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Ein tragischer Zwischenfall wirft Anas Leben von heute auf morgen völlig aus den Bahnen. .. Als ihr Freund bei einem schweren Autounfall verunglückt und schließlich, wie es scheint, an den Folgen stirbt, bricht eine Welt für sie zusammen. Und plötzlich ist nichts mehr so, wie es vorher einmal gewesen war. Ana sieht plötzlich Dinge, die sie eigentlich gar nicht sehen sollte. Immer wieder sieht sie einen jungen Mann, atemberaubend schön und anziehend, der irgendetwas an sich hat, was sie sich einfach nicht erklären kann. Dieser taucht jedoch immer nur dann auf, wenn schlimme Dinge geschehen und Menschen dem Tode nahe sind. Anfangs glaubt Ana an eine Einbildung, die sie seit dem Tod ihres Freundes verfolgt, doch sie soll sich irren. Diese "Einbildung" ist viel realer, als sie es auch nur erahnen kann, denn der junge Mann, den Ana immer wieder sieht, ist ausgerechnet der Tod höchstpersönlich. Und der schätzt es ganz und gar nicht, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischt. Als Ana es schließlich nicht mehr aushält, passiert ihr ein folgenschwerer Fehler und sie lenkt so ungewollt seine Aufmerksamkeit auf sich. Als ihr das jedoch endlich bewusst wird, ist es bereits zu spät. ... Plötzlich befindet sich Ana selbst in großer Gefahr und alles soll noch viel schlimmer werden, denn Ana ahnt nicht, dass er nun etwas ganze Besonderes mit ihr vor hat ....
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Seitenzahl: 472
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Sage der Schwarzen Rose
Von J.S.Summer
Buchbeschreibung:
Ein tragischer Zwischenfall wirft Anas Leben von heute auf morgen völlig aus den Bahnen. Als ihr Freund bei einem schweren Autounfall verunglückt und schließlich, wie es scheint, an den Folgen stirbt, bricht eine Welt für sie zusammen.
Auf einmal ist alles anders und Ana sieht Dinge, die sie eigentlich gar nicht sehen sollte …
Über den Autor:
Begonnen zu schreiben habe ich im zarten Alter von 14 Jahren, zunächst als »Lebenshilfe«. Durch das Niederschreiben meiner Gedanken und Gefühle konnte ich auch schwere Zeiten überstehen, habe darin Hilfe und Zuversicht gefunden. Mittlerweile macht es mir Spaß, anderen Menschen damit eine Geschichte zu erzählen.
Sage der Schwarzen Rose
Gefährliche Begierde
Von J.S.Summer
J.S. Summer
Wacholderweg 2
96215 Lichtenfels
Telefon: +49 9576 7269000
2. Auflage, 2017
© 2017 J.S.Summer – alle Rechte vorbehalten.
J.S. Summer
Wacholderweg 2
96215 Lichtenfels
DIE SAGE DER SCHWARZEN ROSE:
Band I: Gefährliche Begierde
Danksagung/Widmung:
* Ich widme dieses Buch all denjenigen, die selbst in schweren Zeiten immer zu mir gestanden haben.
* Meiner Freundin, Angi, die mehr Schwester als Freundin für mich ist, meiner Schwester Angela, meinem Freund Chris, meiner Familie und all denjenigen, die immer für mich da waren (besonders Uschi, Jenny und Sabine …)
Danke für Alles!
Eine Rose für die Liebe …
Eine Rose für das Leid …
Eine Rose für die tiefe Verbundenheit …
Eine Rose für den Tod …
Rückblick 17
Rückblick 219
Es lässt mich nicht los37
Verhängnisvoller Augenblick53
Die Begegnung67
Aberglaube oder Realität?81
Ein Vorfall, der alles verändert96
Eine zweite Warnung111
Das Ultimatum129
Es beginnt142
Sein Spiel155
Einfach weg169
Kurzzeitiges Glück181
Bittersüße Zärtlichkeit195
Der Kampf um das Entscheidende208
Das Wiedersehen222
Die Prägung235
Was wirklich zählt!251
Ein neues Leben, ein neuer Anfang262
Rückblick 1
Ich kann mich noch gut an den einen Tag erinnern, als es geschah. Es war ein ganz normaler Tag, der mein Leben allerdings grundlegend und für immer verändern sollte …
»Ana?« Seufzend sah ich auf und legte das Buch, in welchem ich gerade las, beiseite. Ich war mir sicher, etwas gehört zu haben. »Ana? Hallo? Bist du daheim?«
Gerade als ich aus dem Bett steigen wollte, wurde die Tür aufgerissen und Sue stand plötzlich direkt vor mir. »Da bist du ja! Sag mal, hast du mich denn gar nicht gehört? Ich hab fast das ganze Haus nach dir durchsucht.«
Sue war vor einigen Jahren hierher nach Boston in die Nachbarschaft gezogen und seitdem meine engste Freundin und Vertraute. Nein, eigentlich war sie schon mehr wie eine Schwester für mich und wir machten einfach alles gemeinsam. Ich hob die Schultern und klappte das Buch zu.
»Sorry, ich war grad irgendwie ein wenig abgelenkt.«
Sie musterte das Buch argwöhnisch und sah dann mich an.
»Du willst mir doch nicht wirklich weismachen, dass du in dieses zerfallene Sachkundebuch vertieft warst, oder?«
Ich sah auf das Schulbuch und musste lachen. Das hörte sich wirklich etwas merkwürdig an.
»Sagen wir es so«, sagte ich, »ich hab zumindest versucht, ein wenig zu lernen.«
Sie setzte sich zu mir.
»Und? Hat es wenigstens etwas gebracht?«
Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
»Um ehrlich zu sein, eher nicht. Ich hab mich förmlich gezwungen, mich da überhaupt rein zu versetzen, und als ich es dann endlich geschafft habe, na ja, da bist du hier aufgetaucht.«
Sie grinste.
»Also war jetzt etwa alles umsonst?«
»Ja, so sieht es wohl aus«, erwiderte ich.
»Sorry, ich hab ja nicht gewusst, dass du wirklich anfängst, diese schrecklichen Bücher zu lesen. Hätte ich das geahnt, wäre ich natürlich nicht so hereingeplatzt. Ich glaube aber, du bist nicht besonders verärgert darüber, oder? Zumindest siehst du nicht so aus«, lachte sie weiter und ließ sich auf die Matratze fallen.
Ich nahm das Buch mit dem abblätternden Umschlag und den eher gräulichen als weißen Seiten noch einmal in die Hand und seufzte, dann warf ich es endgültig auf den Boden. Ein paar Seiten fielen beim Aufprall heraus, doch das wunderte mich nicht besonders.
»Ich bin ehrlich gesagt schon fast etwas froh, denn der Stoff ist echt ermüdend und todlangweilig«, gab ich zu.
»Dann hab ich dir ja sogar einen Gefallen getan, oder?«
Ich musste lachen.
»Übertreib es mal nicht!«
Sue setzte sich wieder aufrecht hin und strich sich ein paar blonde Locken aus dem Gesicht, sodass man ihre tiefblauen Augen erkennen konnte. Sie schwang ein Bein über das andere und legte ihren Kopf leicht in den Nacken.
»Du wirkst verträumt? Ist irgendetwas?«, stellte ich fest und setzte mich etwas aufrechter hin.
Sie sah mich an.
»Das hast du gut erkannt.«
»Und gibt es dafür auch einen Grund?« Sie nickte und umschlang grinsend mit beiden Armen ihre dünnen Beine. Langsam wippte sie hin und her. Ich stöhnte leise auf. »Muss man dir denn wirklich jedes Wort aus der Nase ziehen? Warum bist du denn so verträumt?«
Sue rückte noch etwas näher an mich heran.
»Na ja, Tom hat mich endlich um ein Date gebeten.«
Ich sah sie mit offenem Mund an.
»Was? Wann war denn das? Das ist ja großartig!«
»Gerade eben erst. Ich habe ihn vor ein paar Minuten auf der Straße getroffen«, grinste sie breit.
»Und da hat er dich einfach so gefragt?« Sie nickte und das Grinsen auf ihrem Gesicht wurde augenblicklich breiter. Man sah ihr die Freude über diesen Zufall mehr als deutlich an. »Ach so, das ist also der Grund, warum du mich besuchen kommst …«, sagte ich mit ironischem Unterton in der Stimme.
