Die Pest zu London - Ein Bericht vom Pestjahr - Daniel Defoe - E-Book

Die Pest zu London - Ein Bericht vom Pestjahr E-Book

Daniel Defoe

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Beschreibung

Der Klassiker der Seuchenliteratur in neuer Übersetzung. In den Jahren 1665 und 1666 erlebte das südliche England eine der letzten großen Pestepidemien Europas. Allein in London forderte diese rund 70.000 Todesopfer, was etwa einem Fünftel der Stadtbevölkerung entsprach. Daniel Defoe, der bekannte Autor des "Robinson Crusoe", war zur Zeit des Seuchenausbruchs gerade einmal fünf Jahre alt, wurde jedoch anlässlich der im Jahre 1720 in Marseille grassierenden Pest dazu bewegt, ein Werk über die Große Pest von London zu verfassen. Um eine realistisch wirkende Chronik der Ereignisse zu erstellen, stützte er sich dabei nicht nur auf bloße Zahlen, sondern griff die Erinnerungen Überlebender auf, und setzte außerdem einen fiktiven Ich-Erzähler ein: einen Londoner Kaufmann, der während des gesamten Pestlaufs in London verweilte. Ungekürzte Ausgabe.

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Ungekürzte Übersetzung nach der englischen Erstausgabe von 1722

DIE PEST ZU LONDON

Ein Bericht vom Pestjahr

Beobachtungen oder Erinnerungen der bemerkenswertesten öffentlichen und privaten Ereignisse, die während der letzten großen Heimsuchung im Jahre 1665 in London stattfanden. Geschrieben von einem Bürger, der die ganze Zeit über in London weilte.

ES war etwa zu Beginn des Jahres 1664, als ich und auch meine Nachbarn im gewöhnlichen Gespräch hörten, daß die Pest wieder nach Holland zurückgekehrt war; denn sie hatte dort und besonders in Amsterdam und Rotterdam im Jahre 1663 sehr gewütet. Dorthin war sie, wie es hieß, – einige sagten aus Italien, andere aus der Levante –, unter einigen Waren, die ihre türkische Flotte geladen hatte, gebracht worden. Andere sagten, sie sei von Kreta her eingeschleppt worden, und wieder andere, daß sie aus Zypern kam. Es war unwichtig, woher sie kam; darin aber waren sich alle einig, daß sie wieder nach Holland gekommen war.

Wir hatten in jenen Tagen keine gedruckten Zeitungen, um Gerüchte und Berichte über Dinge zu verbreiten, worauf sie durch die Phantasie der Leute ausgeschmückt werden konnten, wie ich es seither erlebt habe. Solche Dinge wurden vielmehr aus den Briefen von Kaufleuten und anderen, die vom Ausland aus korrespondierten, zusammengetragen und darauf nur mündlich weitergegeben, so daß sich die Dinge nicht sofort im ganzen Land verbreiteten, wie sie es heute tun. Es scheint jedoch, daß die Regierung gut darüber unterrichtet war, und es wurden mehrere Sitzungen abgehalten, um ein Übergreifen der Seuche zu verhindern, aber alles wurde sehr geheim gehalten. So kam es, daß dieses Gerücht wieder verstummte und wir begannen, es als eine Sache zu vergessen, an der wir sehr wenig Interesse hatten, und von der wir hofften, daß sie nicht wahr wäre – bis Ende November oder Anfang Dezember 1664 zwei Männer, angeblich Franzosen, in Long Acre oder besser gesagt am oberen Ende der Drury Lane, an der Pest starben. Die Familie, bei der sie wohnten, bemühte sich, es so weit wie möglich zu verheimlichen, aber da die Kunde im Geschwätz der Nachbarschaft etwas an Fahrt aufgenommen hatte, erfuhren die Staatssekretäre davon; und um die Wahrheit darüber zu erfahren, wurden zwei Ärzte und ein Wundarzt angewiesen, zum Haus zu gehen und Untersuchungen durchzuführen, um sich Gewißheit zu verschaffen. Dies taten sie; und da sie an beiden Leichen offensichtliche Anzeichen der Krankheit fanden, gaben sie öffentlich ihre Meinung kund, daß sie an der Pest gestorben wären. Daraufhin wurde es dem Kirchspielschreiber übergeben, und der wiederum gab es an die Obrigkeit weiter; und es wurde in der üblichen Weise im wöchentlichen Sterberegister wie folgt gedruckt:

Pest: 2, infizierte Kirchspiele: 1.

Die Menschen zeigten sich darüber sehr bestürzt und gerieten in der ganzen Stadt in Aufregung, und dies um so mehr, als in der letzten Dezemberwoche 1664 ein weiterer Mann im selben Haus und an derselben Seuche starb. Und dann waren wir wieder ungefähr sechs Wochen lang ruhig, denn da keiner mit irgendwelchen Anzeichen einer Ansteckung gestorben war, dachte jeder, daß die Seuche fort wäre; aber dann, ich glaube, es war ungefähr am 12. Februar, starb noch jemand in einem anderen Haus, aber im gleichen Kirchspiel und auf dieselbe Weise.

Nun richtete sich die Aufmerksamkeit der Leute auf jenen Teil der Stadt, und die wöchentlichen Register, die eine ungewöhnliche Zunahme der Bestattungen im Kirchspiel von St. Giles zeigten, ließ sie vermuten, daß die Pest unter den Menschen an diesem Ende der Stadt weilte, und daß viele daran gestorben wären, obwohl man sich bemüht hatte, es so weit wie möglich von den Augen und Ohren der Öffentlichkeit fernzuhalten. Dies bereitete den Leuten viel Kopfzerbrechen, und nur wenige wagten es, durch die Drury Lane oder die anderen verdächtigen Straßen zu gehen, es sei denn, sie hatten außergewöhnliche Geschäfte, die sie dazu zwangen.

Mit der Zunahme in den Sterblichkeitsregistern verhielt es sich folgendermaßen: Die übliche Anzahl von Bestattungen pro Woche in den Kirchspielen St. Giles-in-the-Fields und St. Andrews, Holborn, betrug jeweils zwölf bis siebzehn oder neunzehn, mit wenigen mehr oder weniger. Aber seit dem Ausbruch der Pest im Kirchspiel von St. Giles wurde festgestellt, daß die Zahl der gewöhnlichen Bestattungen erheblich zunahm. Zum Beispiel: —

Vom 27. Dez. bis zum 3. Jan., St. Giles 16

St. Andrews 17

3. Jan. bis 10. Jan., St. Giles 12

St. Andrews 25

10. Jan. bis 17. Jan., St. Giles 18

St. Andrews 18

17. Jan. bis 24. Jan., St. Giles 23

St. Andrews 16

24. Jan. bis 31. Jan., St. Giles 24

St. Andrews 15

30. Jan. bis 7. Feb., St. Giles 21

St. Andrews 23

7. Feb. bis 14. Feb., St. Giles 24

Davon einer an der Pest gestorben.

Eine gleiche Zunahme in den Sterberegistern wurde im Kirchspiel von St. Bride beobachtet, das auf der einen Seite an das Kirchspiel von Holborn angrenzt, und im Kirchspiel von St. James, Clerkenwell, das auf der anderen Seite an Holborn anschließt. In beiden Kirchspielen lagen die üblichen wöchentlichen Todesfälle bei vier bis sechs oder acht, während sie sich zu diesem Zeitpunkt wie folgt erhöht hatten:

Vom 20. Dez. bis zum 27. Dez., St. Bride 0

St. James 8

27. Dez. bis 3. Jan., St. Bride 6

St. James 9

3. Jan. bis 10. Jan., St. Bride 11

St. James 7

10. Jan. bis 17. Jan., St. Bride 12

St. James 9

17. Jan. bis 24. Jan., St. Bride 9

St. James 15

24. Jan. bis 31. Jan., St. Bride 8

St. James 12

31. Jan. bis 7. Feb., St. Bride 13

St. James 5

7. Feb. bis 14. Feb., St. Bride 12

St. James 6

Außerdem wurde von den Menschen mit großem Unbehagen beobachtet, daß die Zahlen in den wöchentlichen Sterberegistern in diesen Wochen im allgemeinen sehr stark anstiegen, obwohl die Zahlen zu jener Jahreszeit für gewöhnlich ziemlich mäßig sind.

