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Beschreibung

Es rauschen die dunklen Wälder des Nordlandes, es faucht der Wind über die Berge, es tobt das Meer an den zerfurchten Küsten und Fjorden, wo Trolle spuken, die den Menschen das Leben erschweren und ihnen allerlei Streiche spielen. Doch noch listiger sind die Trollweiber, und sie haben zahlreiche Helfer – Tiere, Vögel und Naturkräfte –, die nur ein richtiger Held wie der Aschenper bezwingen kann ...
Die norwegischen Märchen nehmen die Leser mit auf abenteuerliche Segelfahrten und entführen sie in die wilde Natur der skandinavischen Halbinsel.

Angeregt durch die Brüder Grimm, begannen in Norwegen die beiden Freunde Peter Christen Asbjørnsen (1812-1885) und Jørgen Moe (1813-1882) die Märchen ihrer Heimat zu sammeln und aufzuzeichnen. Aus ihrer 1841 bis 1851 erschienenen Sammlung schöpft die vorliegende Ausgabe.

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Seitenzahl: 367

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Die schönsten norwegischen Märchen

Herausgegeben von Hans-Jürgen Hube

Insel Verlag

Die schönsten norwegischen Märchen

Inhalt

Der Vogel Dam Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Der Meisterdieb Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Aase, das kleine Gänsemädchen Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die drei Prinzessinnen aus Witenland Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Wie Aschenper mit dem Troll um die Wett aß Übersetzung: H.-J. Hube

Der Aschenper und seine guten Helfer Übersetzung: H.-J. Hube

Weißbär König Valemon Übersetzung: H.-J. Hube

Die Prinzessin, die keiner zum Schweigen bringen konnte Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Das goldene Schloß, das in der Luft hing Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die Jungfrau auf dem Glasberg Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die Mühle auf dem Meeresgrunde Übersetzung: H.-J. Hube

Östlich der Sonne und westlich des Mondes Übersetzung: H.-J. Hube

Der reiche Per Krämer Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Lillekort Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die drei Böcke Bruse Übersetzung: H.-J. Hube

Rotfuchs und Aschenper Übersetzung: H.-J. Hube

Treu und Ungetreu Übersetzung: H.-J. Hube

Die Herrenbraut Übersetzung: H.-J. Hube

Der Fuchs als Hirte Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Der Bär und der Fuchs Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Giske Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die Puppe im Gras Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die sieben Füllen Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Die zwölf Wildenten Übersetzung: H.-J. Hube

Allschwarz und Allweiß Übersetzung: H.-J. Hube

Der Schütze und die Moorschnepfe Übersetzung: H.-J. Hube

Der Pastor und der Küster Übersetzung: H.-J. Hube

Butterbauch Übersetzung: H.-J. Hube

Der Kohlenbrenner Übersetzung: H.-J. Hube

Guten Tag, Mann! – Axtschaft! Übersetzung: H.-J. Hube

Der Bursche, der um die Tochter der Mutter im Winkel freien wollte Übersetzung: H.-J. Hube

Der Tabaksbursche Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Per, Pal und Espen Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Von den Burschen, die im Hedalswald die Trolle trafen Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Lotterkäppchen Übersetzung: F. Bresemann (1847)

Gudbrand vom Berge Übersetzung: H.-J. Hube

Schafbock und Schwein, die im Wald für sich wohnen wollten Übersetzung: H.-J. Hube

Nachwort

 Kommentar

 Bibliographie

Der Vogel Dam

Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, und die liebte er so sehr, daß er sie niemals aus den Augen ließ. Aber jedesmal zur Mittagszeit, wenn der König schlief, gingen die Prinzessinnen spazieren. Als der König wieder einmal seinen Mittagsschlummer hielt und die Prinzessinnen wie gewöhnlich spazierengegangen waren, geschah es, daß sie einfach ausblieben und nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Da herrschte nun große Sorge und Betrübnis im ganzen Land, aber am betrübtesten von allen war der König. In alle Winkel seines Reiches sandte er Boten aus und ließ sie suchen. Und mit allen Glocken ließ er nach ihnen läuten. Aber die Prinzessinnen waren und blieben verschwunden, und niemand wußte, wo sie waren. Da konnte man denn wohl vermuten, daß sie von irgendeinem Troll in einen Berg entführt worden waren.

Das Gerücht verbreitete sich bald von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und endlich gelangte es auch zu einem König, der in einem Lande weit, weit entfernt wohnte und zwölf Söhne hatte. Als diese Söhne von den zwölf Königstöchtern erzählen hörten, baten sie ihren Vater um Erlaubnis, losreisen und die Prinzessinnen suchen zu dürfen. Der alte König aber wollte zu Anfang gar nichts davon wissen, denn er fürchtete, er würde seine Söhne niemals wiedersehen. Aber die Prinzen fielen ihm zu Füßen und baten ihn so lange, bis er endlich nachgab und sie ziehen ließ. Ein schönes Schiff rüstete er für sie aus und setzte als Steuermann den Ritter Röd ein, der auf See wohl erfahren war.

Lange Zeit segelten sie nun umher und forschten in allen Ländern, in die sie kamen, nach den Prinzessinnen. Aber nirgendwo konnten sie eine Spur von ihnen entdecken. Es fehlten jetzt nur noch wenige Tage, da waren sie schon sieben Jahre unterwegs. Aber da kamen eines Tages ein heftiger Sturm und ein solches Unwetter auf, daß sie glaubten, sie kämen niemals mehr an Land. Und sie alle mußten sich in einem fort abmühen, so daß kein Schlaf in ihre Augen kam, solange das schreckliche Wetter anhielt. Aber am dritten Tag legte sich der Sturm, und es wurde auf einmal ganz still. Alle waren von der Arbeit und dem schlimmen Wetter so müde geworden, daß sie gleich einschliefen. Nur der jüngste Prinz fand keine Ruhe und konnte nicht schlafen.

