dem Eig­ner der Ka­ra­wa­ne, furcht­los und mit der aus­gie­bi­gen Sprechlust sei­nes Stan­des Rede und Ant­wort gab.

»Wie gut Du hier in Mem­phis Be­scheid weißt!« sag­te der Ägyp­ter, nach­dem der alte Herr sei­nem Er­stau­nen über die trau­ri­ge Ver­än­de­rung und den Rück­gang der Stadt, Aus­druck ge­ge­ben.

»Vor drei­ßig Jah­ren«, ent­geg­ne­te der Kauf­mann, »hat mich mein Ge­schäft häu­fig hie­her ge­führt. Wie vie­le Häu­ser ste­hen jetzt leer und fal­len zu­sam­men, in de­nen es da­mals nur für schwe­res Geld Un­ter­kunft gab! Über­all Trüm­mer! Wer hat die­se schö­ne Kir­che so jäm­mer­lich ver­stüm­melt? Von den Mei­nen, ich weiß es von dem Feld­herrn Amr selbst, ist kein christ­li­ches Got­tes­haus an­ge­tas­tet wor­den.«

»Es war ja die Haupt­kir­che der Mel­chi­ten, der Kai­ser­knech­te«, rief der Füh­rer, als lie­ge schon dar­in die Er­klä­rung für das Ge­sche­he­ne; der Kauf­herr aber nahm das nicht an, son­dern frag­te: »Nun, und was liegt denn so Schlim­mes in ih­rer Leh­re?«

»Was?« ver­setz­te der Ägyp­ter, und sei­ne Au­gen be­gan­nen zor­nig zu fun­keln. »Was? Sie zer­stücken die gött­li­che Per­son des Hei­lands und le­gen ihr ver­schie­de­ne Na­tu­ren bei. Und dazu! Alle Grie­chen hier zu Lan­de ha­ben, be­vor die Dei­nen dem Gräu­el ein Ende mach­ten, uns, die Her­ren des Lan­des, ge­stützt auf die kai­ser­li­che Macht, wie Skla­ven ge­knech­tet. In ihre Kir­chen trie­ben sie uns mit Ge­walt, und was ägyp­ti­schen Blu­tes war, wie Re­bel­len und Aus­sät­zi­ge ward es be­han­delt. Ver­lacht und ver­ket­zert ha­ben sie uns we­gen un­sers Glau­bens an die ei­ne gött­li­che Na­tur un­sers Hei­lands.«

»Und dar­um«, fiel ihm der Kauf­herr ins Wort, »habt ihr, so­bald wir die Grie­chen ver­trie­ben, un­mil­der ge­gen sie und ihre Got­tes­häu­ser ge­han­delt als wir, die ihr ›Ungläu­bi­ge‹ schel­tet, ge­gen euch.«

»Mil­de ge­gen sie?« ent­geg­ne­te der Ägyp­ter höh­nisch und schau­te mit ei­nem bö­sen Blick auf das zer­stör­te Bau­werk. – »Sie ha­ben ge­ern­tet, was sie ge­sä­et, und wer jetzt in Ägyp­ten – ge­lobt sei der Hei­land! – nicht an eu­ren ei­ni­gen Gott glaubt, der be­kennt sich zu der ei­nen Na­tur un­sers Herrn Je­sus Chris­tus. Die Mel­chi­ten­rot­te, ihr habt sie ver­trie­ben, und an uns ist es dann ge­we­sen, Hand an die Häu­ser ih­res er­bärm­li­chen Hei­lands zu le­gen, den sie aus der Synode zu Chal­ce­don – ver­dammt soll sie sein! – sei­ner gött­li­chen Wür­de ent­klei­det.«

»Aber die Mel­chi­ten sind doch im­mer eure Glau­bens­ge­nos­sen, sind Chris­ten«, sag­te der Kauf­herr.

»Chris­ten?« wie­der­hol­te der Füh­rer und zuck­te ver­ächt­lich die Ach­seln. »Mö­gen sie sich selbst da­für hal­ten! Was mich und mit mir groß und klein in die­sem Lan­de an­geht, sind wir der Mei­nung, dass sie mit­nich­ten be­rech­tigt sind, sich uns­re Glau­bens­ge­nos­sen, sich Chris­ten zu nen­nen. Ver­flucht sind sie alle und sol­len sie sein samt ih­ren hun­dert, nein tau­send teuf­li­schen Ket­ze­rei­en, die un­sern Gott und Er­lö­ser zu ei­nem Din­ge ma­chen möch­ten wie das Göt­ter­bild dort an dem stei­ner­nen Pfos­ten. Oben ist’s eine Kuh, un­ten ein Mensch, und wel­cher ver­stän­di­ge Mann, frag’ ich, kann zu sol­chem Zwit­ter­balg be­ten? Wir Ja­ko­bi­ten, Mo­no­phy­si­ten oder wie man uns sonst nennt, ge­ben von der gött­li­chen Na­tur un­sers Herrn und Hei­lands kein Ti­tel­chen preis, und soll es nun ein­mal mit dem al­ten Glau­ben vor­bei sein, so will ich ein Mus­lim wer­den und mich zu eu­rem großen ei­ni­gen Gott be­keh­ren; denn be­vor ich mich zu der Ket­ze­rei der Mel­chi­ten be­ken­ne, lie­ber las­se ich mich mit Weib und Kind in Stücke zer­ha­cken. Wer weiß, wie’s noch kommt! Es bringt ja auch man­chen Vor­teil, der eure zu wer­den; denn ihr habt die Macht, und ihr mögt sie be­hal­ten! Von Frem­den wer­den wir nun ein­mal be­herrscht, und wer zahl­te nicht lie­ber die klei­ne­re Steu­er an den wei­sen und ge­sun­den Ka­li­fen in Me­di­na als die grö­ße­re an die mel­chi­ti­sche, brest­haf­te Kai­ser­brut in Kon­stan­ti­no­pel? Der Mu­kau­kas Ge­org ist ge­wiss kein schlech­ter Mann; aber wie er den Wi­der­stand ge­gen euch so schnell auf­gab, ist er der glei­chen Mei­nung ge­we­sen. Als recht­li­che, from­me Leu­te, uns­re Nach­barn, viel­leicht so­gar uns­re Stamm­ver­wand­ten, zieht er euch, ich weiß es von mei­nem Bru­der, den by­zan­ti­ni­schen Ket­zern, Men­schen­schin­dern und Blut­hun­den vor; und da­bei ist der Mu­kau­kas ein so gu­ter Christ wie nur ei­ner.«

Der Ara­ber hat­te dem Mem­phi­ten, den sein Füh­rer­amt zwang, sich selbst zu un­ter­bre­chen, auf­merk­sam und bis­wei­len mit sei­nem Lä­cheln zu­ge­hört. Jetzt ließ der Ägyp­ter die Ka­ra­wa­ne in eine Gas­se ein­bie­gen, wel­che zu der dem Stro­me gleich­lau­fen­den Stra­ße führ­te, in der sich ei­ni­ge von Gär­ten um­ge­be­ne Häu­ser statt­lich er­ho­ben.

So­bald Mensch und Tier auf dem bes­sern Pflas­ter wei­ter zo­gen, sag­te der Kauf­herr: »Ich habe den Va­ter des Man­nes, den Du da nann­test, recht wohl ge­kannt. Er war ein rei­cher und da­bei wohl­ge­sinn­ter Herr, und auch von sei­nem Soh­ne hör­t’ ich nur Gu­tes. Darf er im­mer noch den Ti­tel ›Statt­hal­ter‹ oder – wie sag­test Du gleich? – ei­nes Mu­kau­kas füh­ren?«

»Ge­wiss, Meis­ter!« ent­geg­ne­te der Her­me­neut. »Es gibt in Ägyp­ten kein äl­te­res Ge­schlecht als das sei­ne, und wenn der alte Men­as schon reich war, so ist es der Mu­kau­kas Ge­org noch mehr, durch Erb­schaft und das Hei­rats­gut sei­ner Gat­tin. Ei­nen ver­stän­di­ge­ren, ge­rech­teren Statt­hal­ter kön­nen wir uns nicht wün­schen! Auch den Un­ter­be­am­ten sieht er auf die Fin­ger, aber so schnell wie sonst wer­den die Ge­schäf­te doch nicht mehr er­le­digt; denn wenn er auch kaum äl­ter ist als ich, und ich ste­he am Ende der Fünf­zig, so kommt er doch aus dem Krank­sein nicht mehr her­aus, und schon seit Mo­na­ten hat ihn nie­mand mehr aus­fah­ren se­hen; selbst wenn euer Statt­hal­ter ihn se­hen will, kommt er von drü­ben her­über. Ein Jam­mer ist’s um den Mann, und wer hat ihm den statt­li­chen Leib zu Grun­de ge­rich­tet? Die Mel­chi­ten­hun­de sind es ge­we­sen! Frag’ nur am Nil, so lang er ist, nach dem Ur­he­ber ei­nes Un­glücks, und Du wirst im­mer die­sel­be Ant­wort be­kom­men. Wo der Mel­chit, der Grie­che hin­trat, da war’s aus mit dem Gras­wuchs!«

»Aber dem Mu­kau­kas, dem höchs­ten Be­am­ten des Kai­sers …« hob der Ara­ber an; doch der an­de­re un­ter­brach ihn und rief:

»Er, denkst Du, sei si­cher vor ih­nen ge­we­sen? An sei­ne ei­ge­ne Per­son ha­ben sie frei­lich nicht ge­tas­tet; aber es ist noch schlim­mer ge­kom­men; denn bei ei­nem Auf­stand der Mel­chi­ten ge­gen die Uns­ren – in Alex­an­dria war es, und der ver­stor­be­ne grie­chi­sche Pa­tri­arch Cy­rus hat­te die Hand mit im Spie­le – da sind ihm zwei Söh­ne, zwei schö­ne, blü­hen­de Män­ner, wie tol­le Hun­de er­schla­gen wor­den, und das hat ihm den Rücken ge­bro­chen.«

»Ar­mer Mann!« seufz­te der Ara­ber. »Und ist ihm kein an­de­res Kind ver­blie­ben?«