»Ich wollte eh mal vorbeikommen, aber dann kam das eben noch dazu.«
Ich sah sie genauer an und bemerkte erst jetzt, dass sie ziemlich aufgestylt war. Ihre lockigen Haare fielen über ihre freie Schulter, sie trug ein hautenges Top und eine enge Jeans. Selbst Pumps hatte sie angezogen, was mich allerdings stutzig machte, denn normalerweise mochte sie solche Schuhe überhaupt nicht. Genau genommen hasste sie die sogar! Ich runzelte die Stirn.
»Sag mal, wann hast du denn eigentlich das Date mit Tom?«
Sie wurde sofort rot und versuchte, ihr Gesicht zwischen ihren beiden Händen zu verstecken. Sie begann zu nuscheln.
»Heute.«
»Was? Aber wie kannst du dann denn bitte schon fertig umgezogen sein, wenn du ihn eben erst getroffen hast?«
Sie hob ihren Kopf wieder an, um mich anzusehen, und grinste.
»Eigentlich hatte ich vor, mit dir in die Stadt zu gehen.«
»Ich vermute mal, dass daraus dann wohl nichts wird, hab ich recht?«
»Sorry, Süße, aber dieses Date kann ich einfach nicht abschlagen. Aber mach du doch mal wieder etwas mit deinem Freund. Der wird sich bestimmt freuen.«
Danny! An den hatte ich gar nicht mehr gedacht. Es gab da ja auch noch einen Freund, um den ich mich ab und zu, wenn er nicht gerade Fußball schaute und mal Zeit für mich hatte, kümmern musste. Sie sah mich an, so als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Sag bloß, daran hast du gar nicht gedacht?«
Ich seufzte und spürte, wie die Scham mir augenblicklich ins Gesicht stieg.
»Ana! Wie lange seit ihr jetzt zusammen?«
Da musste ich nicht lange überlegen.
»Fast zwei Jahre.«
»Und wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«, fragte sie und hob eine Augenbraue.
»Letzte Woche.«
Ihre Stimme veränderte sich und sie wirkte plötzlich sehr nachdenklich, was mir überhaupt nicht gefiel.
»Sag, ist bei euch denn noch alles in Ordnung?«
Überrascht über diese Frage riss ich die Augen auf.
»Ja, warum sollte es das auch nicht sein?«
Sie hob ihre Schultern an.
»Weiß nicht, mir ist nur aufgefallen, dass du nicht mehr so glücklich über eure Beziehung zu sein scheinst, kann das sein?«
Ich seufzte, schüttelte aber den Kopf. Sue war so glücklich über das Date mit Tom, da wollte ich ihr nicht meine Beziehungsprobleme unter die Nase reiben. Nein, das wollte ich nun wirklich nicht.
Sie schien mir nicht zu glauben, ließ es aber trotzdem sein und fragte nicht weiter nach.
»Und wann hast du dein Date?«, fragte ich, um das Thema endgültig zu beenden.
Sie hob ihren Arm und sah auf ihre glitzernde Armbanduhr.
»So in ungefähr einer Stunde.«
Ich verdrängte die Gedanken an Danny und setzte ein glaubwürdiges Lächeln auf.
»Und wo trefft ihr euch? Oder holt er dich etwa ab?«
Erneut ließ sie sich rücklings aufs Bett fallen. Die Matratze quietschte leise und erinnerte mich wieder daran, wie sehr ich dieses alte Ding hasste.
»Wir treffen uns in einem Café, gleich hier in der Nähe. Im Nachtcafé.«
»Ach so ist das! Jetzt wird mir auch klar, warum du kurz vorher noch zu mir kommst, da sparst du dir den Weg.«
Ich kannte dieses kleine Café. Es war vielleicht fünf Minuten von mir entfernt und an den meisten Abenden voll. Sie sah mich an und verdrehte die Augen.
»Falls du dich erinnerst, ich wohne fast nebenan. Um den Weg ging es mir also ganz sicher nicht.«
Ich nickte.
»Ja, stimmt auch wieder.«
Sue sah mich an und kicherte.
»Ich wollte dich einfach wissen lassen, dass ich mal wieder ausgehe, aber hätte ich gewusst, dass du lieber lernst, dann hätte ich es natürlich nicht getan. Verzeih mir bitte.«
Ich konnte es mir nicht verkneifen, bei der Ironie in ihrer Stimme zu lachen.
»Schon gut, du hast mich immerhin vor einer weiteren Stunde Langeweile gerettet. Es sei dir verziehen.«
»Das heißt also, dass ich dich öfter vom Lernen abhalten darf? War das gerade eine Erlaubnis?«, fragte sie mit großen Augen und einer hochgezogenen Augenbraue. Sie wirkte fast wie ein kleines Kind, das sich fragte, ob es zu Weihnachten auch das bekam, was es wollte.
»Kann ich dich denn davon abhalten?«
»Nein, nicht wirklich«, schüttelte sie den Kopf.
»Das hab ich mir schon beinahe gedacht …«
Noch einmal warf sie lachend ihre blonde Lockenmähne nach hinten, dann stand sie auf und ging ein paar Schritte in Richtung Tür.
»Ich werde dann mal gehen. Wünsch mir Glück, ja?«
»Hast du nicht gesagt, dass ihr euch erst in einer Stunde trefft?«, fragte ich, verwirrt über ihren plötzlichen Aufbruch.
Sie nickte.
»Ja schon, aber ich muss trotzdem etwas eher da sein …«, sagte sie zwinkernd.
»Darf ich auch fragen warum?«
Ihre Hand hatte bereits den Türgriff umschlossen, als sie wieder einen Schritt in meine Richtung kam und mir zuzwinkerte.
»Es ist einfach blöd, wenn er schon da sitzt, finde ich, dafür gibt es keine Erklärung.«
Ich hob die Hand.
»Wenn du meinst. Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz viel Spaß.«
»Werde ich sicher haben. Ich ruf dich morgen an und berichte dir, wie es gelaufen ist, ok?«
Ich bewunderte immer wieder, wie selbstbewusst sie zu einem Date ging. Sie hatte weder Scheu noch sonst irgendwelche Bedenken, dass etwas schief gehen könnte.
Wenn ich mich hingegen so an mein erstes Date mit Danny erinnerte, dann war das völlig anders abgelaufen. Ich war sehr schüchtern gewesen und wäre beinahe an meinen eigenen Worten erstickt, als ich mich das erste Mal mit ihm getroffen hatte. Aber dennoch waren wir an diesem Tag zusammengekommen. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich daran dachte.
Noch gut konnte ich mich daran erinnern, was für ein wunderbares Gefühl es gewesen war, in der Schule neben diesem tollen, blonden Jungen mit den eisblauen Augen zu stehen und ihn küssen zu dürfen. Ich verspürte bei ihm immer ein intensives Kribbeln auf der Haut, wenn er mich umarmte, welches so stark gewesen war, dass ich nicht genug davon haben konnte. Er war immer so zärtlich und liebevoll zu mir gewesen wie niemand anderes zuvor.
Ja, er war in jeder Hinsicht immer mein Traummann gewesen und ich war hin und weg von ihm. Damals waren wir wirklich unzertrennlich gewesen.
Jetzt allerdings hatte sich einiges verändert. Vieles war zum üblichen Beziehungsalltag geworden und das Kribbeln war längst nicht mehr so stark wie noch am Anfang. Manchmal fragte ich mich sogar schon, ob diese Beziehung überhaupt noch einen Sinn machte. Oder ob es vielleicht doch besser wäre, es sein zu lassen? Wäre eine Trennung womöglich besser für uns?
Ich seufzte. Warum musste ich jetzt auch wieder ausgerechnet daran denken? Und warum stellte ich mir schon wieder diese Frage?
Gut, unsere Beziehung durchlebte gerade ein ›kleines Beziehungstief‹, aber das würden wir sicher auch überstehen. Es gab in jeder Beziehung mal ein Tief, aber deswegen durfte man nicht gleich aufgeben und alles an den Nagel hängen, oder?
Nein, das durfte man nicht! Eine Beziehung ist nun einmal nicht immer einfach.
Ich wandte mich zur Seite und fragte mich, was er wohl grad machte. Das war ein dummer Gedanke. Wahrscheinlich saß er gerade mit seinen Kumpels irgendwo in einer Kneipe und sah sich ein Fußballspiel an oder war sonst irgendwo unterwegs. Erneut seufzte ich und sah zu meinem Handy. Sollte ich ihm vielleicht einfach mal schreiben? Fragen, was er gerade machte? Ob er Zeit hatte und vorbeikommen wollte?
