Die Schrecken der Prärie - Berndt-Olov terFehn - E-Book

Die Schrecken der Prärie E-Book

Berndt-Olov terFehn

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Beschreibung

Wie war es vor über hundertfünfzig Jahren im Westen der USA, als die Wölfe noch die Herren der Prärie waren und die Farmer einen harten, erbarmungslosen und oft verzweifelten Kampf gegen sie führen mussten. Als der Richard Shane und seine Familie nach dem Westen Amerikas aufbrechen, um dort ein Stück Neuland zu erwerben um eine Farm aufzubauen, muss Sohn Harry wegen der Wölfe von seinem geliebten Schäferhund Tip Abschied nehmen. Es heißt, dass Schäferhunde die Wölfe anlocken und mir ihnen laufen. Dennoch gibt es ein Wiedersehen der beiden. Lange Zeit sind sie danach unzertrennliche Gefährten im Kampf gegen die Wölfe , bis ein Ereignis eintritt, das die bösen Vermutungen zu bestätigen scheint. Gibt es noch eine Rettung für Harrys Freund? Diese Erzählung aus der Siedlungszeit Amerikas hat alle Qualitäten, die man von einem spannenden Tier- und Abenteuerbuch erwarten kann. Berndt-Olov terFehn ist das Pseudonym eines norddeutschen Schriftstellers, der viele Jahre als Steuermann, Erster Offizier und Kapitän zur See gefahren ist.

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Seitenzahl: 201

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Berndt-Olov terFehn

Die Schrecken der Prärie

Impressum

 

 

 

 

 

 

Die Schrecken der Prärie

 

 

 

 

Berndt-Olov terFehn

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright: Betts & Atterberry im vss-verlag

Jahr: 2023

 

 

 

Lektorat/ Korrektorat: Chris Schilling

Covergestaltung: Hermann Schladt

unter Verwendung eines Bildes von Pixabay

 

Verlagsportal: www.vss-verlag.de

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie

 

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.

I

Der große Planwagen rollte die erste lange Steigung der Prärie westlich der Stadt Salado hinauf und gelangte auf die Kuppe der sanften Anhöhe. Noch auf diese Ent­fernung war Tips Bellen zu hören. Sie hatten die Hün­din beim Schmied zurückgelassen.

Harry, der Junge, saß hinten im Wagen, schloss die Augen und stopfte sich die Finger in die Ohren, um Tip nicht mehr zu hören, die mit ihm zusammen weiterzie­hen wollte. Nun, da er nichts mehr hörte, versuchte er ruhig zu überlegen. Es musste doch etwas geben, das er sagen oder tun konnte, um den Hund zurückzubekom­men.

Nach Westen hin lag die große, leicht gewellte Ebene vor ihnen. In der Morgenstille wirkte sie durch die Bodenwellen wie ein riesiges Meer. Etwa eine halbe Tagesreise entfernt, deutete frisches Grün in einer Senke die Vegetation an den Ufern eines Flusses an, den sie überqueren mussten. Dahinter, aber viel weiter entfernt als eine ganze Tagesreise, ragten steile Berge auf, deren Gipfel mit Schnee bedeckt waren; in den tieferen Schluchten wuchsen niedrige Fichten, Kiefern und Espen.

Harry sah dies alles, aber ohne jedes Interesse, denn er war in seinen Gedanken ganz mit dem Kampf um Tip beschäftigt.

Ruhig saß sein Vater vorn auf dem Sitz unter der Plane des großen Wagens. Er fuhr nach Westen und blickte über die gelblichgrüne Prärie hin; die Zügel und die Peitsche lagen schlaff in seinen großen, abgearbeite­ten Händen.