»Doch, Herr, doch! Ein Sohn und des äl­tes­ten Wit­we. Die ist frei­lich nach dem Tod ih­res Gat­ten ins Klos­ter ge­gan­gen, aber ihr Kind, die klei­ne Ma­ria, zehn Jah­re wird sie alt sein, hat sie bei den Gro­ß­el­tern ge­las­sen.«

»Das ist schön«, rief der Kauf­herr, »das wird Son­nen­schein in das Haus ge­bracht ha­ben.«

»Ge­wiss, Herr! Und es fehl­te da auch sonst – eben jetzt noch – ge­wiss nicht an Freu­de. Der ein­zi­ge über­le­ben­de Sohn, Ori­on heißt er, ist vor­ges­tern aus Kon­stan­ti­no­pel heim­ge­kehrt, wo er lan­ge ge­we­sen, und das hat ein Le­ben ge­ge­ben! Die hal­be Stadt war wie när­risch. Tau­sen­de sind ihm ent­ge­gen­ge­zo­gen, als wär’ es der Hei­land; Ehren­pfor­ten ha­ben sie ihm ge­baut, und selbst die Mei­nen – von Zu­rück­hal­ten war da kei­ne Rede. Alle woll­ten den Sohn und Er­ben des großen Mu­kau­kas se­hen, und die Wei­ber na­tür­lich al­len vor­an!«

»Das kommt so her­aus«, sag­te der Ara­ber, »als sei der Heim­ge­kehr­te sol­cher Ehre nicht wür­dig.«

»Wie man’s an­sieht«, ver­setz­te der Ägyp­ter und zuck­te die Ach­seln. »Er ist ein­mal der ein­zi­ge Sohn des ers­ten Man­nes im Lan­de.«

»Ver­spricht aber nicht, dem Al­ten ähn­lich zu wer­den?«

»Doch, doch!« rief der an­de­re. »Mein Bru­der, ein geist­li­cher Herr, der Vor­ste­her uns­rer großen Schu­le, war sein Leh­rer, und ein glei­cher Kopf wie Ori­on, sagt er, sei ihm nicht wie­der be­geg­net. Al­les flog ihm nur so an, und da­bei ist er flei­ßig ge­we­sen wie ar­mer Leu­te Kind. Ruhm und Ehre, meint Mar­cus, hät­ten wir, die El­tern und sei­ne Va­ter­stadt Mem­phis von ihm zu er­war­ten; aber ich, ich seh’ auch die Schat­ten, und ich sage Dir, die Wei­ber ver­dre­hen ihm den Kopf und rich­ten ihn end­lich zu Grun­de. – Schön ist er, statt­li­cher noch als der Alte in sei­nen Jah­ren, und das macht er sich zu nutz, und wo ihm et­was An­mu­ti­ges be­geg­net – und es stellt sich ihm über­all in den Weg –«

»Da greift der jun­ge Tau­ge­nichts zu«, lach­te der Mus­lim. »Wenn es wei­ter nichts ist, was Dich ängs­tigt, so freut mich’s für ihn. Er ist jung, und der­glei­chen gibt sich.«

»Nein, Herr; auch mein Bru­der, – er ist jetzt in Alex­an­dria und im­mer noch blind und när­risch ein­ge­nom­men für den frü­he­ren Schü­ler – auch er sieht dar­in eine ge­fähr­li­che Klip­pe. Wenn das sich nicht än­dert, so wird er wei­ter und wei­ter ab­wei­chen von den Ge­bo­ten des Herrn und Scha­den neh­men an sei­ner See­le, und die Ge­fah­ren um­ste­hen ihn über­all wie brül­len­de Lö­wen. Die edle Gabe der Schön­heit und des ge­win­nen­den We­sens, die führt ihn noch ins Ver­der­ben; und ich wün­sch’ es nicht, aber mir ahnt es …«

»Du siehst schwarz und ur­teilst hart«, er­wi­der­te der Alte. »Die Ju­gend …«

»Auch die Ju­gend«, ent­geg­ne­te der Füh­rer, »die christ­li­che we­nigs­tens, soll sich selbst be­herr­schen, und wenn ei­ner, so bin ich ge­neigt, dem schö­nen Bur­schen das Bes­te zu gön­nen, und dass ich’s nur ge­ste­he: wenn er mich grüßt, so ist mir’s gleich, als wär’ mir et­was Gu­tes be­geg­net, und so geht es noch tau­send an­de­ren Män­nern in Mem­phis, und den Wei­bern erst recht; doch trotz al­le­dem hat schon man­che vie­le bit­te­re Trä­nen um ihn ver­gos­sen. Aber, bei al­len Hei­li­gen, wenn man vom Wolf spricht, gleich … Sieh nur, da ist er! … Halt, hal­tet ein we­nig, ihr Leu­te! Es lohnt sich, Herr, einen Au­gen­blick zu ver­zie­hen!«

»Das statt­li­che Vier­ge­spann dort an der ho­hen Gar­ten­pfor­te ist seins?«

»Es sind die pan­no­ni­schen Ren­ner, die er mit­ge­bracht hat, schnell wie der Blitz und da­bei … Aber dort … Sieh! Ach, nun tre­ten sie hin­ter den Gar­ten­zaun zu­rück; aber Du, Du musst sie doch von Dei­nem ho­hen Dro­me­dar aus se­hen kön­nen. Das klei­ne Fräu­lein da bei ihm, das ist die Toch­ter der Wit­we Su­san­ne, der die­ser Gar­ten und der schö­ne Palast hin­ter den Bäu­men ge­hört.«

»Ein herr­lich Be­sitz­tum!« rief der Ara­ber.

»Das will ich mei­nen«, ent­geg­ne­te der Mem­phit; »der Gar­ten reicht bis an den Nil, und wie er ge­pflegt ist!«

»Hat hier nicht frü­her der Korn­händ­ler Phil­am­mon ge­wohnt?« frag­te der Kauf­herr, als stie­gen alte Erin­ne­run­gen in ihm auf.

»Frei­lich! Er war Su­san­nens Ge­mahl und muss ein Fünf­zi­ger ge­we­sen sein, als er um sie frei­te. Die Klei­ne ist ihre ein­zi­ge Toch­ter, die reichs­te Er­bin im gan­zen Gau, aber trotz ih­rer sech­zehn Jah­re nicht recht aus­ge­wach­sen, ei­nes al­ten Va­ters Kind, weißt Du, und doch hübsch und lus­tig, eine Lach­tau­be in Mäd­chen­ge­stalt, und so schnell und be­weg­lich! Ihre ei­ge­nen Leu­te ha­ben sie das ›Bach­stelz­chen‹ ge­tauft.«

»Gut, gut und tref­fend«, ver­setz­te der Kauf­herr ver­gnügt. »Klein ist sie, mehr Kind als Jung­frau, aber mir ge­fällt das zier­li­che, mun­tre Ge­schöpf. Der Sohn des Mu­kau­kas – wie hieß er?«

»Ori­on, Herr«, ent­geg­ne­te der an­de­re.

»Alle Wet­ter«, schmun­zel­te der Alte, »Du hast nicht ge­schmei­chelt, Mann! Ei­nem Jüng­ling wie die­sem ›Orion‹ be­geg­net man nicht alle Tage! Wel­cher Wuchs! Wie die brau­nen Lo­cken ihm ste­hen! Und auch das trifft zu: die­se Art ver­zieht zu­erst die ei­ge­ne Mut­ter, und die an­de­ren Frau­en fol­gen dann ih­rem Bei­spiel. Er hat auch ein of­fe­nes, klu­ges Ge­sicht, hin­ter dem et­was steckt. Hät­te er nur den pur­pur­nen Rock und den gol­de­nen Krims­krams in Kon­stan­ti­no­pel ge­las­sen! Der­glei­chen passt nicht mehr in die­se trau­ri­ge, ver­fal­len­de Stadt.«

Wäh­rend der letz­ten Wor­te trieb der Mem­phit sein Ese­lein wie­der zum Gang an, der Ara­ber hielt ihn in­des­sen zu­rück; denn ihn fes­sel­te, was sich hin­ter der Gar­ten­mau­er zu­trug.

Er sah dort, wie der schö­ne Ori­on ein wei­ßes Hünd­chen, einen Sei­den­spitz von be­son­de­rer Fein­heit, der au­gen­schein­lich ihm ge­hör­te, dem klei­nen Fräu­lein auf den Arm gab, sah, wie sie es küss­te, und ihm einen lan­gen Gras­halm um den Hals schlang, als woll­te sie ihm Maß da­mit neh­men. Dann wur­de der Alte ge­wahr, wie sie bei­de mut­wil­lig lach­ten, wie sie ein­an­der in die Au­gen blick­ten und end­lich Ab­schied nah­men. Da­bei hob sie sich auf den Ze­hen zu ei­nem sel­te­nen Strau­che em­por, an des­sen Spit­ze zwei köst­li­che pur­pur­ne Glo­cken blüh­ten, pflück­te sie rasch, reich­te sie ihm er­rö­tend, und wies die Hand, wo­mit er sie beim Auf­stre­ben zu den Blu­men un­ter­stützt hat­te, mit ei­nem fröh­li­chen Schla­ge von ih­rem Arme zu­rück, und die son­nigs­te Glücks­emp­fin­dung leuch­te­te dem Jüng­ling aus ih­rem fri­schen Ge­sicht­chen ent­ge­gen, wie er die Stel­le, wel­che ihre Fin­ger ge­trof­fen hat­te, küss­te und dann auch die Blu­men mit den Lip­pen be­rühr­te.

Der alte Herr schau­te dem al­len so teil­nahm­voll und hei­ter zu, als er­we­cke es die lieb­lichs­ten Erin­ne­run­gen in sei­nem Ge­mü­te, und sei­ne gu­ten Au­gen lach­ten, als Ori­on, nicht we­ni­ger schalk­haft und fröh­lich als sie, ihr ei­ni­ge Wor­te ins Ohr raun­te, und sie den lan­gen Gras­halm aus dem Gür­tel zog, ihm schnell und als gäl­te es, ihn zu stra­fen, da­mit über das Ge­sicht fuhr und dar­auf flüch­tig wie ein Reh über Ra­sen und Bee­te, ohne sei­ner wie­der­hol­ten Rufe: »Ka­tha­ri­na, al­ler­liebs­te, große Jung­frau Ka­tha­ri­na!« zu ach­ten, dem Palast ent­ge­gen floh.

