Die Saga von Vinland - Iny Lorentz - E-Book
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Die Saga von Vinland E-Book

Iny Lorentz

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Beschreibung

Ein kühner Plan, eine verbotene Liebe und eine gefahrvolle Reise über das raue Nordmeer in ein unbekanntes Land: Im historischen Roman »Die Sigrid-Saga« lässt Bestseller-Autorin Iny Lorentz das Mittelalter in Nordeuropa lebendig werden Zum Verräter erklärt, raubt Jarl Eyvind die schöne Sigrid, die ihm von ihrem Vater Ulfar verweigert wurde, und flieht mit der unwilligen Braut. Bei seinem Überfall geraten auch die beiden Freunde Andreas und Ailmar in seine Hand. Nachdem der Griff nach dem norwegischen Thron ein übles Ende nahm, will Eyvind seine Getreuen eine neue Heimat führen. So ziehen sie weit über das Meer und über Islands Gletscher in ein Land, in dem es alles gibt, was sie sich erträumen. Dort leben jedoch bereits Menschen und die sind nicht bereit, sich Eyvind zu unterwerfen. Doch auch Sigrid und die junger Grönländerin Ingridur streben gemeinsam mit Andreas und Ailmar danach, ihre Freiheit wieder zu erringen. Norwegens Fjorde, Islands Geysire und Gletscher sowie der rauhe Nordatlantik bilden den Schauplatz eines grandiosen Mittelalter-Romans. Sorgfältige Recherche, lebendige Schilderungen und eine dramatische Liebesgeschichte garantieren eine spannende Unterhaltung. Entdecken Sie auch die anderen Mittelalter-Romane von Iny Lorentz: • Die Rose von Asturien (Spanien) • Das Mädchen aus Apulien (Italien) • Die Löwin (Italien) • Die Pilgerin (Spanien) • Die Rebellinnen (Mallorca) • Die Wanderhuren-Reihe (Deutschland)

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Seitenzahl: 865

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Iny Lorentz

Die Saga von Vinland

Historischer Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Zum Verräter erklärt, raubt Jarl Eyvind die schöne Sigrid, die ihm von ihrem Vater Ulfar verweigert wurde, und flieht mit der unwilligen Braut. Bei seinem Überfall geraten auch die beiden Freunde Andreas und Ailmar in seine Hand. Nachdem der Griff nach dem norwegischen Thron ein übles Ende nahm, will Eyvind seine Getreuen eine neue Heimat führen. So ziehen sie weit über das Meer und über Islands Gletscher in ein Land, in dem es alles gibt, was sie sich erträumen. Dort leben jedoch bereits Menschen und die sind nicht bereit, sich Eyvind zu unterwerfen. Doch auch Sigrid und die junger Grönländerin Ingridur streben gemeinsam mit Andreas und Ailmar danach, ihre Freiheit wieder zu erringen.

Inhaltsübersicht

Erster Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

Zweiter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Dritter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Vierter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Fünfter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Sechster Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Siebter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

Achter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Neunter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Zehnter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Elfter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Zwölfter Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

Ausklang

Historischer Überblick

Glossar

Leseprobe »Ritter Constance«

Erster Teil

Der Rebell

1.

Aus einem beklemmenden Gefühl heraus drehte Sigrid Ulfarsdottir sich noch einmal zur Kirche um. Der Pfarrer hatte an diesem Tag sehr viel eindringlicher gepredigt als gewöhnlich und die Menschen an die Treue erinnert, die sie dem neuen König Inge und dessen Brüdern als König Haralds Söhnen schuldeten. Eigentlich wäre das nicht nötig gewesen, denn Sigrids Vater zählte zu den eifrigsten Anhängern König Haralds und hatte bereits mehrfach für ihn und zuletzt auch für seinen Sohn das Schwert ergriffen.

Hoffentlich muss Vater nicht erneut in die Schlacht ziehen, dachte Sigrid besorgt. Jarl Ulfar hatte sich von seiner letzten Verwundung noch nicht erholt, auch wenn er behauptete, wieder im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein. Allerdings gab es außer dem Bestreben, Unruhen im Reich zu verhindern, noch einen weiteren Grund, das Schwert zu gürten, und der hieß Eyvind Erlingarson. Bis vor wenigen Wochen war dieser Mann ihr Verlobter gewesen. Anstatt an der Seite ihres Vaters zu kämpfen, hatte er sich jedoch den Feinden der Harald-Söhne angeschlossen und Jarl Ulfar damit so erzürnt, dass er die Verlobung gelöst hatte.

Sigrid wusste nicht recht, ob sie deswegen traurig sein sollte. Wohl war Jarl Eyvind ein stattlicher junger Mann, doch sie hatte ihn bei ihren wenigen Begegnungen als sehr von sich eingenommen erlebt. Ein Ehemann aber, der nur seinen eigenen Willen gelten ließ und auf den seiner Frau nicht viel gab, war nicht nach ihrem Sinn.

Noch während Sigrid diesen Gedanken nachhing, fiel ein Schatten auf sie. Sie sah auf und glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Vor ihr stand Eyvind, an den sie eben noch gedacht hatte. Mitten im Herrschaftsbereich ihres Vaters aufzutauchen, war eine Kühnheit sondergleichen.

Sigrid musterte den einstigen Jarl von Jervik mit zwiespältigen Gefühlen. Eyvind war einer der größten Männer, die sie je gesehen hatte, und verfügte – anders als viele hochgewachsene Krieger – über einen harmonischen Körperbau und ein ansprechendes Gesicht. Die blauen Augen blickten kühl, und unter seinem Helm lugte eine Locke seines blonden Haares hervor. Im Gegensatz zu den meisten trug er seinen Bart auch jetzt noch sorgfältig gestutzt, seine Kleidung war sauber und wies keine Löcher auf. Das war erstaunlich, denn er befand sich bereits seit Wochen auf der Flucht und hatte gewiss selten mehr als zwei Mal hintereinander im selben Bett geschlafen.

Auch wenn er ein Feind ihres Vaters geworden war, wollte Sigrid nicht, dass er vor der Kirche erschlagen wurde.

»Flieh, solange du noch kannst!«, sagte sie drängend.

Auf Eyvinds Lippen trat ein Lächeln. »Du bist mir also immer noch gut, Sigrid Ulfarsdottir, da dir an meinem Leben liegt.«

Sigrid antwortete mit einem Achselzucken. »Heute ist der Tag des Herrn, und da sollte kein Blut fließen.«

»Es soll auch keines fließen«, sagte Eyvind. »Ich will mit deinem Vater sprechen.«

»Dann wird Blut fließen!« Sigrid blickte sich um und sah erleichtert, dass drei der besten Kämpfer ihres Vaters bei diesem standen.

Unterdessen hatte Ulfar Gunnarson Eyvind entdeckt und kam mit seinen Begleitern auf die beiden zu. Bevor er das Schwert ziehen konnte, hob Eyvind gebieterisch die Hand.

»Halt! Heute ist der Tag des Herrn. An dem soll, wie Sigrid eben sagte, kein Blut vergossen werden!«

Sigrids Vater funkelte ihn zornig an. »Was willst du, Verräter?«

»Weshalb nennst du mich einen Verräter? Ich stand auf der Seite eines Mannes, dem eher das Recht zukam, König von Norwegen zu sein, als der, der auf dem Thron sitzt. Hätten wir gesiegt, säße ich heute zur Rechten des Königs!«

»Ihr habt aber nicht gewonnen«, antwortete Ulfar mit spöttischem Unterton. »Deshalb bist du als Rebell geächtet, und jeder Mann in Norwegen kann dich wie einen Hund erschlagen, wenn er dich sieht.«

Eyvind begann, leise zu lachen. »Die Klinge, die mich töten soll, ist noch nicht geschmiedet, und der, der sie führt, noch nicht geboren. Ich will dir Frieden anbieten, Ulfar Gunnarson. Du hast mir vor einigen Monaten deine Tochter als Braut angeboten. Gib sie mir, und sie wird einmal mehr sein als alle Frauen in Norwegen.«

»Dir ist wohl der Met zu Kopf gestiegen! Du bist ein Geächteter, und einem solchen gebe ich meine Tochter niemals.« Ulfar wurde so zornig, dass er seinen Leibwächtern befahl, die Schwerter zu ziehen. Diese taten es, griffen Eyvind aber nicht an. Sein Ruf als Krieger war gewaltig, und einzeln fühlte sich ihm keiner gewachsen.

»Worauf wartet ihr?«, schrie Ulfar. »Erschlagt diesen elenden Verräter!«

In seiner Wut wollte er selbst auf Eyvind losgehen. Bevor er ihn jedoch erreichte, drehte der Geächtete sich um und lief davon. Sigrid meinte ihn sogar lachen zu hören.

Als Ulfar ihm folgen wollte, spürte er bereits nach wenigen Schritten, dass ihn seine noch nicht vollständig verheilte Verletzung behinderte, und blieb mit schmerzverzerrter Miene stehen. Seine Männer rannten hinter Eyvind her, doch es war rasch zu erkennen, dass sie ihn nicht einholen würden.

Etwa zweihundert Schritt weiter blieb der Rebell für einen Augenblick stehen und rief: »Ich werde dich holen, Sigrid Ulfarsdottir, und dich zu meinem Weib machen!«

Kurz darauf war er aus dem Blickfeld entschwunden.