Bis jetzt war Richard Shane ein fröhlicher Mann ge­wesen, der lachte, Scherze machte und die Fliegen von den kräftigen Kruppen von Babe und Jim, den beiden Pferden, vertrieb, während er sie von Zeit zu Zeit auf­munterte. Auf der ganzen Fahrt von ihrer kleinen Farm in Ohio, die sie verkauft hatten, war er stets der gleiche geblieben. Nun jedoch achtete er nicht mehr auf die Fliegen oder auf den Schritt der Pferde. Stumpf und regungslos saß er da, wie ein Mann, der ein Schuld­bewusstsein zu verbergen sucht. Er tat einen tiefen Atem­zug, entschlossen, sich von seinen Gedanken nicht unter­kriegen zu lassen, und sagte: „Ich glaube, unsere neue Heimat liegt genau auf dieser Seite der Hügel.“ Er deu­tete mit der Peitsche auf eine Reihe von Bodenerhebun­gen, die den Bergen vorgelagert waren.

Weder der Junge noch seine Mutter schienen die Worte des Vaters zu verstehen. Die kleine Stadt Salado versank nun hinter der Anhöhe.

„Als Tip noch klein war, hast du mir versprochen, sie würde mir gehören“, sagte nun der Junge. „Und jetzt hast du sie dem Schmied gegeben, nur weil er gesagt hat, sie würde Wölfe anlocken.“

Harry kroch nach vorn in den Wagen. Er war ein hochaufgeschossener Junge, der aber noch etwas in die Breite gehen musste; es war ihm anzusehen, dass er eines Tages stählerne Muskeln haben würde, vielleicht so starke wie sein Vater.

Mit noch etwas größerer Aufsässigkeit in der Stimme rief er nun: „Tip würde auch die Wölfe verjagen, Pa.“

Er wartete. Als er von seinem Vater keine Antwort er­hielt, unternahm er den letzten Versuch, sich für seinen Hund einzusetzen. „Darf ich nicht zurücklaufen und Tip holen?“

Der Vater schüttelte den Kopf, ohne sich nach seinem Jungen umzusehen. „Es ist schon so, wie der Schmied sagt. Sie würde gleich mit einem Wolfsrudel mitlaufen.“

„Das würde sie nicht tun“, erwiderte Harry mit Nach­druck. „Ich kenne sie, Pa. Ich habe sie doch von klein an aufgezogen.“

Ellen Shane, seine Mutter, seufzte auf. Sie saß in einem Schaukelstuhl, den sie mitgenommen hatten, gleich hinter dem Querbrett, auf dem der Vater hockte, und hielt ihre Hände im Schoß gefaltet.

In der unheimlichen Stille, die sie umgab, knarrten die Räder, und die schweren Ketten klirrten. Als sollte es sie auf ewig verfolgen, war immer noch das Bellen des Hundes zu hören, den der Schmied bei sich auf dem Hof angebunden hatte.

„Werde ich denn Tip niemals wiedersehen, Pa?“

Zornig wandte sich der Farmer um. „Denk an das, was ich dir gleich beim Aufbruch gesagt habe: du kommst jetzt in indianisches Gebiet, und indianische Kinder be­klagen sich niemals, was auch geschehen mag.“

„Es würde Harry aber doch nichts schaden, wenn er wusste, dass er Tip immer sehen und mit ihr Zusammen­sein kann, wenn wir zum Einkäufen in die Stadt kom­men“, warf die Mutter nun ein.

Der Vater schüttelte seinen großen, dunklen Kopf. „Du hast noch nicht recht verstanden, Ellen. Ich . . .“ Plötzlich befasste er sich sehr geschäftig mit seinen Pfer­den.

„Pa! Der Mann wird doch ..er wird doch Tip nicht erschießen?“

Der Farmer räusperte sich. „Wenn wir erst einmal die Farm in Gang gebracht haben, die Ernten hereinkom­men und damit auch Geld, kannst du ein eigenes Pony bekommen.“

„Aber du hast mir doch versprochen, dass Tip mir ge­hört.“

„Richard“, mischte sich Ellen ein, „quäl den Jungen nicht länger. Der Schmied wird doch Tip nicht er­schießen?“ Sie beugte sich erregt vor, als könnte sie so etwas nicht glauben.