Das war ein rei­zen­des klei­nes Aben­teu­er ge­we­sen, und der alte Ha­schim hielt es in sei­ner See­le fest und freu­te sich im­mer noch dar­an, als er mit den Sei­nen schon wie­der ein ziem­lich Stück We­ges zu­rück­ge­legt hat­te. Er war Ori­on, dem Sohn des Mu­kau­kas Ge­org, dank­bar für dies lieb­li­che Schau­spiel, und als er das Vier­ge­spann des­sel­ben in lang­sa­mem Tra­be sich der Ka­ra­wa­ne nä­hern hör­te, wand­te er sich nach ihm um und be­hielt es im Auge.

Aber nach­dem die vier Pan­no­nier, der mit man­cher­lei in Sil­ber ge­trie­be­nen Fi­gu­ren be­deck­te Wa­gen und sein Len­ker, die ein Gan­zes von sel­te­ner Schön­heit und bes­tem Ge­schmack bil­de­ten, lang­sam an ihm vor­bei ge­kom­men wa­ren, um dann wind­schnell auf der nun frei­en Stra­ße vor­wärts zu sau­sen und in dich­ten Staub­wol­ken zu ver­schwin­den, hat­te des Kauf­herrn Ant­litz den hei­tern Aus­druck ver­lo­ren, und es lag et­was tief Weh­mü­ti­ges in sei­ner Stim­me, als er ei­nem der jun­gen Ka­mel­trei­ber be­fahl, die Blu­men, wel­che hin­ter ih­nen im Stau­be la­gen, vom Wege auf­zu­le­sen und ihm zu brin­gen.

Er war Zeu­ge ge­we­sen, wie der schö­ne jun­ge Mann mit ei­nem Blick und ei­ner Be­we­gung, als zür­ne er sich selbst, die freund­li­che Gabe auf den hei­ßen Staub der Stra­ße ge­schleu­dert.

»Dein Bru­der hat Recht«, rief nun der Alte dem Mem­phi­ten zu. »Für die­sen jun­gen Mann sind die Frau­en eine ge­fähr­li­che Klip­pe, und er für sie, wie ich fürch­te. Die arme Klei­ne da drü­ben!«

»Das Bach­stelz­chen meinst Du?« frag­te der Füh­rer. »O, mit der könnt’ es doch leicht et­was Ernst­li­ches wer­den! Die lie­ben Müt­ter ma­chen das Ding schon fer­tig. Sie sit­zen bei­de im Gol­de, und wo Tau­ben sind, flie­gen Tau­ben zu. Gott­lob, die Son­ne steht schon über den Py­ra­mi­den! Lass Dei­ne Leu­te in der großen Her­ber­ge dort ein­keh­ren. Der Wirt ist ein red­li­cher Mann, und es fehlt bei ihm auch nicht an Schat­ten!«

»Was die Tie­re und Knech­te an­geht«, ver­setz­te der Kauf­herr, »so mö­gen sie hier ras­ten. Ich, der Ka­ra­wa­nen­füh­rer und ei­ni­ge Leu­te wol­len uns et­was stär­ken, und dann führst Du uns zu dem Statt­hal­ter; ich habe mit ihm zu re­den. Es ist nicht mehr früh …«

»Un­be­sorgt!« ent­geg­ne­te der Ägyp­ter. »Der Mu­kau­kas emp­fängt an so glü­hen­den Ta­gen am liebs­ten nach Son­nen­un­ter­gang. Wenn Du mit ihm zu tun hast, bist Du mit mir an den Rech­ten ge­kom­men. Lass ei­ni­ge Gold­stücke sprin­gen, und ich schaf­fe Dir noch heu­te durch den Haus­meis­ter Se­bek Ge­hör – er ist mein Vet­ter. Wäh­rend ihr hier ras­tet, rei­te ich in die Statt­hal­te­rei und bring’ Dir dann Nach­richt.«

Zweites Kapitel.

Die Her­ber­ge, in wel­che der Kauf­mann Ha­schim mit den Sei­nen ein­zog, lag, rings von Pal­men um­ge­ben, an ei­ner er­höh­ten Stel­le des We­ges. Vor der Zer­stö­rung der heid­nischen Al­ter­tü­mer im Nil­tal war sie ein Tem­pel Im­ho­teps, des ägyp­ti­schen Äs­ku­lap, des freund­li­chen Got­tes der Heil­kun­de, ge­we­sen, wel­cher auch in der To­ten­stadt sei­ne be­son­de­re Ver­eh­rungs­stät­te be­ses­sen. Die­se war halb zer­stört, halb vom Wüs­ten­san­de be­gra­ben wor­den, wäh­rend ein un­ter­neh­men­der Wirt den hüb­schen Im­ho­tep­tem­pel in der Stadt samt dem dazu ge­hö­ren­den hei­li­gen Hain für bil­li­ges Geld an­ge­kauft hat­te. Seit­dem war er von ei­ner Hand in die an­de­re ge­gan­gen, an die mas­siv ge­bau­ten Tem­pel­räu­me hat­te sich ein großes höl­zer­nes Haus für die Auf­nah­me von Rei­sen­den ge­schlos­sen, und in dem Pal­men­hain, wel­cher bis zu dem schlecht er­hal­te­nen Ufer­damm reich­te, er­ho­ben sich Stäl­le und sah man ein­ge­zäun­te Plät­ze für an­ge­trie­be­ne Her­den. So glich das Gan­ze ei­nem Vieh­markt, und in der Tat ka­men die Metz­ger und Ross­käm­me der Stadt gern hie­her, um ih­ren Be­darf zu be­frie­di­gen. Da­ge­gen zog der Pal­men­hain, ei­ner der we­ni­gen, die in der Nähe der Stadt ste­hen ge­blie­ben wa­ren, die Bür­ger von Mem­phis an, um »Lüft­chen zu rie­chen« und sich in sei­nem Schat­ten eine Güte zu tun. Hart am Stro­me hat­te der Wirt Ti­sche und Bän­ke auf­stel­len las­sen, und in dem klei­nen Ha­fen auf sei­nem Grund­stück gab es Boo­te zu mie­ten. Auch wer zu sei­nem Ver­gnü­gen von der Stadt aus Was­ser­fahr­ten mach­te, der leg­te hier gern an und nahm un­ter den Pal­men des Ne­sptah eine Er­fri­schung.

Die bei­den Häu­ser­rei­hen, wel­che die­sen Sam­mel­platz für ver­nünf­ti­ge und un­ver­nünf­ti­ge We­sen frü­her von der Stra­ße ge­trennt und sich nach dem Nil hin ne­ben ihm er­ho­ben hat­ten, wa­ren längst ein­ge­stürzt und von den Wir­ten der Erde gleich ge­macht wor­den. Jetzt sah man un­ter Lei­tung von ara­bi­schen Vög­ten ei­ni­ge hun­dert Ar­bei­ter be­schäf­tigt, eine ge­wal­ti­ge Rui­ne aus der Zeit der pto­le­mäi­schen Kö­ni­ge, die kaum zwei­hun­dert Schrit­te von dem Pal­men­hain ent­fernt lag, ab­zu­tra­gen und die großen, schön be­haue­nen Kalk- und Mar­mor­qua­dern, so­wie die zahl­rei­chen ho­hen Säu­len, wel­che das Dach des Zeu­stem­pels von Mem­phis ge­tra­gen hat­ten, trotz der bren­nen­den Hit­ze des Nach­mit­tags aus Och­sen­kar­ren zu la­den und sie dem Dam­me und von dort aus auf fla­chen Käh­nen dem öst­li­chen Nilufer zu­zu­füh­ren.

Dort er­rich­te­te Amr, der Feld­herr und Stell­ver­tre­ter des Ka­li­fen, sei­ne neue Re­si­denz. Die Tem­pel der al­ten Göt­ter wur­den da­bei als Stein­brü­che be­nützt, und es fan­den sich in ih­nen nicht nur sorg­sam be­haue­ne Werk­stücke vom fes­tes­ten Ge­stein, son­dern auch grie­chi­sche Säu­len je­der Ord­nung in Men­ge, die man jen­seits des Stro­mes nur wie­der aus­zu­stel­len hat­te; denn die Ara­ber ver­schmäh­ten kein Ma­te­ri­al, ja sie ver­wand­ten sorg­los beim Bau ih­rer Got­tes­häu­ser Qua­dern und Säu­len, auch wenn sie aus heid­nischen Tem­peln oder christ­li­chen Kir­chen ka­men.

In dem Her­ber­gen­tem­pel des Im­ho­tep wa­ren Wän­de und De­cken ur­sprüng­lich über und über mit Göt­ter­bil­dern und hie­ro­gly­phi­schen In­schrif­ten be­deckt ge­we­sen; aber der Rauch des Herd­feu­ers hat­te sie längst ge­schwärzt, glau­bens­eif­ri­ge Hän­de wa­ren nicht müde ge­wor­den, sie zu ver­stüm­meln, und über man­che hat­te man Kalk ge­wor­fen und ihn mit christ­li­chen Sym­bo­len oder sehr welt­li­chen Krit­ze­lei­en in grie­chi­scher oder der Volks­schrift der Ägyp­ter be­deckt.

In der frü­he­ren großen Tem­pel­hal­le nahm der Ara­ber mit den Sei­nen die Mahl­zeit ein, und alle ent­hiel­ten sich da­bei des Wei­nes, mit Aus­nah­me des Ka­ra­wa­nen­füh­rers, der kein Mus­lim war, son­dern zu der per­si­schen Sek­te der Mas­da­ki­ten ge­hör­te.

Nach­dem der alte Herr sich an ei­nem be­son­de­ren Tisch­chen ge­sät­tigt, rief er je­nen an und be­fahl ihm, den Bal­len mit dem Tep­pich si­cher, aber leicht ab­lös­bar auf die Sänf­te zwi­schen den bei­den großen Last­ka­me­len zu le­gen.

