Die Schlüssel der Macht - Marten Steppat - E-Book

Die Schlüssel der Macht E-Book

Marten Steppat

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Beschreibung

Endlich gibt es wieder Kontakt zur Asteara, dem gigantischen Raumschiff, mit dem die Menschen einst auf Kumono angekommen waren. Doch damit beginnen neue Probleme. Alte Strukturen der Macht werden wieder aktiv und sorgen für Reibung und Spaltung unter den Menschen. Verschiedene Gruppen beginnen um die Herrschaft zu kämpfen. Als wäre das nicht genug, stellen sich die Fragen, ob man den mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Druiden trauen kann. Zudem mischt sich eine weitere Spezies in das Geschehen ein, die außergewöhnliche Fähigkeiten unter Beweis stellt. Die Vergangenheit holt Ion und seine Freunde ein und stellt die Frage nach der Zukunft. Es geht um alles. Eine Geschichte mit künstlicher Intelligenz und echtem Herz.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Aufbruchstimmung

Kapitel 2: Neue Welten

Kapitel 3: Eine neue Heimat

Kapitel 4: Alte Geheimnisse

Kapitel 5: Verschwörung

Kapitel 6: Vermächtnisse

Kapitel 7: Die Asteara

Kapitel 8: Eiskristalle

Kapitel 9: Weltraum-Pizza

Kapitel 10: Macht

Kapitel 11: Freund und Feind

Kapitel 12: Verwandlung

Kapitel 13: Tod

Kapitel 14: Ein neuer Anfang

Kapitel 15: Bereinigung

Kapitel 16: Heimat

Kapitel 1: Aufbruchstimmung

Der Regenbogen-Schmetterling landete auf einem großen, flachen Stein im Eingang einer kleinen, einladenden Höhle. Rankenpflanzen wuchsen über große Teile des Höhleneingangs. Gut geschützt vor Wind und Wetter ließ er hier seine regenbogenfarbenen Flügel sinken und ruhte sich aus. Ein paar funkelnde Partikel regenbogenfarbenen Staubes lösten sich sanft von seinen Flügeln und rieselten auf den Stein.

Er war müde. Er hatte das aufregende und abwechslungsreiche Leben eines Regenbogen-Schmetterlings gelebt. Er hatte eine große und interessante Welt kennenlernen dürfen und hatte sich frei entwickeln und entfalten können, ohne den Gefahren zu unterliegen, welche diese Freiheit mit sich bringen konnte.

Er war satt. Er hatte ausgiebig alle Sorten von köstlichem Nektar kosten und genießen dürfen, die seinen Körper genährt und gestärkt hatten. So befriedigend es bis jetzt auch gewesen sein mag, die Bedürfnisse waren nun gestillt. Endgültig.

Er war fertig. Er spürte genau, dass für ihn ein Weg und eine Zeit zu Ende ging. Obwohl er keine besonderen Erinnerungen an die Vergangenheit besaß, war es ein vertrautes Gefühl, welches er schon einmal erlebt haben musste. Was würde als nächstes kommen? Ein neuer Weg? Eine neue Zeit?

Er war sorgenfrei. Zufrieden und ohne Erwartungen ahnte er, dass noch irgendwas passieren würde. Doch das kümmerte ihn jetzt nicht. Einen Augenblick lang einfach nur sein, das war genug.

Zufriedenheit und Glück durchströmten ihn.

*

Ion betrat die Bühne. Das helle Licht blendete ihn zuerst so sehr, dass er nichts weiter sehen konnte. Schemenhaft erkannte er Gestalten im Publikum, hauptsächlich Wissenschaftler und Techniker. Er hörte Applaus, doch er hatte das Gefühl, dass er nicht ihm galt. Vor ihm stand eine Person auf der Bühne. Sie trug einen langen, dunkelblauen Umhang mit goldenen Rändern, einer goldenen Sternblume und einem kleinen Stern darüber. Die Person drehte ihm den Rücken zu, doch er erkannte ihn sofort.

„Unser neustes Modell“, verkündete Zent stolz in Siegerpose und forderte das Publikum zu mehr Beifall auf, den er auch bekam. Zent drehte sich nun zu Ion um, nahm ihn selig lächelnd fast liebevoll am Arm und führte den Verwirrten vorsichtig ein paar Schritte weiter nach vorne auf die Bühne, wo er ihn strahlend dem Publikum präsentierte. Ion sah das Abzeichen eines Mediators an Zents Brust. Er schaute an sich selber herunter und stellte fest, dass er selbst nur das Abzeichen eines Richters trug. Richter waren dem Mediator unterstellt.