„Der Mann weiß hier Bescheid“, murmelte der Vater. „Es war ja nicht falsch, den Rat eines Mannes anzuneh­men, wenn man sich in einem ganz neuen Land befin­det.“

„Du hast ihm doch nicht etwa erlaubt - Tip umzu­bringen?“ Die Stimme der Mutter war voller Empörung und unterdrückter Anklage.

Richard senkte den Kopf. „Ich habe ihm fünfzig Cents gegeben.“ Seine Stimme klang verzweifelt und entschlos­sen. „Aber wollt ihr mich jetzt endlich in Ruhe lassen? Ich habe es ja nur zu unserem Besten getan.“

„Pa!“ Harry starrte seinen Vater entsetzt an, er konnte es nicht fassen. Dann wandte er sich um und kroch in den hinteren Teil des Wagens zurück. Dort streckte er sich auf dem Bett aus, das über den Säcken mit Futtermitteln und Saatgut stand. Er war zornig und fühlte sich verletzt, dass der Vater das Töten des Hun­des veranlasst hatte, ohne ihn erst ins Vertrauen zu zie­hen und sich mit ihm zu beraten. Tip war doch immer­hin sein Hund!

Er ließ den linken Arm vom Bett herabhängen, und dabei berührten seine Fingerspitzen den großen Krug mit Zuckerrohrsirup, den seine Mutter dort verstaut hatte. Nichts mochte Tip lieber als diesen Sirup, dachte er verbittert.

Seine Hand spielte mit dem Holzstöpsel, während seine Gedanken nun mit etwas ganz anderem beschäftigt waren. Vielleicht würde Tip sich losreißen, wenn sie etwas röche, das sie so sehr liebte. Ein leichter Wind wehte in Richtung auf die Stadt über die Prärie.

Der Stöpsel saß zwar sehr fest, aber mit der Zeit ge­lang es Harry, ihn herauszuziehen.

Vielleicht würde sich Tip auch ohnedies losreißen, und der verschüttete Sirup könnte ihr helfen, leichter ihre Spuren zu finden.

Er kippte den Krug um. Er rutschte ihm aus der Hand, und er hörte das träge Gluckern, während der zähe Sirup herausfloss. Dann bereute er es und versuchte mit seiner vom Sirup verklebten Hand, den Krug wieder aufzurichten, aber in diesem Augenblick zwängte sich seine Mutter zu ihm nach hinten durch. Er merkte es daran, dass der Schaukelstuhl knarrte; das tat er immer, wenn sich jemand aus ihm erhob. Harry hörte Mutters Rock rascheln, als sie sich an Kisten, Fässern und Möbel­stücken vorbeidrängte.

„Du darfst nicht so traurig sein, mein Junge.“ Sie be­rührte seine Schulter.

Er hatte versucht, mit einem Finger seiner linken Hand den Sirupkrug zu schließen, um das Abfließen zu verhindern oder es doch auf ein dünnes Sickern herabzu­mindern.

Molly, die Kuh, die hinter dem Wagen ging, senkte den Kopf zum Boden und leckte im Gehen etwas von dem Sirup auf. Er tropfte also bereits durch die Boden­bretter des Wagens.

„Vater hätte Tip nicht zurückgelassen, wenn er eine Möglichkeit gesehen hätte, es anders zu machen“, flü­sterte ihm die Mutter zu und klopfte ihm zärtlich auf die Schulter.

Harry hatte jetzt den Mittelfinger im Hals des Kruges und fühlte, wie das Fließen nachließ.

Nun hörten die beiden den Vater sagen: „Ich muss ihn abhärten, wenn wir jetzt in den Westen kommen. Es ist ein hartes Land.“

Ellen streichelte das hellbraune Haar des Jungen. Harry ähnelte seiner Mutter; sein Haar war fast das gleiche wie das ihre, und er hatte die gleichen zutrau­lichen, blauen Augen.