»Ist schon ge­sche­hen«, ver­setz­te der Per­ser, ein Pracht­mensch, groß und breit wie eine Ei­che, und mit ei­nem Kop­fe, den das blon­de Haupt­haar wie eine Lö­wen­mäh­ne um­wall­te, in­dem er sich den mäch­ti­gen Schnurr­bart wisch­te.

»De­sto bes­ser«, ent­geg­ne­te Ha­schim. »Komm mit mir ins Freie!«

Da­mit ging er dem Mas­da­ki­ten in den Pal­men­hain vor­an.

Das Ta­ges­ge­stirn war hin­ter den Py­ra­mi­den, der To­ten­stadt und der li­by­schen Berg­ket­te zur Rüs­te ge­gan­gen, und sein Wi­der­schein be­mal­te nun den öst­li­chen Him­mel und das nack­te Kalk­ge­bir­ge von Ba­by­lon jen­seits des Stro­mes mit Far­ben von un­be­schreib­lich wech­sel­vol­ler Schön­heit. Es war, als hät­ten alle Ro­sen­ar­ten, die der er­fah­rens­te Gärt­ner in Ar­si­noë oder Nau­kra­tis züch­te­te, von der gold­gel­ben an bis zu der pur­pur­nen und der mit tie­fem vio­lett­li­chem Schwarz­rot ge­sät­tig­ten, die Far­ben her­ge­ge­ben, um die Flä­chen, die Vor­sprün­ge und Schluch­ten des Ge­bir­ges ge­dan­ken­schnell mit zau­ber­haf­ten Tin­ten zu über­gie­ßen.

Dem al­ten Man­ne schwoll die Brust bei die­sen. An­blick, und in­dem er tief auf­at­me­te, leg­te er die zar­te Hand auf den Rie­sen­arm des Per­sers und sag­te: »Euer Meis­ter Mas­dak lehrt, es sei Got­tes Wil­le, dass der eine nicht mehr und nicht we­ni­ger sein ei­gen nen­ne als der an­de­re und dass es we­der Arme noch Rei­che gebe auf Er­den; denn je­der Be­sitz ge­hö­re al­len ge­mein­sam. Nun schau ein­mal mit mir hie­her! Wer dies nicht ge­se­hen, hat gar nichts ge­se­hen; es gibt nichts Schö­ne­res hie­nie­den, und wem ge­hört es? Dem ar­men, ein­fäl­ti­gen Sa­lech dort, den wir aus Gna­de halb nackt den Ka­me­len nachtra­ben las­sen, ist sie so gut zu ei­gen wie Dir und mir und dem Ka­li­fen. Sei­nen großen Wer­ken ge­gen­über hat Gott uns alle so ge­stellt, wie es euer Meis­ter be­gehrt. Wie viel Schö­nes ist doch im all­ge­mei­nen Be­sitz un­se­res Ge­schlechts! Sei­en wir dank­bar da­für, Rus­tem; denn wahr­lich, es ist nicht we­nig. – Das Ei­gen­tum, wel­ches der Mensch er­wirbt oder ver­liert, da­mit ist es frei­lich et­was ganz an­de­res. Auf der glei­chen Renn­bahn ste­hen wir alle, und was ihr be­gehrt, das for­dert nur, dem Schnel­le­ren Blei an die Füße hän­gen, da­mit kei­ner dem an­dern zu­vor­kommt, das wür­de … Aber wei­den wir jetzt lie­ber die Au­gen an der wun­der­vol­len Schön­heit da drü­ben! Sieh nur, was vor­hin wie die­se pur­pur­far­be­ne Glo­cken­blu­me er­schi­en, das wird jetzt zum Ru­bin, was wie Veil­chen schim­mer­te, zum dunklen Ame­thyst. Der gol­de­ne Rand dort an den Wol­ken, der fasst die Ju­we­len zu­sam­men, und das al­les ist mein, ist Dein, ist un­ser, so lan­ge sich Auge und Herz dar­an er­götzt und er­hebt.«

Da lach­te der Mas­da­kit mit ei­nem quell­fri­schen, wohl­tö­nen­den La­chen laut auf und rief: »Ja, Meis­ter, wer Dei­ne Au­gen hät­te! Es sieht frei­lich bunt ge­nug aus dort am Him­mel und an den Ber­gen, und so rote Far­ben hat’s da­heim sel­ten; doch was nützt uns der Zau­ber? Du siehst Ru­bi­nen und Ame­thys­te da oben, aber ich? – Die Ju­we­len in Dei­nem Tep­pich, die be­deu­ten was an­de­res als das lus­ti­ge Ge­fun­kel! Nichts für un­gut, Meis­ter, aber für den Bal­len dort gäb’ ich alle Son­nen­un­ter­gän­ge auf Er­den, und es soll­t’ mich nicht reu­en!« Da­bei lach­te er wie­der hell auf und fuhr fort: »Doch Du, Vä­ter­chen, Du wür­dest Dich hü­ten, den Han­del zu schlie­ßen! – Was uns Mas­da­ki­ten be­trifft, so ist die Zeit für uns noch nicht ge­kom­men!«

»Und wenn sie da wäre, und Du be­kämst den Tep­pich?«

»Dann ver­kauf­te ich ihn und leg­te den Er­lös zu mei­nem Er­spar­ten und gin­ge nach Hau­se und kauf­te mir Land, und nähm’ mir ein hüb­sches Weib und züch­te­te Ka­me­le und Ros­se.«

»Aber über­mor­gen kämen die Ar­men, die nichts zu­rück­ge­legt und kein gu­tes Ge­schäft mit dem Aben­d­ro­te ge­macht ha­ben, und je­der ver­lang­te ein Stück Dei­nes Lan­des, ein Ka­mel und ein Foh­len, Du be­kämest nie wie­der einen herr­li­chen Son­nen­un­ter­gang zu se­hen, und Dein hüb­sches Weib­chen wür­de mit Dir in die Welt zie­hen, um Dir zu hel­fen, mit an­de­ren zu tei­len. Las­sen wir’s nur beim al­ten, mein Rus­tem, und der Höchs­te be­wah­re Dir Dein bra­ves Herz, Du när­ri­scher Qu­er­kopf.«

Da beug­te sich der Rie­se auf den Arm sei­nes Herrn, und wäh­rend er ihn dank­bar küss­te, kehr­te der Frem­den­füh­rer mit lan­gem Ge­sich­te zu­rück; denn er hat­te zu viel ver­spro­chen. Der Mu­kau­kas Ge­org war – ein ganz un­er­hör­tes Er­eig­nis – ge­ra­de als er um Ge­hör für den Ara­ber bit­ten woll­te, in die Gon­del ge­tra­gen wor­den, um mit sei­nem Soh­ne und den Frau­en des Hau­ses eine Was­ser­fahrt zu un­ter­neh­men. – Die Heim­kehr Ori­ons, hat­te der Haus­meis­ter ge­sagt, habe den al­ten Herrn wie ver­jüngt. Ha­schim müs­se nun bis mor­gen war­ten, und er, der Füh­rer, rate ihm, in der Stadt, in der Her­ber­ge des So­stra­tus, wo es an nichts feh­le, zu über­nach­ten.

Aber der Kauf­herr zog es vor, hier zu blei­ben. Der Auf­schub be­küm­mer­te ihn we­nig, zu­mal er oh­ne­hin einen ägyp­ti­schen Arzt we­gen ei­nes al­ten Lei­dens um Rat fra­gen woll­te, und einen tüch­ti­ge­ren und ge­lehr­te­ren als den be­rühm­ten Phil­ip­pus, ver­si­cher­te der Her­me­neut, kön­ne er im gan­zen Lan­de nicht fin­den. Hier drau­ßen sei es ja schön, und von den Bän­ken am Ufer aus las­se sich der Ko­met be­ob­ach­ten, der sich seit ei­ni­gen Ta­gen zei­ge und ge­wiss schlim­me Zei­ten ver­kün­de. Die gan­ze Stadt sei wie ge­lähmt von Be­sorg­nis; das zei­ge sich recht deut­lich hier in der Wirt­schaft des Ne­sptah; denn sonst füll­ten sich, wenn die abend­li­che Küh­lung ein­tre­te, die Ti­sche und Bän­ke un­ter den Pal­men mit Was­ser­fah­rern und Spa­zier­gän­gern, aber jetzt, wer ge­traue sich in die­sen Angst­ta­gen an Ver­gnü­gen zu den­ken?

Da­mit be­stieg er wie­der­um den Esel, um den Arzt zu ru­fen, der alte Ha­schim aber be­gab sich am Arm des Mas­da­ki­ten zu den Bän­ken un­ter den Pal­men und schau­te von dort aus ge­dan­ken­voll zum Ster­nen­him­mel em­por, wäh­rend sein jun­ger Ge­fähr­te von der Hei­mat träum­te und sich dort auch ohne den kost­ba­ren Tep­pich und nur für sein Er­spar­tes Wei­de­land kau­fen, ein Haus bau­en und ein hüb­sches Weib­chen dar­in wal­ten sah. Ob es blond oder braun aus­fal­len wür­de? Blond wär’ ihm lie­ber ge­we­sen.

Aber hier brach sein Lust­schloss zu­sam­men; denn es nä­her­te sich et­was auf dem Nil, das sei­ne Auf­merk­sam­keit an­zog und ihn ver­an­lass­te, auch sei­nen Herrn dar­auf hin­zu­wei­sen.

Vor ih­nen lag der Strom wie ein brei­tes Band von schwar­zem Sil­ber­bro­kat. Der zu­neh­men­de Mond spie­gel­te sich in sei­ner kaum merk­lich be­weg­ten Flä­che, und wo sein Was­ser sich kräu­sel­te, ver­bräm­te er die nied­ri­gen Wel­len­häup­ter mit hell­f­lim­mern­dem Glan­ze. Fle­der­mäu­se schwan­gen sich durch die Nacht­luft von der To­ten­stadt her auf den Nil zu und wieg­ten sich über ihn hin wie vom Win­de be­weg­te leich­te Schat­ten. Nur we­ni­ge drei­e­cki­ge Se­gel schweb­ten wie hel­le Rie­sen­vö­gel über dem dunklen Was­ser, aber von Nor­den, von der Stadt her, nä­her­te sich auf dem Stro­me ein großer Kör­per mit glanz­voll und weit­hin schim­mern­den Lichtau­gen den Pal­men.

