Die Rose des Bösen - Angelika Friedemann - E-Book

Die Rose des Bösen E-Book

Angelika Friedemann

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Beschreibung

Wir sind, was wir denken. Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt. Buddha Ein Serienmörder tötet Mädchen und trotz aller Bemühungen von einem großen Beamtenapparat kommen Yasmin und die Kollegen keinen Schritt voran. Hauptkommissarin Yasmin Hennig bemerkt, dass sie ihre Grenzen erreicht, der Belastbarkeit nicht wirklich standhalten kann, aber sie will nicht aufgeben und es kommt zu folgenschweren Fehlern. Yasmin Hennig, halb Deutsche, halb Südafrikanerin, hat es geschafft, sich beim LKA hochzuarbeiten. Ihre Unsicherheit, die sie zeitlebens wegen ihrer Hautfarbe begleitete, ist geblieben und führt sie in eine Katastrophe. Wenige sind imstande, von den Vorurteilen der Umgebung abweichende Meinungen gelassen auszusprechen. Die meisten sind sogar unfähig, überhaupt zu solchen Meinungen zu gelangen.

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Die Rose des Bösen

TitelseiteImpressum

Angelika Friedemann

Die Rose des Bösen

Wir sind, was wir denken.

Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken.

Mit unseren Gedanken formen wir die Welt.

Buddha

1

Jasmin Hennig zog die Pumps an, sprang aus ihrem Wagen und eilte zu den sechs wartenden Menschen, musterte diese kurz, schob die Sonnenbrille nach oben.

„Moin. Meine Kollegen werden Sie gleich befragen“, äußerte sie im Vorbeigehen, schaute auf den Waldweg, während sie die restlichen 30 Meter zurücklegte.

„Moin. Siggi, nehmt sofort die zwei Reifenspuren auf“, rief sie einem Mann von der Spurensicherung zu. „Moin, allerseits. Ein Kind?“

Sie betrachtete das nackte Mädchen. Eine verwesende Ausdunstung drang ihr in die Nase. Sie war gewillt die Fliegen, andere Kleinstlebewesen von dem schmalen Kinderkörper zu scheuchen, hielt sich gerade noch zurück. Sie hasste Kinderleichen, besonders wenn sie nackt vor ihr lagen. Ein Geruch von Moder vermischt mit dem würzigen Duft von den in der Nähe stehenden Kiefern und dem Gestank von Fäulnis drängten sich ihr auf. Sie atmete automatisch durch den Mund ein.

„Deern, schätzungsweise 8 bis 10, blond, erwürgt oder erstickt, keine sexuelle Handlung, so auf den ersten Blick.“

„David. Was ist mit den Haaren?“

„Weg. Rasierte der Täter ab.“

„Woher weißt du, dass die blond waren?“

„Er hat sie vor Ort rasiert und es lagen wenige lange Exemplare neben ihr. Er hat ihr eine gelbe Rose auf den Körper gelegt, die Hände darüber gefaltet. Siehst du auf den Bildern.“

„Wann?“

„Pi mal Daumen sechs, sieben Tage.“

„Dann ist es vermutlich die vermisste Elisa Fischer. 9 Jahre alt, verschwunden seit Mittwoch letzter Woche. Wieso aber hat er ihr die Haare entfernt, sie entkleidet?“

„Präterpropter behält er die Haare als Souvenir? Eventuell wollte er ihr Gewalt antun, wurde gestört? Gegebenenfalls ...“

„An einer Toten? Wurde sie hier ermordet?“, unterbrach sie ungeduldig den Gerichtsmediziner Doktor David Weber.

„Ich denke nein. Man würde irgendwelche Spuren erkennen, Schmutzreste unter den Fingernägeln. Alles aseptisch.“

„Müssen wir unter anderem nach der Bekleidung Ausschau halten“, äußerte Karl.

„Wie gehört, werdet ihr da nichts finden“, wandte sie sich an Karl Völkner. „Seht euch lieber die Reifenspuren an.“

Der runzelte die Stirn. „Wieso? Hat der Doc ermittelt, dass man sie nicht vor Ort entblößte? Suchen müssen wir dessen ungeachtet, oder gilt das neuerdings nicht mehr? Sage der Staatsanwaltschaft, dass du jetzt unsere Arbeit lenken willst. Eingebildete Tussi.“

„Er kann sie getötet haben, anschließend vor Ort ausgezogen und folgend die Rasur“, stellte Doktor David Weber fest.

„Ist ja gut. So meinte ich das nicht“, lenkte sie rasch ein.

„Vergreif dich nicht permanent im Ton, sonst bekommst du Ärger. Du bildest dir zu viel ein, Frau Hauptkommissarin.“

„Wenn schon, dann erste Hauptkommissarin“, versuchte sie zu lächeln.

„Bei mir heißt es Doktor Doktor, da ich studierte und mehrfach promovierte. Ich musste mir meine Beförderungen nicht ohne Höschen auf dem Schreibtisch ergattern“, erklärte er süffisant. „Packen wir sie ein“, grinste er nun den Gerichtsmediziner an, der das erwiderte.

Ein Sonnenstrahl glitt auf die sterblichen Überreste, zauberte von den Blättern teilweise ein bizarres Muster auf deren Körper und sie drehte sich um. Es wirkte zu skurril. Endlich verdeckte ein Tuch den Leichnam.

Zwei Männer erschienen. Rechtsmediziner Doktor David Weber und Doktor Karl Völkner, stellvertretender Leiter der KTI traten beiseite, schauten zu, wie man die Tote in den Blechsarg legte.

„Ich hasse Kinderleichen.“

„Nicht nur du, Jasmin. Du schaust so anders.“

„Weißt du, ich habe ein komisches Gefühl, das sie nicht die Letzte ist. Das muss ein Kranker sein, wie er die Lütte herrichtete.“

„Mutmaßten Karl und ich längst. Eure Abteilung muss ihn eben schnell finden. Ihr seid ja toughe Lüd.“

„Sie suchten bereits die vergangenen Tagen, befragten Nachbarn, aber nichts. Nun fange ich an.“

„Zuweilen haben wir einen Schiet Job. Du hast ja sehr fähige Kollegen, die die Arbeit erledigen.“

„Fahre ich zu den Eltern, damit ich es hinter mich bringe.“

„Bis morgen habt ihr mehr.“

„Danke, David.“

Sie ließ sich diverse Fotos auf ihr Handy übertragen, dachte kurz, wie einfach das heute doch alles ist. Als sie damals anfing, reichte man noch Polaroids herum.

Sie gab der Spurensicherung rasch einige Hinweise, da Karl noch mit dem Doc sprach, winkte ihren Mitarbeiter zu sich. „Olof, fahren wir zu den Eltern. Es ist vermutlich die verschwundene Elisa Fischer. Was war bei den Leuten?“

„Nichts. Sportstudenten, die gejoggt haben.“

„Sind sie öfter hier?“

„Sie sagen Nein. Sie sind nur deswegen hierher gefahren, weil es in der Stadt zu warm ist.“

„Marion, ich fahre. Sollte etwas Besonderes sein, ruft an.“

Sie setzte die Sonnenbrille auf, stieg ein, zog die Schuhe aus und fuhr rückwärts aus dem Waldweg.

„Man fährt nicht barfuß“, lästerte er wohl zum tausendsten Mal.

„Man fährt auch nicht mit Pumps. Ich fahre barfuß besser, wie mancher Mann mit Schuhen. Ich benötige die Adresse und sage bei Dierksen Bescheid, damit ich die Akte Fischer bekomme.“

Sie fädelte sich in den Verkehr ein, grübelte dabei über die abrasierten Haare nach. Was konnte dafür die Ursache sein? Sie sollte völlig nackt sein. Warum? Selbst Babys hatten Haare. Dazu diese Rose und gefaltete Hände? Sollte sie beten? Wie aufgebahrt. So betteten sie Menschen in einen Sarg, nur das diese weder vorher rasiert wurden, ferner trugen sie Kleidung. Sie wusste, dass das Mädchen nur ein Kleidchen und Höschen getragen hatte, da es für mehr augenblicklich zu warm war. Diese Textilien hatte der Täter möglicherweise ausgezogen, da er befürchtete, dass man daran Spuren von ihm finden konnte. Blieben die Haare.

„Du musst Richtung Nienstedten.“

„Olof, was fällt dir zu gelben Rosen ein?“

Der erste Hauptkommissar Olof Erdmann überlegte, schüttelte den Kopf. „Eigentlich nichts. Rote Rosen gelten als Symbol der Liebe. Weiße Rose, eine Widerstandsbewegung bei den Nazis. Meine Frau mag keine, sondern steht mehr auf Mohn-, Korn- und Sonnenblumen.“

„Wald- und Wiesenunkraut“, klang es verächtlich aus ihrem Mund. „Nimmt man gelbe Rosen bei einer Beerdigung?“

„Ich glaube, eher weiße. Für meinen Opa gab es von der Familie rote Rosen mit weißen Blütenzweigen, ansonsten scheußliche weiße Chrysanthemen und wie die Dinger heißen. Er hätte das Zeug sofort auf den Kompost geworfen, hat sogar mein Vater gelästert. Mich beschäftigt mehr, warum er die Haare abrasiert.“

„Das ist eher unwichtig. Er liebt lange blonde Haare und hat sie als Souvenir behalten. Er ist Friseur und verscherbelt sie. Lange Haare sind zu feminin. Er liebt nackte Haut.“

„Was ist mit Babys?“

„Die meisten werden mit einem Haarflaum geboren. Warst du nicht bei der Geburt dabei?“

„Bloß nicht. Damals war das noch nicht so verbreitet wie heute. Eva hätte das abgelehnt, vermute ich. War Viktor dabei?“

Jasmin lachte, „ihn hätte man da drinnen anbinden müssen. Annika hatte einen Fahrradunfall und er musste mit ihr ins Krankenhaus. Ihm ging es danach schlechter wie ihr. Er sagt, der Geruch macht ihn schon krank. Männer sind alle wehleidig und vertragen nichts“, erklärte sie hämisch. „Frauen, die man früher köpfte, bekamen eine Glatze rasiert. Man raubte ihnen dadurch die Weiblichkeit, das Verführerische.“

„Oder das Beil wäre nicht bis zum Hals gekommen. Nur sie wurde nicht geköpft.“

„Das weiß ich selbst“, maßregelte sie ihn unwirsch. „Vielleicht steht unser Täter mehr auf Jungs.“

„Die verfügen normalerweise ebenfalls über Haare.“

„Magnus und sein Freund tragen zurzeit lange Rasterzöpfe. Irgendeiner aus der Parallelklasse hat ihn mit Mischling aufgezogen. Da ich einer bin, hat er verkündet, mag ich so herumzulaufen. Sein Kumpel hat mitgezogen, sehr zum Leidwesen der Mutter. Jetzt findet sie es sogar gut. Wie immer, blöde Vorurteile.“

