Die Reflexion von Identität in Hermann Hesses "Steppenwolf" - Julia Kahl - E-Book

Die Reflexion von Identität in Hermann Hesses "Steppenwolf" E-Book

Julia Kahl

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,7, Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprache: Deutsch, Abstract: Ausgehend von der These, dass der „Steppenwolf“ eine Identitätskrise darstellt, soll in der vorliegenden Arbeit geklärt werden, auf welche Weise sich die krisenhafte Identität des Protagonisten konkretisiert. Dazu ist es notwendig, vor dem Hauptteil zunächst einmal die Begrifflichkeit „Identität“ zu klären, um eine Basis für die Analyse zu schaffen. Im Anschluss werde ich mein Augenmerk auf die besondere Komposition des Romans, die auch auf das Geschehen wirkt, legen und im jeweiligen Kontext auf den psychoanalytischen Einfluss verweisen, weil er für das Verständnis des Romans von zentraler Bedeutung ist. Dabei werde ich mich weitgehend auf die Lehre C.G. Jungs beschränken, da der Psychologe selbst sowie sein Schüler J.B. Lang mit Hesse in persönlichen Kontakt standen und nachweislich in Gesprächen und durch Lektüre das Werk des Autors prägten. Des Weiteren sollen Figurenlage und Schlüsselsymbole, wie etwa das des ständig wiederkehrende Spiegelmotivs, untersucht werden und zudem beleuchtet werden, inwiefern die Handlungsträger als Teilidentitäten Harry Hallers und letztendlich des Autors Hermann Hesse selbst angesehen werden können. Diesbezüglich werde ich im dritten Teil die Biographie Hesses unter verschiedenen Gesichtspunkten veranschaulichen, um daraus ein Resümee zu seinem Werk zu ziehen. Bei der Breite der Literatur zu Hesse, auf die ich im Laufe meiner Recherchen stieß, scheint es mir verwunderlich, dass die Thematik der Identität in seiner Romanwelt zwar stets eine Rolle spielt, doch nie explizit die Fragestellung bestimmt. So fand ich zahlreiche brauchbare Anhaltspunkte, welche auszuformulieren und weiterzudenken Ziele dieser Arbeit darstellen werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2005

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Inhalt

 

I. Einleitung

II. Die Reflexion von Identität in Hermann Hesses „Steppenwolf“

1. Eine begriffliche Fassung von „Identität“

2. Der „Steppenwolf“

2.1 Perspektiven

3. Weitere Reflexionen von Identität in Bezug auf Hermann Hesses Biographie

3.1 Biographische Analogien

3.2 Die Krankheit der Zeit

3.3 Die Bedeutung der Psychoanalyse

3.4 Der Glaube Hesses

3.5 Rezeptionsgeschichte

III. Nachbetrachtung

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Lebenslauf

 

I. Einleitung

 

„Nicht jedem Individuum ist es gegeben, eine Persönlichkeit zu werden, die meisten bleiben Exemplare und kennen die Nöte der Individualisierung gar nicht. Wer sie aber kennt und erlebt, der erfährt auch unfehlbar, daß diese Kämpfe ihn mit dem Durchschnitt, dem normalen Leben, dem Hergebrachten und Bürgerlichen in Konflikt bringen.“[1]

 

Hauptmotiv des Werkes Hermann Hesses ist die Identitätssuche als Bestrebung des Protagonisten seinen angemessenen Platz im Gefüge zu finden. Die Parallelen zwischen Hesses Thematisierung der Selbstfindung und der  Psychologie Carl Gustav Jungs sind in diesem Kontext deutlich erkennbar. Hesses Suche nach dem eigenen Ich bezeichnet Jung als den „Heilsweg der Individuation“. Trotzdem meinen beide dasselbe: das Streben des Menschen nach Einheit mit sich selbst in der Selbstverwirklichung.

 

Am Beispiel Harry Hallers im „Steppenwolf“ behandelt der Autor eine Identitätskrise, die sich darin äußert, dass der Protagonist unter der Spaltung in zwei widersprüchliche Teilidentitäten leidet. Da er innerhalb völliger Resignation in der Entfaltung seiner Persönlichkeit stagniert, scheint eine Weiterentwicklung zunächst völlig aussichtslos und wird im Laufe der Handlung erst ins Rollen gebracht als Haller auf seine Seelenbilder trifft.