»Ein statt­li­ches Boot, ge­wiss das des Mu­kau­kas Ge­org!« sag­te der Kauf­herr, und lang­sam trieb es von der Mit­te des Flus­ses her ge­ra­de auf den Hain zu.

In­zwi­schen hat­te sich auch auf der Land­stra­ße hin­ter der Her­ber­ge Pfer­de­ge­trap­pel ver­neh­men las­sen. Ha­schim schau­te sich um und sah Fa­ckel­trä­ger, wel­che vor ei­nem Wa­gen her­lie­fen.

»Bis hie­her«, sag­te der Alte, »wird der Kran­ke fah­ren und dann, um die Nacht­luft auf dem Was­ser zu ver­mei­den, sich im Wa­gen nach Hau­se be­ge­ben. Selt­sam, da be­geg­ne ich heut’ zum zwei­ten­ma­le sei­nem viel be­spro­che­nen Soh­ne.«

Bald kam die Lust­fahrt­gon­del des Statt­hal­ters den Pal­men nä­her. Es war ein großes, schö­nes Fahr­zeug von Ze­dern­holz mit reich ver­gol­de­tem Zier­rat und dem Bil­de des Jo­han­nes, des Schutz­hei­li­gen der Fa­mi­lie, an der Spit­ze. Der Strah­len­kranz, wel­cher das Haupt die­ser Fi­gur um­gab, war mit Lam­pen be­setzt, und große La­ter­nen er­ho­ben sich ne­ben ihr und am Hin­ter­tei­le des Boo­tes. Dort ruh­te un­ter ei­nem Bal­da­chin der Mu­kau­kas Ge­org und ne­ben ihm sei­ne Gat­tin Ne­fo­ris. Ih­nen ge­gen­über saß ihr Sohn und eine Jung­frau von ho­hem Wuch­se, zu de­ren Fü­ßen ein Kind von zehn Jah­ren kau­er­te und das lieb­li­che Köpf­chen an sie ge­schmiegt hielt. Eine äl­te­re Grie­chin, die Er­zie­he­rin der Klei­nen, saß ne­ben ei­nem sehr großen Man­ne, dem Arz­te Phil­ip­pus, auf ei­nem Pols­ter, das der Bal­da­chin nicht mehr be­schirm­te. Hel­ler Lau­ten­klang be­glei­te­te das Boot, und der­je­ni­ge, wel­cher die Sai­ten kunst­fer­tig schlug, war der jüngst heim­ge­kehr­te Ori­on.

Dies al­les bot einen gar er­freu­li­chen An­blick: das schöns­te Bild ei­ner vor­neh­men, in Lie­be ver­ein­ten Fa­mi­lie. Aber wer war die Jung­frau an der Sei­te des jun­gen Ori­on? Dies­mal wand­te er ihr die gan­ze Auf­merk­sam­keit zu, und wenn er tiefer in die Sai­ten griff, such­te er ihre Au­gen, und es hat­te dann zu­wei­len das An­se­hen, als spie­le er für sie al­lein, und sol­che Aus­zeich­nung schi­en ihr in der Tat zu­zu­kom­men; denn als das Fahr­zeug in den klei­nen Ha­fen ein­fuhr und Ha­schim ihre Züge zu un­ter­schei­den ver­moch­te, war er über­rascht von ih­rer ed­len, echt grie­chi­schen Schön­heit.

Jetzt stie­gen ei­ni­ge reich­ge­klei­de­te Skla­ven, wel­che mit dem Ge­spann auf der Stra­ße ge­kom­men sein muss­ten, auf das Boot, um den kran­ken Herrn in den Wa­gen zu tra­gen, und es zeig­te sich nun, dass der Stuhl, wor­auf der Lei­den­de saß, mit Ar­men ver­se­hen war, wel­che ihn zu he­ben und fort­zu­be­we­gen ge­stat­te­ten. Ein großer Schwar­zer er­griff die­se an der hin­te­ren Sei­te, und wie ein an­de­rer sich an­schick­te, sie an der vor­de­ren zu er­fas­sen, dräng­te ihn Ori­on zu­rück, trat an sei­ne Stel­le, hob den Stuhl und mit ihm den Va­ter auf und trug ihn über die Lan­dungs­brücke, wel­che das Schiff mit dem Ufer ver­band, an Ha­schim vor­über dem Wa­gen zu. Hei­ter und ohne An­stren­gung ver­rich­te­te der jun­ge Mann die Ar­beit des Trä­gers, schau­te sich auch wohl lieb­reich nach dem Va­ter um, rief den an­de­ren Frau­en – nur sei­ne Mut­ter, wel­che den Lei­den­den sorg­lich mit Tü­chern um­hüllt hat­te, und der Arzt folg­ten dem Kran­ken – mun­ter zu, aus­zu­stei­gen und ihn hier zu er­war­ten, und schritt dann im Licht der Fa­ckeln, wel­che ihm vor­an­ge­tra­gen wur­den, wei­ter.

»Ar­mer Mann!« dach­te der Kauf­herr, in­dem er dem sie­chen Mu­kau­kas nach­schau­te. »Aber das Trau­rigs­te und Schwers­te ver­weht leicht wie Ne­bel im Win­de, wenn man einen Sohn be­sitzt, der einen so freund­lich da­hin­trägt.«

Er­klär­lich muss­te er nun fin­den, dass Ori­on da­mals die Blu­men von sich ge­wor­fen; ja, wie die Jung­frau, der das Kind zärt­lich am Arm hing, ans Land trat, sag­te er sich, dass es die klei­ne Toch­ter der rei­chen Wit­we Su­san­na al­ler­dings schwer ha­ben wer­de, ne­ben die­ser ho­hen, kö­nig­li­chen Er­schei­nung das Feld zu be­haup­ten. Welch eine Ge­stalt, welch fürst­li­che Hal­tung hat­te dies Mäd­chen, und wie wohl­lau­tend und lieb­reich klang es, als sie dem Kin­de die Na­men ei­ni­ger Stern­bil­der nann­te und es auf den Ko­me­ten hin­wies, der eben auf­ging.

Ha­schim saß im Dun­keln und konn­te un­ge­se­hen be­ob­ach­ten, was auf der Bank am Ufer, wel­che durch eine der La­ter­nen des Schif­fes be­leuch­tet wor­den war, wei­ter vor­ging, und er freu­te sich der un­er­war­te­ten Zer­streu­ung; denn was den Sohn des Mu­kau­kas an­ging, er­weck­te sei­ne Teil­nah­me und Neu­gier. Es lock­te ihn, sich ein Ur­teil über die­sen un­ge­wöhn­li­chen jun­gen Mann zu bil­den, und der An­blick des schö­nen Mäd­chens dort auf der Bank er­wärm­te sein al­tes Herz. Das Kind muss­te Ma­ria, die En­ke­lin des Statt­hal­ters sein.

Jetzt brach der Wa­gen auf, jetzt braus­te er auf der Stra­ße von dan­nen, und nach ei­ni­ger Zeit kehr­te Ori­on zu den War­ten­den zu­rück.

Ar­mes, rei­ches Töch­ter­chen der Wit­we Su­san­na. Wie so ganz an­ders ver­kehr­te er mit der schö­nen Jung­frau dort, als mit der Klei­nen. Sein Auge hing wie be­rauscht an ih­ren Zü­gen, mit­ten in der Rede stock­te er bis­wei­len, wäh­rend er zu ihr sprach, und das, was er sag­te, muss­te bald ernst und fes­selnd, bald wit­zig sein; denn nicht nur sie, son­dern auch die Er­zie­he­rin der Klei­nen hör­te ihm mit Span­nung zu, und wenn die schö­ne Jung­frau auf­lach­te, so klang es ganz be­son­ders wohl­tö­nend und rein. Es lag et­was so Ho­heit­vol­les in ih­rem We­sen, dass sol­che Äu­ße­rung un­be­fan­ge­ner Hei­ter­keit an ihr über­rasch­te und sich aus­nahm wie der Duft ei­ner präch­ti­gen Blu­me, von der man bis da­hin glaub­te, sie sei nur ge­schaf­fen, um dem Auge wohl­zu­tun und nicht auch den an­de­ren Sin­nen. Und die­je­ni­ge, an wel­che al­les ge­rich­tet war, was Ori­on sag­te, hör­te ihm nicht nur auf­merk­sam, son­dern in ei­ner Wei­se zu, wel­che den Kauf­herrn lehr­te, dass der Er­zäh­ler selbst ihr noch mehr ge­fiel, als was er so leb­haft mit­zu­tei­len wuss­te. Wenn dies Mäd­chen mit dem Statt­hal­ters­soh­ne eins ward, ja das gab ein Paar!

Nun kam die Wir­tin Taus, eine be­hä­bi­ge, tüch­ti­ge Ägyp­te­rin in mitt­le­ren Jah­ren, und trug selbst ihre be­rühm­ten Spritz­ku­chen, die sie eben ei­gen­hän­dig ge­ba­cken, Milch, Trau­ben und Obst auf, und da­bei glänz­ten ihre Au­gen vor Freu­de und ge­schmei­chel­tem Ehr­geiz; denn der Sohn des großen Mu­kau­kas, der Stolz der Stadt, der frü­her gar oft auf Was­ser­fahr­ten mit fröh­li­chen Ge­nos­sen, meist grie­chi­schen Of­fi­zie­ren, die nun alle, alle ge­fal­len oder aus dem Lan­de ver­trie­ben wa­ren, nicht nur um ih­rer Ku­chen wil­len bei ihr vor­ge­spro­chen hat­te, er­wies ihr nun die Ehre, sie so bald nach der Heim­kehr auf­zu­su­chen. Ihre ge­läu­fi­ge Zun­ge stand nicht still, wie sie ihm er­zähl­te, auch sie und ihr Mann sei­en ihm bis zur Ehren­pfor­te beim Me­ne­sto­re ent­ge­gen­ge­zo­gen, und mit ih­nen ihre Emau mit ih­rem Büb­chen. Sie sei näm­lich nun ver­hei­ra­tet, und die­sen ers­ten Klei­nen habe sie »Ori­on« ge­tauft.