„Bei Annika sieht man kaum, dass sie afrikanische Wurzeln hat. Solange sie sich da nicht unterbuttern lassen, sondern so darauf reagieren, zeigt es, dass sie viel Selbstbewusstsein haben.“

„Haben sie von mir, obwohl ich selten deswegen angefeindet wurde. Einige Mädchen waren neidisch, da ich immer braune Haut hatte“, log sie. „Rassismus war damals gerade out. Die Massen gingen für Mandela auf die Straßen. Da wurde man als fast Schwarze eher bejubelt.“

„Feine Gegend“, lenkte er rasch ab, bevor nun zum tausendsten Mal die Litanei über Rassendiskriminierung und ihre Hautfarbe ausführlich erörtert wurde. „Sie war bei einer Freundin etwas hundert Meter entfernt und auf dem Stück hat er sie abgefangen, und zwar am heiligten Tag. Keiner hat etwas bemerkt.“

„Schau, da fahren Kinder Roller, andere spielen Ball, es sind überall Gärten und da hat sich keiner aufgehalten? So die Aussagen? Scheinen Blinde zu sein.“

„Kein Fremder, kein fremdes Auto, nichts?“

„Olof, ich werde da von vorn anfangen. Wenn ich das so sehe, finde ich das unwahrscheinlich. Die arbeiteten da schlampig. Guck, da gammeln sie am Zaun rum und tratschen. Bei denen stehen die Gartenmöbel so, dass man den Weg im Auge hat. Keine Hecke stört den Ausblick. Diese angeblichen Reichen bilden sich zu viel ein, denken, dass sie uns belügen können. Nicht mit mir. Dietrich geht an solche Leute viel zu lasch heran.“ Sie wartete auf eine Antwort, eine Bestätigung. Als nichts kam, fuhr sie wütend fort. „Möglicherweise ist mittwochs Ruhetag und alle sitzen brav im Haus. Es war zu warm, um im Pool zu planschen, wie bei denen dort drüben. Entweder müssen sie blind gewesen sein oder sie leiden unter Gedächtnisschwund. Weißt du, wenn bei uns in der Straße ein Kind verschwinden würde, fielen mir sofort die Dinge ein, die sonst nicht da sind.“

„Du bist auch Bulle. Wir werden jedes Haus abklappern, besonders die, wo die Bewohner von der Terrasse einen Blick auf die Straße haben. Schiet Job. Da vorne, das Weiße müsste es sein.“

„Ich bin kein Bulle, sondern erste Hauptkommissarin und deine Vorgesetzte. Vergessen?“

Abermals erwiderte er nichts.

„Sollte dringend neu gestrichen werden. Da blätterte der Putz ab. Aber in einer feinen Gegend wohnen wollen“, stellte sie lakonisch fest. Sie stiegen aus, klingelten, da das Tor verschlossen war. Eine Frau fragte ziemlich unwirsch, was sie wollten.

„Landeskriminalamt, öffnen Sie sofort!“, blaffte Jasmin die Frau an.

„Zeigen Sie mir bitte den Ausweis“, äußerte die Frau mit melodisch klingender Stimme. Dusseliges Frauchen, dachte Jasmin.

Olof hielt seinen Ausweis in die kleine Kamera und es surrte.

Das Haus war vorn und den beiden Seiten von großen Rasenflächen gesäumt. An dem hohen Zaun entlang begrenzten hohe Sträucher, Koniferen, davor Blumenrabatten, die Grundstücksgrenze. Die Sommerblumen wuchsen dort zurzeit üppig, gesäumt von Grünpflanzen. An der linken und rechten Seite, wo eine hohe Mauer das Grundstück abgrenzte, standen zahlreiche Obststräucher. Rechts neben der breiten Terrasse war der Spielplatz für die Kinder mit Klettergerüst, Schaukel, Sandkiste, einem kleinen Fußballtor und einem Planschbecken. Die Türen zu einem Schwimmbad waren weit geöffnet.

„Protzig, aber schon etwas in die Jahre gekommen. Da müsste einiges renoviert und bearbeitet werden.“

Er lachte leise. „Sage es Frau Doktor Fischer. Bringen wir ihr schonend bei, was mit ihrer Tochter geschehen ist. Sie tut mir leid.“

„Eine Runde Eis, da sie das relax aufnimmt, höchstens noch meckert, dass das überhaupt passiert ist. Ist eine blöde, bornierte Kuh, wie du eben gehört hast. Spielt anscheinend gern Frauchen, das dusselige Hausmütterchen.“

„Gilt.“ Diese Wetten waren eine kleine Abwechslung zwischen all den Leichen, die ihren Alltag bestimmten.

„Du verlierst wieder“, neckte er sie.

„Nur weil du maaal gewonnen hast, werde nicht gleich anmaßend“, blaffte sie ihn an.

„Du verlierst seit drei Jahren fortlaufend, bis auf den Fall Händel, weil du da den Bericht vorher gelesen hattest. Das war Beschiss.“

„Sei vorsichtig, wie du mit deiner Chefin redest“, wies sie ihn grob zurecht.

„Angeberin, die die Wahrheit nie hören mag“, murmelte er kaum vernehmbar. Jasmin hörte es nicht, da sie einige Schritte vorausgegangen war.

Die Frau musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Erste Hauptkommissarin Hennig und mein Kollege Erdmann. Frau Fischer?“

„Ja. Haben Sie einen Ausweis? Ich wusste nicht, dass bei unserer Polizei Ausländer beschäftigt sind.“

„Ich habe vermutlich Ihre Tochter gefunden“, ignorierte Jasmin die Anspielung auf ihre Hautfarbe. Das hatte sie schon zu oft gehört und langweilte sie nur. Es zeigte ihr, wessen Geistes Kind solche Leute, wie diese Frau vor ihr, waren.

„Haben Sie keinen Ausweis? Die Polizei warnt kontinuierlich, sagt, man soll sich den zeigen lassen, da oftmals Betrüger unterwegs seien.“

Jasmin überhörte es, holte das Handy hervor und zeigte der Frau das Bild des Opfers. Sie starrte darauf, hielt sich an der Haustür fest, war käseweiß geworden. Jasmin grinste sie frech an.

„Ist sie ... sie etwa tot? Wo sind ihre Haare? Das ... Blödsinn, das ist nicht meine Tochter. Sie bringen da etwas durcheinander“, brachte sie kaum hörbar heraus.

„Sind Sie vorsichtig, was Sie sagen, sonst nennt man es Beamtenbeleidigung.“

„Sind Sie Beamtin? Noch sah ich nicht Ihren Ausweis. Das kann ja jeder behaupten. Sie können warten und ich rufe an, erkundige mich, ob Sie das sind.“

Sie wollte ins Haus gehen, hatte bereits die Türklinke in der Hand.

Jasmin gab wütend nach. „Hier ist mein Ausweis.“

Die Frau griff danach, studierte ihn genau.

„Ich und mein Kollege wollen uns sofort das Zimmer Ihrer Tochter ansehen, daneben will ich nochmals genau wissen, was am Tattag passierte, wo Sie waren, was Sie machten.“

„Das ... ist nicht meine ... Kleine. Haben wir alles …“ Sie brach ab, Tränen kullerten über ihre Wangen und sie blickte wie hilfesuchend zu Olof.

„Frau Fischer, es reicht!“, Jasmin nun in einem scharfen Tonfall. „Sie begreifen anscheinend nicht, dass Ihre Tochter einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Ersparen Sie uns daher, Ihre bornierte Art. Ich sage es nochmals, da Sie anscheinend ein wenig einfältig sind, es nicht kapieren, das ist Ihre Tochter. Die ist tot, wurde bestialisch ermordet. Jetzt verstanden?“

Olof trat zu der Frau, die weiß war, trotz der gebräunten Haut, leicht schwankte. „Es tut uns wirklich leid, aber sie ist es, Frau Doktor Fischer“, versuchte er die Wogen zu glätten.

Sie hörten einen Wagen und drehten sich um. „Mein Mann kommt.“

Jasmin musterte die Luxuslimousine und dachte, wow. „Möglicherweise kann man mit ihm normal sprechen und er kapiert das Einfachste. Die Tussi ist ja total verblödet.“

Der sprang aus dem Auto und eilte schnell näher und noch mal, wow. Der sah super aus. „Haben Sie unsere Tochter gefunden? Ich vermute doch richtig, dass Sie von der Polizei sind?“, wandte er sich an Olof.

„Helmut, sie sagen …“

Nochmals stellte man sich vor und zeigte auch ihm das Bild von dem Opfer. Er starrte fassungslos darauf und Tränen rollten ihm über die Wangen. „Das ist sie“, flüsterte er.

„Ihre Frau meinte, sie wäre es nicht, wurde deswegen mir gegenüber ausfallend“, fügte Jasmin hinzu, schaute schmunzelnd zu der Frau. Die wandte sich um, hastete hinein.

„Eventuell können wir hineingehen“, Olof nun.

„Ja, ich benötige einen Cognac.“ Er wischte sich über die Wangen. „Wissen Sie, man rechnet irgendwie mit dem Schlimmsten, doch hatten wir noch ein wenig Hoffnung. Hat man sie … Ich meine …“

„Nein, man hat sie weder misshandelt, noch sexuell missbraucht.“

„Wenigstens etwas“, klang es zynisch.

Sie waren in einem Wohnzimmer angekommen und Jasmin dachte, ich würde alles hinauswerfen. Das sieht wie in einem Museum aus. Diese Frau schien nur blöd zu sein, hatte noch nicht einmal Geschmack.

Der Mann goss etwas in ein Glas, drehte sich um. „Möchten Sie auch?“

„Nein, danke. Herr Fischer, mein Mitarbeiter würde gern das Zimmer Ihrer Tochter sehen.“

„Sicher. Gleich wenn Sie hochkommen rechts. Ich muss mich erst sammeln. Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss einen Moment allein sein.“

„Verständlich.“

Jasmin schaute sich unten um, öffnete jede Tür, taxierte die Einrichtung. Teilweise kostbar, auf der anderen Seite kitschig. Sie schaute in den Schubladen nach. Sehr ordentlich und extrem wertvolle Gegenstände. Sie las einige Schreiben, Rechnungen, die auf einem Schreibtisch lagen. Diese bekloppte Braut schien nur zu kaufen und er musste bezahlen. So eine dumme Pute, die sich einen reichen Mann geschnappt hatte und selber zu blöd war, einen Cent zu verdienen.

Nach einer Weile stieg sie die Stufen hoch. Sie öffnete eine Tür, musterte das riesengroße Bad. Ein Traum. Sie guckte die Flakons an, was sonst so in den Tiegelchen herumstand. Da waren alle teuren Kosmetikfirmen vertreten. Die Tür daneben war wohl das Schlafzimmer. Sie trat hinein, und erst als sie um die Ecke lugte, sah sie die Frau weinend und schluchzend auf dem Boden hocken. Sie hielt etwas Rosafarbenes in der Hand. Sie trat leise zurück, wollte nicht mit dieser bornierten Ziege reden. Alles nur Show, wusste sie.