Die übliche Anzahl von Bestattungen in den Sterberegistern einer Woche lag ungefähr zwischen 240 und 300. Die letzte Anzahl wurde als ziemlich hoch angesehen; aber danach stellten wir fest, daß die Anzahl der Gestorbenen stetig wie folgt anstieg:

Zunahme.

20. Dezember bis zum 27. Beerdigt 291.

27. Dezember bis 3. Jan. Beerdigt 349.

58.

3. bis 10. Januar. Beerdigt 394.

45.

10. bis 17. Januar. Beerdigt 415.

21.

17. bis 24. Januar. Beerdigt 474.

59.

Diese letzte Zahl war wirklich erschreckend und höher als jede andere seit der letzten Heimsuchung im Jahre 1656.

All dies ging jedoch wieder vorüber, und da das Wetter sich als kalt erwies, und der Frost, der im Dezember begann und bis Ende Februar immer noch sehr stark anhielt, von starken, wenn auch mäßigen Winden begleitet war, gingen die Sterbezahlen wieder zurück und die Stadt erholte sich und alle begannen, die Gefahr für so gut wie beendet zu betrachten; nur daß die Anzahl der Beerdigungen in St. Giles immer noch hoch war. Besonders von Anfang April an bewegten sie sich jede Woche um fünfundzwanzig, bis in der Woche vom 18. bis zum 25. im Kirchspiel zu St. Giles dreißig begraben wurden, wovon zwei an der Pest und acht am Fleckfieber gestorben waren, was man allgemein für dasselbe ansah. Ebenso stieg die Zahl der an Fleckfieber Verstorbenen auf insgesamt acht in der Woche zuvor und zwölf in der oben genannten Woche.

Darüber gerieten wir alle erneut in Bestürzung, und die Leute wurden von schrecklichen Vorahnungen erfaßt, insbesondere, da das Wetter nun umschwang und es warm wurde und der Sommer nahte. In der nächsten Woche schien es jedoch wieder einige Hoffnungen zu geben; die Sterbezahlen waren niedrig, die Zahl der Toten betrug insgesamt nur 388, keiner davon war an der Pest gestorben und nur vier an Fleckfieber.

Aber in der folgenden Woche kehrte die Seuche wieder zurück und verbreitete sich in zwei oder drei anderen Kirchspielen, nämlich in St. Andrews, Holborn; St. Clemens Danes; und zur äußersten Bestürzung der Stadt starb einer innerhalb der Stadtmauern im Kirchspiel von St. Mary Woolchurch, das heißt in der Bearbinder Lane in der Nähe der Börse. Insgesamt waren neun an der Pest und sechs am Fleckfieber gestorben. Es stellte sich jedoch, nachdem man nachgeforscht hatte, heraus, daß jener Franzose, der in der Bearbinder Lane gestorben war, in Long Acre in der Nähe der infizierten Häuser gelebt und sich aus Angst vor der Seuche davongemacht hatte, ohne zu wissen, daß er bereits infiziert war.

Dies war zu Beginn des Mai, aber das Wetter war gemäßigt, wechselhaft und kühl genug, und die Menschen hatten noch einige Hoffnung. Was sie ermutigte, war, daß die Stadt gesund war: in allen siebenundneunzig Kirchspielen zusammen fanden nur vierundfünfzig Beerdigungen statt, und wir begannen zu hoffen, daß die Pest, da sie hauptsächlich unter den Menschen an diesem Ende der Stadt weilte, sich nicht weiter ausbreiten würde; und das um so mehr, weil in der nächsten Woche, der vom 9. Mai bis zum 16. Mai, nur drei starben, darunter nicht einer innerhalb der Stadtmauern oder in den Freiheiten; und in St. Andrews begrub man nur fünfzehn, was eine sehr niedrige Zahl war. Zwar wurden in St. Giles zweiunddreißig begraben, aber dennoch, da nur einer darunter an der Pest gestorben war, begannen die Menschen sich zu beruhigen. Auch die Gesamtsterblichkeit war sehr niedrig, denn in jener Woche wies die Liste nur 347 Tote aus, und in der Woche davor nur 343. Wir hegten diese Hoffnungen ein paar Tage lang, aber nur ein paar, denn die Leute ließen sich nicht mehr so leicht täuschen; man durchsuchte die Häuser und stellte fest, daß die Pest sich in Wahrheit in alle Richtungen ausgebreitet hatte und daß jeden Tag viele daran starben. Nicht nur, daß jetzt alle unsere Beschönigungen verstummten und es nicht mehr zu verheimlichen war; nein, es stellte sich schnell heraus, daß sich die Seuche über alle Hoffnungen auf Linderung hinaus ausgebreitet hatte; daß sie im Kirchspiel zu St. Giles in mehreren Straßen ausgebrochen war und mehrere Familien zur Gänze krank darniederlagen; und dementsprechend begann sich die Sache im Sterberegister der nächsten Woche abzuzeichnen. Es waren zwar nur vierzehn Menschen von der Pest dahingerafft worden, aber das war alles Lug und Trug, denn im Kirchspiel zu St. Giles wurden insgesamt vierzig begraben, wovon gesichert war, daß die meisten von ihnen an der Pest gestorben waren, obwohl die Tode anderen Ursachen zugeschrieben wurden. Und obschon die Zahl aller Bestattungen nicht über zweiunddreißig stieg und das gesamte Register nur 385 zählte, waren darunter doch vierzehn am Fleckfieber und vierzehn an der Pest gestorben; und wir waren alle davon überzeugt, daß in dieser Woche fünfzig Menschen an der Pest gestorben waren.

Das nächste Register vom 23. bis zum 30. Mai, zählte siebzehn Pesttote. Aber es wurden dreiundfünfzig in St. Giles bestattet – eine schreckliche Zahl! – von denen nur neun der Pest angelastet wurden; bei einer strengeren Prüfung durch die Friedensrichter und auf Ersuchen des Lord Mayors wurde jedoch festgestellt, daß es in diesem Kirchspiel noch zwanzig weitere Menschen gab, die in Wahrheit an der Pest gestorben waren, deren Todesursachen man aber unter Fleckfieber und andere Krankheiten eingereiht oder ganz verschwiegen hatte.

Aber das waren unbedeutende Dinge im Vergleich zu dem, was unmittelbar danach folgte; denn jetzt setzte das heiße Wetter ein, und ab der ersten Juniwoche breitete sich die Ansteckung auf schreckliche Weise aus, und die Zahlen in den Sterberegistern schossen auf erschreckende Weise in die Höhe. Immer mehr starben angeblich an Fiebern und Fleckfieber, denn alle taten, was sie konnten, um die Seuche zu verheimlichen. Sie taten dies, um zu verhindern, daß ihre Nachbarn sie mieden, und die Obrigkeit ihre Häuser verschließen würde, welche Maßnahme, obschon noch nicht praktiziert, dennoch angedroht wurde – vor welchem Gedanken die Menschen sehr zurückschreckten.

In der zweiten Juniwoche begrub man im Kirchspiel von St. Giles, in welchem noch immer das Zentrum der Ansteckung lag, 120, von denen, obwohl im Sterberegister nur achtundsechzig an der Pest Gestorbene aufgeführt waren, alle sagten, es seien mindestens 100 gewesen, wenn man die übliche Anzahl von Beerdigungen in diesem Kirchspiel berücksichtigte.

Bis zu dieser Woche war die Stadt von der Seuche freigeblieben, da in den siebenundneunzig Kirchspielen und den Freiheiten bis auf den einen Franzosen, den ich zuvor erwähnte, noch niemand daran gestorben war. Jetzt starben vier in der Stadt, einer in der Wood Street, einer in der Fenchurch Street und zwei in der Crooked Lane. Southwark war völlig frei, wie überhaupt noch niemand auf dieser Seite des Ufers daran gestorben war.