Und als der jun­ge Mann dar­auf frag­te, ob die Emau noch im­mer ein so rei­zen­des Ge­schöpf sei und der Mut­ter so ähn­lich sehe wie frü­her, droh­te Frau Taus ihm mit dem Fin­ger und frag­te, in­dem sie auf die Jung­frau wies, ob der fröh­li­che Vo­gel, dem so man­che bei sei­nem Auf­bruch nach­ge­seufzt habe, sich end­lich in den Kä­fig be­ge­ben, und ob die schö­ne Dame dort viel­leicht …

Aber Ori­on schnitt ihr das Wort ab und sag­te, noch sei er sein ei­ge­ner Herr, aber er füh­le schon die Sch­lin­ge am Hal­se. Da wur­de das schö­ne Mäd­chen noch rö­ter als bei der ers­ten Fra­ge der Wir­tin; er aber über­wand schnell die ei­ge­ne Be­fan­gen­heit und ver­si­cher­te mun­ter, das Töch­ter­chen der bra­ven Taus sei eins der hüb­sche­s­ten Kin­der von Mem­phis ge­we­sen und nicht we­ni­ger eif­rig ge­fei­ert wor­den, als die Spritz­ku­chen ih­rer treff­li­chen Mut­ter. Frau Taus möge die jun­ge Frau von ihm grü­ßen.

Da ent­fern­te sich die Wir­tin ge­rührt und ge­schmei­chelt, er aber griff wie­der zur Lau­te, und wäh­rend die an­de­ren sich er­frisch­ten, folg­te er der Auf­for­de­rung der Jung­frau und sang das Lied des Al­kai­os, um wel­ches sie ihn bat, mit wohl­lau­ten­der, aber ge­dämpf­ter Stim­me zur Lau­te, die er meis­ter­lich schlug. Die Au­gen des Mäd­chens hin­gen an sei­nem Mun­de, und er schi­en wie­der­um nur für sie in die Sai­ten zu grei­fen. Als die Zeit zum Auf­bru­che kam und die Frau­en das Schiff be­stie­gen, ging er in die Her­ber­ge, um die Ze­che zu zah­len. Bald kam er al­lein zu­rück, und der Kauf­herr sah, wie er ein Tüch­lein, das die Jung­frau auf dem Ti­sche lie­gen ge­las­sen, auf­nahm und es schnell an die Lip­pen zog, wäh­rend er dem Boo­te zu­schritt.

Den präch­ti­gen ro­ten Blu­men war es heu­te mor­gen we­ni­ger freund­lich er­gan­gen. Dem Mäd­chen dort auf dem Was­ser ge­hör­te das Herz des jun­gen Man­nes. Sei­ne Schwes­ter konnt’ es nicht sein; aber wie hing es mit ihm zu­sam­men?

Der Kauf­herr soll­te es bald er­fah­ren; denn der Füh­rer kehr­te zu­rück und gab ihm Aus­kunft. – Es war Pau­la, die Toch­ter des Tho­mas, des weit be­rühm­ten grie­chi­schen Feld­herrn, der die Stadt Da­mas­kus so aus­dau­ernd und tap­fer ge­gen die Kriegs­macht des Is­lam ver­tei­digt hat­te. Sie war die Nich­te des Mu­kau­kas Ge­org; aber nur mä­ßig be­gü­tert, eine Ver­wand­te des Hau­ses, die man nach dem Ver­schwin­den ih­res Va­ters – denn auch sei­ne Lei­che hat­te man nicht ge­fun­den – in der Statt­hal­te­rei aus Gna­de und Barm­her­zig­keit auf­ge­nom­men: eine Mel­chi­tin. Der Her­me­neut war ihr schon des­we­gen we­nig ge­wo­gen, und wenn er auch ge­gen ihre Schön­heit nichts ein­zu­wen­den hat­te, so woll­te er doch wis­sen, dass sie stolz und hoch­fah­rend sei und kei­nes Men­schen Lie­be zu er­wer­ben ver­ste­he; nur das Kind, die klei­ne Ma­ria, hän­ge wohl an ihr. Ein öf­fent­li­ches Ge­heim­nis sei es, dass so­gar die Gat­tin ih­res Oheims, die bra­ve Ne­fo­ris, die stol­ze Nich­te nicht möge und sie nur dul­de dem kran­ken Mann zu ge­fal­len. Was hat­te die Mel­chi­tin auch zu Mem­phis in ei­nem gut ja­ko­bi­ti­schen Hau­se zu su­chen? Je­des Wort des Füh­rers at­me­te jene Ab­nei­gung, die von nied­rig ste­hen­den und ge­sinn­ten Men­schen so leicht den­je­ni­gen zu teil wird, wel­che die Güte der ei­ge­nen Wohl­tä­ter ge­nie­ßen.

Aber die schö­ne, ho­heit­vol­le Toch­ter ei­nes großen Man­nes hat­te das alte Herz des Kauf­herrn ge­won­nen, und sein Ur­teil blieb durch das des Mem­phi­ten ganz un­be­ein­flusst. Es soll­te auch bald Be­stä­ti­gung fin­den; denn der Arzt Phil­ip­pus, den der Füh­rer ge­ru­fen, ein täg­li­cher Be­su­cher der Statt­hal­te­rei, des­sen ge­die­ge­nes We­sen dem Ara­ber das größ­te Zu­trau­en ein­flö­ßte, nann­te Pau­la ein so herr­li­ches Ge­schöpf, wie es der Him­mel in sei­nen bes­ten Stun­den nur sel­ten schaf­fe. Doch der da oben schei­ne sein ei­ge­nes Meis­ter­werk ver­ges­sen zu ha­ben; denn seit Jah­ren sei ihr Da­sein grau­sam ge­trübt.

Dem al­ten Herrn konn­te der Arzt Lin­de­rung der Schmer­zen ver­spre­chen; über­haupt sag­ten bei­de ein­an­der so wohl zu, dass sie sich erst in spä­ter Nacht­stun­de als gute Freun­de trenn­ten.

Drittes Kapitel.

Das Boot des Mu­kau­kas glitt in­des­sen, von kräf­ti­gen Ru­der­schlä­gen ge­trie­ben, ru­hig dem Lau­fe des Stro­mes ent­ge­gen. Es ward dar­in bald ge­flüs­tert, bald ge­sun­gen. Die klei­ne Ma­ria war an der Brust Pau­las ent­schlum­mert, die grie­chi­sche Er­zie­he­rin blick­te bald nach dem Ko­me­ten, der sie be­ängs­tig­te, bald auf Ori­on, des­sen Schön­heit ihr al­tern­des Herz ent­zück­te, bald auf die Jung­frau, der sie nicht gönn­te, von die­sem Lieb­ling der Göt­ter so be­vor­zugt zu wer­den. Es war eine köst­li­che, war­me, stil­le Nacht, und das Mond­licht, wel­ches das Meer zwingt, flu­tend zu wach­sen, lässt auch die wo­gen­den Ge­füh­le in der Men­schen­brust stei­gen und schwel­len. Was Pau­la for­der­te, das sang Ori­on, als sei nichts ihm fremd, was auf der Lei­er ei­nes grie­chi­schen Dich­ters die nun hin­ab­ge­sun­ke­ne Welt je­mals ent­zückt, und je län­ger sie fuh­ren, de­sto hel­ler und schö­ner klang sei­ne Stim­me, de­sto schmel­zen­der und be­stri­cken­der ward ihr Aus­druck, mit de­sto feu­ri­ge­rem Wer­ben wand­te sie sich an das Herz des Mäd­chens; und so gab Pau­la sich dem sü­ßen Zau­ber ge­fan­gen, und wenn er die Lau­te senk­te und sie lei­se frag­te, ob sein Va­ter­land nicht schön sei in sol­cher Nacht, wel­ches Lied ihr das liebs­te, ob sie ahne, was es für ihn be­deu­te, im Hau­se der Sei­nen sie ge­fun­den zu ha­ben, ließ auch sie sich hin­rei­ßen, ihm im Flüs­ter­ton Ant­wort zu ge­ben.

Un­ter den dich­ten Baum­kro­nen des schlum­mern­den Gar­tens zog er ihre Hand an die Lip­pen, und sie ließ es be­bend ge­sche­hen. – Schwe­re, schwe­re Jah­re la­gen hin­ter ihr. Des Arz­tes Auss­pruch war nur zu wahr ge­we­sen. Har­ten Schick­sals­schlä­gen war für sie, die stol­ze Toch­ter ei­nes großen Va­ters, eine Rei­he von pei­ni­gen­den De­mü­ti­gun­gen ge­folgt. Das Le­ben der aus Mild­her­zig­keit im rei­chen Hau­se auf­ge­nom­me­nen, wenn auch nicht ar­men, so doch ver­las­se­nen An­ver­wand­ten war längst zu ei­nem schwe­ren Dor­nen­pfad für sie ge­wor­den, aber vor­ges­tern hat­te sich das al­les ge­än­dert. Ori­on war ja da! Wie ein schö­nes Schick­sals­ge­schenk hat­ten Haus und Stadt sei­ne Heim­kehr ge­fei­ert, und auch ihr war ein rei­cher An­teil dar­an zu­ge­fal­len. Nicht wie die ver­las­se­ne Ver­wand­te, son­dern wie das herr­li­che, vor­neh­me Weib, das sie war, hat­te er sie be­grüßt. Son­nen­schein ging aus von sei­nem We­sen, und der drang ihr mit­ten ins Herz und ließ sie das Haupt wie­der auf­rich­ten wie eine Blu­me, die man wie­der un­ter den frei­en Him­mel stellt, nach­dem ihr Licht und Luft lang ent­zo­gen. Sein fri­scher Geist und fro­her Le­bens­mut er­quick­ten ihr Herz und Sinn, die Be­ach­tung, die er ihr schenk­te, stärk­te ihr ge­sun­ke­nes Selbst­ver­trau­en und er­füll­te ihre See­le mit war­mem Dank. Ach, und wie köst­lich schi­en es ihr, sich dank­bar, in­nig dank­bar füh­len zu dür­fen! Und dann, dann war der heu­ti­ge Abend ge­kom­men, der schöns­te, herr­lichs­te, den sie seit Jah­ren ge­nos­sen. Er hat­te sie wie­der ge­lehrt, was sie bei­na­he ver­ges­sen, dass sie noch jung, dass sie noch sei, dass sie das Recht be­sit­ze, glück­lich zu sein, Ent­zücken zu emp­fin­den und zu er­we­cken, viel­leicht so­gar zu lie­ben und wie­der ge­liebt zu wer­den.