Ein Raum daneben, nochmals ein Schlafzimmer. Aha, die schliefen getrennt. Er hatte bemerkt, was er sich da ins Haus geholt hatte. Auf einer Kommode stand eine Schmuckschatulle und sie bekam große Augen, als sie die funkelnden Juwelen und Edelsteine gewahrte. Hatte der ihr anscheinend schon weggenommen. Sie steckte einen Ring auf, drehte die Hand hin und her. Einfach traumhaft und wie für sie gemacht. Sie legte den Ring zurück, öffnete eine Lade und zog einen der Slip heraus, grinste: Stand ihm bestimmt gut.

Jasmin schüttelte den Kopf, als sie in das Kinderzimmer erblickte. Ein rosa Etwas lag vor ihr. Wo man hinschaute - rosa. Sogar der Schreibtisch, der direkt gegenüber der Tür stand - rosa.

Olof sah kurz auf, schüttelte den Kopf. Sie betrat den rosa Teppich. Das war der reinste Kitsch.

„Hier sieht es aus, wie in einem Ausstellungsraum, aber nicht wie in einem Kinderzimmer“, stellte Olof leise fest.

„Das ist kein Kinderzimmer, sondern eine Folterkammer. Ich hätte Annika zum Psychologen gebracht, wenn sie jemals so ein Zimmer gewollt hätte.“ Sie öffnete die Schreibtischschublade, aber die war vollständig leer, auch die drei seitlichen Fächer.

„Alles leer“, stellte er fest.

„Das sehe ich. Ich bin zwar keine Weiße, aber nicht blöd. Kennst du einen Schreibtisch, der völlig leer ist?“

Er drehte sich um, schaute in einem Regal nach. „Hat man aufgeräumt, wie es aussieht.“

„Ruf an, was in den Unterlagen steht. Es liegen weder ein Block noch ein Stift drinnen.“

„Bereits erledigt. Damals war er überfüllt mit Kram.“

Sie musterte die Barbies auf der Kommode, öffnete ein Schubfach und wie erwartet – rosa. Schnell fasste sie zwischen diese Textilien, aber da lag nichts dazwischen. Im nächsten Schubfach Unterwäsche und auch da fand sie nichts anderes. In dem unteren waren anscheinend Puppenkleider, wie sie sah. Wenigstens variierte da das Rosa mit Weiß und Violett.

Olof drehte sich zu ihr um. „Da ist nichts.“

„Ich kontrolliere es lieber nochmals.“

Sein Handy piepste.

„Verdammt, ändere bloß dieses bekloppte Tröten“, meckerte sie los.

„Du nervst. Was geht dich mein Handy an?“ Er hielt ihr das Gerät hin. „Guck, so sah es aus. Da hat sich jemand doch richtig Arbeit gemacht, das alles zu entfernen.“

„Gib her.“ Sie nahm ihm das Smartphone ab und ging zum Fenster, tippte herum, da riss er es ihr aus den Händen. „Wage das und du bekommst richtigen Ärger. Drehst du langsam völlig durch? Mach das bei deinem Mann, aber nicht bei mir.“

„Tat ich bereits. Spiel dich nicht auf. Ich muss mir schließlich nicht deine beschissenen Klingeltöne anhören.“

„Dann such dir in Zukunft einen anderen Doofen, den du mitnimmst.“

Sie schluckte eine Erwiderung herunter, da sie wusste, es würde sonst einmal mehr eskalieren und sie hatte deswegen bereits einen Verweis, sogar einen Akteneintrag bekommen. „Frage ich die …“

Die Tür wurde geöffnet und der Mann blickte sich um, stutzte. „Wieso nahmen Sie die Sachen vom Schreibtisch meiner Tochter? Was wollen Sie damit?“

„Wann waren Sie das letzte Mal in dem Raum?“

„Mit Ihren Kollegen am Tag Ihres Verschwindens. Heißt das am …“

„Genau. Ich habe ihn so vorgefunden. Der Schreibtisch wurde völlig leer geräumt. Warum?“

Er trat in den Flur und brüllte: „Helene, komm her!“

Man wartete eine Weile, bevor die Frau erschien. Ihre Augen waren rot verweint. „Was gibt es?“

„Warum hast du die Sachen aus Elisas Zimmer geräumt? Wo sind die und was soll der Mist? Du machst sonst nichts, hast dich nie um unsere Tochter gekümmert und dann räumst ausgerechnet du auf?“, brüllte er sie an.

„Reg dich ab und rede nicht in diesem Ton mit mir, weil du Macho spielen willst. Ich habe nur für Ordnung gesorgt.“

„Dann hättest du diese schwachsinnigen Möbel hinauswerfen sollen.“

„Frau Fischer, wo sind die Sachen?“

„Im Müll. Der wurde am Montag abgeholt.“

„Wieso musste ein Handy in den Müll, daneben fehlen eine Schreibtischgarnitur, ein Wecker und eine Schreibtischlampe?“

„Das sollte, wenn sie wiederkommt, erneuert werden. Außerdem, Frau Kommissarin, wer sagte Ihnen, dass diese von Ihnen aufgezählten Sachen fehlen? Weil die nicht dort stehen? Da der Schreibtisch ebenfalls abgeholt wird, musste ich ihn zwangsläufig leer räumen. Sie reimen viel zusammen.“

„Ich reime nie, sondern stelle Tatsachen fest. Das begreifen Sie?“, schmunzelte sie die Frau an.

„Tatsachen? Dem Anschein nach ist Ihnen nicht geläufig, was das Wort bedeutet, Frau Hennig. Fakten werden Sie morgen von Ihrem Vorgesetzten hören.“

„Schauen Sie sich um. Meine Tochter arbeitete lieber in meinem Arbeitszimmer als in ihrem Eigenen. Sie hasste das Zimmer, diese kitschigen Möbel und die Farbe rosa. Wir waren in Möbelgeschäften, da in den Ferien ihr Zimmer neu gestaltet werden und dieses Zeug hinaus sollte.“

„Du übertreibst, aber genau deswegen sollte sie sich neue Dinge auswählen. Es passt eben damals zu dem kleinen Mädchen und unsere Tochter hat jedes Stück allein ausgesucht. Soll ich dir sagen, welche Dinge du mit ihr gekauft hast? Vergessen? Was wird das hier?“ Sie wischte kurz über die Wangen.

„Ja, wenn sie so blöd wie du gewesen wäre. Ich verschwinde und packe meine Klamotten. Es ist Schluss. Wegen deiner Dusseligkeit ist Elisa tot, weil du nur an dich denkst. Ich lasse die Müllabfuhr kommen, damit der gesamte Mist aus dem Haus abgeholt wird. Außer im Wohnzimmer und in meinen zwei Zimmern nur Plunder.“

Jasmin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das gönnte sie dieser bornierten Ziege.

„Klären Sie das bitte später. Wir würden gern nochmals hören, was an dem Tag passiert ist, und zwar so detailliert wie möglich“, Olof nun, der das Grinsen bemerkt hatte.

„Plunder, den du mit ausgesucht hast. Ich gehe und lass dich mit ihr allein. Nach Doktor Gellert nimmt sie dich auch mit. Eine Stufe aufwärts. So machte sie Karriere. Sie liebt es von hinten, wie allgemein bekannt ist. Viel Spaß. Allerdings nicht in diesem Haus, wie mit Nummer sechs. Dass du dich nicht schämst? Unsere Tochter wurde ermordet und du lässt dich von einer solchen Person anbaggern. Sie, Frau Hennig, werden von meinem Anwalt hören. Als wenn so eine impertinente, infame Frau sich alles erlauben könnte, nur weil Sie meinen leider noch Mann aufreißen will.“ Helene Fischer taxierte sie von oben bis unten voller Geringschätzung. „Es waren elf Frauen Ihrer Sorte davor und werden zig weitere folgen. Nur Sie sind ihm leider etwas zu alt und zu wenig hübsch. Herr Erdmann, Sie werden sicher infolge weggeschickt, damit sie freie Bahn hat, ihn manipulieren kann. Im Übrigen gehört das Haus mir, da ich es bezahlte, du eiskalter Klotz. Du kapierst es anscheinend nicht: Unsere Tochter ist tot, wurde ermordet und da versuchst du, mein Geld in Besitz zu bringen, lügst, weil dich eine Kriminalbeamtin niveaulos adoriert? Du musst es in facto nötig haben, von so einer Person Beachtung zu erheischen. Machte sie mit jedem, besonders gern befriedigt sie die Männer im Büro, unter anderem einen Staatsanwalt, zig Beamte, einen Gerichtsmediziner. Sie liebt es anal und besorgt es dir im Anschluss Französisch. Verabscheuungswürdig. Du passt zu ihr. Substanzlos, verludert, desolat und konsumorientiert. Erzähle ihr, wie primär Elisa für dich war, wenn du dich bei einer deiner Gespielinnen herumgetrieben hast. Begreifst du es nicht? Elisa ist tot, tot, tot. Nein, irrelevant für dich. Du hast nur Weibergeschichten im Kopf. Lüge und betrüge weiter, aber verschwinde aus meinem Leben, aus diesem Haus. Eventuell nimmt sie dich ja auf? Ich werde dieses infame, skurrile Vorgehen von Ihnen und meinem leider noch Mann den Justizbehörden melden. Werden so von dir Fälle bearbeitet? Eine weibliche Larve schmachtet dich an und du legst die Akte beiseite? Mein Gott, was für armselige Personen da vor einem stehen. Herr Erdmann, Sie meine ich selbstverständlich nicht“, drehte sich die Frau herum und sprachlos sah Jasmin ihr nach. Das war nicht mehr diese verzettelte Pute gewesen.

„Gehen wir hinunter und setzen uns auf die Terrasse. Dort ist es wenigstens auszuhalten.“

Er holte Saft und Mineralwasser, stellte Gläser hin.

„Entschuldigung, aber meine Nerven liegen seit dem Verschwinden von Elisa blank.“

„Verständlich, zumal das Ihre Frau völlig kalt lässt. Sie hat nichts anderes zu tun, als von Ihrer Tochter die Sachen zu entsorgen. Es tut uns leid, dass ich Sie belästigen muss. Was war am Mittwoch?“

Der Mann war so sympathisch, sah gut aus, besaß Geld und dann so eine blöde Braut. Nun war er zumindest wach geworden und würde die Konsequenzen ziehen.