Während er nun auf dem Verdeck umherging, trieb das Schiff an eine Insel, und am Ufer lief ein Hündchen auf und ab, bellte und winselte, als ob es aufs Schiff wollte. Der Königssohn pfiff und lockte es zu sich. Aber es konnte nicht zu ihm kommen und bellte und jaulte nur um so mehr. Dem Prinzen schien, es wäre schade, das Hündchen dort umkommen zu lassen, das – wie er meinte – von einem Schiff stammte, das im Sturm untergegangen war. Aber er wußte nicht, wie er ihm helfen sollte, da er sich außerstande sah, das Boot allein auszusetzen. Alle anderen schliefen, und er wollte sie nicht wegen eines kleinen Hundes aufwecken. Doch das Wetter war nun so klar und still; da dachte er denn: ›Du mußt versuchen, das Tier zu retten!‹ So machte er sich daran, das Boot zu Wasser zu lassen, und es ging leichter, als er geglaubt hatte. Er ruderte nun ans Land und lief auf das Hündchen zu. Aber sooft er es greifen wollte, sprang es zur Seite und lockte den Königssohn immer weiter fort, bis dieser, ehe er's bemerkte, bei einem großen, prächtigen Schloß anlangte. Da verwandelte sich das Hündchen plötzlich in eine wunderschöne Prinzessin. Aber auf der Bank saß ein Troll, der war so gewaltig groß und häßlich, daß der Prinz darüber erschrak. »Du brauchst nicht ängstlich zu sein«, sagte der Troll. Aber der Prinz erschrak noch mehr, als er seine Stimme hörte.

»Ich weiß wohl, was du willst! Da sind eure zwölf Prinzen gekommen, die suchen die zwölf verschwundenen Prinzessinnen. Ich weiß, wo sie sind. Sie sind bei meinem Herrn; da sitzen sie, jede auf ihrem Goldstuhl, und lausen ihn, denn er hat zwölf Köpfe. Nun seid ihr sieben Jahre gesegelt, aber ihr werdet noch sieben fahren müssen, ehe ihr sie findet. Was dich angeht, könntest du gern hierbleiben und meine Tochter bekommen. Aber erst mußt du meinen Gebieter umbringen, denn er ist sehr hart gegen uns, so daß wir ihn längst satt haben. Und wenn er tot ist, werde ich statt seiner Trollkönig! Versuche zuerst, ob du dieses Schwert zu schwingen vermagst!« rief der Troll. Der Königssohn wollte ein rostiges Schwert herabnehmen, das an der Wand hing, aber es rührte sich nicht vom Fleck.

»Nimm einen Schluck aus dieser Flasche!« sagte der Troll.

Als der Königssohn das getan hatte, ließ sich das Schwert leicht von der Wand nehmen, und als er noch einen Schluck genommen hatte, konnte er's aufheben. Aber als er einen dritten Schluck getan hatte, vermochte er es mit Leichtigkeit zu schwingen, so als sei es sein eigenes.

»Wenn du wieder an Bord kommst«, sagte der Troll, »mußt du das Schwert in deiner Koje verstecken, damit Ritter Röd es nicht zu sehen bekommt! Er ist zwar nicht imstande, es zu schwingen, aber er wird dich darum hassen und dir nach dem Leben trachten! Wenn sieben Jahre um sind«, sprach er weiter, »wird's wieder ebenso sein wie jetzt: Ein schreckliches Unwetter mit Sturm und Hagel kommt über euch, und ist das vorüber, werdet ihr alle müde und legt euch in eure Kojen. Du aber nimm das Schwert und rudere an Land! Dann gelangst du zu einem Schloß, wo lauter Wölfe, Bären und Löwen als Schildwachen stehen. Du brauchst dich nicht vor ihnen zu fürchten, denn sie werden dir alle zu Füßen liegen. Sobald du ins Schloß gelangt bist, siehst du den Unhold in einem prächtig geschmückten Saal sitzen, zwölf Köpfe hat er, und die Prinzessinnen sitzen auf ihren Stühlen und lausen ihn, und du kannst dir wohl vorstellen, daß ihnen solche Arbeit gar nicht gefällt. Danach mußt du dich aber beeilen und ihm einen Kopf nach dem andern abschlagen, ehe er aufwacht! Wacht er aber auf, frißt er dich lebendig!«

Der Königssohn kehrte nun mit dem Schwert an Bord zurück und vergaß nicht, was der Trollprinz ihm gesagt hatte. Die anderen lagen noch immer da und schliefen. Er aber versteckte das Schwert in seiner Koje, so daß es weder der Ritter Röd noch sonstwer bemerkte. Da fing es wieder an zu stürmen. Der Königssohn weckte die andern und sagte, es könne nicht angehen, daß sie schliefen, wenn sie so guten Wind hätten. Niemand von ihnen hatte bemerkt, daß er fort gewesen war.

Die Zeit ging dahin, und beständig dachte der Prinz an das Abenteuer, das er zu bestehen hatte. Oft zweifelte er am glücklichen Ausgang. Als nun die sieben Jahre bis auf drei Tage vergangen waren, geschah das, was der Trollprinz gesagt hatte: Ein furchtbares Unwetter brach los und hielt drei Tage an, und als es vorbei war, wurden alle von der anstrengenden Arbeit müde und legten sich zum Schlaf in die Kojen. Der jüngste Königssohn aber ruderte an Land, und die Schildwachen lagen ihm zu Füßen. So gelangte er unbehelligt ins Schloß. Im Saal thronte der Obertroll und schlief, wie es der Trollprinz gesagt hatte, und die zwölf Prinzessinnen saßen auf ihren Stühlen und lausten je einen Kopf. Der Königssohn winkte den Prinzessinnen zu, sie sollten sich entfernen. Sie aber zeigten auf den Troll und gaben ihm zu verstehen, er solle schleunigst weggehen. Doch der Königssohn zeigte ihnen durch Gebärden an, daß er gekommen sei, sie zu befreien. Da begriffen sie seine Absichten und schlichen leise fort, eine nach der anderen. Nun sprang der Prinz behend hinzu und hieb dem Troll die zwölf Köpfe ab.

Als der Unhold umgebracht war, ruderte der Prinz zum Schiff zurück und verbarg sein Schwert. Er meinte, nun habe er genug getan, und weil er den toten Troll nicht allein aus dem Schloß fortschaffen konnte, sollten ihm die anderen dabei helfen. Er weckte sie und rief, eine Schande sei's, daß sie hier schliefen, während er die Prinzessinnen gefunden und sie vom Obertroll befreit habe. Da lachten die anderen und sagten, er habe ebenso geschlafen wie sie und wohl nur geträumt, daß er ein großer Held sei. Wenn jemand die Prinzessinnen befreit habe, sei's wahrscheinlicher, einer von ihnen hätte es getan! Doch der jüngste Prinz erzählte haarklein, wie sich alles zugetragen hatte, und als sie nun an Land gingen, das Schloß, den Troll, die zwölf Köpfe und die Prinzessinnen erblickten, sahen sie wohl ein, daß er die Wahrheit gesprochen hatte. So halfen sie, Köpfe und Rumpf in die See zu werfen. Alle waren fröhlich und guter Dinge, aber niemand war froher als die Prinzessinnen, die es nun nicht mehr nötig hatten, tagsüber dazusitzen und den Obertroll zu lausen. Und von all dem Gold, Silber und kostbaren Gerät, das sich im Schloß befand, nahmen sie mit, soviel das Schiff tragen konnte. Darauf gingen alle an Bord, die Prinzen mitsamt den Prinzessinnen.