Sein Kuss brann­te noch auf ih­rer Rech­ten, wie sie das küh­le Zim­mer be­trat, wo Frau Ne­fo­ris hin­ter ih­rem Spinn­ro­cken ne­ben dem La­ger ih­res kran­ken Gat­ten, der sich im­mer in spä­ter Stun­de zur Ruhe be­gab, der Heim­keh­ren­den harr­te. Mit über­vol­lem Her­zen drück­te Pau­la die Lip­pen auf die Hand des Oheims, des Va­ters Ori­ons, – durf­te sie sa­gen »ih­res« Ori­on? Dann küss­te sie – wie lan­ge war dies nicht ge­sche­hen! – auch ihre Base, sei­ne Mut­ter, wäh­rend sie ihr mit der klei­nen Ma­ria eine gute Nacht wünsch­te; Ne­fo­ris aber nahm ih­ren Kuss kühl und ver­wun­dert hin und blick­te nur for­schend auf sie und ih­ren Sohn. Ge­wiss ka­men ihr da­bei man­cher­lei Ge­dan­ken, doch hielt sie es für an­ge­mes­sen, ih­nen fürs ers­te kei­nen Aus­druck zu ge­ben. Als habe sich nichts Be­son­de­res er­eig­net, ließ sie die Mäd­chen sich ent­fer­nen, über­wach­te sie die Leu­te, wel­che ih­ren Ge­mahl in das Schlaf­zim­mer tru­gen, gab sie ihm die wei­ßen Kü­gel­chen, de­ren er, um zu schla­fen, be­durf­te, schob sie ihm mit un­er­müd­li­cher Sorg­falt die Kis­sen so lan­ge zu­recht, bis ihm sei­ne Lage be­hag­te. Dann erst, und nach­dem sie sich über­zeugt hat­te, dass ein Die­ner im Ne­ben­zim­mer wa­che, ver­ließ sie ihn und such­te – es lag Ge­fahr im Ver­zug – ih­ren Sohn auf.

Die große, star­ke, et­was schwer­fäl­li­ge Frau war in ih­rer Ju­gend ein statt­li­ches, schlan­kes Mäd­chen, eine vor­neh­me Er­schei­nung, ihr et­was nüch­ter­nes und un­be­weg­li­ches Ant­litz da­ge­gen nie her­vor­ra­gend schön ge­we­sen. Aber die Jah­re hat­ten ihm we­nig an­ge­tan, und es war jetzt ein hüb­sches, vol­les, küh­les Ma­tro­nen­ge­sicht ge­wor­den, das bei lang­jäh­ri­ger, auf­op­fern­der Kran­ken­pfle­ge die Far­be ver­lo­ren. Ihre Ge­burt und Stel­lung ver­lie­hen ihr et­was Si­che­res und Selbst­be­wuss­tes, doch lag nichts Ge­win­nen­des, An­zie­hen­des in ih­rem We­sen. An­der­manns Leid und Freud war nicht das ihre, aber sie konn­te sich dar­um doch bis zur Auf­op­fe­rung mü­hen und pla­gen, und ihr Herz war fä­hig, sich für an­de­re bis zu lei­den­schaft­li­cher Glut zu er­hit­zen. Frei­lich muss­ten die­se an­de­ren ihre nächs­ten An­ge­hö­ri­gen sein, und nur die­se. So war denn eine treue­re, sorg­fäl­ti­ge­re Gat­tin und zärt­li­che­re Mut­ter schwer zu fin­den, aber woll­te man das, was an Lie­be in ihr leb­te, mit ei­nem Gestirn ver­glei­chen, so reich­ten sei­ne kur­z­en Strah­len nicht über ihre al­ler­nächs­ten Bluts­freun­de hin­aus, und die­se emp­fan­den es bil­li­ger­wei­se dank­bar als et­was Be­son­de­res und Be­glücken­des, in dem en­gen Lie­bes­kreis die­ser un­frei­ge­bi­gen See­le Auf­nah­me ge­fun­den zu ha­ben.

Jetzt poch­te sie an Ori­ons Wohn­zim­mer, und er be­grüß­te den spä­ten Be­such mit Über­ra­schung und Freu­de. Sie kam, um Wich­ti­ges mit ihm zu be­spre­chen, und tat es schon jetzt, weil Pau­las und ih­res Soh­nes Be­neh­men von vor­hin sie zur Eile zwang. Es war zwi­schen die­sen bei­den et­was vor­ge­gan­gen, und die Nich­te ih­res Gat­ten stand weit au­ßer­halb des en­gen Ge­bie­tes ih­rer Lie­be.

Es las­se sie nicht schla­fen, lei­te­te sie ihre An­re­de ein. Sie habe einen Wunsch auf dem Her­zen, und der Va­ter tei­le den­sel­ben. Ori­on wis­se wohl, was sie mei­ne; sie habe ja schon ges­tern mit ihm dar­über ge­re­det. Der Va­ter sei ihm lieb­reich ent­ge­gen­ge­kom­men, habe sei­ne Schul­den gern und ohne ein ta­deln­des Wort be­zahlt, und nun sei es an ihm, einen Strich über das alte, un­ge­bun­de­ne Le­ben zu ma­chen und einen ei­ge­nen Haus­stand zu grün­den. Die Braut, er wis­se es ja, sei ge­fun­den. »Vor­hin«, sag­te sie, »ist Su­san­na bei uns ge­we­sen. Du, Bö­se­wicht, sie ge­steht es selbst, hast ih­rer Ka­tha­ri­na heu­te mor­gen das Köpf­chen völ­lig ver­dreht!«

»Lei­der«, un­ter­brach er sie ver­drieß­lich. »Dies Schön­tun mit den Wei­bern ist mir ge­ra­de­zu zur Ge­wohn­heit ge­wor­den; aber es soll von nun ab aus da­mit sein. ’s ist mei­ner nicht mehr wür­dig, und jetzt, lie­be Mut­ter, jetzt fühl’ ich …«

»Dass der Ernst des Le­bens be­ginnt«, stimm­te Ne­fo­ris ein. »Eben da­hin zielt auch der Wunsch, der mich zu Dir führt. Du kennst ihn, und ich wüss­te nicht, was Du da­ge­gen ein­wen­den soll­test. Kurz und gut, lass mich mor­gen die Sa­che mit Frau Su­san­na ins rei­ne brin­gen. Ih­rer Toch­ter Nei­gung bist Du ge­wiss, sie ist die reichs­te Er­bin im Lan­de, gut er­zo­gen, und, ich wie­der­ho­le es, sie hat Dir ihr Herz­chen ge­schenkt.«

»Und sie mag es be­hal­ten!« lach­te Ori­on.

Da rief die Mut­ter er­regt: »Ich bit­te Dich, Dei­ne Hei­ter­keit für pas­sen­de­re Zei­ten und ko­mi­sche Din­ge zu spa­ren – ich mein’ es sehr ernst, wenn ich sage: Das Mäd­chen ist lieb und gut und soll Dir, so Gott will, eine treue, zärt­li­che Gat­tin wer­den. Oder hast Du etwa das ei­ge­ne Herz in Kon­stan­ti­no­pel ge­las­sen? Soll­te Dich die schö­ne Ver­wand­te des Se­na­tors Jus­ti­nus … Aber Tor­heit! Du set­zest doch wohl selbst kaum vor­aus, dass wir die­se flat­te­ri­ge Grie­chin …«

Da um­fass­te sie Ori­on und rief zärt­lich: »Nein, Müt­ter­chen, nein! Kon­stan­ti­no­pel liegt weit, weit hin­ter mir in grau­en Ne­beln, jen­seits der äu­ßers­ten Thu­le; aber hier, hier, ganz nah’, im Va­ter­haus hab’ ich et­was viel Schö­ne­res und Voll­kom­me­ne­res ge­fun­den, als den Leu­ten am Bos­po­rus je ge­zeigt wor­den ist. Die Klei­ne passt nicht für einen Sohn un­se­res großen, breit­schul­te­ri­gen Stam­mes. Auch un­se­re künf­ti­gen Ge­schlech­ter sol­len das ge­mei­ne Volk an Höhe in je­der Be­zie­hung stolz über­ra­gen, und ich will kein Spiel­zeug zur Gat­tin, son­dern ein Weib, wie Du es selbst in Dei­ner Ju­gend ge­we­sen, ein ho­hes, vor­neh­mes, schö­nes. Zu kei­ner Zaun­kö­ni­gin, zu ei­ner wahr­haft kö­nig­li­chen Jung­frau zieht mich das Herz. Was braucht’s da noch vie­ler Wor­te! Pau­la, die herr­li­che Toch­ter des ed­len Tho­mas, sie hab’ ich ge­wählt! Vor­hin ist es mir auf­ge­gan­gen wie eine Of­fen­ba­rung; für den Bund mit ihr bit­t’ ich um eu­ren Se­gen!«