Richard war ganz anders. In seinen Farmerstiefeln mit den niedrigen Absätzen, wie man sie in Ohio trug, war er ein fast riesiger Mann. Sein Haar war glatt und schwarz wie Ebenholz, und die gleiche Farbe hatte auch sein Schnurrbart, der ihm lang auf beiden Seiten der Oberlippe herunterhing. Die Sonne hatte sein breites Gesicht mit den kraftvollen Zügen so gebräunt, dass es wie aus Bronze geschmiedet schien. Es war ein Gesicht, dem man seinen unbeugsamen Willen ansah, Reichtum aus dem Ackerbau zu schlagen.

Er hob seine mächtigen Schultern an und zog die warme Frühlingsluft tief in seine Lungen ein. Seine Hände beschäftigten sich nun mit den Zügeln und der Peitsche. Es waren starke Hände, die danach verlangten, die Arbeit auf seinem großen Stück Land anzupacken.

„Dies ganze Land - es ist mein!“ Sein großer Kopf nickte dazu wie zur Bestätigung. Dreihundertzwanzig Morgen fruchtbares Ackerland - und alles mein!“

Ellen ließ Harry wieder allein und kehrte in den vor­deren Teil des Wagens zurück. Dort blieb sie hinter Richard stehen, eine Hand auf seiner Schulter. Schließ­lich fragte sie:

„Wann werden wir unsere neue Heimstatt sehen können?“

„Erst eine Weile nachdem wir den Weißen Fluss überquert haben, der da vor uns liegt. Der Rechts­anwalt hat gesagt, die Farm liege etwa eine halbe Tages­reise von der Furt entfernt.“

Harry war auf dem Bett liegengeblieben; sein linker Arm hing noch immer herab, und sein Mittelfinger steckte weiterhin im Hals des Kruges.

„Tip wird das riechen können“, sagte er zu sich.

Plötzlich rief sein Vater aufgeregt: „Da ist der Fluss. Dort drüben rechts sehe ich, wie die Sonne sich auf dem Wasser spiegelt!“

Harry blickte hinten zum Wagen hinaus. Dann fiel ihm wieder Tip ein, und es beschlich ihn ein Gefühl der Schuld, nicht mehr für sie unternommen zu haben. Er schaute auf die in der Ferne sich verlierenden Wagen­spuren. Die Stadt vermochte er in dem welligen Ge­lände nicht mehr zu sehen.

Bei dem Gedanken, dass sie nun den Fluss überqueren würden, packte ihn die Angst. War erst einmal der Fluss überschritten, würde Tip sie vielleicht niemals wieder­finden. Er kroch neben den Verschlag mit den Hühnern, von wo aus er sich, ohne bemerkt zu werden, zu Boden gleiten lassen konnte.

„Wenn ich jetzt laufe“, sagte er zu sich, „komme ich vielleicht noch hin, bevor der Schmied Gelegenheit hatte, Tip zu erschießen.“

Die Pferde trabten nun, vom Gewicht des Wagens gedrängt, den sanften Hang hinab. Auch trieb sie der Eifer des Vaters an. Jetzt sah auch Harry, wie das Son­nenlicht auf dem seichten Wasser vor ihnen glitzerte.

Plötzlich wandte sich seine Mutter zu ihm um und sah ihn an.

„Du bleibst besser im Wagen“, sagte sie. „Wir über­queren gleich den Fluss.“

„Harry, du hältst die Kuh am langen Strick“, rief der Vater, „damit du ihr etwas Spielraum geben kannst, falls das nötig sein sollte.“

Harry beugte sich von seinem hohen Platz auf dem Verschlag mit den Hühnern hinab und packte den Strick der Kuh. Sie näherte sich mit schwerfälligen Schritten dem Wagen, als er am Strick zog und mit ihr sprach.