Ich lebte außerhalb von Aldgate, ungefähr auf halber Strecke zwischen Aldgate Church und den Whitechapeler Schlagbäumen, auf der linken oder nördlichen Straßenseite; und da die Seuche diese Seite der Stadt nicht erreicht hatte, waren wir noch sehr beruhigt. Aber am anderen Ende der Stadt war die Bestürzung sehr groß, und die reicheren Leute, besonders der Adel und die Oberschicht aus dem westlichen Teil der Stadt, drängten auf ungewöhnliche Weise mit ihren Familien und Dienern aus der Stadt heraus; und dies zeigte sich insbesondere in Whitechapel. In der Broad Street, in der ich lebte, gab es in der Tat nichts zu sehen als Wagen und Karren mit Haushaltsgütern, Frauen, Dienern, Kindern usw.; Kutschen, gefüllt mit höhergestellten Leuten und Reiter, die sie begleiteten; und sie alle eilten davon. Dann erschienen leere Wagen und Karren und Ersatzpferde mit Dienern, die offensichtlich zurückkehrten oder aus dem umliegenden Land geschickt wurden, um mehr Menschen zu holen; außerdem unzählige Männer zu Pferde, einige allein, andere mit Bediensteten, und im allgemeinen alle mit Gepäck beladen und zur Reise gerüstet, wie jedermann an ihrem Aussehen erkennen konnte.

Dies war sehr schrecklich und traurig anzusehen, und der Anblick, den ich nicht umhin konnte von morgens bis abends zu sehen (denn es gab damals tatsächlich nichts anderes zu sehen), erfüllte mich mit sehr trüben Gedanken an das Elend, das über die Stadt kommen sollte, und an den unglücklichen Zustand derer, die in ihr zurückbleiben würden.

Diese Betriebsamkeit des Volkes war einige Wochen lang so groß, daß es nur mit äußersten Schwierigkeiten möglich war, zur Wohnung des Lord Mayors zu gelangen, ein solches Geschiebe und Gedränge fand dort statt, um Pässe und Gesundheitsbescheinigungen für jene zu erhalten, die aus London ausreisen wollten, denn ohne diese war es nicht erlaubt, auf der Landstraße durch die Städte zu reisen oder in einem Gasthaus zu übernachten. Da während der ganzen Zeit niemand in der Innenstadt gestorben war, stellte der Lord Mayor allen, die in den siebenundneunzig Kirchspielen lebten, und auch denen innerhalb der angrenzenden Stadtteile für eine Weile ohne Schwierigkeiten Gesundheitsbescheinigungen aus.

Diese Flucht, sage ich, setzte sich einige Wochen, das heißt die ganzen Monate Mai und Juni, fort, und dies um so mehr, als gemunkelt wurde, daß ein Befehl der Regierung erlassen werden sollte, Schlagbäume und Schranken auf dem Weg zu plazieren, um die Menschen an der Abreise zu hindern, und daß die an der Landstraße liegenden Städte die Leute aus London, aus Furcht, daß sie die Seuche mit sich brächten, nicht passieren lassen würden. Jene Gerüchte entbehrten allerdings jeder Grundlage und existierten, besonders am Anfang, nur in der Phantasie der Leute.

Ich begann nun ernsthaft mit mir selbst über meinen eigenen Fall zu Rate zu gehen und fragte mich, wie ich diesbezüglich verfahren sollte; ob ich mich entschließen sollte, in London zu bleiben oder mein Haus zu verriegeln und zu fliehen, wie es viele meiner Nachbarn taten. Ich habe dies besonders ausführlich dargelegt, weil es für diejenigen von einiger Bedeutung sein mag, die nach mir kommen, wenn sie in der gleichen Lage und auf die gleiche Art und Weise dazu genötigt sind, ihre Wahl zu treffen; und deshalb wünsche ich mir, daß dieser Bericht ihnen eher als ein Fingerzeig für ihre Handlungsweise dienen mag, als daß er eine bloße Geschichte meiner Handlungen ist, da es für sie möglicherweise nicht von großem Wert ist, zu wissen, was aus mir geworden ist.

Ich hatte zwei wichtige Dinge zu tun: Das eine war das Fortführen meines Geschäfts, das nicht unbedeutend war und meinen gesamten weltlichen Besitz ausmachte; und das andere war die Erhaltung meines Lebens in einer so unheilvollen Zeit, wie ich sie auf die ganze Stadt zukommen sah; welche, so schlimm sie auch sein mochte, meine Befürchtungen, ebenso wie die anderer Leute, vielleicht noch viel schlimmer wirken ließ.

Die erste Überlegung war für mich von großer Bedeutung; mein Beruf war der eines Sattlers, und da meine Geschäfte zum größeren Teil nicht durch Laden- oder Gelegenheitsverkäufe, sondern unter den Kaufleuten, die die britischen Kolonien in Amerika belieferten, getätigt wurden, hingen meine Einnahmen sehr von ihnen ab. Ich war zwar ein einzelner Mann, aber ich hatte einen Trupp von Dienern, die ich in meinem Geschäft beschäftigte; besaß ein Haus, ein Geschäft und mit Waren gefüllte Lagerhäuser; und, kurz gesagt, sie alle so zurückzulassen, wie es in einem solchen Fall nötig sein müßte (d. i. ohne einen Aufseher oder eine Person, der man vertrauen kann), hätte bedeutet, nicht nur den Verlust meines Geschäftes zu riskieren, sondern auch den meiner Güter und all dessen, was ich auf der Welt besaß.

Ich hatte damals einen älteren Bruder in London, der wenige Jahre zuvor aus Portugal herübergekommen war. Als ich mich mit ihm beriet, bestand seine Antwort in drei Worten, die gleiche Antwort, die bei einer anderen Gelegenheit gegeben wurde, nämlich: „Herr, rette dich.“ Mit einem Wort, er empfahl mir den Rückzug aufs Land, so wie er gleichfalls dazu entschlossen war, es mit seiner Familie zu tun. Er erzählte mir, – was er anscheinend im Ausland gehört hatte –, daß das beste Vorbauungsmittel gegen die Pest wäre, vor ihr davonzulaufen. Meinen Einwand, daß ich dann mein Geschäft, meine Waren oder Güter verlieren würde, redete er nieder. Er sagte mir, daß dasselbe, was ich als Argumente für meinen Aufenthalt vorbrächte, nämlich daß ich Gott meine Sicherheit und Gesundheit anvertrauen würde, meiner Befürchtung, meine Geschäft und meine Waren zu verlieren, gänzlich widersprechen würde; „Denn“, sagte er, „wäre es nicht vernünftiger, Gott die Möglichkeit oder das Risiko zu überlassen, dein Geschäft zu verlieren, als daß du in einer so großen Gefahr verweilen und ihm dein Leben anvertrauen solltest?“

Ich konnte nicht behaupten, daß ich mich in einer Notlage bezüglich dessen befand, wo ich hingehen sollte, da ich mehrere Freunde und Verwandte in Northamptonshire hatte, von wo unsere Familie ursprünglich stammte; insbesondere hatte ich eine einzige Schwester in Lincolnshire, die nur zu gern bereit war, mich zu empfangen und zu unterhalten.

Mein Bruder, der bereits seine Frau und zwei Kinder nach Bedfordshire geschickt und sich entschlossen hatte, ihnen zu folgen, drängte mich sehr ernsthaft zur Abreise; und ich hatte mich auch eines Tages dazu entschlossen, seinem Wunsche nachzukommen, konnte aber zu dieser Zeit kein Pferd bekommen; denn obschon nicht alle Menschen die Stadt London verlassen haben, darf ich doch zu behaupten wagen, daß in gewisser Weise sämtliche Pferde dies getan hatten; denn in der ganzen Stadt war für einige Wochen kaum ein Pferd zu kaufen oder zu mieten. Einmal beschloß ich, mit einem Diener zu Fuß zu gehen und, wie viele es taten, in keinem Gasthaus zu übernachten, sondern ein Soldatenzelt mitzunehmen und auf den Feldern zu lagern, da das Wetter sehr warm war und keine Gefahr bestand, sich zu erkälten. Ich sage, wie viele es taten, weil es am Ende wirklich einige getan hatten, besonders diejenigen, die zur Zeit des Krieges wenige Jahre zuvor in den Armeen gedient hatten; und ich muß sagen: hätten es alle, die aufs Land hinauszogen, so gemacht, so wäre die Pest nicht in so zahlreiche Provinzstädte und -häuser hinausgetragen worden, wie es tatsächlich zum großen Schaden und Verderben unzähliger Menschen geschah.