„Sie ging an dem Tag immer zu den Frickes, da sie da bereits um elf Uhr Schulschluss hatte. Meine Frau kann nicht kochen, daher gab es dort Mittagessen, ansonsten aß sie mittags in der Schule und wir kochten abends. Die Mädchen spielten nachmittags. Alles wie immer. Gegen 17.00 Uhr ging sie nach Hause. Franz und Helga haben sie noch gesehen. Das sind Nachbarn. Sie redeten kurz mit ihr. Danach verschwand sie spurlos. Ich rief gegen halb sechs dort an, weil sie nach Hause kommen sollte. Sie waren erstaunt, dass sie noch nicht da war. Ich habe noch zehn Minuten gewartet, dann habe ich sie gesucht, aber sie war bei keinem. Sofort haben sich alle Nachbarn an der Suche beteiligt und ich habe die Polizei benachrichtigt.“

„Wo war Ihre Frau?“

„Sie hat nebenan in der Sauna gelegen und gemeint, mach dir keine Sorgen, sie kommt gleich. Sie denken doch nicht, dass sie deswegen ihr angebliches Schönheitsprogramm unterbrechen würde? Selbst wenn eine Bombe einschlagen würde, klatscht sie sich Honig, Quark, Gurken und sonstigen Mist ins Gesicht, falls sie nicht gerade die Fingernägel lackiert.“

„Also keine gute Mutter“, stellte Jasmin zufrieden fest.

„Wann sind Sie an dem Tag nach Hause gekommen?“, forschte Olof nach, dem ihr Getue auf die Nerven ging.

„Gegen halb fünf. Ich war bei meiner Nachbarin, da ich ihr eine Kiste Selters mitgebracht hatte. Eine ältere Dame, danach habe ich mich umgezogen, bin in die Küche und habe angefangen zu kochen. Ach nein, erst habe ich die Spülmaschine ausgeräumt und vorher die Waschmaschine angeschaltet.“

„Sie mussten demnach sogar den Haushalt versorgen? Das ist gewiss nicht einfach. Ihre Frau haben Sie nicht gesehen?“

„Nein, weil sie um diese Zeit entweder in der Sauna ist oder irgendwo herumliegt. Wir führen seit Jahren keine Ehe mehr.“

„Wie hat sich Ihre Frau mit Elisa verstanden?“

„Sehr gut, da meine Frau keine Mutter war, ihr selten Verbote erteilte. Sie war mehr eine große verständnisvolle Schwester.“

„Herr Fischer, ist Ihnen in den Tagen zuvor irgendetwas an Ihrer Tochter aufgefallen? War sie anders, kam sie später als sonst? Jede Veränderung kann wichtig sein.“

„Nein, ich habe darüber die ganze Woche nachgedacht, aber da war nichts.“

„Wer geht ansonsten in Ihrem Haus ein und aus?“

„Nur eine Reinigungskraft kommt jeden Vormittag.“

„Regelmäßige Besucher?“

„Meine Eltern, mein Bruder und seine Familie, meine Schwägerin, einige Freunde, Nachbarn.“

„Waren Fremde da, zum Beispiel, weil man sammeln wollte, Versicherung verkaufen oder so?“

„Nein sagte meine Reinigungskraft und bei mir auch nicht. Ich habe mit unseren Nachbarn gesprochen und wir sind wieder und wieder die Tage durchgegangen, aber keinem ist die kleinste Veränderung aufgefallen, weder fremde Autos noch irgendwelche Leute.“

„Eine andere Frage. Gibt es in Ihrer Nachbarschaft jemand, der großes Interesse an Ihrer Tochter oder generell an Mädchen zeigt. So eine Art lieber Onkel, der immer Schokolade für die lieben kleinen Mädchen parat hat?“

„Habe ich mir bereits Gedanken darüber gemacht. Die meisten Männer sind tagsüber nicht da, nur drei ältere Herren. Mit dem einen hat meine Tochter an dem Tag gesprochen, aber da waren seine Frau und die drei Enkel dabei. Ihn mag meine Tochter sehr, weil er gern Seemannsgarn spinnt. Der andere Nachbar wohnt neben uns, aber er ist seit einigen Wochen in einer Reha-Klinik in Bayern, deswegen kaufe ich für seine Frau schwerere Sachen ein. Das Ehepaar Krüger. Sie wohnen gleich im ersten Haus auf der rechten Seite. Nur dann hätte Elisa an unserem Haus vorbei laufen müssen. Warum?“

„Ich will keinen beschuldigen, muss nur jeder Spur nachgehen. Wenn Sie sagen, es war kein Auto hier, kein Fremder, bliebe folglich nur die Nachbarschaft. Steht ein Haus zurzeit leer, weil die Bewohner verreist sind?“

„Nein, da fast alle Nachbarn schulpflichtige Kinder haben.“

Jasmin erhob sich, schaute sich um. „Sagen Sie Herr Fischer, gibt es Filmmaterial von der Überwachungskamera?“

„Ja.“

„Das Material würde ich gern mitnehmen. Wenn möglich alles von den letzten zwei, drei Monaten. Haben Ihre Nachbarn auch solche Anlagen?“

„Nicht alle, einige.“

Sie nicke ihrem Kollegen zu und der verabschiedete sich, indessen sie neben den Mann ins Haus ging.

„Haben Sie gelbe Rosen im Garten?“

„Nein. Meine Frau und ich hassen Rosen, finden sie kitschig. Es wuchern mehr so blühende Büsche. Mir fehlt die Zeit, den Garten endlich auf Vordermann zu bringen. Meine Frau hat den hinteren Teil in den letzten zwei Jahren völlig neu gestaltet. Das ist das Einzige, was fertig ist und hübsch aussieht. Als wir das Haus kauften, sah es nicht nur von außen wie eine Bruchbude aus. Nach und nach wurde es umgebaut. In den Ferien ist die Außenfassade an der Reihe, obwohl ich überlege, … Bitte, die Kassetten, die ich noch habe. Ich nehme kontinuierlich eine der Alten und sie werden überspielt. Die Daten stehen darauf.“ Er öffnete die Haustür, trat hinaus und sie folgte.

„Danke, Herr Fischer. Sagen Sie Ihrer Frau, dass sie am Freitag, um neun Uhr in meinem Büro erscheinen soll. Kommt sie dem nicht nach, habe ich das Recht, sie polizeilich vorführen zu lassen, unter Umständen sogar in Haft nehmen lasse.“ Sie reichte ihm eine Visitenkarte. „Sollte Ihnen noch etwas einfallen, rufen Sie bitte an“, lächelte sie und bemerkte gleichzeitig die Veränderung, die in dem Mann vorging. Er blickte sie irgendwie böse an.

„Frau Kommissarin, ersparen Sie es mir und meiner Frau, uns zu bedrohen. Ich kenne meine Rechte und meine Frau ebenso. Wenn Sie eine vorgefasste Meinung über meine Frau haben, bitte, aber lassen Sie die gefälligst aus Ihrem Job heraus, da das wenig professionell wäre.“

„Ich habe lediglich erwähnt, welche Möglichkeiten ich habe, falls sie nicht erscheint, da sie sich ausruhen muss, eine neue Gurkenmaske benötigt oder sonstigen Tand ins Gesicht schmiert. Sie werden benachrichtigt, sobald Ihre Tochter zu Beerdigung freigegeben wird. Danke, dass Sie trotzdem mit mir gesprochen haben. Es ist alles so schwer für Sie.“

„Frau Hennig, erwischen Sie den Mörder meiner Tochter. Es sollen nicht noch mehr Mädchen sterben.“

Sie musterte ihn eine Weile. „Wie kommen Sie darauf, dass es kein Einzelfall war?“

„Ich habe das Bild gesehen. Das tut keiner, der einmal aus welchem Grund auch immer, ein Kind tötet.“

„Herr Fischer, eine andere Frage, könnte Ihre Frau das Mädchen getötet haben? Etwa aus Eifersucht?“

„Gewiss nicht. Niemals. Sie ist zwar verhätschelt, sicherlich verwöhnt, aber sie würde niemals gewalttätig werden. Sie hat unsere Tochter geliebt, verwöhnt, hätte alles für sie getan. Das ist Unsinn, wenn Sie das vermuten. Sie hat sie nie angeschrien, ihr selten etwas verboten, geschweige, dass sie jemals handgreiflich geworden wäre. Da liegen Sie völlig falsch. Ad absurdum.“

„Das hörte sich allerdings anders an. Diese Frau, die nie arbeitet, von Ihrem Geld lebt, versucht, das Alter aufzuhalten, das sowieso zwecklos ist, wirft alles von Ihrer Tochter weg? Das tut man nur, wenn man weiß, sie ist tot. Denken Sie einmal genauer darüber nach. Viele Leute wollen nicht erkennen, dass in der engeren Umgebung, im Familienkreis ein Mörder gelebt hat. Für uns normale Menschen ist das nicht nachvollziehbar, dass es eine Mutter gibt, die die eigene Tochter tötet, nur um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Geldgier, Neid, Eifersucht sind bei Gewaltverbrechen die häufigste Todesursache.“

„Weil unsere Ehe irgendwann schal wurde, heißt das nicht, dass ich meiner Frau etwas unterschieben werde. Ich habe nicht fünfzehn Jahre umsonst sehr glücklich mit ihr zusammengelebt. Meine Frau, und das können Hunderte Menschen bestätigen, würde niemals einem Kind generell, geschweige unserer Tochter etwas antun. Sie haben bei ihr Narrenfreiheit. Vermutlich liegt das daran, dass sie teilweise selber Kind sein möchte. Meine Frau ist weder geldgierig, neidisch oder eifersüchtig. Abstrus, so eine Unterstellung. Das sind verworrene Verdächtigungen, weil Sie voreingenommen sind. Sie hat Elisa geliebt.“

Sie erwiderte nichts, verabschiedete sich und schlenderte den Weg zurück, legte die Kassetten ins Auto, lehnte sich dagegen und zuckte zurück, da der dunkle Lack heiß war. Der Mai war in diesem Jahr ungewöhnlich warm und im Juni schien sich die Hitzewelle fortzusetzen.

Sie dachte über das Gespräch nach. Doch, es würde zu dieser verzettelten und blöden Pute passen. Sie fühlte sich durch das Mädchen gestört und deswegen musste die weg.

Sie erblickte Olof, der aus einer Einfahrt heraustrat. Lang, schlaksig, sah er irgendwie immer noch wie ein großer Junge aus, bei dem allerdings die dunkelblonden Haare schütterer wurden. Er hatte ein attraktives Gesicht, an dem alles zu stimmen schien. Mein Bart ist viel zu hell, würde er sofort einwenden, wenn er meine Gedanken lesen könnte, amüsierte sie sich. Sie kannten sich seit fünfzehn Jahren, arbeiteten seit zehn Jahren zusammen und von allen Kollegen mochte sie ihn am liebsten. Es war nicht nur seine Kompetenz und die Verlässlichkeit, die sie schätzte, auch seinen Humor, den er egal in welcher Situation nie verlor.

„Hartmut und Stella kommen her. Sie werden die Lüd abklappern und die Kassetten einsammeln. Die alte Dame bestätigt sein Alibi.“

„Fahren wir und gehen ein Eis essen.“ Sie kannte seine große Vorliebe für alles Süße und die teilte sie mit ihm. Er hatte einmal gesagt, mit einem Stück Torte vor mir, kann ich regelrecht besser denken. Es beflügelt meine grauen Gehirnzellen.