„Intelligent, sozial, fähig zu eigenständigem Handeln und Denken“, gab Zent von sich. Der Applaus verebbte und unmutiges Murmeln machte sich an seiner Stelle breit. Als hätte er damit gerechnet machte er sogleich eine beschwichtigende Geste. „Ich weiß, ich weiß“, wandte er im verständnisvollen Ton ein, „das klingt erstmal völlig kontraproduktiv.“

Er schaute Ion direkt ins Gesicht, stolz wie ein Vater auf seinen Sohn, der gerade etwas großartiges geleistet hatte. Er berührte ihn sanft am Arm und sagte zum Publikum, ohne das Gesicht von Ion abzuwenden: „Aber genau deswegen wird er auf Grund seiner Programmierung und ganz ohne weitere Anweisungen exakt das tun, was wir von ihm wollen.“

Ungläubiges Raunen ging durch die Menge.

„Werde ich nicht“, widersprach Ion im festen Tonfall.

Als ob er gerade eine Bestätigung für Zents Worte geliefert hätte, wallte der Applaus des Publikums wieder auf. Stimmen äußerten sich optimistisch.

Ion runzelte die Stirn, während er sich misstrauisch umschaute. „Nein!“, sagte er energisch.

Der Applaus verstärkte sich. Die Menge war begeistert. Verschiedene Leute standen auf, um ihrem Beifall mehr Ausdruck zu verleihen. Ion schüttelte ungläubig den Kopf. Angst packte ihn.

Zent lächelte ihn glücklich an und streichelte ihm über den Rücken. „Wach auf, mein Bruder“, raunte er ihm liebevoll zu. „Wir haben Dich exakt so erschaffen, wie wir Dich haben wollten.“

Schweißgebadet schreckte Ion hoch.

„Was für ein schrecklicher Traum“, murmelte er in die Dunkelheit und verharrte einen Augenblick, um sich zu sammeln. Seine Frau Shana lag neben ihm und atmete tief und ruhig.

Der Mediator Ion drehte die Lichtkugel über dem Bett ein wenig auf, stand langsam und umständlich auf und tastete im Regal herum. Schließlich fand er ein Schmerzpflaster, das er sich umgehend auf die Brust drückte, nahe seines künstlichen Armes. Sofort entspannte er sich und atmete tief durch. Dann wandte er sich der großen, schweren Truhe zu und entnahm ihr seine Ausrüstung.

„Auf zur Arbeit“, erklärte er. Dann stockte er für einen Augenblick und stellte sicher, dass sein Abzeichen auch wirklich noch immer das eines Mediators war.

*

Bero stand auf dem Ratsplatz nahe der Tech-Säule, zusammen mit Leuten, die seine Aufmerksamkeit verlangten. Hektisch wandte sich der große, muskulöse Richter hin und her, um allen Anwesenden gerecht zu werden. Als Richter hatte er die Aufgabe, zwischen den Menschen seines Dorfes zu vermitteln, Lösungen für ihre Bedürfnisse zu finden und Entscheidungen zu fällen, welche die Gemeinschaft betrafen.

Bis vor kurzem war dies Ions Aufgabe gewesen. Er hatte seinem Freund die Aufgabe abgetreten, nachdem er das Amt eines Mediators eingenommen hatte. Während ein Richter sich um die Belange der Bürger kümmerte und dafür zuständig war, dass diese möglichst reibungslos miteinander leben konnten, war es die Aufgabe eines Mediators, sich um die Belange der Richter zu kümmern, Aufgaben unter ihnen zu verteilen und in Streitfragen das letzte Wort zu sprechen.

Ion näherte sich Bero und hörte interessiert zu, wie dieser mit den Leuten sprach und seine Aufgabe bewältigte.

„Es macht überhaupt keinen Sinn, hier in Geroda ein Gebäude wie den Turm von Tekion zu bauen“, erklärte Richter Bero kopfschüttelnd einem seiner Mitmenschen. „Nein, auch nicht außerhalb des Dorfes“, warf er schnell hinterher, als der Bürger den Mund öffnete und einen vorhersehbaren Einwand formulieren wollte, den er in seinem Vorschlag vorher bereits erwähnt hatte. „Schau mal, dafür ist doch der Turm von Tekion bereits da und bietet wirklich bereits alles, was Du brauchst – und noch viel mehr. Vielleicht willst Du Dir erst mal anschauen, welche Möglichkeiten Du dort hättest. Auch wenn ein Wohnortswechsel vielleicht dafür umständlich erscheint. So viele Computer und Maschinen dort warten geradezu darauf, dass sie wieder sinnvoll eingesetzt werden. Gib ihnen eine Chance!“, mahnte er und wies damit die Forderung ab.