Aber dann ließ mein Diener, den ich mitnehmen wollte, mich im Stich; weil er eine Zunahme der Seuche fürchtete und nicht wußte, wann ich gehen wollte, ergriff er andere Maßnahmen und verließ mich, so daß ich meine Pläne für diese Zeit zurückstellte. Und so stellte ich auf die eine oder andere Weise immer fest, daß der Entschluß zur Abreise immer von dem einen oder anderen Unfall durchkreuzt wurde, nach welcher Enttäuschung ich die Sache aufschob; und dies bringt mich auf eine Geschichte, die sonst als unnötige Abschweifung angesehen werden könnte, daß nämlich diese Enttäuschungen vom Himmel gesandt werden.

Ich erwähne diese Geschichte auch als die beste Methode, die ich jedem empfehlen kann, der überlegt, wie er in einem solchen Fall vorzugehen hat, insbesondere wenn es eine Person ist, die sich ihrer Pflicht bewußt ist und zu erfahren wünscht, was zu tun ist: nämlich, daß sie die besonderen Vorzeichen, die zu dieser Zeit auftreten, genauestens beobachten und ihr Verhältnis zueinander beachten soll, ferner, inwiefern diese mit der Frage zu tun haben, die die Person beschäftigt. Dann, denke ich, kann die Person sie gewiß als Fingerzeige Gottes anerkennen, die sie auf das hinweisen, was ihre unbestrittene Pflicht in einem solchen Fall ist; in diesem Falle, an dem Ort zu verbleiben oder ihn zu verlassen, an dem wir wohnen, wenn er von einer ansteckenden Seuche heimgesucht wird.

Als ich eines Morgens über diese besondere Sache nachdachte, kam es mir sehr deutlich in den Sinn, daß diese Enttäuschungen etwas Außergewöhnliches in sich haben müssen, da uns nichts uns ohne den Befehl oder die Zulassung der göttlichen Kraft zukommt; und ich begann zu überlegen, ob es nicht ein augenscheinlicher Hinweis auf den Willen Gottes war, daß ich nicht abreisen sollte. Ich schlußfolgerte sofort, daß Gott, wenn es wirklich sein Wille war, daß ich bleiben sollte, gewiß in der Lage sein würde, mich inmitten all des Todes und der Gefahr, die mich umgeben würden, zu bewahren, und daß, wenn ich versuchte, mich durch Flucht aus meiner Wohnung in Sicherheit zu bringen und gegen diese Winke handelte, die ich für göttlich halte, es eine Art Flucht vor Gott sein würde und daß er sein Urteil über mich vollstrecken könnte, wann und wo er es für richtig hielte.

Diese Gedanken kehrten meine Entschlüsse wieder ziemlich um, und als ich wieder mit meinem Bruder sprach, sagte ich ihm, daß ich dazu neigte, zu bleiben und mein Los an dem Ort anzunehmen gedenke, den Gott mir zugedacht hätte, und daß es wegen dem, was ich gesagt habe, um so mehr meine Pflicht zu sein scheine.

Mein Bruder, der selbst ein sehr frommer Mann war, lachte nichtsdestotrotz über alles, was ich als Fingerzeige Gottes ansah, und erzählte mir mehrere Geschichten von solch tollkühnen Menschen, wie er sie nannte, wie ich einer wäre. Er meinte, daß ich mich zweifelsohne dem Willen Gottes unterwerfen sollte, wenn ich durch Seuche oder Krankheiten in irgendeiner Weise verhindert worden wäre, und daß ich dann, wenn ich nicht in der Lage wäre abzureisen, mich in den Willen dessen fügen sollte, der mein Schöpfer sei und ein unbestrittenes Recht hätte, über mich zu verfügen, und daß dann keine Schwierigkeit bestünde, festzustellen, ob es göttliche Vorsehung wäre oder nicht. Daß ich es aber als Fingerzeig Gottes auffaßte, daß ich die Stadt nicht verlassen sollte, nur weil ich kein Pferd mieten konnte, um abzureisen, oder weil mein Gefährte weggelaufen war, der mich begleiten sollte, wäre lächerlich, da ich zu der Zeit meine Gesundheit, meine Glieder und andere Bedienstete hätte und mit Leichtigkeit ein oder zwei Tage zu Fuß reisen und mit einem guten Gesundheitszeugnis entweder ein Pferd mieten oder auf der Straße gehen könnte, wie ich es für richtig hielte.

Dann erzählte er mir von den üblen Folgen, die mit dem Aberglauben der Türken und Mohammedaner in Asien und an anderen Orten, an denen er gewesen war, einhergingen (denn mein Bruder, der Kaufmann war, war einige Jahre zuvor, wie ich bereits bemerkt habe, aus dem Ausland zurückgekehrt, zuletzt aus Lissabon), und wie sie unter der Annahme, daß ihre Schicksale und das Ende eines jeden Menschen vorherbestimmt und unabänderlich festgelegt worden wären, unbesorgt an verseuchte Orte gingen und sich mit infizierten Personen unterhielten, wodurch zehn oder fünfzehntausend von ihnen pro Woche starben, während die europäischen oder christlichen Kaufleute, die sich zurückgezogen und zurückhaltend verhielten, im allgemeinen der Ansteckung entkamen.

Aufgrund dieser Darlegungen änderte mein Bruder meine Pläne erneut, und ich war nun doch entschlossen zu gehen und traf dementsprechende Vorbereitungen. Kurz gesagt, die Ansteckung um mich herum nahm zu, und die Zahlen in den Sterberegistern stiegen auf fast siebenhundert pro Woche, und mein Bruder sagte mir, er würde es nicht länger wagen zu bleiben. Ich bat darum, daß er mich bis zum nächsten Tag darüber nachdenken lassen sollte, damit ich zu einem Entschluß kommen könnte: und da ich bereits alles so gut vorbereitet hatte, wie ich es vermochte, und wußte, wem ich meine Angelegenheiten anvertrauen sollte, hatte ich wenig anderes zu tun als nachzudenken.

Als ich an jenem Abend nach Hause ging, war ich sehr bedrückt, unschlüssig und wußte nicht, was ich tun sollte. Ich hatte mich für den Abend von allen Verpflichtungen freigemacht, um ernsthaft darüber nachzudenken, und war ganz allein; denn schon waren die Leute sozusagen in stillschweigender Übereinkunft dazu übergegangen, nach Sonnenuntergang nicht mehr ins Freie zu gehen; auf die Gründe dazu werde ich später noch kommen.

In der abendlichen Stille versuchte ich zunächst, mich darauf zu besinnen, was meine Pflicht war. Ich legte mir die Argumente vor, mit denen mein Bruder mich gedrängt hatte, aufs Land zu gehen, und stellte ihnen die starken Gründe entgegen, die, wie ich dachte, für mein Bleiben sprachen; die augenscheinliche Pflicht, die ich aufgrund der besonderen Umstände meiner Berufung zu haben schien, und die Sorge um den Erhalt meiner Waren, die, wie man sagen könnte, mein gesamtes Vermögen darstellten. Auch die Winke, die ich vom Himmel erhalten zu haben glaubte, schienen mir in eine Richtung zu deuten, der ich folgen sollte; und mir kam der Gedanke, daß ich, wenn ich einen offenbaren Wink zum Bleiben hätte, annehmen könnte, daß er ein Versprechen zur Erhaltung meines Lebens in sich berge, wenn ich ihm Gehorsam erweisen würde.

Dies lag nun vor mir, und meine Gedanken schienen mehr denn je dazu geneigt zu bleiben, und wurden durch eine heimliche Sicherheit unterstützt, daß ich am Leben erhalten werden würde. Es begab sich, daß ich, als ich die Bibel aufschlug, die vor mir lag, während meine Gedanken noch sehr mit der Frage beschäftigt waren, ausrief: „Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll; Herr, leite mich!“ und dergleichen; und zu diesem Zeitpunkt hörte ich zufällig im 91. Psalm zu blättern auf, und las, nachdem mein Blick auf den zweiten Vers gefallen war, auch den siebten Vers und schloß danach mit dem zehnten wie folgt: „Der spricht zum Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn er errettet mich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen des Nachts, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleichet, vor der Seuche, die im Mittag verderbet. Ob tausend fallen zu deiner Seite, und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Ja, du wirst mit deinen Augen deine Lust sehen, und schauen, wie es den Gottlosen vergolten wird. Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen. Etc.“

Ich brauche dem Leser kaum zu sagen, daß ich von diesem Moment an entschlossen war, in der Stadt zu bleiben und mich ganz der Güte und dem Schutz des Allmächtigen zu überlassen. Ich würde überhaupt keinen anderen Schutz suchen; denn Er würde mich, da mein Schicksal in Seinen Händen lag, in einer Zeit der Ansteckung genauso behüten können wie in gesunden Zeiten; und wenn Er es nicht für angebracht hielte, mich zu retten, so war ich doch immer noch in Seinen Händen, und Er sollte über mich nach Seinem Gutdünken verfügen.

