Die Schwestern - Geheimnis des Serapis-Tempels - Georg Ebers - E-Book

Die Schwestern - Geheimnis des Serapis-Tempels E-Book

Georg Ebers

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Schwestern - Geheimnis des Serapis-Tempels" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Georg Ebers (1837-1898) war ein deutscher Ägyptologe und Schriftsteller. Mit seinen historischen Romanen und populärwissenschaftlichen Büchern trug er zur großen Popularität der Ägyptologie im ausgehenden 19. Jahrhundert bei. Beginnend mit Eine ägyptische Königstochter (1864) verfasste Ebers zahlreiche historische Romane, die auf großes Leserinteresse stießen. Neben Felix Dahn gilt er als der bedeutendste Vertreter des "Professorenromans". Die Themen der Romane wählte er teilweise aus dem Umfeld seiner wissenschaftlichen Arbeit, also der ägyptischen Geschichte, aber auch aus anderen Epochen (Mittelalter). Aus dem Buch: "König Euergetesin dieser Nacht gegen das Leben eines Gesandten des römischen Staates unternommen. Das eine Schreiben ist an meinen Vater, das andere an Popilius Laenas gerichtet, und beide sind schon auf dem Wege nach Rom. Sie sollen, das hab' ich verordnet, eröffnet werden, wenn ich sie in drei Monaten, von heut' an gerechnet, nicht zurückverlangt habe. Du siehst, daß es Dir an der Erhaltung meines Lebens und der Erfüllung dessen, was ich von Dir fordern werde, gelegen sein muß."

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Georg Ebers

Die Schwestern - Geheimnis des Serapis-Tempels

Historischer Roman aus dem alten Ägypten

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-4293-4

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Durch eine wunderbare Fügung ist eine Anzahl von Schriftstücken aus dem vernichteten königlichen Archiv von Memphis erhalten geblieben, die in griechischer Sprache auf Papyrus geschriebene Bittschriften enthalten, welche ein im Serapeum eingeschlossener Klausner von macedonischer Herkunft zu Gunsten zweier Zwillingsschwestern verfaßte, welche als »Ausgießerinnen von Spenden« dem Gotte dienten.

Auf den ersten Blick erscheinen diese Bittschriften kaum der Beachtung werth; ein tieferes Eingehen in ihren Inhalt lehrt aber, daß wir in ihnen Dokumente von hohem kulturgeschichtlichem Werthe besitzen; zeigen sie uns doch an einem Mittelpunkte der heidnischen Religionsübung die Wurzeln der erst durch das Christenthum zu höherer sittlicher und historischer Bedeutung gelangten mönchischen Idee, gewähren sie uns doch unerwartete Einblicke in das innere Leben jenes Serapistempels, dessen zerstörte Mauern in unserer Zeit der rastlose Fleiß des französischen Aegyptologen Mariette vom Sande der Wüste befreit hat.

Es war mir vergönnt, diese Stätten zu besuchen und zu durchforschen, und die erwähnten Bittschreiben sind mir seit Jahren bekannt. Als nun in jüngster Zeit einer meiner Schüler es unternahm, vorzüglich eines von diesen Dokumenten, das in der königlichen Bibliothek zu Dresden konservirt wird, eingehend zu behandeln, unterzog ich mich selbst einem neuen Studium derselben und dabei geschah es, daß das Bild des Serapeums zur Zeit des Ptolemäus Philometor deutlich in meine Vorstellung trat und in mir diejenigen Gemälde feste Umrisse gewannen und sich mit Farben bekleideten, welche ich aus den folgenden Blättern dichterisch auszugestalten versuchte.

Zu meinen Helden wählte ich nicht denselben Klausner und dieselben Zwillingsschwestern, von denen die Bittschriften reden, sondern solche, welche um ein Weniges früher unter den gleichen Bedingungen gelebt haben konnten, denn es geht aus den Papyrus hervor, daß nicht nur zufällig einmal Zwillinge im Serapistempel thätig waren, sondern daß vielmehr ein Schwesternpaar auf das andere im Amt der Ausgießung von Spenden gefolgt ist.

Meine Klea und Irene ließ ich diese Thätigkeit nicht antreten, sondern als Pflegebefohlene des Serapeums für sie heranwachsen. Ich wählte diese Auskunft, theils weil die vorhandenen Quellen nur sehr ungenügende Kunde über die Anforderungen, welche an die Zwillinge gestellt worden sind, zu gewähren vermögen, theils in Folge von anderen, sich aus dem Plan meiner Dichtung ergebenden Gründen.

Klea und Irene sind frei erfundene Gestalten, dagegen habe ich die historische Physiognomie der Zeit, in der ich sie leben lasse, und die Bilder der feindlichen Brüder auf dem Throne Aegyptens, Ptolemäus Philometor und Euergetes II., welcher Letztere den Beinamen Physkon (d. i. der Dicke) trug, treu nach den vorhandenen, ziemlich ergiebigen Quellen zu zeichnen versucht. Auch der Eunuch Euläus und der Römer Publius Cornelius Scipio Nasica sind historische Personen. Unter den jungen, in dieser Zeit lebenden Patriziern wählte ich den Letzteren, theils weil sein strenger, aristokratischer Sinn, den er namentlich in späteren Jahren schroff bethätigte, bezeugt wird, theils weil mir sein Bei- oder Spitzname Serapion auffiel.

Ich erkläre diesen letztern in meiner Weise, obwohl ich weiß, daß er ihn seiner Aehnlichkeit mit einer untergeordneten Person dieses Namens verdanken soll.

Für den gerade mit dieser Epoche der ägyptischen Geschichte weniger vertrauten Leser sei gesagt, daß er Kleopatra, die Gattin des Ptolemäus Philometor, mit der ich ihn bekannt zu machen gedenke, nicht mit ihrer berühmten Namensschwester, der Geliebten des Julius Cäsar und des Marcus Antonius, verwechseln darf.

Der Name Kleopatra war besonders beliebt im Hause der Lagiden, und unter den Königinnen, welche ihn trugen, war die durch Shakespeare und in jüngster Zeit durch Makart auch in den weitesten Kreisen bekannte Schwester und Gattin des vierzehnten Ptolemäers die siebente. Ihr tragisches Ende durch Otterngift oder den Biß einer Natter fällt 134 Jahre später als unsere Erzählung, welche im Jahr 164 v. Chr. spielt.

Zu dieser Zeit hatte Aegypten bereits 169 Jahre unter der Herrschaft eines griechischen (macedonischen) Königshauses gestanden, welches seinen Namen der Ptolemäer oder Lagiden seinem Ahnherrn Ptolemäus Soter, dem Sohne des Lagus, dankte. Dieser thatkräftige Mann, ein General Alexander's des Großen, verwaltete, nachdem sein Gebieter 333 v. Chr. das Nilthal erobert hatte, zuerst als Statthalter diese »Satrapie« des neuen Weltreiches. Nach dem Tode Alexander's, 323, bestieg Ptolemäus den Thron der Pharaonen, und er und seine Nachkommen beherrschten Aegypten, bis dasselbe nach dem Tode der letzten und berühmtesten Kleopatra (30) dem römischen Reiche als Provinz einverleibt wurde.

Auf die Geschichte der einzelnen Ptolemäer einzugehen ist hier nicht der Platz, wohl aber darf bemerkt werden, daß der völkergewinnende Zauber des griechischen Wesens sich in Aegypten besonders wirksam erwies, und zwar vorzüglich in Folge des mächtigen Einflusses des von Alexander gegründeten Alexandria, das in wunderbarer Schnelligkeit zu einem der glänzendsten Mittelpunkte hellenischen Geistes, hellenischer Kunst und Wissenschaft heranwuchs.

Lange vor der gemeinsamen Herrschaft der feindlichen Brüder Ptolemäus Philometor und Euergetes II., dessen gewaltsames Ende wir dem Leser in unserer Weise vorführen, machte sich griechischer Einfluß in allen Regungen des ägyptischen Lebens, welches von der Eigenart seiner früheren Eroberer, Hyksos, Assyrer und Perser, fast unberührt geblieben war, geltend, und der abgeschlossenste und ungastlichste Staat des früheren Alterthums öffnete unter den Ptolemäern allen Fremden weit die Thore.

Alexandria war auch in unserem Sinne eine Weltstadt, in der nicht nur die Handelsgüter, sondern auch die geistigen und religiösen Besitzthümer der verschiedensten Völker zusammenströmten, verarbeitet und allen Nationen, die sie begehrten, vermittelt wurden. Ich widerstand dem Reiz, meine Erzählung hieher zu verlegen, weil in Alexandria das ägyptische Element zu weit hinter dem hellenischen zurücktrat und hier das glänzende, überwältigend reiche Bühnenwerk leicht die Aufmerksamkeit von dem Seelenleben der handelnden Personen abgezogen haben würde.

