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Ein besonderes Ereignis: die schönsten Weihnachtsgeschichten der letzten vier Jahrzehnte versammelt in einem Band. Eine Tradition feiert Geburtstag! Seit 40 Jahren lesen wir voller Vorfreude und Besinnlichkeit die «Weihnachtsgeschichten am Kamin». Mit ihnen beginnt die schönste Jahreszeit, mit ihnen hält der Geist der Weihnacht Einzug in Stuben, Küchen und Kinderzimmer. Sie erzählen vom Geist der Weihnacht: von Versöhnung, Verständigung und Nächstenliebe, von Erinnerungen an muntere, aber auch schwierige Weihnachtsfeste im Kreise der Lieben – davon, was Weihnachten für uns bedeutet. Barbara Mürmann hat die besten Geschichten für diesen Band zusammengestellt, viele sind heute nicht mehr zugänglich. Eine nostalgische Erinnerung für die langjährigen Fans und Sammler:innen. Und für alle, die Weihnachten lieben.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Barbara Mürmann (Hg.)
Ausgewählt von Barbara Mürmann
Ein besonderes Ereignis: die besten Weihnachtsgeschichten der letzten vier Jahrzehnte versammelt in einem Band
Eine Tradition feiert Geburtstag! Seit 40 Jahren lesen wir voller Vorfreude und Besinnlichkeit die «Weihnachtsgeschichten am Kamin». Mit ihnen beginnt die schönste Jahreszeit, mit ihnen hält der Geist der Weihnacht Einzug in Stuben, Küchen und Kinderzimmer. Sie erzählen von Versöhnung, Verständigung und Nächstenliebe, von Erinnerungen an muntere, aber auch schwierige Weihnachtsfeste im Kreise der Lieben – davon, was Weihnachten für uns bedeutet.
Ein kostbarer Schatz und ein wunderbares Geschenk für alle Fans der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» und für die, die es noch werden!
Für Barbara Mürmann ist als Herausgeberin der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» das ganze Jahr Weihnachten. Zum Glück, denn sie liebt dieses besondere Fest. Seit vielen Jahren besorgt sie mit Hingabe und Sorgfalt die Auswahl für die erfolgreiche Anthologie. Barbara Mürmann, geboren in Goslar, lebt in Hamburg. Dort leitet sie den Arezzo Musikverlag.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Mitarbeit Marie Lorenzen
Covergestaltung Cordula Schmidt Design, Hamburg
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-02469-4
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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www.rowohlt.de
Herzlichen Glückwunsch zum 40. Geburtstag der «Weihnachtsgeschichten am Kamin», liebe Autorinnen und Autoren, liebe Leserinnen und Leser. Vierzig Jahre - das soll Ihnen erst einmal jemand nachmachen!
Die Geschichte der inzwischen ältesten und, so will ich meinen, wohl auch der beliebtesten Weihnachtsanthologie, die es derzeit auf dem deutschsprachigen Buchmarkt gibt, begann vor mehr als vierzig Jahren, als der NDR zur Adventszeit die Sendung «Geschichten am Kamin» ausstrahlte. Die von Hörerinnen und Hörern an NDR 2 eingesandten Geschichten wurden von der Redakteurin Ursula Richter und dem Redakteur Wolf-Dieter Stubel für die Sendung ausgewählt und von bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern vorgelesen. Im Jahr 1986 fanden die Geschichten den Weg ins Buch; der erste Band der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» war erschienen.
Die Radiosendung gibt es seit vielen Jahren nicht mehr. Das Buch jedoch ist quicklebendig. Von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ändern sich die Geschichten, entwickeln sich mit der Zeit. So waren viele der ersten Beiträge geprägt durch die Erinnerungen an schwierige Kriegs- und Nachkriegsjahre. Heutzutage werden häufiger Konsum, Handygebrauch und die wahre Bedeutung von Weihnachten thematisiert.
Was jedoch immer gleich geblieben ist, das ist der Charakter. Die «Weihnachtsgeschichten am Kamin» geben Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Möglichkeit, Ihre eigene Geschichte zu erzählen, sei sie nun frei erfunden oder selbst erlebt. Und das ist das Besondere an dieser Anthologie.
Es war nicht leicht, für diesen Jubiläumsband eine Auswahl zu treffen. So viele Geschichten sind mir sehr ans Herz gegangen, ob sie nun fröhlich jubilierend oder nachdenklich stimmten oder auch einmal Trauriges mitzuteilen hatten. Aber wären alle Highlights in diesem Buch erschienen, dann wäre es so dick und schwer geworden, dass Sie es nicht hätten tragen können. Das wollte ich Ihnen lieber ersparen.
Dieses Jubiläum gehört also Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, denn ohne Sie gibt es keine «Weihnachtsgeschichten am Kamin». Bitte schreiben Sie auch in Zukunft so fleißig und so wunderbar weiter. Ich freue mich jedenfalls schon jetzt, im Hamburger Hochsommer 2025, auf die Einsendungen für den nächsten Band der «Weihnachtsgeschichten am Kamin».
Mit herzlichen Grüßen
Ihre Barbara Mürmann
Thoralf Schirmer
Wenn die Stiegen wieder knarzen
und im Zimmer brennt ein Licht,
wenn die Tannenzweige harzen,
dann ist Weihnacht, oder nicht?
Wenn es glitzert in den Gassen,
wenn’s im Kaufhausfenster schneit,
wenn es klingelt in den Kassen,
ist sie das, die Weihnachtszeit?
Wenn die Herzen Pfefferkuchen
und die Lieder Zucker sind,
wenn die Nachbarn Palma buchen,
ist dann Weihnachten, mein Kind?
Wenn im Socken am Kamine
sanft zerschmilzt ein Schokomann
und es platzt die Apfelsine,
wann ist Weihnacht, wenn nicht dann?
Was da flucht wie ein Klabauter,
was da stampft zur Tür herein,
dick und drohend, soll der Krauter
mit dem Sack die Weihnacht sein?
Wenn der Lärm der frohen Seele
endlich mitternachts verstummt,
ist es Weihnacht, weiße Weihnacht,
was im Eise leise summt?
Wenn am Himmel tausend Sterne
und auch einer dir erglimmt,
dann ist stille, heil’ge Weihnacht,
die ist nur für dich bestimmt.
Martina Tischlinger
Unsere Kirche war mit Abstand die schönste von den beiden in unserem Ort. Den Herrn Pfarrer mochte ich gerne, weil er bei der Predigt immer ein so ehrfürchtiges Gesicht machte und mir, aber nur ganz alleine mir, ab und zu ein Zwinkern mit dem linken Auge schenkte. Einer seiner Gottesdienste jedoch bleibt mir ewig in Erinnerung. Der am 23. Dezember 1968.
Gemeinsam mit dem Herrn Pfarrer Tiefschuh begannen alle zu singen. Ich allerdings bewegte meine Lippen nur, denn meine Augen schweiften immer wieder ab, hin zu dem Jesuskind in der Krippe. Ihm ging es wie mir. Wir hockten, vielmehr der Herr Jesus lag, auf hartem Holz, und uns beiden war schrecklich kalt. Etwas Stroh wärmte ihn, aber obenherum war er ganz nackig. Die Geschichte aus dem Kindergarten stimmte auch nicht. Denn Ochs und Eselein hauchten gar nicht. Mir krabbelte die Kälte von den Zehen bis zu den Knien rauf. So begann ich mit den Beinen zu baumeln, damit sie mir nicht abfielen. Baumelte noch mehr und schlug mit den Stiefeln gegen die Holzbank. Und als der Herr Pfarrer Tiefschuh «Amen» sagte, sprang ich hoch und rief laut mitten in die Sankt-Georgs-Kirche aus tiefster Seele auch «Amen».
Der Herr Pfarrer hat geschmunzelt und meine Mutter mich sanft auf die Bank zurückgedrückt. Nach dem Gottesdienst schritten die Erwachsenen langsam und nachdenklich aus der Kirche. Mein Blick jedoch haftete noch immer an dem Jesuskind. Das konnte man doch nicht einfach so zurücklassen, und das einen Tag vor Weihnachten! Ehrlich, ich wollte es nicht, aber ich habe, zuvor noch einmal nach rechts und links guckend, den Herrn Jesus in meine Anoraktasche gesteckt und bin schnell meinen Eltern mit einer Unschuldsmiene nachgelaufen. Meine Mutter kochte Linsensuppe, mein Vater blätterte zu Hause in einer Zeitung. So blieb mir etwas Zeit, das Jesuskind in Sicherheit zu bringen. Behutsam setzte ich es auf mein Bett. Es sah aber recht verloren darin aus. Darum entschieden der Herr Jesus und ich, dass der geeignetste Ort mein Puppenhaus sei. Die Frau Fischer, meine Lieblingspuppenhauspuppe, quartierte ich in die Küche um und wickelte den Herrn Jesus in ein Tempotaschentuch, damit er nicht wieder so frieren musste. Auf dem Sofa im zweiten Stock ließ ich ihn erst einmal ausruhen. Richtig genießen konnte ich die gute Linsensuppe an diesem Tag nicht, weil ich daran denken musste, dass das Jesuskind einsam und hungrig, weit weg von seiner Kirche, in meinem Puppenhaus lag. Was nun der Herr Jesus gerne isst, wusste ich nicht so genau und entschied mich für einige Schokoladenplätzchen, die wir uns teilten. Beim Essen kamen wir richtig schön ins Plaudern. Ich erzählte von meiner Heimatkundeaufgabe und von den Religionsstunden, da ich mir sicher war, dass, wenn einer sich am besten damit auskannte, es außer dem lieben Gott Jesus war. «Zeit fürs Bett, schlüpf unter die Decke.» Meine Mutter. Ungewöhnlich schnell folgte ich und kniff die Augen zu. Kaum war sie aus dem Zimmer, gab ich ihr «In-die-gute-Nacht-Schicken» an das Jesuskind weiter. Ich küsste es auf die Stirn und betete mit ihm: «Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.»
Doch gut schlafen konnte ich nicht. In der Nacht quälte mich etwas in meinem Herzlein und auch noch im Bauch. Ich knuddelte und knuffelte mit meinem Kopfkissen. Aber es wollte nicht fort, mein schlechtes Gewissen. Durfte ich das Jesuskind ganz alleine für mich haben? Die anderen Kinder und auch die großen Menschen, würden sie nicht schrecklich traurig sein, wenn morgen an Heiligabend das Jesuskind nicht mehr da war?
Der Abschied fiel mir wirklich sehr schwer. Auf dem Weg zur Kirche versprach ich, regelmäßig zu Besuch zu kommen und dass wir immer Freunde bleiben würden. Gerade wollte ich das Jesulein zurück in die Krippe legen …
«Was machst du denn da?» Fast hätte ich den Herrn Jesus auch noch fallen lassen! Ein großer Mann mit buschigen Augenbrauen und einem gekräuselten Bart um sein Gesicht – und das alles verzog sich furchteinflößend – stand vor mir.
Ach du Schreck, es war der liebe Gott, der mich gerade beim Diebstahl seines Sohnes erwischt hatte.
«Ich wollte es doch nur anschauen, das Christuskind.» Aber der liebe Gott hatte mich durchschaut, und so erzählte ich ihm die ganze Wahrheit. Und der hat so laut gelacht, dass es fürchterlich hallte und ich Angst um unseren Kirchturm und die Glocken bekam. «Komm ich trotzdem in den Himmel», bat ich. Der Mesner nickte. «Du bestimmt. Und jetzt geh nach Hause zu deinen Eltern. Auf das Jesuskind passe ich für dich einstweilen auf.»
Noch ein persönliches Wort zur Beruhigung meiner Eltern und des lieben Gottes von mir: Ich habe niemals den Herrn Jesus, zumindest nicht aus einer Kirche, geklaut.
Aber seltsam, fast dreißig Jahre später, bin ich in derselben Kirche noch einmal mit dem Herrn Jesus direkt zusammengetroffen. Ich durfte im Kindergottesdienst die Weihnachtsgeschichte vorlesen. Hatte ich noch nie gemacht, und so geschah, was nur mir passieren konnte. Gerade auf dem Weg zur Kanzel fiel der Strom aus. Kein Licht, kein Mikrophon mehr – und es war wie eh und je sehr kalt. Ich suchte in meiner Not nach Halt, erwischte das fast zwei Meter hohe Holzkruzifix. Es war nur dürftig am Boden befestigt. Wir kamen ins Schwanken. Aber der Herr Jesus ließ mich nicht fallen. In der Kirche wurde wieder Licht. Und aufrecht stehend las ich den Kindern von ihm vor. Seine Hilfe – vielleicht ein Dankeschön für die Nacht in meinem Puppenhaus?
Renate Müller-Pieper
Wir sind einander nicht sehr nahe gewesen in den letzten Jahren ihres Erwachsenseins, unsere früher so anhängliche Tochter Franziska und wir, ihre Eltern. Gelegentlich kurze Telefonate. Seltene, flüchtige Besuche beiderseits, hin und wieder ein steifes Zusammentreffen bei Familienvorhaben, wie etwa vor elf Wochen zu ihrer eigenen Hochzeit, bei der wir Eltern etwas fremd am Rande standen. Die meisten der lachenden Gäste kannten wir nicht.
Zuerst schien uns die Entfremdung zu Franziska unwirklich, schien nur ein Spuk zu sein. Je mehr Wochen, Monate, Jahre jedoch vergingen, desto unumkehrbarer schien dieser absurde, quälende Zustand, der zu unserer neuen «Normalität» wurde. All das, was wir mit Kopfschütteln und Bedauern gelegentlich bei anderen Familien beobachtet hatten, widerfuhr uns nun selbst: abrupter, finanziell nicht gesicherter Auszug unserer Tochter, ein inzwischen wieder verschwundener dominanter Liebhaber, immer weniger Gemeinsamkeiten. Kritische Distanz.
Am 1. Dezember vorigen Jahres aber überrascht mich, nach dem allmorgendlichen Gang zu Zeitung und Sesambrötchen, oben am Türrahmen zu unserem Wohnzimmer eine wohl bekannte rot glänzende Kordel, die von einer Seite zur anderen locker gespannt ist. Ich lege meine Einkäufe auf dem halbrunden Biedermeiertischchen unter dem Spiegel ab, trete, noch mit Wintermantel, Wollmütze und Schal, dicht an diese Kordel heran. Ich greife nach einem der vierundzwanzig von der Kordel herunterbaumelnden Samtbeutelchen, jenem mit der Nummer 1 aus kleinen goldfarbenen Perlen. Tatsächlich! Vor mir prangt die Adventskette aus Franziskas Kindheit, die ich neben erzgebirgischen Weihnachtsengeln, bunten Kugeln, Strohsternen und roten Schleifen in unserer Weihnachtskiste im Keller aufbewahre.
Erstaunt und neugierig löse ich das Säckchen ab und lasse mich auf die untere Stufe der Treppe zum ersten Stock fallen. Vor meinem inneren Auge ziehen die Vorweihnachtsbilder lange zurückliegender Jahre vorbei. Diese Adventskette habe ich damals selbst angefertigt und Jahr für Jahr die vierundzwanzig Beutelchen gefüllt. Mit den heiß begehrten Marzipankartoffeln, Elisenlebkuchen, Zimtsternen und – Radiergummis. An den Adventssonntagen mit Eintrittskarten fürs Weihnachtsmärchen im Opernhaus, für das Marktkirchenkonzert des Knabenchors oder für einen Besuch bei Affen, Löwen und Schlangen im Zoo.
Einmal, ich erinnere mich genau, war meine Tochter beinah zu spät zum Unterricht erschienen, weil sie unbedingt noch ein Adventsbeutelchen öffnen wollte, ehe sie die Haustür hinter sich zuschlug. Und eines späten Mittwochabends habe ich zufällig gesehen, dass Franziska das für den nächsten Samstag bestimmte Säckchen schon öffnete, hineinsah, die Hälfte der Süßigkeiten herausnahm und dann den Beutel eilig wieder zuzog.
In dem folgenden Jahr füllte ich die Beutel immer erst am frühen Morgen. Über den Grund haben wir nie gesprochen, Blicke und ein wissendes Schmunzeln genügten.
Auf der harten Treppe wird es mir inzwischen ungemütlich. Noch halb in Gedanken stehe ich auf, lege Mantel, Mütze und Schal ab und setze mich mit meinem unverhofften Adventsschatz auf das burgunderrote Sofa im Wohnzimmer. Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich endlich einen vorsichtigen Blick in das Beutelchen werfe und einen mehrfach gefalteten kleinen Bogen weißen Papiers herausziehe. Mit silberfarbenem Glitzerstift ist darauf von Franziska eine HERZLICHE EINLADUNG an meinen Mann und mich ausgesprochen, für diesen Abend des 1. Dezember, um 19 Uhr, zu einem winterlichen Überraschungsessen. In der gerade bezogenen Wohnung von Tochter und Schwiegersohn. Ich lese noch einmal, was da geschrieben steht, sage beschwingt eine anderweitige Verabredung ab und informiere meinen Mann telefonisch.