Mit diesem Entschluß ging ich zu Bett; und ich wurde darin am nächsten Tag weiter bestätigt, als die Frau krank wurde, der ich mein Haus und alle meine Angelegenheiten hatte anvertrauen wollen. Aber mir wurde eine weitere Bürde dieser Art auferlegt, denn am nächsten Tag war auch ich erkrankt, so daß ich nicht hätte abreisen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich war drei oder vier Tage lang krank und dies bestimmte mein Bleiben endgültig, also verabschiedete ich mich von meinem Bruder, der nach Dorking in Surrey und danach weiter nach Buckinghamshire oder Bedfordshire zu einer Zufluchtsstätte reiste, die er dort für seine Familie gefunden hatte.

Es war eine sehr widrige Zeit, um krank zu sein, denn wenn jemand über Unwohlsein klagte, wurde sofort gesagt, er habe die Pest; und wenngleich ich in der Tat kein Symptom dieser Seuche aufwies, obschon ich mich sehr krank fühlte, sowohl in meinem Haupte als auch in meinem Magen, war ich doch nicht ohne Befürchtung, daß ich angesteckt worden wäre. Doch nach ungefähr drei Tagen ging es mir besser; in der dritten Nacht schlief ich gut, schwitzte ein wenig und war sehr erfrischt. Die Befürchtungen, daß es sich um die Pest handelte, verschwanden mit meiner Krankheit, und ich ging wie gewohnt meinen Geschäften nach.

Diese Dinge jedoch vertrieben alle meine Gedanken, aufs Land zu gehen; und da mein Bruder nun fort war, führte ich weder mit ihm noch mit mir selbst weitere Debatten über diesen Gegenstand.

Es war jetzt Mitte Juli, und die Pest, die hauptsächlich am anderen Ende der Stadt wütete, und, wie ich bereits sagte, in den Kirchspielen von St. Giles, St. Andrews, Holborn und in Richtung Westminster, begann nun gen Osten in Richtung des Stadtteils zu kommen, in dem ich lebte. Es muß allerdings angemerkt werden, daß sie nicht direkt auf uns zukam; denn die Innenstadt, das heißt innerhalb der Mauern, war noch unverändert gesund; auch wurde die Pest nicht sehr über den Fluß nach Southwark getragen; denn obwohl in dieser Woche 1268 Menschen an allerlei Krankheiten starben, von denen angenommen werden konnte, daß mehr als 600 an der Pest starben, waren es doch nur achtundzwanzig in der ganzen Innenstadt, innerhalb der Stadtmauern, und nur neunzehn in Southwark, einschließlich dem Lambether Kirchspiel, während allein in den Kirchspielen von St. Giles und St. Martin-in-the-Fields 421 starben.

Aber wir bemerkten, daß die Ansteckung hauptsächlich in den Außenbezirken blieb, und da diese sehr bevölkert und zudem angefüllt mit Armen waren, fand die Seuche dort mehr Beute als in der Innenstadt, wie ich später anmerken werde. Wir bemerkten, sage ich, wie die Seuche in unsere Richtung zog, und zwar über die Kirchspiele von Clarkenwell, Cripplegate, Shoreditch und Bishopsgate; und da die letzteren beiden Kirchspiele an Aldgate, Whitechapel und Stepney grenzen, verbreitete die Ansteckung endlich ihre größte Wut und Gewalt in diesen Stadtteilen, als sie bereits in den westlichen Kirchspielen, in denen sie begonnen hatte, nachließ.

Es war eine sehr seltsame Sache, daß in jener Woche vom 4. bis zum 11. Juli, als, wie ich beobachtet habe, allein in den beiden Kirchspielen von St. Martin und St. Giles-in-the-Fields beinahe 400 der Pest starben, im Kirchspiel von Aldgate hingegen nur vier, in Kirchspiel von Whitechapel drei, im Kirchspiel von Stepney nur eine Person starben.

Ebenso starben in der nächsten Woche, vom 11. bis zum 18. Juli, als die wöchentlichen Sterberegister 1761 Tote vermeldeten, am gesamten Southwark-Ufer des Flusses nicht mehr als sechzehn an der Pest. Aber diese Lage änderte sich bald, und die Seuche begann sich besonders in den Kirchspielen von Cripplegate und Clarkenwell auszubreiten; so daß in der zweiten Augustwoche allein 886 im Kirchspiel Cripplegate und 155 in Clarkenwell beerdigt wurden. Bei ersterem könnte man davon ausgehen, daß 850 an der Pest starben; und bei letzterem sagten die Sterberegister selbst, daß 145 an der Pest gestorben waren.

Während des Monats Juli und während, wie ich beobachtet habe, unser Stadtteil im Vergleich zum westlichen Teil verschont zu bleiben schien, ging ich wie gewohnt auf die Straße, wie es mein Geschäft erforderte, und ging im allgemeinen einmal am Tag oder alle zwei Tage in die Stadt, zum Haus meines Bruders, für das er mir die Verantwortung übertragen hatte, um nach dem Rechten zu sehen; und da ich den Schlüssel in der Tasche hatte, ging ich für gewöhnlich ins Haus und überblickte die meisten Räume, um zu sehen, ob alles in Ordnung war; denn obschon es etwas Wunderliches zu sagen ist, daß das Herz irgendeines Menschen inmitten eines solchen Unglücks so verhärtet sein sollte, daß er raubt und stiehlt, so ist es doch gewiß, daß alle Arten von Schurkereien und sogar Liederlichkeiten und Ausschweifungen in der Stadt so offen wie nie verübt wurden – ich will nicht sagen, ganz so häufig, weil die Anzahl der Menschen sich in vielerlei Hinsicht verringert hatte.

Aber die Innenstadt selbst begann jetzt ebenfalls heimgesucht zu werden, ich meine innerhalb der Mauern; die Zahl der Menschen dort war jedoch durch jene große Menge, die aufs Land gegangen war, außerordentlich verringert; und selbst den ganzen Monat Juli über flohen sie weiter, wenn auch nicht in einer solchen Menge wie zuvor. Tatsächlich flohen im August so viele von ihnen, daß ich zu glauben begann, daß nur noch Beamte und Dienstboten in der Innenstadt zurückgeblieben sein könnten.

Da jetzt jedermann aus der Stadt floh, sollte ich anmerken, daß der Hof im Juni vorzeitig seinen Sitz wechselte und sich nach Oxford begab, wo er durch die Gnade Gottes bewahrt blieb; und wie ich hörte, wurde er von der Seuche verschont, indem sie ihn nicht einmal berührte. Ich kann aber nicht behaupten, daß ich jemals gesehen hätte, daß er irgendein Zeichen der Dankbarkeit und kaum eines der Besserung zeigte, obschon er es nicht gern hörte, wie man ohne Verletzung der Nächstenliebe sagen kann, daß seine offenkundigen Laster nicht wenig dazu beigetragen haben mochten, dieses schreckliche Gericht über die ganze Nation zu bringen.