In den inneren Angelegenheiten ihres Landes war es den Königen von Aegypten in der von uns geschilderten hellenistischen Zeit frei zu schalten gestattet, die Entfaltung ihrer Macht nach außen hin beschränkte das schnell und gewaltig herangewachsene römische Reich nach seinem Belieben.

Der Einwanderung von Israeliten aus Palästina hatte gerade Philometor willig Vorschub geleistet, und unter ihm gewann die große jüdische Gemeinde von Alexandria einen den griechischen beinahe überflügelnden Einfluß auf die Stadt, das Reich und ihren königlichen Beschützer, der dem Jehova am Nil einen Tempel zu bauen gestattete und in eigener Person an den dogmatischen Händeln der griechisch gebildeten Israeliten in seiner Umgebung theilnahm. Der hochbegabte, aber lasterhafte und gewaltthätige Euergetes II. war ihnen um so weniger geneigt und verfolgte sie grausam, sobald ihm die Herrschaft über ganz Aegypten nach dem Tode seines Bruders zugefallen war. Auch die Mitglieder der großen Akademie, des sogenannten Museums von Alexandria, ließ er, der sich selbst mit wissenschaftlichen Arbeiten ernstlich beschäftigt hatte, seine schwere Hand fühlen und zwang sie, sich eine neue Heimat zu suchen. Die in die Flucht getriebenen Jünger der Wissenschaft ließen sich dann in verschiedenen Städten am Mittelmeer nieder und trugen nicht wenig zur Verbreitung der im Museum gereiften Geistesfrucht bei.

Aristarch, den größten unter den gelehrten Zeitgenossen Philometor's, laß' ich an einem Gespräch im Königspalaste von Memphis theilnehmen. Die Verse vom kleinen Menschenkind, welche Kleopatra im zehnten Kapitel ( und 141) vorträgt, stammen nicht aus dem Alterthum. Der verewigte Friedrich Ritschl, der Aristarch unserer Zeit, hielt sie besonders hoch und theilte sie mir vor einigen Jahren sammt mehreren Variationen mit, welche ein noch unter den Lebenden wandelnder Anonymus an sie geknüpft hatte. Ich fügte zwei von diesen letzteren zu dem ersten Verse, welcher, wie ich in der zwölften Stunde erfuhr, von dem verstorbenen H. H. L. von Held gedichtet worden sind, über den man in Varnhagen's biographischen Denkmalen Bd. VII. nähere Auskunft findet. Ich denke, daß mir mancher Leser für die Mittheilung dieser hübschen Verse und der geistreichen neuen Wendungen der ihnen zu Grunde liegenden Idee Dank wissen wird. Aehnliche Verse könnte Kallimachus oder ein anderer Poet aus dem Kreise der früheren Mitglieder des Museums recht wohl gedichtet haben.

Auch in dieser Erzählung war ich bestrebt, die ihre Eigenart bedingenden und bezeichnenden Züge einer großen Kulturepoche in einem engbegrenzten Bilde zusammen zu fassen und ihm Farbe und Bewegung zu verleihen, indem ich die Lebensschicksale von einzelnen Kindern der darzustellenden Zeit sich vor den Augen meiner Leser verflechten und zur Lösung gelangen ließ.

Alle in dieser Erzählung handelnden Personen sind mir aus der Betrachtung der Tage, in denen sie lebten, in die Vorstellung getreten; aber als sie einmal in den Umrissen mein waren, zeigten sie sich bald als Traumbilder in verklärter Gestalt vor meiner Seele, und von dichterischer Schaffensfreude durchglüht, fühlte ich, indem ich sie darstellte, daß ihr Blut sich erwärmte, daß ihr Herz zu schlagen und ihres Geistes Schwingen sich angemessen ihrem Wesen zu regen begannen. Ich ließ der Geschichte ihr Recht, aber der Mensch als historische Person trat hinter dem Menschen als solcher zurück und aus den Repräsentanten einer Epoche wurden die Träger einer für alle Zeiten gültigen menschlichen Idee; und so darf ich es wohl wagen, dieses Zeitbild auch eine Dichtung zu nennen.

Leipzig, den 13. November 1879.

Georg Ebers.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

An den großen und stattlichen Quaderbau des griechischen Serapistempels und die ihm benachbarten kleineren Heiligthümer des Asklepius, Anubis und der Astarte im Wüstengebiet der Todtenstadt von Memphis schließt sich wie eine Schaar von Bettelkindern, die ein geschmückter König an der Hand führt, eine Reihe von langen, niedrigen Häusern aus ungebrannten Ziegeln.

Je heller und glänzender die glatten gelben Sandsteinwände des Tempels in der Morgensonne leuchten, je unscheinbarer und struppiger nehmen sich seine grauen Nebenbauten aus. Wenn der Wind sie umweht und die Strahlen der Sonne sie treffen, so werden sie von Staub umflogen wie trockene Wege, die ein Windhauch streift. Selbst die Innenräume, die sie enthalten, sind ungetüncht, und da die Nilziegel, welche die Wände bilden, mit geschnittenem Stroh vermischt sind, das überall mit kleinen harten Spitzen aus den Mauern hervorragt, so ist es ebensowenig erfreulich für die Hand, sie zu berühren, wie für das Auge, sie zu betrachten.

Als sie vor Zeiten zwischen dem eigentlichen Tempel und der ihn umgebenden Umfassungsmauer, die mit ihrer Ostseite den Akazienhain des Serapis in zwei Hälften zerschneidet, erbaut worden waren, verbarg sie die Hinterwand eines Säulenganges an der Ostseite des großen Vorhofes dem Blick der Besucher des Heiligthums, jetzt aber ist ein Stück der Kolonnade zusammengestürzt und man übersieht durch diese Bresche einen Theil der Ziegelbauten und mehrere dem Tempel zugewandte Thüren und Fenster, oder besser eine Reihe von kunstlosen Oeffnungen zur Ausschau und zum Eintritt. Wo sich Thüren befinden, sieht man keine Fenster, und wo Fenster die Wand durchbrechen, keine Thore, und doch ist keines der Gemächer dieses lang hingestreckten, schmalen und einstöckigen Gebäudes mit dem andern verbunden.

Durch die Bresche im Säulengange führt ein schmaler, viel betretener, mit grauem Staub bestreuter Pfad über Geröll und an Steinen und Säulenstücken vorbei, die für einen Neubau bestimmt sind, der nur in der Nacht geruht zu haben scheint, denn Brecheisen und Hebel liegen auf und neben den Werkstücken. Dieser Weg leitet zu dem grauen Hause und endet bei einer kleinen verschlossenen Holzthür, die so roh gezimmert ist und so schlecht in den Angeln hängt, daß sich zwischen ihr und der Schwelle, die den Boden nur wenige Finger breit überragt, eine hübsche graue Katze mit gesenktem Kopf und die Erde fegend hindurchdrängen kann.

Sobald das geschmeidige Thier sich wieder auf seine Füße gestellt hat, glättet und säubert es sein glänzendes Fell, krümmt seinen Rücken und blickt mit den grünen funkelnden Augen nach dem Hause hin, das es eben verlassen und hinter dem in diesem Augenblicke die Morgensonne hervortritt. Geblendet von dem hellen Lichte, wendet es sich um und steigt mit vorsichtigen, unhörbaren Schritten in den Tempelhof.

Das Gemach, aus dem die Katze heraustrat, ist klein und gar spärlich ausgestattet; ja es würde völlig dunkel sein, wenn sein durchlöchertes Dach und die Spalten in der Thür dem Lichte nicht Einlaß in den bescheidensten aller Räume gewährten.

An seinen rauhen grauen Wänden steht nichts als eine hölzerne Kiste und neben dieser auf dem Boden ein paar irdene Becken, eine Wasserflasche aus porösem Thon, ein hölzerner Becher und ein zierlich gearbeiteter Krug von echtem, glänzendem Golde, der sich in seiner ärmlichen Umgebung gar sonderbar ausnimmt. Im äußersten Hintergrunde sieht man außerdem zwei Matten von Bastgeflecht, die man über einige Schafwolle gebreitet hat. Das sind die Betten der beiden Bewohnerinnen dieses Gemaches, von denen die Eine auf einem kleinen Schemel von Palmenstäben sitzt und sich gähnend das lange, glänzend braune Haar zu ordnen beginnt.

Sie zeigt sich nicht sonderlich geschickt, aber noch weniger geduldig bei dieser keineswegs leichten Arbeit und wirft, als sich den Zähnen von Horn ein neuer Widerstand bietet, den Kamm auf ihr Lager. Sie hat den letztern weder eilig, noch kräftig durch ihren Hauptschmuck geführt, und doch schließt sie die Augen so fest und drückt die kleinen schneeweißen Zähne so tief in die feuchte, jugendrothe Unterlippe, daß man denken könnte, sie habe sich schmerzlich weh gethan.