»Dieser stinkende Rebell wird seine Strafe erhalten, so wahr ich Ulfar Gunnarson bin und ein Schwert zu schwingen vermag!«, schrie Ulfar voller Zorn.

»Ich habe Angst«, flüsterte Sigrid. »Eyvind ist kein Mann, der leere Drohungen ausstößt.«

»Das ist er bei Gott nicht«, gab ihr Vater zu und stieß sein Schwert wieder in die Scheide. Mit einem höhnischen Blick ballte er die Faust. »Er hat gewiss irgendwo ein Versteck. Das werde ich finden und ihn dort ergreifen. Dann bringe ich ihn zu König Inge. Dessen Berater wissen, wie man mit solchem Gelichter verfährt.«

Sigrid hielt den Optimismus ihres Vaters für wenig klug. Er war mittlerweile ein alter Mann, und ihm stand ein Krieger gegenüber, den selbst der böswilligste Feind nicht feige nennen konnte.

»Du solltest vorsichtig sein, Vater!«, riet sie ihm.

Ulfar nickte. Er hatte sich beruhigt und wusste, dass es ein hartes Stück Arbeit sein würde, Eyvind zur Strecke zu bringen. »Keine Sorge, mein Mädchen! Um diesen räudigen Fuchs zu jagen, werde ich alle meine Freunde und Verbündeten zusammenholen, und zwar nicht nur aus Norwegen. Ich rufe auch den kühnen Hardo aus dem Sachsenland. Dem habe ich einst das Leben gerettet, und dafür ist er mir einen Gegendienst schuldig. Sollte er wegen seines Alters nicht selbst kommen können, so wird er einen seiner Söhne schicken.« Ulfars Gedanken wanderten zu seinem alten Freund, dann fuhr er fort: »Vor allem aber werde ich dir einen anderen Bräutigam suchen! Einen, dessen Schwertarm fest genug ist, um dich vor Eyvind zu schützen.«

Sigrid fragte sich, welchen jungen Mann aus ihrer Bekanntschaft ihr Vater dafür auswählen würde, doch ihr fiel keiner ein, dem sie es zutraute, sich gegen Eyvind durchzusetzen.

2.

Einige Wochen später saß Hardo, Herr über zwei Burgen und ein Dutzend Dörfer, in der Halle seines Stammsitzes und musterte stolz seinen ältesten Sohn. Kord war ein Abbild seiner selbst in jungen Jahren, groß und breitschultrig, mit blauen Augen, roten Haaren und einem rötlichen Bart. Ein Recke wie Kord wird bei meinem Freund Ulfar in Norwegen Ehre einlegen, dachte er in dem Augenblick, als sein jüngerer Sohn eintrat.

Andreas war von der zweiten Frau geboren worden und schlug mehr der Familie seiner Mutter nach. Lange Zeit hatte sein Bruder Kord ihn wegen seiner Gestalt als Haselgerte verspottet. Nun aber bemerkte Hardo, dass Andreas seinen Bruder um mehr als zwei Fingerbreit überragte. Die Schultern waren trotz der schmalen Hüften fast genauso breit wie die von Kord und verrieten, dass auch in ihm Kraft steckte. Sein Gesicht war jedoch schmäler, und er frönte der Unsitte, sich Wangen und Kinn bis auf einen schmalen Schnauzbart zu rasieren. Bart und Haar waren blond und die tief liegenden Augen grau. Seine Miene wirkte angespannt, als er sich vor dem Vater verbeugte und dem Bruder nur ein kurzes Nicken gönnte.

Hardo wünschte sich, seine Söhne würden besser miteinander auskommen. In gewisser Weise musste er sich jedoch die Schuld an deren gegenseitigen Abneigung geben. Er hatte den Jüngeren seinem Gefolgsmann Aldebrand zur Erziehung übergeben, kaum dass dieser der Amme entwachsen war, und deswegen hatten sich die Brüder nie aneinander gewöhnen können.

Er schob diesen Gedanken rasch beiseite. »Ich habe euch rufen lassen«, begann Hardo, nachdem er an seinem Wein genippt hatte, »um mit euch etwas Wichtiges zu besprechen. Mein Freund Ulfar Gunnarson hat mir Botschaft geschickt, dass er seine Tochter Sigrid zu verheiraten gedenkt, und mich aufgefordert, ihm einen meiner Söhne zu schicken. Auch schreibt er von einem Feind, den er bekämpfen will, und bittet mich, meinem Sohn etliche Krieger mitzugeben.«

Der Blick seines Vaters verriet Kord, dass dieser ihn schicken wollte. Norwegen lag jedoch weit jenseits des Meeres, und ihn reizte ein Kampf zugunsten eines Fremden nicht.

»Verzeih, Vater, deine Freundschaft zu Ulfar in allen Ehren, aber gerade jetzt, da unsere Nachbarn Adolf von Schauenburg und Heinrich von Badewide um die Herrschaft in Holstein kämpfen, sollten wir abwägen, welche Seite uns am meisten Gewinn bringt. Wir könnten unseren Besitz um ein Mehrfaches vergrößern, wenn wir die Situation klug nutzen. Außerdem will ich den Wagrierfürsten Bogumil dazu bewegen, mir seine Tochter zur Gemahlin zu geben. Da er nur diese eine Tochter hat, kann ich, wenn ich sie heirate, der neue Fürst seines Teilstamms werden. Gehe ich jedoch so weit fort, wird uns dies alles nicht gelingen.«

Bei diesen Worten warf Kord seinem Halbbruder einen verächtlichen Blick zu, der seinem Vater nicht verborgen blieb.

»Wenn du die Norwegerin zur Gemahlin gewinnst, wirst du in jenem Land ein sehr mächtiger Mann werden. Mächtiger jedenfalls, als wenn du dich dem Schauenburger oder dem Badewider andienst. Das soll Andreas tun, und er kann auch die Wagrierin heiraten«, antwortete Hardo verärgert.

Kord schüttelte den Kopf. »Das wird nicht gehen, Vater! Unsere Krieger sind gewohnt, dass ich sie anführe, und werden Andreas nicht in einen Kampf folgen. Er müsste sich erst bewähren, um von ihnen anerkannt zu werden.«

Ist es wirklich so schlimm?, fragte sich Hardo. Zwar hatte er das Kommando über seine Krieger vor zwei Jahren an Kord weitergegeben, doch die Männer mussten seinem zweiten Sohn genauso gehorchen, wenn er es ihnen befahl.

Kord spürte, dass sein Vater unsicher wurde, und setzte nach: »Was ist, wenn ich nach Norwegen komme und sowohl der Kampf beendet als auch Ulfars Tochter bereits einem anderen versprochen worden ist? Ich kehre dann mit leeren Händen zurück, und wir verlieren in der Zwischenzeit jeden Anspruch auf das Wagrierland.«

»Heißt das, du willst nicht nach Norwegen reisen?«, fragte sein Vater verärgert.

»Wenn ich das tue, gerät hier alles in Gefahr, was du geschaffen hast. Daher ist es besser, wenn ich hierbleibe und Andreas die Reise zu Ulfar unternimmt.« In Kords Stimme lag ein beschwörender Klang, dem sein Vater sich nicht entziehen konnte. Unsicher geworden, wandte Hardo sich an seinen jüngeren Sohn: »Du sagst gar nichts dazu?«

Andreas war bislang noch nie in eine Entscheidung seines Vaters und des Bruders mit einbezogen worden. Im Grunde waren beide Fremde für ihn, denn der Vater hatte sich nicht um ihn gekümmert, und der Bruder hatte ihm bereits als Kind zu verstehen gegeben, dass er ihm im Weg war.

»Was soll ich sagen?«, antwortete er ausweichend. »Weder kenne ich die Lage in Norwegen, noch hält Kord mich für fähig, seine Krieger zu führen.«

»Es sind immer noch meine Krieger!«, brauste der Alte auf, da er sich von keinem seiner Söhne das Heft aus der Hand nehmen lassen wollte.

»Bist du dazu fähig?«, fragte Kord Andreas spöttisch, ohne auf die Worte des Vaters einzugehen.

Andreas schüttelte den Kopf. »Die Gefolgsleute meines Ziehvaters würden mir gegen jeden Feind folgen. Deine Männer hingegen sind faul geworden und vernachlässigen ihre Waffenübungen. Mit ihnen würde ich nicht einmal gegen eine Schar Gänse ziehen, geschweige denn gegen einen Feind.«

Rot vor Wut, fuhr Kord auf, während Hardo von dem Gedanken Abschied nahm, seine Söhne zum Zusammenhalt aufzufordern. Er hatte sich in erster Linie dafür selbst die Schuld gegeben, hatte er doch stets den Älteren bevorzugt, der ihm wie eine jüngere Ausgabe seiner selbst erschienen war, und sich nicht um den Jüngeren gekümmert. Doch nun begriff er, dass mehr hinter deren gegenseitiger Abneigung stecken musste.