Er wandte sich an den nächsten. „Du hast Recht. Mit den Fahrzeugen sollte nur auf den Hauptstraßen gefahren werden. Ich werde mich darum kümmern.“

Ein weiterer hielt dem Richter Pläne unter die Nase. „Das hast Du ja sehr schön ausgearbeitet“, bewunderte der ehemalige Wächter des Dorfes die Dokumente. „Aber ein Labor außerhalb des Dorfes wäre viel zu gefährlich. Es gibt doch innerhalb der Schutzmauern genug Platz für dein Vorhaben. Frag doch mal Norak, ob er Dir bei der Wahl eines besseren Standortes helfen kann. Und wenn Du von außerhalb der Stadtmauern etwas brauchst, dann tritt mit den Jägern in Kontakt. Sie sind dafür ausgebildet und helfen gerne.“

„Kommst Du zurecht?“, fragte Ion, nachdem Bero sich um alle Bedürfnisse der Dorfbewohner gekümmert hatte.

In der Ferne liefen ein paar Menschen umher. Die Jäger erkannte man nun daran, dass sie sich von Feen begleiten ließen; kleinen fliegenden Robotern, die mit Kameras und anderen Finessen ausgestattet waren. Techniker machten es sich zur Gewohnheit, sich von Gnomen begleiten zu lassen; kniehohe Roboter, die sich auf mehreren Beinen oder auch auf Rollen fortbewegten und kleine Reparaturarbeiten an technischen Geräten erledigen konnten.

„Eine verantwortungsvolle Aufgabe“, stöhnte der große, muskulöse Mann. „Ich weiß nicht, ob ich das auf Dauer kann.“

„Du machst das gut“, erwiderte Ion. „Du wächst da schon rein. Du bist wie gemacht für die Aufgabe.“

Bero fühlte sich geschmeichelt. Dann lachte er laut und herzhaft, wie es seine Art war. „Du weißt, wie Du mich kriegst.“

Ion erwartete von seinem groben aber herzlichen Freund einen starken Schlag auf die Schulter oder auf den Rücken, wie es in der Vergangenheit stets dessen Verhalten gewesen war. Er spannte sich an. Doch Bero verzichtete darauf.

Erst vor kurzem hatten beide im Kampf um das Dorf gegen aggressive Tiere ein Auge und einen Arm verloren und hatten schwere innere Verletzungen erlitten. Prothesen modernster Technik ersetzten den Verlust. Stützgewebe hielt sie innerlich zusammen.

Eine Gruppe von Kindern näherte sich Bero in hoher Geschwindigkeit. Sie stürmten energiegeladen und schreiend auf ihn zu und umringten ihn. Ihr Anliegen war klar. Lachend packte Bero sich ein Kind nach dem anderen, hob es mit Leichtigkeit hoch in die Luft, drehte sich einmal und ließ es wieder sicher zu Boden. Dann setzte die Gruppe von Kindern zufrieden ihren Weg zum Unterricht fort.

„Kommst Du mit deinen neuen Körperteilen gut zurecht?“, erkundigte Ion sich nach dem gesundheitlichen Zustand seines Freundes. Zufrieden hob Bero seinen künstlichen Arm und machte eine Faust mit nach oben gerichtetem Daumen, das Zeichen für „alles in Ordnung“ in der Zeichensprache der Jäger. Mit dem Kinn deutete er auf Ion. „Und Du?“, gab er die Frage zurück.

Ion verzog ein wenig das Gesicht und bewegte seinen künstlichen Arm umständlich. „Es schmerzt“, antwortete der Mediator.

Besorgt schaute Bero ihn an. „Du brauchst Ruhe“, sagte er ernst. Ion nickte. Bero kannte dieses Nicken. Ion stimmte ihm zu, gab aber gleichzeitig wortlos zu verstehen, dass dieser Vorschlag im Augenblick keine Option für ihn war.

„Brauchst Du immer noch Schmerzpflaster?“, fragte Bero nach. Ion zögerte kurz und nickte dann. Bero presste die Lippen aufeinander. Er wusste, dass er nichts sagen konnte, um seinen Freund zu einem schonenderen Verhalten sich selbst gegenüber bewegen zu können.