Jetzt läßt sich außerhalb der Thür ein schlürfender Schritt vernehmen und schnell schlägt sie die großen, erstaunt in die Welt hineinschauenden, goldbraunen Augen auf, ihr Mund lächelt und ihr ganzes Wesen hat sich in einem einzigen Augenblicke so freundlich verändert, wie das Aussehen eines Schmetterlings, der aus dem Schatten in die Sonne fliegt, die sich nun in dem schillernden Staub seiner Flügel spiegelt.

Eine Hand schlägt eilig und so hart an die lose in ihren Angeln hängende Thür, daß sie zittert, und gleich darauf wird durch die Oeffnung über der Schwelle, durch welche die Katze den Ausgang gefunden, ein hölzernes Brett geschoben, auf dem ein dünnes rundes Brod liegt und ein irdenes Schälchen mit einigem Olivenöl steht. Es ist nicht mehr, als etwa in der halben Schale eines Hühnereies Platz finden würde, aber es scheint frisch zu sein und glänzt in goldiger Reinheit. Das Mädchen hat sich der Thür genähert, das Brett zu sich herangezogen und ruft, sobald es mit den Augen das Brod gemessen, halb klagend, halb vorwurfsvoll.

»So wenig! Ist das für uns Beide?«

Bei dieser Frage haben ihre heiteren Züge wiederum schnell den Ausdruck gewechselt und ihre hellen Augen schauen so trostlos nach der Thür, als wären draußen Sonne und Sterne erloschen, und doch ist das, was sie kränkte, nur die Kleinheit des Brodes, welches freilich kaum groß genug ist, um den Hunger nur eines jungen Menschenkindes zu stillen. Aber es sollten sich Zwei darein theilen, und was in dem einen Leben ein elendes Nichts ist, das kann in dem andern gewichtig erscheinen und von schwerer Bedeutung.

Der Klagenden vorwurfsvolle Worte haben ihren Weg durch die Thür gefunden, und die Alte, die das Brett über die Schwelle geschoben, ruft ihr schnell, doch nicht unfreundlich zu:

»Es gibt heute nicht mehr, Irene.«

»Aber das ist schändlich!« entgegnet das Mädchen mit Thränen im Auge. »Von Tag zu Tag wird das Brödchen kleiner, und wenn wir Sperlinge wären, wir könnten davon nicht satt werden! Du weißt, was uns zukommt, und wir werden nicht aufhören zu klagen und uns zu beschweren. Serapion soll uns eine neue Bittschrift aufsetzen und wenn der König erfährt, wie schmählich man uns behandelt –«

»Ja, wenn er's erfährt,« unterbrach sie die Alte. »Aber viele Winde blasen auf das Wort des Armen, eh' es zum Ohre des Königs gelangt. Ich wüßte kürzere Wege für Dich und Deine Schwester, wenn euch das Hungern so arg mißfällt. Wer so aussieht, wie sie und wie Du, mein Irenchen, der braucht nicht zu darben!«

»Und wie seh' ich denn aus?« fragte das Mädchen, und ein Sonnenstrahl schien wieder ihr hübsches Antlitz zu streifen.

»Gerade so,« klang es lachend zurück, »daß Du Dich neben Deiner Schwester immerhin zeigen darfst, und gestern beim Aufzuge schaute auch der große Römer an der Seite der Königin ebenso oft nach Der, wie nach Kleopatra selbst. Wärst Du mit dabei gewesen, so hätte er gar keinen Blick für die Fürstin übrig gehabt, denn hübsch siehst Du aus, daß Du's weißt. Solch' ein Wort ist Mancher noch lieber als Brod; im Uebrigen hast Du ja einen Spiegel; da sieh' hinein, wenn Dich hungert.«

Der schlürfende Schritt der Alten verhallte, das Mädchen aber griff nach dem goldenen Kruge, öffnete die Thür ein wenig, ließ das Tageslicht auf ihn fallen und spiegelte sich in der blanken Fläche. Aber auf der Rundung des kostbaren Gefäßes verzog sich das Bild ihrer Züge und munter blies sie mit spitzem Munde auf das unschöne Zerrbild vor ihren Augen, so daß es durch den feuchten Hauch ihres Athems verschleiert ward. Dann stellte sie den Krug lächelnd zu Boden, näherte sich der Kiste, entnahm ihr einen kleinen Metallspiegel, sah frisch hinein und wieder hinein, ordnete ihm gegenüber ihr glänzendes Haar bald so und bald so, und wollte ihn eben aus der Hand legen, als sie sich eines Veilchenstraußes erinnerte, den sie schon bei ihrem Erwachen bemerkt hatte und den ihre Schwester gestern mit den Stielen in ein Schälchen voll Wasser gelegt haben mußte. Ohne Zaudern nahm sie die leis duftenden Blumen, trocknete ihre grünen Stengel mit ihrem Kleide, erhob den Spiegel noch einmal und steckte sie in ihre Haare.

Wie hell jetzt wieder ihre Augen leuchteten, wie fröhlich sie nach dem Brode griff!

Und welche glänzenden Bilder stellten sich vor ihre junge Seele, als sie ein Stück nach dem andern brach, mit dem frischen Olivenöl flüchtig benetzte und schnell verzehrte. Sie hatte einmal beim Neujahrsfeste in das Zelt des Königs geschaut und dort Männer und Frauen gesehen, die beim Schmause auf purpurnen Polstern lagen. Jetzt träumte sie sich an die mit kostbarem Geschirr bedeckte Tafel, ließ sich im Geiste von bekränzten Knaben bedienen, hörte die Lieder der Flöten- und Harfenspieler und – ach sie war ja ein halbes Kind und dabei so jugendlich hungrig – und nahm sich im Geiste die saftigsten und süßesten Leckerbissen von lauter goldenen Schüsseln und aß sich satt, so recht von Herzen satt, bis das letzte Stückchen Brod und der letzte Tropfen Oel verbraucht waren.

Sobald ihre Hand auf dem leeren Brette nichts mehr fand, verwehte plötzlich der Traum und überrascht und mit Schrecken schaute sie in das trockene Oelgefäßchen und aus die Stelle hin, auf der vor Kurzem das Brod gelegen.

»Ach,« seufzte sie ans tiefster Brust, kehrte das Brett noch einmal um, als wäre es möglich, auf seiner Rückseite ein neues Brod und neues Oel zu finden, schüttelte enttäuscht den Kopf und sah bedenklich in ihren Schooß hernieder; aber nur wenige Augenblicke, denn nun öffnete sich die Thür des Gemaches und herein trat die schlanke Gestalt ihrer Schwester Klea, deren karges Mahl sie träumend verzehrt hatte, während Jene für sie die halbe Nacht hindurch genäht und dann vor Sonnenaufgang ausgegangen war, um aus dem Sonnenbrunnen Wasser für das Morgenopfer am Altar des Serapis zu tragen.

Die Heimgekehrte grüßte die Andere mit stummem, aber freundlichem Wink. Sie schien zu erschöpft zu sein, um zu reden, trocknete die perlende Stirn mit dem ihr Hinterhaupt bedeckenden Schleier und setzte sich auf den Deckel der Kiste nieder.

Irene sah zunächst nur auf das leere Brett und bedachte, ob sie ihre Schuld eingestehen und die Ermüdete um Verzeihung bitten, oder, und das war ihr oft gelungen, die Zurechtweisung, die sie verdient hatte, durch einen Scherz von sich ablenken sollte. Das Letztere erschien ihr leichter und darum wählte sie es. Rasch, aber doch nicht ganz unbefangen trat sie auf ihre Schwester zu und sagte mit komischem Ernste:

»Schau' nur her, Klea, merkst Du mir nichts an? Ich muß aussehen wie ein Krokodil, das ein ganzes Nilpferd verspeiste, oder wie die heilige Schlange, nachdem sie ein Kaninchen verschluckt hat. Denke nur, als ich mein Brod aß, kam mir unversehens auch Deines zwischen die Zähne, nun aber will ich . . .«

Die also Angeredete warf einen Blick auf das leere Brett und unterbrach ihre Schwester mit dem leisen Rufe: »Ich war so hungrig.«

Es klang kein Vorwurf aus diesen Worten, aber tiefe Erschöpfung, und als die junge Uebelthäterin nun ihren Blick auf die Heimgekehrte richtete und sie matt und in sich zusammengesunken dasitzen und das ihr angethane Unrecht ohne ein Wort der Entgegnung tragen sah, da erfaßte Mitgefühl und Trauer ihr leicht bewegtes Herz. Laut aufweinend warf sie sich vor ihrer Schwester nieder, umfaßte ihre Kniee und rief, von Schluchzen oft unterbrochen:

»Ach, Klea, arme Klea, was hab' ich Dir wieder gethan! Gewiß, ich wollt' Dich nicht kränken. Ich weiß selbst nicht, wie das so kam. Aber wozu mich's hier drinnen treibt, das thu' ich, das muß ich thun, und ich weiß immer erst, wenn es geschehen, ob es Recht oder Unrecht gewesen. Für mich hast Du gewacht und Dich geplagt, und ich schlechtes Mädchen mußte Dir's so vergelten! Aber Du sollst nicht hungern, Du sollst, nein, Du sollst nicht!«

»Laß nur, laß,« sagte die Andere und strich der Schwester liebevoll über das braune Haar.

