Die Schüler der Zeit - Sidney Michalski - E-Book

Die Schüler der Zeit E-Book

Sidney Michalski

0,0

Beschreibung

=== Dieses eBook ist Teil der zweiten, überarbeiteten und erweiterten Auflage. === Das eBook enthält etliche Illustrationen – einige davon in Farbe. === Empfohlen ab 10 Jahren. === Inhaltsbeschreibung: Die Geschwister Flora und Pan sind außergewöhnlich. Nicht nur, dass die Teenager schon seit Jahrhunderten leben, sie besitzen auch ganz besondere Kräfte. Sie können die Vergangenheit und damit die Gegenwart verändern. Diese Fähigkeit nutzen sie, um anderen zu helfen. Ihrer Freundin Lena zum Beispiel, die unglücklich ist und ihre Hilfe braucht … Herr Meier hält von diesen Änderungen der Vergangenheit nichts. Er findet sie gefährlich und wünscht, dass die Geschwister damit aufhören. Als Pan, Flora und Herr Meier zusammentreffen, kommt es zu einer Auseinandersetzung, die für alle schlimm auszugehen droht …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

Sidney M. Michalski

 

Die Schüler der Zeit

Das Haus

 

 

Impressum

 

Die Schüler der Zeit - Das Haus

 

Texte, Titel & Namen: © Copyright by Sidney M. Michalski

Fotos & Illustrationen: © Copyright by Sidney M. Michalski

Lektorat: Audrey Michalski

 

Zur Erstellung der Illustrationen wurden rechtefreie Fotos und Grafiken von pixabay.com verwendet. Einige der Illustrationen wurden freundlicherweise von Sidneys Tochter zur Verfügung gestellt.

  

Verlag:

Sidney M. Michalski

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

sidney @ die-schueler-der-zeit.de

 

© Copyright 2022 by Sidney M. Michalski

Alle Inhalte, insbesondere Texte, Illustrationen und Grafiken sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten.

 

Zweite, überarbeitete Auflage: September 2022

Version: Inhalt 2.0.1, eBook 2.0.1

 

 

Prolog

Am Himmel hingen dicke Regenwolken und es wirkte so, als wäre es schon später Abend. Jedoch war die Mittagszeit gerade erst vorüber. Die beiden Frauen schnauften vor Anstrengung. Der Weg war weit vom Dorf hinauf zum Haus auf dem Hügel.

 

Keine der beiden war freiwillig auf die beschwerliche Reise gegangen. Es hatte eine Versammlung im Dorf gegeben und sie beide waren dazu bestimmt worden, dem Haus einen Besuch abzustatten. Noch heute sollten sie gehen, denn die Dorfgemeinde wollte ein für alle Mal klären, was das für welche waren, die da oben wohnten.

 

»Das sind Hexen!«, sagte die jüngere der beiden Frauen. Sie sah älter aus, als sie war, und ihre langen blonden Haare waren un­ge­waschen und verfilzt. Ihr Gesichtsausdruck ließ eindeutig erkennen, dass sie Angst hatte.

»Ach, hör auf, das sind doch Kinder!«, sagte die andere. Ihr Gesichtsausdruck war freundlich – die Angst, die auch sie hatte, sah man ihr nicht an. Sie war sehr viel älter und hatte bereits graue Haare und etliche Falten im Gesicht. Mit ihren 36 Jahren war sie eine der ältesten Frauen im Dorf und man hörte in der Regel auf das, was sie sagte.

In dem Fall der zwei Kinder, die auf dem Hügel wohnten, war dies jedoch anders. Ihre Versuche, Partei für die beiden zu ergreifen, waren nicht gut angekommen und deshalb hatte man sie wohl dazu ausgewählt, mit den Kindern zu sprechen.

»Und es sind doch Hexen!«, sagte die blonde Melisande. »Wenn du gehört hättest, was ich gehört habe, du würdest sie nicht verteidigen!« Sie blickte düster, dann fuhr sie fort: »Mein Mann sein Bruder hat Sachen gehört. Nicht normale Sachen. Schlimme Sachen. Die beiden wissen was, das hat denen der Leibhaftige selbst erzählt!« Sie bekreuzigte und schüttelte sich, so sehr schauderte es sie, nur über die beiden Hexen zu reden.