Einen Augenblick standen sie nur so da und schwiegen. Es war kein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen, sie genossen oft diese Augenblicke. Schließlich bewegten sie sich zum Lagerfeuer-Platz hinüber, um sich dort auf eine Bank zu setzen.

„Ich platze fast“, sagte Bero schließlich, klang dabei allerdings nicht allzu dramatisch, jedoch mit einer gewissen Spannung in der Stimme. Er drehte sich nach links und rechts, um sicher zu gehen, dass niemand in der Nähe war, um ihr Gespräch mit anzuhören. Dann öffnete er den Mund, schloss in wieder und blickte nochmal in der Luft umher, bevor er sich traute zu sprechen.

„Wir haben Kontakt zu unserem Raumschiff, zu unseren Leuten, und wir sagen es keinem? Die Leute müssen es doch erfahren!“, entfuhr es dem Richter schließlich.

Ion schmunzelte. In manchen Dingen war Bero sehr geduldig und erwachsen, aber in anderen Dingen war er auch wie ein Kind. Dieses Wissen für sich zu behalten, plagte ihn.

„Dann kannst Du es den Leuten verkünden“, entgegnete Ion. „Die Asteara landet morgen“, offenbarte er in einem ruhigen Ton.

„Was?“

Bero war ganz aufgeregt.

Ion machte eine abwehrende Geste. „Also nicht das ganze Schiff, sondern eine -“, er stockte und suchte nach dem richtigen Wort. „Fraktion“, sagte er schließlich und schaute Bero dabei aus den Augenwinkeln an.

Der große Richter nickte nur aufgeregt bei dem Wort. „Das ist ja fantastisch“, rief er. In seinem Kopf schien jede Menge vorzugehen. Sein Blick wechselte schnell hin und her zwischen Begeisterung, eifrigen Überlegungen, einfacher Freude und ernsten Gedanken.

Einen ernsten Gedanken sprach er an. „Auch wenn erst mal nur eine kleine Gruppe kommt, wollen ja ganz sicher bald alle Menschen auf den Planeten. Wie viele werden es sein? Haben wir in Geroda Platz für alle? Oder in allen drei Dörfern?“, äußerte er seine Überlegungen.

„Drei?“, fragte Ion.

„Stimmt, Tekion hat natürlich auch noch viel Platz“, wandte Bero ein.

„Du vergisst noch ein Dorf“, erklärte Ion amüsiert und beobachtete Beros Mienenspiel dabei. Anstatt darauf zu warten, dass Bero darauf kam, wovon er redete, sprach er weiter. „Yottos Dorf“, warf er ein. Yotto war gerade erst zum Richter ernannt worden, um die Verantwortung für den Bau eines neuen Dorfes zu übernehmen, dass direkt auf einem natürlichen Höhlensystem errichtet werden sollte. „Ich glaube, es soll Novus heißen.“

„Das Dorf steht doch noch gar nicht“, widersprach Bero.

„Die Höhlen bieten bereits ganz natürliche Räumlichkeiten, Schutz und ein gutes Klima“, erklärte Ion. „Ich bin sicher, wir können mit Eroms Hilfe in kürzester Zeit alles Notwendige organisieren, was so ein Dorf zum Leben braucht.“

Der große Richter wog abwägend den Kopf hin und her. „Aber die Höhlen sind noch gar nicht richtig erforscht“, wandte er ein. „Wir wissen fast gar nichts über sie – ob sie stabil sind, ob sie sicher sind, ob nicht riesengroße, unsichtbare Kreaturen darin wohnen.“

Mit den letzten Worten ahmte Bero einen Super-Vila nach, in dem er Krallen mit den Händen formte und sich steif von einer Seite zur anderen wog, um so die Gangart der gefährlichen Wesen nachzuahmen.

Ion lachte. „Das ist wahr“, stimmte er seinem Freund zu. „Dann wissen wir ja, was wir in den kommenden Tagen zu tun haben. Alles, was wir für eine Untersuchung der Höhlen brauchen, ist bereits auf dem Weg dorthin und wird da auf uns warten“, offenbarte er.

„Aber jetzt“, verkündete Ion, „darfst Du erstmal die große Neuigkeit verbreiten.“

*

Die Menschenmenge vor Geroda feierte ausgelassen. Es war für die verschiedensten Getränke gesorgt, Körbe voller Früchte und Nüsse waren herangeschafft worden, Gebäck wurde serviert und Fleischstücke sowie Omelettes wurden über kleinen Feuern gebraten. Auch Menschen aus den Dörfern Feuertal und Liberin waren gekommen, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen.