Dabei stieß ihre Hand auf die Veilchen in den glänzenden Locken.

Ihre Lippen zuckten und ihr müder Blick belebte sich, als er den Blumen begegnete und das leere Schälchen streifte, in das sie dieselben gestern sorgsam gelegt hatte.

Irene bemerkte sogleich die Veränderung in den Zügen ihrer Schwester, und weil sie glaubte, daß diese nur über den hübschen Schmuck überrascht sei, fragte sie heiter:

»Gefall' ich Dir mit den Blumen?«

Klea's Hand war schon ausgestreckt, um die Veilchen aus dem braunen Haar der immer noch zu ihren Füßen Knieenden zu lösen – nach dieser Frage aber ließ sie den Arm sinken und sagte lauter und entschiedener als bisher, mit einer für ein Mädchen überraschend, ja fast männlich tiefen und doch wohllautenden Stimme:

»Der Strauß gehört mir, aber behalte ihn nur, bis er um Mittag verwelkt ist, dann gib ihn mir wieder.«

»Er gehört Dir?« wiederholte die Andere und erhob die großen Augen verwundert zu ihrer Schwester, deren Eigenthum bis zu dieser Stunde auch das ihre gewesen war. »Aber ich nahm doch immer die Blumen, die Du heimbrachtest; was ist an diesen Besonderes?«

»Es sind nur Veilchen, wie alle Veilchen,« entgegnete Klea tief erröthend, »aber die Königin hat sie getragen.«

»Die Königin!« rief ihre Schwester, sprang von der Erde auf und klatschte erstaunt in die Hände. »Sie gab Dir Blumen? Und das erzählst Du mir erst jetzt? Freilich, Du hast gestern, als Du vom Aufzuge heimkamst, nur nach meinem Fuße gefragt und ob meine Kleider auch ganz wären, und dann kein Sterbenswörtchen weiter mit mir geredet. Bekamst Du den Strauß von Kleopatra selbst?«

»Wie sollt' ich!« gab Klea zurück. »Einer ihrer Begleiter warf ihn mir zu, aber laß das! Bitte, reich' mir die Flasche; mein Mund ist trocken und ich kann kaum reden vor Durst.«

Bei diesen Worten hatte wiederum flammendes Roth ihre Wangen übergossen, aber Irene bemerkte dieß nicht, denn froh, ihr Unrecht durch eine Dienstleistung gut machen zu können, war sie zu dem Wassergefäße geeilt, und während Klea ihr hölzernes Becherchen füllte und leerte, sagte sie, indem sie ihren kleinen Fuß zierlich erhob und ihn der Trinkenden zeigte:

»Sieh' nur, die Schramme ist völlig geheilt und kann wieder die Sandale ertragen. Jetzt schnüre ich sie an und bitte Serapion um Brod für Dich, und vielleicht gibt er uns auch ein paar Datteln. Lockere mir, bitte, hier am Knöchel den Riemen ein wenig, meine Haut ist so dünn und empfindlich; mir thut schon weh, was Du kaum bemerkst. Sieh' nur, wie fest ich jetzt auftreten kann. Um Mittag gehe ich wieder mit Dir und fülle die Krüge für den Altar; auch später beim Aufzuge, der gestern angesetzt ward, kann ich Dich begleiten. Ob die Königin und die großen Fremden wohl wieder der Prozession zuschauen werden? Das wäre doch herrlich! Jetzt gehe ich, und bevor Du den letzten Becher getrunken, hast Du das Brod, denn wenn ich dem Alten hübsch schmeichle, so sagt er nicht ›Nein‹.«

Als Irene die Thür weit öffnete und das Sonnenlicht sie voll beschien, glänzte ihr braunes Haar goldig und es wollte der ihr nachblickenden Schwester scheinen, als mische sich der sie umwebende Anmuthsschimmer mit den Strahlen des Tagesgestirns.

Das Veilchensträußchen war das Letzte, was die Zurückgebliebene von der in's Freie Tretenden gewahrte. Sie befand sich allein und ihr Haupt leise wiegend murmelte sie vor sich hin: »Ich gebe ihr Alles und sie nimmt mir, was ich nur habe. Dreimal ist mir der Römer begegnet, gestern schenkte er mir die Veilchen und ich wollte sie mir aufbewahren, und jetzt . . .«

Sie drückte bei diesen Worten den Becher, den sie in der Hand hielt, fester an sich und ihre Lippen zuckten schmerzlich, aber nur während einer kurzen Minute, dann richtete sie sich hoch auf und sagte fest: »So soll es auch sein!«

Nun schwieg sie, stellte die Gefäße neben sich auf die Kiste hin, strich sich mit dem Rücken der Hand, als wenn ihr Kopf sie schmerze, über die Stirn, schaute träumend in ihren Schooß hernieder und bald sank das Haupt der Ermüdeten auf die Seite und sie war entschlummert.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Das Pastophorium wurde der Ziegelbau genannt, in dem sich das Zimmer der Schwestern befand, und der auch von anderen Bediensteten der Tempelanlage und zahlreichen Pilgern bewohnt ward. Diese letzteren wallfahrteten aus allen Theilen Aegyptens hierher und nächtigten gern im Heiligthume des Gottes.

Irene ging, nachdem sie ihre Schwester verlassen, an vielen Thüren vorüber, die sich nach dem Aufgang der Sonne geöffnet hatten, erwiederte schnell den Gruß manches bekannten oder unbekannten Antlitzes, das ihr so freundlich nachschaute, als sei ihm in der Frühe ein gutes Vorzeichen zu Theil geworden, und gelangte bald zu einem sich an den äußersten Norden des Pastophoriums schließenden Anbau, der keine Thür, wohl aber in Manneshöhe sechs unverschlossene Fensterhöhlen enthielt, die sich nach dem Wege hin öffneten.

Aus der ersten, die sie erreichte, schaute ihr das bleiche und von vielen Falten zerrissene Antlitz eines Greises entgegen.

Sie rief dem Alten munter den heitern Gruß der Hellenen: »Freue Dich!« zu, er aber gebot ihr, ohne die Lippen zu rühren, ernst und bedeutungsvoll mit der mageren Hand und den kleinen, starren und ausdruckslosen Augen zu warten, und reichte ihr dann ein hölzernes Brett entgegen, auf dem einige Datteln und ein halbes Brod lagen.

»Für den Altar des Gottes?« fragte das Mädchen.

Der Greis nickte bejahend und Irene ging so sicher wie Jemand, der genau weiß, was von ihm begehrt wird, mit ihrer leichten Bürde weiter. Aber schon nach wenigen Schritten und ehe sie das letzte Fenster erreicht hatte, hemmte sie den Fuß, denn laute Stimmen und Schritte ließen sich vernehmen und bald zeigten sich an demjenigen Ende des Pastophoriums, dem sie entgegen ging und an das sich ein kleiner Akazienhain des Serapis schloß, welcher außerhalb der Ringmauer eine weitere Ausdehnung gewann, einige Männer, deren Erscheinung ihre Aufmerksamkeit fesselte; aber sie scheute sich, den Fremden entgegen zu gehen, und wartete, eng an die Wand des Pastophoriums geschmiegt und ihren Reden lauschend, auf ihre Entfernung.

Den frühen Tempelbesuchern voran ging ein starker Mann mit einem langen Stabe in der Rechten und sprach zu den beiden Herren, welche ihm folgten, in der Weise der Erklärer von Beruf, die so zu reden pflegen, als läsen sie ihren Hörern aus einem unsichtbaren Buche vor, und die man nicht gern mit Fragen unterbricht, weil man weiß, daß sie doch kaum mehr wissen, als was sie gerade sagen.

Unter seinen beiden nichts weniger als aufmerksamen Zuhörern war der Eine in ein langes, buntes Gewand gehüllt und reich mit goldenen Ketten und Ringen geschmückt, während der Andere außer dem kurzen Chiton nur eine über die linke Schulter geworfene römische Toga von weißer Wolle trug.

Sein reich gekleideter Begleiter war ein älterer Mann mit fleischigem, bartlosem Antlitz und dünnem, ergrauendem Haar.

Diesen Letzteren sah die lauschende Irene mit Bewunderung und Staunen an, aber nur, um, nachdem sie ihr Auge an den Stoffen und Geschmeiden, die er trug, geweidet hatte, die schlanke Jünglingsgestalt an seiner Seite um so aufmerksamer in's Auge zu fassen.