»Hör’ schon auf, Meli!«, sagte die Ältere streng. »Du bist gerade mal halb so alt wie ich und glaubst die Wahrheit zu kennen? Die beiden sind anders, das stimmt, aber doch keine Hexen.«

Auch wenn Ava das immer wieder sagte und die beiden immer wieder verteidigt hatte, konnte sie einen tief in ihr sitzenden Zweifel nicht verdrängen. Es stimmte schon, dass der Junge und das Mädchen merkwürdige Sachen sagten, und Dinge wussten über die Natur und die Welt, die selbst den Gelehrten im Dorf unbekannt waren. Aber anders als Meli, die Angst vor allem und jedem hatte, sah sie in allen Menschen zuerst einmal das Gute. Meli sagte nichts mehr und beide stapften weiter in Rich­tung des Hauses.

 

Der beschwerliche Weg würde sich nicht lohnen – die beiden Ge­schwister waren nicht zu Hause, ja, sie wa­ren nicht einmal in der Nähe. Sie waren verreist – auf einer Mission.

Der Ausgang dieser Mission würde die Zukunft verändern – aber das wussten nur die beiden Kinder und sonst niemand.

 

 

 

Erstes Kapitel

MONTAG 6:40

Die Wecker-App auf Pans Handy klingelte nun schon zum dritten Mal. Jetzt würde er endlich aufstehen müssen. Wenn nicht, kämen er und seine Schwester zu spät in die Schule. Sinn ergab die Schule für sie beide nicht, war er der Meinung, aber Flora hatte ihn dazu überredet, doch wieder hinzugehen.

Pan stand auf, zog sich an, ging in die Küche und machte sich und Flora eine große Tasse Kaffee.

Seine Schwester kam herein.

»Schlafen Mama und Papa noch?«

Pan nickte.

Meistens frühstückten die beiden Kinder und ihre Eltern unter der Woche nicht miteinander.

Am Anfang hatten die beiden Erwachsenen noch darauf bestanden, dass sie natürlich gemeinsam mit den Kindern aufstehen und ihnen natürlich das Frühstück machen. Mit der Zeit hatten sie aber gemerkt, dass dies gar nicht nötig, vielleicht sogar von den beiden Kindern nicht einmal gewünscht war. Und so hatten sie entschieden – wenngleich auch mit einer gehörigen Portion schlechtem Gewissen – lieber etwas länger zu schlafen und die Kinder alleine aufstehen zu lassen.

Diese beiden Erwachsenen, bei denen Flora und Pan seit nun fast einem Jahr wohnten, waren Beate und Herbert Krohnenbach. Beate und Herbert konnten keine eigenen Kinder bekommen, hatten sich jedoch immer welche gewünscht. Ihre Versuche, Kinder zu adoptieren, waren erfolglos geblieben, denn beide arbeiteten zu viel und waren mittlerweile auch schon zu alt, als dass man sie hätte fremde Kinder aufziehen lassen.

Beide hatten sich – mehr oder weniger – damit abgefunden, niemals Kinder bei sich wohnen zu haben. Zumindest bis zu dem Tag im letzten Jahr, an dem Beate eine mysteriöse E-Mail bekommen hatte. Es schien zunächst eine von diesen Spam-E-Mails zu sein, die an viele Empfänger gesendet werden und eigentlich nur demjenigen dienen, der sie versendet – niemals jedoch dem, der sie erhält. Deshalb hatten Beate und Herbert der E-Mail zunächst keine weitere Beachtung geschenkt.

Als aber beide abends vor dem Fernseher saßen und wie schon so oft vorher wegen ihres unerfüllten Kinderwunsches unglücklich waren, wischte Beate ihre Bedenken beiseite und antwortete auf die E-Mail, ohne sich jedoch allzu große Hoffnungen zu machen. Zu ihrer größten Überraschung erhielt sie bereits am nächsten Tag eine Antwort. Diese E-Mail – die Antwort – hatte keinen Betreff und ihr Inhalt bestand lediglich aus drei Sätzen.

»Guck mal, Herbert«, sagte Beate gespielt nebensächlich. »Ich habe diese sehr merkwürdige E-Mail bekommen. Was hältst du davon?« Beate reichte ihrem Mann das Handy. Ihre Hände zitterten vor Aufregung, doch sie wollte sich nichts anmerken lassen.

Herbert nahm ihr Handy in die Hand und las die wenigen Zeilen der E-Mail durch. Er sah Beate zweifelnd an. Falten bildeten sich auf seiner Stirn, so angestrengt dachte er nach. Als er gerade ansetzen wollte, etwas zu antworten, stockte er und las stattdessen die E-Mail erneut. Immer noch konnte er sich kein­en Reim darauf machen. Also las er sie zum dritten Mal. Dieses Mal las er sie laut vor. Aber noch immer wusste er nicht, was er davon halten sollte.