Der Weiße Fluss würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Ohio daheim im Osten nicht vergleichen lassen. Einmal war Harry mit seinem Vater am Fluss gewesen. Große Schaufeldampfer waren auf dem Ohio gefahren, Schiffe mit hohen Schornsteinen, aus denen schwarzer Qualm hervorquoll. Er war nicht so sicher, wie es hier mit Schiffen sein würde. Wahrscheinlich wür­den sie eher wie die kleinen Kähne sein, die am Ufer des Ohio entlang von Männern mit Stangen vorwärts ge­stoßen wurden. Nun blickte er gespannt nach vorn. Das Wasser glänzte, aber es waren keine Boote zu sehen. Vom anderen Ufer erhob sich träge ein weißer Reiher auf weit gespreizten Flügeln in die Luft. Weiter nach Norden schlug ein Schwarm Enten das Wasser mit den Flügeln, bis sie sich schließlich in die Luft erhoben.

Die Pferde planschten im Wasser am Ufer, und Harry packte den Strick der Kuh fester. Molly zögerte und watete dann ins flache Wasser. Es stieg ihr nur bis zum Bauch.

Der Wagen gelangte ans andere Ufer und blieb unter kanadischen Pappeln stehen.

„Such etwas Brennholz und mach ein Feuer“, befahl der Vater. „Mutter wird uns etwas zu essen kochen, be­vor wir weiterziehen.“

Harry versuchte, zu kauen und zu schlucken, aber das Essen blieb ihm im Halse stecken, denn er musste an Tip denken. Er würgte und hätte sich fast übergeben.

„Schluck’s nur ’runter und nimm dich zusammen“, sagte sein Vater. „Ich habe noch niemals ein solches Theater wegen eines blöden Hundes gesehen.“

Harry zwang nur mühsam das Essen hinunter.

Bald ging die Fahrt weiter.

Sie gelangten in eine Senke und über weitere Boden­wellen der Prärie. Harry beobachtete, wie die Sonne sich den schneebedeckten Gipfeln zuneigte.

„Dort ist die Farm!“ brüllte Richard und deutete mit seiner Peitsche nach vorn. „Da ist mein neues Land!“

Er trieb das Gespann zu einem raschen Trab auf das ebene, tiefliegende Land an, auf dem einige baufällige Gebäude standen.

Das Wohnhaus war niedrig und bestand nur aus dem Erdgeschoss. Es war aus Graswasen erbaut und hatte ein Pultdach, ebenfalls mit Graswasen bedeckt. In der Mitte war die Tür, links und rechts je ein kleines Fenster.

Die Glut des Sonnenuntergangs tauchte den Himmel in Rot und Gold. Aber dieses Licht zeigte keine weitere menschliche Ansiedlung.

Sie kamen nun näher, und Richard rief: „Das ist be­stimmt die Farm. Der Anwalt sagte, am Gatter zum Pferch hänge ein Schild mit dem Namen Smith. Das sind die Leute, denen die Farm früher gehörte. Da ist ja auch das Schild.“

Im Hof brachte er den Planwagen zum Stehen und sprang zu Boden. Seine Blicke schweiften über die Prärie hin. Vor ihm breitete sich sanft gewellt das Land aus, so weit das Auge nach Norden, Süden und nach Westen bis zu den felsigen, bewaldeten Vorbergen reichte. Er sagte: „Uns gehört es genau bis zu den Vorbergen, und wenn wir wollen, können wir auch alle Berge, die da­hinterliegen, noch nehmen.“

Er rannte am Haus vorbei zum nächstgelegenen Feld und griff mit beiden Händen in die Erde. Es war frucht­bare Erde, auf die ein Mann stolz sein konnte. Er starrte diese fette Erde an wie ein Mann, der Gold gefunden hat.

„Der beste Boden, den ich jemals gesehen habe“, rief er. Er zerkrümelte die Erdbrocken zwischen seinen gro­ßen Händen und ließ sie wieder zu Boden rieseln.