»Wie des Koches Hui dicker Pudel und ein junger Löwe,« murmelte sie vor sich hin, indem sie den behäbigen Schritt des Einen und den selbstbewußten, elastischen Gang des Andern beobachtete. Dabei fühlte sie sich lebhaft versucht, dem älteren Herrn nachzumachen, aber diese übermüthige Regung sollte bald unterbrochen werden, denn kaum hatte der Fremdenführer dem Römer berichtet, daß hier die frommen Männer ihre Zellen hätten, welche in freiwilliger Gefangenschaft als dem Serapis Geweihte dem Gotte dienten, daß sie ihre Nahrung durch die Fenster – und er wies mit seinem Stabe auf sie hin – in Empfang nähmen, als plötzlich eine Lade, an die der Führer des ungleichen Paares mit seinem Stabe gerührt hatte, so schnell und heftig aufflog, als habe ein jäher Windstoß sie erfaßt und an die Wand geschlagen. Nicht minder plötzlich fuhr ein grimmig dreinschauendes, von grauen Haaren wie von einer Löwenmähne umwalltes Menschenhaupt aus dem Fenster heraus und schrie dem Klopfenden mit tiefer, überlauter Stimme zu:

»Daß meine Lade Dein Rücken wäre, Du frecher Gesell, dann hätte Dein langer Stock auf die rechte Stelle geklopft. Oder wohnte statt dieser Zunge ein Knüppel in meinem Munde, dann wollt' ich sie regen, bis sie mir müde würde wie die eines Redners, der drei Stunden lang vor dem Volke sein leeres Stroh ausgedroschen. Kaum ist die Sonne heraus und schon schleppt der Schmarotzer neugieriges Gesindel zu uns! Weck' uns doch nächstens um Mitternacht aus dem Schlafe und wirf uns mit Steinen an die morschen Laden. Meine letzte Begrüßung hat für drei Wochen ihre Schuldigkeit an Dir gethan, die von heute soll, hoffe ich, länger wirken. Ihr Herren da, hört mich! Wie die Raben den Heeren nachfliegen, um die Gefallenen zu fressen, so stelzt Der da den Fremden voran, um ihre Taschen zu leeren. Und Du, der Du Dich Dolmetscher nennst und als Du Griechisch lerntest, Dein bischen Aegyptisch vergaßest, merke Dir das: Wenn Du Fremde zu führen hast, so bring' sie zu dem Sphinx, oder laß sie im Tempel des Ptah den Apis die Zukunft befragen, oder führe sie in das Wildgehege des Königs in Alexandria oder in die Schenken nach Kanopus, aber nicht her zu uns, denn wir sind keine Fasanen und keine Flötenspielerinnen oder Wunderthiere, die sich's gefallen lassen müssen, daß man sie angafft. Ihr Herren solltet euch einen besseren Führer wählen, als dieses Klapperblech, das euch sein erbärmliches Geleier vorklingelt, wenn ihr es schüttelt. Was euch selbst betrifft, so sag' ich nur Eines: Neugierige Augen sind zudringliche Gäste, vor denen ein kluger Wirth sich schützt, indem er die Thür schließt.«

Wieder erschrak Irene und schmiegte sich fester an den sie verbergenden Pfeiler, denn krachend flog die Lade, welche der Klausner mit einem an ihrem äußersten Ende befestigten Stricke an sich gerissen hatte, zu und entzog ihn den Blicken der Fremden; aber nur für einen Augenblick, denn die morschen Angeln, in denen sie hing, ertrugen nicht den heftigen Anschlag und langsam neigte sie sich zum Falle.

Der lebhafte Polterer streckte seine Arme aus, um sie zu halten und zu heben, aber sie war schwer, und sein Vorhaben würde ihm kaum gelungen sein, wenn nicht der römisch gekleidete Jüngling ihm Hülfe geleistet und die fallende Lade leicht und ohne Anstrengung, als bestände sie nicht aus starken Bohlen, sondern aus dünnem Weidengeflechte, mit Hand und Schulter in die Höhe gehoben hätte.

»Noch etwas höher,« rief der Klausner seinem Helfer zu. »Stellen wir das Ding auf die scharfe Kante! So! Schiebe noch etwas! Da hätt' ich das erbärmliche Ungethüm und da mag es liegen. Wenn mich heute Nacht die Fledermäuse besuchen, so werde ich an euch denken und sie von euch grüßen!«

»Du thätest besser, Dir diese Mühe zu sparen,« sagte der junge Mann kühl und vornehm. »Ich werde Dir einen Zimmermann schicken, der die Lade neu befestigen soll; auch wollen wir Dich um Entschuldigung bitten, denn wir haben den Schaden veranlaßt, der Dich betroffen.«

Der Graukopf ließ den also Redenden aussprechen und sagte dann, nachdem er ihn vom Scheitel bis zur Sohle mit den Augen gemessen:

»Du bist stark und billig denkend und würdest mir gefallen, wenn Du in anderer Gesellschaft wärest. Deinen Zimmermann brauch' ich nicht, laß mir nur einen Hammer senden, ein Beil und kräftige Nägel; wollt ihr mir sonst noch dienen, so packt euch.«

»Wir gehen schon,« sagte nun der Buntgekleidete mit weibisch hoher Stimme. »Was bliebe dem Manne, den Buben aus sicherem Versteck mit Koth bewerfen, auch übrig, als sich zu entfernen!«

»Fort nur, fort,« lachte der also Gescholtene, »und wenn Du willst, gleich bis nach Samothrace, großer Euläus; den Weg dahin hast Du kaum vergessen, seitdem Du dem König gerathen, mit seinen Schätzen dorthin zu fliehen. Wenn Du Dich aber dennoch nicht trauen solltest, ihn allein zu finden, so empfehl' ich Dir den Dolmetscher und Fremdenführer dort, damit er ihn Dir weise.«

Des Königs Ptolemäus, den man Philometor oder den seine Mutter Liebenden nannte, hochgestellter Rathgeber, der Eunuch Euläus, erbleichte bei diesen Worten, warf dem Alten einen ingrimmigen Blick zu und winkte dem jungen Römer; dieser aber war nicht Willens, ihm zu folgen, denn der grimmige Sonderling gefiel ihm, vielleicht schon, weil er fühlte, daß er selbst dem Alten, der sonst mit seinem Mißfallen nicht kargte, angenehm sei. Uebrigens fand er auch an seinem Urtheil über die ihn begleitenden Männer nichts auszusetzen und darum wandte er sich dem Eunuchen zu und sagte höflich:

»Nimm meinen Dank für Deine Begleitung und laß Dich nicht länger um meinetwillen von Deinen wichtigen Geschäften abhalten.«

Euläus verneigte sich und entgegnete:

»Ich weiß, was meines Amtes ist. Der König betraute mich mit Deiner Führung; gestatte also, daß ich Dich dort unter jenen Akazien erwarte.«

Als nun der Eunuch mit dem Fremdenführer dem grünen Hain zuschritt, hoffte Irene endlich Gelegenheit zu finden, ihre Bitte vorzubringen, aber der Römer war vor der Zelle des Alten stehen geblieben und hatte mit ihm ein Gespräch begonnen, das sie sich nicht zu unterbrechen getraute. Leise seufzend stellte sie das Brett mit dem Brod und den Datteln, die ihr anvertraut worden waren, auf einen Prellstein an ihrer Seite nieder, lehnte sich mit gekreuzten Armen und Füßen an die Wand und spitzte wiederum lauschend das Ohr.

»Ich bin kein Grieche,« sagte der Jüngling, »und Du irrst, wenn Du meinst, ich wäre aus Neugier nach Aegypten und zu Dir gekommen.«

»Aber wer nur um zu beten in den Tempel geht,« unterbrach ihn der Andere, »der wählt sich, so sollt' ich meinen, keinen Euläus, kein Paar wie jene Zwei, die Dir dort unter den Akazien auch keinen Segen auf's Haupt wünschen werden, zu seinen Begleitern; ich wenigstens möchte, wenn ich zufällig ein Dieb wäre, nicht zum Stehlen mit ihnen ausgehen. Was führte Dich denn zum Serapis?«

»Jetzt wär' es an mir, Dich der Neugier zu zeihen.«

»Nur zu!« rief der Graukopf. »Als ehrlicher Kaufmann nehme ich die Münze an, mit der ich selber gern zahle. Du kommst, damit man Dir einen Traum deute oder um drüben im Tempel zu schlafen und ein Gesicht zu empfangen?«

»Seh' ich so schläfrig aus,« fragte der Römer, »als wollt' ich mich jetzt, eine Stunde nach Sonnenaufgang, wiederum niederlegen?«

»Es könnte ja auch sein,« rief der Klausner, »daß Du noch nicht ganz mit dem gestrigen Tage zu Ende gekommen und es Dir am Schluß eines Gastmahls eingefallen ist, uns zu besuchen und beim Serapis Deinen Kopfschmerz zu verschlafen.«