Beate platze beinahe vor Aufregung, sah ihn ebenso unge­dul­dig wie fragend an und erwartete eine Antwort von ihm.

Da Herbert merkte, dass er etwas antworten musste, sprach er einfach seine Gedanken ungeordnet aus – auch, um sie für sich selbst sortieren zu können.

»Die Mail ist sehr eigenartig«, sagte er nachdenklich. »Alleine schon, wie sie geschrieben ist. Diese komischen Bild-Zeichen und für diesen wichtigen Inhalt ist sie auch viel zu kurz.«

Beate sah ihn weiterhin hoffnungsvoll an.

»Wenn uns jemand reinlegen wollte«, fuhr Herbert fort, »würde der sich sicherlich mehr Mühe geben. Aber wie soll das mit dem Reinlegen denn überhaupt funktionieren? Es gibt ja nicht mal eine Forderung etwas zu tun.«

»Du meinst also, dass das, was da steht, stimmt?«, platzte Beate freudig heraus. Sie konnte ihre Begeisterung nicht mehr zurück­halten. Zu toll war das, was in der E-Mail zu lesen war.

»Das habe ich nicht gemeint«, antwortete Herbert rasch. »Ich meinte nur, dass der Text so sonderbar ist, dass er vielleicht wahr sein könnte. Muss er aber nicht.« Eigentlich glaubte Herbert nichts von dem, was in der E-Mail stand, doch er wollte Beate nicht enttäuschen. Sie sah so glücklich und zuversichtlich aus, dass er es nicht übers Herz brachte, ihr zu sagen, was er wirklich dachte.

»Was heißt das nun?«, fragte Beate verwirrt und ein wenig enttäuscht. »Glaubst du, dass wir jetzt Kinder bekommen, oder nicht?«

Herbert musste nachdenken. Er glaubte nicht daran, aber wenn es wider Erwarten doch stimmen sollte und sie würden diese einzige Chance auf Kinder vermasseln, würde er sich das nie verzeihen. Und außerdem wurden in der E-Mail ja auch keine Forderungen gestellt. Sie sollten kein Geld bezahlen oder sonst irgendetwas tun. Es würde also nicht schaden, wenn sie einfach ein bisschen glauben würden. Glauben und hoffen.

»Ich denke, wir sollten dem Ganzen eine Chance geben!«, sagte Herbert mit gespielter Zuversicht.

Beate fiel ihm um den Hals und drückte ihn so fest, dass seine Rippen knackten. Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte kein Wort heraus. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie war so glücklich wie schon lange nicht mehr.

»Hoffentlich wird das keine Enttäuschung«, dachte Herbert erschrocken, als er bemerkte, wie sehr Beate hoffte, dass es wahr wäre. Er erwiderte Beates Umarmung und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Am Ende des Tages würden sie wissen, wie viel Wahres an der E-Mail war. So oder so würde er ein aufwän­diges Abendessen für sie vorbereiten. Entweder zur Feier des Tages oder als gigantisches Trostpflaster.

Da sie sich dazu entschieden hatten, daran zu glauben, dass Kinder bei ihnen einziehen würden und diese noch am selben Tag ankommen sollten, hatten sie keine Zeit mehr zu verlieren. Sie meldeten sich – ausnahmsweise – bei ihren Arbeitsstellen krank, gingen in unterschiedlichen Geschäften einkaufen und richteten eines ihrer Zimmer als Kin­der­zimmer her.

Beate gestaltete das Kinderzimmer mit so viel Eifer und derart liebevoll, dass Herbert immer mehr in den Bann ihres Enthu­siasmus gezogen wurde.

War er zunächst noch skeptisch gewesen, ob Kinder bei ihnen einziehen würden, glaubte er es nun ebenso wie Beate.

Immer dann, wenn sie sich im Laufe des Tages fragten, ob es denn wirklich möglich sei, auf diesem Wege Eltern zu werden, hatten sie diese Zweifel einfach beiseite geschoben. Zu groß war die Hoffnung und zu sehr hatten sie sich darüber gefreut, dass sie endlich nicht mehr alleine sein würden.

 

»Jetzt müssen wir aber wirklich los, Flora!«, sagte Pan mit Nachdruck.

Beide schnappten sich ihre Lederrucksäcke, liefen die kleine Treppe vor dem Haus herunter zu ihren Fahrrädern und fuhren zur Schule.