Ich überlegte kurz, schlug mir den Gedanken dann aber schnell wieder aus dem Kopf. Nein! Er konnte sich ja immerhin ruhig auch mal melden, und nicht immer nur ich.
Also drehte ich mich wieder um und schloss die Augen.
Am nächsten Morgen weckte mich ein leises Geräusch am Fenster. Noch bevor ich meine Augen öffnete, wusste ich, dass es regnete. Ich wusste es deshalb, weil regnerisches Wetter hier nicht gerade selten war und ich in den vergangenen Jahren genug Zeit gehabt hatte, mir dieses Geräusch einzuprägen.
Ich atmete tief ein und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann setzte ich mich langsam aufrecht hin. Wie lange hatte ich denn überhaupt geschlafen?
Ohne mich umzusehen griff ich nach links und fand den Wecker. Die roten, leuchtenden Zahlen wurden bei längerem Hinsehen etwas schärfer und zeigten 09:53 Uhr an. Ich stellte ihn zurück und ließ mich noch einmal ins weiche Kissen fallen. Es war Samstag und ich hatte noch keine Lust, aufzustehen. An diesem Tag sollte man ausschlafen und das bedeutete - zumindest wenn man Sue glauben wollte - dass man das Bett vor zwölf Uhr eigentlich nicht verließ. Trotz dieser Vorstellung meiner Freundin war mir das selbst allerdings noch nie gelungen. Ich war einfach kein Langschläfer und würde es sicherlich auch nie sein.
Nach einer Weile zwang ich mich jedoch dazu, trotzdem aufzustehen. Ich stieg aus dem Bett und ging hinüber zum Kleiderschrank, doch gerade als ich mir etwas überziehen wollte, überfiel mich plötzlich ein leichtes Schwindelgefühl und ich musste mich an der Schranktür festhalten, um nicht umzukippen.
Was war denn plötzlich los? Gerade eben hatte ich doch noch gar nichts gemerkt, wie konnte das denn so plötzlich kommen? Warum war mir auf einmal so extrem schwindelig?
»Verdammt, was …?«, fluchte ich, doch es gelang mir nicht mehr, alle Worte auszusprechen.
Ich glitt langsam am Schrank hinunter, sodass ich bald auf dem Boden saß. Das Herz in meiner Brust schien sich förmlich zu überschlagen und ein leichter Kopfschmerz ließ mich zusammenzucken. Ich presste mir sofort die Hände fest an den Kopf, doch auch das half nicht wirklich viel. Der Schmerz hielt an, und schien auch nach Minuten einfach nicht schwächer zu werden. Aber was war das nur? Das Bild vor meinen Augen schien langsam zu verschwimmen und ich musste mich richtig anstrengen, um die Gegenstände, welche in meinem Zimmer waren, noch erkennen zu können.
»A… Ana …«
Noch bevor ich aufsehen konnte, hörte ich plötzlich einen lauten Knall und einen verzerrten Schrei, der einem das Blut gefrieren lassen konnte. Eine eisige Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter und ließ mich zusammenschrecken.
»Ana, bitte …«
Ich sah mich panisch um und zuckte heftig zusammen, als ich plötzlich wirklich jemanden erkannte.
Direkt neben meinem Bett saß Danny zitternd und hyperventilierend am Boden.
»Danny?«, fragte ich vorsichtig.
Er hob seinen Kopf und ich erkannte die eisblauen Augen. In ihnen lag so viel Schmerz, dass es mir einen erneuten Schlag versetzte und mein Herz noch einmal schneller schlug. So hatte ich ihn noch nie gesehen.
»Danny! Was machst du hier?«
Seine Lippen zitterten stark und ich erkannte erst jetzt, dass seine Haare völlig nass waren und Blut an seinem Ohr entlanglief. Aber nicht nur an seinem Ohr, sondern auch an seinen Händen und im Gesicht war plötzlich überall Blut zu sehen. Er blutete und es schien einfach nicht aufzuhören.
Er sah auf und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, doch es drang kein einziger Ton zu mir herüber.
»Danny, was ist passiert?«
Trotz der Schmerzen sprang ich auf und wollte zu ihm. Doch gerade, als ich das Bett erreichte und mich hinunterbeugte, um ihn besser anzusehen, war er auf einmal verschwunden.
Was? … Wie konnte das sein? Wo war er so plötzlich hin? Er hatte doch geblutet und war verletzt! Er hatte doch da gesessen, direkt da vorne! Wie konnte es also sein, dass er jetzt plötzlich weg war?
Wieder blickte ich mich panisch im Raum um und fragte mich, ob ich mir das ganze gerade vielleicht nur eingebildet hatte.
Ich sah das Handy auf meinem Bett und konnte einfach nicht anders, ich musste ihn einfach anrufen. Schnell wählte ich seine Nummer und wartete ab.
»Geh hin Danny, bitte!«
Doch es meldete sich nur die Mailbox. Auch bei einem zweiten Versuch gelang es mir nicht, ihn zu erreichen. Genervt warf ich das Handy aufs Bett zurück und schüttelte den Kopf. Meine Hände pressten sich auf meine heiße, fast schon glühende Stirn, und ich schaffte es schließlich doch irgendwie, die Fassung wieder zu erlangen. Ich wusste zwar nicht, was das eben gewesen war, aber eines war glasklar, es war nicht real. Es konnte gar nicht real sein, sonst wäre Danny ja noch hier. Er konnte sich ja immerhin nicht einfach in Luft auflösen.
Ich schämte mich plötzlich sehr dafür, so überreagiert zu haben. Das war reine Einbildung gewesen, mehr auch nicht. Wahrscheinlich hatte ich einfach noch nicht richtig ausgeschlafen oder eben nur schlecht geträumt. Ja, das musste es ein. Aber auch, wenn ich jetzt eine Erklärung hatte, so blieb dennoch ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. Ein Gefühl, dass irgendetwas trotzdem nicht stimmen konnte.
Ich würde ihn später einfach noch einmal anrufen. Und wenn er letztlich an sein Handy ging, hatte ich den endgültigen Beweis dafür, dass ich mir das alles gerade nur eingebildet hatte.
Ich sah mich noch einmal um, dann holte ich mir ein Oberteil aus dem Schrank heraus, an dem ich inzwischen angekommen war, und zog es mir über.
Ich ging aus dem Zimmer und hinüber in die weiß eingerichtete Küche, welche elegant mit dem Wohnzimmer verbunden war. Auch jetzt, nach einigen Monaten, hatte ich mich noch immer nicht daran gewöhnt, alleine zu wohnen.
Meine Mutter war schon seit einiger Zeit tot und mein Vater war die meiste Zeit über auf Geschäftsreisen. Er war ständig unterwegs, um sich mit irgendwelchen Leuten zu Geschäftsessen zu treffen. Wenn er dann doch einmal heimkam, dann höchstens für zwei oder drei Tage, und selbst da arbeitete er bis tief in die Nacht. Ich konnte mich also kaum mit ihm unterhalten, geschweige denn etwas mit ihm unternehmen.
Natürlich war ich oft einsam, weil er nie da war, aber ich wusste ja, dass er das alles nur für mich tat. Und es hatte ja auch einige Vorteile, sozusagen die ›eigene Wohnstätte‹ zu haben, denn man hatte so manche Freiheiten, die andere junge Leute in meinem Alter sicherlich nicht hatten.
Und gegen diese Wohnung konnte man auch überhaupt nichts sagen: Ein Architekt hatte sie genau nach den Vorstellungen meines Vaters entworfen und mit allen möglichen Extras ausgestattet. Es gab einen riesigen LED-Fernseher, eine Ledercouch, einen großen Kühlschrank, ein riesiges Badezimmer, um welches mich viele Mädchen sicher beneideten, und sogar eine Sauna. Vom Wohnzimmer aus konnte man halb Boston überblicken. Kurz gesagt: Sie war einfach unglaublich.
Ich seufzte und öffnete den Kühlschrank. Allerdings fand ich nichts, auf das ich jetzt wirklich Lust hatte. Zwar waren da ein paar Schokoriegel und sogar ein paar Jogurts, aber auf all das hatte ich jetzt überhaupt keinen Appetit. Also schlug ich den Kühlschrank wieder zu, sodass es laut klirrte, als die Tür sich schloss.
Ich seufzte und genau in dem Augenblick, als die Tür die Sicht auf das Fenster wieder freigab, zuckte ich kurz zusammen: Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich mir schon wieder eingebildet, Danny zu sehen. Dieses Mal allerdings war es zu kurz gewesen, um zu sagen, ob er noch immer so schrecklich ausgesehen hatte.
