Die Prä-Personen - Philip K. Dick - E-Book

Die Prä-Personen E-Book

Philip K. Dick

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Beschreibung

Kurz nach einem eigenen Nervenzusammenbruch im Jahr 1974, schrieb Philip K. Dick diese Geschichte als Antwort auf das berühmte Urteil im Fall Roe vs. Wade, das die Frage nach der Legalität - oder Illegalität - von Abtreibungen beantworten sollte. In einer fiktiven Zukunft hat der US-Kongress entschieden, dass Abtreibungen bis zu dem Zeitpunkt legal sind, an welchem die Seele in den Körper eingeht, was in Dicks Geschichte mit dem Erlernen einfacher Rechenaufgaben einhergeht. Doch was ist, wenn man auf einmal seine Mathematikkentnisse verloren hat?

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Seitenzahl: 52

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Philip K. Dick

Die Prä-Personen

Story 9 aus: Total Recall Revisited. Die besten Stories

 

 

Impressum

 

 

Covergestaltung: buxdesign, München

Coverabbildung: © Ruth Botzenhardt

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Diese Geschichte wurde erstmals im Oktober 1974

unter dem Titel ›The Pre-Persons‹

in The Magazine of Fantasy & Science Fiction veröffentlicht.

Copyright © 2014, The Estate of Philip K. Dick

All rights reserved

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-402928-3

 

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Inhalt

Die Prä-Personen

Die Prä-Personen

Hinter dem Zypressenwäldchen sah Walter – er hatte König auf dem Berg gespielt – den weißen Lieferwagen, und er wusste, was es damit auf sich hatte. Er dachte: Das ist der Abtreibungstransporter. Er ist da, um irgendein Kind zum Postpartum drüben in der Abtreibungsstelle abzuholen.

Und er dachte: Vielleicht haben meine Leute ihn gerufen. Für mich.

Er lief los und versteckte sich zwischen den Brombeeren, spürte, wie ihn die Dornen kratzten, dachte sich aber: Das ist besser, als die Luft aus der Lunge gesaugt zu bekommen. So machen sie es; sie führen alle PPs an allen Kindern da gleichzeitig durch. Sie haben ein großes Zimmer dafür. Für die Kinder, die keiner will.

Während er sich tiefer in die Brombeeren arbeitete, lauschte er, um zu hören, ob der Transporter anhielt; er hörte das Motorengeräusch.

»Ich bin unsichtbar«, sagte er vor sich hin – eine Zeile, die er für die Schulaufführung des »Sommernachtstraums« in der fünften Klasse gelernt hatte, eine Zeile, die Oberon, den er gespielt hatte, sagen musste. Und danach konnte ihn niemand mehr sehen. Vielleicht war das jetzt wahr geworden. Vielleicht wirkte der Zauberspruch im wirklichen Leben; er sagte es wieder zu sich selbst: »Ich bin unsichtbar.« Aber er wusste, er war es nicht. Er konnte noch immer seine Arme und Beine und Schuhe sehen, und er wusste, dass sie – dass alle, besonders der Mann vom Abtreibungstransporter und seine Mum und sein Dad – ihn auch sehen konnten. Wenn sie hinschauten.

Wenn er es war, hinter dem sie diesmal her waren.

Er wünschte sich, König zu sein; er wünschte sich, er sei über und über mit Zauberstaub bedeckt und hätte eine strahlende Krone, die glitzerte, er würde das Feenland regieren und hätte Puck, dem er sich anvertrauen konnte. Und der ihn beraten konnte. Beraten, auch wenn er selbst König war und mit Titania, seiner Frau, zankte.

Ich schätze, dachte er, etwas bloß zu sagen macht es noch lange nicht wahr.

Die Sonne brannte auf ihn herab, und er blinzelte, aber hauptsächlich hörte er auf den Motor des Abtreibungstransporters; er war immer noch zu hören, und insgeheim schöpfte er Hoffnung, als das Geräusch sich weiter und weiter entfernte. Ein anderes Kind wurde in die Abtreibungsklinik verfrachtet, nicht er; irgendeins am anderen Ende der Straße.

Er kämpfte sich zitternd und an vielen Stellen zerkratzt aus den Brombeeren und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Haus. Und während er heimtrottete, begann er zu weinen, hauptsächlich, weil die Kratzer weh taten, aber auch aus Furcht und Erleichterung.

»Gute Güte«, rief seine Mutter, als sie ihn sah. »Was in Gottes Namen hast du angestellt?«

Er stammelte: »Ich hab – den Abtreibungstransporter gesehen.«

»Und du dachtest, er wäre für dich?«

Er nickte stumm.

»Hör mal, Walter«, sagte Cynthia Best, kniete nieder und umfasste seine zitternden Hände, »ich verspreche dir, dein Dad und ich versprechen es beide, dass du niemals in die kommunale Sammelstelle gebracht wirst. Du bist sowieso zu alt. Sie nehmen nur Kinder bis zwölf.«

»Aber Jeff Vogel –«

»Seine Eltern brachten ihn unter, kurz bevor das neue Gesetz in Kraft getreten ist. Jetzt könnten sie ihn legal nicht mehr annehmen. Sie könnten dich nicht annehmen. Sieh mal – du hast eine Seele; das Gesetz sagt, ein zwölfjähriger Junge hat eine Seele. Also kann er nicht in die kommunale Sammelstelle kommen. Na siehst du? Du bist sicher. Immer wenn du den Abtreibungstransporter siehst, ist er für jemand anderen, nicht für dich. Niemals für dich. Ist das klar? Er ist wegen einem anderen, kleineren Kind gekommen, das noch keine Seele hat, eine Prä-Person.«

Starr zu Boden schauend, ohne den Blick seiner Mutter zu erwidern, sagte er: »Ich fühle mich nicht, als ob ich eine Seele hätte; ich fühle mich wie immer.«

»Das ist eine rechtliche Frage«, sagte seine Mutter barsch. »Streng nach Alter geregelt. Und du bist über das Alter hinaus. Die Kirche der Überwacher hat den Kongress dazu gebracht, das Gesetz zu verabschieden – eigentlich wollten sie, diese Kirchenleute, ein jüngeres Alter; sie behaupteten, die Seele würde im Alter von drei Jahren in den Körper eintreten, aber es wurde eine Kompromissvorlage durchgesetzt. Das entscheidende für dich ist, dass du rechtlich sicher bist, ganz gleich, wie du dich innerlich fühlst; siehst du das ein?«

»Okay«, sagte er nickend.

»Du wusstest das.«

Zornig und verletzt brach es aus ihm heraus: »Was glaubst du, wie das ist, jeden Tag zu warten, dass vielleicht einer kommt und dich in einen Drahtkäfig in einem Lieferwagen sperrt und –«

»Deine Furcht ist irrational«, sagte seine Mutter.

»Ich habe gesehen, wie sie Jeff Vogel abgeholt haben. Er weinte, und der Mann hat einfach die Hintertür von dem Transporter aufgemacht und Jeff reingeschoben und die Hintertür wieder zugemacht.«