Die Schule am wilden Drachenwald - Heather Fawcett - E-Book
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Die Schule am wilden Drachenwald E-Book

Heather Fawcett

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Beschreibung

Autumn möchte unbedingt an der Zauberschule Inglenook aufgenommen werden. Doch sie und ihre Familie sind dort nur als Monsterhüter angestellt. Dabei hat Autumn einen besonderen Grund, die Zauberschule zu besuchen: Vor einem Jahr ist ihr Zwillingsbruder Winter verschwunden. Alle behaupten, er wurde vom grauenvollen Schattendrachen gefressen, der im magischen Wald sein Unwesen treibt. Doch Autumn weiß, dass dies nicht stimmt und Winter irgendwo in der Schule ist. Als plötzlich der berühmte Zauberschüler Cai Morrigan Autumns Hilfe bei einem Drachenproblem braucht, ergreift sie die Chance. Cai muss Winter finden können. Aber der junge Sternenmagier hat ein Geheimnis. Ein Geheimnis, dass die zwei mitten in die Fänge des fürchterlichen Schattendrachen treibt.

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Über dieses Buch

»Ich werde dich finden!«

 

Autumn ist eine Monsterhüterin. Mit ihrer Familie kümmert sie sich um lauter Monsterwesen – allen voran Drachen, an denen die Zauberschüler von Ingelnook ihre Magie üben. Das müssen sie, denn im finsteren Wald am Rand der Schule herrscht ein grauenvolles Ungeheuer: der Schattendrache. Auch Autumns Zwillingsbruder Winter soll er verschlungen haben. Doch Autumn glaubt das nicht. Winter lebt und sie wird ihn finden! Als Autumn auf den jungen und mächtigen Sternenmagier Cai trifft, sieht sie ihre Chance dafür gekommen. Doch können die beiden wirklich den gefürchteten Schattendrachen aufhalten? Außerdem wird Autumn das Gefühl nicht los, dass auch die Zauberschule etwas Furchtbares zu verbergen hat.

1In dem Autumn einem ungewöhnlichen Magier begegnet

Das Drachenmädchen sorgte sich um seine Rosen. Sosehr Autumn auch auf sie einredete, Amfizel weigerte sich, ihren Garten zu verlassen, und erklärte, sie werde nirgendwohin gehen, solange sie nicht alle Blattläuse von den schlaffen Stängeln gezupft hatte.

Jacks rundes Gesicht war blass. »Was machen wir jetzt?«

Autumn trommelte mit der Fußspitze auf den Boden und warf einen Blick zum dunkler werdenden Himmel. Alle Geschöpfe der Menagerie von Ingelnook mussten bis Sonnenuntergang in ihren Gehegen sein – so stand es in der Schulordnung. Es würde mächtig Ärger geben, wenn irgendjemand herausfand, dass ein Drache nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Schulgelände sein Unwesen trieb. Nicht, dass es Amfizels Art war, Unwesen zu treiben. Sie würde lediglich aus Sorge um die dahinsiechenden Rosen so lange herumgärtnern, bis ihr vor Müdigkeit die Augen zufielen, und dann würde sie mitten im blühenden Frauenschuh einschlafen.

Wie alle Drachen war Amfizel von Blumen besessen. Sie verbrachte Stunden damit, ihre duftenden Schätze zu bewachen, zu schnippeln und zu rupfen und in ihrem Garten Unkraut zu jäten.

Jack tätschelte Amfizels Flanke. »Kann sie nicht noch ein bisschen hierbleiben?«

»Oh, Jack.« Autumn zog ihren gutmütigen Bruder außer Reichweite von Amfizels Hörnern. Jack neigte dazu, die Monster als Haustiere zu betrachten. Er gab ihnen Namen und machte sich große Sorgen, wenn eines von ihnen krank wurde. Als er klein war, hatte er den Bluthunden von Arawn immer Regencapes übergezogen, wenn er sie zum Gassigehen vom Berg herunterholte – als wären sie echte Hunde und keine glutäugigen Geistergeschöpfe, die mit ihrem Geheul den Tod ankündigten. Es war ein Wunder, dass Jack es geschafft hatte, mit seinen mittlerweile dreizehn Jahren noch immer alle Gliedmaßen zu besitzen.

Autumn war müde. Sie hatte den ganzen Nachmittag die Ställe der Menagerie ausgemistet, und sie hatte jetzt keine Geduld für herumtrödelnde Drachen. Sie holte tief Luft und sprach in Amfizels Gedanken: Möchtest du Gran in Schwierigkeiten bringen?

Nein, erwiderte Amfizel mürrisch. Gran, Autumns Großmutter, war die oberste Monsterhüterin der Menagerie und hatte die meisten Geschöpfe selbst aufgezogen, auch Amfizel. Es stimmte vielleicht nicht ganz, dass Gran wie eine Mutter für sie war, aber sie war jedenfalls mehr Mutter als Tierpflegerin.

Autumn beschloss, die Taktik zu ändern. Wenn du jetzt brav bist, bringe ich dir morgen ein Geschenk mit.

Amfizels Kopf hob sich. Sie war ein Schneedrache, milchweiß bis auf einen schmalen Streifen goldener Schuppen entlang der Wirbelsäule. Schneedrachen maßen von der Nase bis zur Schwanzspitze nur etwa sechs Meter, doch was ihnen an Körpergröße fehlte, glichen sie durch ihre gewaltigen Hörner aus. Die Spitzen waren giftig – ein Kratzer, und man fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem nicht einmal der mächtigste Magier einen erwecken konnte. Amfizel war allerdings erst zehn Jahre alt, oder fünf in Drachenjahren, und beinahe niedlich, wenn man von dem Geweih und ihren schattigen roten Augen absah.

Was für ein Geschenk? Das spitze Drachengesicht hellte sich auf. Einen neuen Rosenstrauch?

Autumn brachte es nicht über sich, ihr zu sagen, dass sie bei Rosen nicht gerade einen grünen Daumen hatte. Jacks Blick huschte zwischen ihnen hin und her, und er runzelte die Stirn. Monstersprache war nicht seine Stärke – die meisten Wesen ignorierten ihn einfach.

Ich werde mit Miss Ewing im Dorf reden, versprach Autumn. Vielleicht hat sie ein paar Liliensamen aus dem Land hinter den Blauen Bergen für dich.

Hmpf … Amfizel warf ihren Rosen einen traurigen letzten Blick zu, dann trottete sie hinter Autumn und Jack aus dem Garten. Autumn atmete erleichtert auf.

Der Drachengarten war von einer verwitterten Steinmauer umgeben, die vor langer Zeit vielleicht einmal zu einem Bauernhaus gehört hatte, damals, als der Flüsterwald nur ein ferner Schatten am Horizont gewesen war. Nach Drachenmaßstab war es ein kleiner Garten – zwei ordentliche Reihen Gemüse, ein Erdbeerbeet und eine etwas strubbelige Rabatte mit Stiefmütterchen und Veilchen.