Mein Herz schlug wieder heftig gegen meinen Brustkorb und ich atmete tief ein. Was war heute denn nur los mit mir? Warum sah ich ihn nun schon das zweite Mal, obwohl er doch gar nicht da war? Warum um alles in der Welt bildete ich mir so etwas nur ein?
Das ungute Gefühl in meinem Bauch nahm zu. Mein Blick huschte vorsichtig im Raum umher, doch nirgends war seine Erscheinung zu sehen. Das Bild von ihm, welches ich gesehen hatte, war schon lange weg. Es hatte sich in Luft aufgelöst, genau so wie auch schon zuvor in meinem Zimmer. Da war kein Danny. Dennoch hämmerte mein Herz noch immer lautstark und ich schaffte es einfach nicht, mich wieder zu beruhigen. Das eben hatte mir, auch wenn es längst nicht so erschreckend war wie der erste Vorfall, wirklich große Angst gemacht. Ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen.
Ich stand wie versteinert da und starrte noch immer auf das Fenster, als hoffte ich, so eine Erklärung zu finden. Aber egal, wie lange ich auch auf die Stelle sah, es tat sich nichts mehr.
Dennoch tat ich das so lange, bis mich plötzlich ein Geräusch aufschreckte.
›Riiing, Riing …‹
Ich brauchte ein wenig, um mich aus der Starre zu lösen, in der ich mich befand. Ich atmete tief ein und versuchte, ruhig zu wirken. Es musste ja schließlich niemand wissen, dass ich heute drauf und dran war, den Verstand zu verlieren.
Ich zog die Tür langsam auf.
»Sue?«
»Hi«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte.
Sie senkte ihren Blick, sodass ihr langes, lockiges Haar ihr Gesicht verdeckte.
Ich ließ sie in die Wohnung und merkte sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. »Sue? Alles ok bei dir? Was ist denn mit dir los?«
»Ana …«
»Was ist los?«, wollte ich erneut wissen.
Sie sah mich kurz an und versteckte ihr Gesicht erneut hinter ihrem Haar. Doch der kurze Moment hatte mir schon gereicht und ich hatte die vielen Tränen in ihren Augen gesehen. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich bei ihrem Anblick.
»Sue, was ist denn los? Ist irgendetwas passiert?«
Sie antwortete mir nicht, sondern lies sich leise schluchzend auf die Couch fallen.
Ich setzte mich neben sie und strich vorsichtig durch ihr Haar.
»Sue, was ist denn los? War das Date etwa so schlimm?«
Sie schüttelte den Kopf, antwortete aber noch immer nicht, und ihr Benehmen beunruhigte mich mit jeder Sekunde mehr. Dieses Verhalten kannte ich nun überhaupt nicht von ihr. Sie war nicht der Mensch, der wegen irgendeiner Kleinigkeit weinte. Wenn sie weinte, dann musste etwas Ernstes geschehen sein.
»Bitte, erzähl mir, was passiert ist. Ist irgendetwas mit deiner Familie?«
Wieder schüttelte sie den Kopf, aber dieses Mal sah sie mich an. Ihre Lippen zitterten, und es fiel ihr mehr als schwer, zu reden.
»Ana, ich weiß nicht wie …«
»Psst, ganz ruhig. Erzähl mir, was geschehen ist.«
Sie wischte sich mit einem Ärmel über die Augen und legte ihre Hand auf mein Knie.
»Es geht um Danny …«
Ich musste schlucken.
»Was? Um Danny?«
Mir fiel wieder ein, was ich heute gesehen hatte, und das mulmige Gefühl in mir wurde augenblicklich wieder stärker.
»Um Danny? Was ist mit ihm?«
Die Hysterie in meiner Stimme lies sich nicht verbergen. Ihre Hand suchte meine, und sie strich vorsichtig über meine Haut.
»Er hatte heute Morgen einen schweren Unfall.«
Ich spürte, wie meine Augen sich ungläubig weiteten, bis es schmerzte.
»Was? Wovon redest du da? Einen Unfall?«
Sue wich meinem Blick aus, fast so, als könnte sie es nicht ertragen, mich anzusehen.
»Er liegt im Krankenhaus, auf der Intensivstation.«
Es war, als schnürten sich raue Seile um meine Lunge und drückten mir die Luft ab.
»Das ist ein schlechter Scherz, hab ich recht?«
Sie schüttelte nur den Kopf und sah noch immer weg. Das konnte doch nicht wirklich ernst gemeint sein, oder? Danny hatte einen Unfall gehabt? Wann sollte das geschehen sein?
Und plötzlich sah ich es wieder vor mir, wie Danny blutend vor mir stand und meinen Namen keuchte. Wie er in meinem Zimmer war, und ich ihm einfach nicht helfen konnte. Das hatte ich mir doch erst heute Morgen eingebildet - oder etwa doch nicht? War das etwa doch keine Einbildung gewesen? Ich spürte, wie mir schlecht wurde und die Tränen sich ihren Weg brennend nach außen bahnten. Sie liefen über meine Haut und hinterließen eine brennende Spur.
»Was? Was ist passiert?«, stotterte ich und musste mich zusammenreißen.
»Jemand muss ihm außerhalb von Boston die Vorfahrt genommen haben. Er ist von der Straße abgekommen und gegen einen Baum gefahren.«
Auch der laute Knall schien sich in meinem Kopf zu wiederholen. Es war fast so, als könnte ich ihn erneut in meinem Kopf schreien hören. Mir wurde augenblicklich wieder schwindelig, und obwohl ich schon saß, musste ich mich am Polster festhalten, um nicht zu Boden zu sacken. Das war einfach zu viel für mich. Ich sah meine Freundin noch einmal an.
»Und wann ist es passiert?«
Sie schluckte.
»Gerade eben, deswegen bin ich gleich zu dir gekommen. Ich dachte, du solltest es wissen. Sie mussten ihn ins künstliche Koma versetzen.«
»Danke«, sagte ich nur.
Ich ließ meinen Kopf etwas nach unten sinken und spürte, wie die Tränen weiter über mein Kinn liefen und meine Atemnot stärker wurde. Das, was sich auf meine Lunge gelegt hatte, schien sich unaufhaltsam immer weiter zuzuziehen.
Ich hatte mir eingeredet, dass das heute Morgen nur Einbildung gewesen war. Jetzt allerdings, wo ich wusste, dass meinem Freund tatsächlich etwas zugestoßen war, war ich mir da überhaupt nicht mehr so sicher. Warum hatte ich ihn schon vorhin blutend in meinem Zimmer gesehen? Warum hatte ich den Knall gehört? Und wie konnte es sein, dass ihm jetzt wirklich etwas zugestoßen war?
Das konnte, nein, es durfte nicht wahr sein. Aber auch wenn ich versuchte, es mir einzureden, so wusste ich doch genau, dass es die Wahrheit war. Über so etwas machte niemand, und vor allem Sue, keine Scherze.
Ich fing an, stark zu zittern.
»Komm mal hier her …«
Sie zog mich fest an sich und ihre Arme umschlangen mich.
»Aber das kann doch nicht, ich meine, das geht doch nicht …«
»Bestimmt geht es ihm bald wieder besser …«, sagte sie zuversichtlich und in ihrem Gesicht konnte ich plötzlich so viel Zuversicht und Hoffnung lesen, dass es mich überraschte. Gleichzeitig beruhigte es mich.
Na ja, zumindest ein wenig.
Rückblick 2
Es waren nun schon drei Tage vergangen, seitdem meine Freundin mir die Nachricht von Dannys Unfall überbracht hatte. Ein paar Stunden später hatte sie mir sogar Beruhigungstabletten holen müssen, um mich zur Ruhe zu bringen. Jetzt allerdings ging es mir schon ein wenig besser, was aber vermutlich daran lag, dass ich die Medikamente noch immer nahm.
Die Ärzte machten einem etwas Hoffnung, dass es ihm bald wieder besser gehen würde. Er lag zwar noch immer im künstlichen Koma, aber sein Zustand war zumindest stabil und verschlechterte sich nicht weiter. Und die Blutwerte waren, wenn auch nicht viel, so doch wenigstens etwas besser geworden.