 

Bei der Breite der Literatur zu Hesse, auf die ich im Laufe meiner Recherchen stieß, scheint es mir verwunderlich, dass die Thematik der Identität in seiner Romanwelt zwar stets eine Rolle spielt, doch nie explizit die Fragestellung bestimmt. So fand ich zahlreiche nützliche Anhaltspunkte, welche auszuformulieren und weiterzudenken Ziele dieser Arbeit darstellen werden. Ausgehend von der These, dass der „Steppenwolf“ eine Identitätskrise darstellt, wird zu klären sein, auf welche Weise sich die krisenhafte Identität Hallers konkretisiert. Dazu ist es notwendig, vor dem Hauptteil zunächst einmal die Begrifflichkeit zu klären, um eine Basis für die Analyse zu schaffen. Im Anschluss werde ich mein Augenmerk auf die besondere Komposition des Romans, die auch auf das Geschehen wirkt, legen und im jeweiligen Kontext auf den psychoanalytischen Einfluss verweisen, da er für das Verständnis des Romans von zentraler Bedeutung ist. Dabei werde ich mich weitgehend auf die Lehre C. G. Jungs beschränken, da Hesse selbst mit ihm in persönlichem Kontakt stand und die Werke des Psychologen aufschlussreiche Hinweise für ihn geboten haben. Des weiteren sollen Figurenlage und Schlüsselsymbole wie etwa das ständig wiederkehrende Spiegelmotiv, untersucht werden und es soll beleuchtet werden, inwiefern die Handlungsträger als Teilidentitäten Harry Hallers und letztendlich des Autors Hermann Hesse selbst angesehen werden können. Diesbezüglich werde ich im dritten Teil die Biographie Hesses unter verschiedenen Gesichtspunkten veranschaulichen, um daraus ein Resümee zu seinem Werk zu ziehen.

 

II. Die Reflexion von Identität in Hermann Hesses „Steppenwolf“

 

1. Eine begriffliche Fassung von „Identität“

 

Da die Problematik der Identität im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, ist es sinnvoll, am Anfang die Terminologie von „Identität“ zu klären, um eine begriffliche Grundlage zu bereiten.

 

Der Begriff „Identität“ hat seinen Ursprung in dem lateinischen Wort „idem“ (derselbe) und bedeutet „vollständige Übereinstimmung“. Dessenungeachtet ist für meine Untersuchung die psychologische Komponente des Begriffes vonnöten. Das Psychologische Wörterbuch stellt hierzu fest: „In der Psychologie ist Identität das Fortbestehen eines anschaulich Abgesonderten in Raum und Zeit.“[2] Wer Identität besitzt, gehört also sich selbst und hat das Erlebnis, derselbe zu sein und zu bleiben.

 

Jeder Mensch hat eine Identität, also eine Vorstellung dessen, was er ist. Der Philosoph und Psychologe William J. James hat in seinen „Principles of Psychology“[3] von 1890 definiert, dass sich die menschliche Identität aus drei Komponenten zusammensetzt: dem materiellen, dem geistigen und dem sozialen Selbst. Das materielle Selbst wird nach James aus dem Körper gebildet, das geistige Selbst setzt sich aus den Fähigkeiten sowie Kenntnissen des Menschen zusammen und das soziale Selbst resultiert aus der Beachtung, die dem Individuum durch seine Mitmenschen zuteil wird. Daraus ergibt sich, dass jeder Mensch soziale Anerkennung benötigt, um sich eine Identität aufzubauen. Die eigene Identität ist dabei abhängig von den Reaktionen und Verhaltensweisen der Mitmenschen sowie vom Vergleich mit der eigenen Vergangenheit und Zukunft.[4] Die zum Aufbau eines Selbst benötigte Bestätigung wird also erst im Erleben und Erkennen des sozialen Umfeldes erfahren. 