Sie stiegen ein, schaltete die Klimaanlage an.

„Die Frau hat mir erzählt, dass Frau Doktor Fischer sich zwar um die Tochter kümmerte, aber das wäre mehr ein schwesterliches Verhältnis gewesen. Besser so, als wenn sie dauernd etwas zu meckern hätte, hat Elisa wohl gesagt. Sie sprachen gerade in den letzten Monaten öfter von Scheidung, da er eine Neue habe. Allerdings habe Frau Doktor Fischer noch damit warten wollen, da sie das ihrer Tochter erst in den Ferien schonend beibringen wollte.“

„Bei der Frau würde ich auch fremdgehen. Die und sich scheiden lassen? Nie. Von was will denn so eine alte, dahergelaufene Person leben?“

„Seit wann stehst du auf Frauen?“, grinste er.

„Dösbaddel! Er hat zu mir gesagt, ich soll den Mörder schnell finden, damit der nicht noch andere Mädchen umbringt. Er schließt das aus dem Foto.“

„Hhmmm. Was hältst du von ihm?“

„Clever, inkonsequent, intelligent. Er hat sich und das, was er sagt, gut unter Kontrolle. Ich werde ihn am Montag ins Büro bitten. Bis dahin habe ich die alten Aussagen durch und mit seiner Alten gesprochen. Die Fischer hat die Kleine umgebracht. Die wollte nicht mehr durch ein Kind gestört werden.“

„Was ist, wenn einer der Nachbarn das Mädchen ermordet hat, sie in den Keller legte und erst später weggefahren hat?“

„Habe ich bereits daran gedacht, aber ich denke es nicht wirklich. Sage ich Hans, ich möchte Durchsuchungsbeschlüsse für dreißig Häuser, erklärt er mich für bekloppt. Sein Haus wurde untersucht, er scheidet folglich aus. Mir geistert ständig der rasierte Kopf durch den Sinn. Man sollte einen Psychologen dazu befragen.“

„Warum er sie ausgezogen hat?“

„Eher uninteressant. Hörst du nie zu? Die Haare sind wichtig.“

Erl schüttelte nur den Kopf. „Vor einer Stunde hieß es, die wären sekundär.“

Im Büro angekommen, setzte sie sich an ihren Schreibtisch, schaltete ihren Computer an und gab gelbe Rose ein.

Ein Zeichen der Freundschaft, Anerkennung und des Respekts, las sie. Woanders hieß es: Gelb bedeutet Neid, Eifersucht und Geld. Daneben wurden Licht und Offenheit, Kraft und Entschlossenheit erwähnt. Gelbe Rosen verschenkte man nie einzeln. Als Strauß konnte man sie bei der Begrüßung, etwa zu einem Abendessen bei einer guten Freundin, verschenken.

Gelbe Rosen bezeichnen Freude und Freundschaft, wusste jemand anderes. Ein Blumenstrauß mit gelben Rosen verheißt sonnige und fröhliche Gefühle, Wärme und Glück. Eine einzelne Rose symbolisierte: Eifersucht, Zweifel, mangelndes Vertrauen.

Sie drückte weg. Ergo konnte man da alles hineininterpretieren. Sie legte die nackten Füße auf den Schreibtisch und begann die Aussagen von damals zu lesen. Der Fischer hatte fast dasselbe wie heute gesagt. Seine Frau hätte nichts gewusst, wäre selbst um 20.00 Uhr noch davon ausgegangen, sie würde jeden Moment erscheinen. Sie hatten sich folgend lautstark gestritten.

Sie griff zum Telefon. „Moin, Jürgen. Sag, bei dem Fischer, war da jemand in der Küche?“ „Nein, mich interessiert, ob man gesehen hat, dass da jemand gekocht hatte. Er sagte, er hätte angefangen zu kochen.“ „Sag mir Bescheid.“

Sie schaute die Bilder aus dem Kinderzimmer an. Warum hatte diese bornierte Kuh, die sonst nie etwas tat, ausgerechnet den Schreibtisch ausgeräumt? Völlig atypisch. Sie griff nochmals zum Telefon. „Hartmut, fahre sofort zu den Fischers und versiegelt dort das Kinderzimmer. Da muss morgen früh die Spusi nochmals hinein. Stellt er sich quer, rufst du mich an, dann hole ich einen Beschluss. Und sonst?“ „Bis dann.“

Sie erhob sich und lief barfuß in das Nebenzimmer. „Marion, ich habe Arbeit für dich. Hier hast du jede Menge Namen von den Verwandten und Freunden. Lade sie für morgen für mich vor. Abstand halbe Stunde. Zuerst seine Freundin. Sagen wir um zehn. Die vernehme ich zuerst.“

Sie las weiter, als ihr Kollege hereinkam, ihr eine eiskalte Cola an die Füße hielt. „Ekel“, lachte sie.

Er setzte sich rittlings auf den Stuhl. „Bisher haben sie nichts dort gefunden. Keine Kleidung, kein Rucksack, nichts. Jürgen sagt, Ralf war in der Küche und da standen zwei Töpfe und eine Pfanne. Alles noch warm, als er drinnen war. Es gab Fleisch mit Paprikagemüse, Pudding. Der Tisch war bereits für zwei gedeckt. Vermutlich für sich und seine Tochter.“

„Ich habe das Kinderzimmer versiegeln lassen. Da müssen sie morgen nochmals ans Werk. Warum hat eine so stinkfaule Kuh, da alles ausgeräumt? Da lagen doch gewiss auch Schulsachen drinnen, Stifte, Malkasten und so. Das musste alles weg, und zwar mitten im Schuljahr? Mal sehen, was Hans sagt, wenn ich den Wagen der bekloppten Fischer durchsuchen lassen will. Gelbe Rosen können alles bedeuten, habe ich im Internet nachgelesen. Jeder schlaue Mensch weiß darüber etwas anderes. Eines ist hingegen Fakt: Sie bedeuten Eifersucht, Neid, Geldgier. Damit sind wir bei seiner Frau. Auf die passt das. Sie ist auf die Tochter eifersüchtig, weil sie selber eine alte, verlebte, dumme Schrulle ist. Dass sie geldgierig ist, hat man gehört. Nun muss die Tochter weg. Seine Aussage ähnelte der Heutigen. Morgen habe ich Vernehmungsmarathon. Zuerst seine Geliebte. Dann kommen Freunde und Verwandte der Fischers. So, da ist dein Stapel und nun lesen.“

„Nehmen wir mit und fahren an ein schattiges Plätzchen an der Elbe.“

„Witzbold. Ich kaufe eine Klimaanlage, wenn das Wetter so bleibt.“

„Bleibt so, ergo gehen wir einkaufen.“

„Los – lesen“, amüsierte sie sich.

Das Telefon klingelte und sie hörte ihren Chef brüllen, ob sie völlig ausrasten würde. Nach fünf Minuten legte sie auf, war nicht einmal wirklich zu Wort gekommen.

„Du siehst fast weiß aus. Was ist passiert?

Sie griff nach der Akte und blätterte. „Wusstest du, dass der Fischer Oberstaatsanwalt ist, seine Frau Rechtsanwältin?“

„Ja. Man kennt ihn von zahlreichen Bildern und sie hat vor vier Jahren eine aufsehende Sammelklage gewonnen und den Opfern zu richtig großen Entschädigungszahlungen verholfen. War doch wochenlang in aller Munde, weil nie jemand an einen Erfolg geglaubt hat. Sie hat bereits früher ständig durch aufsehenerregende Prozesse von sich Reden gemacht und fulminant gewonnen.“

„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“

„Ich dachte, du wüsstest es. Es stand in jeder Zeitung, wer das Ehepaar ist. Warum ist das auf einmal primär?“

„Weil sich der Kerl beschwert hat, da ich angeblich seine Frau unhöflich behandelt hätte.“ Den Rest erzählte sie nicht, da ihr das peinlich war, was dieser Kerl da behauptete.

„Freundlich warst du nicht gerade, außerdem baggert man keine Männer an. Er ist bereits seit Längerem neu liiert.“

„Spinnst du? Was soll der Schiet? Du beabsichtigst, mir etwas anzuhängen, nicht wahr? Deswegen hast du mir verschwiegen, wer der Fischer ist, diese verblödete Braut sogar mit Doktor angeredet.“

Er stand auf. „Ich kann mich benehmen und weiß, was sich gehört. Sie haben beide einen Doktortitel erworben und damit das Recht, formvollendet angesprochen zu werden“, knallte er die Tür zu.

Schiet, fluchte sie. Das hatte der Erdmann absichtlich gemacht, weil er ihren Job wollte. Der Fischer hatte eine Macke. Er betrog seine Frau, die anscheinend völlig verblödet war, aber veranstaltete folgend einen Aufstand.

Das Telefon läutete. Hartmut teilte ihr mit, dass es keine Versiegelung geben würde. Er habe deswegen selbst mit dem Boss geredet und der habe das brüsk abgelehnt.

„Komm zurück. Ich besorge einen Durchsuchungsbeschluss für das Haus. So nicht.“

Das wurde jedoch abgelehnt, da man das Haus bereits durchsucht hatte. Weil die Mutter der Tochter eine Freude bereiten, ihr ein neues Zimmer einrichten wollte, was im Übrigen seit vielen Wochen geplant gewesen sei, könne sie nicht einen richterlichen Beschluss erwarten. Die Eltern hatten ein einwandfreies Alibi. Sie solle gefälligst in den Akten nachlesen, bevor sie Menschen beschuldigte. Das Ehepaar werde von ihr nicht mehr belästigt, genau so wenig, wie die Leute, die man bereits vernommen habe.

Erst gegen 17.00 Uhr verließ sie das Büro. Zu Hause wurde sie mit einem köstlich duftenden Essen erwartet. Nun hatte sie wieder stundenlang zu tun, die Küche zu säubern, wie sie prompt lautstark äußerte, worauf Magnus sie böse anschaute. „Nur meckern. Ist alles sauber. Papa, wir hätten ohne sie essen sollen.“

„Du kriegst nichts, wenn du weiter dermaßen unverschämt und frech bist.“

„Jasmin – Schluss. Du verbietest gewiss keinem, etwas zu essen. Spinnst du? Wenn du Stress im Beruf hast, lass das nicht an uns aus. Die Küche ist sauberer als zuvor, nur zu deiner Orientierung, da wir deinen Dreck von gestern Abend weggeputzt haben. Gehen wir drei essen.“

Sie setzte sich dazu, stocherte in dem Salat herum, der wie immer fad schmeckte. Wenn sie auch nicht alles allein erledigte.