»Sagen Sie, können Sie denn abschätzen, wie lange er noch im Koma liegt?«
Der Arzt sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und schüttelte bedauernd den Kopf. »Entschuldigung, aber diese Frage kann man zum Zeitpunkt noch nicht beantworten. Die Werte müssen noch besser werden, und auch seine Verletzungen sind noch zu schwerwiegend, als dass wir ihn schon aus dem Koma holen könnten.«
Ich nickte, denn genau das hatte ich erwartet, und sah zu Danny, der völlig regungslos im Bett lag. Er wirkte sehr bleich und ausgezehrt, obwohl man ihn durch irgendwelche Schläuche ernährte. Welcher Schlauch wozu war, konnte ich nicht sagen, es gab einfach zu viele. Fast überall an seinem Körper schien ein anderer Schlauch zu verlaufen.
Noch nie zuvor hatte ich ihn so schwach und verletzlich gesehen und sein Anblick versetzte meinem Herzen immer wieder aufs Neue einen gewaltigen Stich. Und auf einmal bereute ich die Gedanken an eine Trennung. Ich bereute es sehr, dass ich doch tatsächlich so oft an unserer Beziehung gezweifelt hatte.
Der Arzt legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Sie sollten sich etwas ausruhen, immerhin waren sie jetzt jeden Tag hier. Ein bisschen Ruhe tut ihnen sicher auch ganz gut.«
Ich wusste ja, dass er Recht hatte, aber dennoch fragte ich mich, ob ich das tun konnte. Durfte ich ihn einfach alleine lassen? Was, wenn er doch noch aufwachte? Wenn seine Werte sich schnell besserten und ich dann nicht bei ihm war? Die Hand des Arztes lag noch immer auf meiner Schulter.
»Es wird ihnen sicherlich guttun, wenn sie sich etwas hinlegen und etwas zur Ruhe kommen.«
Ich seufzte.
»Ja, aber bitte halten sie mich auf dem Laufenden, ja?«
Er nickte freundlich.
»Natürlich, sobald es etwas Neues gibt, melden wir uns bei Ihnen.«
Ich lief zur Tür, dann sah ich noch einmal zurück. Es fiel mir mehr als schwer, Danny wirklich wieder alleine lassen zu müssen.
»Wir werden unverzüglich Bescheid geben, sobald sich etwas an seinem Zustand ändert …«, versicherte der Arzt noch einmal und begleitete mich zum Aufzug.
»Danke, das ist wirklich freundlich.«
Er schüttelte sanft lächelnd den Kopf.
»Das ist doch selbstverständlich. Sie legen sich jetzt erst einmal hin und ruhen sich aus, ja?«
Ich reichte ihm nickend die Hand, dann stieg ich in den Aufzug, ohne mich noch einmal umzudrehen. Er musste ja schließlich nicht sehen, dass ich schon wieder begonnen hatte zu weinen.
Mit einem ›Ding‹ öffneten sich die Metalltüren, als ich unten angekommen war, und ich wischte mir schnell die Tränen vom Gesicht. Mit flinken Fingern zog ich eine Sonnenbrille aus meiner Handtasche und setzte sie mir auf die Nase. Zwar sahen die Leute mich mit merkwürdigen Blicken an, doch das war mir egal. Auch wenn es draußen regnete, konnte man mein rotes Gesicht sehen, und das wollte ich einfach nicht.
»Ana?«
Schon von weitem erkannte ich Sues Stimme. Sie stand, trotz des strömenden Regens, vor ihrem Haus und schien tatsächlich auf mich zu warten. Ich sah kurz auf.
Ihr sonst so lockiges und glänzendes Haar hing strähnig an ihr hinunter und auch ihre Klamotten klebten nur noch an ihrem zitternden, völlig durchnässten Körper. Was machte sie hier? Ein Verdacht kam in mir auf.
»Hast du etwa hier draußen auf mich gewartet?«
»Ja, ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Du warst ziemlich lange weg.«
Ich blieb stehen, als ich sie erreicht hatte.
»Aber deswegen musst du doch nicht draußen im Regen warten.«
Sie hob beide Schultern und ging mit mir zusammen weiter zu meinem Haus. Sie fragte gar nicht nach, wo ich gewesen war, denn sie wusste es bereits. Erst, als wir im Hausflur waren, durchbrach sie das kurze Schweigen.
»Wie geht es ihm denn? Gibt es schon etwas Neues?«
Ich nahm die Sonnenbrille ab und schüttelte den Kopf.
»Zwar haben sich seine Blutwerte etwas verbessert, aber sie sind noch immer nicht gut genug, um ihn aufzuwecken«, entgegnete ich ihr traurig.
»Also liegt er immer noch im Koma?«
Ich nickte und konnte spüren, wie meine Lunge sich wieder eng zusammenzog bei dem Gedanken. Das Bild von ihm, wie er völlig hilflos und unfähig, irgendetwas zu tun, dalag, schien sich in meinen Kopf eingebrannt zu haben.
»Ja.«
Sie ging hinüber zum Kühlschrank und öffnete die Tür so weit, dass ich ebenfalls hineinsehen konnte.
»Schokolade?«
Ich sah sie stumm an.
Obwohl meine Antwort mir nicht einmal über meine Lippen gekommen war, antwortete sie darauf. »Ist ja bekanntlich das Wundermittel für alles, oder?«
Ich hatte zwar überhaupt keinen Hunger, aber dennoch nickte ich. Sie zog zwei Schokoriegel heraus und stieß die Tür wieder zu, dann drückte sie mir den einen der beiden in die Hand.
»Die beste Nervennahrung, die es gibt.«
Ich biss ab und bemühte mich, zumindest ein wenig zu lächeln, was mir allerdings nicht besonders gut gelingen wollte.
»Danke.«
Wir setzten uns auf die Couch und ich ließ meinen Kopf nach hinten fallen. Erst jetzt merkte ich, wie erschöpft ich tatsächlich war.
»Du siehst ziemlich fertig aus. Leg dich doch lieber etwas hin.«
Ich drehte mich etwas in die Richtung meiner Freundin.
»Ich finde doch eh keine Ruhe. Das ist im Moment einfach alles …«
Sie beendete meinen Satz, noch bevor ich es selbst tun konnte.
»Zu viel? Das ist doch verständlich.«
Ich nickte. Sue schien zu überlegen, ob es etwas brachte, die Situation gutzureden. Am liebsten hätte sie mir etwas Positives eingeflüstert und mir gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Sie ließ es dann doch gut sein, weil sie wusste, dass es nicht viel bringen würde.
Ich schloss kurz die Augen und sah wieder dieses Bild vor mir, wie Danny in meinem Zimmer war, obwohl er gar nicht wirklich da gewesen sein konnte und wie er meinen Namen gesagt hatte. Ich sah das Blut und zuckte unmerklich zusammen.
»Ana?« Ich riss die Augen auf, als ich merkte, dass dieses Zusammenzucken scheinbar nicht unbemerkt geblieben war. »Du bist gerade total zusammengefahren, was ist denn los? Alles in Ordnung mit dir?«
Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihr das alles zu erzählen, ihr von diesen merkwürdigen Vorfall zu berichten. Doch so schnell wie ich darauf gekommen war, verwarf ich es auch schon wieder, denn das hörte sich einfach zu verrückt an. Sie würde mir garantiert nicht glauben, dass Danny hier gewesen war und sich anschließend in Luft aufgelöst hatte. Ich selbst glaubte ja noch nicht einmal richtig daran. Ich schüttelte leicht meinen Kopf.
»Nichts, es ist alles in Ordnung. Mach dir nicht so viele Gedanken, ok?«
Sue musterte mich scharf.
»Das fällt mir wirklich schwer, nachdem du gerade so zusammengezuckt bist.«
»Das liegt wahrscheinlich an den Beruhigungstabletten«, sagte ich so glaubwürdig, wie es mir nur möglich war.
Sue runzelte die Stirn.
»Dann solltest du sie lieber nicht mehr nehmen, nicht, dass noch irgendwelche anderen Nebenwirkungen auftreten. Setz die Dinger so schnell wie möglich ab, ja Ana?«
Ich schüttelte den Kopf.
»So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Die Dinger tun mir gut, und im Moment glaub ich nicht, dass ich das alles ohne sie verkrafte.«
»Wenn du meinst, aber hoffentlich wirst du nicht noch abhängig von diesen Tabletten«, ermahnte sie mich.
Ich musste über diese Vorstellung einfach lächeln.