Unwillkürlich musterte er Kord und stellte fest, dass dieser seinen Bruder mit kaum verhohlener Feindseligkeit anstarrte. Weshalb?, fragte Hardo sich. Ging es um das Erbe? Neidete Kord dem Bruder den Teil, den Andreas einmal erhalten würde? Oder war er verärgert, weil er in die Fremde ziehen und sich dort eine Braut und Land erkämpfen sollte? Mit einem Mal spürte er einen bitteren Geschmack im Mund. Er selbst war als junger Mann ausgezogen, um Kriegsruhm zu erringen, und hatte sich schließlich diesen Besitz an der Wagriergrenze erkämpft. In Norwegen hätte Kord ein mächtiger Mann werden können. Nun würde er seinen jüngeren Sohn schicken müssen und konnte nur hoffen, dass dieser ihm keine Schande bereitete.

»Dann ist es beschlossen«, erklärte er mit grollender Stimme. »Während Kord hierbleibt und die Fürstentochter der Wagrier zu gewinnen sucht, wird Andreas mit einer ausreichenden Schar an Kriegern nach Norwegen ziehen, um meinem Freund Ulfar Gunnarson zur Seite zu stehen.«

»Das ist wohl gesprochen, Vater!«, sagte Kord sichtlich zufrieden, während Andreas mit den Achseln zuckte. Da er nicht bei seinem Bruder bleiben konnte, hielt er es für besser, sein Glück in fernen Landen zu suchen.

»Es sei, wie Ihr es bestimmt habt, Herr«, antwortete er.

Hardo hätte sich gewünscht, das Wort Vater aus seinem Mund zu hören. Doch dazu würde es wohl niemals mehr kommen.

3.

Andreas verließ die väterliche Burg mit gemischten Gefühlen. Einerseits war er erleichtert, nicht unter die Fuchtel seines Bruders geraten zu sein, andererseits wusste er nun, woran er war. In den letzten Jahren hatte er die Halle seines Vaters nur im Gefolge seines Ziehvaters Aldebrand betreten. An diesem Tag war er zum ersten Mal selbst aufgefordert worden, hierherzukommen. Das, was er erlebt hatte, stimmte ihn allerdings nicht gerade froh, denn er würde die Heimat verlieren und in ein fremdes Land ziehen müssen.

Als er gut zwei Bogenschussweiten von der Burg entfernt war, löste sich ein Schatten aus den Büschen am Teich. Es war Ailmar, Aldebrands Sohn. Da dieser nur ein Jahr jünger war als er, hatte man sie gemeinsam erzogen. Nun fühlten sie sich mehr wie Brüder, als Kord und er es jemals sein würden.

Ailmar lenkte seinen Braunen neben Andreas’ Rappen und sah ihn grinsend an. »Sie haben dich also wieder herausgelassen.«

»Weshalb hätten sie mich einsperren sollen?«, fragte Andreas verwundert.

»Ich würde es Kord zutrauen, denn er sieht dich als Konkurrenten an, der ihm das Erbe streitig machen könnte. Du weißt doch, wie sehr er hinter dem Rücken deines Vaters gegen dich hetzt.«

Andreas machte eine wegwerfende Geste. »Jetzt muss er nicht länger hetzen und bohren, sondern hat das Erbe sicher.«

Also hat Kord Andreas ausbeißen können, dachte Ailmar. »Wie hat er das geschafft?«, fragte er neugierig.

»Ein Freund meines Vaters aus Norwegen sucht einen Mann für seine Tochter und einen Nachfolger für sein Land. Vater wollte Kord dorthin schicken, da Jarl Ulfar Gunnarson ein mächtiger Mann ist und Kord daher hoch hätte aufsteigen können.«

»Aber er will nicht fort, nicht wahr?« Ailmar lachte leise. Auch wenn Kord so tat, als wäre er ein großer Krieger, hielt er ihn für einen Feigling, der jedem ernsthaften Kampf aus dem Weg ging. Nach Norwegen ziehen und sich dort eine Stellung erringen, würde ihm vieles abverlangen.

»Wann brechen wir auf?«, fragte Ailmar, da Andreas keine Antwort gab.

Dieser sah ihn erstaunt an. »Du willst mitkommen?«

Ailmar grinste. »Glaubst du, ich bleibe hier und sehe zu, wie Kord der Nachfolger deines Vaters wird? Sollen sich doch meine Brüder mit dem Kerl herumschlagen. Ich begleite dich! Übrigens habe ich mir sagen lassen, dass die Sprache der Norweger der der Dänen gleicht, und die haben wir beide gelernt.«

»Das stimmt«, gab Andreas zu.

Die Bitternis, die er nach der Entscheidung seines Vaters gespürt hatte, wich, und er packte seinen Freund erleichtert bei der Schulter. »Ich freue mich, dich an meiner Seite zu wissen, und das sogar doppelt, weil Vater Kord die Auswahl der Krieger überlassen hat, die mich begleiten sollen.«

»Das werden wahre Helden sein!«, spottete Ailmar und deutete in die Richtung, wo sich eine Reitstunde entfernt die hölzerne Festung erhob, die sein Vater für Ritter Hardo verwaltete.

»Wollen wir wetten, wer am schnellsten dort ist?«, fragte er.

Andreas fand, dass ein scharfer Ritt genau das war, was er jetzt brauchte, und gab seinem Rappen die Sporen. Rasch gewann er ein paar Pferdelängen Vorsprung, doch als es auf die Motte zuging, holte sein Freund auf. Kurz vor dem Tor zügelten beide ihre Rösser und sahen sich lachend an.

»Unentschieden wie immer!«, rief Andreas.

»Ein paarmal öfter als ich hast du schon gewonnen«, gab Ailmar ehrlich zu und winkte dem Wächter auf dem hölzernen Turm zu. »Du hast doch gesehen, dass wir kommen! Warum hast du nicht dafür gesorgt, dass das Tor geöffnet wird?«

»Deine Mutter hat etwas dagegen, dass ihr wie eine Windsbraut auf den Burghof prescht und mit euren Pferden ihre Hühner zertrampelt«, antwortete der Mann grinsend.

»Dann hätte es heute Abend eben Hühnersuppe gegeben!« Ailmar lachte und ließ, als das Tor nun geöffnet wurde, Andreas den Vortritt.

Sein Vater trat aus dem auf einem aufgeschütteten Hügel errichteten Haupthaus. »Da seid ihr ja wieder«, meinte er bärbeißig. »So mag ich es! In der Welt herumreiten und anderen die Arbeit überlassen.«

»Ich habe Andreas zur Burg des Vaters begleitet«, antwortete Ailmar. »Außerdem wirst du in Zukunft auf uns beide verzichten müssen. Andreas und ich werden nach Norwegen reisen.«

Für einen Augenblick blieb Aldebrand stumm, dann stieß er einen wüsten Fluch aus. Als er sich wieder beruhigt hatte, schüttelte er den Kopf. »Hat Kord es also doch geschafft, dich auszuhebeln?«, fragte er Andreas.

Sein Sohn übernahm die Antwort. »Eigentlich wollte Ritter Hardo Kord nach Norwegen schicken, doch der ist zu feige.«

Da Kord sich durchgesetzt hatte, sah Andreas keinen Grund, auf den Bruder Rücksicht zu nehmen. »Er meinte, er würde mir nicht zutrauen, seine Krieger zu führen. Damit hat er sogar recht, denn die Kerle sind unter seiner Führung widerspenstig und faul geworden.«

Ailmar war mit seinem Bericht noch nicht fertig. »Kord soll die Krieger aussuchen, die uns begleiten werden. Ich wollte, Ritter Hardo hätte die Auswahl Andreas überlassen. Wir hätten sicher einige Burschen gefunden, die gerne mit uns kommen würden. So aber wird Kord uns die übelsten Kerle aufhalsen.«

»Mit zwanzig Männern werden wir zwei wohl fertigwerden«, erklärte Andreas und bat Aldebrand um Rat, was bei einer Reise ins fremde Land zu beachten sei.

»Immerhin hast du Vater begleitet, als er vor fast drei Jahrzehnten in Dänemark und Norwegen gekämpft hat«, setzte er anerkennend hinzu.

»Wenn dein Vater dir kein Schiff ausrüsten lässt, wirst du Passage auf einem Handelsfahrer nehmen müssen, der dich dorthin bringt. Achte also darauf, dass dein Vater dir genug Silber mitgibt, sonst müsst ihr von Jütland aus nach Norwegen schwimmen«, witzelte Aldebrand und schüttelte erneut den Kopf. »Ich weiß nicht, was in Ritter Hardo gefahren ist! Warum gibt er Kord in allem nach? Noch vor fünf Jahren hätte er das nicht getan.«

»Er sieht in Kord sich selbst, so, wie er einmal war«, wandte Andreas ein.

»Kord mag so aussehen wie er als junger Mann, doch es kommt doch darauf an, was in einem steckt! Kord fehlt es dort an allen Ecken und Enden. Da Hardos Entschluss jedoch gefallen ist, müssen wir damit leben. Kommt erst einmal ins Haus und esst. Ich glaube nicht, dass man euch in der Burg groß aufgetischt hat.«

»Ich bin gar nicht erst mit hinein«, sagte Ailmar, während Andreas den Kopf schüttelte.

»Ich erhielt nicht einmal einen Becher Wein.«

»Dafür bekommst du hier zwei«, antwortete Aldebrand lächelnd, legte den beiden jungen Männern je einen Arm um die Schulter und führte sie ins Haus.

4.