 

Als Beate und Herbert aufgestanden waren, fanden sie bereits ein leeres Haus vor. Es fühlte sich an wie früher, als sie noch alleine gelebt hatten.

Beate erschrak für den Buchteil einer Sekunde, bis ihr schnell wieder klar wurde, dass schon am Nachmittag – oder spätestens am Abend – ihre beiden Kinder wieder bei ihnen sein werden.

Beate und Herbert gingen hinunter in die Küche und freuten sich darüber, dass Flora und Pan, obwohl sie es offensichtlich eilig gehabt hatten, noch Zeit gefunden hatten, ihnen Müsli und Kaffee hinzustellen.

»Ich will mich wirklich nicht beschweren«, sagte Herbert, nachdem er den ersten Löffel Müsli gegessen hatte, »aber die beiden sind – und das sage ich, obwohl ich sie liebe, als wären es meine eigenen Kinder – manchmal etwas seltsam! Meinst du nicht auch, Beate?«

Beate antwortete zunächst nicht. Sie brauchte ein wenig, um die richtigen Worte zu finden. Es war schwierig, da sie das Gleiche dachte und Angst davor hatte, es auszusprechen. Sie war so glücklich mit Pan und Flora und liebte sie so sehr, dass sie nicht zugeben wollte, wie anders die beiden gelegentlich waren. Anders als alle anderen Kinder, die sie kannte. »Ja, die beiden sind eigenartig und sie machen mir manchmal etwas Angst«, dachte sie. Zu ihrem Mann aber sagte sie:

»Herbert, so sind Kinder nun einmal, das ist ganz normal!« Sie dachte kurz nach. Mit entschlossener Stimme, auch, um sich selbst davon zu überzeugen, fügte sie eindringlich hinzu: »Die beiden sind ganz normal! Glaub’ mir!«

Herbert schien beruhigt zu sein.

Beate holte ihr Handy aus der Tasche und betrachtete ein weiteres Mal die merkwürdige E-Mail, die sie damals erhalten und die ihnen die Kinder gebracht hatte. Hätte sie genauer hingesehen, wäre ihr vielleicht aufgefallen, dass zwar der Ab­sender ›Kindervermittlungsagentur‹ lautete, die E-Mail-­Ad­resse des Absenders aber ›[email protected]‹ war.

Die E-Mail kam damals also von Pan und Flora selbst, die sich ganz offensichtlich Beate und Herbert als ihre Eltern ausgesucht hatten, und nicht umgekehrt, wie Beate und Herbert immer noch glaubten.

 

 

Zweites Kapitel

MISSIONEN

So hatten sie sich das nicht vorgestellt, denn eigentlich hätte es ganz einfach sein sollen. Es war alles ordentlich geplant und alle Eventualitäten waren bedacht – das hatten sie zumindest geglaubt.

Um nicht aufzufallen, waren sie verkleidet und unter falschem Namen gereist. Zunächst zu Fuß, dann mit dem Pferdewagen. Der Besitzer des Wagens hatte sie für ein paar Münzen mitgenommen und keine Fragen gestellt. Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden mitnahm, der Geheimnisse hatte und sich nicht unterhalten wollte. Bei diesen beiden Fahrgästen war es genauso. Sie hatten ihm nur wortkarg das Geld gegeben und sich dann ganz hinten in einer Ecke des Wagens niedergelassen. Sie wollten nicht, dass man mit ihnen sprach, das war offensichtlich.

 

Auf ihrer Reise bekamen die beiden viel von dem zu sehen, was zu jener Zeit, in der sie lebten, normal war. Sie sahen schöne Dinge, wie ausgelassen und fröhlich spielende Kinder am Wegesrand, die sich einen Spaß daraus machten, den vorbeifahrenden Pferdewagen hinterherzulaufen und sogar – wenn sich die Gelegenheit bot – auf den einen oder anderen hinaufzuspringen. Aber auch Erschreckendes bekamen sie zu Gesicht, wie in Ketten gefesselte Männer, die zur Bestrafung ihrer Missetaten durch die mittelalterlichen Straßen getrieben und von den Bürgern verspottet, beschimpft und angespuckt wurden. Gefährliche und grausame Dinge aus heutiger Sicht, für die Menschen damals allerdings Normalität. Und somit auch ein gewohnter Anblick für die beiden Reisenden im Pferdewagen – für Flora und Pan.