Die älteren Drachen hatten ganze Äcker voll duftender Blumen und Gemüse, Obstbäume und zu jeder Jahreszeit blühende Büsche. Amfizels Mutter hatte in den Blauen Bergen einen ganzen Hang mit Tulpen und Mohnblumen rot gefärbt und auf dem Geröll kriechenden Hibiskus und riesige Rhododendronhügel zum Blühen gebracht. Gran hatte es mit eigenen Augen gesehen, denn sie war es gewesen, die das Ei mit Amfizel darin für die Menagerie gestohlen hatte. Drachen verteidigten ihre Gärten grimmiger als ihre Kinder.

Autumn führte Amfizel den schlammigen Bergpfad zur Menagerie hinauf. Über ihnen leuchtete die Ingelnook-Schule für Magie vor dem dämmrigen Himmel. Sie schmiegte sich dicht an den Südhang des Mythroor, des höchsten Berges im Gebirge von Taran. Sie war von Magiern gebaut worden, die keinen blassen Schimmer von Architektur hatten, aber etwas Gewaltiges und Beeindruckendes erschaffen wollten. Beeindruckend war Ingelnook in der Tat, und zwar auf verwirrende Weise: Das Schloss war eine riesige Ansammlung von Säulen und Türmchen und Erkern und – aus unerfindlichen Gründen – einer Zugbrücke (einen Graben gab es nicht). Der Anblick verwirrte einen genauso sehr wie eine optische Täuschung.

Rauch stieg aus dem Türmchen über dem Speisesaal, dessen Fenster golden schimmerten. Autumn fragte sich, zu welchem Festmahl die Magier sich drinnen wohl gerade an den Tisch setzten – Kohlrouladen und gebratene Ente? Süßkartoffelkuchen mit Speck? Sie schauderte in der Oktoberluft, und ihr Magen zog sich zusammen, aber nicht vor Hunger. Jedenfalls nicht vor Hunger nach Essen.

Autumn war im Schatten von Ingelnook aufgewachsen, in dem kleinen Häuschen der Monsterhüter am Rande der Schulgärten. Sie wusste, dass es dumm war, sich nach etwas zu sehnen, was sie niemals haben konnte – nach einem Platz an der Tafel im Speisesaal und inmitten der Schülerinnen und Schüler, die in ihren langen Umhängen von einem Kurs zum nächsten eilten. Sie war keine Magierin. Sie war eine Dienstbotin, genau wie der Rest ihrer Familie. Sie konnte in die Welt von Ingelnook hineinschauen wie in einen Teich voll bunter Fische, doch sie würde nie dazugehören.

Autumn und Jack führten Amfizel in die Menagerie, deren Boden von einer unterirdischen Quelle beheizt wurde. Die Steine waren mit Meerwasser befeuchtet worden, was eine beruhigende Wirkung auf Monster hatte – Gran glaubte, dass es derselbe Grund war, warum das Meer auch Menschen beruhigte, aber genau wusste es niemand.

Autumn brachte Amfizel in ihren geräumigen Stall, der mit einer Blümchentapete tapeziert war, die das Drachenmädchen selbst ausgesucht hatte. Ihr Stallnachbar war ein Greif, und gegenüber hausten die Flügeldrachen, die bereits schliefen. Doch nicht alle Wesen wohnten in der Menagerie – manche waren einfach zu gefährlich.

Ganz besonders eines.

»Da wären wir«, sagte Autumn und kippte einen Schwung Gemüsereste in Amfizels Trog. »Gran kommt später zum Gutenachtsagen.«

»Dann werde ich wohl mal die Irrwische zusammentreiben«, sagte Jack missmutig. Um die Irrwische zusammenzutreiben, musste man den nervtötenden Geschöpfen eins mit einem Stock überziehen, um sie zu betäuben, und sie dann in einen Sack stopfen. Jack hasste es.

Autumn seufzte. Obwohl Jack ihr der liebste ihrer großen Brüder war, war er fraglos der schlechteste Monsterhüter von allen. Sie hätte Kyffin oder Emys um Hilfe bitten sollen – auch wenn sie die schlimmsten Nervensägen der Welt waren. Die beiden würden wenigstens keine Zeit damit verschwenden, Viecher zu verhätscheln, die ihnen jeden Moment den Arm abbeißen konnten. Autumn fragte sich oft, was sie verbrochen hatte, um mit drei großen Brüdern gestraft zu werden. Doch Gran sagte immer, im Leben habe jeder sein Päckchen zu tragen.

Ich bin auch dein Bruder, hatte Winter sie immer erinnert, wenn sie sich beklagt hatte.

Bei dir ist das was anderes, hatte Autumn stets erwidert. Du bist jünger. Jüngere Brüder sind okay.

Zehn Minuten jünger!, hatte er gemurrt.

In zehn Minuten kann man eine Menge Weisheit sammeln.

Und Matschkuchen. In zehn Minuten kann man eine Menge Matschkuchen sammeln! Und dann hatte er eine Handvoll Matsch geschnappt und nach ihr geworfen, während sie lachend davongesprungen war.

Am anderen Ende der Menagerie begann einer der Bluthunde von Arawn in seinem Käfig zu winseln. Er musste Autumns Traurigkeit wittern. Autumn zwang sich, die Gedanken an Winter weit weg zu schieben. Es war gefährlich, inmitten der Monster traurig zu sein.

»Ich kümmere mich um die Irrwische«, sagte sie zu Jack. »Hilfst du Emys mit dem Abendessen? Er ist heute dran, und ich will nicht schon wieder verbrannte Kartoffeln vorgesetzt kriegen.«

Jacks Gesicht hellte sich auf. Er schenkte ihr eine seiner stürmischen Umarmungen und schmatzte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Bäh«, knurrte Autumn. »Verschwinde.«

Jack grinste und rannte zum Haus.

Autumn bewegte sich lautlos durch die Dunkelheit. Wenn sie wollte, konnte sie so leise sein wie ein Puka und so schnell wie ein gehörnter Drache.

Du hast selbst ein bisschen was von einem Monsterwesen, hatte Gran einmal schmunzelnd zu ihr gesagt. Bei allen wirklich guten Hütern ist das so.

Der Wind strich wie Seide über ihre Wangen, noch immer lag ein Hauch von Sommer darin. Autumn rannte zur dunklen Seite des Berges, der seinen langen Schatten über die Baumwipfel warf. Sie fand die Irrwische am Waldrand zwischen den schwarzen Ästen.

Die Bäume, die die steilen Berghänge unterhalb von Ingelnook bedeckten, gehörten zum Flüsterwald, dem riesigen Wald, der das Königreich von Eirie an der Nord- und Ostgrenze umgab. Jedes Jahr drang der Flüsterwald etwas weiter nach Eirie ein, ganz gleich, wie oft die Soldaten des Königs ihn zurückbrannten. Alle Wälder breiten sich aus, wenn man sie sich selbst überlässt, doch das Wachstum des Flüsterwalds wurde durch die Magie der Geschöpfe beschleunigt, die sich dort eingenistet hatten. Der Teil, der an die Gärten von Ingelnook stieß, war wie ein langer Arm, der sich vom großen Körper des Waldes hervorstreckte. Nicht ganz so gefährlich wie der Rest, aber doch die Heimat einer ganzen Reihe Monster.

Aus der Ferne sahen die Irrwische wie kleine Leuchtkugeln aus, aus der Nähe jedoch konnte man manchmal ein grinsendes Gesicht oder zuckende Flügel ausmachen. Autumn schlich sich von hinten an, vertrimmte zwei Irrwische mit ihrem Stock und stopfte sie in den Sack.