Drei Tage später vermeldete Kords Bote, dass die Schar, die Andreas begleiten sollte, bereitstünde. Dem Mann war anzusehen, wie froh er war, nicht dazuzugehören. Trotzdem erhielt er von Aldebrand seinen Botenlohn und machte sich wieder auf den Heimweg.

»Wie es aussieht, müsst ihr morgen aufbrechen«, sagte Aldebrand zu Andreas und seinem Sohn.

Andreas nickte mit verkniffener Miene. »Es ist wohl besser so. Dann ist Kord mich los, und ich bin mein eigener Herr.«

»Sollten wir nicht noch heute zur Burg reiten, um uns die Kerle anzusehen?«, fragte Ailmar.

»Ich verbringe die letzte Nacht in der Heimat lieber unter dem Dach deines Vaters. Immerhin war dies hier bis jetzt mein Heim, nicht Burg Venneby.«

Andreas umarmte Aldebrand, der ihm in all den Jahren mehr Vater gewesen war als sein eigener.

»Von mir aus gerne«, erwiderte Ailmar grinsend und setzte hinzu, dass er ungern mit Kord an einer Tafel gesessen hätte.

»Wir werden heute Abend noch den einen oder anderen Becher Wein miteinander leeren, und morgen brecht ihr dann mit allen unseren guten Wünschen auf. Mögen der heilige Michael und der heilige Georg an eurer Seite reiten und euch allezeit beistehen«, sagte Aldebrand. Er kämpfte mit den Tränen, denn er liebte Andreas wie seine eigenen Söhne und sah ihn ebenso ungern scheiden wie Ailmar. Um zu verhindern, dass die beiden ihn rührselig nannten, klopfte er ihnen auf die Schulter und stimmte ein Kampflied an.

Andreas und Ailmar fielen darin ein und ließen sich anschließend den letzten Wein in der Heimat schmecken.

Ein Bad in dem Teich, der den Burggraben speiste, weckte am nächsten Morgen ihre Lebensgeister, und als sie nach einem raschen Frühstück aufs Pferd stiegen, waren sie guter Stimmung.

Eine Reitstunde später erreichten sie Ritter Hardos Burg. Sie war ebenso wie Aldebrands Motte auf einem aufgeschütteten Hügel errichtet worden, wurde jedoch von zwei Palisadenreihen statt nur einer geschützt. Trotzdem drängte Kord darauf, daneben eine neue Burg aus Stein errichten zu lassen, die ihm mehr Sicherheit versprach als das hölzerne Bauwerk.

Ritter Hardo erwartete seinen jüngeren Sohn und dessen Gefolgsmann in der Halle. Durch die kleinen Fenster fiel kaum Licht, und so erhellten nur die beiden hinter dem Hochsitz des Burgherrn angebrachten Fackeln den Raum. Bisher hatte Andreas in seinem Vater stets den wuchtigen, kraftvollen Herrn von Venneby gesehen, nun aber bemerkte er Spuren des Alters an ihm. Es wunderte ihn daher nicht mehr, dass Kord dem Vater das Heft aus der Hand genommen hatte. Doch das ging ihn nichts an.

Er trat einen Schritt vor und verbeugte sich. »Mein Herr, ich bitte um Euren Segen für meine Fahrt!«

Er sprach Hardo an, als wäre er einer seiner Gefolgsleute und nicht sein Sohn.

Diese Entfremdung schmerzte Hardo, und er bedauerte es noch mehr, Andreas nicht rechtzeitig auf die Burg zurückgeholt zu haben. Vielleicht hätten seine Söhne sich dann daran gewöhnt, Brüder zu sein. Nun aber war es zu spät.

»Ziehe mit meinem Segen in die Ferne, mein Sohn, und grüße meinen alten Freund Ulfar Gunnarson von mir. Wir haben gemeinsam große Taten vollbracht. Vollbringe nun auch du große Taten!«

»Ich danke Euch, mein Herr, und ich werde alles tun, um mich Euer würdig zu erweisen«, antwortete Andreas und hörte dann ein mahnendes Hüsteln seines Freundes.

»Verzeiht, mein Herr, wenn ich Euch darauf anspreche«, fuhr Andreas daher fort. »Der Weg zu Ulfar Gunnarson ist weit, und nicht immer wird man uns unterwegs zu Gast laden. Auch werden wir den Schiffer bezahlen müssen, der uns nach Norwegen bringt.«

»Darum wollte sich doch Kord kümmern?«, antwortete Hardo verwundert.

»Wir haben ihn bislang nicht gesehen«, warf Ailmar ein.

Andreas nickte. »So ist es, Herr Vater. Wir wissen auch nicht, wo die Männer stecken, die uns begleiten sollen.«

Sein Vater wirkte auf einmal noch älter als vorhin, schlug aber mit der Faust auf den Tisch. »Wenn ich Kord etwas befehle, hat er es auszuführen. Wo ist er?«

Die Frage galt Ditto, einem Gefolgsmann seines ältesten Sohnes, der sich in der Nähe herumdrückte.

»Hat Herr Kord Euch nicht gesagt, dass er zu Fürst Bogumil reitet, um diesen zu einem Bündnis zu bewegen?«, antwortete der Mann scheinbar erstaunt.

Andreas hätte nicht einmal das Schwarze unter dem Nagel dagegen gewettet, dass sein Bruder ohne Wissen des Vaters aufgebrochen war.

Hardo hieb erneut auf den Tisch. »Ich habe ihm deutlich erklärt, dass er Andreas für die Reise ausrüsten und die Männer bereitstellen soll! Was hat er also bei den Wagriern zu suchen?«

»Das Bündnis mit Fürst Bogumil ist wichtig, um sich hier in diesem Land behaupten zu können. Andreas wird wohl die Reise auch ohne ihn antreten können.« Dittos unverschämter Tonfall verriet, dass Kord seine Männer gründlich gegen seinen Bruder eingenommen hatte.

»Und Andreas’ Gefolge?«, fragte Hardo scharf.

»Steht an der Grenze bereit und wartet darauf, dass er endlich erscheint.«

»Bei Gott, am liebsten würde ich meinen Entschluss umstürzen und Kord nach Norwegen schicken – samt allen Männern, die es wagen, mir so freche Antworten zu geben!«

So zornig Hardo auch klang, seine frühere Autorität, die die Männer hatte gehorchen lassen, war geschwunden. Er hatte Kord zum Anführer seiner Krieger ernannt und diesem so die Gelegenheit gegeben, diese Leute auf sich einzuschwören.

Gegen seinen Willen bedauerte Andreas seinen Vater. Für den alten Mann musste es schwer sein, zu erkennen, wie wenig sein Wort in der eigenen Burg noch galt.

Hardo stand schwerfällig auf und verließ den Raum. Als er wiederkehrte, trug er einen faustgroßen Beutel in der Hand. »Am Reisegeld soll es nicht scheitern, mein Sohn. Gib gut auf dich acht!« Er reichte Andreas den Beutel, der ihn, ohne hineinzuschauen, an Ailmar weitergab.

»Leb wohl! Vielleicht sehen wir uns wieder«, sagte Hardo und schämte sich nicht der Tränen, die ihm über die Wangen rannen.

»So Gott es will!« Kurz entschlossen umarmte Andreas seinen Vater und hielt ihn für einige Augenblicke fest umschlungen, dann löste er sich aus Hardos Armen und blickte Ailmar auffordernd an.

»Du hast es gehört! Unsere Männer warten auf uns.«

Ritter Hardos Besitz war nicht so groß, dass Andreas und Ailmar Stunde um Stunde hätten reiten müssen, um die Grenze zu erreichen. Die Mittagszeit war noch nicht vorüber, als sie zu dem Bauernhof kamen, bei dem ihre Begleiter auf sie warten sollten. Bereits auf den ersten Blick machte sich bei Andreas Enttäuschung breit. Vor dem Haus waren weniger als ein Dutzend Pferde angeleint. Die Männer, die dort im Gras saßen, zählten zwar nicht zu Kords engeren Freunden, dennoch hätte Andreas gut und gern auf sie verzichten können. Keiner von ihnen hatte sich je durch besonderen Eifer ausgezeichnet, sondern lieber den Becher in der Hand gehalten, als sich im Schwertkampf zu üben.

»Mit denen werden wir unsere Freude haben«, prophezeite Ailmar in komischer Verzweiflung.

»Wir brauchen sie, wenn wir nicht allein vor Ulfar Gunnarson erscheinen wollen«, antwortete Andreas und ritt auf die Männer zu. Keinen halben Schritt vor dem Ersten zügelte er sein Pferd.

»Wo sind die anderen? Es hieß, es sollen mich zwanzig Krieger begleiten!«

Der Mann hob ein wenig den Kopf. »Weiß ich, wo sie sind? Sie meinten, sie hätten unter einem anderen Herrn ein besseres Leben, als wenn sie Euch bis ans Ende der Welt folgen müssten.«

»Wie viele seid ihr?«, fragte Andreas zornig. Zwar hatte er von seinem Bruder einiges erwartet, doch das ging weit darüber hinaus.