Bis da­hin hat­te Frau Ne­fo­ris den Sohn re­den las­sen. Was sie ver­neh­men zu müs­sen ge­fürch­tet, frei und keck hat­te er ih­r’s zu hö­ren ge­ge­ben. Und wie lang war es ihr ge­lun­gen, an sich zu hal­ten! Jetzt aber war ihre Selbst­be­herr­schung zu Ende. Zit­ternd vor Auf­re­gung schnitt sie ihm das Wort ab und rief mit hoch­geröte­ten Wan­gen: »Nicht wei­ter, nicht wei­ter! Ver­hü­te der Him­mel, dass das, was ich da mit an­hö­ren muss­te, et­was an­de­res ist als ein flüch­ti­ger, när­ri­scher Ein­fall! Hast Du denn ganz ver­ges­sen, wer und was wir sind? Weißt Du nicht mehr, dass es Glau­bens­ge­nos­sen der Mel­chi­tin wa­ren, die Dir Dei­ne bei­den lie­ben Brü­der, uns zwei blü­hen­de Söh­ne er­schlu­gen? Was gel­ten wir un­ter den Grie­chen, den Or­tho­do­xen! Aber un­ter den Ägyp­tern, un­ter al­len, wel­che der se­lig­ma­chen­den Leh­re des Eu­ty­ches an­hän­gen, un­ter den Mo­no­phy­si­ten sind wir die ers­ten und wol­len es blei­ben und un­ser Ohr und Herz den Ket­zern und ih­rem Irr­glau­ben ver­schlie­ßen! Ein En­kel des Men­as, ein Bru­der zwei­er Mär­ty­rer für un­ser er­ha­be­nes Be­kennt­nis ver­mählt mit ei­ner Mel­chi­tin! Tem­pel­schän­de­risch, got­tes­läs­ter­lich ist die­ser Ge­dan­ke; ich fin­de da­für kei­ne mil­de­ren Wor­te! Be­vor ich, ehe der Va­ter dem nach­gibt, wol­len wir kin­der­los en­den! Und die­ser Her­ge­l­auf­nen wil­len, die nichts be­sitzt als ih­ren Bet­tel­stolz und die zu­sam­men­ge­scharr­ten Res­te ei­nes Ver­mö­gens, das nie mit dem un­se­ren zu ver­glei­chen ge­we­sen, für die­se Un­dank­ba­re, die sich schwer be­zwingt, mir, ih­rer Wohl­tä­te­rin, Dei­ner Mut­ter – bei Gott, ich rede die Wahr­heit – auch nur den ›gu­ten Mor­gen‹ zu bie­ten, wo­mit ich selbst die Skla­ven freund­lich be­grü­ße, um ih­ret­wil­len soll ich, sol­len wir El­tern den Sohn ver­lie­ren, den ein­zi­gen, den der gnä­di­ge Him­mel uns noch zu un­se­rer Freu­de ge­las­sen? Nein, nein, nein! Das sei fer­ne! Und Du, Ori­on, mein Her­zens­jun­ge, Du bist Dein Le­ben lang ein ver­we­ge­ner Bur­sche ge­we­sen, aber den ver­ruch­ten Mut fin­dest Du doch nicht, die­ser kal­ten Schö­nen zu lie­be – in zwei Ta­gen hast Du sie ei­ni­ge Stun­den ge­se­hen – Dei­ne alte Mut­ter, die Dich vier­und­zwan­zig Jah­re lang zärt­lich am Her­zen ge­hal­ten, zu Tode zu be­trü­ben, und dem Va­ter, des­sen Tage ge­zählt sind, den kur­z­en Le­bens­rest zu ver­gif­ten. Den Mut, Du mein Herz­blatt, den fin­dest Du nicht, nein, den kannst Du nicht fin­den! Und fin­dest Du ihn den­noch in ei­ner ver­fluch­ten Stun­de, fin­dest Du ihn, dann – ich bin Dir Dein Le­ben lang eine zärt­li­che Mut­ter ge­we­sen – dann – so wahr Gott mir und dem Va­ter bei­ste­hen soll in un­se­rer letz­ten Stun­de, dann rei­ße ich die Lie­be zu Dir aus der See­le wie ein schäd­li­ches Gift­kraut, dann wür­de ich, und wenn mir das Herz da­bei brä­che …«

Da zog Ori­on die tief er­reg­te Frau, wel­che sich längst sei­nen Ar­men ent­zo­gen, wie­der an sich, leg­te ihr die Hand leicht an den Mund, küss­te ihr bei­de Au­gen und flüs­ter­te ihr ins Ohr:

»Er hat ja den Mut nicht und fin­det ihn auch schwer­lich im Le­ben.« Dann fass­te er ihre bei­den Hän­de, schau­te ihr of­fen ins Ant­litz und rief: »Brrr! So angst wie bei die­sen Dro­hun­gen ist Dei­nem Wa­ge­hal­se noch nie zu Mut ge­we­sen. Aber was wa­ren das auch für gräss­li­che Wor­te, und noch är­ge­re la­gen Dir schon auf der Zun­ge! Mut­ter, Mut­ter Ne­fo­ris! Dein Name be­deu­tet die Gute, aber wie böse, wie bit­ter­bö­se kannst Du doch sein!«

Da­mit zog er die ge­lieb­te Frau fes­ter an sich, küss­te ihr in ei­ner über­mü­ti­gen An­wand­lung, die ihn nach der Er­schüt­te­rung, die er er­fah­ren, wie ein Rück­schlag über­fiel, Haar und Schlä­fen und Wan­gen rasch hin­ter ein­an­der, und als sie ihn ver­ließ, hat­te er ihr ge­stat­tet, für ihn um die klei­ne Ka­tha­ri­na zu wer­ben, und da­für das Ver­spre­chen ein­ge­tauscht, dass dies noch nicht mor­gen, son­dern frü­he­s­tens über­mor­gen ge­sche­hen sol­le. Die­ser Auf­schub kam ihm schon wie eine Er­run­gen­schaft vor, und als er mit sich al­lein war und über­dach­te, was er da ge­tan und der Mut­ter be­wil­ligt hat­te, blu­te­te ihm zwar das Herz aus Wun­den, de­ren Tie­fe er selbst noch nicht er­maß, aber er freu­te sich den­noch, Pau­la noch nicht fes­ter an sich ge­bun­den zu ha­ben. Sei­ne Au­gen hat­ten ihr man­cher­lei er­zählt, aber das Wort »Lie­be« war noch nicht über sei­ne Lip­pen ge­kom­men, und dar­auf kam es doch an. Ei­nen Hand­kuss ei­ner schö­nen Ver­wand­ten zu ge­ben, war dem Vet­ter si­cher ge­stat­tet. Be­geh­rens­wert, o, wie be­geh­rens­wert war sie und blieb sie, aber um ei­nes Mäd­chens wil­len, und wär’ es Aphro­di­te selbst oder eine der Mu­sen oder Cha­ri­tin­nen ge­we­sen, mit den El­tern bre­chen, das war ja un­denk­bar! Schö­ne Frau­en gab es für ihn zu Tau­sen­den auf Er­den, aber nur eine Mut­ter, und wie oft hat­te sein Herz schon schnel­ler ge­schla­gen, sich ein an­de­res er­obert, des­sen Ga­ben fröh­lich ge­nos­sen und sich dann wie­der leicht und wil­lig be­ru­higt.

Dies­mal schi­en er frei­lich tiefer er­grif­fen zu sein als in frü­he­ren Fäl­len, und selbst die schö­ne per­si­sche Skla­vin, um de­rent­wil­len er, kaum der Schu­le ent­wach­sen, große Tor­hei­ten be­gan­gen, und die rei­zen­de He­lio­do­ra in Kon­stan­ti­no­pel, der er noch ein An­den­ken schul­de­te, hat­ten so nicht auf ihn ge­wirkt. Die­se Pau­la auf­zu­ge­ben war schwer, aber es ging doch nicht an­ders! Mor­gen muss­te er ver­su­chen, auf einen freund­schaft­li­chen, ge­schwis­ter­li­chen Fuß mit ihr zu ge­lan­gen; denn dass sie sich wie die sanf­te He­lio­do­ra, die ihr ja im Ran­ge gleich stand, mit sei­ner »Lie­be« zu­frie­den ge­ben wer­de, dar­auf durf­te er nicht hof­fen. Schön, un­ver­gleich­lich schön wär’ es doch ge­we­sen, an der Sei­te die­ses herr­li­chen Wei­bes durchs Le­ben zu flie­gen! Fuhr er mit ihr durch die Haupt­stadt, so war er si­cher, dass alle Welt still­ste­hen und sich nach ih­nen um­schau­en muss­te. Und wenn sie ihn lieb­te, und sie öff­ne­te ihm zärt­lich die Arme … O, o, warum hat­te das tücki­sche Schick­sal sie zu ei­ner Mel­chi­tin ge­macht?! Und dann: lei­der, lei­der konnt’ es auch mit ih­rem in­ne­ren We­sen nicht son­der­lich gut be­schaf­fen sein; hät­te es ihr denn sonst nicht ge­lin­gen müs­sen, sich in zwei Jah­ren statt der Ab­nei­gung die Lie­be sei­ner treff­li­chen, zärt­li­chen Mut­ter zu er­wer­ben? Ja, am Ende war es doch gut so, wie es ge­kom­men; aber Pau­las Bild ließ den­noch nicht von ihm und verd­arb ihm den Schlaf, und sein Ver­lan­gen nach ih­rem Be­sitz kam nicht zur Ruhe.

In­des­sen be­gab sich Frau Ne­fo­ris nicht so­gleich zu ih­rem Gat­ten zu­rück, son­dern zu Pau­la. Die­se An­ge­le­gen­heit muss­te noch heu­te nach al­len Sei­ten hin zum Ab­schluss ge­lan­gen! Hät­te ihr Sieg dem Kran­ken un­ge­trüb­te Freu­de zu be­rei­ten ver­spro­chen, so wäre sie mit der Freu­den­bot­schaft zu ihm ge­eilt; denn sie kann­te nichts Hö­he­res als ihm einen gu­ten Au­gen­blick zu be­rei­ten, aber der Mu­kau­kas hat­te ih­rer Wahl nur wi­der­wil­lig zu­ge­stimmt; denn auch ihm er­schi­en Ka­tha­ri­na zu klein und kin­disch für den großen Sohn, des­sen geis­ti­ge Rei­fe ihm bei man­cher län­ge­ren Un­ter­re­dung, die er nach sei­ner Heim­kehr mit ihm ge­pflo­gen, zur Freu­de sei­nes Va­ter­her­zens un­leug­bar und be­deu­tend vor die See­le ge­tre­ten war.