»Garantiert nicht. Im Moment ist es nur noch ziemlich schwer für mich, aber sobald es besser wird, setze ich sie wieder ab, versprochen.«
»Dann ist es ja gut. Aber pass bitte trotzdem gut auf, in Ordnung?« Ich nickte und atmete tief ein. »Gehst du morgen eigentlich wieder ins Krankenhaus zu Danny?«
»Ich denke schon.«
Ihr Gesicht wirkte angespannt, und sie schien nachzudenken.
»Glaubst du nicht, dass es dir etwas besser gehen würde, wenn du dich erst mal einen Tag ausruhst? Es belastet dich doch jeden Tag aufs Neue, und so schwer es sich anhört, aber im Moment kannst du doch eh nichts unternehmen.«
Natürlich hatte sie mit dem, was sie sagte, recht. Danny lag im Koma und bekam es vielleicht nicht einmal richtig mit, dass ich jeden Tag bei ihm am Bett saß und weinte. Außerdem hatten die Ärzte versichert, mir Bescheid zu geben, falls sich etwas an seinem Zustand ändern sollte - darauf musste ich einfach vertrauen.
»Du hast recht. Vielleicht sollte ich wirklich einen Tag aussetzen …«
Sie nickte.
»Ja, das machst du. Und ich komme dich besuchen, damit du nicht ganz alleine bist, einverstanden?«
Ich lächelte schwach.
»Danke. Das bedeutet mir wirklich sehr viel.« »Ich mach das gern und außerdem ist dann keiner von uns allein.« Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter und war einmal mehr froh, sie zu haben. Ich wusste nicht, wie ich das ohne sie hätte überstehen können. »Willst du irgendetwas essen?«
Ich sah sie an und musste erneut lächeln. Sie benahm sich fast schon wie eine große Schwester. Sie versuchte, mich etwas zu verhätscheln und von der jetzigen Situation abzulenken. Das fand ich wirklich mehr als süß und lieb von ihr.
»Sag schon!«, wiederholte sie sich in schärferem Ton, als ich noch immer nicht geantwortet hatte. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, aber danke trotzdem. Außerdem ist es meine Wohnung, da sollte ich dich fragen, ob du etwas essen möchtest, und nicht umgekehrt.«
»Nein, danke«, lächelte sie, als hätte ich ihr eine Frage gestellt.
»Dann wäre ja zumindest das geklärt.«
Sie nickte und ließ sich jetzt endgültig in die Couch sacken. Ein leises Stöhnen drang über ihre Lippen. Ich seufzte und erst jetzt spürte ich plötzlich die Müdigkeit, welche meinen Körper schon seit Tagen belastete.
»Müde?«, fragte Sue sofort, der das natürlich nicht entgangen war.
Ich nickte.
»Ja, wahrscheinlich bin ich doch etwas erschöpfter, als ich gedacht habe.«
»Jetzt kannst du dich ja etwas ausruhen. Dieser ganze Vorfall nimmt dich eben ganz schön mit«, sagte sie, »aber wen würde so etwas nicht mitnehmen?«
Ja, allerdings nahm mich das mit. Noch immer erschien mir das alles wie ein schlechter Traum, aus dem ich einfach nicht erwachte. In Wirklichkeit jedoch war es leider Danny, der nicht aufwachte.
»Pass auf, ich werde mich etwas hinlegen, ok? Wir sehen uns dann morgen, ja?«
Sie musterte mich kurz und als sie sich sicher war, dass ich das auch tun würde, nickte sie.
»Ok, ruh dich etwas aus.« Die Tür schloss sich hinter ihr und ich war wieder allein. Ich legte mich auf die Couch und drehte mich zur Seite. Es war zu mühsam, jetzt extra ins Schlafzimmer zu gehen, und ich war einfach zu müde.
Als ich wieder erwachte, brauchte ich ein wenig, bis ich wusste, wo ich war. Ich war während des Schlafes scheinbar von der Couch gerutscht, denn jetzt lag ich auf dem harten Boden. Verwirrt rieb ich mir den Kopf und hievte meinen Körper wieder auf das Sofa. Wie lange hatte ich denn überhaupt geschlafen? Mein Blick suchte den Raum nach einer Uhr ab, doch es dauerte länger, sie auch zu finden.
Es war gerade kurz nach Mitternacht. Langsam stand ich auf und schleppte mich hinüber zum Schlafzimmer. Den restlichen Schlaf, den ich noch kriegen konnte, wollte ich nicht unbedingt auf dem Boden verbringen.
Es war schon ein gewaltiger Unterschied, das weiche Bett unter mir zu haben anstatt des harten Bodens des Wohnzimmers und es fiel mir auch gar nicht schwer, einzuschlafen. Alles um mich herum wurde innerhalb weniger Sekunden dunkel und als ich endlich wieder etwas erkennen konnte, sah ich Danny direkt vor mir im Bett liegen. Ich war nicht mehr zuhause, ich befand mich auf seiner Station, das war mir sofort klar.
Noch immer lagen viele Schläuche um ihn herum und noch immer sah er sehr bleich aus. Sein Zustand schien sich also noch nicht sonderlich gebessert zu haben. Aber wie auch? Ich war ja vor ein paar Stunden erst bei ihm gewesen.
Ganz langsam und mit kleinen Schritten ging ich näher an das Bett heran. Der Raum wirkte bis auf Danny und das Bett völlig leer und das verwirrte mich etwas. Ich fragte mich, wo all die Gegenstände des Krankenhauses - die Stühle, der kleine Tisch und der Rest - abgeblieben waren? Nichts mehr schien so zu sein wie bei meinem letzten Besuch.
»Oh Danny«, seufzte ich und stellte mich ganz dicht neben ihn.
Ich strich mit einem Finger über seine Haut und hatte das Gefühl, einfach nur eine Wand zu streicheln. Er fühlte sich so merkwürdig kalt und leblos an. Es machte mir Angst, ihn so zu sehen und nur Kälte zu fühlen, wenn ich seine Haut berührte. Normalerweise war er so impulsiv und warm, doch nun schien es, als wäre sein Körper schon längst nicht mehr am Leben. Diese Vorstellung ließ mich natürlich sofort stark zusammenzucken und ich hatte das Gefühl, dass man mir den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Eine Träne lief meine Wange hinunter und hielt an meinem Kinn kurz inne, bevor sie von meinem Gesicht tropfte.
»Danny, bitte wach wieder auf …«, flehte ich.
Mir war klar, dass es nichts brachte, aber dennoch redete ich mit ihm in der Hoffnung, dass er mich zumindest hören konnte. Ich griff seine Hand so fest, dass meine Adern hervortraten.
»Du musst wieder gesund werden, hörst du? Ich brauche dich hier! Du musst zu uns zurückkommen! »
Er regte sich nicht.
Aber was hatte ich auch erwartet? Dass er plötzlich aufsprang und mich umarmte? Dass sich meine Sorgen einfach in Luft auflösten oder zerplatzten wie Seifenblasen?
Ich schüttelte den Kopf und sah zu Boden. Mein Griff um seine Hand lockerte sich allmählich, bis ich wieder nur langsam mit den Fingern über seine Haut strich. Nach kurzer Zeit sah ich wieder auf, schreckte jedoch zurück, als ich jemanden wahrnahm. Da stand jemand auf der anderen Seite des Bettes, der vorher noch nicht dort gewesen war. Ich hatte nicht einmal bemerkt, wie er hereingekommen war.
Ich sah ihn mir genauer an. Er trug ein schwarzes, leicht aufgeknöpftes Hemd und eine dunkle Jeans. Seine schwarzen Haare wirkten ungezähmt und wild, seine Züge schienen wie in Stein gemeißelt. Seine Augen glänzten, obwohl sie schwarz zu sein schienen, und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, welches mir einen eisigen Schauer den Rücken hintertrieb. Er sah gefährlich, aber gleichzeitig auch unwirklich schön und anziehend aus. Aber: Wer war er? Und was wollte er hier? Was machte er in dem Krankenzimmer? Ich wollte etwas sagen und fragen, wie er hier hinein gekommen war, doch meine Stimme schien plötzlich einfach nicht mehr zu funktionieren. Ich konnte mich auch nicht mehr bewegen, sondern nur noch zusehen bei dem, was dann geschah …
Der Fremde stand direkt neben Danny und fing an, hämisch und irgendwie auch teuflisch zu grinsen.
Eine merkwürdige Wut stieg bei dem Anblick in mir auf. Wie konnte dieser Typ an einem Krankenbett nur so grinsen? Es kam mir fast so vor, als gefiel ihm der Zustand, in welchem sich mein Freund gerade befand. Ich wollte ihn anschreien und fragen, was er sich nur dachte, aber auch das gelang mir nicht. Mein ganzer Körper schien, seit er aufgetaucht war, wie gelähmt und in sich gefangen zu sein.