Aber als sie ein Stück auf See hinausgelangt waren, riefen die Prinzessinnen auf einmal, sie hätten in ihrer Freude ihre Goldkronen vergessen, die in einem Schrank im Schloß verwahrt seien, und die wollten sie doch gern mitnehmen. Da nun keiner von den andern sie holen wollte, sprach der jüngste Prinz:

»Habe ich schon soviel gewagt, kann ich auch noch die goldenen Kronen holen, wenn ihr die Segel refft und wartet, bis ich wiederkomme!« Ja, das wollten sie. Als aber der Prinz so weit vom Schiff fort war, daß sie ihn nicht mehr sehen konnten, sagte der Ritter Röd, der gern selbst der Anführer sein und die jüngste Prinzessin haben wollte, es sei nutzlos, dazuliegen und zu warten. Denn sie könnten sich doch denken, daß er nicht mehr zurückkehrte! Überdies wüßten sie ja, daß der König ihm – dem Ritter Röd – Vollmacht gegeben habe, loszusegeln, wann und wohin er wolle! Und nun sollten sie sagen, er sei's gewesen, der die Prinzessinnen befreit habe. Und sagte jemand etwas anderes, verlöre er sein Leben! Die Prinzen wagten nicht, gegen den Ritter Röd aufzubegehren, und so fuhren sie davon.

Unterdessen ruderte der jüngste Königssohn an Land und ging aufs Schloß, wo er auch gleich den Schrank mit den Goldkronen fand. Lange mühte er sich ab, ihn ins Boot zu schaffen. Als er aufs Wasser gekommen war, konnte er das Schiff nirgends erblicken. Nach allen Seiten hielt er Ausschau, aber vom Schiff war keine Spur mehr zu sehen. Da merkte er denn, wie alles zugegangen war. Ihnen nachzurudern war zwecklos, und daher mußte er umkehren und wieder an Land gehen. Er fürchtete sich zwar, die Nacht allein im Schloß zu verbringen, aber es gab keine andere Wahl. Daher faßte er Mut, verriegelte alle Türen und Pforten und legte sich in einem Saal schlafen, wo ein gemachtes Bett stand. Doch war ihm angst und bange, und noch ängstlicher wurde er, als es nach einer Weile anfing, oben im Dach und in den Wänden zu knistern und zu krachen, als wolle das ganze Schloß bersten. Auf einmal raschelte es neben seinem Bett wie ein ganzes Fuder Heu. Danach hörte er eine Stimme, die ihm zurief, er solle sich nicht ängstigen:

»Der Vogel Dam ist hier,

wo du's nicht kannst, hilft er dir!«

sprach die Stimme und sagte dann:

»Wenn du morgen aufwachst, mußt du gleich zur Vorratskammer gehen und vier Tonnen Roggen für mich zum Frühstück holen. Die muß ich erst im Leib haben, sonst kann ich nichts für dich tun!«

Als der Prinz am nächsten Morgen erwachte, erblickte er neben seinem Bett einen schrecklichen, großen Vogel, der hatte eine Feder im Nacken, die so groß war wie eine halb ausgewachsene Tanne. Der Königssohn lief nun in die Vorratsstube und scheffelte die vier Tonnen Roggen für den Vogel Dam ein. Als der endlich gefrühstückt hatte, sagte er zum Königssohn: »Hänge mir den Schrank mit den Goldkronen an der einen Seite um den Hals! Nimm soviel Gold und Silber, daß es den Schrank aufwiegt, und hänge es an die andere! Schwinge dich auf meinen Rücken und halte dich gut fest an der Nackenfeder!«

Der Prinz tat es, und nun ging's sauseschnell durch die Luft, und nicht lange währte es, da waren sie über dem Schiff. Der Königssohn wollte an Bord und das Schwert holen, das – wie der Trollprinz gesagt hatte – die andern nicht sehen durften. Aber der Vogel Dam meinte, es ginge nicht: »Ritter Röd wird's nicht finden!« sprach er. »Kommst du aber an Bord, so trachtet er dir nach dem Leben! Er will nämlich selbst gern die jüngste Prinzessin haben! Aber ihretwegen kannst du beruhigt sein; jede Nacht legt sie ein blankes Schwert neben sich ins Bett!«

Zuletzt kamen sie beim jungen Troll an; und der nahm den Königssohn so gut auf, daß es gar nicht zu sagen ist. Er wußte gar nicht, was er dem Königssohn alles an Wohltaten erweisen sollte, weil er seinen Gebieter umgebracht und ihn selbst zum Trollkönig gemacht hatte. Gern hätte er ihm auch seine Tochter und das halbe Reich gegeben; doch der Prinz war nun einmal in die jüngste Prinzessin verliebt, dachte nur an sie und wollte schnell wieder fort. Der Troll bat ihn, sich noch ein Weilchen zu gedulden. Die andern hätten fast noch sieben Jahre zu segeln, ehe sie wieder nach Hause kämen, sprach er. Und über die Prinzessin sagte der Trollkönig dasselbe, was der Vogel Dam gesprochen hatte: »Ihretwegen kannst du beruhigt sein! Sie legt stets ein blankes Schwert neben sich ins Bett! Und wenn du's nicht glaubst, kannst du an Bord gehen, wenn sie hier vorbeisegeln, dich davon überzeugen und mir gleich das Schwert mitbringen, denn ich will's gern wiederhaben!«

Als nun die anderen nach sieben Jahren vorbeisegelten, hatte zuvor wieder ein schrecklicher Sturm gewütet; und als der Königssohn an Bord kam, schliefen alle, jede Prinzessin bei ihrem Prinzen. Nur die jüngste lag allein mit einem blanken Schwert neben sich. Doch vor ihr auf dem Fußboden schlief der Ritter Röd. Der Königssohn nahm das Schwert und ruderte zurück, ohne daß jemand merkte, daß er an Bord gewesen war; doch er war nun schon ungeduldig und wollte fort. Als die sieben Jahre um waren und nur noch drei Wochen fehlten, sprach der Trollkönig zu ihm:

»Nun rüste dich zur Reise; bei mir willst du ja nicht bleiben! Ein Eisenboot leihe ich dir, das fährt von selbst übers Wasser, wenn du nur sagst: ›Schiff, fahr vorwärts!‹ Im Boot aber liegt ein Eisenklotz; den hebe ein wenig an, wenn du ihr Schiff sichtest! Dann kriegen sie soviel Fahrtwind, daß sie vergessen, sich nach dir umzudrehen. Bist du neben dem Schiff, hebe den Klotz nochmals! Dann bricht solch ein Sturm los, daß sie anderes tun müssen, als sich nach dir umzusehen! Bist du vorüber, hebe den Klotz ein drittes Mal an! Aber leg ihn vorsichtig zurück, sonst entsteht soviel Sturm, daß du selbst und die anderen dabei umkommen! Sobald du an Land bist, brauchst du dich nicht ums Boot zu kümmern; schiebe es umgedreht ins Wasser und sprich: ›Schiff, fahr heim!‹«

Nun reiste der Königssohn ab und bekam viel Gold, Silber, Kostbarkeiten, Kleider und Leinenzeug mit. Die hatte die Trollprinzessin in der langen Zeit genäht, die er auf der Insel gewesen war. Da war er nun viel reicher als seine Brüder. Kaum hatte er sich ins Boot gesetzt und gerufen ›Schiff, fahr vorwärts!‹, da sauste das Boot los; und als er das Schiff vor sich sah, lüftete er den Eisenklotz, und sie kriegten soviel Fahrtwind, daß sie vergaßen, sich nach ihm umzusehen. Neben ihrem Schiff hob er den Klotz wieder etwas an, und da brach Sturm los, so daß rund um ihr Schiff weißer Schaum stand und die Wellen übers Verdeck schlugen und sie anderes zu tun hatten, als nach ihm auszuschauen. Beim Vorbeifahren hob er den Klotz zum drittenmal, und da bekamen sie noch mehr Arbeit, und keiner dachte daran, ihn zu beobachten. Viel, viel eher als das Schiff erreichte er das Ufer, und als er seine Sachen aus dem Boot geschafft hatte, drehte er's um, stieß es ins Wasser und sprach ›Schiff, fahr heim!‹; da rauschte es davon.

Der Königssohn verkleidete sich nun als Seemann – ob der Trollkönig ihm das geraten hatte oder ob er selbst darauf gekommen war, weiß ich nicht zu sagen – und ging zu einer Kate, worin ein altes Weib hauste. Er sei ein armer Schiffsjunge, der Schiffbruch erlitten habe, sagte er. Als einziger von der Mannschaft sei er gerettet worden und bitte um Herberge für sich und seine Sachen, die er mitgebracht habe.

»Ach Gott«, sprach die Alte, »keinen kann ich beherbergen! Sieh, wie's hier beschaffen ist: Nicht einmal Betten habe ich, worauf ich selbst liegen könnte, viel weniger für andere!« Ja, das sei einerlei, sagte der Junge, wenn er bloß ein Dach über dem Kopfe habe, sei's ihm gleich, wie er liege.

Ein Obdach wollte sie ihm nun nicht versagen, wenn er mit dem fürlieb nähme, was sie hätte. Abends brachte der Seemann seine Sachen in die Kate, und gleich begann die Alte, die gern Neues hörte, zu fragen, was er für einer wäre, wo er herkomme und wohin er wolle; was das für Sachen seien, die er bei sich habe; in welchen Geschäften er reise und ob er nichts von den zwölf Prinzessinnen gehört habe, die vor Jahren verschwunden seien, und dergleichen mehr, so daß es sehr umständlich sein würde, das alles zu erzählen.

Der Schiffsjunge sagte, ihm sei schlecht und er habe Kopfschmerzen von dem entsetzlichen Sturm, der gewütet habe, so daß er sich auf nichts besinnen könne; sie möge ihn ein paar Tage in Ruhe lassen, bis er sich von den Anstrengungen während des schlimmen Wetters erholt habe; dann werde sie noch alles erfahren. Am andern Tag fragte die Alte wieder und wollte ihn aushorchen. Doch der Seemann hatte noch Kopfschmerzen vom Sturm und konnte sich an nichts erinnern, ließ aber von ungefähr ein Wort fallen, so als wüßte er etwas über die Prinzessinnen. Da lief die Alte gleich zu den Klatschweibern ringsum; und nun kamen sie, eine nach der anderen, und erkundigten sich nach den Prinzessinnen, ob er sie gesehen habe, ob sie bald kämen, ob sie schon unterwegs seien und so weiter.

Der Schiffsjunge aber hatte noch Kopfweh vom Unwetter, so daß er nicht auf alles Bescheid geben konnte, sagte aber soviel, die Prinzessinnen kämen, wenn sie beim Sturm nicht Schiffbruch erlitten hätten, in vierzehn Tagen oder gar früher an. Er könne aber nicht mit Gewißheit sagen, ob sie noch am Leben seien; gesehen habe er sie, wisse aber nicht, ob sie im Sturm umgekommen seien. Gleich lief ein Klatschweib zum Schloß und erzählte, in einer Kate bei der und der Alten sei ein Seemann, der die Prinzessinnen gesehen und gesagt habe, sie könnten in vierzehn Tagen oder früher eintreffen.

Der König vernahm's und schickte gleich einen Boten zum Seemann, er solle selbst zu ihm kommen und die Sache berichten. Der aber erwiderte: »Ich habe keine passenden Kleider, daß ich zum König gehen kann!« Der Bote aber meinte, er müsse kommen; der König wolle ihn sprechen, einerlei wie er aussehe. Es sei nämlich noch keiner dagewesen, der Nachricht von den Prinzessinnen hätte bringen können. Da ging der Schiffsjunge zum Schloß und trat beim König ein; der fragte, ob's wahr sei, daß er die Prinzessinnen gesehen habe.

»Ja, wahr ist's«, sprach der Seemann, »aber ich weiß nicht, ob sie noch am Leben sind; als ich sie sah, war ein solcher Sturm, daß wir Schiffbruch erlitten; sind sie aber nicht untergegangen, könnten sie in vierzehn Tagen oder eher hier sein!« Der König war außer sich vor Freude, als er das hörte. Und als die Zeit kam, zu der die Prinzessinnen – wie der Seemann gesagt hatte – eintreffen sollten, zog er ihnen in vollem Staat ans Ufer entgegen; groß war der Jubel im ganzen Land, als endlich das Schiff mit den Prinzessinnen, Prinzen und Ritter Röd landete. Die elf älteren Königstöchter waren guter Dinge, aber die jüngste, die den Ritter Röd haben sollte, war traurig und weinte unaufhörlich.