Droiden, Jäger und Wächter waren in der Umgebung ausgeschwärmt, um am heutigen Tag für besondere Sicherheit zu sorgen. Feen flogen am Himmel umher und überwachten das Gebiet.

Der große Augenblick war gekommen: Das erste Raumschiff würde vor den Toren des Dorfes Geroda landen. Es war Teil der Asteara; Teil des Generationenraumschiffes, mit dem viele Menschen einst gekommen waren, um einen neuen Planeten zu besiedeln: Kumono.

Die Verbindung zur Asteara war für lange Zeit abgebrochen gewesen, seit die große Katastrophe fast sämtliche Technik auf dem Planeten unbrauchbar gemacht hatte und so die Bevölkerung zwang, sich für Generationen hauptsächlich auf das reine Überleben zu konzentrieren. Lange Zeit war das Schicksal des Raumschiffes ungewiss geblieben.

Eine Regenbogenraupe löste schließlich eine Kette von Ereignissen aus, die dazu führte, dass Ion aus Geroda sich gemeinsam mit seinen Freunden auf den Weg machte, die Geheimnisse ihrer Vergangenheit zu ergründen.

Auf der Insel Tekion fanden sie dadurch das ehemalige Zentrum und Steuerungssystem für fast sämtliche Technik des Planeten vor, dessen automatische Wiederherstellungsprozesse sie wieder in Gang setzen konnten. Gnome und Feen, elektronische Hilfsroboter, arbeiten seitdem Tag und Nacht daran, das System zu unterstützen, zu reparieren und zu warten. Mittlerweile ist dieser Prozess fast abgeschlossen.

Droiden, zweibeinige Roboter mit Künstlicher Intelligenz, unterstützen die Menschen bei ihren Vorhaben, dienen ihnen als Wächter, Jäger, Techniker und einer sogar als Richter.

Allerdings verlief diese Reise der Wiederentdeckung auch nicht ohne Zwischenfälle: Eine kleine Gruppe von Menschen war der Allgemeinheit nicht wohlgesonnen, hielt sich nicht an den Verhaltenskodex, der ein friedliches und harmonisches Miteinander gewährleisten sollte. Diese Gruppe strebte Herrschaft über die anderen Menschen an.

Durch den Streit mit dieser Gruppe kam es jedoch wiederum zu Entdeckungen, die auf eine geheime Gesellschaft schließen ließen, die vor der großen Katastrophe existiert haben musste und deren Ziel bereits eine heimliche und unerkannte Herrschaft über die anderen Menschen gewesen sein musste. Ebenso kam heraus, dass das Amt des Richters, das bisher als eine Form von Schlichtungs- und Regelungsinstanz zum Wohle der Gemeinschaft interpretiert worden war, ursprünglich ein Kontrollmechanismus der geheimen Gesellschaft hatte darstellen sollen.

Um einen Vorteil gegen ihre Widersacher zu haben, beschlossen die Richter des Planeten gemeinsam, dieses Wissen vorerst geheim zu halten und die wiederentdeckten Strukturen der Geheimgesellschaft selbst für sich zu nutzen. Ion wurde Mediator; ein wiederentdeckter Rang, der dazu vorgesehen war, noch über den Richtern zu operieren, ihre Aktivitäten zu koordinieren und zwischen ihnen zu vermitteln.

Weitere Kontrollstrukturen der Geheimgesellschaft sind noch zu ergründen und teilweise sogar bereits aufgetaucht. Unter anderem wurde zudem ein menschenähnliches Volk entdeckt, von welchem die Menschen bisher nichts wussten, die geheime Gesellschaft jedoch offenbar schon. Auch diese Tatsache behielten die Richter von Kumono bisher für sich.

Die Menschen von Kumono sind nun kurz davor, ihre ursprüngliche Stärke wiederzuerlangen.

Die Menge jubelte auf und Finger streckten sich nach oben, um in den Himmel zu zeigen. Ein kleiner Punkt wurde sichtbar, glühte in einem hellen Blau und wurde langsam größer.