»Dir scheint doch Manches vom Leben außerhalb dieser Mauern zu Ohren zu kommen,« gab der Römer zurück, »und würd' ich Dir auf der Straße begegnen, so hielt' ich Dich wohl für einen Schiffsführer oder einen Baumeister, der über viele widerwillige Arbeiter gebietet. Nach dem, was man in Athen und hier von Dir und Deinesgleichen erzählte, hab' ich Dich anders zu finden erwartet.«

»Und wie denn?« lachte Serapion. »Das frage ich auf die Gefahr hin, noch einmal für neugierig gehalten zu werden.«

»Wohl möcht' ich Dir antworten,« gab der Andere zurück, »aber wenn ich Dir die volle Wahrheit sage, so begebe ich mich in die größere Gefahr, von Dir so wenig glimpflich heimgesandt zu werden, wie mein armer Führer da drüben.«

»Sprich nur,« entgegnete der Graukopf, »für verschiedene Leiber hab' ich verschiedene Kleider und nicht das schlechteste für Den, der mich mit dem seltenen Gericht der Wahrheit bewirthet. Aber ehe Du mir Deine bittere Speise zu kosten gibst, sage mir, wie Du Dich nennst.«

»Soll ich den Fremdenführer rufen?« fragte der Römer mit schalkhaftem Lächeln. »Der kann mich Dir beschreiben und Dir die ganze Geschichte meines Hauses erzählen. Aber nichts für ungut, ich heiße Publius.«

»So nennt sich von dreien Deiner Landsleute wenigstens einer.«

»Ich bin vom Geschlecht der Cornelier, und zwar der Scipionen,« entgegnete der Jüngling mit gedämpfter Stimme, als wollt' er es vermeiden, sich seines vornehmen Namens zu rühmen.

»Also ein hoher, sehr großer Herr,« sagte der Klausner und verneigte sich aus seiner Zelle heraus. »Das wußt' ich auch ohnehin, denn so sicher geht in Deinen Jahren, mit so zarten Knöcheln an den mächtigen Beinen, nur ein Edler einher. Also Publius Cornelius . . .«

»Laß das und nenne mich Scipio, oder lieber noch bei meinem Vornamen Publius,« bat der Jüngling. »Du selbst heißt Serapion und ich will Dir nun sagen, was Du von mir zu wissen wünschest. Ich dachte, als man mir erzählte, es gäbe in diesem Tempel Leute, die sich in kleine Kammern einsperren ließen, um sie nie zu verlassen, auf ihre Träume zu achten und ein nachdenkliches Leben zu führen, daß sie Schwächlinge sein müßten oder Narren, oder beides zugleich.«

»Recht, recht so,« unterbrach Serapion den Cornelier, »aber an ein Viertes hast Du nicht gedacht. Wie nun, wenn es auch unter diesen Männern solche gäbe, die man gegen ihren Willen eingesperrt hält, und wenn gerade ich zu diesen Gefangenen gehörte? Ich habe Dich Manches gefragt und Du bist mir die Antwort nicht schuldig geblieben, so magst Du auch wissen, wie ich in diesen elenden Käfig komme und warum ich darin verbleibe. Ich bin guter Leute Kind, denn mein Vater war Vorsteher der Kornspeicher dieses Tempels und von macedonischer Herkunft, meine Mutter aber ein ägyptisches Weib. Die hat mich in einer üblen Stunde geboren, am siebenundzwanzigsten des Paophimondes, dem Tage, von dem es in den heiligen Büchern heißt, er sei ein sehr böser Tag, und das Kind, das an ihm geboren werde, solle man eingesperrt halten, denn durch Schlangenbiß würde es sterben. Wegen eben dieser bösen Verheißung sind viele meiner Geburtstagsgenossen schon früher gleich mir in solch' einen Käfig eingesperrt worden. Mein Vater hätte mir gern die Freiheit gewährt, aber mein Oheim, ein Horoskop im Tempel des Ptah, der bei meiner Mutter Alles galt, und seine Freunde mit ihm, fanden noch viele schlimmen Zeichen an mir, lasen Unheil für meinen Lebensweg aus den Sternen, versicherten, daß die Hathoren mir lauter Schlimmes bestimmt hätten, und setzten ihr so lange zu, bis man mich – wir wohnten unten in Memphis – zur Einschließung bestimmte. Meiner leiblichen Mutter verdanke ich dieß Elend, und aus lauter Liebe hat sie es über mich gebracht. Du siehst mich fragend an: ja, Knabe, auch Dich wird das Leben lehren, daß schlimmer Haß Dem, auf den er sich richtet, oft besser bekommt als blinde Zärtlichkeit, die das Maß überschreitet. Lesen und Schreiben und was man Priestersöhnen sonst beibringt, hab' ich gelernt, aber niemals und nie, mich geduldig in mein Loos zu schicken. – Als mir der Bart wuchs, gelang es mir, mich zu befreien, und ich habe mich weit in der Welt umhergetrieben. Auch in Rom bin ich gewesen, in Karthago und Syrien. Zuletzt lüstete es mich wieder, aus dem Nil zu trinken, und ich ging nach Aegypten zurück. Warum? Weil es mir Narren manchmal vorkam, als habe Wasser und Brod und Gefangenschaft in der Heimat mir besser geschmeckt, als Kuchen und Wein und Freiheit in der Fremde.

»In meinem Vaterhause fand ich nur noch meine Mutter wieder, denn mein Vater war in Kummer gestorben. Vor meiner Flucht ist sie eine gar stattliche Frau gewesen, doch als ich heimkehrte, fand ich sie völlig verwelkt und dem Tode verfallen. Die Angst um mich Elenden habe sie aufgezehrt, sagte der Arzt, und das war mir am schwersten zu tragen . . . Als mich dann zuletzt noch die gute kleine Frau, die mich wilden Gesellen so sanft zu streicheln verstand, auf ihrem Sterbebette anflehte, wieder in meine Klause zurückzugehen, da habe ich nachgegeben und ihr geschworen, geduldig in dem Käfig zu bleiben bis an's Ende, denn ich bin so wie das Wasser im Norden; entweder kann mich ein Kind mit den Händchen zertheilen, oder ich bin kalt und hart wie Krystall. Die Alte starb bald nachdem ich den Eid geschworen, und daß ich Wort gehalten, das siehst Du – auch hast Du erfahren, in welcher Weise ich mein Schicksal ertrage.«

»Geduldig genug,« unterbrach ihn Publius. »Ich würde noch weit ungeberdiger als Du an meinen Ketten rütteln, und denke mir, daß es Dir wohl thun muß, Dich auszutoben, wie Du es vorhin gethan hast.«

»Wie süßer Wein von Chios,« entgegnete der Klausner, schnalzte, als prüfe er den edlen Rebensaft, mit der Zunge, und streckte seinen buschigen Kopf weit aus seinem Fenster hinaus. Dabei sah er Irene und rief ihr sogleich mit Munterkeit zu:

»Was machst Du da, Kind? Du stehst dort, als wartetest Du auf das Glück, um ihm einen frohen Morgen zu bieten.«

Das Mädchen ergriff schnell das Brettchen, glättete sein Haar mit der freibleibenden Hand, und während es sich leicht erröthend den Männern näherte, ließ Publius überrascht und bewundernd seine Augen auf ihr ruhen.

Außer ihm hatte noch ein Anderer, der jetzt, von dem Akazienhaine herkommend, auf den Römer zuschritt, die Worte Serapion's vernommen und rief, ehe er die Beiden erreicht hatte:

»Diese da soll auf das Glück warten, sagt der Mann dort? Und Du hörst das mit an, Publius, und entgegnest nicht, daß sie ja das Glück hinbringen muß, wo sie sich zeigt?«

Der also Redende war ein mit besonderer Sorgfalt gekleideter junger Grieche, welcher jetzt die Granatenblüte, die er in der Hand hielt, hinter das Ohr steckte, um seinem Freunde Publius die Rechte zu schütteln und dann sein hübsches, übermüthiges und fast mädchenhaft fein geschnittenes Gesicht dem Klausner zuzuwenden, denn er wünschte auch dessen Aufmerksamkeit durch eine Anrede auf sich zu lenken.