Dem König wollte das nicht behagen, und so fragte er, warum sie nicht auch vergnügt sei wie die anderen. Sie hätte doch, meinte er, gar keine Ursache zum Traurigsein; jetzt sei sie vom Troll befreit und könne den Ritter Röd heiraten. Aber sie durfte darauf nichts antworten, denn der Ritter hatte ja gedroht, wenn einer erzählte, wie sich alles wirklich zugetragen hatte, werde er ihn umbringen.

Eines Tages, als die Prinzessinnen an ihrem Brautputz nähten, trat jemand in einer Seemannsjacke und mit einem Krämerkasten auf dem Rücken ein und bot Schmucksachen zur Hochzeit feil. Er habe viele seltene, kostbare Dinge aus Gold und Silber, sprach er. Die Königskinder beschauten die Waren und den Händler, denn es schien ihnen, als würden sie ihn und manche seiner Sachen kennen. »Wer soviel prächtigen Schmuck hat«, rief endlich die jüngste, »könnte wohl etwas haben, was noch prächtiger und passender für uns ist!«

»Schon möglich«, sagte der Handelsmann; aber die andern tuschelten ihr zu, sie möge bedenken, womit der Ritter Röd gedroht habe! Eine Zeit danach, als die Prinzessinnen am Fenster saßen, kam der Königssohn wieder mit seiner großen Seemannsjacke und trug auf dem Rücken den Schrank mit den Goldkronen. In den Saal gelangt, öffnete er den Schrank; und wie nun jede Prinzessin ihre Goldkrone wiedererkannte, rief die jüngste:

»Mir scheint, recht und billig wär's, wenn unser Retter nun den verdienten Lohn bekommt! Es war nicht Ritter Röd, sondern der, welcher uns die Goldkronen bringt, der uns befreit hat!« Da warf der Prinz die Seemannsjacke ab und stand in seinem prächtigen Gewand da, viel stattlicher als die anderen! Der König aber ließ den ungetreuen Ritter Röd hinrichten. Nun war die Freude erst recht groß am Königshof. Jeder Prinz nahm seine Prinzessin und hielt mit ihr Hochzeit, so daß man sich noch in zwölf Königreichen davon erzählte.

Der Meisterdieb

Es war einmal ein Kätner, der hatte drei Söhne. Er konnte ihnen aber kein Erbe geben, denn er war so arm, daß er sie nicht einmal ein Handwerk erlernen lassen konnte. Da sagte er eines Tages zu ihnen, nun müßten sie selber zusehen, wie sie fortkämen. Sie könnten lernen, wozu sie Lust hätten, und reisen, wohin sie wollten. Er wolle sie gern noch ein Stückchen Wegs begleiten. Und das tat er auch. Er brachte sie bis dahin, wo drei Pfade sich teilten. Da nahmen die Söhne Abschied vom Vater, und jeder zog seine Straße. Wo die beiden ältesten geblieben sind, habe ich nie erfahren. Aber der jüngste marschierte tapfer drauflos und kam weit hinaus in die Welt.

Eines Nachts, als er durch einen großen Wald wanderte, kam ein furchtbares Unwetter. Es stürmte und schneite so heftig, daß er fast nicht die Augen offenhalten konnte. Und ehe er sich's versah, war er in die Irre gegangen und fand weder Weg noch Steg. Zuletzt erblickte er weit hinten ein Licht. Er ging geradewegs darauf zu und kam zuletzt an ein großes Haus, in dem ein helles Feuer auf dem Herd brannte. Daraus schloß er, daß die Leute noch nicht zu Bett gegangen waren. Er trat ein und sah eine Alte, die geschäftig hin und her ging.

»Guten Abend«, sagte der Bursche.

»Guten Abend«, erwiderte sie.

»Huh, was für böses Wetter draußen heut nacht!« meinte er.

»Wohl wahr«, sprach die Alte.

»Darf ich Herberge haben für die Nacht?« fragte der Junge.

»Hier ist keine gute Herberge für dich«, sagte die Frau.

»Kommen die Leute heim und finden dich hier, bringen sie dich und mich um!«

»Was sind denn das für Leute, die hier wohnen?« fragte der Bursche.

»Ach, Räuber und Spitzbuben«, sprach sie. »Mich haben sie geraubt, als ich noch klein war. Nun muß ich ihnen die Wirtschaft führen.«

»Ich glaube, ich nehme doch Quartier«, sagte er. »Mag es gehen, wie es will! Hinaus will ich nicht zur Nachtzeit bei solchem Wetter!«

»Am schlimmsten ist es ja für dich selbst«, sagte die Alte.

Der Bursche legte sich in ein Bett, hütete sich aber einzuschlafen. Bald kamen die Räuber nach Hause, und das Weib erzählte ihnen, ein Fremder sei im Haus; der habe nicht wieder fortwollen.

»Hast du gesehen, ob er Geld bei sich hat?« fragten die Räuber.

»Ach, der und Geld!« sagte sie. »Kaum Kleider hat er auf dem Leib!« Die Räuber flüsterten miteinander, was mit ihm anzufangen sei, ob sie ihn umbringen sollten. Da stand der Junge auf und fragte sie, ob sie nicht einen Knecht brauchten. Er hätte große Lust, bei ihnen zu dienen.

»Tja«, riefen sie, »wenn du Lust hast, das Handwerk zu betreiben, das wir haben, dann tritt in unseren Dienst!«

»Einerlei, was für ein Geschäft es ist«, sagte der Junge. »Als ich von zu Hause loszog, sagte mein Vater, ich könnte lernen, was ich will!«

»Hast du auch Lust, das Stehlen zu lernen?« fragten sie.

»Warum nicht«, sagte der Bursche, »ein Handwerk muß es ja sein!«

Nun wohnte nicht weit entfernt ein Mann, der drei Ochsen hatte. Einen wollte er in der Stadt verkaufen. Das hatten die Räuber ausspioniert. Da sagten sie zum Jungen, wenn er imstande wäre, unterwegs den Ochsen zu stehlen, ohne daß der Mann es merkte und ohne daß ihm etwas zuleide getan würde, wollten sie ihn nehmen, sonst nicht.

»Ich will's versuchen«, meinte der Bursche.

Er nahm einen schön gefertigten Schuh mit Silberschnalle, den er bei den Räubern fand, stellte ihn auf die Straße, wo der Bauer mit dem Ochsen vorbeikommen sollte, und verbarg sich im Wald hinter einem Strauch. Nicht lange, da kam der Mann.