Hohlköpfige Dummbirne!, kreischte einer der anderen Irrwische. Ich beiß dir die Zehen ab!

Autumn schwang ihren Stock, und ein nettes kleines Ping ertönte. Der Irrwisch sank zu Boden.

Die übrigen Irrwische schwärmten aus und zeterten und drohten. Es war die einzige Sprache, zu der sie fähig waren – selbst wenn sie gute Laune hatten, beschimpften sie einander. Irrwische führten gern Wanderer vom Weg ab, indem sie ihnen den fernen Schein eines behaglichen Kaminfeuers vorspiegelten, doch abgesehen davon waren sie nicht besonders gefährlich, nur lästig.

Blumenkohlfrisur!

Ich steche dir die Augen aus, du Watschelente!

Einer der Irrwische verfing sich in Autumns Haaren, während ein anderer ihr in den Mantelkragen flog. Nachdem sie einen Moment wild kichernd herumgehüpft war, ließ sie sich auf den Boden fallen und rollte sich herum. Der Wisch in ihrem Mantel gab ein leises Mörp von sich und hörte auf zu zappeln. Sie stopfte ihn zu den anderen in den Sack. Das ganze Unterfangen war etwa so simpel, wie zappelnde Sonnenblumenkerne einzufangen.

Plötzlich drang Gelächter durch die Dunkelheit. Autumn erstarrte.

Mit wehenden Umhängen traten zwei Jungen aus dem Wald. Als sie näher kamen, konnte Autumn erkennen, dass einer der beiden Gawain Gruffid war, der beste Freund von Cai Morrigan, dem berühmtesten Magier des Landes. Cai war erst zwölf, genau wie Autumn, aber es war prophezeit worden, dass er eines Tages den Schattendrachen töten würde, das gefährlichste Ungeheuer der Welt. Cai hatte gegen einen Puka, einen geisterhaften Gestaltwandler, gekämpft und ihn besiegt, als er gerade mal zehn Jahre alt gewesen war – wie, wusste niemand genau, und eine Geschichte war haarsträubender als die andere.

Der zweite Junge, der aus dem Wald kam, war Cai Morrigan selbst.

Cai blieb im Schatten des Waldes stehen und starrte zurück in die Bäume. Auf seinem mondbeschienenen Gesicht zeichnete sich Sehnsucht ab.

Wer, bitte, schaut den Flüsterwald so an?, dachte Autumn, und ihr lief ein Schauer über den Rücken.

Cai entfernte sich so langsam von den Bäumen, als müsste er gegen einen Sog ankämpfen. Gawain rief nach ihm, und Cai setzte sich endlich in Bewegung. Die beiden kamen genau auf Autumn zu.

Autumn schrak auf und wich zurück, am liebsten wäre sie mit der Dämmerung verschmolzen. Doch sie konnte sich nirgends verstecken, und die Irrwische schimmerten schwach durch den Sack. Die beiden Jungen blieben stehen.

»Wer ist da?«, rief Cai und versuchte, unter ihre Kapuze zu spähen.

Autumns Herz hämmerte. Sie wusste genau, wer Cai Morrigan war – jeder in Eirie wusste es –, doch sie war ihm noch nie zuvor wirklich begegnet. Plötzlich musste sie an ihren schlammverkrusteten Mantel denken, an ihr zerzaustes Haar mit dem Irrwisch darin und an ihre ausgetretenen Stiefel mit dem Loch am linken großen Zeh.

Cai und Gawain dagegen trugen ihre prächtigen Ingelnook-Umhänge, die aussahen, als wären sie aus dem Nachthimmel gewebt, glänzend schwarz mit lavendelblauen Borten. Gawains Krawatte saß etwas locker, und Cais karierter Schal schleifte im Gras. Doch abgesehen davon verkörperten sie das perfekte Bild von zwei verwegenen jungen Magiern, die man, sobald sie erwachsen waren, überall wie Fürsten behandeln würde. Magier waren die Beschützer von Eirie und die Einzigen, die die Ausbreitung des Flüsterwalds und seiner Ungeheuer aufhalten konnten. Nur der König und die Königin wurden noch mehr verehrt.

Autumn merkte, dass sie Cai anstarrte, und verbeugte sich hastig. »Sir«, war alles, was sie herausbrachte.

»Nur eine Monsterhüterin«, sagte Gawain, etwa so, wie man sagen würde: Nur eine Maus.

Cai wirkte erleichtert. Dafür, dass er so berühmt war, sah er nicht gerade beeindruckend aus mit seinen verwuschelten schwarzen Haaren, die meistens seine Augen verbargen, und dem schmalen, reiherartigen Körperbau. Seine hellbraune Haut war von Sommersprossen übersät, die ihn jünger wirken ließen. Doch seine Stimme hatte einen samtigen, melodischen Klang, der sein unscheinbares Äußeres wieder ausglich.

Cai blinzelte Autumn an und musterte ihre weißen Haare und ihre schlaksigen Beine, die einzigen Teile ihres Körpers, die unter ihrem Mantel hervorlugten. »Du bist doch Winter Malog, oder? Könntest du so tun, als hättest du uns nicht gesehen? Wir dürfen nach Anbruch der Dunkelheit eigentlich nicht nach draußen.«

Autumn konnte ihn nur weiter anstarren. Ihrem Kopf waren alle Gedanken entwichen, und das lag nicht daran, dass der berühmte Cai Morrigan sie um einen Gefallen gebeten hatte.

»Das ist nicht Winter«, sagte Gawain. Er hatte helle Haut und prächtige dunkle Locken bis zum Kinn, aber er hatte einen kalten, überheblichen Blick wie alle wohlhabenden Schüler von Ingelnook. »Winter ist tot. Das ist die Zwillingsschwester – ich weiß nicht, wie sie heißt.«

Cai wurde rot. Autumn fühlte sich, als hätte sie etwas Kaltes, Schleimiges verschluckt.

»Du hast uns nicht gesehen«, sagte Gawain zu Autumn. »Klar?«

Autumn senkte den Kopf. Zu ihrem Entsetzen begann ihre Unterlippe zu zittern. Sie würde nicht vor Gawain weinen. Ganz bestimmt nicht.

Gawain trat näher. »Ich hab gesagt, klar?«

Autumn zwang sich, Luft zu holen, zwang sich, zu murmeln: »Ja, Sir.«

»Das war doch nicht so schwer.« Gawain wandte sich zu Cai. »Ich wünschte, Ingelnook würde seine Dienstboten besser erziehen. Komm.«

Cais Wangen waren tiefrot. Er murmelte etwas, möglicherweise eine Entschuldigung, dann eilte er hinter Gawain den Berg hinauf. Einmal schaute er über die Schulter, doch das sah Autumn nicht. Sie war schon weg und rannte mit hämmerndem Herzen in der Brust und wütenden Tränen in den Augen den Berg entlang.

2In dem Autumn mit dem Boggart spazieren geht

Autumn lebte schon so lange am Rand des Flüsterwalds, dass sie manchmal vergaß, dass er voller Monsterwesen war. Wesen aller Gestalten und Größen, manche sogar mit mehreren Gestalten oder auch gar keiner. Längst nicht alle Monster aus dem Flüsterwald fraßen Kinder – manche fraßen auch Trauer oder Angst, andere bevorzugten Seelen oder Herzen oder Zehennägel, am liebsten mit einer anständigen Portion Geschrei dazu. Es gab aber auch Geschöpfe mit entschieden unmonströsen Essgewohnheiten. Drachen fraßen Beeren, reife Äpfel direkt vom Baum und Gemüse, das sie in ihren Gärten anbauten. Amfizel liebte ihre dicken dunkelorangen Möhren und verschlang sie mit Kraut und Stiel und mit viel Geschnaufe und Geschmatze, sobald sie – ihrer Expertinnenmeinung nach – die perfekte Reife erreicht hatten.

Am Morgen nach Autumns peinlicher Begegnung mit Cai Morrigan schwirrte in der ganzen Schule das Gerücht herum, Cai habe sich in den Wald geschlichen und gegen den Schattendrachen gekämpft.

»Ich habe gehört, dass er total zerfetzt worden ist«, sagte Ceredwen und riss ihre grünen Augen weit auf. Ceredwen arbeitete mit ihren Eltern im Schloss und schnappte immer die besten Gerüchte auf. »Angeblich hat er eine Wunde von hier« – sie tippte sich an den Bauchnabel – »bis hier.« Sie tippte sich an die Stirn.

Autumn hatte bei Cai am Vorabend keine Anzeichen grässlicher Verletzungen bemerkt, doch das würde sie Ceredwen nicht verraten. »Was fällt ihm ein, in den Wald zu gehen und sich in Stücke reißen zu lassen?«, brummte sie nur.

Sie war mit Gran und den anderen auf einer ungenutzten Weide und erneuerte durchgefaulte Zaunpfähle. Die Weide lag am Fuße des Mythroor, wo sich fast den ganzen Tag der Schatten hielt, störrisch und klamm, genau wie Autumns Laune.

»Keine Ahnung«, erwiderte Ceredwen und kaute auf einem ihrer blonden Zöpfe. Ceredwens Haare waren lang und üppig, obwohl sie immer darauf herumkaute. »Vielleicht wollte er die Prophezeiung erfüllen.«

»Das würde ich ja gerne sehen.« Die Vorstellung, dass dieser schmächtige, errötende Junge, dem sie gestern Abend begegnet war, dem Schattendrachen auch nur fünf Sekunden lang die Stirn bieten konnte, war einfach lachhaft. Der Schattendrache hatte ganze Dörfer niedergebrannt und an einem einzigen Nachmittag die halbe königliche Armee niedergemetzelt. Er hatte zehn Magier und zahllose Ritter verschlungen, die versucht hatten, ihn zu besiegen. Er war das schrecklichste Ungeheuer, dass es in Eirie je gegeben hatte. Und Cai Morrigan wollte ihn aufhalten?

Autumn schnaubte.

Ihre Gefühle für Cai waren über Nacht nicht herzlicher geworden. Auch wenn eigentlich Gawain der Widerling gewesen war, hatte Cai nur wie ein Trottel danebengestanden. Und das war der Junge, in den die Meister von Ingelnook all ihre Hoffnungen setzten. Ein Junge, der in seinem ganzen Leben noch nie für irgendwas hatte arbeiten müssen! Bloß weil irgendein Hellseher eine Prophezeiung über ihn gemacht hatte, als er noch ein sabbernder Säugling gewesen war. Mit einem weiteren Schnauben ließ Autumn ihren Hammer auf den Zaunpfahl niedersausen.

»Hast du Schnupfen?«, erkundigte sich Ceredwen.

»Weiß deine Ma eigentlich, dass du hier unten bist, Ceri?«, fragte Gran, die mit schmatzenden Stiefeln durch den Schlamm gestapft kam. Gran war stämmig und breitschultrig, und ihr Haar war schwarz bis auf eine breite weiße Strähne. Sie war groß genug, um einen Flügeldrachen zu bezwingen, was sie auch mehr als einmal getan hatte. Ihre Kleidung war oft so schlammverkrustet, dass die braune Farbe sich nicht mehr herauswaschen ließ, und ihre Stiefel hatten Stahlkappen und reichten bis übers Knie. Mit ihrer Hakennase und ihrem stechenden Blick vom vielen Blinzeln in Sonne, Regen und Hagel sah sie wie ein alter stolzer Rabe aus – stets bereit, sich mit irgendjemandem anzulegen. Genau wie alten Raben gingen ihr die meisten Leute aus dem Weg.

Ceredwen nahm ihren Zopf aus dem Mund und blickte schuldbewusst drein. »Ich …«

»Ich denke, nicht«, schnitt Gran ihr das Wort ab. »In den dünnen Sachen holst du dir noch den Tod. Ab mit dir!«

Sie sagte es im gleichen Tonfall, in dem sie mit den Monstern sprach, und erzielte eine ähnliche Wirkung – Ceredwen verstummte und eilte davon. Sie blieb nur kurz stehen, um Autumn zuzuwinken und sich den Zopf wieder in den Mund zu stecken.

»Warum machst du dir nie Sorgen, dass wir uns den Tod holen, Gran?«, fragte Autumn, während sie weiter auf den Pfosten einhämmerte.

»Du liebe Güte!« Gran schnaufte. »Sollte ich mir wirklich Sorgen machen, mich um einen Knirps weniger kümmern zu müssen, in meinem Alter? Die hätten sich eure Eltern machen sollen, bevor sie sich aus dem Staub gemacht haben, als du noch ein Baby warst. Mussten sich ja unbedingt von einem Seedrachen fressen lassen und ihre ganze Brut bei mir abladen. Ihr macht mehr Arbeit als ein Flügeldrache mit Zahnweh, aber dein Vater hat ja schon zu Lebzeiten für nichts als Ärger gesorgt, also, warum sollte es nach seinem Tod anders sein? Herrje, Kind, gib mir den Hammer – du haust dir ja noch ein Auge aus!«

Autumn strich sich die Haare aus der verschwitzten Stirn. »Gran, darf ich mit dem Boggart in den Wald gehen? Meister Erethor will ihn morgen einem Oberschüler vorführen, und er wird besser drauf sein, wenn er vorher etwas gegessen hat.«

Gran warf ihr einen scharfen Blick zu. »Das Viech findet zu viel Gefallen an dir, Kind. Du wärst eine Närrin, wenn du dich darauf einlässt.«

Autumn seufzte. Diese Warnung sprach Gran etwa alle zwei Wochen aus. Dabei wusste Gran genau, dass sie nichts gegen Autumns Freundschaft mit dem Boggart tun konnte – niemand konnte Boggarts Vorschriften machen, nicht einmal Gran. Wann immer sie versuchte, die beiden zu trennen, ignorierte der Boggart sie und heftete sich nur noch fester an Autumns Fersen.

»Bitte, Gran«, bettelte Autumn. »Es ist nicht fair, dass immer Emys und Kyffin die spannenden Sachen machen dürfen. Nie lässt du mich etwas Wichtiges erledigen. Warum darf ich nicht auch mal …«

»Es gibt keinen Grund, so zu schreien.«

Autumn seufzte wieder. Das hatte sie schon oft gehört, genau wie Ruhe jetzt und Klappe, Autumn, und, ihr persönlicher Lieblingssatz, Knöpfe zu, als wäre sie ein verkrumpelter, herumflatternder Mantel. Sie versuchte ja, leiser zu sein, aber warum eigentlich? Das erklärte ihr nie jemand.