»Mit Plato's Gruß, schön und recht handeln, nah' ich mich Dir!« rief er und fuhr dann ruhiger fort: »Zwar bedarfst Du kaum dieser Mahnung, denn Du gehörst ja zu Denen, welche es verstehen, die echte, das heißt die innere Freiheit zu erringen, denn wer wäre freier als der Bedürfnißlose? Weil aber Niemand edler ist als der Freieste der Freien, so nimm den Zoll meiner Verehrung und laß Dir den Gruß des Lysias von Korinth gefallen, der wie Alexander gern mit Dir, dem Diogenes Aegyptens, tauschen würde, wenn es ihm vergönnt wäre, aus der Oeffnung Deiner sonst nicht eben begehrenswerthen Wohnung stets die liebliche Gestalt dieser Jungfrau . . .«

»Genug, junges Herrchen,« unterbrach Serapion den schnellen Redefluß des Griechen. »Diese Jungfrau gehört in unsern Tempel und wen es gelüstet, mit ihr zu reden, als sei sie eine Flötenspielerin, der bekommt es mit mir, ihrem Beschützer, zu thun. Ja, mit mir, und Dein Freund dort wird mir gern das Zeugniß ausstellen, daß es nicht vortheilhaft ist, mit meinesgleichen anzubinden. – Tretet jetzt zurück, ihr jungen Herren, und laßt das Mädchen mir sagen, was es begehrt.«

Als Irene jetzt dem Klausner gegenüberstand und ihm schnell und leise erzählt hatte, was sie gethan und daß ihre Schwester Klea nun auf sie warte, lachte Serapion erst laut auf und sagte dann mit gedämpfter Stimme, aber munter wie ein Vater, der sein Töchterchen neckt:

»Für Zwei hat sie gegessen und steht hier auf den Zehen und reckt sich zu meinem Fenster herauf, als säße in ihrem Röckchen kein übersattes Menschenkind, sondern ein luftiger Geist. Wir können lachen, aber Klea, das arme Ding, hat wohl Hunger?«

Irene entgegnete kein Wort, aber indem sie sich noch höher als vorher auf die Zehen stellte, wandte sie Serapion ihr ganzes Gesicht zu, nickte mehrmals lebhaft bejahend mit dem hübschen Kopfe und während sie ihm noch voll Schelmerei und innig bittend in die Augen sah, rief der Klausner:

»Ich soll Dir mein Frühstück für Klea geben, wünschest Du; doch damit ist's nichts, denn das gehört zu den gewesenen und unwiederbringlichen Dingen; nur die Dattelkerne sind davon übrig. Aber da auf dem Brettchen in Deiner Hand liegt ja ein leidlicher Imbiß.«

»Es ist des alten Phibis Opfer für den Serapis,« gab das Mädchen zurück.

»Hm, hm, ja allerdings,« brummte der Alte. »Wenn's für den Gott ist . . . Der könnt' es freilich eher entbehren, als so ein armes, ausgehungertes Menschenkind.«

Dann fuhr er ernst und gewichtig fort, wie ein Lehrer, der eine unvorsichtige Rede, die sein Schüler aus seinem Munde vernommen, durch eine um so würdigere gut machen möchte:

»Allerdings, anvertraute Sachen soll man nicht berühren, und erst der Gott – dann die Menschen. Wüßt' ich nur, wie man . . . Aber bei der Seele meines Vaters, Serapis schickt uns selbst, was wir brauchen! He da, edler Scipio, oder, da ich Dich so nennen darf, ›Publius‹, tritt doch zu mir heran und schau' mit mir dorthin nach den Akazien. Siehst Du da meinen Liebling, den Fremdenführer, und das Brod und die gebratenen Hühnchen, die euer Sklave für ihn aus der ledernen Tasche nimmt? Nun stellt er gar einen Weinkrug auf den Teppich, den er vor den großen Füßen des Euläus ausgebreitet hat. Gleich werden sie auch euch zu der Mahlzeit rufen, aber ich kenne ein schönes hungriges Kind, dem eine weiße Katze heut morgen das Frühstück wegstibitzt hat. Bringt mir für die ein halbes Brod und den Flügel eines Huhnes, und wenn ihr wollt, auch noch einen Granatapfel oder einen von den Pfirsichen, die der Eunuch eben mit seinen Fingern befühlt. Davon könnten's auch zwei sein, denn ich habe für beide Verwendung.«

»Serapion!« sagte Irene mit leisem Vorwurfe und schaute zu Boden; der Grieche aber rief eifrig:

»Mehr, weit mehr kann ich Dir bringen. Ich eile sogleich . . .«

»Bleib',« unterbrach ihn Publius entschieden und indem er ihn an der Schulter zurückhielt. »Mir hat Serapion's Bitte gegolten, und ich wünsche in eigener Person meinem Freunde gefällig zu sein.«

»So geh'!« rief der Grieche dem sich schnell entfernenden Publius nach. »Du gönnst mir nur nicht den Dank von den schönsten Lippen in Memphis. Sieh' nur, Serapion, wie er sich eilt. Nun muß sich der arme Euläus erheben. Ein Nilpferd könnte von ihm lernen, wie man das mit dem nöthigen Ungeschick anstellt. Das nenne ich kurzen Prozeß machen. So ein Römer fragt nicht viel, ehe er nimmt. Da hätt' er ja, was er braucht. Wie eine Milchkuh, der man das Kalb nimmt, schaut Euläus ihm nach. Ich mag freilich selbst viel lieber Pfirsiche essen, als sie forttragen sehen. Wenn dem das Volk auf dem Forum zuschauen könnte! Publius Cornelius Scipio Nasica, des großen Africanus leiblicher Enkel, der in jeder Hand, wie ein Sklave, der beim Schmause bedient, eine Schüssel trägt! Nun, Publius, was bringt Rom dießmal als Sieger nach Hause?«

»Süße Pfirsiche und einen gebratenen Fasan,« lachte der Cornelier und reichte dem Klausner zwei Schüsseln in sein Fenster. »Es bleibt noch genug für den Alten zurück.«

»Dank, schönen Dank!« rief Serapion, winkte Irene zu sich heran, gab ihr ein goldgelbes Weißbrod, die Hälfte des schon von Euläus in zwei Theile zerlegten Bratens, sowie zwei Pfirsiche und flüsterte ihr leise zu:

»Das Andere mag sich Klea, wenn Die dort fort sind, selbst bei mir holen. Jetzt danke dem guten Herrn und geh'.«

Einen Augenblick stand das Mädchen befangen, ganz übergossen mit Schamroth und die Unterlippe mit den kleinen schimmernden Zähnen beißend, stumm dem Römer gegenüber und wich dem ernsten Blick seiner schwarzen Augen aus. Daun nahm sie sich zusammen und sagte:

»Du bist sehr gut. Ich kann keine schönen Worte machen, aber ich danke Dir freundlich!«

»Und dieser freundliche Dank,« entgegnete Publius, »verschönt mir diesen köstlichen Morgen. Ich möchte wohl zum Andenken an ihn und Dich eins von den Veilchen aus Deinen Haaren besitzen.«

»Nimm sie alle!« rief Irene, löste das Sträußchen schnell aus ihren Haaren und reichte es dem Römer, aber ehe dieser die Blumen ergriffen, zog sie die Hand zurück und sagte mit gewichtiger Miene:

»Die Königin hat sie in der Hand gehalten! Meine Schwester Klea bekam sie gestern beim Aufzug.«

Des Corneliers Züge wurden ernst bei diesen Worten und mit befehlshaberischer Kürze und Schärfe fragte er:

»Hat Deine Schwester schwarzes Haar und ist größer als Du, und trägt sie bei den Aufzügen einen goldenen Kranz? Sie schenkte Dir diese Blumen? Ja, sagst Du? Nun wohl, so bekam sie dieß Sträußchen von mir, aber obgleich sie es annahm, scheint sie doch wenig Gefallen an ihm gefunden zu haben, denn was man werth hält, das gibt man nicht fort, und so mag es denn fliegen!«

Bei diesen Worten warf Publius die Blumen über das Haus hin und fuhr dann freundlicher fort:

»Du, Kind, sollst schadlos gehalten werden für den verlorenen Haarschmuck. Gib mir Deine Granate, Lysias.«

»Gewiß nicht,« entgegnete dieser. »Du wünschtest in eigener Person Deinem Freunde Serapion gefällig zu sein, als Du mich vorhin abhieltest, die Pfirsiche zu holen, und mich verlangt es, mit eigener Hand der schönen Irene meine Granaten zu reichen.«

»So nimm die Blume von ihm,« sagte Publius und wandte dem Mädchen schroff den Rücken, während Lysias seine Granate auf das Brettchen in den Händen des Mädchens legte, das sich von des Fremden rauher Weise wie von einer harten Hand berührt fühlte und sich stumm und eingeschüchtert verneigte, um dann schnell zu ihrer Wohnung zurückzukehren.