Das Antlitz Londons war jetzt tatsächlich seltsam verändert: Ich meine die ganze Masse von Gebäuden, die Innenstadt, Freiheiten, Außenbezirke, Westminster, Southwark und alle miteinander; denn was jenen Teil, der die Innenstadt genannt wird, betrifft, so war dieser noch nicht sehr von der Seuche ergriffen. Aber insgesamt hatte sich das Antlitz der Dinge, sage ich, stark verändert; Kummer und Traurigkeit zeichneten jedes Gesicht; und obschon einige Stadtteile noch nicht heimgesucht worden waren, sah jedermann zutiefst besorgt aus; und als wir die Seuche immer näherkommen sahen, sah jeder sich und seine Familie als in größter Gefahr an. Wäre es möglich, diese Zeiten denjenigen, die sie nicht gesehen haben, genau vor Augen zu führen und dem Leser glaubhafte Vorstellungen von dem Grauen zu vermitteln, das sich überall zeigte, so müßte es einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm machen und ihn mit höchster Bestürzung erfüllen. Man kann wohl sagen, daß London in Tränen schwamm; die Trauernden gingen zwar nicht auf die Straße, denn niemand kleidete sich schwarz oder trug ein formelles Trauerkleid für seine nächsten Freunde; aber die Stimmen der Trauernden war dennoch auf den Straßen zu hören. Die Schreie von Frauen und Kindern an den Fenstern und Türen ihrer Häuser, wo ihre liebsten Verwandten vielleicht starben oder soeben gestorben waren, waren so häufig zu hören, wenn wir durch die Straßen gingen, daß ihr Ton allein den Mutigsten erschütterte. Weinen und Wehklagen ertönten fast aus jedem Hause, besonders zu Beginn der Heimsuchung; denn gegen Ende waren die Herzen der Menschen verhärtet und der Tod so stetig vor ihren Augen, daß sie sich nicht so sehr um den Verlust ihrer Freunde bekümmerten und vielmehr erwarteten, daß sie in der nächsten Stunde abberufen werden würden.

Meine Geschäfte führten mich zuweilen ans andere Ende der Stadt, selbst als die Krankheit hauptsächlich dort herrschte; und da die Sache sowohl für mich als auch für alle anderen neu war, sah ich mit keinem geringen Erstaunen, daß die Straßen, die normalerweise so überfüllt waren, jetzt öde und leer wurden und so wenige Menschen in ihnen zu sehen waren, daß, wenn ich ein Fremder gewesen wäre und mich verlaufen hätte, ich bisweilen eine ganze Straße hätte entlang gehen müssen (ich meine die Nebenstraßen) ohne jemanden zu sehen, der mir den Weg gewiesen hätte, außer Wachmännern, die an den Türen jener Häuser standen, die verschlossen waren, wovon ich gleich sprechen werde.

Eines Tages, als ich eines besonderen Geschäftes wegen in diesem Teil der Stadt war, führte mich die Neugier dazu, die Dinge genauer als sonst zu beobachten, und tatsächlich ging ich ein gutes Stück Weges in eine Richtung, wo ich kein Geschäft zu tun hatte. Ich ging nach Holborn hinauf, und dort war die Straße voller Menschen, aber sie gingen mitten auf der großen Straße, weder auf der einen noch auf der anderen Seite, weil sie, wie ich vermute, niemandem begegnen wollten, der aus einem Haus heraustrat, und Gerüchen aus den Häusern entgehen wollten, die verseucht sein könnten.

Die Rechtskollegien waren alle geschlossen; auch waren nicht sehr viele der Anwälte im Temple, im Lincolnʼs Inn oder im Grayʼs Inn zu sehen. Alle waren in Frieden miteinander; es gab keinen Anlaß für Anwälte; außerdem waren sie in der Zeit der Gerichtsferien im allgemeinen aufs Land gegangen. An einigen Stellen waren ganze Häuserreihen verriegelt, die Bewohner geflohen, und nur noch ein oder zwei Wachleute waren übrig.

Wenn ich davon spreche, daß ganze Häuserreihen verriegelt waren, meine ich nicht, daß sie von der Obrigkeit verriegelt wurden, sondern daß eine große Anzahl von Personen dem Hof gefolgt ist, weil sie in dessen Diensten standen und auf anderlei Weise von ihm abhängig waren; und als andere sich in äußerstem Schrecken vor der Seuche ebenfalls zurückzogen, war die Verödung einiger Straßen groß. Aber in der sogenannten Innenstadt war die Furcht noch lange nicht so groß, obschon sie zunächst eine unaussprechlichen Bestürzung empfanden; und dies, wie ich bemerkt habe, lag daran, daß die Seuche zunächst oft innehielt, wodurch die Leute abwechselnd aufgeschreckt und wieder beruhigt wurden, und dies mehrmals, bis sie sich daran gewöhnten; und selbst als sie mit größerer Gewalt erschien, breitete sie sich doch nicht in der Innenstadt oder im Osten und Süden aus, worauf die Leute begannen, Mut zu fassen und, wie ich sagen darf, ein wenig verhärtet wurden. Wie ich bereits angemerkt habe, sind sehr viele Menschen geflohen, doch waren sie hauptsächlich vom westlichen Ende der Stadt, und von jenem Teil, den wir das Herz der Stadt nennen: das heißt, sie waren vornehmliche reiche Leute, und solche, die nicht mit Handwerk und Handel belastet waren. Aber von den übrigen blieb die Mehrheit in Erwartung des Schlimmsten zurück; so daß in den Orten, die man die Freiheiten nennt, und in den Außenbezirken, in Southwark und im östlichen Teil, wie Wapping, Ratcliff, Stepney, Rotherhithe und dergleichen, die Leute im allgemeinen blieben, ein paar wohlhabende Familien hier und da ausgenommen, die, wie gesagt, nicht von ihrem Geschäft abhängig waren.

Es darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, daß die Innenstadt und die äußeren Stadtbezirke zum Zeitpunkt dieser Heimsuchung unglaublich bevölkert waren, ich meine zu dem Zeitpunkt, als sie begann; denn obschon ich seither ein weiteres Anwachsen der Bevölkerung und eine immense Menge von Menschen erlebt habe, die sich mehr denn je in London niedergelassen haben, waren doch nach Beendigung der Kriege, der Auflösung des Heeres und der Wiederherstellung der Monarchie, haufenweise Menschen nach London gekommen, um sich dort niederzulassen oder um Anstellung am Hof oder einen Lohn für geleistete Dienste zu suchen, und was dergleichen mehr ist, so daß die Stadt über hunderttausend Menschen mehr als je zuvor enthielt; ja, einige behaupteten sogar, daß sie doppelt so viele enthielte, weil alle zugrunde gerichteten Familien der Königspartei hierher geströmt wären. All die ehemaligen Soldaten richteten hier ihre Geschäfte ein, und eine Vielzahl von Familien ließ sich hier nieder. Wieder brachte der Hof eine große Flut von Prunk und neuen Moden mit. Die Menschen waren genuß- und verschwendungssüchtig geworden, und die Freude über die Wiederherstellung des Königtums hatte sehr viele Familien nach London gebracht.

Ich dachte oft, daß Jerusalem von den Römern belagert wurde, als sich die Juden versammelten, um das Passahfest zu feiern – was bedeutet, daß eine unglaubliche Anzahl von Menschen dort überrascht wurde, die sonst in anderen Ländern gewesen wären –, und daß die Pest ebenso nach London kam, als es aufgrund der oben genannten besonderen Umstände zu einer solchen Zunahme der Bevölkerung gekommen war. Da dieser Zusammenfluß der Menschen bei einem jungen und verschwendungssüchtigen Hof den Handel in der Innenstadt beflügelte, insbesondere in Bezug auf alles, was mit Mode und Prunk zu tun hatte, zog dies eine große Anzahl von Arbeitern, Kunsthandwerkern und dergleichen an, größtenteils arme Leute, die von ihrer Arbeit abhängig waren. Und ich erinnere mich insbesondere daran, daß in einem dem Lord Mayor vorgelegten Papier über den Zustand der Armen geschätzt wurde, daß es in und um die Innenstadt herum nicht weniger als hunderttausend Bandweber gab, von denen die meisten damals in den Kirchspielen von Shoreditch, Stepney, Whitechapel und Bishopsgate lebten, insbesondere in Spitalfields; das heißt, wie Spitalfields damals war, denn es war damals gerade einmal so groß wie ein Fünftel des heutigen.

Daran kann jedoch die Anzahl der Personen im Ganzen gemessen werden; und in der Tat habe ich mich oft gewundert, daß nach der erstaunlichen Anzahl von Leuten, die zu Beginn weggingen, am Ende noch so viele übrig waren.

Aber ich muß noch einmal zum Beginn dieser erstaunenswerten Zeit zurückkehren.

Während die Furcht des Volkes noch im Entstehen war, wurde sie durch einige seltsame Vorfälle verstärkt, wobei es eigentlich einem Wunder gleichkam, daß sich das Volk nicht insgesamt erhob und ihre Wohnungen und die Stadt als einen Ort verließ, den Gott verflucht und dazu bestimmt hatte, vom Erdboden gefegt zu werden, und in dem alles darin Befindliche zugleich damit zugrunde gehen würde. Ich werde nur einige dieser Dinge nennen; aber gewiß waren ihrer so viele, und es gab so viele Hexenmeister und listige Leute, die sie propagierten, daß ich mich oft gewundert habe, daß überhaupt irgend jemand (besonders Frauen) zurückblieb.