»Du darfst gehen«, sagte Gran. »Wenn du Emys oder Kyffin mitnimmst.«

Autumn murrte – leise.

»Wie bitte?« Gran richtete ihren Adlerblick auf sie.

»Nichts, Gran.«

»Du willst mir doch wohl nicht widersprechen, hm?«

»Aber nein, Gran. Niemals.«

»Das dachte ich mir.« Gran rammte den Pflock mit zwei grimmigen Schlägen in den Boden.

Autumn lief zu ihren Brüdern, die am anderen Ende der Weide neue Pfähle zurechtsägten, doch bevor sie sie bemerkten, schwenkte sie nach links zum Bergkamm. Sie hatte nicht vor, sie um Hilfe zu bitten, schon gar nicht Emys, ihren ältesten und nervigsten Bruder. Sie hatte im Wald etwas Wichtiges zu tun, und sie wollte nicht, dass ihr dabei irgendwelche Brüder in die Quere kamen.

Seit Winters Verschwinden vor fast einem Jahr war es Autumns Mission, herauszufinden, was mit ihm passiert war. Winter hätte sie nie im Stich gelassen, und sie würde ihn auch nicht im Stich lassen. Niemals.

Am Käfig des Boggarts angekommen, spähte sie durch ein Fenster. Der Boggart wohnte in der alten Monsterhüterhütte, die seit hundert Jahren nicht mehr genutzt wurde. Es war nur ein Raum aus verwitterten Steinen, und es war eigentlich überhaupt kein Käfig, er wurde nur so genannt, damit die Schüler der unteren Klassen sich besser fühlten. Der Boggart konnte kommen und gehen, wie es ihm gefiel, auch wenn er selten sehr weit ging.

Boggarts waren die ältesten und mächtigsten Wesen der Welt, so mächtig, dass niemand das Ausmaß ihrer Magie kannte – sehr zur Freude der Boggarts, denn mehr als alles andere liebten sie es, rätselhaft zu sein. Bekannt war dagegen, dass Boggarts jede Gestalt annehmen konnten, die sie wollten – von der kleinsten Fliege bis zur gewaltigsten Bestie –, denn sie hatten keine eigenen Körper, die sie dabei behindern konnten. Da sie keine Körper hatten, konnte man sie auch nicht töten oder bekämpfen, und keine bekannte Magie hatte je bei einem Boggart Wirkung gezeigt. Für Monsterwesen ungewöhnlich war, dass Boggarts Stubenhocker mit einer unvorstellbaren Vorliebe für Gesellschaft waren und sich stets an eine Familie hängten, ob es der Familie nun gefiel oder nicht. Der Boggart war nicht wirklich Teil der Menagerie, er gehörte zu den Malogs, besonders aber zu Autumn.

Der Boggart erhob sich von einem sonnigen Fleckchen und streckte sich. Er trug eine seiner Lieblingsgestalten, einen prachtvollen schwarzen Kater.

Wo warst du denn so lange? Ich habe dich schon … Er hielt inne. Der Boggart hatte ein extrem schlechtes Zeitgefühl. … ewig nicht gesehen. Ewig!

»Es war gestern«, sagte Autumn. Mit dem Boggart musste sie nicht in Monstersprache reden. Boggarts verbrachten so viel Zeit in der Nähe von Menschen, dass sie ihre Sprache lernten. Wenn auch nicht, um auf sie zu hören. »Ich muss noch mal in den Wald. Kommst du mit?«

Okay. Der Boggart stolzierte zum Fenster. Der Boden der Hütte war mit Münzen und Plunder bedeckt – Boggarts sammelten alles, was glänzte. Aber einer deiner Brüder ist auch auf dem Weg hierher. Der schlimmste.

Autumn stöhnte. Und richtig, da stapfte Emys auch schon mit langen Schritten durchs Laub den Berg herab. Tschi, der Hund der Familie Malog und definitiv der unmagischste Hund der Welt, hüpfte neben ihm her. Tschi hatte seinen Namen von seiner Angewohnheit, laut zu niesen, wann immer ein Monster in der Nähe war. Manchmal nieste er aber auch völlig grundlos, was nichts für schwache Nerven war. Er war groß und gelb und flauschig, und sein niedliches Aussehen sorgte dafür, dass er von der ganzen Welt geliebt wurde. Das war nicht unpraktisch bei einem Hund, der einen Großteil des Tages in der Nähe von Monstern verbrachte. Tschi war furchtlos – nicht, weil er mutig war, sondern weil er keine Feinde hatte, die er hätte fürchten müssen.

Autumn kraulte ihm die Ohren, und Tschi blickte mit seiner nie endenden wonnigen Miene zu ihr auf.

»Was glaubst du, wo du mit dem Viech hinwillst?«, motzte Emys. Sein langes, schmales Gesicht war rot vor Kälte. »Gran hat gesagt …«

»Gran hat gesagt, dass ich mit dem Boggart spazieren gehen darf«, sagte Autumn. Tschi nieste einen Sprühregen über den Boggart, der mit einem Fauchen darauf antwortete. Tschi missverstand das als eine Aufforderung zum Nasereiben.

»Ja, aber nur, wenn ich auf dich aufpasse«, entgegnete Emys finster. »Komm.«

Autumn nahm den Boggart auf den Arm und folgte Emys. »Musst du nicht ganz dringend jemanden anhimmeln?«

Emys warf einen weiteren finsteren Blick über die Schulter. Er hatte sich in eine der Schülerinnen von Ingelnook verliebt, ein stilles, trübsinnig dreinblickendes Mädchen. Genau wie er war sie sechzehn, und die beiden schlichen sich ständig zusammen weg. Es würde einen Skandal geben, wenn irgendjemand das herausfände. Die Monsterhüter standen auf der Rangliste der Dienstboten von Ingelnook ganz unten.

Sie tauchten unter die Äste des Waldes, und die Luft wurde feucht und kühl. Ein kleiner Pfad teilte die Eichen, dem sie bis zu einer Lichtung mit leuchtend rotem Fingerhut folgten. Von hier aus führten zwei Pfade weiter – der Brombeerpfad, der vor langer Zeit von Magiern geschlagen worden war, und der Irrpfad, der von Irrwischen oder Goblins oder Schlimmerem angelegt worden sein musste. Der Irrpfad führte tief, tief in den Wald hinein, und er war so unberechenbar, dass nur wenige Wanderer wieder zurückfanden.

Es sei denn, man hatte einen Lotsen.

»Du kannst auf die Jagd gehen, wenn du möchtest«, sagte Autumn zum Boggart. »Aber, bitte, bring mich erst zum Bach.«

Emys starrte sie wütend an. »Was hast du vor?«

Der Boggart brauchte keine weitere Aufforderung. Er verwandelte sich in eine goldene Nachtigall und hüpfte mit einem trällernden Lied durch die Bäume neben dem Irrpfad.