Wann haben mir Honigbrötchen, schwarzer Kaffee, Joghurt und Appenzeller Käse an einem Dezembermorgen jemals so vortrefflich gemundet wie in dieser Stunde?
«Seid willkommen!», strahlen unsere Kinder am Abend vor einem festlich gedeckten langen Tisch mit leuchtenden hohen Kerzen. Wir umarmen einander lange und wie selbstverständlich. An jedem folgenden Dezembermorgen also eine Freude an der Adventskette! Eine oft kindliche Freude für Eltern. Wir naschen Geleefrüchte, Baiserkringel, Vanillekipferl und Schokoladenweihnachtsmännlein.
Und wir sind begeistert von der Einladung zu einer Boulevard-Komödie im Neuen Theater und zum Weihnachtsoratorium in der Marktkirche.
«Aber», meint mein Mann jeden Tag, «die Überraschung vom 1. Dezember ist nicht zu überbieten.» Ob er damit recht behält?
Am 24. Dezember blicken wir zurück auf eine Adventszeit vieler kleiner unverhoffter Geschenke, auf harmonische Familientreffen und gemeinsame Unternehmungen.
Das letzte Beutelchen von der Adventskette! Das mit der Nummer 24. Ich öffne es, ziehe ein gerolltes, weiß glänzendes Papier heraus und glätte es.
Irritiert sehen mein Mann und ich auf schwarze Zeichen und Linien. Dann lesen wir die wenigen von unserer Tochter angefügten Worte: «ULTRASCHALLAUFNAHME! Der weiße Punkt in der schwarzen Höhle, liebe Großeltern, wird euer Enkelkind!»
Ursula Wiemer-Angerer
Alle Spielzeughändler, -museen und -sammler behaupten, der Teddybär sei zu Anfang unseres Jahrhunderts in einer heute sehr bekannten württembergischen Plüschtierfabrik erfunden worden. Dies ist die offizielle Geschichte, wie sie Erwachsene erzählen.
Dabei weiß doch jedes Kind, dass das allererste Modell eines jeden guten Spielzeugs in der himmlischen Werkstatt des Weihnachtsmannes entworfen, gebaut und getestet wird. Ballermänner, Kriegsspielzeug, Videospiele und dergleichen gehören natürlich nicht dazu. Die sind Menschenwerk und können Kinder nicht wirklich glücklich machen.
In einem Herbst vor vielen Jahren, als in der Werkstatt des Weihnachtsmannes wieder einmal Hochbetrieb herrschte, wurde ein kleiner dicker Engel namens Ted als Hilfskraft dorthin geschickt. Zuvor war Ted in der Weihnachtsbackstube gewesen, wo man ihn aber nicht gern behalten wollte, da er ständig vom Teig und von den fertigen Plätzchen naschte.
Ted war nicht der Fleißigste und nicht der Flinkste. Er aß für sein Leben gern, und wenn er sich sein Bäuchlein so richtig rund gefuttert hatte, machte er am liebsten ein Nickerchen.
In der Weihnachtswerkstatt sollte Ted nun die Pinsel reinigen, die zum Bemalen von Krippenfiguren gebraucht wurden, Hobelspäne vom Fußboden fegen und für die Maler- und Schnitzerengel Brotzeit holen.
Mit letzterem hätte man ihn lieber nicht beauftragen sollen, denn natürlich holte Ted auch für sich selbst eine Riesenportion, mampfte, bis er müde war, und machte sich auf die Suche nach einem Schlafplatz.
In einer Ecke der Werkstatt lagerte weißer und brauner Zottelplüsch, aus dem die Krippenschäfchen ihr Fell bekamen, denn zu den Krippenfiguren, die hier entstanden, gehörten natürlich auch Hirten und Schafe.
Ted, der vor Müdigkeit fror, wickelte sich in ein großes Stück braunen Plüsch und fing alsbald an zu schnarchen.
Die ringsum arbeitenden Engel wurden auf das Geräusch aufmerksam. Sie folgten den seltsamen Lauten und entdeckten ein rundliches pelziges Wesen in der Ecke.
«Seht mal, ein kleiner Bär!» – «Er liegt da und brummt.» – «Ach, wie niedlich!» – «Ob man ihn anfassen darf?» So riefen sie aufgeregt durcheinander.
Sie holten den Weihnachtsmann, um ihm ihre Entdeckung zu zeigen, und der wollte natürlich wissen, wer sich das «neue Spielzeug» ausgedacht und es angefertigt habe.
Niemand meldete sich, aber alle waren hellauf begeistert von dem neuartigen Zottelbären mit Brummstimme.
Der Weihnachtsmann entschied, dass das vermeintliche Bärchen sorgsam zu den fertigen Geschenken gepackt und für ein besonders liebes Kind reserviert werde. Zuvor wolle man den Plüschgesellen aber noch genauestens untersuchen und vermessen, damit man ihn originalgetreu nachbauen und noch viele Kinder damit erfreuen könne.
Als nun die ganze Engelschar mit Maßband und Skizzenblock um ihn herumwimmelte und sich an ihm zu schaffen machte, wachte Ted erschrocken auf und warf sein Plüschfell ab.
«Aber das ist ja unser Ted!», riefen die Engel und der Weihnachtsmann erstaunt. «Und wir haben dich für einen Zottelbären gehalten.»
Zuerst hatte Ted ein schlechtes Gewissen, aber bald platzte er fast vor Stolz, als er auf dem Skizzenblock der Engel den Entwurf eines entzückenden Plüschbären mit seinen eigenen rundlichen Maßen und Formen sah.
TEDDYBÄR schrieb der Weihnachtsmann eigenhändig in großen Buchstaben darunter und verzieh Ted großmütig seine Drückebergerei.
In diesem Jahr mussten die Hirten bei den Krippen ohne Schafe auskommen. Tag und Nacht wurden in der Weihnachtswerkstatt Teddybären angefertigt, und viele Kinder unter dem Weihnachtsbaum schlossen Freundschaft fürs Leben mit ihrem neuen Plüschkameraden. Die Nachfrage wurde im Lauf der Jahre so gewaltig, dass der Weihnachtsmann mit seinen Engeln längst nicht mehr alle Wünsche nach einem Teddybären erfüllen konnte, und so kam der Entwurf aus der himmlischen Werkstatt eines Tages heimlich und über Nacht in die Plüschtierfabrik in Württemberg.
Schaut eurem guten alten Teddybären nur aufmerksam in sein treues Plüschgesicht. Auch wenn er aus der Fabrik kam, so werdet ihr doch noch heute ein kleines himmlisches Funkeln in seinen lieben Augen finden.
Bernd Finken
Obwohl in jedem Zirkus dieser Erde natürlich das Rauchen und ganz besonders offenes Feuer streng verboten ist, brannte im Stallzelt des Circus Williams-Althoff ein Mal – ein einziges Mal – eine Kerze. Und das kam so:
24. Dezember 1986, Liège, Belgien. Die Galavorstellung zum Abschluss des großen Zirkusfestivals ist beendet. Morgen soll der Abbau beginnen, doch jetzt, es ist etwa 23 Uhr, liegt tiefe, beinahe festliche Ruhe über dem Zirkusplatz. Trotz seines etwas hochtrabenden Namens, Esplanade du Longuedoz, ist der Platz ziemlich ungemütlich. Nur wenige trauen sich aus dem Wohnwagen und wenn, dann nur, um rasch wieder in einem anderen zu verschwinden.
Wir sitzen mit einer Hand voll Artisten im Wohnwagen von Clown Jacomo. Auf dem kleinen Schminktischchen leuchtet ein klitzekleiner Weihnachtsbaum. Weiß der Himmel, woher Jacomo diesen Winzling besorgt hat. Dennoch ist er mit viel Liebe geschmückt. Abgerundet wird das Bild durch Jacomos Clownnase, die neben dem Bäumchen an einem Haken baumelt: Mal wieder ein Weihnachtsfest im Zirkus.
Der Glühwein dampft in den Bechern, und das Gespräch dreht sich um das Thema, das uns allen am wichtigsten ist: Zirkus. Doch irgendwann ist das Thema erschöpft, und wir fangen an, uns vorzustellen, wie die anderen auf dem Platz wohl heute Weihnachten feiern. Plötzlich steht die Frage im Raum: «Wer hat heute eigentlich Stallwache?»