„Würdest du mir bitte herunterhelfen, Richard?“ bat die Mutter.

Der Vater wandte sich um, lief auf seine Frau zu, stürzte dann plötzlich an ihr vorbei und riss das kleine Namensschild vom Gatter. „Jetzt gehört alles mir! Dreihundertzwanzig Morgen. Die frucht-barste ..."

Dann fiel ihm seine Frau wieder ein, und er eilte auf sie zu. Er hob sie von dem hohen Rad herab, als wäre sie ein kleines Mädchen.

„Hättest du etwas dagegen, wenn ich mir mein Haus einmal ansehe?“

Richard sah den energischen Zug um ihren Mund. Er nahm ihren Arm. „Ich werde dich begleiten und es dir zeigen, wie es sich gehört. Es ist ja im Augenblick noch nicht weit her damit. Aber bei diesem Boden wird schon bald ein prächtiges Haus hier stehen.“

Sie ging ein wenig vor ihm her, als wollte sie das Schlimmste rasch hinter sich haben.

Richard stieß seiner Frau die Tür auf. Etwas flog heraus. Es war wie ein Vogel, aber Harry erkannte am Flug, dass es eine kleine Fledermaus war.

Seine Mutter duckte sich und ging hinein. „Noch mehr Fledermäuse“, rief sie.

Richard lachte auf und schlug mit seiner breiten Hand nach einer Fledermaus.

 

II

 

Infolge der kleinen Fenster und der dicken Rasen­wände war es im Haus recht dunkel. Harry hörte seine Mutter sagen: „Und auch noch Lehmboden“, als sinke ihr der Mut.

„Sobald wir das erste Geld für unsere Ernten bekom­men haben“, versprach der Vater, „lege ich dir einen guten Holzfußboden.“

Zum Kochen und Heizen gab es einen großen Kamin. Auf der Nordseite lagen zwei kleinere Zimmer, die nach Harrys Ansicht Schlafzimmer sein sollten. Später wür­den sie die Möbel vom Wagen holen und aufstellen. Im Haus war es feucht; es roch muffig. Die Mutter musste husten.

Harry schlenderte hinaus. Er setzte sich auf die oberste Stange des alten Pferches und grübelte. Blicklos waren seine Augen nach Norden gerichtet. „Er hatte mir ver­sprochen, dass Tip mein Hund sein sollte“, sagte er zu sich. „Versprochen hatte er es.“

Er hob den Kopf und schüttelte ihn zornig. Über die Bodenwellen nach Norden zu war eine Bewegung zu sehen. Es war eine dünne Rauchsäule, die aus einem Schornstein aufstieg; der Schornstein selber war durch die ihrem Hause am nächsten liegende Anhöhe verdeckt. Da stieg Harry mit den Füßen auf die Stange und er­blickte nun auch den Schornstein, grob aus Steinen und Lehm gefügt, der sich am Ende eines anderen Rasenhauses erhob. Er konnte das flache Dach gerade noch erblicken.

„Wir haben Nachbarn!“ schrie er. „Ma! Pa! Wir ha­ben Nachbarn! Etwa eine Meile nach Norden zu!“

Instinktiv hob die Mutter ihre Hände zum Haar.

„Wenn du magst, können wir ja gleich hinüberfah­ren und sie begrüßen“, meinte der Vater.

Die Mutter schüttelte den Kopf. „So, wie du jetzt aus­siehst! Du musstest dich erst umziehen, und ich müsste dir auch die Haare schneiden.“

Der Vater grinste und rief Harry heran; er sollte sich mit ihnen zusammen ihren Besitz ansehen. Sie besahen sich den Brunnen, der erst einmal ausgeräumt werden musste, den Schweinestall, der einiger Reparaturen be­durfte, den Schuppen, der abgestützt und neu gebaut werden musste.