»Es geht um Winter, stimmt’s?«, fragte Emys. »Wenn du schon wieder einen deiner haarsträubenden Pläne ausheckst …«

»Ich habe nur einen einzigen Plan«, entgegnete Autumn. »Ich muss herausfinden, was mit ihm passiert ist. Du kannst ja zurückgehen. Aber der Boggart und ich bleiben hier.«

Emys’ Blick wurde noch düsterer. Es zwar war schon Jahre her, dass er Autumn in eine Matschpfütze geschubst oder sie durch einen Drachenfladen geschleift hatte, aber tief in ihm drin steckte noch immer ein Grobian. Und wie alle Grobiane zog er den Schwanz ein, wenn er an einen Stärkeren geriet. Autumn wusste, dass er den Boggart genauso sehr fürchtete wie die Schüler von Ingelnook.

»Na schön«, sagte er schließlich. »Aber Gran wird davon hören.«

»Du bist echt der schlimmste Bruder, den man haben kann«, erwiderte Autumn nur, und dann folgten sie beide dem Boggart.

Der Pfad wand sich um eine gespaltene Eberesche, an die Autumn sich nicht erinnern konnte, was bedeutete, dass der Pfad sich mal wieder geändert hatte. Schon bald hatte sie jegliche Orientierung verloren. Emys’ Hand glitt an das Messer an seinem Gürtel, und sein Blick schoss in alle Richtungen. Tschi tollte auf dem Pfad vor ihnen her, denn er war nicht in einem dunklen Wald voller Ungeheuer, sondern auf einem aufregenden Abenteuer mit seinen beiden Lieblingsmenschen an einem Ort voller hochinteressanter Gerüche.

Der Boggart huschte durch die Bäume. Emys und Autumn liefen ihm hinterher. Emys machte dabei entsetzlichen Lärm im Unterholz. Da sie Magier fürchteten, wagten sich die meisten Geschöpfe nicht allzu nah an Ingelnook heran, doch das hieß nicht, dass sie es nie taten. Autumn wünschte, Emys wäre nicht so ein Ochse.

Dabei hatte sie selbst Angst. Sie hatte immer Angst, wenn sie in den Flüsterwald ging, aber es war eine gute Art von Angst. Sie wusste, es war dumm, aber sie liebte den alten Wald. Sie liebte die Blauglöckchen, die den Waldboden bedeckten, und die lauernden Irrwische, die nachts durch die Bäume geisterten. Sie liebte es, wenn die Morgendämmerung Spinnweben aus Nebel über die Bäume legte und wenn die Äste ächzten und stöhnten wie ein herrliches Spukhaus.

Autumns Fuß blieb in einem Schlammloch stecken. Emys und sie stritten, wie sie weitergehen sollten – Emys suchte nach einem Weg um den Matsch herum, Autumn wollte einfach hindurchwaten. Am Ende ignorierte sie seine Einwände und stapfte mit schlürfenden Stiefeln mitten durch den Schlamm. Auf der anderen Seite angekommen, entdeckten sie nur wenige Meter entfernt einen etwas erhöhten, rundum trockenen Weg.

»Zum Teufel«, knurrte Emys, während er sich die Matschspritzer vom Mantel wischte. »Du musst immer alles so laut und unerträglich wie nur möglich machen, was? Kein Wunder, dass der Boggart so einen Narren an dir gefressen hat – du bist ja selbst ein halbes Ungeheuer.«

»Musst du gerade sagen. Du siehst aus wie ein Drache, der versucht, auf den Hinterbeinen zu laufen!«

Sie erreichten eine kleine Hügelkette, wo der Wald heller wurde und sich mehrere Lichtungen voller Weidenröschen auftaten. Autumn und Emys schlängelten sich zwischen verfallenen, moosbedeckten Mäuerchen hindurch. Autumns Herz schlug schneller, und sogar Emys wählte seine Schritte vorsichtiger. Hier war einst das Dorf Beddle gewesen, das vor hundert Jahren nach einem Drachenangriff verlassen worden war. Jedes Jahr wurde mindestens eins von Eiries Dörfern von dem großen Wald verschluckt, der unaufhaltsam seinen Weg nach Süden fortsetzte. Und es war in den letzten dreizehn Jahren schlimmer geworden, viel schlimmer, seit der Schattendrache aus dem Norden heruntergekommen war.

Wenige Minuten später erreichten sie den Bach. Er wand sich durch Farn und Efeu, dunkel und still, als fürchtete auch er, entdeckt zu werden.

Kann ich jetzt jagen?, fragte der Boggart. Boggarts verhungerten nicht, wenn sie nicht fraßen, aber sie wurden träge und noch übellauniger als sonst.

Ja, sagte Autumn. Iss was, und komm schnell wieder.

Keine Sorge, erwiderte der Boggart. Es ist niemand in der Nähe, weder Mensch noch Monster.

Er landete auf dem Boden und verwandelte sich in einen Greif mit peitschendem Schwanz und wasserfallartiger Mähne. Emys stieß einen kleinen Schrei aus, und der Greif schnaubte zufrieden und verschwand mit beunruhigender Anmut und kaum hörbarem Blätterrascheln im Unterholz. Tschi setzte ihm nach und bellte begeistert, als der Boggart sich in Luft auflöste. Solche Überraschungen machten alles noch viel spannender! Anschließend trottete er zu Autumn zurück, um sich sein verdientes Ohrenkraulen abzuholen.

»Was genau hoffst du eigentlich zu finden?«, fragte Emys.

»Ich hoffe gar nichts. Ich stelle Nachforschungen an.«

Als Winter verschwunden war, hatten alle angenommen, dass der Schattendrache dahintersteckte. Man hatte einen von Winters Stiefeln im Flüsterwald gefunden, schwarz verkohlt und noch rauchend. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass der Schattendrache ein Kind von Ingelnook geholt hatte. Die Magier hatten die Köpfe geschüttelt – schade um den Jungen, hatten sie gesagt, aber Monsterhüter starben ständig, gefährlicher Beruf, sehr gefährlich – und waren dann zu ihren Alltagsgeschäften zurückgekehrt. Selbst Gran hatte es geglaubt.

Doch Autumn würde es niemals glauben.

Seit sie denken konnte, waren Winter und sie in der Lage gewesen, einander zu orten. Es war, als hätte sie eine Landkarte im Kopf, auf der Winter ein kleiner blinkender Punkt war. Wenn jemand sie fragte, wo er war, musste sie nur einen Blick auf diese Karte werfen und wusste Bescheid. Als Winter verschwand, war der Punkt nicht mit ihm verschwunden. Die Karte im Kopf war weg, aber nicht der Punkt. Winter war noch da, irgendwo, aber seltsamerweise konnte Autumn ihn nicht mehr finden.

Niemand glaubte ihr, und sie konnte es ihnen auch nicht wirklich verübeln. Es klang selbst in ihren Ohren weit hergeholt. Deshalb versuchte sie gar nicht erst, jemanden zu überzeugen, sondern machte sich selbst daran, Beweise zu sammeln.

Als Erstes ging sie zu der Stelle, wo die Magier den Stiefel gefunden hatten, und untersuchte die Brandspuren am Boden. Der Schattendrache musste erstaunlich treffsicher beim Feuerspucken sein – nur ein winziger Grasfleck war verkohlt. Aber hatte das etwas zu bedeuten? Sie wusste es nicht.