Hans hatte sich schon vor Tagen freiwillig gemeldet. Er ist der größte Einzelgänger im Zirkus und lebt nur für seine Tiere. Er kennt sie, wie ein Psychiater seine Patienten. Und die Tiere erwidern seine Liebe. Tönt seine Stimme im Stallzelt, dann richten sich die Ohren der Pferde auf, die Elefanten begrüßen ihn mit leisem Brummen und selbst Vauta, unser recht eigenwilliges Nashorn, ist erstaunlich friedlich in seiner Gegenwart. So vertraut er jedoch mit seinen Tieren ist, so zurückhaltend ist er zu den Menschen.
Wir schauen uns an. Er ist sicherlich der einzige, der heute allein ist. Sollte man nicht vielleicht …? Jacomo nimmt die Sache in die Hand: «Jeder verschwindet in seinem Camping und schaut nach, ob er nicht ’ne Kleinigkeit hat. In spätestens fünf Minuten trifft sich alles wieder bei mir. Klar?» Sonnenklar! Wir stapfen über den nassen Platz und überlegen, was wir so im Wohnwagen haben.
Fünf Minuten später sitzen wir wieder bei Jacomo und machen Inventur: Süßigkeiten, ein Pfund Kaffee, eine Wurst und ein Paar selbst gestrickte Socken. Nur Benno braucht natürlich wieder zehn Minuten. Außer Atem stolpert er in den Wohnwagen und hält sich krampfhaft die Jacke zu. Noch bevor Jacomo zu seinem berühmten Vortrag über Pünktlichkeit im Zirkus ansetzen kann, holt Benno aus seiner Jacke ein kleines, schwarzes, fiependes Bündel und setzt es vorsichtig neben das Weihnachtsbäumlein. «Dugena hat Junge bekommen und da dachte ich …, na ja, wo er doch Tiere so liebt!»
Benno befasst sich neben haarsträubender Artistik unter der Zirkuskuppel besonders mit Hunden. Seine Hundenummer ist für ihn Ausgleich und Altersversorgung zugleich, denn Artisten mit Luftnummern gelten schon mit vierzig Jahren als «alte Herren».
Wir sind begeistert! Mit kindlicher Vorfreude verpacken wir unsere Gaben. Jacomo ergreift dann wieder das Kommando: «Jeder schnappt sich ein Paket und folgt mir. Aber etwas Ruhe, wenn ich bitten darf, Herrschaften!»
Und kurz danach bewegt sich die wohl seltsamste Prozession, die es je auf einem Zirkusplatz gegeben hat, in Zickzacklinien um die Pfützen herum über den Platz. Wir stehlen uns ins Stallzelt und bleiben einen Moment stehen, um unsere Augen an das gedämpfte Licht zu gewöhnen. Da sitzt er, unser Hans: auf einem Strohballen vor der Warmluftöffnung der Heizung des Stallzeltes. Langsam dreht er sich um und schaut uns fragend an. Irgendwie kommen wir uns plötzlich etwas albern vor, und keiner bewegt sich von der Stelle. Selbst Jacomo kommt etwas aus dem Rhythmus: «Weißt du, wir dachten, dass du hier ziemlich allein bist und – ach was –», er geht auf Hans zu und stellt, eine Idee zu schnell, sein Paket vor ihn auf den Boden: «Fröhliche Weihnachten!»
Jetzt kommt Bewegung in unsere kleine Truppe. Einer nach dem anderen übergibt sein Päckchen und Benno drückt Hans den mit Schleifchen weihnachtlich dekorierten kleinen Hund in den Schoß. Hans sitzt immer noch bewegungslos auf seinem Strohballen und sagt leise: «Was ist denn in euch gefahren?» Jacomo hat einen neuen, überall passenden Ausspruch gefunden und wischt damit alle Fragen, Erklärungen und Dankesbezeugungen vom Tisch: «Ach was!» Wir bauen einen Halbkreis von Strohballen um die Heizung, Jacomo zaubert eine Thermosflasche mit Glühwein aus seinem Mantel, und wir machen es uns im Stallzelt gemütlich. Hans packt seine Geschenke mit leuchtendem Gesicht aus, und wir sitzen dabei und freuen uns wie die Schneekönige.
Und da brennt ein Mal, ein einziges Mal, im Stallzelt des Circus Williams-Althoff eine Kerze.