„Ihr habt die Kleine gefunden?“

„Wie fast erwartet. Scheußlicher Anblick. Nackt, Haare abrasiert, Hände gefaltet und darunter eine gelbe Rose.“

„Wäre der Kopf nicht der vornehmste Teil des Körpers, wie würde die Natur denselben so frei und offen, so in die Augen fallend auf die Schultern erhoben haben? Das Haar aber ist durch seine eigentümliche Schönheit dem Haupt, was den übrigen Gliedern kaum nur der gesuchte Schmuck lachender Farben und prachtreicher Kleider ist. Ja, will eine Schöne recht sich sehen lassen und in all ihren Reizen erscheinen, so wirft sie die Bekleidung ab, jeglicher Schleier fällt: Sie tritt allein in ihrer nackten Schönheit auf und vertraut mehr auf die Rosen ihrer Haut als auf das Gold ihres Gewandes. Allein, Frevel ist’s, es nur zu sagen, und niemals möge sich ein Beispiel einer so abscheulichen Untat ereignen, entblößet das Haupt des schönsten Mädchens seines Haars, ihr raubt zugleich auch dem Gesicht all seine Liebenswürdigkeit. Und käme sie von dem Himmel hernieder, wäre sie aus dem Meere geboren und von den Wellen erzogen, ja wäre sie Venus selbst, umtanzt von den drei Huldgöttinnen, gefolgt von dem ganzen Volk der Amoretten, mit ihrem Gürtel geschmückt; duftete sie wie Zimt und tröffe von Balsam, ginge aber kahlköpfig einher – gefallen könnte sie ihrem Vulkanus selbst nicht.“

Sie legte das Besteck auf den Teller. „Aus was stammt das?“

„Der goldene Esel oder Metamorphosen des römischen Schriftstellers und Philosophen Lucius Apuleius. Er schildert die turbulenten Erlebnisse eines jungen Mannes, der in einen Esel verwandelt wird. Ehe seine Rückverwandlung einsetzt, durchlebt er eine Reihe von Abenteuern, die mit erotisch anzüglichen Szenen angereichert sind.“

„Ermordet er die Frauen vor oder nach dem Sex?“

Viktor Hennig lachte schallend, die Lachfältchen um seine blauen Augen verstärkten sich. Das Blau wie Fjorde in Norwegen, leuchtete in den Sommermonaten bedingt durch seine schnell bräunende Haut noch mehr, fand Jasmin.

„Er lobt weiter die Würde der Haare. Meine Fotis trug die ihrigen mit einer glücklichen Nachlässigkeit geziert und war darum nur desto reizender. Ich konnte mich vor Übermaß der Wollust nicht mehr halten. Ich umfing Fotis und drückte den Spitzen ihrer Haare, wo sie sich über der Stirn in einen Knoten verschlangen, den süßesten Kuss auf. Sie bog den Hals zurück, sah mich seitwärts mit durchtriebenen Augen an und sprach: He, kleiner Lecker, das ist bittersüße Ware. Sieh dich vor, dass du dir nicht mit dem zu vielen Honig auf lange den Magen vergällst. Wenn’s weiter nichts ist, immerhin versetzte ich. Für einen einzigen Kuss von dir, du allerliebstes Mädchen, lass ich mich wohl lebendig auf diesen glühenden Kohlen braten. Mit den Worten drückte ich sie fester an mich und küsste sie. Und schon umschlang sie mich, von gleichen Trieben hingerissen und wie ich schmachtend von lechzendem Verlangen; schon sog ich ihren Zimtatem aus halb geöffnetem Mund ein, saugte Nektar von ihrer der meinigen begegnenden Zunge und fühlte mich unwiderstehlich zum völligen Genuss der Wollust hingerissen, als ich ausrief: Ich sterbe, Fotis; erbarme dich, ich sterbe. Unter wiederholten feuervollen Küssen antwortete sie: Sei guten Muts. Dein Wunsch ist auch der meine, und später, denn diesen Abend soll unser Vergnügen nicht verschoben sein. Sobald Licht angesteckt bin ich auf deinem Zimmer. Geh und rüste dich zum Kampf. Ich kündige dir heiße Fehde auf die ganze Nacht an.“ Er schaute sie an, derweil Magnus lachte. „So ein Schwachsinn. Papa, gehen wir noch Fußball spielen?“

„Sicher, habe ich dir versprochen. Abräumen kann Mama, da meckert sie wenigstens nicht.“

„Kümmerst du dich auch um mich? Ich hatte einen anstrengenden Tag.“

„Ich dito. Leg dich hin, ruhe dich aus. Magnus gehen wir.“

Er kam nochmals in die Küche. „Jasmin, es reicht. Ich habe die Schnauze von deinen blöden Äußerungen voll. Du bist nicht mehr für mich existent, sondern nur meine Kinder. Kapiert? Deswegen seit Monaten der Versuch meines Anwalts, mit dir zu kommunizieren. Du änderst nichts an einer Scheidung, wenn du die Briefe erst öffnest, liest und des Weiteren zurückschickst. Einfach lächerlich dein Handeln. Du nervst nur noch, du bornierte Angeberin.“ Schon verschwand er nach draußen.

Sie schmunzelte, na, der würde sich wundern, von wegen, sie mit so einem Quatsch unter Druck setzen zu wollen. Was wollte der denn ohne sie machen? Morgen würde sie das gesamte Geld abheben. Ohne einen Cent würde er dastehen und bemerken, wie sehr er sie benötigte.

Im Bett liegend dachte sie über ihre Ehe nach, die eigentlich all die Jahre gut verlaufen war. Nur in den letzten Monaten wagte es Viktor, gegen sie zu rebellieren. Sicher, sie hatte viel Stress im Beruf, da ihr zuweilen alles über den Kopf wuchs. Das sollte für ihn jedoch ein Grund sein, ihr verstärkt zur Seite zu stehen und nicht noch mit Scheidung zu drohen.

2

Morgens zeigte sie Olof das Buch mit der entsprechenden Stelle. „Was hältst du davon?“

„Geiler Sex.“

„Männer“, rollte sie mit den dunkelbraunen Pupillen.

„Du denkst, unser Mörder wollte dem Mädchen damit das Gesicht rauben? Nur sei ehrlich, wer kennt so ein Buch?“

„Viktor sagt, Germanistikstudenten, Menschen, die sich für erotische Literatur im weitläufigen Sinne interessieren.“

„Oh je. Das heißt, tausend Buchläden, zig Bibliotheken.“

„Dazu die Online-Shops. Ich habe Siggi Bescheid gesagt, er soll nach dem Buch im Haus Fischer nachsehen.“

„Hei das wurde abgelehnt. Sage ich Marion und Stella Bescheid. Deren Tag ist damit gelaufen.“

„Na und? Der ist nicht da und die faule Kuh wird pennen. Ich suche einen Mörder und mutmaßlich war das diese alte, völlig bekloppte Fischer. Elisa hat sie beim Cremen gestört. Sie ist ausgeflippt, tötete sie. Danach hat sie die Tote in ihrem Auto versteckt und nachts weggeschafft.“

„Das kann nicht sein, da unsere Kollegen im Haus waren, da man von einer Entführung ausging. Das Ehepaar war die gesamte Nacht im Haus.“

„Hatte sie sich weggeschlichen und die haben das nicht bemerkt.“

„Nein, sie saßen im Wohnzimmer, und zwar die ganze Nacht.“

„Höre ich mir an, was Frau Leißner so sagt.“

„Ich habe sie eben kurz gesehen. Komplett anderer Typ als seine Frau. Größer, braune Haare, wirkt eher ängstlich, verunsichert.“

„Kein Wunder, das er sich einen anderen Typ nimmt. Der wird froh sein, dass er diese Braut endlich los ist. Was will ein normaler Mann, der intelligent ist, mit so einer verblödeten Kuh?“

„Sie ist so verblödet, dass sie sogar eine Doktorarbeit schaffte“, stellte er richtig, schüttelte den Kopf.

„Kann man kaufen.“

„Purer Neid“, stellte er lakonisch fest.

Die Vernehmung brachte sie nicht weiter, wie auch die Nachfolgenden nicht. Wenigstens die Leißner hatte kapiert, dass sie den Fischer nie bekommen würde, sie sich nur so billig, wie ein Flittchen aufführte. Geld würde sie von dem Mann generell nie sehen. Dass sich so ein Mann mit so einer hässlichen Person abgab, enttäuschte sie. Frau Doktor Fischer beschrieben alle gleich, kinderlieb, freundlich, niemals gewalttätig oder laut werdend. Eine Dame mit Stil, sehr intelligent, hilfsbereit, liebenswürdig und extrem sozial eingestellt.

Ihr teilte man schriftlich mit, dass sie einen Akteneintrag bekommen würde, da sie die Anweisungen ihres oberen Dienstherrn mehrmals nicht beachtet hätte. Ein Disziplinarverfahren würde folgen.

Sie tobte. Alles wegen so einer verblödeten, hässlichen, neidischen Kuh, welche Vorurteile gegen Farbige hatte.

Am späten Nachmittag ließ sie sich auf ihren Stuhl plumpsen, schleuderte die Schuhe von den Füßen. „Ich hasse meinen Job.“

„Verplemperte Zeit. Bei mir, nicht einmal annähernd jemand, mit dem man sich näher beschäftigen sollte. Der Bruder von Frau Doktor Fischer ein netter Mann. Er sagt, seine Schwester wäre erst so geworden, als sie bemerkte, dass er sich mit einem 20-jährigen Mädchen eingelassen habe. Das ist zwei Jahre her. Frau Doktor Fischer habe sich danach verändert, obwohl er ihr damals gleich sagte, sie solle sich von ihm trennen. Von einigen muss ich noch die Alibis überprüfen.“

„Kein Wunder, das er andere hatte, bei so einer Braut. Bei einer Trennung würde die wahrscheinlich mit nichts auf der Straße stehen, müsste Hartz IV beziehen. Nun fliegt sie hinaus“, amüsierte sie sich.

„Ad absurdum. Sie hat das große Geld, nicht er. Sie verdiente all die Jahre wesentlich mehr als er, außerdem hat sie von Haus aus viel Geld. Sie hat vor zwei Monaten die Scheidung beantragt. Da sie Gütertrennung hatten, muss er ihr entweder das Geld für das Haus, das Grundstück und Inventar auszahlen, oder es wird verkauft, der Erlös zu gleichen Teilen ausgezahlt. So steht es im Vertrag.“

Sie schaute ihn bestürzt an, da sie damit nicht gerechnet hatte.

„Den ganzen Tag blödes Palaver. Warum hat man mir das nicht früher gesagt, wie langweilig das alles ist. Als ich früher Kommissar, Derrick oder Tatort geguckt habe, musste nie einer tagelang tippen, tausend langweilige Leute verhören. Nein, die liefen ständig ballernd durch die Gegend, traten Türen ein, durchsuchten Wohnungen, ohne vorher Papierkram zu erledigen und am zweiten Tag war der Täter gefasst oder erschossen. Das Einzige, was ich blöd fand, war, dass mein Boss rufen würde, Jasmin, hol den Wagen. Mein Vater sagte, das macht bei dir keiner, weil Frauen nicht fahren können.“

Olof lachte schallend und sie schmunzelte.