Also begann Autumn, die Bäume zu befragen.

Der Flüsterwald war alt – es hatte ihn schon gegeben, bevor Eirie zu Eirie geworden war, bevor die Südlichen Reiche zu den Südlichen Reichen geworden waren. Und manche seiner Bäume waren gar keine Bäume, sondern Wesen, die im tiefen Schatten des Waldes eingeschlafen waren und noch immer träumten. Zunächst hatte Autumn einen krumm gewachsenen Holunderbusch geweckt, der früher mal ein Drache gewesen war. Sie hatte Wochen dafür gebraucht, war gekommen, wann immer sie Gran entwischen konnte, und hatte dem Drachen in die Gedanken geschrien, bis die Rinde, die über seine Haut gewachsen war, gezuckt und gezittert hatte. Das Geschöpf konnte sich zwar nicht an viel erinnern, doch es hatte einen Jungen gerochen, der am Tag von Winters Verschwinden zum Bach gegangen war.

Also war auch Autumn zum Bach gegangen, wo sie ein Monster gefunden hatte, das wie ein Baumstamm aussah, in Wahrheit aber eine uralte Ogerin unter einer Decke aus Moos war. Die Ogerin war über die Störung alles andere als erfreut gewesen, und wenn der Boggart nicht bei ihr gewesen wäre, wäre Autumn vielleicht ernstlich in Gefahr geraten. Nach einer Menge Gezeter hatte die Ogerin schließlich gesagt, sie erinnere sich, dass ein weißhaariger Junge vorbeigekommen sei und möglicherweise auch ein Drache. Sie seien nach Norden gezogen, am Bachufer entlang auf das Herz des Flüsterwalds zu. Mehr wisse sie nicht.

Dann, einige Monate nach Winters Verschwinden, hatte eine Meisterin von Ingelnook eine sonderbare Entdeckung gemacht: Sie hatte Winters anderen Stiefel gefunden.

In der Schule.

Er hatte in einem ungenutzten Seitengang gelegen, Winters Initialen waren gut sichtbar in die Sohle geritzt. Hatte Winter den Stiefel dort liegen lassen und war dann mit nur einem Stiefel in den Wald marschiert, um sich vom Schattendrachen entführen zu lassen? Wenn ja, warum hatte ihn niemand gesehen? Oder hatte jemand den Stiefel im Wald gefunden und in die Schule gebracht? Warum?

Das passte alles nicht zusammen.

Autumn ging vorsichtig am Bachufer entlang, über glitschige Steine voller Algen und modrigem Laub, dicht gefolgt von Tschi. Im düsteren Waldschatten schwebten ein paar Irrwische herum – normalerweise schliefen sie bis zum Einbruch der Dämmerung. Autumn ging an der schlafenden Ogerin vorbei und weiter nach Norden. Sie hatte noch kein anderes Geschöpf gefunden, das sie wecken konnte, obwohl sie schon seit Wochen suchte.

Neben einem mächtigen Baumstamm blieb sie stehen, legte die Hand auf die raue Rinde und lauschte. Lauschte und bemühte sich, nicht die Enttäuschung in sich hochsteigen zu lassen – schließlich hatte sie gerade erst angefangen. Doch sie hatte schon so oft nach Winter gesucht und nichts gefunden, und es war schwer zu glauben, dass es diesmal anders sein würde.

Sie würde ihn niemals aufgeben, doch jeder Tag, der verging, machte die Hoffnung in ihr ein bisschen schwerer und verlieh ihr scharfe Kanten der Traurigkeit.

»Was zur Hölle machst du da?« Emys’ Hand lag noch immer an seinem Messer.

»Ich lausche nach einem Herzschlag.«

Emys starrte sie mit offenem Mund an. »In einem Baum?«

»Nicht alle sind Bäume. Manche von ihnen waren mal Monsterwesen. Das weißt du doch – du kennst Grans Geschichten.«

Emys wich hastig zurück, stieß gegen einen anderen Baum und sprang zur Seite. »J-ja.«

Autumn ging weiter. In der Ferne heulte ein Bluthund von Arawn, und Autumn versuchte, nicht an gruselige Augen zu denken, die in der Dunkelheit aufleuchteten. Der Wald wurde dunkler, je tiefer man in ihn eindrang, dicke Äste webten sich durcheinander, aber immerhin wurde das Unterholz weniger, und Autumn und Emys kamen schneller voran. Autumn fragte sich, wie viel Zeit sie hatte, bis Gran misstrauisch wurde und sie suchen kam. Gran brauchte keinen Boggart als Geleitschutz, wenn sie in den Wald ging – sie konnte die meisten Monster mit einem einzigen Gedanken verscheuchen.

Tschi blieb stehen, senkte den Kopf und schnüffelte an einem Baumstumpf. »Tschi«, rief Autumn, doch der Hund wedelte nur mit dem Schwanz. »Tschi!«

»Nicht so laut!«, zischte Emys.

Autumn watete durch die Blauglöckchen und ging neben Tschi in die Knie. Irgendetwas steckte da zwischen Wurzeln und Laub – eine Decke vielleicht oder ein Kleidungsstück? Sie war schon viele Male an dieser Stelle vorbeigegangen und hatte es noch nie bemerkt.

Tschi winselte. Autumn griff unter die Wurzeln, streifte dabei ein paar rote Giftpilze, die beim Brechen einen süßlich riechenden Nebel verströmten, und schob ihre Finger unter das Stoffstück.

Es war größer, als sie angenommen hatte, und unter einer ganzen Schicht Wald verborgen – es löste sich mit einem Blätterregen. Der Stoff war erdig und roch nach Schimmel und Pilzen.

»Autumn?«, rief Emys.

Autumn gab keine Antwort. Sie fummelte am Kragen herum, obwohl sie schon wusste, was sie in den Händen hielt, noch bevor ihr Blick auf die unbeholfen eingestickten Buchstaben fiel: W.M.

Es war Winters Mantel.

3In dem Cai Morrigan um einen Gefallen bittet

Autumn wollte so schnell wie möglich nach Hause, um den Mantel zu untersuchen, den sie hastig in ihren Rucksack gestopft hatte. Doch am Waldrand wurden Emys und sie von einem Dienstboten abgefangen, der erklärte, einer der Meister benötige ihre Hilfe. Der Dienstbote starrte sie entgeistert an, und Autumn wurde klar, dass sie von oben bis unten mit Schlamm bedeckt war. Sie war allerdings nicht in Stimmung, sich darum zu kümmern.

Die Fragen schwirrten nur so in ihrem Kopf herum, während sie dem gewundenen Bergpfad folgte. Wie war der Umhang so tief in den Wald geraten? Warum war er nicht verkohlt wie der Stiefel?

Die Klippe, auf der die Unterschüler trainierten, lag hoch über Ingelnook, ein flaches Plateau oberhalb eines Steilhangs, das man nur über eine wacklige Steintreppe erreichte. Von dort oben konnte man die dunkle Masse des Flüsterwalds sehen, die sich weit bis zum nördlichen Horizont erstreckte, im Westen die von Wellen zerknitterte See und im Osten das neblige Gebirge von Twyllaghast.