 

In den 70er Jahren hat vor allem die Psychoanalyse und hier Erik H. Erikson als begeisterter Anhänger Freuds, den Identitätsbegriff geprägt. Er versteht die Formung der Identität als nie abgeschlossen, sondern vielmehr als ein „Prozessgeschehen beständiger, alltäglicher Identitätsarbeit, als permanente Passungsarbeit zwischen inneren und äußeren Welten.“[5] Der Mensch steht demnach lebenslang vor der Aufgabe, seine Identität in einem Entwicklungsprozess zu erschaffen und zu erhalten. Der immerwährende Wunsch zu innerer Einheit zu gelangen bleibt jedoch stets Utopie. So ist der Mensch auch für Hesse nicht von Geburt an etwas Abgeschlossenes, sondern „ein Wurf der Natur nach dem Menschen hin“[6], wie es im Vorwort zu „Demian“ heißt. Ständige Selbsterneuerung und Weiterentwicklung sind Voraussetzungen für die Gestaltung seines Ichs. Ein enger Zusammenhang mit den Theorien Eriksons mag sich im Traktat in folgendem Satz ausfindig machen:

 

„Der Mensch ist ja keine feste und dauerhafte Gestaltung (...), er ist vielmehr ein Versuch und Übergang.“[7]

 

Auch bei Hesse geht es im Grunde genommen um Sozialisation, um die erfolgreiche Gestaltung eines eigenen Lebenslaufes, um die Suche nach der eigenen Identität. Deren Verwirklichung wird in der Figur Harry Hallers auf individuelle Weise und gerade außerhalb der Gesellschaft gesucht. Die Tatsache, anders zu sein und dies auszuleben, bedeutet Individualität, bedeutet „tausend Seelen in einer Brust zu tragen.“ So spricht Hesse mit seinem Steppenwolf-Typus als Phänomen der Zeit eine Sehnsucht an, mit der sich gerade die junge Generation identifiziert:

 

„ (...) unter jenen Lesern, die mir Briefe schreiben, war stets die Jugend in der Mehrzahl. Das ist natürlich, denn alle meine dichterischen Bücher handeln vom Individuum, dem Einzelnen, der Persönlichkeit. Und des Problem der Individuation und seiner Einordnung ins Soziale ist ja genau das Problem jeder geistig regsamen Jugend.“[8]

 

Hesse antwortet in seiner Romanwelt auf aktuelle Fragen nach Orientierung und Lebenssinn. Im „Steppenwolf“ gerät Harry Haller in den Konflikt, die „Balance von sozialer und persönlicher Identität“[9], das heißt ein Gleichgewicht zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen der Mitmenschen, zu finden. Er kämpft als Steppenwolf darum, sich einerseits in die Gesellschaft zu integrieren und andererseits, seine Individualität auszuleben. Das Leitmotiv dabei ist die Zerrissenheit, unter welcher der Protagonist leidet. Seine Identitätsspaltung ist letztendlich darauf zurückführbar, dass er die Problematik des Lebens zwischen zwei Welten schwerlich ertragen kann. Bei ihm konkurrieren die Komponenten Wolf und Mensch, wobei sie immerzu auseinander fallen und unvereinbar erscheinen. Dieses Phänomen erlebt der Protagonist als Identitätskrise. Meiner Meinung nach lässt sich eine gelungene Identität im „Steppenwolf“, als die Fähigkeit des Menschen, die unterschiedlichen Facetten der eigenen Persönlichkeit als zusammengehörig zu erleben, definieren. Dieser Begriffsbestimmung wird im Folgenden mein Hauptaugenmerk gelten.

 

In vielen Romanen seit der Goethe-Zeit, besonders in den Bildungs- und Entwicklungsromanen, steht die Identitätssuche als Konflikt des Ichs und der Welt sowie die notwendig gesehene Integration im Mittelpunkt. Es geht um die oftmals gegensätzlichen Lebenskonzepte des Protagonisten und des Bürgertums, wobei sich  die Hautfiguren bis zuletzt einzugliedern versuchen. Auch der Steppenwolf Haller beschreitet seinen Weg außerhalb der Norm, wird belehrt und findet schließlich selbst die  Antwort auf seine Lebensfrage.