„Schauen wir, was uns David mitteilt“, schlug sie den Aktendeckel auf. „DNA eindeutig Elisa Fischer. Suffocatio aufgrund einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme.“

Ihr Handy klingelte und sie meldete sich, lauschte und stellte die Füße hinunter, setzte sich gerade hin. „Warte, Olof ist gerade bei mir. Ich stelle laut.“

„Moin. Noch mal. Ich hatte bis vor wenigen Monaten einen Studenten, dessen Schwester ist an einem Krebsleiden verstorben. Er erzählte mir damals, er wolle nun Arzt werden. Die Familie war vor vier Jahren extra wegen der Schwester nach Deutschland gekommen, da man hoffte, sie würde geheilt werden. So zum Punkt kommend: Sie war abgemagert, hatte keine Haare mehr, die Augen hätten unnatürlich groß gewirkt. So erzählte er es mir damals. Man hätte sie kaum noch erkannt. Was ist, wenn euer Mörder eine Tochter durch Krebs verloren hat? Eure Kleine sah der Tochter ähnlich und er ist ausgeflippt. Sie sollte wie sein Kind aussehen.“

„Viktor, wie heißt der Mann?“

Er gab die Adresse durch und Olof schrieb mit. „Ich wollte allerdings nicht damit sagen, dass Milan damit etwas zu tun hat, sondern das galt allgemeinen den Hinterbliebenen von Krebsopfern.“

„Ich werde das in Erwägung ziehen. Bis dann.“ Mit etwas säuerlicher Miene legte sie das Telefon auf den Schreibtisch. Sie hasste es, wenn sich Viktor einbildete, er könne ihr in ihre Arbeiten hineinreden.

„Ich muss ergo alle toten Kinder, nein beschränke ich es zunächst auf Mädchen, herausfinden, die in den letzten Monaten an Krebs verstorben sind.“

„Warten wir ab. Erst die Namen und ob wir so etwas über sie herausfinden. Um die Uhrzeit gehen die meisten Leute arbeiten und somit kann man manche Personen ausschließen, wenn das der Vorgesetzte bestätigt. Ich messe dem nicht allzu viel Bedeutung bei, aber nebenbei kann man dem nachgehen. Eltern, die trauern, morden nicht. Ich bin mir sicher, es war diese bekloppte Fischer.“

Sie rief Oberkommissar Hartmut Schulze in ihr Büro, gab entsprechende Anweisungen, auch das man sich am nächsten Morgen zu einer Besprechung einzufinden habe und er solle die übrigen Kollegen informieren.

„Wir fahren morgen nach der Vernehmung von der Fischer zu diesem Milan. Zurück zu David. Erstickungstod durch gewaltsames Zuhalten der oberen Atemwege mittels einem Stück Stoff. Sie fanden weiße Flusen im Rachenraum und der Nasenschleimhaut gefunden. Baumwolle.“

„Sie hatte nur ein weißes Kleidungsstück an, die Unterhose.“

„Die hat er ihr anscheinend auf das Gesicht gepresst. Ansonsten keinerlei Spuren. Keine Hautabschürfungen, keine Hämatome, keine sexuellen Übergriffe, nichts. Die Spusi ermittelt noch die genaue Zusammensetzung der Fasern, da man unten den Armen des Mädchens weitere Spuren festgestellt hatte. Lila.“

„Das bedeutet, er hat sie nicht gewaltsam in ein Auto gezerrt.“

„So ungefähr. Spinne ich weiter, bedeutet das, sie ist freiwillig eingestiegen. Noch einen Schritt weiter, sie kannte ihren späteren Mörder. Passt alles zu der Mutter, falls man diese Person überhaupt so bezeichnen kann.“ Sie reichte ihm die Akte, ergriff die Nächste.

„Die Rose ist eine Teehybride Elina, die auch unter dem Namen Dicjana und Peaudouce gehandelt wird. Sie hatte 19 Blütenblätter. Sag, wenn interessiert das?“

„Rosenzüchter, die Spusi und besonders Karl.“

„Bekloppt. Elina stehen in Büscheln auf kräftigen Stielen und sind als Schnittblumen geeignet. Elina ist robust, frosthart, sicher bei 30 Grad Celsius, anfällig gegen Mehltau. Ihre Wuchshöhe beträgt 105 bis 120 cm. Sie erhielt 87 die ADR-Auszeichnung.“

„Das heißt, tausend Blumengeschäfte befragen und hunderttausend Kleingärtner.“

„Beschränke ich es vorerst auf die Blumenläden. Die beiden Reifenspuren. Einmal Dunlop SP Sport 2000, Sommerreifen, 185/60/R14. Passt zum VW-Golf 3. Der andere ein Ganzjahresreifen, Goodyear Vektor 4 Season, 215/70R16 100T. Der passt nur für Opel Antara und den Chevrolet Captiva. Das ist was für mich. Davon gibt’s nicht viele.“

„Das heißt, ich den Golf.“

„Natürlich, da ich die Leiterin bin und so genug zu tun habe. Ich habe heute Abend und morgen einen Aufruf in den Medien, dass sich Leute melden sollen, die in den letzten zwei Wochen dort waren. Eventuell sind die beiden Autos dabei. Sie wurde nicht dort ermordet, allerdings dort erst ausgezogen, da sie dort Faserspuren gefunden haben. Sie wurde auch erst vor Ort rasiert. Haare wurden ebenfalls sichergestellt. Sie stellten ferner fest, dass dort ein Erde-Sandgemisch vorhanden war, das nicht dorthin gehörte, da ansonsten nicht vorhanden. Wird alles noch genauer untersucht.“

„Rekonstruieren wir. Er lauert ihr auf, und da sie ihn kennt, steigt sie ein. Er fährt mit ihr irgendwohin, zieht ihr den Schlüpfer aus und erstickt sie. Danach fährt er sie spazieren und schafft sie späten zum Fundort.“

„So ungefähr, nur der ER kann auch eine SIE sein. Ob es wirklich ihr Schlüpfer war, wissen wir nicht genau. Er hat sie mit in seine Wohnung genommen, wollte sie sexuell betatschen. Sie schreit, er drückt ihr was aufs Gesicht und Exitus. Er schafft sie nachts in sein Auto und am nächsten Tag wird sie abgelegt. Er zieht sie aus, rasiert sie, weil er so verhindern will, dass man sie sofort erkennt. Warum hat er das aber nicht zuhause getan?“

„Weil ihm der Gedanke erst … geht nicht, da er keinen Rasierer dabei hätte.“

Sie schlug nochmals die Akte auf und suchte. „Da ist es. Er hat ihr erst die Haare abgeschnitten und danach vermutlich mit einem Elektrorasierer alles abrasiert. Die Fläche ist glatt gewesen und daher geht man nicht von einer Nassrasur aus, zumal man keine Creme- oder Seifenreste feststellen konnte.“

„Akku-Betrieb. Er hat das geplant, sonst hätte er weder eine Schere noch einen Rasierer dabei. Wären wir bei einem Krebs-Hinterbliebenen.“

„Nur wieso ist sie in einen fremden Wagen eingestiegen?“

„Vielleicht gibt es jemand im weiteren Umfeld, der seine Tochter durch ein Krebsleiden verloren hat? Je länger wir spekulieren umso größer wird der Kreis.“

„Du spinnst. Es passt alles nur zu der bekloppten, habgierigen Fischer, dieser Schlampe. Die hat die Kleine ermordet. Etwas anderes, was machen eigentlich unsere Spezies?“

„Bisher negativ sagte Jürgen. Entweder sitzen sie noch oder haben ein Alibi. Vier werden allerdings noch gesucht, einer davon steht auf Jungs. In den anderen Bundesländern sitzen sie noch dran.“ Olof erhob sich. „Gehe ich tippen.“

„Ruf den Fischer an. Ich will ihn morgen Vormittag hier sehen.“

„Mach das allein, da ich nichts mit deinen abscheulichen Hasstiraden zu tun haben möchte. Der Boss sagte, wir sollen das Paar in Ruhe lassen. Sie haben es schwer genug, da sie den Tod der Tochter verarbeiten müssen. Sie haben nichts damit zu tun, egal was du ihr in deiner Eifersucht, deinem Hass unterstellen willst.“ Er verließ den Raum.

Sie wollte ihn zurückrufen, entschied es anders, griff zum Telefon, sagte einem Kollegen Bescheid, damit der den Fischer informiere.

3

Das Ehepaar Fischer erschien mit einem Anwalt, und als sie den Blick von dem Mann sah, wusste sie, dass es erneut Ärger geben würde.

Sie nahm zuerst ihn mit in das Vernehmungszimmer. Der Anwalt folgte. „Wir wollen sichergehen, Frau Hennig, dass Sie keine weiteren abstrusen Beschuldigungen gegen meinen Mandanten und seine Frau äußern, nur weil Sie anscheinend voreingenommen sind, der Frau meines Mandanten unbedingt etwas anhängen wollen. Eminent unprofessionell, wie mein Mandant bereits äußerte.“

Sie musterte den Oberstaatsanwalt, der sie nur kalt anblickte. Die braunen Augen schienen schwarz zu sein. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit einem beigefarbenen Hemd. Sie bemerkte an dem Finger den Ehering.

„Gewiss nicht. Ich versuche, den Mörder seiner Tochter zu finden und automatisch gerät da Frau Fischer ins Visier, da sie sich eventuell von dem Kind gestört fühlte, deswegen eine Affekttat begangen hat.“

„Es heißt Frau Doktor Fischer. Genau wegen solcher Äußerungen. Ist es, weil meine Mandantin darauf beharrte, Ihren Ausweis zu sehen? Ich habe das Band angesehen, gehört, wie Sie mit Frau Doktor Fischer umgegangen sind, wie die Dame von Ihnen permanent beleidigt wurde. Auf der anderen Seite, wie Sie sich bei meinen Mandanten anbiedern, ihn davon überzeugen, besser überreden wollten, dass er seiner Frau etwas unterschiebt. Das habe ich bereits im Auftrag meiner Mandanten zur Anzeige gebracht, genauso wie das unerlaubte Durchschnüffeln der Räumlichkeiten im Haus meiner Mandanten ohne Durchsuchungsbeschluss, noch deren Wissen. Sie schauen in fremden Schränken nach, öffnen Briefe, lesen Schreiben aus dem Schreibtisch. Wollten Sie etwas stehlen?“

„Eine Unverschämtheit.“

„Nein, so kann man Ihre unprofessionellen Autoritarismus evaluieren.“

„Das Band möchte ich bitte sehen, da man da eventuell erkennt, wer wann das Haus verlassen hat.“

„Die zwei Aufnahmen liegen bei den ermittelnden Behörden, da diese nur von dem bewussten Tag sind. Haben Sie die anderen Aufnahmen nicht angesehen?“

„Ich habe nur wenige Fragen an Sie, Doktor Fischer. Haben Sie im Freundes- oder Bekanntenkreis ein an Krebs erkranktes Kind oder Jugendlichen?“