»Elf! Wenigstens waren wir es vor einer Stunde noch. Sieht aber aus, als hätte sich auch Hinner fortgemacht. Will wohl auch nicht in die Ferne reisen.«

Andreas ließ seinen Rappen noch ein Stück vorrücken, sodass dessen Brust gegen die Schulter des sitzenden Mannes stieß. »Ihr seid Gefolgsleute meines Vaters und ihm zu Treue verpflichtet. Wenn er euch befiehlt, mich zu begleiten, werdet ihr das tun, und sollte unser Weg in die Hölle führen!«

»He, dein Pferd tritt mich!«

»Du hast mich so anzureden, wie es sich für einen Edelmann gebührt. Und jetzt auf die Pferde! Es liegt ein weiter Weg vor uns, und je eher wir ihn antreten, umso schneller gelangen wir ans Ziel.«

In Aldebrands Motte hatte Andreas sich von dessen Kriegern wie ihresgleichen anreden lassen. Hier aber wurde ihm klar, dass er den Herrn herauskehren und diesen Männern ihre Aufsässigkeit austreiben musste.

»Und was macht Ihr, wenn einer von uns nicht mag?«, fragte ein zweiter Krieger.

Bevor Andreas etwas sagen konnte, beugte Ailmar sich im Sattel vor. »Dann reiten wir eben ohne ihn los! Allerdings wird ihm der Bauer hinterher ein Grab schaufeln müssen.«

Die zehn Männer begriffen, dass die Drohung ernst gemeint war, und standen murrend auf.

Andreas sah ihnen mit verkniffener Miene zu. Es war noch ein weiter Weg bis Norwegen, und er hätte ihn gerne mit brauchbareren Begleitern angetreten. Zur Burg zurückreiten und sich bei seinem Vater beschweren, war jedoch sinnlos. Dafür saß Kord bereits zu fest im Sattel.

Während er an der Spitze ritt und Ailmar am Schluss der kleinen Kavalkade, beschäftigten sich Andreas’ Gedanken mit Ulfar Gunnarson und dessen Tochter. War der norwegische Jarl wirklich bereit, sie einem völlig Fremden zur Frau zu geben, auch wenn es sich um den Sohn eines Freundes handelte? Wenn Jarl Ulfar ihm die Tochter verweigerte, war er nicht mehr als ein fahrender Ritter und würde sich einen Herrn suchen müssen, dem er seine Dienste antragen konnte. Doch selbst das war ihm lieber, als weiterhin mit ansehen zu müssen, wie Kord sich immer mehr zum Herrn aufschwang.

5.

Vor zwei Jahren hatten Andreas und Ailmar die Stadt Ribe schon einmal in Aldebrands Gefolge besucht. Es war jedoch etwas anderes, es mit der Verantwortung des Anführers zu tun. Das Hämmern der Schmiede, die Rufe der Händler und tausend andere Geräusche erfüllten die Luft. An einer Stelle roch es nach Bier, an einer anderen stank es bestialisch, und ein paar Schritte weiter bot jemand die Wohlgerüche des Orients an.

»Riecht daran, und Ihr werdet Euren Frauen ein Fläschchen davon kaufen – oder auch zwei«, sprach der Parfümhändler Andreas an.

»Ich habe noch kein Weib«, antwortete dieser abwehrend.

Der Händler sah ihn mit blitzenden Augen an. »Aber vielleicht eine Geliebte? Diese lieben diesen Duft nicht weniger als Ehefrauen.«

Andreas wurde unsicher und fragte sich, ob er ein Fläschchen für Ulfars Tochter kaufen sollte. Der Gedanke, dass er sein Geld für die Reise zusammenhalten musste, gab den Ausschlag. Er kehrte dem Händler den Rücken und ritt weiter. Doch bereits am nächsten Marktstand wollte ihn jemand erneut zum Kaufen überreden.

»Wir sollten zusehen, dass wir ein Schiff finden und von hier fortkommen«, sagte Ailmar, der gerade einen Pastetenhändler abgewehrt hatte, obwohl dessen Ware verführerisch roch. Er besaß nur wenig eigenes Geld und wollte keinesfalls, dass Andreas etwas für ihn ausgab.

»Der Hafen ist dort!«

Andreas bog in die von ihm genannte Richtung ab. Nach einer Weile blieben die Verkaufsstände hinter ihnen zurück, und sie sahen einen Wald von Masten vor sich. Andreas wies seine murrenden Waffenknechte an, in einer Schenke am Rand des Hafens auf ihn zu warten, und ritt mit Ailmar auf die an hölzernen Stegen vertäuten Schiffe zu.

»Die sind doch viel zu klein! Da passen wir und unsere Pferde nicht drauf«, rief Ailmar enttäuscht.

»Dort vorne liegen ein paar größere.« Andreas wies auf mehrere lang gestreckte Rümpfe, die Platz für größere Scharen als die ihre boten. Er wollte darauf zureiten, doch da vertraten ihm einige Krieger in Kettenhemden und verzierten Helmen den Weg. Einer zog das Schwert und stellte die Spitze auf den Plankenboden.

»Was wollt ihr hier? Das sind die Schiffe des Königs!«, sagte er auf Dänisch.

»Das wusste ich nicht! Ich suche eine Gelegenheit, um nach Norwegen zu kommen«, antwortete Andreas in der gleichen Sprache.

Die grimmigen Mienen der Dänen entspannten sich ein wenig. »Da seid ihr hier falsch! Unsere Schiffe fahren so schnell nicht ins Nordland. Um dorthin zu kommen, müsst ihr einen Handelsschiffer fragen, ob er euch mitnimmt.«

»Und wo finde ich einen?«, fragte Andreas.

Der Däne wies auf ein etwa zehn Mann langes und gut zwei Mann breites Schiff mit hochgezogenen Bordwänden, das mit einem kurzen, geschnitzten Bug- und einem ebensolchen Achtersteven verziert war.

»Frag Gygir! Er segelt morgen nach Bergen und setzt euch vielleicht unterwegs an eurem Ziel ab.«

»Hab Dank!« Andreas wendete sein Pferd geschickt auf dem schmalen Plankenpfad und ritt zu dem genannten Schiff. Mit zweifelnder Miene folgte Ailmar ihm und musterte den ihnen genannten Kahn, der ihm für zwölf Mann und ein Dutzend Pferde arg klein erschien.

Auf der hölzernen Pier, an der der Handelsfahrer lag, war mehr los als bei den dänischen Kriegsschiffen. Andreas und Ailmar mussten daher absteigen und ihre Pferde führen. Vor dem Schiff blieb Andreas stehen.

»Ich suche Gygir«, rief er den Leuten an Bord zu.

Ein kräftig gebauter Mann in einem braunen Wollhemd und etwas dunkleren Hosen kam auf ihn zu. An seinem Gürtel hing ein Kurzschwert, und er sah ganz so aus, als wüsste er damit umzugehen. »Du hast nach mir gefragt?«

»Ich habe gehört, dass du nach Norwegen fährst. Kannst du mich und meine elf Gefolgsleute mitnehmen? Wir wollen zu Jarl Ulfar Gunnarson«, antwortete Andreas.

Gygir musterte ihn, dann seinen Rappen und verzog das Gesicht. »Dich und deine Männer kann ich mitnehmen, die Gäule aber nicht.«

Andreas überlegte, was er tun sollte. »Gibt es vielleicht einen anderen Schiffer, der uns samt Pferden mitnehmen kann?«

»Da müsstest du schon ein ganzes Schiff mieten, aber das wird dir hier nicht gelingen, weil jeder Kaufmann Ware geladen hat. Am besten verkaufst du deine Pferde und erstehst in Norwegen neue.« Gygirs Schiff war zum größten Teil beladen, und er rechnete sich einen guten Verdienst in Norwegen aus. Aber das Silber, das Andreas für die Passage für sich und seine Männer zahlen musste, würde er ebenfalls gerne in seinem Beutel sehen.

Andreas wandte sich unschlüssig an Ailmar. »Was meinst du dazu?«

»Nicht, dass es mich freuen würde, auf meinen guten Braunen zu verzichten. Aber wenn wir nicht anders zu Jarl Ulfar gelangen, müssen wir die Pferde wohl verkaufen.«

Dennoch zögerte Andreas. Er ritt seinen Rappen seit fünf Jahren. Ihn jetzt zurückzulassen, erschien ihm wie Verrat an einem treuen Kameraden.

»Ihr habt Zeit bis morgen früh«, erklärte Gygir. »Wenn die Sonne eine Handbreit über dem Horizont steht, lösen wir die Leinen. Hast du dich bis dorthin nicht entschieden, musst du dir einen anderen Schiffer suchen. Von hier fahren allerdings nicht viele nach Norwegen. Die meisten Handelsfahrer steuern Friesland oder gar England an, und das ist wohl nicht euer Ziel.«

Damit hatte der Schiffer recht. Betrübt drückte Andreas Ailmar die Zügel seines Rappen in die Hand.

»Geh zu dem Schankwirt, bei dem wir unsere Begleiter zurückgelassen haben, und gib acht, dass sich keiner von ihnen verdrückt.«

»Solange es dort Bier gibt, bleiben die Kerle sitzen«, meinte Ailmar grinsend. »Wir können auf dem Nachbargrundstück übernachten. Der Wirt hat dort mehrere Zelte aufgespannt und vermietet sie an Reisende. Wenn wir uns für den Vorschlag des Schiffers entscheiden, müssen wir die Pferde noch heute verkaufen.«

Obwohl Andreas dieser Gedanke nicht gefiel, mussten sie in den sauren Apfel beißen. Ihr Ziel war Jarl Ulfars Burg. Zurück konnten sie nicht mehr.