Vor allem erschien einige Monate vor der Pest ein Schweifstern oder Komet, wie es in zwei Jahren hintereinander kurz vor dem Feuer der Fall war. Die alten Weiber und der untätige überreizte Teil des andern Geschlechts, den ich beinahe ebenfalls als alte Weiber bezeichnen möchte, bemerkten (aber nicht, ehe beide Heimsuchungen vorüber waren), daß diese beiden Kometen direkt über die Stadt zogen, und das so nahe an den Häusern vorbei, daß klar wäre, daß sie etwas Besonderes mit sich in die Stadt brächten; daß der Komet vor der Pest eine schwache, trübe Farbe gehabt habe und seine Bewegung sehr träge und langsam gewesen sei; daß aber der Komet vor dem Feuer hell und funkelnd oder, wie andere sagten, flammend und seine Bewegung schnell und wütend gewesen sei; und daß dementsprechend der eine eine schwere Heimsuchung voraussagte, langsam, aber schwerwiegend, schrecklich und verderblich, wie es die Pest war; der andere aber einen heftigen Schlag, plötzlich, schnell und feurig wie der Brand. Ja, einige Leute behaupteten gar, daß ihnen schien, als sie den Kometen vor dem Feuer betrachteten, daß sie ihn nicht nur schnell und heftig vorbeiziehen sahen und die Bewegung mit ihren Augen wahrnehmen konnten, sondern sie sogar hörten; daß es ein rauschendes, mächtiges Geräusch machte, wütend und schrecklich, wenn auch in einiger Entfernung, aber gerade eben wahrnehmbar.

Ich sah jene beiden Sterne und hatte, wie ich gestehen muß, so viel von der allgemeinen Vorstellung solcher Dinge im Kopf, daß ich sie als Vorläufer und Warnungen vor Gottes Gericht betrachtete; und besonders als ich, nachdem die Pest auf den ersten Kometen gefolgt war, noch einen weiteren der Art sah, konnte ich nicht anders als denken, daß Gott die Stadt noch nicht ausreichend gegeißelt hatte.

Aber ich konnte diesen Dingen dennoch nicht dieselbe Bedeutung beimessen, wie andere es taten, auch weil ich wußte, daß die Astronomen für derlei Dinge natürliche Ursachen kennen, und daß ihre Bewegungen und sogar ihre Umdrehungen berechnet werden oder vorgeblich berechnet werden können, so daß sie nicht gesichert als Vorläufer oder Vorboten, geschweige denn als Auslöser von Ereignissen wie Pest, Krieg, Feuer und dergleichen bezeichnet werden können.

Aber wie auch meine Gedanken und die Gedanken der Philosophen sein oder gewesen sein mochten, diese Dinge hatten einen mehr als gewöhnlichen Einfluß auf die Gedanken des einfachen Volkes, und die Leute hegten beinahe alle trübsinnige Befürchtungen vor einem schrecklichen Unglück und Gericht, das über die Stadt kommen würde; und dies hauptsächlich wegen des Anblicks dieses Kometen und der Bestürzung, die im Dezember durch zwei Menschen ausgelöst wurde, die, wie erwähnt, in St. Giles starben.

Die Furcht des Volkes wurde durch den damaligen Aberglauben ebenfalls wundersam verstärkt, durch welchen, wie ich glaube, die Menschen aus irgendeinem Grunde süchtiger nach Prophezeiungen und astrologischen Deutungen, Träumen und dem Klatsch alter Weiber waren als je zuvor oder seither. Ob diese unselige Neigung ursprünglich durch die Torheiten einiger Leute ausgelöst wurde, die damit Geld verdienten – das heißt, indem sie Vorhersagen und Horoskope druckten –, weiß ich nicht; aber eines ist gewiß, die Bücher versetzten sie in große Furcht, wie Lillys Almanach, Gadburys Astrologische Vorhersagen, Des armen Robins Almanach und dergleichen; auch mehrere vorgeblich religiöse Bücher, eines mit dem Titel: Zieh aus von hier, mein Volk, damit du nicht an ihren Seuchen teilhabest; ein anderes nannte sich Guter Rat; ein weiteres, Großbritanniens Memento; und viele davon, alle oder die meisten davon, sagten direkt oder verdeckt den Untergang der Stadt voraus. Ja, einige waren so dreist, mit ihren mündlichen Vorhersagen durch die Straßen zu rennen und so zu tun, als wären sie ausgesandt worden, um in der Stadt zu predigen, besonders einer unter ihnen, der wie Jonas in Ninive auf den Straßen rief: „Noch vierzig Tage, und London wird zerstört werden.“ Ich bin jedoch nicht ganz sicher, ob er vierzig Tage oder ein paar Tage sagte. Ein anderer, nackt bis auf eine Unterhose, rannte Tag und Nacht schreiend umher, wie ein Mann, den Josephus erwähnt und der „Wehe Jerusalem!“ rief, kurz vor der Zerstörung dieser Stadt. So rief diese arme nackte Kreatur: „Oh, großer und schrecklicher Gott!“ und sagte nicht mehr, sondern wiederholte diese Worte fortwährend mit einer Stimme und einem Gesicht voller Entsetzen, während er schnell dahin schritt; und niemand konnte ihn jemals dazu bringen, innezuhalten oder sich auszuruhen oder etwas zu essen, zumindest soweit es mir bekannt ist. Ich traf diese arme Kreatur mehrmals auf der Straße und hätte mit ihm gesprochen, aber er wollte nicht mit mir oder jemand anderem sprechen, sondern hielt beständig an seinem schauerlichen Geschrei fest.

Diese Dinge erschreckten die Menschen bis ins Mark, und dies besonders, als sie zwei- oder dreimal, wie ich bereits erwähnt habe, ein oder zwei in den Sterberegistern fanden, die in St. Giles an der Pest gestorben waren.

Neben diesen öffentlichen Dingen gab es die Träume alter Frauen oder, ich sollte sagen, die Auslegungen alter Frauen von Träumen anderer Menschen; und diese brachten die Menschen haufenweise um ihren Verstand. Einige hörten Stimmen, die sie warnten, zu fliehen, denn es würde eine solche Pest in London geben, daß die Lebenden die Toten nicht begraben könnten. Andere sahen Erscheinungen in der Luft; und es sei mir gestattet von beiden sagen zu dürfen, ich hoffe ohne Verletzung der Nächstenliebe, daß sie Stimmen hörten, die niemals sprachen, und Dinge sahen, die niemals existierten; aber die Einbildungskraft der Menschen war wahrlich unberechenbar und besessen geworden. Und es war auch kein Wunder, wenn diejenigen, die ständig in die Wolken emporstarrten, Formen und Gestalten, Gebilde und Erscheinungen sahen, die nichts als Luft und Dampf waren. Hier, sagten sie uns, hätten sie ein flammendes Schwert in einer Hand gesehen, das aus einer Wolke kam und dessen Spitze direkt über der Stadt hing; da sähen sie Leichenkarren und Särge in der Luft zum Begräbnis davonschweben; und dort lägen Haufen von unbestatteten Leichen, und dergleichen mehr, was eben die Phantasie der armen, verängstigten Menschen so hervorbrachte.

So bildet die Phantasie ungehemmt

Schiffe, Heere, Schlachten am Firmament;

Bis ruhige Augen den Nebel lichten,

Und die Gebilde zu Wolken sich verdichten.