 

Nach einigen Stunden der unauffällig verlaufenen Fahrt waren die Geschwister in der nächstgrößeren Stadt angekommen. Diese Stadt war ihr Ziel, denn hier hatten sie eine Mission zu erfüllen.

Es war weder ihre erste Mission – sie hatten schon unzählige zuvor erledigt –, noch war sie bedeutend. Nichts, was die Geschichte der Welt verändern würde, denn das hatten sie aufgegeben. Es war nur etwas, das sie tun mussten, um jemandem zu helfen, da nur sie dazu in der Lage waren. Bei einer der letzten Missionen, auf die sie beide geschickt worden waren und in der sie versucht hatten, wichtige Ereignisse der Geschichte zu beeinflussen, war alles schief gegangen, was nur schief gehen konnte. Pan hatte die Mission damals stolz ›Eine große Reparatur der Zeit‹ genannt. Nachdem sie allerdings so katastrophal verlaufen war, hatte er felsenfest behauptet, das niemals gesagt zu haben. Zu enttäuscht und erschrocken waren sie beide gewesen von dem, was sie mit ihrer Einmischung angerichtet hatten. Nach diesem Misserfolg schworen sie sich, nie wieder bedeutende Änderungen am Lauf der Zeit vorzunehmen.

Aber auch bei kleineren Anpassungen von Ereignissen in der Vergangenheit hatte es schon gelegentlich Probleme gegeben. Zum Glück jedoch niemals wirklich große.

Bei der aktuellen Mission in der fremden Stadt schien es anders zu sein. Abgesehen von der problemlosen Reise sah es so aus, als sollte alles weitere schief laufen …

 

Am Stadttor angekommen war der Wagen von Wachen der Stadt durchsucht worden. Die beiden allein reisenden Kinder waren dabei gleich aufgefallen. Niemand kannte sie, sie reisten ohne Begleitung und hatten – ganz besonders verdächtig – Geld bei sich. Nicht viel Geld, aber genug, um die Wachen behaupten zu lassen, sie hätten es irgendwem gestohlen. Pans Beteuerungen, dass es sein Geld sei und er es ganz sicher niemandem weggenommen habe, schenkten sie keinen Glauben. Und so wurden Pan und Flora verhaftet. Natürlich erst, nachdem man Pan sein Geld abgenommen hatte.

 

Das Gefängnis, in das man sie danach brachte, war groß und gerade erst vor einiger Zeit fertiggestellt worden. Viele Zellen standen deshalb noch leer und so bekamen Pan und Flora eine Zelle für sich allein. Eine Zelle, die sich für damalige Verhältnisse beinahe komfortabel präsentierte. Es gab Stroh auf dem Lehmboden, ein Loch in der Mauer mit einem Gitter als Fenster und eine Schale für den Fall, dass man einmal musste. In anderen Gefängnissen zu jener Zeit sah es viel schlimmer aus – oftmals gab es nicht einmal ein Fenster in der Wand. Glück im Unglück für die Geschwister, dass sie in einem derart neuen und modernen Gefängnis gelandet waren.

 

An einem Sonntag, vier Jahre vor der verunglückten Mission, die sie ins Gefängnis brachte, hatten die beiden Geschwister schon einmal eine Reise in dieselbe Stadt unternommen.

Nach ihrer Ankunft waren Flora und Pan schnurstracks zu der Baustelle gelaufen, auf der gerade das neueste und modernste Gefängnis gebaut wurde. Dort angekommen hatten sie eine ganz bestimmte Stelle gesucht.

»Hier ist es, glaube ich!«, rief Flora. »So ganz genau habe ich es mir leider nicht beschrieben, aber ich denke, hier ist es richtig.«

Sie gruben ein Loch im weichen Lehmboden und legten einen Gegenstand, den sie von zu Hause mitgebracht hatten, hinein. Danach verschlossen sie das Loch wieder sorgfältig.

»Das wäre geschafft«, sagte Flora und blickte zufrieden auf den glatten Boden zu ihren Füßen.

»Dann schnell zurück nach Hause mit uns beiden!«, antwortete Pan. »Ich will nicht eine Minute länger als nötig in dieser Stadt bleiben.«

»Denkst du ich etwa?«, schimpfte Flora. Pan sah seine Schwester erschrocken an. Sie bemerkte seinen Blick und erkannte, wie unfreundlich sie zu ihm gewesen war. Dieser Pan – ihr Pan – konnte ja auch nichts für das, was sie hier tun mussten. »Tut mir leid«, sagte Flora mit sanfter Stimme und lächelte Pan verlegen an. »Lass uns schnell nach Hause fahren!«

Pan erhob sich, griff Floras Hand und zog sie mit einem sanften Ruck auf die Beine. Wortlos aber mit freundlichem Blick nickte er ihr zu. Dann verließen sie die Baustelle.