„Zuerst werdet ihr Männer wohl am besten die Sa­chen vom Wagen holen und ins Haus tragen“, meinte die Mutter. „Ich habe euch versprochen, euch heute Abend noch etwas Gutes zu kochen.“ Sie trat an den Wagen. „Hol mir den Besen heraus, Harry, damit ich im Haus erst einmal saubermachen kann, während ihr beiden die Sachen abladet.“

Das Saatgut und die übrigen Vorräte ließen sie zu­nächst auf dem Wagen; sie wollten sie erst am nächsten Tag verstauen.

Der Vater fand den leeren Sirupkrug und versteckte ihn hinter der Scheune. „Mutter macht mir vielleicht Vorwürfe, weil ich ihn nicht besser verpackt habe, wenn sie erst einmal feststellt, dass er umgefallen und ausge­laufen ist.“ Er blinzelte seinem Sohn zu. „Was Frauen nicht wissen, tut ihnen meist nicht weh. Vergiss das nicht. “

„Ja“, antwortete Harry. Ihn beschlich ein Gefühl der Freude und gleichzeitig ein schlechtes Gewissen; und er spürte auch eine gewisse Verbundenheit mit seinem Vater.

Sie sammelten Holz um die Nebengebäude herum und entfachten ein Feuer im großen Kamin. Ellen holte ihre Kessel und Töpfe hervor und hängte sie an die rostigen Eisenarme.

„Und wir besorgen dir auch einen guten Herd“, ver­sprach der Vater. Er ging wieder auf die Tür zu, beugte sich, um unter dem niedrigen Balken hindurchzutreten, und blickte zurück. „Es tut mir wirklich sehr leid, dass wir unsern Herd nicht mitgebracht haben, aber du weißt ja selber, wie sehr er uns behindert hätte.“

Später, in der Scheune, sagte er zu Harry: „Es wird Mutter nichts weiter ausmachen, solange niemand in der Nachbarschaft einen hat.“

Harry warf sich umher. Er hörte seinen Vater im Ne­benzimmer laut schnarchen und seine Mutter unruhig atmen.

Er tastete auf dem Bett nach Tip, bevor ihm einfiel, dass der Hund tot war. Lange Zeit konnte er nicht ein­schlafen. Als er seine Augen wieder öffnete, wurde es hell.

Er lag auf dem Rücken und lauschte seinem Vater, der zum Frühstück ein Feuer machte. Die Mutter hörte er vorn im Schlafzimmer herumwirtschaften. Einmal rief sie aus: „Guter Gott, wie feucht es in so einem Rasen­haus ist! Meine Kleider sind fast zum Auswringen.“

Harry lag da und betrachtete sein Zimmer. Es war etwa viermal so groß wie sein Bett. Zwei Seiten des Zim­mers bestanden aus Rasenwänden. In der Mitte der hin­teren Wand befand sich ein kleines Fenster. Es war ge­rade so groß, dass Harry hindurchklettern konnte.

Die beiden anderen Wände des Raums bestanden aus dünnen Holzbrettern, die von der Feuchtigkeit verfärbt waren.

Harrys Mutter kam herein und legte ihm saubere Kleidungsstücke aufs Bett.

„Nun, wie geht es dir heute morgen?“ fragte sie lächelnd.

„Gut, danke.“

Sie blieb stehen und blickte auf ihn hinab, beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. „Es tut mir so leid wegen Tip“, sagte sie leise, und dann lauter: „Zieh dich für unseren Besuch bei den Nachbarn so ordentlich wie nur möglich an.“

„Ja, Mutter.“

Sie ging hinaus, und Harry zog die Füße aus den Flanellaken. Der Fußboden war kalt und feucht. Er kleidete sich an und trat an den Waschtisch hinaus, den sein Vater neben der Tür der Hütte auf gebaut hatte. Der Farmer arbeitete bereits am Schuppen, stützte das Dach ab und sägte einen Stamm, der als neuer Pfeiler dienen sollte, zurecht.