Ich könnte diesen Bericht mit den seltsamen Erzählungen dieser Leute, von dem, was sie gesehen hatten, füllen; und jeder war sich so sicher, daß er gesehen hatte, was er vorgab gesehen zu haben, daß er keinen Widerspruch duldete, so daß man riskieren mußte, die Freundschaft zu zerbrechen oder einerseits unhöflich und unmenschlich und andererseits gottlos und starrsinnig zu sein. Es begab sich einst, bevor die Pest begann (als sie noch nicht über St. Giles hinausgekommen war), ich glaube, es war im März, als ich eine Menschenmenge auf der Straße sah. Ich schloß mich ihnen an, um meine Neugier zu befriedigen, und stellte fest, daß sie alle in den Himmel starrten, um zu sehen, was einer Frau, wie sie ihnen beschrieb, deutlich erschien: ein Engel in Weiß, mit einem feurigen Schwert in der Hand, das er schwenkte oder über seinem Haupte schwang. Sie beschrieb lebhaft jeden Teil der Gestalt, zeigte ihnen die Umrisse und die Form, und die armen Leute bemühten sich mit solcher eifrigen Bereitschaft. „Ja, ich sehe alles ganz deutlich“, sagte einer; „da ist ganz klar ein Schwert.“ Ein anderer sah den Engel. Einer sah sein Gesicht und schrie, was für eine herrliche Kreatur er wäre! Einer sah eine Sache und ein zweiter eine andere. Ich sah ebenso eifrig hinauf wie die anderen, aber vielleicht nicht mit so viel Bereitschaft, mir etwas einreden zu lassen; und ich sagte, daß ich in der Tat nichts als eine weiße Wolke sehen könnte, die auf der einen Seite leuchtete, da die Sonne auf der anderen Seite schien. Die Frau bemühte sich, mir die Gestalt zu zeigen, konnte mich aber nicht dazu bringen zu gestehen, daß ich sie gesehen hätte, wie ich auch tatsächlich gelogen haben müßte, wenn ich es getan hätte. Aber die Frau, die sich zu mir umwandte, sah mir ins Gesicht und bildete sich ein, ich hätte gelacht, und hier täuschte ihre Phantasie sie gleichfalls, denn ich lachte wahrlich nicht, sondern dachte sehr ernsthaft darüber nach, wie sich die armen Leute durch die Macht ihrer eigenen Einbildungskraft solcherart erschrecken ließen. Sie wandte sich jedoch von mir ab, nannte mich einen gottlosen Kerl und einen Spötter, sagte mir, daß dies eine Zeit des Zorns Gottes wäre, dessen schreckliches Gericht näherrückte, und daß Verächter wie ich sich verirren und zugrunde gehen würden.

Die Leute um sie herum schienen ebenso aufgebracht wie sie; und ich stellte fest, daß es keine Möglichkeit gab, sie davon zu überzeugen, daß ich sie nicht auslachte, und daß ich eher von ihnen mißhandelt werden würde, als daß ich ihnen ihre Täuschung nehmen könnte. Also verließ ich sie und ließ ihnen diese Erscheinung so wirklich sein wie den Kometen.

Ich hatte noch eine andere Begegnung am hellichten Tag; und dies geschah, als ich an einer Reihe von Almosenhäusern entlang durch einen schmalen Durchgang von Petty France zum Kirchhof in Bishopsgate ging. Es gibt zwei Kirchhöfe, die zur Bishopsgate-Kirche oder dem Kirchspiel gehörten; zu dem einen gelangt man, wenn man von dem Ort namens Petty France in die Bishopsgate Street geht, worauf man direkt vor der Kirchentür herauskommt; der andere befindet sich neben dem schmalen Durchgang, mit den Almosenhäusern zur Linken, einer niedrigen Mauer mit einem Bretterzaun zur Rechten und der Stadtmauer weiter rechts auf der anderen Seite.

In diesem engen Durchgang stand ein Mann, der zwischen den Brettern des Zaunes hindurch auf den Kirchhof schaute, und es waren so viele Menschen stehengeblieben, wie die Enge des Durchgangs es zuließ, um andere passieren zu lassen, und er redete recht eifrig auf sie ein und zeigte bald auf einen Ort, bald auf einen andern und schwor, daß er dort auf jenem Grabstein einen Geist herumspazieren sah. Er beschrieb die Gestalt, die Haltung und die Bewegung der Erscheinung so genau, daß er es überhaupt nicht begreifen wollte, daß nicht jeder sie so gut sah wie er. Plötzlich schrie er: „Da ist sie; jetzt geht sie in diese Richtung.“ Dann „Sie hat sich umgewendet“; bis er schließlich die Leute soweit beredet hatte, daß erst einer von ihnen glaubte, er hätte sie gesehen, und dann ein anderer; und so kam er jeden Tag und verursachte einen förmlichen Auflauf, wenn man bedenkt, daß es sich um einen so engen Durchgang handelte, bis die Uhr von Bishopsgate elf schlug, und dann schien der Geist sich zu erschrecken, denn er verschwand so plötzlich, als wäre er abberufen worden.

Ich schaute gewissenhaft in alle Richtungen, und zwar in genau dem Augenblick, in dem dieser Mann hindeutete, konnte aber nicht das geringste Anzeichen von irgend etwas sehen; aber dieser arme Kerl war so überzeugend, daß er die Menschen in Angst und Schrecken versetzte und sie vor Furcht zitternd fortschickte, bis endlich nurmehr wenige Menschen, die davon wußten, es wagten, diesen Durchgang zu durchqueren, und kaum jemand bei Nacht, so dringend er auch hindurch gemußt hätte.

Dieser Geist deutete, wie der arme Mann versicherte, auf die Häuser, die Erde und die Leute, womit er klärlich andeutete, oder zumindest verstand man es so, daß der Großteil des Volkes auf diesem Kirchhof begraben werden sollte, wie es in der Tat geschah; aber ich muß gestehen, daß ich nie geglaubt habe, daß er solche Erscheinungen gesehen hat, noch konnte ich selbst etwas davon sehen, obschon ich mich überaus eifrig bemühte.

Diese Dinge sollen zeigen, wie weit die Menschen tatsächlich von Wahnvorstellungen befallen waren; und da sie in ihrer Vorstellung eine kommende Heimsuchung erwarteten, lauteten alle ihre Vorhersagen auf eine schreckliche Pest, die die ganze Stadt und sogar das Königreich verwüsten und fast die ganze Nation, sowohl Mensch als auch Tier, hinwegraffen sollte.

Wie ich bereits sagte, schmückten die Astrologen die Konjunktionen von Planeten auf bösartige Weise und voller Mutwillen mit Geschichten aus, von denen eine Konjunktion im Oktober und die andere im November stattfinden sollte und stattfand; und sie füllten die Köpfe der Leute mit Vorhersagen über diese Zeichen des Himmels und deuteten an, daß diese Konjunktionen Dürre, Hunger und Pest voraussagten. Bei den beiden ersteren lagen sie jedoch völlig falsch, denn wir hatten keine Dürre, sondern zu Beginn des Jahres einen harten Frost, der von Dezember fast bis März andauerte und nach diesem gemäßigtes Wetter, das eher warm als heiß war, mit erfrischenden Winden und, kurz gesagt, sehr gewöhnliches Wetter mit einigen sehr ergiebigen Regenfällen.

Einige Bemühungen wurden unternommen, um den Druck solcher Schriften zu unterdrücken, die das Volk erschreckten, und um ihre Vervielfältiger abzuschrecken, von denen einige verhaftet wurden. Aber es wurde nichts weiter unternommen, soviel ich weiß, da die Regierung nicht bereit war, den Unwillen des Volks zu erregen, das, wenn man so sagen darf, ohnehin schon völlig den Kopf verloren hatte.

Ich kann auch die Geistlichen nicht entschuldigen, die mit ihren Predigten den Mut ihrer Zuhörer eher sinken ließen als ihn zu heben. Viele von ihnen taten es zweifellos, um die Entschlossenheit der Leute zu stärken und insbesondere, um sie zur Umkehr zu bewegen, aber damit erreichten sie ihr Ziel gewiß nicht, zumindest nicht im Verhältnis zu der Verletzung, die sie auf andere Weise dadurch anrichteten; und wahrlich, da Gott selbst die Menschen durch die ganze Schrift hindurch eher durch Einladungen und Aufforderungen dazu bringt, sich ihm zuzuwenden, anstatt uns durch Furcht und Schrecken anzutreiben, muß ich gestehen, daß ich dachte, die Geistlichen hätten es auch so tun sollen, um unserem gesegneten Herrn und Meister darin nachzueifern, dessen ganzes Evangelium voller Beweise von der Barmherzigkeit Gottes ist, und davon, daß Er bereit ist, Bußfertige zu empfangen und ihnen zu vergeben, und schilt: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habet“, und daß daher Sein Evangelium das Evangelium des Friedens und das Evangelium der Gnade genannt wird.