 

Am Marktplatz angekommen suchten sie sich einen Pferdewagen, der sie den langen Weg zurück zu ihrem Haus brachte. Zurück zu ihrem Haus auf dem Hügel.

 

Vier Jahre später gruben Pan und Flora im selben Lehmboden.

»Hier muss es doch sein oder wo hast du sie versteckt, Flordelis?«, fragte Pan leicht gereizt, während er eine weitere Hand voll Lehm beiseite warf. »Ich höre den Wärter kommen und …«, er blickte Flora eindringlich an, »… ich muss dir ja nicht erklären, was passiert, wenn er sieht, was wir hier tun, oder?«

»Nein, das musst du ganz sicher nicht«, antwortete Flora kleinlaut. »Ich kann es mir gut vorstellen.« Sie schauderte bei dem Gedanken daran, was passieren würde, sollte sie der Wärter bei der Flucht erwischen.

Die hallenden Schritte des Wärters kamen immer näher. Sie mussten sich beeilen.

Flora sagte nichts mehr. Ja, sie war es gewesen, die den Gegenstand dort vergraben hatte. Aber, dass Pan ihr deshalb nun Vorwürfe machte, fand sie ungerecht. Beide gruben lautlos und schlecht gelaunt weiter. Das war einfach nicht ihr Tag.

Die Mission konnten sie wohl sowieso vergessen. Dass jetzt noch alles wie geplant funktionieren würde, war äußerst unwahrscheinlich. Alles hing jedoch zunächst davon ab, wann sie aus diesem Loch herauskommen würden.

»Hier, ich hab’s!«, rief Flora auf einmal erleichtert. Sie zog ein Paket aus dem Boden – eine in ein dickes Tuch gewickelte Säge. Diese Säge sah anders aus als die Sägen, die es sonst zu jener Zeit gab. Schärfer und auch sonst irgendwie besser.

Die Pan und Flora von vor vier Jahren hatten sie bei einem windigen Schmied für viel Geld herstellen lassen. Wie er es anstellen sollte, hatten sie ihm gezeigt und ihm dann das Versprechen abgenommen, sofort wieder zu vergessen, wie er es getan hatte.

Pan riss Flora die Säge aus den Händen, rief »Na endlich!« und begann sofort an den Eisenstangen des Fensters zu sägen. Die Stangen waren von minderer Qualität und so hatten sie nach kurzer Zeit, auch wegen der ungewöhnlich guten Säge, die Stangen durchtrennt und konnten ins Freie klettern.

Auf der anderen Seite des Fensters befand sich ein reißender Fluss und da die Wächter des Gefängnisses annahmen, dass niemand lebend den Fluss durchqueren könnte, waren dort keine Wachen postiert.

Flora warf die Säge in den Fluss und sprang hinterher.

Pan blickte noch einmal in den Kerker zurück, um sich zu vergewissern, dass sie auch nichts hatten liegen lassen, und sprang dann ebenfalls.

 

Nach wenigen Minuten waren sie am anderen Ufer angekommen und kletterten – vollkommen durchnässt – aus dem Fluss. Ihnen war nichts passiert. Der normalerweise reißende Strom hatte für kurze Zeit innegehalten und war ganz ruhig geworden, um – nachdem die beiden Geschwister aus dem Wasser gestiegen waren – mit noch wilderem Getöse erneut loszustürmen. Doch das bemerkten die beiden nicht, sie waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Mission wieder aufzunehmen. Wie spät es inzwischen geworden war, wussten sie nicht und damit auch nicht, ob sie noch genug Zeit für die Erledigung ihrer Aufgabe hatten.

»Hätten wir doch nur eine Armbanduhr dabei«, dachte Pan. Doch er sagte nichts, um sich nicht schon wieder mit Flora zu streiten. Sie konnte es nicht leiden, wenn er von Dingen sprach, die es noch lange nicht gab und die sie von Erzählungen aus der Zukunft kannten. Er fand das cool – auch so ein Begriff aus der Zukunft – und er fühlte sich besonders, dass er wusste, was eine Armbanduhr viel später einmal sein würde. Eigentlich sollte er das aber nicht brauchen, um sich besonders zu fühlen, denn Flora und Pan waren es auch so – besonders.