Die Jäger Morafey und Naga nahmen ebenfalls an der Zeremonie teil. Morafey zeigte auch in den Himmel, jedoch deutete sie nicht auf das Fluggerät, sondern auf einen zwei Armlängen großen Gleitschirm, der vom Himmel sank. Er bestand aus einem dünnen und leichten, teilweise transparenten Gewebe aus Pflanzenfasern und einem kleinen festen Kern in der Mitte. Er fiel ganz in der Nähe des Paares sanft zu Boden. Es war ein Same aus der Pflanzengattung der Sylphen, deren Samen beträchtliche Spannweiten erreichen konnten und auf Grund ihrer Eigenschaften über lange Zeiträume hinweg vom Wind durch die Lüfte getragen wurden, bevor sie an ganz anderen Orten landeten, um eine neue Pflanze auszubilden und neue Samen zu produzieren. Sie lächelten sich an. „Ein gutes Zeichen für uns?“, fragte Naga. Er legte den Arm um Morafey, die sich an ihn drückte.

Die jubelnde Menge gab ihnen Anlass, wieder nach oben zu schauen. Mehr Sylphen-Samen wurden sichtbar und segelten zu Boden. Die beiden Jäger ernüchterten bei dem Anblick. „Vielleicht doch nicht so ein gutes Zeichen“, mutmaßte Morafey.

„Das Fluggerät stört anscheinend ihren Flug“, stimmte Naga zu und beobachtete mit scharfem Blick den Fall der Sylphen.

Der blau glühende Punkt war inzwischen angewachsen zu einem mit bloßem Auge erkennbaren Flugobjekt. Es war einem Drachen ähnlich, einer Flugmaschine, wie sie auf Tekion hergestellt worden war.

Die Menge wurde still und beobachtete gebannt, wie das kleine Raumschiff immer näher kam. Niemand bewegte sich, aber die Aufregung war spürbar. Schließlich setzte das Fluggerät sanft auf.

Die Luke öffnete sich und die Anwesenden begannen wieder zu jubeln, um den Ankömmlingen einen freudigen Empfang zu bereiten.

Als erstes stieg eine Gruppe von drei Männer und drei Frauen aus, welche alle eine anthrazit- und bronzefarbene Rüstung trugen, die gleichermaßen effektiv schützend aussah, wie auch perfekt an die Körper ihrer Träger angepasst. Es waren augenscheinlich Kämpfer. Jede Rüstung trug ein Emblem an der Brust: es zeigte eine Flamme in den Farben rot, orange und gelb. An den Hüften hatten die Kämpfer Langschwerter hängen und auf ihrem Kopf ruhte eine anthrazitfarbene Kappe, die zur rechten Körperseite gezogen war. Ernst schauten sie umher, um sich offensichtlich einen Eindruck von der Situation zu verschaffen. Sie wirkten wie Jäger, die beim Betreten eines unbekannten Gebietes alle Vorsicht walten ließen.

Dann stieg eine Frau aus, welche die majestätische Aura von Anmut und Perfektion ausstrahlte. Ihr weißes Hemd war im höchsten Maße künstlerisch geschnitten und mit goldfarbenen, gestickten Verzierungen versehen. Die weiten Ärmel offenbarten einen Blick auf prachtvolle goldene Armbänder, die mit funkelnden Steinen versehen waren. Sie trug einen Rock, leuchtend rot und aus mehreren Schichten bestehend. Er hing nicht einfach an ihr herunter, sondern schien verstärkt zu sein, um von ihren Beinen Abstand zu halten. Vorne hatten ihre schwarz glänzenden, eleganten Stiefel Platz zum Laufen, hinten endete der Rock in einer Schleppe, die beim Gehen über den Boden strich. Auch an dieses Kleidungsstück waren goldene Verzierungen angebracht worden, ebenso wie an ihre Kopfbedeckung; einem Hut mit nach oben gerichteter Krempe, im gleichen Rot wie der Rock. Ein paar rote Locken schauten gezielt aus dem Hut hervor, während der Rest ihrer Haare darunter verborgen blieb. Ihre kleine Nase war mit leichten Sommersprossen verziert und ihre intensiven grünen Augen strahlten Intelligenz und Bestimmtheit aus.

Sie führte einen anthrazitfarbenen Stab mit sich, der etwas höher war als sie selbst. Goldene Verzierungen stiegen kunstvoll an ihm auf wie Rankenpflanzen und endeten in einer goldenen Kugel, von der sich zwei weiße Flügel weg streckten. Ein Emblem hing dieser Frau an einer goldenen Kette um den Hals. Es trug ebenfalls das Zeichen der Flamme, zusätzlich dazu jedoch noch ein paar glitzernde Steine um das Symbol herum. Ihre Ohrringe waren große, aber dünne Reifen aus Gold.