»Das wäre ja ein ganz hübscher Schuh!« sagte er. »Hätte ich den andern dazu, wollt ich beide heimnehmen. Da wäre mein Eheweib mir einmal wohlgesinnt!« Er hatte nämlich eine böse, schlimme Frau. Und zwischen den Prügeln, die er von ihr bekam, war nie lange Zeit. Nun meinte er, er könne mit dem Schuh doch nichts anfangen, wenn er nicht den andern hätte. So ließ er ihn stehen und schritt weiter. Der Bursche nahm ihn und rannte damit weit voraus, so daß er vor ihm auf den Weg kam. Da legte er ihn wieder auf die Straße. Als der Mann mit seinem Ochsen anlangte, verdroß es ihn, daß er so dumm gewesen war und vorhin den anderen Schuh nicht mitgenommen hatte.

»Ich muß wohl zurücklaufen und ihn holen!« sprach er leise und band den Ochsen am Zaun fest. »So kriege ich doch einmal ein Paar schöne Schuhe für meine Alte. Vielleicht ist sie dann guten Sinns.« Er ging zurück und suchte den Schuh überall, doch vergeblich. Zuletzt mußte er mit dem einen Schuh zurücklaufen.

Unterdessen hatte sich der Bursche mit dem Ochsen davongemacht. Als der Mann ankam und sah, daß das Tier weg war, fing er an zu klagen und zu jammern. Große Angst hatte er vor seiner Alten und fürchtete, sie würde ihn totschlagen, wenn sie erführe, daß der Ochse fort war. Da fiel ihm ein, daß er noch zwei andere Ochsen im Stall hatte. Und er ging heim, nahm den einen und machte sich damit auf zur Stadt, ohne daß die Frau etwas merkte. Das hatten die Räuber wieder ausspioniert und sagten zum Burschen, wenn er dem Mann auch den zweiten Ochsen stehlen könne, ohne daß der es merkte und ohne daß ihm ein Leid zugefügt würde, solle er ihresgleichen sein. Ja, meinte der Junge, das sei wohl nicht schwer.

Diesmal nahm er einen Strick und hängte sich mitten auf der Straße, wo der Mann vorbeimußte, unter den Armen auf. Als der Bauer mit dem Ochsen kam und ihn hängen sah, war er verdutzt:

»Schwer zu Sinn muß dir gewesen sein, guter Freund, daß du dich erhängt hast! Meinetwegen hänge, solange du willst, denn ich kann dir doch kein Leben wieder einblasen!« Damit ging er weiter mit seinem Ochsen. Als er fort war, sprang der Bursche vom Baum, lief einen Abkürzungsweg, so daß er vor dem Mann ankam und hängte sich wieder mitten auf dem Weg auf.

»Ob dir wirklich so schwer zu Sinn gewesen ist, daß du dich aufgeknüpft hast, oder ob es bloß bei mir spukt?« sagte der Mann. »Meinetwegen hänge, solange du willst, ob du nun ein Gespenst bist oder nicht!« Und damit ging er weiter mit seinem Ochsen. Der Bursche machte es ebenso wie das vorige Mal, sprang vom Baum, lief den Richtsteig durch den Wald und hängte sich wieder mitten auf dem Weg auf. Als der Mann ihn bemerkte, sagte er zu sich selbst:

»Ist ja eine gräßliche Geschichte! Sollen sie so schwermütig gewesen sein, daß sie sich alle drei aufgeknüpft haben? Ich kann's nun einmal nicht glauben. Es spukt wohl bloß bei mir. Nun will ich Gewißheit!« rief er. »Hängen die beiden andern noch da, ist's wirklich so. Hängen sie nicht da, war alles ein Spuk.«

Und damit band er seinen Ochsen fest und lief zurück, um zu sehen, ob sie noch dahingen. Während er nun zu allen Bäumen hinaufblickte, sprang der Bursche wieder herab, nahm den Ochsen und machte sich damit aus dem Staub. Als der Mann zurückkam und sah, daß der Ochse weg war, fing er wieder an zu klagen und zu jammern. Endlich gab er sich doch zufrieden, denn er dachte bei sich: ›Da ist kein anderer Rat, ich muß wieder heim und den dritten Ochsen auch holen, ohne daß es meine Alte merkt. Ich muß versuchen, ihn um so günstiger zu verkaufen, damit ich den Schaden wettmache.‹ Er holte auch den dritten Ochsen, ohne daß sie's merkte. Die Räuber wußten aber wieder sehr gut Bescheid und sagten zu dem Jungen, wenn er auch diesmal den Ochsen stehlen könne, ohne daß der Mann es merkte und ohne daß er ihm etwas zuleide täte, solle er Meister sein über sie alle zusammen!

Wieder ging der Bursche in den Wald, und als der Mann mit dem Ochsen daherkam, fing er an zu brüllen wie ein großer Ochse. Froh war der Mann, als er das hörte. Er meinte, seine Mastochsen an der Stimme zu erkennen, und glaubte, nun würde er beide zurückbekommen. Er band den dritten Ochsen fest und lief quer durch den Wald, um beide zu suchen. Unterdessen machte sich der Junge mit dem dritten Ochsen davon. Als der Mann zurückkam und sah, daß auch der fort war, fing er an zu jammern. Tagelang ließ er sich daheim nicht sehen, denn er hatte soviel Angst, daß seine Frau ihn totschlagen könnte.

Den Räubern aber wollte es gar nicht behagen, daß sie nun den Burschen als Meister über sich anerkennen sollten. Und so sannen sie auf einen Streich, den der Bursche ihnen nicht nachmachen konnte. Alle miteinander reisten sie fort und ließen ihn allein zurück. Das erste, was der Junge tat, als die andern das Haus verlassen hatten, war, daß er die drei Ochsen hinausjagte, worauf die wieder in ihren Stall zurückliefen. Wer sich freute, war der Mann! Das kannst du glauben! Darauf nahm der Junge alle Pferde, die die Räuber besaßen, belud sie mit den besten Dingen, die er fand: mit Gold, Silber, Kleidern und anderen prächtigen Sachen, und zur Frau sagte er, sie solle die Räuber nur von ihm grüßen. Er bedanke sich und reise jetzt fort. Es werde ihnen schwerfallen, ihn einzuholen. Und damit zog er fort.

Wie er nun eine Zeit unterwegs war, kam er wieder zu der Straße, von wo aus er zuerst zu den Räubern in den Wald gegangen war. Da ging er weiter, bis er wieder in die Gegend gelangte, wo sein Vater wohnte. Zuvor aber zog er sich eine Uniform an, die gerade für einen General gemacht war. Die fand er unter den Sachen, die er von den Räubern mitgenommen hatte. Und damit fuhr er auf den Hof wie ein großer Herr, stieg ab, ging ins Haus zu seinem Vater und fragte ihn, ob er Herberge bekommen könne.