»Ich frage den Wirt, ob er jemanden kennt, der die Pferde kaufen würde.« Nach diesen Worten verabschiedete Ailmar sich und führte seinen Braunen und Andreas’ Rappen fort.

Andreas sprach ein paar Leute an und fragte, ob sie jemanden wüssten, der ihre Pferde ebenfalls mitnehmen würde, erhielt aber nur abschlägige Antworten. Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Ailmar und ihren Begleitern zurückzukehren.

»Der Wirt kennt einen Hufschmied, dem wir die Pferde anbieten können«, berichtete ihm Ailmar.

Da der Verkauf der Tiere notwendig war, wollte er ihn so rasch wie möglich hinter sich bringen. Daher befahl Andreas seinen Männern, mit ihm zu kommen und auch die Pferde mitzunehmen, und suchte den Hufschmied auf.

»Kennst du jemanden, der Pferde kaufen würde?«, fragte er mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

»Weiß schon jemanden«, meinte der andere auf Dänisch. »Die zehn dort sind nicht viel wert, aber der Rappe und jener Braune gefallen mir. Du bekommst für die beiden genauso viel wie für die anderen zusammen.«

»Was zahlst du?«, fragte Andreas und nickte, als der Schmied die Summe nannte.

»Dann soll es so sein!«

»Du hättest handeln sollen, um einen höheren Preis zu erzielen«, tadelte Ailmar ihn leise.

»Lass es gut sein! Schon bald sind wir bei Jarl Ulfar und werden dort gewiss andere Pferde bekommen«, antwortete Andreas und nahm die Silbermünzen entgegen, die der Hufschmied ihm auf die Hand zählte.

6.

Obwohl Ritter Hardos Besitz weniger als einen halben Tagesritt vom Meer entfernt lag, waren Andreas und Ailmar noch nie zur See gefahren. Schon kurz nach dem Ablegen spürten sie, wie stark sich Gygirs Schiff von den Kähnen unterschied, die auf den Flüssen und Seen ihrer Heimat in Gebrauch waren. Wenn diese schaukelten, dann nur, da man sich falsch bewegte. Hier aber warfen die Wellen das Schiff hin und her. Die meisten von Andreas’ und Ailmars Begleitern bedauerten schon bald den großen Napf Morgensuppe und die Krüge Bier, die sie zum Frühstück aufgetischt bekommen hatten. Als den Ersten schlecht wurde, scheuchten Gygirs Matrosen sie zur windabgewandten Seite des Schiffes.

»Hier könnt ihr kotzen, so viel ihr wollt!«, spotteten sie.

Im nächsten Augenblick stieß Ailmar hörbar auf und wurde ebenfalls blass.

»Wird dir etwa übel?«, fragte Andreas, obwohl auch er gegen seinen rebellischen Magen ankämpfte.

Die beiden mussten zwar nicht erbrechen, aber da ihre Beine bei der steten Bewegung des Schiffes ein Eigenleben zu führen schienen, setzten sie sich schließlich mit dem Rücken zur Bordwand und blickten zum Himmel hoch, um nicht auf das schäumende Meer sehen zu müssen.

»Jetzt weiß ich auch, weshalb Gygir keine Angst hatte, uns an Bord zu nehmen, obwohl er nur sieben Leute bei sich hat«, stöhnte Ailmar. »Selbst wenn wir ihm das Schiff hätten abnehmen wollen, wären wir nicht in der Lage dazu.«

Gygir hatte es gehört und klopfte lachend auf die Scheide seines Kurzschwerts. »Der Kampf auf einem Schiff unterscheidet sich gewaltig von dem an Land. Passagiere fürchte ich daher keine. Anders wäre es, wenn uns Piraten begegnen würden. Hier in Dänemark werden sie von den Schiffen des Königs gejagt, in Norwegen hingegen muss man mit ihnen rechnen. König Inge ist noch sehr jung und sitzt auf einem wackeligen Thron. Daher mussten seine Vormünder bereits etliche Aufstände niederkämpfen. Viele Edelleute glauben, einen höheren Anspruch auf die Krone zu besitzen als Inge und seine Brüder.«

»Wieso fährst du trotzdem hin?«, fragte Ailmar verwundert.

»Handel bringt Geld! Solange unser Christus im Himmel und der Asathor mir beistehen, ist es besser, ich verdiene es, als dass es ein anderer tut. Gerate ich an die Piraten und werde von ihnen erschlagen, so gelange ich ins Paradies – oder nach Walhall – und lasse mir dort den Met schmecken.«

»Asathor und Walhall sind heidnische Begriffe und sollten längst vergessen sein«, tadelte Andreas ihn.

»Weißt du, wie es jenseits der Totengrenze aussieht? Ich nicht! Da halte ich mich lieber an beide. Ist Christus der Sieger, so werde ich ihn im anderen Leben doppelt preisen und kein Wort mehr über die Asen verlieren«, gab Gygir ungerührt zurück.

In Andreas’ und Ailmars Heimat hatte der Priester streng darauf geachtet, dass der heidnische Aberglaube keine Blüten mehr trieb. Daher sah Andreas den Schiffer verblüfft an. »Ihr Dänen seid doch alles Christenmenschen!«

»Ich bin kein Däne, sondern Isländer«, erklärte Gygir. »Zwar ziehen die Bischöfe von Skálholt und Hólar saure Mienen, wenn einer Thor oder Odin in den Mund nimmt, aber solange wir in der Kirche brav zu unserem Christus beten, sollen sie damit zufrieden sein.«

Unterdessen wankte einer von Andreas’ Gefolgsleuten heran und ließ sich jammernd an Deck nieder. »Wenn ich gewusst hätte, wie schrecklich die Fahrt wird, wäre ich niemals mitgekommen. Dieses tobende Meer wird uns alle verschlingen.«

»Das nennst du ein tobendes Meer?«, rief Gygir lachend. »Das hier ist die Nordsee, und die ist heute so glatt wie ein Kinderpopo. Anders wäre es, wenn wir in das Nordmeer einfahren würden. Da würdest du Wellen erleben, die höher als unser Mast sind, und Stürme, die dir die Ohren und die Haare vom Kopf reißen.«

Als der Mann das hörte, würgte er erneut und wurde von einem Matrosen zur gegenüberliegenden Bordwand geschleift. Da sein Magen inzwischen leer war, erbrach er nur noch stinkende Luft, fühlte sich dabei aber so schlecht, dass er wie die meisten seiner Kameraden lieber sterben wollte, als das länger zu ertragen.

»Ist das Nordmeer wirklich so schlimm, wie du sagst?«, fragte Andreas besorgt.

Gygir zuckte mit den Achseln. »Manchmal schon. Im Übrigen ist jedes Meer gefährlich. Auch hier in der Nordsee sind schon viele Schiffe gesunken, und vor Björgvin liegen sie zuhauf auf dem Grunde des Fjords.«

»Was ist Björgvin?«, wollte Andreas wissen.

»Die Dänen nennen es Bergen«, gab der Schiffer zurück und ging dann weiter, um einen seiner Männer zu tadeln.

Andreas und Ailmar sahen einander an. »Mir gefällt das Meer gar nicht«, stöhnte Ailmar. »Ich werde froh sein, wenn wir bei Jarl Ulfars Burg an Land gehen, und hoffe, danach nie mehr auf ein Schiff steigen zu müssen.«

Ein Matrose in ihrer Nähe feixte. »Wenn du wieder nach Hause willst, bleibt dir nichts anderes übrig, als erneut ein Wogenross zu besteigen.«

»Wir wollen in Norwegen bleiben«, erklärte Andreas.

Der Matrose grinste noch breiter. »Auch dann werdet ihr Schiffe benutzen müssen, denn Straßen sucht ihr dort vergebens. Wer von Björgvin nach Nidaros will, braucht ein Schiff, ebenso für die Reise nach Horda- oder Rogaland.«

Andreas sah Ailmar mit skeptischer Miene an. »Bereust du es jetzt, mich begleitet zu haben?«

»Und wenn es so wäre, ist es zu spät. Wir sind unterwegs«, antwortete sein Freund. »Ich glaube, ich bekomme jetzt sogar ein wenig Hunger.«

Andreas stöhnte, spürte dann aber, dass auch sein Magen sich beruhigt hatte, und stand auf. »Dann wollen wir zusehen, ob wir nicht etwas zwischen die Zähne bekommen.«

Sie hatten auf Gygirs Rat hin dessen Steuermann ein paar Silbermünzen gegeben, damit dieser Proviant für sie und ihre Männer kaufen sollte. Als sie jetzt ihre Mahlzeit einforderten, grinste der Mann. »Sieht aus, als könnten doch noch Kerle aus euch werden«, sagte er und wies einen Matrosen an, Brot, Käse und Wurst zu holen.

»Wenn sie das Zeug nicht gleich wieder auskotzen«, meinte dieser besorgt.

Da klopfte Ailmar ihm auf die Schulter. »Wenn wir alles mit einem guten Krug Bier hinunterspülen können, bleibt es schon unten.«

»Wollen wir’s hoffen«, antwortete der Mann und ging los, um das Verlangte zu holen.