Sie schien die jubelnde Menge überhaupt nicht wahrzunehmen und schritt graziös und gelassen die Rampe hinab, ohne dabei eine emotionale Regung von sich zu geben oder auch nur einen Blick auf die fröhlich grüßenden Menschen zu werfen.

Schräg hinter ihr ging eine vollkommen verhüllte Gestalt in einem dünnen, matt glänzenden, schwarzen Mantel mit einer großen, tiefen Kapuze und langen, weit geschnittenen Ärmeln. Der Mantel war mit kunstvollen Mustern bestickt, die jedoch ebenfalls schwarz und somit kaum erkennbar waren. Außer, dass die Gestalt schwarze Stiefel trug, ließ sich nichts weiter über sie erkennen; der Mantel verdeckte einfach alles.

Dann folgte wieder eine Gruppe von sechs Kämpfern in anthrazit- und bronzefarbenen Rüstungen, erneut drei männliche und drei weibliche.

Hinter ihnen schloss sich die Luke. Keiner der Neuankömmlinge schien sich über den Empfang zu freuen. Im Gegenteil: Herannahende Bewohner wurden sogleich abgeschreckt mit abwehrenden Gesten, angespannten Gesichtsausdrücken und vorsorglichen Griffen an die Knäufe der Schwerter. Die Kämpfer positionierten sich in einem Kreis um die Frau mit dem Stab und der Gestalt im schwarzen Mantel herum und schirmten die zwei Personen von allen anderen ab.

„Ich habe den Verdacht, dass diese Leute eine besondere Art von Empfang erwarten“, raunte Ion Bero zu. Beide setzten sich wie abgesprochen gleichzeitig in Bewegung und näherten sich der frisch angekommenen Gruppe.

Wieder bewegten sich die Hände der vordersten zwei Kämpfer in die Richtung ihrer Schwerter, doch die Frau mit dem Stab räusperte sich leicht und ging einen Schritt auf den Mediator Ion und den Richter Bero zu. Sofort ließen die zwei vordersten Kämpfer von ihren Waffen ab und wichen rasch zur Seite.

Ion und Bero blieben vor der Frau stehen und nickten ihr und allen anderen Neuankömmlingen freundlich zu. „Herzlich Willkommen auf Kumono“, ergriff Ion das Wort. „Es ist so schön, dass Ihr es endlich geschafft habt, auf den Planeten zu kommen. Ich bin Ion und dies hier ist mein Freund Bero. Wir beide sind Richter und kümmern uns um alle wichtigen Belange des harmonischen Zusammenlebens. Wann immer Ihr also Fragen oder Probleme habt, könnt Ihr Euch immer an uns wenden. Aber alle anderen hier werden Euch selbstverständlich auch gerne weiterhelfen, egal um was es geht.“

Jedes Mal, wenn Ion dabei einen der Kämpfer ansah, schauten diese nur kurz befremdlich und fast schon verstört zurück, bevor sie ihren Blick wieder nach vorne richteten oder umherblickten, um nach Gefahren Ausschau zu halten.

„Herzlich Willkommen“, rief Bero freundlich, laut und ausgelassen in die Runde, was die gleiche Wirkung hatte.

Die Frau mit dem Stab lächelte nun und vollführte ein langsames Blinzeln mit den Augen, zusammen mit einem fast unmerklichen Nicken. „Ich bin Lady Karma“, erwiderte sie mit sanfter Stimme und ruhigem Tonfall. Sie fasste die Abzeichen von Ion und Bero ins Auge. „Eure Ränge unterscheiden sich voneinander“, sagte sie mit einem fragenden Unterton in der Stimme.

„Bero ist Richter dieses Dorfes, Geroda. Ich bin tatsächlich seit kurzem Mediator, in gewisser Weise ist das so was wie ein Richter für die Richter“, erklärte Ion. „Bis vor kurzem war ich selber noch Richter des Dorfes und es gab noch keinen Mediator. Nun hat Bero jedoch das Amt und die Aufgabe des Richters übernommen.“

Für einen unmerklich kurzen Augenblick schien Lady Karma von Ions Erklärung ein wenig irritiert zu sein. „Du bist also der Ranghöchste hier, oder gibt es noch irgendwo jemanden, der über Dir steht?“, fragte sie höflich.

Nun war es Ion, der leicht irritiert war. „Nun, eigentlich sehen wir das nicht so eng mit den Rängen“, erklärte er mit einem verlegenen Lächeln. „Wir sind alle füreinander da. Wenn ich so darüber nachdenke, dann habe ich aber wohl tatsächlich den höchsten Rang auf dem Planeten.“

Er warf einen kurzen verunsicherten, fragenden Blick zur Seite. Bero antwortete mit einem gleichmütigen Schulterzucken und einem zögerlichen, nachdenklichen Nicken.