 

2. Der „Steppenwolf“

 

2.1 Perspektiven

 

Die Identitätsproblematik wird im „Steppenwolf“ nicht nur thematisch behandelt, sondern spiegelt sich auch in Aufbau und Struktur des Romans wider.  Durch die dreifach gebrochene Erzählperspektive ist Hesses „Steppenwolf“ strukturell eines seiner komplexesten Werke. Sein multiperspektivisches Erzählen zeigt sich im „Vorwort des Herausgebers“, dem „Traktat vom Steppenwolf“, und den „Aufzeichnungen“ Harry Hallers. Der Leser lernt auf diese Weise die Lebensgeschichte des Protagonisten aus drei verschiedenen Blickwinkeln kennen und wird in diesem Sinne dazu aufgefordert, sich aus unterschiedlichen Aspekten mit der vielschichtigen Persönlichkeit Hallers auseinanderzusetzen: objektiv aus der Sicht des Augenzeugen, als selbstkritischer Bericht in den eigenen Aufzeichnungen und analytisch im Traktat.[10] So schlüpft der Leser jeweils in eine neue Rolle und hat die Gelegenheit seinen Leserstandpunkt wiederholt zu überdenken. Er nimmt dabei durch die intime Nähe der tagebuchähnlichen Aufzeichnungen am inneren Kampf Harry Hallers teil. Zugleich baut er durch das vorangegangene Lesen des Vorwortes eine Ambivalenz seiner Sympathien auf. Zum einen teilt er die Perspektive des gutbürgerlichen Herausgebers, der dem Steppenwolf Verständnis und Kritik entgegenbringt, zum anderen aber auch die Hallers, der sich einerseits aus der bürgerlichen Welt ausgeschlossen, andererseits jedoch zu ihr hingezogen fühlt.

 

Der Leser wird dabei Teil der jeweiligen Erzähleridentität und somit der Romanwelt. Es besteht hier die Möglichkeit einer Synthese und emotionalen Bindung zwischen Leser und Werk.

 

2.1.1 Das Vorwort des Herausgebers

 

 „Wie stark aber auch das Vorwort in die Romanstruktur integriert sein sollte, es enthält doch stets eine Erinnerung an seine außerkünstlerische Herkunft, einen Schritt näher zur realen Wirklichkeit. Deshalb greifen die Schriftsteller öfters nach einem Vorwort, wenn sie die Glaubwürdigkeit und Authenzität ihrer Geschichte steigern wollen.“[11]

 

Hesse verwendet im Vorwort die Perspektive eines fiktiven Herausgebers, der vor allem die Funktion hat, dem Leser die Wirklichkeit der Existenz Hallers zu garantieren.Er lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Aufzeichnungen, die er dem Leser im folgenden anbietet, tatsächlich von Haller stammen, auch wenn er die Erwartung auf eine faktengetreue Autobiographie nicht erfüllen kann:

 

„Sie (die Aufzeichnungen) bedeuten, ganz wörtlich, einen Gang durch die Hölle, einen bald angstvollen, bald mutigen Gang durch das Chaos einer verfinsterten Seelenwelt, gegangen mit dem Willen, die Hölle zu durchqueren, dem Chaos die Stirn zu bieten, das Böse bis zu Ende zu erleiden.“[12]

 

Neben der Darstellung Hallers aus seiner Sicht, gibt der Herausgeber die Blickrichtung auf  die Aufzeichnungen vor und somit auch Deutungsansätze für den Leser. Indem er hier von einer „Seelenwelt“ spricht, eröffnet er ihm eine weitere Bedeutungsebene, die dieser je nach Belieben beschreiten oder ignorieren kann. Denn der fiktive Herausgeber verkörpert jene Sicherheit des Bürgerlichen, die dem Leser die Gelegenheit gibt, in Hallers „Seelenwelt“ einzutauchen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Herausgeber einen „Wegweiser für die Lektüre“ gibt, die „Weichen für die Leseridentifikation“[13] stellt und Deutungsansätze voranstellt.