Der Fremde stand nun direkt neben Danny und legte seine Hand auf seinen Nacken. Er schloss sie langsam und erst allmählich kam ich dahinter, was er vorhatte. Dieser Verrückte wollte ihn umbringen!!
Ich schrie und versuchte, mich aus der Starre zu lösen, welche mich gefangen hielt, aber kein Laut und keine Bewegung, die ich machte, schien sich auf meinen Körper zu übertragen. Ich war hilflos in meiner Position gefangen.
Nein! Was machte dieser Verrückte da nur? Warum wollte er Danny nur umbringen? Was hatte er ihm denn getan? Und warum, verflucht nochmal, konnte ich mich nicht rühren? Ich spürte die Tränen, welche in mir aufkamen, und hörte einen leisen ›Knacks‹, dann wurde alles dunkel um mich herum.
Schweißgebadet saß ich aufrecht im Bett und vergrub mein Gesicht in den Händen. Mein ganzer Körper stand unter großer Anspannung, welche lediglich durch das starke Zittern etwas gelöst wurde. Nur langsam begriff ich, dass ich mich in meinem Zimmer befand und nicht im Krankenhaus bei Danny war. Ich hatte das alles also nur geträumt. Es war nur eine Einbildung gewesen, mehr nicht.
Aber warum machte mich das so fertig und warum konnte ich dann noch immer nicht aufhören zu zittern? Was war bloß in mich gefahren? Und warum um alles in der Welt war mir plötzlich so kalt? Das Fenster war geschlossen und noch nie zuvor war es in meinem Zimmer so kalt gewesen.
Ich legte mich langsam zurück und zog mir die Decke bis unters Kinn hoch, aber dennoch zitterte mein Körper noch immer genauso stark wie zuvor. Und auch nach Minuten änderte sich daran nichts.
Die Wärme der Decke schien überhaupt nichts zu bringen, was aber vielleicht daran lag, dass ich nicht richtig fror, sondern noch immer Angst und Panik verspürte. Dabei war es doch nur ein Traum gewesen. Ein Albtraum, mehr auch nicht …
Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Mir war, als hätte ich gar nicht geschlafen und genau so sah ich auch aus. Tiefe schwarze Ränder umrahmten meine Augen und ich vermied es, öfters an irgendwelchen Spiegeln vorbei zu laufen.
Als Sue auftauchte, war es perfekt. Sie schlug bei meinem Anblick die Hände vors Gesicht und unterdrückte ein erschrecktes Keuchen und nach ein paar Minuten schaffte sie es nicht mehr, sich zurückzuhalten.
»Was hast du denn gemacht? Du siehst schrecklich aus!«
»Danke.«
»So ist es nicht gemeint, aber du siehst wirklich aus, als hättest du gar nicht geschlafen! Was ist denn bloß passiert?«
Ich setzte mich neben sie auf die Couch.
»Wenn ich ehrlich bin, dann fühle ich mich auch so, als hätte ich nicht geschlafen.«
»Was? So schlimm? Was ist denn los?«
Ich sah sie an und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Ich hatte einen Albtraum.«
»Von Danny?«
Manchmal fragte ich mich wirklich, wozu ich noch auf ihre Fragen reagierte. Sie schien meine Gedanken ja förmlich zu erraten und selbst auf ihre Frage zu antworten. Bevor ich nur ein Wort sagen konnte, sprach sie auch schon weiter.
»Das hab ich mir schon gedacht. Im Moment machst du aber auch viel mit, Süße, da ist es nicht verwunderlich, dass du auch davon träumst.«
»Ja, kann sein, aber dieser Traum war wirklich komisch«, sagte ich nachdenklich, denn er wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.
»Wie meinst du das?«
Ich hob beide Schultern kurz an, um sie sofort wieder fallen zu lassen.
»Ich weiß nicht genau, aber ich konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Und obwohl es in meinem Zimmer immer warm ist, war es plötzlich eisig kalt.«
»Hmm, das hast du dir sicher bloß eingebildet, meinst du nicht?«
»Ja, das glaube ich auch. Na ja, vielleicht ist es auch eine Nebenwirkung auf die Tabletten …«
»Was? Die Träume?«
»Nein, ich meine dieses Kältegefühl.«
Sie wiegte den Kopf.
»Das hört sich ziemlich logisch an. Du solltest diese Dinger wirklich lieber absetzen.«
Als ich nicht antwortete, wurde ihre Stimme ernster.
»Ana, bitte, ich will nicht zusehen, wie diese Dinger dich wirklich noch abhängig machen. Bitte, setz die Tabletten ab.«
»Sue!«, ermahnte ich meine Freundin ebenso ernst, »das sind nur Beruhigungstabletten und kein Betäubungsmittel. Im Moment brauche ich sie einfach …«
»Egal, spätestens nächste Woche wirst du diese Dinger nicht mehr nehmen. Hast du verstanden?«
Ich überlegte kurz, ihr zu widersprechen, ließ es jedoch schließlich sein und gab nickend nach. Mir war eingefallen, warum meine Freundin auf jegliche Art von Tabletten nicht gut zu sprechen war und sie darauf beharrte, dass ich sie absetzte. Vor einigen Jahren hatte ihre Mutter eine schwere depressive Phase gehabt, in der sie alle möglichen Tabletten in sich hineingestopft hatte. Sue hatte zwar versucht, ihr die Tabletten auszureden, aber da war es schon zu spät gewesen. Ein ganzes Jahr hatte ihre Mutter letztendlich in einer speziellen Klinik verbracht und seitdem hatte meine Freundin eine panische Angst, dass es ihren Freunden ähnlich ergehen könnte, wenn diese zu viele Tabletten schluckten. Sie sah mich noch immer mit besorgtem Blick an, fast so, als genügte ihr ein einfaches Nicken als Bestätigung nicht.
»Ist ja gut. Ich werde sie nur noch diese Woche nehmen, in Ordnung?«
Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht und sie nickte.
»In Ordnung.«
Auch ich lächelte, so gut es ging, und war froh, diese Diskussion schnell beendet zu haben. Normalerweise hätte es ewig gedauert, ihr klar zu machen, dass ich mich daran hielt. Ich seufzte und legte meinen Kopf schief, als das Telefon mich plötzlich wieder aufschrecken ließ. Ich sprang blitzschnell auf und nahm den Hörer in die Hand. Und noch bevor ich mich melden konnte, hörte ich schon eine männliche Stimme.
»Spreche ich mit Ana Summers?«
Ich schluckte.
»Ja, was möchten Sie?«
Der Mann am anderen Ende der Leitung schien zu schlucken.
»Miss Summers, hier spricht Dr. Hepburn.«
Ein unangenehmes Gefühl machte sich in mir breit, als mir klar wurde, dass es etwas Neues geben musste.
»Wie geht es ihm? Ist er etwa endlich aufgewacht?«
Ein Seufzen drang durch den Hörer und bestärkte das ungute Gefühl in mir noch weiter. Er war also nicht aufgewacht.
»Es tut mir leid, Ihnen das jetzt mitteilen zu müssen, aber …«
»Was? Was ist mit ihm?«, unterbrach ich ihn panisch.
»Heute Nacht hat er aufgehört zu atmen.«
Mir blieb das Herz stehen. Was hatte er gerade gesagt? Dass mein Freund aufgehört hatte zu atmen? Hatte ich das richtig gehört?
Der Arzt sprach in beruhigendem Ton weiter.
»Wir haben ihn noch intubiert und versucht, es zu verhindern, aber wir konnten leider nichts mehr für ihn tun. Es tut mir wirklich leid, Ihnen keine bessere Nachricht geben zu können.«
Es war wie ein Schlag in die Magengegend. Alles in mir verkrampfte sich, und ich spürte, wie meine Beine schwächer wurden und drohten, unter meinem Gewicht nachzugeben. War das ein Scherz? Ein alberner, schlechter Scherz? Das konnte, nein, es durfte einfach nicht wahr sein!
Mein Herz schlug so schnell, dass es mir schwerfiel zu atmen, und meine ganze Haut anfing zu brennen. Es war ein schreckliches Gefühl.
»Das meinen Sie nicht ernst? Das kann doch nicht ihr Ernst sein?«, schrie ich, in der Hoffnung, er würde seine Worte rückgängig machen. Aber er nahm die Worte natürlich nicht zurück.
»Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen. Wenn sie möchten, können sie ihn aber gerne heute noch einmal sehen …«
Ich ließ das Telefon fallen. Es schlug auf dem Boden auf und fiel augenblicklich auseinander.
»… Ha… Hallo …«, rauschte es noch aus dem Telefon, doch ich ging wie in Trance daran vorbei.
»Ana? Alles ok?«
Ohne weiter auf ihre Worte zu achten, ging ich geradewegs zur Treppe, schaffte es aber nicht, auch nur ein Bein zu heben. Am Ansatz brach ich zusammen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
Sue kam zu mir und setzte sich vorsichtig neben mich.
»Ana, wer war denn dran? Ist irgendetwas passiert? Was ist denn los?«
Meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Alles in mir verkrampfte sich und ich fing an zu weinen.
»Ana, bitte sprich mit mir! Was ist denn bloß passiert? Wer war da dran?«, fragte sie, fast schon verzweifelt, als ich ihr noch immer nicht geantwortet hatte.
Ich zwang mich, meine Freundin anzusehen und wusste nicht so recht, wie ich es sagen sollte. Wie sollte ich ihr sagen, dass er tot war? Danny, mein Freund, war nicht mehr am Leben. Er hatte einfach aufgehört zu atmen, einfach so …
»Das Krankenhaus hat angerufen …«, schluchzte ich, völlig am Ende, »es ging um Danny, er ist tot.«
Ihre Augen weiteten sich urplötzlich und sofort traten Tränen in ihre Augen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
»Es ist wirklich kein guter Zeitpunkt, mich zu verarschen.«
Entsetzt sah ich sie durch den Schleier aus Tränen heraus an.
»Denkst du wirklich, ich würde darüber Scherze machen? Denkst du das wirklich?«
Sie schien sofort zu bereuen, dass sie das wirklich gesagt hatte, und senkte ihren Blick.
»Nein, natürlich nicht. Es tut mir leid …«
Ich nahm die Hände wieder vors Gesicht und dachte an den Traum. Wie dieser Fremde ihm die Luft abgedrückt und ihm schließlich dass Genick gebrochen hatte. Und ich dachte an das, was der Arzt gesagt hatte. Er hatte gesagt, dass Danny einfach aufgehört hatte zu atmen, einfach so. Er hatte nicht gesagt, dass ihm jemand das Genick gebrochen hätte.
Wie kam ich überhaupt darauf, dass es einen Zusammenhang geben könnte? Das war ein dummer Traum und ein schrecklicher Zufall gewesen, mehr auch nicht. Ich schluchzte und lehnte mich an der Schulter meiner Freundin an.
»Bitte sag mir, dass das alles nur ein böser Traum ist. Sag mir, dass ich aufwache und Danny noch immer schläft und bald aufwacht. Sag es mir!«
Sie sah mich kurz an, sagte aber kein Wort, sondern starrte stumm vor sich hin. Ich konnte es ihr nicht verübeln. In ihrem Gesicht spiegelte sich so viel Entsetzen und Fassungslosigkeit wieder, dass es mir noch einen zusätzlichen Schlag versetzte, wenn ich ihr nur in die Augen sah. Ihre Hand ruhte auf meinem Knie und verkrampfte sich allmählich.
»Ich werde zu ihm gehen …«
Sie hielt mich fest, als ich aufstehen wollte.
»Willst du das wirklich tun? Ich denke, du würdest dir nur noch mehr wehtun, wenn du ihn jetzt noch einmal sehen musst.«
Ich riss mich los.
»Du kannst ja hierbleiben, aber ich muss ihn einfach noch einmal sehen. Ich muss ein letztes Mal zu ihm.«
Ich konnte es einfach nicht glauben, und genau deshalb musste ich ihn noch ein letztes Mal sehen. Erst, wenn ich mir ganz wirklich sicher war, konnte ich mich auch irgendwann damit abfinden und es akzeptieren. Sie rappelte ihren Körper ebenfalls auf.
»Alleine gehst du nicht! Ich komme mit!«
Ich sah sie an und nickte, ohne meine Miene zu verziehen.
Als ich die Autoschlüssel jedoch an mich nehmen wollte, kam Sue mir zuvor.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich fahre. Dich lasse ich in diesem Zustand nicht hinters Steuer.«
Ich war nicht einmal mehr in der Lage zu widersprechen, sondern nahm gleich auf dem Beifahrersitz Platz. Und wenn ich ehrlich bin, war ich sogar froh, dass Sue das tat. Ich war mit Sicherheit nicht in der Lage, in diesem Zustand ein Fahrzeug zu steuern. Vermutlich wäre ich in der ersten Kurve von der Straße abgekommen und in den Graben gefahren.
Während der Fahrt sah ich nur aus dem Fenster. Am Himmel über uns schob sich eine dichte Wolkendecke immer weiter zusammen, und aus dem weiß wurde schnell ein dunkles Grau. Jede Faser und jeder Muskel meines Körpers war nun zum zerreißen gespannt und schmerzte höllisch. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und schien in regelmäßigen Abständen aus dem Takt zu geraten. Es wollte nicht glauben und aus meinem Körper ausbrechen, genauso, wie ich aus diesem Albtraum ausbrechen wollte. Allerdings würde dies uns beiden nicht gelingen, denn wir waren beide gefangen in der Realität. Der Wagen hielt und unter der dichten Wolkendecke war das Krankenhaus, wie in grauen Nebel getaucht, zu sehen.
»Bist du auch sicher, dass du das wirklich tun möchtest?«, fragte sie mich, um sich noch einmal zu vergewissern.
Ich nickte und griff zur Tür.
»Ja, ganz sicher. Ich muss es sehen, um es glauben zu können.«
Sie schluckte und wischte sich mit dem Ärmel über die nassen Wangen, dann folgte sie mir. Schon als wir die große Eingangshalle betraten, kam jemand auf uns zu. Ein junger Arzt blieb direkt vor uns stehen und streckte mir die Hand entgegen.
»Miss Summers?«, fragte er vorsichtig. Es wirkte fast so, als hätte er Angst, etwas Falsches zu sagen. Ich nickte und biss auf die Lippen, um das Schluchzen zu unterdrücken. »Mein Beileid! Wollen Sie ihn noch einmal sehen?«
Ich nickte erneut, ohne nur ein Wort zu sagen, und folgte ihm. Der Flur schien sich endlos in die Länge zu ziehen, bis wir schließlich endlich vor dem Zimmer ankamen. Aber auf einmal war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich das wirklich wollte. Sue legte mir eine zitternde Hand auf die Schulter und sah mich an. Sie schien zu spüren, wie schwer mir dieser Schritt fiel.
»Bist du dir wirklich sicher? Ich sehe doch, wie schwer es dir fällt.«
Obwohl ich innerlich überhaupt nicht sicher war, nickte ich, denn ich wusste, dass es die einzig richtige Entscheidung war. Ich musste ihn einfach sehen, um es glauben zu können.
Der Arzt öffnete die Tür und lies mich vorbei. Jeder Schritt, den ich tat, fühlte sich schwer an. Es war fast so, als hätte man meine Schuhe mit Blei gefüllt und ich konnte nicht mehr richtig laufen.
Ich sah das Bett, auf dem jemand unter einer Bettdecke verborgen lag und mein Herz wurde augenblicklich wieder langsamer.
Der Arzt hob seine Hand und zog die Ecke der Decke so weit nach unten, dass ich kurz darauf Dannys Gesicht sehen konnte. Er war viel bleicher als beim letzten Besuch, schon fast weiß, und seine Augen waren geschlossen. Es wirkte fast so, als würde er einfach nur schlafen und jeden Moment aufwachen. Doch genau das würde er nie wieder tun. Ich schluchzte und es war schrecklich für mich, ihn anzusehen und zu wissen, dass ich das Strahlen seiner eisblauen Augen, in die ich mich damals so verliebt hatte, nie wieder sehen würde.
»Darf ich ihn anfassen?«, fragte ich ängstlich.
Der Arzt nickte.
»Natürlich.«
Ganz vorsichtig streckte ich meine Hand aus und legte sie erst auf seine kalte Stirn und fuhr dann mit einem Finger an seiner Wange entlang. Es war also wirklich kein Traum. Mein Freund war wirklich gestorben. Wieder bahnte sich ein Schwall Tränen den Weg nach oben, doch ich schaffte es, ihn mit Mühe einigermaßen zurückzuhalten.
»Warum?«, säuselte ich.