»Nein, ganz und gar nicht. Wie soll ich wohl Herberge haben für einen großen Herrn?« sagte der Mann. »Habe kaum Betten, selbst drauf zu liegen, und die sind noch dazu schlecht genug!«

»Du bist stets ein harter Mann gewesen und bist es noch«, sagte der Bursche, »wenn du deinem eigenen Sohn keine Herberge geben willst.«

»Ja, bist du denn mein Sohn?« fragte der Mann.

»Kennst du mich denn nicht mehr?« sagte der Junge. Ja, da erkannte er ihn wieder. »Aber was hast du gelernt, daß du in so kurzer Zeit solch ein Kerl geworden bist?« fragte ihn der Vater.

»Das will ich dir sagen«, versetzte der Bursche. »Du sagtest ja, ich könne lernen, wozu ich Lust hätte, und da begab ich mich denn zu Räubern und Spitzbuben in die Lehre, und nun habe ich meine Lehrzeit hinter mir und bin Meisterdieb geworden.«

Nun wohnte dicht neben seinem Vater der Amtmann. Der besaß ein herrliches Schloß und so viel Geld, daß er's nicht zählen konnte. Und dann hatte er noch eine Tochter, und die war ungemein schön. Die wollte nun der Meisterdieb gern haben und sagte zu seinem Vater, er solle zum Amtmann gehen und ihn darum bitten.

»Sollte er dich fragen, was für ein Handwerk ich betreibe, so sage, ich sei Meisterdieb!«

»Ich glaube, du bist toll und verrückt!« rief der Mann. »Klug kannst du unmöglich sein, wenn du solche Narrheit im Kopf hast!« Ja, er solle nur zum Amtmann gehen und ihn um die Hand der Tochter bitten; da wäre nichts anderes zu machen, sagte der Bursche.

»Das tu ich mein Lebtag nicht«, rief der Vater. »Wie kann ich wohl zum Amtmann laufen, der soviel Geld hat, und für dich um seine Tochter bitten? Das geht nicht!« Es half aber nichts, er sollte hin, und gehe er nicht im Guten, müsse es mit Gewalt geschehen, sagte der Meisterdieb. Da ging der Vater los und kam jammernd zum Amtmann.

»Was fehlt dir?« fragte der. Da erzählte ihm der Mann, er habe drei Söhne, die eines Tages losgezogen seien. Und er hätte ihnen erlaubt zu wandern, wohin sie wollten, und zu lernen, wozu sie Lust hätten. »Nun ist der jüngste zurückgekommen und will mit aller Gewalt, ich soll bei dir für ihn um deine Tochter anhalten; und ich soll sagen, er wäre ein Meisterdieb!« jammerte der Mann.

»Gib dich zufrieden!« lachte der Amtmann. »Grüß deinen Sohn von mir und sage ihm, erst soll er Proben seiner Geschicklichkeit ablegen. Kann er den Sonntagsbraten vom Spieß aus meiner Küche stehlen, wenn alle meine Leute darauf aufpassen, soll er meine Tochter haben!«

Mit diesem Bescheid kam der Vater zu seinem Sohn zurück. Der aber meinte, das sei ein Leichtes. Er beschaffte sich drei lebende Hasen, steckte sie in einen Sack und hängte sich Lumpen um, so daß er armselig aussah. Dann schlich er sich am Sonntag wie ein Betteljunge mit dem Sack auf die Diele des Amtmanns. Der und alle seine Leute waren aber in der Küche, um auf den Braten achtzugeben. Nun ließ der Bursche einen Hasen aus dem Sack hüpfen. Der sprang – hast du nicht gesehen! – fort und auf dem Hof herum, daß eine Höllenwirtschaft entstand.

»Seht den Hasen!« riefen die Leute in der Küche und wollten ihn fangen. Der Amtmann erspähte ihn auch und sprach: »Ach, laßt ihn laufen! Es nützt nichts, Hasen im Sprung zu fassen!«

Kurz danach ließ der Bursche den zweiten Hasen heraus. Die Leute in der Küche glaubten, es sei noch derselbe und wollten ihn wieder fangen. Aber der Amtmann meinte, es werde doch nichts nützen. Danach ließ der Jüngling den dritten Hasen los. Der sprang – die kreuz, die quer – auf dem Hof herum. Die Leute meinten, es sei immer noch der erste und wollten wieder hinaus, um ihn zu fangen.

»Das ist mir ja ein seltsamer Hase!« sprach der Amtmann. »Kommt, Leute, laßt uns sehen, ob wir ihn erwischen!« Er lief hinaus, der Hase voran, die andern hinterdrein, daß ein Mordsspektakel losbrach. Unterdessen zog der Meisterdieb den Braten vom Spieß und verschwand. Wo der Amtmann einen Braten zum Mittag herbekam, weiß ich nicht. Soviel aber war gewiß, daß es kein Hasengericht wurde, obwohl er gerannt war, daß ihm der Schweiß von der Stirn tropfte.

Mittags kam der Pastor aufs Schloß, und als der Amtmann erzählte, wie ihn der Meisterdieb genarrt hatte, machte der sich darüber lustig und wollte sich schier totlachen. »Ich weiß nicht: Nie würde ich mich von einem solchen Kerl foppen lassen!« rief der Pfarrer.

»Ja, nimm dich in acht«, sagte der Amtmann, »vielleicht ist er eher bei dir, als du denkst!« Der Pastor aber lachte immer noch über den Amtmann, weil der sich hatte an der Nase herumführen lassen. Nachmittags kam der Meisterdieb und wollte die Tochter zur Frau, wie es der Amtmann versprochen hatte.

»Ja, zeige mir erst noch mehr Proben deines Könnens!« sagte der Amtmann und gab ihm gute Worte. »Dein Kunststück heute war nicht der Rede wert! Sieh zu und spiel dem Pfarrer einen Streich! Da drinnen hockt er und macht sich über mich lustig, weil ich mich von einem wie dir foppen ließ!«

Der Meisterdieb meinte, das sei nicht schwierig, ging fort und traf seine Anstalten. Er verkleidete sich als Vogel, hängte sich ein weißes Laken um, band sich Gänseflügel auf den Rücken und kroch auf einen Ahornbaum, der im Garten des Pastors stand. Als der abends heimkam, rief der Bursche vom Baum herunter:

»Herr Lars! Herr Lars!« – So hieß der Pastor.