 

 Durch den Herausgeber werden die Aufzeichnungen in das Vorwort eingebettet und somit schon vorab als distanziertes Bild Hallers vermittelt und durch eine psychologische Analyse der wichtigen Aspekte seiner Person den Aufzeichnungen vorangestellt. Der Herausgeber, der hier als „Augenzeuge“[14]fungiert, wie er sich selber einmal nennt, macht den Leser mit den Lebensumständen Harry Hallers bekannt. Es handelt sich bei ihm um den Neffen der Zimmerwirtin, der Hallers Lebenswandel aus bürgerlich-konservativer Sichtweise bewertet. Durch die Wahl der Ausgangsperspektive wird Haller schon zu Beginn des Romans zum Außenseiter. Der Herausgeber, als typischer Vertreter der Bourgeoisie, verkörpert das Verhältnis der Gesellschaft zu Typen wie Harry. Er sieht Harry vom Standpunkt eines soliden Bürgers, der seinen Platz in der Welt gefunden hat und Hallers psychische Verfassung analysiert, womit er anhand bedeutsamer Erkenntnisse dem weiteren Geschehen vorausgreift. So identifiziert das Vorwort bereits in seinem ersten Satz den Protagonisten als Steppenwolf:

 

„Dieses Buch enthält die uns gebliebenen Aufzeichnungen jenes Mannes, welchen wir mit einem Ausdruck, den er selbst mehrmals gebrauchte, den „Steppenwolf“ nannten.“[15]

 

Der Steppenwolf dient im Roman als Leitmotiv zur Beschreibung von Hallers Identitätsproblematik. Der Wolf steht dabei für das einsame, ziellos umherschweifende Tier. Indem die Steppe als Zusatz in der Bezeichnung verwendet wird, verstärkt sich beim Leser der Eindruck einer weiten verlassenen Ebene, was die Einsamkeit des Wolfes noch deutlicher hervorhebt. Der Steppenwolf darf als Symbol für die rohe und triebhafte Natur gelten, die neben der geistigen und menschlichen Seite in Hallers Persönlichkeit wohnt. Im Laufe des Romans wird deutlich, dass der Steppenwolf Haller seine Wolfsnatur nicht akzeptieren kann, sondern sie als bekämpfenswert empfindet und sie ihn in eine tiefe Krise als Außenseiter stürzt. Im Vorwort heißt es etwa:

 

„Ein zu uns, in die Städte und ins Herdenleben verirrter Steppenwolf – schlagender konnte kein andres Bild ihn zeigen, seine scheue Vereinsamung, seine Wildheit, seine Unruhe, sein Heimweh und seine Heimatlosigkeit.“[16]

 

Im Sinne der Lehre C. G. Jungs ist der Steppenwolf als aus dem Unbewussten verdrängter Persönlichkeitsteil, als „Schatten“ zu verstehen. In „Aion“ definiert er den „Schatten“ als:

 

„(...) jene verhüllte, verdrängte, meist minderwertige und schuldhafte Persönlichkeit, welche mit ihren letzten Ausläufern bis ins Reich der tierischen Ahnen hinaufreicht und so den ganzen historische Aspekt des Unbewußten umfaßt. (...) Wenn man bis dahin der Meinung war, daß der menschliche Schatten die Quelle allen Übels sei, so kann man nunmehr bei genauerer Untersuchung entdecken, daß der unbewußte Mensch, eben der Schatten, nicht nur aus moralisch verwerflichen Tendenzen besteht, sondern auch eine Reihe guter Qualitäten aufweist, nämlich normale Instinkte, zweckmäßige Reaktionen, wirklichkeitsgetreue Wahrnehmungen, schöpferische Impulse (...).“[17]

 

Daher ist es für Haller wichtig, sich seinem Schatten zu stellen.

 

Der Steppenwolf ist „ein Mann von annähernd fünfzig Jahren“[18], ein eigenbrötlerischer Gelehrter, der gebeutelt ist von Hass gegen sich und die Welt. Niemand weiß, von wo er gekommen und wohin er verschwunden ist, womit der Herausgeber bereits den Schluss des Romans vorwegnimmt:

 

„Es ist nur wenig, was ich über ihn weiß, und namentlich ist seine ganze Vergangenheit und Herkunft mir fremd geblieben.“[19]  

 

So umrahmt das Vorwort des Herausgebers die Aufzeichnungen Hallers, die als Rückwendung fungieren. Haller wird der neue Untermieter der Tante des Herausgebers und somit dessen Nachbar. Mit seinem Einzug beginnt ein Zeitraum von etwa vierzig Wochen, der dem Vorwort wie auch Hallers Manuskript zugrunde liegt.