Beim Frühstück sprach der Vater das Morgengebet und langte dann kräftig zu. Unbekümmert arbeitete er mit Messer und Gabel; auf feines Benehmen kam es ihm nicht an. „Dazu haben wir heute früh keine Zeit“, meinte er. „Wir müssen unser Saatgut so schnell wie möglich in die Erde bringen. Sind schon spät dran.“

Er spannte die Pferde vor den Wagen und stand mit ihm schon vor der Tür, als die Mutter gerade mit dem Abwaschen fertig war. Er half ihr beim Aufsteigen, und sie nahm neben ihm unter dem vorderen Teil der Plane Platz.

„Ich gehe zu Fuß“, sagte Harry.

Sie gelangten auf die sanfte Bodenerhebung nördlich ihres Hauses; von dort aus konnten sie das Nachbarhaus und dahinter den Fluss sehen.

Der Hof lag verlassen da; nur ein kahler Busch wuchs neben der Tür, und aus den Rissen der Rasenstücke an der Seitenwand sproß ein wenig Gras. Die Gebäude waren alle baufällig. Das Wohnhaus schien sich nur mit Mühe aufrecht zu halten.

Die beiden Pferde vor dem Nachbarhaus waren fest­gebunden und schliefen halb. Das eine trug einen alten Cowboysattel und das andere den Packsattel eines Trag­tiers.

Ein Mann trat aus dem Haus. Er trug einen Armvoll Felle. Er warf sie auf das Packpferd und zurrte sie fest. Er streifte die nahenden Besucher mit einem Blick, wandte sich dann um und trat wieder ins Haus. Kurz darauf kam er mit einer neuen Ladung Felle wieder heraus, die er ebenfalls auf dem Tragsattel festband. Dann blieb er stehen und blickte dem Wagen und dem Jungen, der zu Fuß daneben ging, entgegen.

Er war ein schwerer, kräftiger Mann mit langem, röt­lichem Haar und einem struppigen, rötlichen Bart, der fast sein ganzes Gesicht verdeckte. Auf dem vorderen Teil des Schädels wuchs kein Haar, sondern dieser war von einer runden, weißen Narbe von der Größe einer Teetasse bedeckt. Diese Narbe war an den Rändern fal­tig, als hätte man versucht, die Haut stramm zu ziehen, um sie dann so anwachsen zu lassen. Dabei war die Haut seines Gesichts nach oben gestrafft worden, so dass seine Augen ständig einen fragenden, verwunderten Ausdruck hatten. Dadurch sah er so aus, als fände er alles sehr komisch. Harry hatte das Gefühl, als könnte er jeden Augenblick in ein übermütiges Lachen ausbrechen.

Richard Shane hob seine Peitsche und winkte. „Guten Tag, Nachbar!“ Er deutete mit seinem Daumen nach hin­ten. „Wir sind gerade in unserem neuen Heim drüben jenseits der Kuppe eingezogen. Und da haben wir uns gedacht, wir wollen doch erst einmal unsere Nachbarn begrüßen.“

„Guten Morgen“, sagte Ellen mit ihrer freundlichsten Stimme.

Sie waren nun nah genug, um die Augen des Mannes zu sehen. Sie waren so dunkelblau, dass sie fast schwarz wirkten, und groß. Nun verengten sie sich ungläubig. „Willst du etwa damit sagen, du hast vor, dich in die­sem elenden Land niederzulassen?“

Richard lachte schallend auf, was er immer tat, wenn er versuchte, über etwas, was ihm unangenehm war, leicht hinwegzukommen. „Du übertreibst ja, Nachbar. Ich weiß, was Erde ist. Und ich habe noch keine frucht­barere Erde gesehen als die drüben auf der Smithfarm.“

Der bärtige Mann zögerte und lachte dann leise auf.

„Mein Name ist Richard Shane“, fuhr Harrys Vater fort. „Und das ist meine Frau, Ellen, und mein Junge, Harry. Ist deine Familie da?“