„Nein, da ist niemand.“

„Sind Sie da sicher?“

„Ja.“

„Doktor Fischer, hat am Tag des Verschwindens Ihre Frau das Haus verlassen, auch in der folgenden Nacht?“

„Weder noch und dafür gibt es Zeugen, selbst Kriminalbeamte.“

„Bei Ihrer Tochter fand man eine gelbe Rose. Diese symbolisiert Eifersucht, Neid, Geldgier. Wer außer Ihrer Frau war noch auf Ihre Tochter eifersüchtig, gönnte ihr nicht die kleinen Freuden, die Sie ihr bereiteten?“

„Frau Hennig, Sie sind mehr als impertinent, boshaft. Das passt garantiert nicht auf Frau Doktor Fischer.“

„Rasieren Sie sich nass oder trocken?“

Der schaute seinen Anwalt an. „Trocken.“

„Mit einem herkömmlichen Elektrorasierer?“

„Ein Akku-Gerät.“

„Das Gerät kennt Ihre Frau?“

„Logisch. Was soll das?“

„Ihrer Tochter wurde mit so einem Gerät das Haar abrasiert. Kann Ihre Frau damit umgehen?“

Der Anwalt schmunzelte. „Das kann jedes Kind. Sie etwa nicht? Davon gibt es Millionen. Sie suchen mit aller Gewalt etwas, dass Sie meiner Mandantin unterjubeln können, wollen so den Ehemann auf Ihre Seite ziehen.“

„Ich dachte, Ihr Mandant wünscht, dass man den Täter findet?“

„Das hofft das Ehepaar Fischer sicher, nur bei Ihnen scheint das eher im Hintergrund zu stehen, da Sie nur anstreben, wie Sie einer Frau, die gerade die Tochter verloren hat, etwas unterschieben können. Sie schrecken da selbst vor Lügen und anderen Gemeinheiten nicht zurück.“

„Warum denken Sie, hat Ihre Frau den Schreibtisch völlig leer geräumt und alles entsorgte?“

„Weil der Schreibtisch eigentlich Tage vor dem Auffinden meiner Tochter abgeholt werden sollte. Das wurde durch einen Autounfall verhindert. Sie hat nicht alles entsorgt, sondern das Möbelstück leer geräumt. Unterstellen Sie ihr nicht etwas, das Unwahrheiten sind. Gehen Sie permanent so mit Zeugen um? Dann sollte man das melden und überprüfen lassen, ob Sie nicht mit Ihrem Job überfordert sind, oder ob das nur eine unangenehme bornierte Art ist, da Sie Frauen ablehnen, die man eventuell attraktiver und erfolgreicher als Sie bezeichnen könnte.“ Er stand auf. „Ich werde keine weiteren Fragen von Ihnen beantworten, Frau Hennig. Wenn die Behörde meine Mitarbeit wünscht, dann über Ihren Kollegen, den ersten Hauptkommissar Erdmann. Ich schätze gerade im Berufsleben Professionalität und die fehlt Ihnen.“

Sie erwiderte nichts, holte die Fischer herein. Diese Frau sah heute völlig anders aus. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm, mit engem Rock, der kurz oberhalb der Knie endete, hohe Pumps dazu. Sie war nur dezent geschminkt, wirkte allerdings deswegen eher blass. Die langen Haare fielen lockig bis weit über den Rücken.

Auch sie wurde nach dem Schreibtisch befragt und antwortete das Gleiche wie ihr Mann.

„Warum haben Sie das nicht sofort gesagt, als ich in dem Haus Ihres Mannes war, Frau Fischer?“

Sie wollte antworten, aber der Anwalt legte seine Hand auf ihre. Jasmin sah die blau lackierten Fingernägel, die vier Ringe. Alle kostbar und wunderschön. Nur der Ehering fehlte.

„Frau Hennig, es heißt Frau Doktor Fischer, da meine Mandantin studiert und promoviert hat. Benehmen und Anstand haben Sie ebenfalls nicht, stelle ich fest. Das Haus gehört dem Ehepaar Fischer zu gleichen Teilen. Meine Mandantin hat es Ihnen im Beisein von Herrn Erdmann gesagt, dass sie ihn ausgeräumt hat und dass ein Teil entsorgt wurde. Sie hören nicht zu, lesen keine Protokolle. Damit ist die Befragung beendet. Sollten noch Fragen an meine Mandanten sein, nur über einen qualifizierten Beamten. Das alles werde ich sofort Ihrem Vorgesetzten melden.“

„Tun Sie das. Wo erreicht man jetzt Ihre Mandantin?“

„Die Adresse steht sicherlich in Ihren Akten, wenn nicht, wieso sind Sie dann dort erschienen?“

„Ihr Mann wollte, dass sie auszieht.“

Der Mann beugte sich vor, lächelte. „Hofften Sie, dass Sie dort einziehen, weil Ihr Mann vor Monaten die Scheidung eingereicht hat und Sie einen Geldgeber suchen, damit man Sie weiterhin aushält? Haben Sie deswegen den Mann dermaßen angebaggert? Sie irren. Meine Mandantin wohnt genau in diesem Haus. Im Übrigen sind Sie nicht der Typ Frau, den mein Mandant mag, zudem wären Sie ihm zu alt. Gehen wir, Frau Doktor Fischer. Ich werde das skandalöse Verhalten dieser Beamtin noch heute melden und Frau Hennig, ich gehe dabei gewiss nicht zu Ihrem Geliebten, dem Staatsanwalt Gellert, sondern gleich ganz nach oben. Sie sind eine Schande für die Polizei. Im Übrigen wurden diese Gespräche mit Einverständnis Ihres Vorgesetzten aufgezeichnet, damit ich beweisen kann, wie Sie vorgehen.“

Ihre Wut ließ sie kurze Zeit darauf an Stella aus, die gerade mit einer Einkaufstüte in das Büro schneite.

„Aha, innerhalb der Arbeitszeit einkaufen gehen. Dafür darfst du heute Abend einige Stunden länger arbeiten und ich werde das melden. So nicht. Du bist stinkfaul, betrügst uns, deinen Arbeitgeber.“

Die Oberkommissarin wollte etwas erwidern, aber sie winkte ab. „Spar dir deine Lügen, sonst werde ich dafür sorgen, dass es einen weiteren Eintrag gibt und man dich abschließend entlässt. Los, mach dich sofort an die Arbeit.“

„Sag, spinnst du?“, mischte sich Georg ein.

„Auch für dich bedeutet das einen Eintrag. Es reicht mir. Du deckst alles, was sie anstellt, nicht wahr? Bist du etwa der Vater ihrer unehelichen Kinder und nimmst sie deswegen immer in Schutz?“

Hartmut sprang auf, riss Stella die Tüte aus der Hand und schüttet den Inhalt Jasmin vor die Füße. „Das sollte sie in deinem Auftrag holen.“ Georg knipste mit dem Handy einige Bilder.

Die Tür öffnete sich und Olof trat herein. „Was ist denn hier los? Was sollen die Patronen auf dem Boden?“

„Hartmut, leg die sofort in den Schrank und dann …“

„Nein. Unsere spleenige Chefin spinnt. Sie meckert Stella an, sie wäre einkaufen gewesen. Dabei hat sie die Patronen unten abgeholt. Folgend heißt es, Georg wäre …“

„Schluss jetzt. Macht euch an die Arbeit und quatscht nicht nur herum. Das ist ein Büro, wo man arbeitet und nicht nur Kaffee trinkt“, verschwand sie in ihrem Büro und fluchte. Alles nur wegen dieser verblödeten Fischer.

Die Tür ging auf, und als sie ihren Chef erblickte, nahm sie schnell die Füße vom Schreibtisch, setzte sich ordentlich hin.

„Wie ich sehe, haben Sie noch Pause. Das um zwei Uhr?“

„Ich habe Akten studiert. Was führt Sie zu mir?“

„Akten? Ja sieht man. Deswegen liegen alle gestapelt an der Seite? Sie lügen. Die Königin hält Hof oder wie soll ich das verstehen? Einen anderen Tonfall bitte. Sie nehmen sich mir gegenüber zu viel heraus. Einen Moment, da Frau Staake, Herr Nöthe und Herr Erdmann noch kommen.“

„Aha, hat sich Frau Oberkommissarin beschwert?“

„Nein, sie war nicht bei mir.“

Die Tür öffnete sich und die drei Personen kamen herein.

„Fasse ich mich kurz, Frau Hennig. Frau Staake hat in Ihrem Auftrag die Patronen unten abgeholt und wurde deswegen auf die übelste Weise von Ihnen beschimpft. Selbst als Sie die Wahrheit erfuhren, halten Sie es nicht für nötig, sich zu entschuldigen. Nein, Sie beleidigen und unterstellen Herrn Nöthe die nächste Unverfrorenheit. Dass Herr Staake kurz vor der Geburt der Zwillinge durch einen Unfall verstarb, ist Ihnen anscheinend nicht bekannt, obwohl Sie damals bereits seit Jahren mit Frau Staake zusammengearbeitet haben. Sie sind als Vorgesetzte nicht mehr tragbar. Frau Staake hat zwei kleine Kinder und wird garantiert nicht länger arbeiten, nur weil Sie massive Probleme mit sich selbst haben.“

„Ich habe keine Probleme, ebenfalls Kinder und muss permanent länger arbeiten.“

„Sicher, deswegen gehen Sie mittags drei Stunden einkaufen und mit dem länger arbeiten, lassen wir einstweilen dahingestellt. Ihr Arbeitspensum wird gerade von anderer Stelle überprüft. Ihre Kinder sind zwei Jugendliche und keine 2-jährigen Zwillinge. Ersparen Sie mir solche profanen Einwände. Noch habe ich das letzte Wort, obwohl Sie nach meinen Posten gieren. In Zukunft lernen Sie, sich zu benehmen, lassen Ihre Kollegen ausreden, beleidigen diese nicht und bezeichnen sie nicht als Lügner. Noch etwas. Der erste Hauptkommissar Erdmann steht weder über noch unter Ihnen, da ab sofort das Dezernat zwei Leiter hat. Sie sind nur noch vorübergehend auf dem Posten. Es wird Absprachen geben. Wer in Zukunft die alleinige Leitung übernimmt, wird in den nächsten Monaten entschieden, da es dazu eine Ausschreibung geben wird. Sie, Frau Hennig, werden es nicht mehr sein, da Ihre Kompetenz, Ihre Art der Menschenführung sowie Ihr Mangel an Anstand, Benehmen sowie Ihr Egoismus für diese Position nicht prädestiniert sind. Noch in diesem Jahr werden Sie von dem Posten entfernt werden.“ Er erhob sich. „Danke, meine Damen und Herren.“ Er verließ mit den anderen den Raum und sie stierte auf die Tür. Das meinte der doch wohl nicht ernst? Blödsinn, das war so daher gesagt, oder?

Sie schnappte ihre Tasche und verließ eilig das Büro. Sie musste hinaus, benötigte frische Luft.

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