Etwa fünfzig Unterschüler im Alter von acht bis vierzehn Jahren hielten sich auf der windigen Klippe auf. Ihre Stäbe verliehen den Felsen einen hübschen Glanz – jede Spitze war ein kleiner Kristall voller Licht. Jedes Licht war Magie, die gesammelt und mittels einer mysteriösen Alchemie verwandelt wurde, die nicht einmal die Magier selbst ganz verstanden. Es gab Sternenmagie, Sonnenmagie, Feuermagie und Mondmagie. Nach dem, was Autumn begriffen hatte (viel war es nicht), konnten alle Magier die gleichen Zauber ausführen, egal, welche Art Magier sie waren. Aber manche Zauber gelangen besser, wenn sie von einem Sonnenmagier ausgesprochen wurden, andere von einem Mondmagier und so weiter. Gran hatte es einmal so erklärt, dass Magier wie Musiker waren, die jedes beliebige Lied spielen konnten. Doch manche Lieder waren eben für eine Geige komponiert und andere für eine Harfe oder Trommel, und es sei schwieriger, Musik zu spielen, die nicht für das eigene Instrument geschrieben worden war.

Meisterin Connor winkte Autumn zu sich. Die Schülerinnen und Schüler übten Verzauberung an den Heinzelmännchen aus der Menagerie, kleinen haarigen Geschöpfen, die wie runzlige alte Männer aussahen. Manche Heinzelmännchen waren schlichte Haushaltswesen, die gerne putzten und kochten und nachts aus ihren Verstecken kamen, um Geschirr zu spülen und dergleichen. Manche von ihnen waren aber auch richtige Quälgeister. Sie besaßen eine kleine Menge Magie, die es ihnen erlaubte, über große Entfernungen zu springen, indem sie Windstöße herbeiriefen, und die Schüler mussten ihrerseits Windstöße heraufbeschwören, um sie aufzuhalten. Autumns Aufgabe war es, überall dort einzugreifen, wo es so aussah, als könnte ein Schüler verletzt werden, und sie hatte schon bald alle Hände voll zu tun.

»Vorsicht!«, rief sie einem kleinen Mädchen zu, das mit seinem Stab planlos in der Luft herumfuchtelte. Ein Heinzelmännchen schlich sich von hinten an und biss sie in die Wade.

Loslassen!, befahl Autumn. Der Heinzelmann jaulte auf und rannte davon, doch das Mädchen war bereits in Tränen ausgebrochen. Ihr Zauber brach, und glitzernder Sonnenschein tröpfelte aufs Gras wie Regen.

»Du verschwendest deine Magie, Kind«, mahnte Meisterin Connor. Das Mädchen weinte noch heftiger. Autumn vermutete, dass die Meisterin absichtlich streng war. Denn Sonnenmagie ließ sich am leichtesten auffüllen – selbst an Regentagen sickerte etwas davon durch die Wolken.

Normalerweise war Autumn ziemlich gut darin, Heinzelmännchen in Schach zu halten – wenn man sie beim Nackenfell packte, wurden sie schlaff wie Kätzchen. Heute aber war sie abgelenkt, und am Ende der Stunde waren ihre Hände zerkratzt und blutig.

Als die Schüler weg waren, tadelte Meisterin Connor sie wegen ihrer Unaufmerksamkeit. Die Heinzelmännchen hatten sich über ihre Bücher hergemacht, hatten Seiten herausgerissen und über die Klippe verteilt. Meisterin Connor ließ Autumn das ganze Durcheinander aufräumen, obwohl das gar nicht ihre Aufgabe war. Autumn murmelte eine Entschuldigung und machte ein möglichst stumpfsinniges Gesicht dazu. Sie hatte festgestellt, dass das die beste Methode war – wen die Meister für einen Schwachkopf hielten, den ließen sie schneller in Ruhe. In der Hinsicht brauchte es komischerweise nie viel Überzeugungskraft.

Die Sonne sank schon hinter die Berge, während Autumn hinter den letzten Seiten herjagte. Der Wind hatte an diesem Abend eine bösartige Laune, und kaum hatte sie sich einem ihrer Opfer genähert, flatterte es auf einen gefährlichen Vorsprung oder mitten in einen Stechginsterbusch. Schon bald war sie verschwitzt und grantig.

Am violetten Abendhimmel ging der Mond auf. Eine Handvoll Magier kam auf den Rasen vor der Schule geschlendert, um Mondlicht zu sammeln.

Autumn hielt inne. Der Anblick erinnerte sie an jemanden, der einen Besen durch Spinnweben schwang. Das Mondlicht leuchtete kurz auf und sickerte dann in die Stäbe der Magier. Manchmal bückten sie sich auch und schöpften vom Boden ganze Hände voll auf.

Autumn überlegte wieder einmal, wie es sich wohl anfühlte, Licht zu berühren. Sie stellte es sich oft vor. Sie dachte, dass das silbrige Mondlicht kalt und ein bisschen glitschig sein müsste, wie Fische. Sternenlicht war so cremig fahl wie Knochen, und so fühlte es sich bestimmt auch an – glatt und gespenstisch. Sonnenlicht und Feuerlicht waren natürlich warm, aber Feuerlicht knisterte und zischte in der Hand, während das goldene Sonnenlicht die klebrige Geschmeidigkeit von Honig hatte.

Autumns Finger kribbelten. Mühsam riss sie den Blick von den Magiern los.

Als sie endlich alle Seiten aufgesammelt hatte, die sie finden konnte, rannte sie zum Schloss und brachte sie in Meisterin Connors Büro. Dann stieß sie zu dem Strom der Schülerinnen und Schüler, die über die große Treppe nach unten dem Speisesaal und ihrem Abendessen zustrebten. Der schnellste Weg nach Hause führte über den dritten Treppenabsatz und den Korridor zum Dienstboteneingang.

Ein kaum merklicher Ruck ging durch die Menge. Autumn ahnte, was er bedeutete, und richtig, da kam auch schon Cai Morrigan die Treppe hinunter. Neben ihm ging ein dunkelhaariges Mädchen, das Autumn als eine seiner Begleiterinnen kannte. Die Blicke und getuschelten Bemerkungen, die Cai stets folgten, schien er nie wahrzunehmen, auch nicht, dass die jüngeren Schüler zur Seite sprangen, als wäre er der König persönlich. Ein Mädchen stolperte vor Hast, und Cai blieb stehen und half ihm auf. Ihre Freundinnen starrten es ehrfürchtig an.

Autumn warf Cai einen mürrischen Seitenblick zu. Mit gesenktem Kopf schlängelte sie sich durch die Menge, wobei sie sich bei jedem Schritt Stöße und Ellbogenhiebe einfing. Einige Magier musterten sie misstrauisch, doch der Großteil ignorierte sie wie üblich.

»Autumn?«, sagte eine Stimme. »Autumn Malog?«

Autumn hob den Blick und erwartete, einen Dienstboten zu sehen. Doch es war Cai.

Die anderen Schüler wirbelten mit flatternden Umhängen um ihn herum. Cai war ein Stück weiter unten auf der Treppe und blickte zu ihr auf. Als er nun gegen den Strom auf sie zuging, teilten sich die Schüler, um ihm Platz zu machen.