7.

Seit Stunden fuhr das Schiff zwischen den steil aufragenden Felsufern dahin, die teilweise so nahe zusammenlagen, dass man einen Pfeil von einer Seite zur anderen hätte schießen können. Hatten Gygirs Männer auf offener See das große, rechteckige Segel aufgezogen und den Wind für die Fahrt benützt, so saßen nun sechs von ihnen an den Riemen und trieben das Schiff langsam, aber stetig tiefer in den Fjord hinein.

»Hinter der nächsten Biegung liegt Jarl Ulfars Hof«, erklärte der Schiffer.

Andreas nickte angespannt. Da ihr Ziel nun in Reichweite lag, fragte er sich, was der Freund seines Vaters von ihm und seiner Begleitung halten würde. Auf Ailmar konnte er sich felsenfest verlassen, doch mit den zehn Waffenknechten waren sie noch nicht warm geworden. Er begriff, warum sein Bruder genau diese Männer ausgesucht hatte. Das Einzige, was sie wirklich gut konnten, war trinken.

»Hoffentlich kämpfen sie auch so gut, wie sie saufen«, sagte Ailmar, als Andreas dies erwähnte.

Doch genau das bezweifelten die beiden Ziehbrüder. Die Ausrüstung der Männer bestand aus einfachen Lederkollern, die mit ein paar Eisenblechen verstärkt waren. Ihre Schwerter stammten wahrscheinlich noch von ihren Großvätern und trugen große Rostflecke, und ihre Helme glichen mit Dellen übersäten Blechkübeln. Zwar hatten sie mittlerweile versucht, ihre Ausrüstung unter Ailmars Aufsicht zu pflegen, doch viel besser war sie nicht geworden.

»Fast wünsche ich mir, wir müssten gar nicht kämpfen«, antwortete Andreas seufzend. »Wenn ich diese Trottel mit Gygirs Männern vergleiche, so wiegt jeder von den Seeleuten mindestens drei von ihnen auf. Dabei sind das einfache Matrosen, die ihre Schwerter nur dann ziehen, wenn sie ihr Schiff verteidigen müssen.«

»Dort ist es!« Der Ruf des Kapitäns beendete das Gespräch, und sie eilten nach vorne zum Bug. Andreas stieg sogar auf die Bordwand, um besser sehen zu können, und hielt sich am geschnitzten Steven fest. Der Anblick war eine Enttäuschung. Auf einer flachen Stelle am Ufer lag ein kleines Dorf aus weniger als einem Dutzend Hütten und Häusern, dahinter ein großer, mit einem Palisadenzaun umfriedeter Hof, der so gar keine Ähnlichkeit mit einer Burg aufwies.

»Wenn mich nicht alles täuscht, bestehen alle Gebäude aus Holz, auch der Hof des Jarls«, stöhnte Andreas.

»Das tun die Burgen deines Vaters doch auch«, erinnerte ihn Ailmar.

Andreas schüttelte in komischer Verzweiflung den Kopf. »Das schon! Nur ist dort die Palisade höher und fester und steht auf einem Wall. Zudem wurde die Motte auf einem aufgeschütteten Hügel errichtet.«

»Wir sind eben nicht zu Hause.« Ailmar nahm die Gegebenheiten leichter hin als sein Freund, obwohl auch er sich über das Dorf wunderte, das nur von wenig fruchtbarem Land umgeben war. Dahinter ragten schroffe Felswände mehrere Hundert Schritt in die Höhe. Ein großer Steinklotz, kaum kleiner als ein Haus, lag seitlich des Jarlshofs und schien von oben herabgefallen zu sein. Offensichtlich war es nicht ungefährlich, hier zu siedeln.

»Das soll Ulfarsvik sein?« So ganz konnte Andreas es nicht glauben.

Gygir nickte und wies einen seiner Männer an, in ein Horn zu blasen. »Sie sollen wissen, dass wir in Frieden kommen«, erklärte er, während sich sein Schiff langsam einem Steg näherte, an dem bereits zwei Boote vertäut lagen. Diese waren größer als das seine, glichen sich aber nur wenig. Eines ähnelte dem Handelssegler, während das andere länger und schmaler war. Seine geschnitzten Steven ragten hoch empor, der am Bug zeigte den Kopf eines Fabeltiers mit aufgerissenem Maul und langen Zähnen.

»Das große ist Ulfars Kriegsschiff, und mit dem zweiten treibt er Handel an der Küste entlang bis hinauf zu den Fenni«, erklärte Gygir und winkte den Männern zu, die sich dem Steg näherten.

»Wer seid ihr und was wollt ihr?«, rief einer herüber.

»Ich bin Gygir Thialfason, der Isländer, und bringe Reisende, die Jarl Ulfar aufsuchen wollen«, gab Gygir Antwort.

»Welche Reisende?«

»Ich bin Andreas, Sohn des Ritters Hardo, des Herrn auf Venneby. Mein Vater ist ein Freund von Jarl Ulfar Gunnarson.«

»Könnt anlegen!«, scholl es zurück.

Während Andreas vom Bug aus zusah, wie sich der Handelssegler dem Steg näherte, trieb Ailmar ihre Begleiter auf die Beine. »Hoch mit euch! Gleich könnt ihr das Schiff verlassen!«

»Gibt’s dort drüben auch Bier?«, fragte einer der zehn misstrauisch.

»Ich will’s hoffen! Oder glaubt ihr, ich hätte keinen Durst?« Ailmar grinste, doch sein Blick warnte die Männer, es nicht zu übertreiben.

Seufzend nahmen diese ihre wenigen Habseligkeiten an sich und stiegen vom Schiff, kaum dass es angelegt hatte.

Andreas trat derweil auf einen groß gewachsenen Mann zu, der mit den breiten Schultern, der wuchtigen Gestalt und dem zotteligen Vollbart wie ein Bär wirkte.

»Sei mir willkommen, Andreas Harduson! Du kommst gerade noch rechtzeitig, um meiner Hochzeit mit Sigrid Ulfarsdottir beiwohnen zu können«, sagte der Mann und schloss Andreas in die Arme.

Andreas spürte die Enttäuschung wie bittere Galle in sich aufsteigen. Allen Bedenken zum Trotz hatte er gehofft, wenigstens in Erwägung gezogen zu werden. Stattdessen hatte Ulfar nicht einmal sein Kommen abgewartet, um einen Bräutigam für seine Tochter zu bestimmen. Weshalb bin ich überhaupt nach Norwegen gereist?, fragte er sich und sah an Ailmars Gesichtsausdruck, dass dieser dasselbe dachte.

Es galt nun, der Wahrheit ins Auge zu sehen, auch wenn diese sich deutlich von seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen unterschied.

»Ich danke dir für deine Gastfreundschaft«, antwortete Andreas und löste sich vorsichtig aus dem Klammergriff des Norwegers. Obwohl er sich nicht gerade für schwächlich hielt, schmerzten ihm die Rippen. Der andere sah nicht nur aus wie ein Bär, sondern verfügte auch über dessen Kräfte.

»Ich bin Tryggvi Thorgilson aus Morske und von Jarl Ulfar auserwählt, sein Schwiegersohn und Nachfolger zu werden. Ich freue mich über deine Ankunft, die uns helfen wird, diesen elenden Rebellen und Verräter Eyvind Erlingarson zur Strecke zu bringen.«

Bei diesen Worten atmete Andreas ein wenig auf. In einem Kampf konnte er sich auszeichnen und Beute machen. Da er nicht mehr besaß als das Silber, das ihm sein Vater mitgegeben hatte, musste dies sein Ziel sein.

Mit einer knappen Bewegung wies er auf seine Begleiter. »Das hier ist mein Stellvertreter Ailmar, und diese zehn Mann sind meine Schar. Mehr vermochte mein Vater nicht aufzubringen, da ihn selbst Feinde bedrängen.«

Es war eine Lüge, um zu erklären, warum er nur mit so wenigen Männern kam.

Tryggvi schien es nicht zu stören, denn er fasste ihn um die Schulter und schob ihn vor sich her. »Jarl Ulfar wird sich freuen, den Sohn seines alten Freundes begrüßen zu können. Für einen Becher Met und ein Stück Braten wird Sigrid sorgen. Sie ist eine gute Hausfrau. Ich könnte es nicht besser treffen als mit ihr.«

Während er mit Tryggvi zu Ulfars Hof ging, rumorte in Andreas noch der Ärger, dass Ulfar in dem Brief an seinen Vater von einer möglichen Heirat gesprochen hatte. Verrenne dich nicht, ermahnte er sich. Du hast den Brief nicht einmal gesehen. Auch sein Vater hatte das Schreiben nicht lesen können, sondern den Priester der nahen Siedlung als Übersetzer und Vorleser benötigt. Der Mann mochte Ulfars Worte anders aufgefasst haben, als der Jarl es gemeint hatte.

Wenig später trat Andreas auf das Hauptgebäude des Hofes zu. Es maß mehr als fünfzehn Manneslängen in der Länge und etwa vier Manneslängen in der Breite und war aus festen Baumstämmen erbaut. Die Fenster waren klein wie Schießscharten und die Tür so niedrig, dass Andreas sich bücken musste, um hindurchzukommen. Dennoch schlug er sich den Kopf am Türbalken an.