Rosemarie Hahn
Ein Tag voller Hektik geht zu Ende. Die Büroarbeit muss – wie so oft – in den Abendstunden erledigt werden. Ich schaue auf die Uhr. Gleich elf.
«Kommst du?», rufe ich meinen Mann.
«Später», antwortet er. «Du weißt doch, die Inventur.»
Auf dem Weg ins Bad höre ich ihn fragen: «Welches Datum haben wir heute?»
«Ich glaube, den 29.», antworte ich.
«Aber warte, ich schau mal nach.»
In der Küche bleibe ich wie gebannt vor dem Kalender stehen.
Nein! Heute ist schon der 30. November. Ach, du lieber Himmel! Ich habe es vergessen.
«Welches Datum?», ruft mein Mann ungeduldig.
«Der 30.», antworte ich kleinlaut. «Leider.»
«Wieso leider?», fragt er.
«Hast du daran gedacht?», entgegne ich. «Morgen ist der 1. Dezember. Ich habe nichts für die Pantoffeln der Kinder.»
Dieses heimliche «Was-in-die-Schuhe-Schieben», bis in die Spitzen, damit die Überraschung ja nicht zu früh entdeckt wird. Jedes Jahr, die Zeit vom 1. bis zum 6. Dezember, wenn der Nikolaus kommt.
Und jetzt? Was mach ich nur? Welchen Ersatz biete ich an? Ersatz? Den gibt es dafür nicht.
Erwartet und geliebt wird das in gold- und silberfarbenes Stanniolpapier eingewickelte Naschwerk mit den bunten, kitschigen Weihnachtsmotiven, dessen Verpackung teurer ist als ihr Inhalt.
«Und so was darf sich Schokolade nennen», schimpft mein Mann Jahr für Jahr, weil immer etwas kleben bleibt, wenn das Zuckerzeug über seine (sieben?) Brücken geht.
Einen Hoffnungsschimmer habe ich! Vielleicht stehen die Pantoffeln nicht vor den Türen. Denn das ist die Regel: keine Pantoffeln – keine Überraschung.
Im Kindergartenalter gingen abends vor dem Einschlafen die Kinderzimmertüren mindestens zweimal auf, um nachzuschauen, ob die Pantoffeln noch da sind oder ob der Nikolaus schon eine Süßigkeit hineingelegt hatte.
Und heute? Tobias ist zehn, Daniel dreizehn. Vom Nikolaus haben die beiden in den letzten Tagen nicht gesprochen. Wahrscheinlich ist es ihnen nicht mehr so wichtig, versuche ich mich zu beruhigen, als ich die Treppe zu den Schlafzimmern hinaufgehe.
Vor Daniels Tür – nichts. Erleichtert schaue ich eine Tür weiter. Und da thronen sie, mitten vor der Tür, sorgfältig nebeneinander, liebevoll hingestellt.
«Nimm doch Duplos!» Die Stimme meines Mannes, der in den Schränken von Wohnzimmer und Küche nach etwas Weihnachtsähnlichem kramt, reißt mich aus meinen Gedanken.
Duplos … Was haben Duplos mit Weihnachten zu tun?
Ich eile in die Küche. Mein Blick fällt auf die Obstschale. Mandarinen! Ja, das geht. Ich bin gerettet – glaube ich.
Am nächsten Morgen hält sich Tobias’ Begeisterung in Form von «Ich red heut nicht mit euch» in Grenzen. Erklärungen meines Mannes, dass er sich mit zehn Jahren in der Nachkriegszeit über Mandarinen sehr gefreut hätte, helfen über die sichtbare Enttäuschung nicht hinweg.
Daniel, dem dieser Zirkus auf den Wecker geht, meint zu seinem Bruder: «Mann, cool bleiben! Du stellst deine Latschen heute Abend doch sowieso wieder raus.» Ich werfe Daniel einen dankbaren Blick zu.
«Vergiss bloß nicht den Weihnachtskram!», rufe ich meinem Mann, der nach dem Frühstück den Einkaufszettel mitgenommen hat, hinterher.
Nachmittags geht Tobias verdächtig oft in die Küche, öffnet Schubladen und Schranktüren, um herauszufinden, ob die Sache mit dem heimlichen Nikolaus am kommenden Morgen für ihn gut ausgeht.