Niemand bemerkte die ungläubigen Blicke der Kämpfer, die unbeweglich wie Statuen um sie herum standen und versuchten, ihre Mimik unter Kontrolle zu halten. Auf dem Gesicht von Lady Karma zeigte sich ein leichter Anflug von amüsierter Überraschung.

„Gut“, sagte sie. „Gibt es hier einen Ort, an dem wir uns ungestört unterhalten können?“

Ion blickte sich verwirrt um, als könnte er die Frage nicht begreifen, obwohl er ihre Worte verstanden hatte.

„Wir zwei“, sagte Lady Karma sanft lächelnd mit einem intensiven Blick auf Ion, „unter uns“.

Für einen Augenblick sah Ion wohl ratlos aus. Wieder blinzelte Lady Karma langsam und schlug lächelnd vor: „Gehen wir doch gleich hier in die 'Hand der Tapferkeit'.“

Damit deutete sie auf das Fluggerät hinter sich. Ion zog die Augenbrauen hoch. Fragend schaute er Bero an. Der gab ihm einen festen Klaps auf die Schulter, der jedoch nicht halb so stark war wie seine üblichen Klopfer. „Ich lass Euch dann mal alleine“, sagte er grinsend, blinzelte ihm zu und marschierte davon.

Verunsichert blieb Ion mit Lady Karma alleine zurück, die ihn erwartungsvoll anblickte.

*

Kapitel 2: Neue Welten

An Bord der 'Hand der Tapferkeit' wurden Ion und Lady Karma von den Kämpfern in einen Raum geleitet, der für Besprechungen geeignet war. An der Wand zeigten Bildschirme aus Licht in verschiedenen Größen und Formen schriftliche und bildliche Informationen über das Schiff und die unmittelbare Umgebung an. Ein Tisch wurde von mehreren Stühlen umringt; sie sahen vollkommen unbenutzt und neu aus, vielleicht lag das aber auch nur an den hochwertigen Materialien, aus denen sie gemacht worden waren.

Die Kämpfer blieben vor der Tür. Die Gestalt im schwarzen Mantel machte Anstalten, den Raum zu betreten, wurde jedoch von Lady Karma mit einer Geste davon abgehalten. Die Tür schloss sich und Ion war mit der augenscheinlichen Führerin des Schiffes alleine.

Lady Karma bot Ion mit einer Geste einen Platz am Tisch an, sie selbst schritt langsam und elegant an eines der Fenster, durch die man nach draußen schauen konnte. Ion blickte dabei auf die Schleppe und überlegte, wie unpraktisch dieses Kleidungsstück sein musste.

„Die Menschen draußen freuen sich darauf, Euch kennen zu lernen“, erklärte Ion. Die Lady drehte sich zu ihm um und zeigte ein leichtes Lächeln. „Wie nett“, erwiderte sie.

„Ich schätze, Ihr hattet ähnliche Probleme wie wir“, mutmaßte Ion, um das Gespräch in Gang zu bekommen. „Es gab hier jedenfalls eine große Katastrophe, durch die praktisch alle Technik unbrauchbar wurde. Lange mussten die Menschen auf dem Planeten ums Überleben kämpfen. Gerade erst vor kurzem haben wir es geschafft, das technische Zentrum auf einer Insel wieder zu entdecken und zu reaktivieren. Seit neustem funktionieren wieder die Tech-Säulen der Dörfer, so dass wir darüber miteinander kommunizieren können. Aber in kürzester Zeit hat sich die gesamte Technik wieder erholt. Inzwischen hat praktisch jeder von uns Geräte zum Kommunizieren und Untersuchen und können wieder alles herstellen, was wir brauchen.“

„Gut“, sagte Lady Karma mit einem dünnen Lächeln und wachen Augen.

„Wie habt Ihr gelebt, seit der Kontakt zum Planeten abgebrochen ist?“, fragte Ion.

Die Lady drehte sich um und blickte aus einem Fenster. Einen Augenblick lang herrschte Stille im Raum. „Auch wir hatten es schwer“, sagte die Lady schließlich. „Die Ressourcen waren knapp, das Leben war hart. Wir mussten Opfer bringen.“

„Das war bestimmt nicht einfach“, sagte Ion nach einer kleinen Pause mit aufrichtigem Mitgefühl.