»Wer ruft da?« fragte dieser erschrocken.

»Ein Engel bin ich, ausgeschickt vom lieben Gott, dir zu verkünden, daß du lebend ins Himmelreich kommst – wegen deiner Frömmigkeit!« rief der Meisterdieb. »Sei nächsten Montag reisefertig! Dann komme ich und hole dich in einem Sack! Lege aber dein Gold und Silber und die anderen Besitztümer dieser Welt auf einen Haufen in deiner großen Stube!«

Herr Lars fiel auf die Knie und dankte dem Engel. Am Sonntagmorgen predigte er von der Kanzel herab, auf dem großen Ahornbaum in seinem Garten sei ihm ein Engel erschienen, der ihn wegen seiner Frömmigkeit lebend in den Himmel bringen wolle. Und er deutete den Leuten das Wort Gottes so inbrünstig, daß alle in der Kirche weinen mußten.

Am Montag kam der Meisterdieb wieder in Engelsgestalt; und der Pastor sank auf die Knie, betete und dankte ihm, bevor er in den Sack gesteckt wurde. Als er drinnen war, schleppte der Meisterdieb den Sack über den Erdboden, über Stock und Stein.

»Au, du!« schrie der Pastor im Sack. »Wo bin ich?«

»Auf dem engen Weg ins Himmelreich!« sagte der Meisterdieb und zog den Sack immer weiter, daß dem Pfarrer die Rippen im Leib krachten. Zuletzt warf er ihn in den Gänsestall des Amtmanns. Da flogen die Tiere auf und fingen an zu zischen und zu beißen. Und der Pfarrer im Sack war mehr tot als lebendig.

»Au, du! Wo bin ich jetzt?« rief er.

»Im Fegefeuer, um geläutert zu werden fürs ewige Leben!« rief der Bursche, ging hin und holte sich alles Gold und Silber und die kostbaren Sachen, die der Pastor in seiner großen Stube aufgehäuft hatte. Am Morgen, als das Gänsemädchen kam und die Tiere herauslassen wollte, hörte sie den Pfarrer im Sack jammern.

»Sagt mir um Gottes willen, wer Ihr seid und was Euch fehlt«, sprach sie.

»Ach«, rief der Pfarrer, »bist du ein Engel vom Himmel, so laß mich heraus und schicke mich wieder zurück auf die Erde! Hier ist's ja schlimmer als in der Hölle! Tausend Teufel zwicken mich mit ihren Zangen!«

»Ich bin, Gott beßre es, kein Engel«, sagte das Mädchen und half dem Pfarrer aus dem Sack. »Ich hüte bloß die Gänse unseres Amtmanns. Das sind wohl die Teufel, die Euch zwickten, Gevatter!«

»Oh, das hat dieser Meisterdieb getan! Oh, mein Gold, mein Silber, meine schönen Kleider!« schrie der Pastor und lief jammernd heim, so daß das Gänsemädchen meinte, er habe den Verstand verloren.

Als der Amtmann die Geschichte vernahm und hörte, wie der Pfarrer auf dem engen Weg zum Himmel und im Fegefeuer gewesen war, wollte er sich schier totlachen. Als aber der Meisterdieb kam und seine Tochter haben wollte, schwatzte er ihm süß vor und sagte:

»Leg erst eine Probe ab, die noch besser ist, damit ich recht erfahre, wozu du taugst! Zwölf Pferde stehen in meinem Stall; darauf will ich zwölf Knechte setzen, einen auf jedes! Kannst du ihnen die Pferde unter dem Hosenleder wegstehlen, will ich sehen, was ich für dich tun kann!«

»Das ließe sich schon machen«, sagte der Meisterdieb. »Bekomme ich dann aber auch gewiß deine Tochter?«

»Ja, kannst du das, so will ich mein Bestes tun«, sagte der Amtmann.

Der Meisterdieb begab sich jetzt zu einem Krämer und kaufte zwei Flaschen Branntwein, aber in die eine goß er einen Schlaftrunk. Dann bestellte er sich elf Knechte, die mußten sich in der Nacht hinter der Scheune des Amtmanns verstecken. Für Geld und gute Worte handelte er bei einer Alten einen löchrigen Weiberrock und eine Jacke ein, womit er sich als altes Weib verkleidete. Dann nahm er einen Stock zur Hand und einen Sack auf den Rücken. Und als es Abend wurde, hinkte er zum Stall des Amtmanns. Da tränkten die Leute eben die Pferde zur Nacht und hatten alle Hände voll zu tun.

»Was, zum Teufel, willst du denn hier?« sagte ein Stallknecht zu der vermeintlichen Alten.

»Hutetu, es ist so kalt draußen«, jammerte die und klapperte mit den Zähnen. »Laßt mich ein wenig bei euch im Stall unterkriechen!«

»He, plagt dich der Satan? Pack dich fort!« rief der Knecht. »Sieht dich der Amtmann hier, läßt er uns tanzen!«

»Ach, laß doch die arme Alte hier!« sagte ein anderer, der Mitleid mit ihr hatte. »Soll sie im Stall sitzen! Sie tut keinem etwas zuleide!«

Die andern aber meinten, daraus dürfe nichts werden, und während sie noch darüber stritten und die Pferde tränkten, kroch der Meisterdieb immer weiter in den Stall, schlüpfte durch eine Tür, so daß ihn keiner mehr beachtete.

Nachts wurde es den Leuten ziemlich eisig, so still und unbeweglich auf den Pferden zu sitzen. »Hu, hier ist's teuflisch kalt«, meinte einer und schlug die Arme um den Leib.

»Wenn man wenigstens ein bißchen Tabak hätte«, meinte ein anderer. Ein dritter hatte ein Päckchen, und das teilten sie, und sie kauten und spuckten, und es half. Aber bald froren sie noch ärger als zuvor.

»Hutetu«, sagte einer und schüttelte sich.

»Hutetu«, rief auch die Alte, klapperte mit den Zähnen und holte ihre Flasche Branntwein hervor. So heftig zitterte ihr die Hand, daß es in der Flasche schwappte, und als sie trank, sagte es gluck in ihrem Hals.

»Was hast du in der Flasche?« fragte ein Stallbursche.

»Ach, nur ein Tröpflein Branntwein«, sprach sie.

»Was, Branntwein? Her damit!« riefen alle.

»Wenig nur hab ich; nicht mal naß wird euch der Mund davon!« zeterte sie. Doch es half nichts; alle wollten einen Schluck. Da