»Das lernst du noch!«, meinte Tryggvi fröhlich.

Andreas nickte mit verkniffener Miene und tastete sich vorsichtig weiter. In der Mitte der Halle brannte Feuer in einer langen Feuerstelle, und an den Wänden hatte man etliche Fackeln entzündet. Daher war es im Innern des Hauses heller, als er erwartet hatte. An beiden Seiten der Feuergrube standen Tische und einfache Bänke. Nur der Teil des Feuers, über dem in großen Kesseln gekocht wurde, war frei geblieben. Mehrere Frauen arbeiteten dort, und Andreas fragte sich, ob Sigrid Ulfarsdottir zu ihnen gehörte. Die Frauen waren groß und kräftig gebaut, schienen jedoch alle zu alt, um die Tochter des Jarls sein zu können.

Andreas wurde von Tryggvi zu dem Mann geführt, der auf einem prächtig geschnitzten Stuhl saß.

»Jarl Ulfar, das ist Andreas Harduson aus dem Sachsenland. Sein Vater Hardo hat ihn geschickt, um uns gegen den Verräter Eyvind beizustehen.«

Ulfar erhob sich und umarmte Andreas voller Freude. »Ich heiße dich willkommen, Andreas Harduson! Wie geht es deinem Vater? Ich habe ihn gut zwei Jahrzehnte nicht mehr gesehen. Bei Gott, waren das Zeiten! Damals hätten wir beide Eyvind Erlingarson mit Leichtigkeit eingefangen und seiner Strafe zugeführt.« Der Jarl seufzte entsagungsvoll und gab Andreas die Gelegenheit, ihn sich genauer anzuschauen.

Ulfar war fast so groß wie Tryggvi und ebenso breit, doch ihm war ebenso wie Andreas’ Vater anzusehen, dass das Alter und ein hartes Leben ihren Tribut gefordert hatten. Wohl konnte er das Schwert noch ziehen, doch die Kraft, mit der er es einst geschwungen hatte, war geschwunden. Um sich durchsetzen zu können, brauchte Ulfar einen jüngeren Mann an seiner Seite und hatte Tryggvi dafür ausgewählt.

Längst bereute Andreas es, dem Willen des Vaters gefolgt zu sein. Es wäre besser gewesen, sich einem der großen Herren im Heiligen Römischen Reich als Gefolgsmann anzudienen. Da ihm in seiner Situation jedoch kein Wenn und Aber half, verbeugte er sich vor dem Jarl. »Ich freue mich, dir die Grüße meines Vaters zu übermitteln.«

Da er dänisch sprach und Ulfar und Tryggvi norwegisch, war die Unterhaltung trotz der Ähnlichkeit der Sprachen etwas mühsam, denn beide Seiten verwendeten immer wieder Worte, die der jeweils anderen fremd waren.

»Wenn du deinem Vater nur halbwegs gleichst, werden wir Eyvind Erlingarson bald stellen und ihn für seinen Verrat am König und an mir bestrafen. Doch jetzt setz dich erst einmal und trinke einen Schluck Met. Die Mägde sollen dir Fleisch und Brot vorlegen, denn du wirst gewiss hungrig sein«, fuhr Ulfar fort und führte Andreas zu einem kleineren Tisch, der sich an der Stirnseite der Halle befand. Dort befand sich sein Hochsitz, von dem aus er jeden Winkel der Halle im Auge behalten konnte. Rechts und links gab es je zwei Stühle für geehrte Gäste. Den rechts von Ulfar nahm Tryggvi ein. Andreas wurde der Platz links des Hochsitzes angeboten, die beiden anderen Stühle blieben leer.

8.

Sigrid Ulfarsdottir hatte die Ankunft der neuen Gäste bemerkt, es aber für wichtiger gehalten, nachzuschauen, wie lange Getreide, getrockneter Fisch und andere Vorräte noch reichen würden. Zwar war die Ernte im letzten Jahr reichlich gewesen, doch ihr Vater sammelte seit mehr als zwei Monaten Krieger, um Eyvind zu jagen. Bislang saßen diese allerdings nur herum, tranken die Metfässer leer und sorgten für Lücken in den Vorratshäusern.

Unwillkürlich ärgerte Sigrid sich darüber. Eyvind konnte mittlerweile überall sein, ob hoch im Norden bei den Fenni, auf den Orkneyjar, den Färöerjar oder gar auf Island.

»Vater sollte es dem König überlassen, Eyvind zu jagen«, murmelte sie. Dabei wusste sie selbst, dass ihr Vater auf diesem Weg König Inges Berater seine Treue beweisen musste. Immerhin hatte er sie mit einem Mann verlobt, der wenige Wochen später einen Aufstand angezettelt hatte.

Unwillkürlich verglich sie ihren neuen Verlobten mit Eyvind. Tryggvi war ebenfalls groß und kräftig, aber von eher schlichtem Gemüt. An seiner Stelle hätte Eyvind längst gehandelt. Stattdessen saß Tryggvi nur herum und wartete, bis ihr Vater sich entschloss, tätig zu werden. Sigrid hatte in den letzten Jahren jedoch mit Sorge beobachtet, wie dessen Kraft und Entschlussfreude immer mehr nachgelassen hatten. Vielleicht, so sagte sie sich, brachten die Neuankömmlinge den Umschwung.

Mit einem Mal hatte sie es eilig, sich die Sachsen anzusehen. Sie verließ das Vorratshaus und schlug einen Bogen, um die Gefolgsmänner des Neuankömmlings in Augenschein zu nehmen.

Diesen war ein Platz in der Nähe des herabgestürzten Felsblocks angewiesen worden. Jetzt saßen sie in dessen Schatten und tranken den Met, den ihnen die Knechte gebracht hatten. Obwohl jeder von ihnen kräftig aussah, wirkten sie auf Sigrid sehr gewöhnlich – bis auf einen. Dieser Mann war noch jung und der Kleinste in der Runde. Im Gegensatz zu den schlichten, metallbeschlagenen Lederrüstungen seiner Kameraden trug er ein Kettenhemd, und der Helm, der neben ihm lag, war aufwendiger gestaltet. Nicht nur das hob ihn hervor, sondern auch die entschlossene Miene und der wachsame Blick, mit dem er seine Umgebung musterte.

Wenn sein Anführer ihm ähnlich war, bestand Hoffnung, dass er ihren Vater dazu bewegen konnte, die Jagd auf Eyvind zu beginnen. Mit diesem Gedanken lenkte Sigrid ihre Schritte zur Halle ihres Vaters und trat ein.

Der Sachse saß ganz vorne am Tisch des Vaters. Wie sein Unteranführer hatte auch er Wangen und Kinn rasiert und trug nur einen schmalen Schnauzbart. Unter Männern aufgewachsen, für die ein stattlicher Vollbart ein Zeichen ihrer Männlichkeit darstellte, wunderte Sigrid sich darüber. Sie erinnerte sich jedoch daran, dass Eyvind sich den Bart zwar nicht abgeschabt, ihn aber so weit gestutzt hatte, dass er ihm nicht auf die Brust fiel. Anscheinend mussten entschlossene Männer sich von den anderen auf diese Weise unterscheiden, dachte sie und fragte sich, ob der Sachse wirklich ein entschlossener Mann war.

Auf jeden Fall war er ein ansehnlicher Mann, fand sie. Zwar war er kleiner als Eyvind oder Tryggvi, aber immer noch ein bis zwei Fingerbreit größer als sie selbst. Sein Haar war von etwas dunklerem Blond als das ihre und sein Gesicht für einen Mann recht hübsch. Der Blick seiner tief liegenden grauen Augen warnte sie jedoch davor, ihn für weichlich zu halten. Zu ihrer Verwunderung wirkte er verärgert. Nein, eher enttäuscht, berichtigte Sigrid sich.

Da bemerkte Ulfar seine Tochter und winkte ihr, zu ihm zu kommen. »Das ist Sigrid! Komm her, mein Töchterchen, und begrüße den Sohn meines alten Freundes Hardo.«

Die junge Frau trat zu dem Gast und sah zu ihrem Erstaunen, dass der Sachse aufstand und sich vor ihr verbeugte. Solche fremdländischen Sitten war man hier nicht gewohnt.

Als Andreas sich wieder aufrichtete, musterte er Sigrid neugierig. Sie war die größte Frau, der er bislang begegnet war, und er nahm im ersten Augenblick an, sie würde sogar ihn überragen. Zu seiner Erleichterung stellte er jedoch fest, dass sie eine Winzigkeit kleiner war als er. Ihr Haar leuchtete wie ein Helm aus Gold und fiel in reicher Fülle bis zu den Hüften. Wimpern und Augenbrauen waren von der gleichen Farbe und beschatteten zwei Augen, in denen sich die Farbe des Sommerhimmels spiegelte. Mit ihrem ebenmäßigen Gesicht, einer schmalen, geraden Nase und dem sanft geschwungenen Mund war Sigrid Ulfarsdottir die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und seine Enttäuschung, dass Ulfar sie einem ungeschlachten Hünen wie Tryggvi überlassen wollte, wuchs. Allein diese Frau für sich zu gewinnen, hätte die Fahrt nach Norwegen gelohnt.