Publius schaute ihr sinnend nach, bis Lysias ihm zurief:

»Wie ist mir denn? Hätte sich etwa heute Morgen der heitere Eros in den Tempel des finstern Serapis verirrt?«

»Das wäre nicht gut,« unterbrach ihn der Klausner, »denn der Cerberus zu Füßen unseres Gottes würde dem windigen Jungen –« und bei diesen Worten sah er den Griechen bedeutungsvoll an, »bald die beweglichen Flügel rupfen.«

»Wenn er sich von dem dreiköpfigen Ungethüm fangen läßt,« lachte Lysias. »Aber komm' jetzt, Publius; Euläus hat nun lange genug gewartet.«

»So geh' Du zu ihm,« entgegnete der Römer. »Ich komme bald nach; aber erst hab' ich noch ein Wort mit Serapion zu reden.«

Dieser Letztere hatte seit Irenens Verschwinden seine Aufmerksamkeit der Akazie zugewandt, unter der der Eunuch noch immer schmauste. Als der Römer ihn nun anrief, sagte er, seinen großen Kopf unwillig schüttelnd:

»Deine Augen sind gewiß nicht schlechter als meine. Sieh' nur, wie dieser Mensch beim Kauen die Kiefern bewegt und mit den Lippen schmatzt. Beim Serapis, man kann die Sinnesart eines Menschen erkennen, wenn man ihn beim Essen betrachtet. Du weißt, daß ich ungern in diesem Käfig sitze, aber für Eines bin ich ihm dankbar, dafür nämlich, daß er das von mir fern hält, was ein Euläus ›genießen‹ nennt, denn dieß Genießen, sag' ich Dir, macht gemein.«

»So bist Du doch mehr Philosoph als Du scheinen willst,« antwortete Publius.

»Ich will gar nichts scheinen,« entgegnete der Klausner, »denn mir ist's gleich, was Andere über mich denken. Aber wenn Einer, der nichts zu thun hat und selten in seiner Ruhe gestört wird und sich über Mancherlei seine eigenen Gedanken macht, ein Philosoph ist, so nenne mich so, wenn Du willst. Solltest Du einmal Rath gebrauchen, so magst Du mich immerhin wieder besuchen, denn Du gefällst mir und vielleicht vermagst Du mir einen wichtigen Dienst zu leisten.«

»Sprich nur,« unterbrach ihn der Römer. »Von Herzen gern wär' ich Dir nützlich.«

»Jetzt nicht,« entgegnete ihm Serapion leise, »aber komm', wenn Du Zeit hast, ein andermal wieder, natürlich ohne Deine Gefährten von heute, jedenfalls ohne Euläus, der von allen Schurken, die mir jemals begegnet sind, der schlechteste ist. Vielleicht ist es nützlich, wenn ich schon heute Dir sage, daß es sich nicht um mich, denn was könnt' ich wohl brauchen, sondern um das Wohl und Wehe der Krugträgerinnen handelt, die Du ja Beide gesehen hast, und die des Schutzes bedürfen.«

»Um der Aeltern, um Klea's und nicht um Deinetwillen,« sagte Publius freimüthig, »kam ich hieher. Es liegt etwas in ihrem Gang und in ihren Augen, das Andere vielleicht fern hält, mich aber anzieht. Wie kommt diese vornehme Gestalt in euren Tempel?«

»Wenn Du wiederkommst,« entgegnete der Klausner, »erzähl' ich Dir die Geschichte der Schwestern und was sie dem Euläus verdanken. Jetzt geh' und laß Dir sagen, daß diese Mädchen hier gut bewacht sind. Dieß bemerk' ich wegen des Griechen, der übrigens ein flinker Bursche ist, nicht um Deinetwillen, denn wenn Du weißt, wer die Mädchen sind, so wirst Du mir gern helfen, ihnen zu nützen.«

»Das thät ich schon jetzt mit wahrer Freude,« entgegnete Publius, nahm Abschied von dem Klausner und rief Euläus zu: »Das war ein köstlicher Morgen!«

»Er wäre für mich noch schöner gewesen,« erwiederte der Eunuch, »wenn Du mir Deine Gesellschaft weniger lange entzogen haben würdest.«

»Das heißt,« gab der Römer zurück, »ich sei länger als billig ausgeblieben.«

»Du handeltest nach der Gewohnheit der Deinen,« entgegnete der Andere, sich tief verneigend, »die selbst Könige in ihren Vorzimmern warten lassen.«

»Du aber trägst keine Krone,« erwiederte Publius abweisend, »und wenn Einer, so versteht ja ein alter Hofmann sich zu gedulden . . .«

»Sobald es auf Befehl seines Königs so sein muß,« unterbrach ihn Euläus, »hält der ergraute Hofmann auch still, wenn es Jünglingen gefällt, ihn zu höhnen.«

»Das galt uns Beiden,« entgegnete Publius, indem er sich an Lysias wandte. »Jetzt antworte Du ihm, denn ich habe genug gehört und gesprochen.«

Drittes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Wie der Fuß Irenens keinen festen Riemen ertragen konnte, so war ihre Seele höchst empfindlich gegen jedes rauhe Wort. Darum hatte des Römers Rede und Weise ihr weh gethan.

Gesenkten Hauptes und dem Weinen nahe ging sie ihrer Wohnung entgegen, aber ehe sie dieselbe erreicht hatte, fiel ihr Blick auf die Pfirsiche und den Braten in ihrer Hand.

Schnell gedachte sie nun ihrer Schwester und wie gut der Hungernden dieß leckere Mahl munden würde. Ihr Mund lachte wieder, Freude strahlte aus ihren Augen und mit beschleunigten Schritten setzte sie ihren Weg fort.

Daß Klea sie nach den Veilchen fragen und der Römer ihr mehr gelten könnte als jeder andere gütige Fremde, fiel ihr nicht ein.

Sie hatte außer ihrer Schwester keine Gefährtin gehabt, und nach der Arbeit, wenn die Mädchen sonst vom Sehnen und Bangen, der Lust und dem Leid der Liebe reden, pflegten diese Beiden so schwer ermüdet nach Hause zu kommen, daß ihnen nichts erwünschter erschien als Ruhe und Schlaf. Blieb ihnen je einmal eine Stunde zu müßigen Gesprächen, so begann Klea immer und immer wieder von ihrem gemeinsamen Elternhause zu erzählen; Irene aber, die auch zwischen den ernsten Mauern des Serapistempels manches harmlose Vergnügen aufsuchte und fand, hörte ihr gern zu und unterbrach sie mit Fragen und der Erzählung von kleinen Ereignissen und Zügen, deren sie sich aus ihrer Kindheit zu erinnern glaubte, und von denen ihr doch viele erst durch ihre Schwester bekannt und durch die umbildende Thätigkeit ihrer höchst lebendigen Einbildungskraft zu eigen geworden waren.

Klea hatte die lange Abwesenheit Irenens nicht bemerkt, denn bald nachdem die Letztere sie verlassen, war sie, von Hunger und Müdigkeit überwältigt, entschlummert.

Ehe ihr schwankendes Haupt zur Ruhe kam und ihre Augenlider sich schlossen, zuckte es oft recht schmerzlich um ihren Mund; dann aber glätteten sich ihre Züge, leise öffneten sich ihre Lippen, und wie ein sanfter Lenzhauch über eine frierende Blume, so flog ein Lächeln über ihre sich mehr und mehr röthenden Wangen.

Diese Schläferin war gewiß nicht geboren für Einsamkeit und Entsagung, sondern um die Liebe und jede ihrer Wonnen zu gewähren und zu genießen.

Sehr warm und dabei still, ganz still wurde es in der Kammer der Schwestern.

Jetzt vernahm man das Gesumme einer Fliege, die das von Irene geleerte Oelgefäß umkreiste, jetzt der Schläferin immer schneller wehenden Athem.

Jede Spur von Erschlaffung war von Klea's Antlitz gewichen, wie zum Kuß öffneten und fanden sich ihre Lippen, glühender rötheten sich ihre Wangen und endlich hob sie beide Hände und stammelte vom Traum umfangen abwehrend und dennoch zärtlich: »Nicht, nicht doch, nein, gewiß nicht; ich bitte Dich, Lieber . . .« Jetzt sank ihr der Arm und schlug herabfallend an die Kiste, auf der sie saß, und sie erwachte.

Langsam öffnete sie die Lider mit einem glückseligen Lächeln; dann aber hoben sich ihre langen, seidigen Wimpern höher und höher, bis daß ihr weit geöffnetes Auge, als sei ihm etwas Unerhörtes begegnet, entsetzt in's Leere starrte.

So verblieb sie eine Zeitlang, ohne sich zu regen, dann aber richtete sie sich auf, drückte ihre Rechte auf Stirn und Auge und zusammenschauernd, als habe sie etwas Entsetzliches erblickt, oder als ob ein Frost sie schüttelte, murmelte sie stoßweise mit zusammengebissenen Zähnen:

»Was soll mir das? Woher kommen mir solche Gedanken! Was sind das für Dämonen, die uns im Traume Dinge thun und empfinden lassen, die wir wachend aus Herz und Sinn weit, weit von uns stoßen würden? Verabscheuen könnte ich mich selbst, verachten und hassen um dieser Gesichte willen, denn ich Elende ließ es geschehen, daß er mich umfaßte, und kein bitterer Zorn, o nein, etwas ganz Anderes, unaussprechlich Süßes durchbebte dabei meine Seele.«

Bei diesen Worten ballten sich ihre Hände zu Fäusten, die sie an ihre Schläfen drückte; dann sanken ihr aber wieder die Arme schlaff in den Schooß, und das Haupt schüttelnd, sagte sie mit verändertem, weicherem Tone: