Die Sehnsucht nach dem Meer - Manila Klafack - E-Book
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Manila Klafack

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Beschreibung

Zwischen Liebe und Freiheit auf hoher See – ein historischer Roman für Fans von Jessica Weber und Diana Norman England, 18. Jahrhundert: Die Pfarrerstochter Melissa geht an Bord eines Schiffes, um ihrem Vater nachzureisen. Doch als das Schiff von Piraten geentert wird, muss sie um ihr Leben bangen. Zum Glück setzt sich Jonathan, einer der Piraten, für sie ein. Die Freibeuter verschleppen die junge Frau in ihr Versteck, um für sie Lösegeld zu erpressen. Dort trifft sie auf die berüchtigten Piratinnen Mary Read und Anne Bonny und segelt mit ihnen weiter. Doch ist Melissa für das raue Leben auf dem Meer wirklich gemacht? Und warum kann sie Jonathan nicht vergessen?

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Ulla Mothes

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Motto

Kapitel 1

Abschied

Kapitel 2

Zurückgeblieben – Was nun?

Kapitel 3

Mutprobe

Kapitel 4

Im Hafen

Kapitel 5

Die Reise

Kapitel 6

Der Schatz

Kapitel 7

Die anderen Passagiere

Kapitel 8

Liebelei

Kapitel 9

Überfall

Kapitel 10

Lösegeld

Kapitel 11

Verhandlung

Kapitel 12

Gefangenschaft

Kapitel 13

Gefühle erwachen

Kapitel 14

Seemannsgarn

Kapitel 15

Ein Traum

Kapitel 16

Anne und Mary

Kapitel 17

Das Bad

Kapital 18

Der Vorschlag

Kapitel 19

Trennung

Kapitel 20

Piratenleben

Kapitel 21

Vergangenheit

Kapitel 22

Wiedersehen

Kapitel 23

Entscheidung

Kapitel 24

Verrat

Kapitel 25

Schatzkarte

Kapitel 26

Wieder entführt

Kapitel 27

Die Heimreise

Kapitel 28

Herz in Aufruhr

Kapitel 29

Familie

Kapitel 30

Im Garten

Kapitel 31

Der Auftrag ist beendet

Kapitel 32

Londoner Saison

Kapitel 33

Im Theater

Kapitel 34

Verehrer

Kapitel 35

Auf der Jagd

Kapitel 36

Unfall

Kapitel 37

Aufgewacht

Kapitel 38

Das gelüftete Geheimnis

Kapitel 39

Zeit für die Wahrheit

Kapitel 40

Ertappt

Kapitel 41

Das Vorhaben

Kapital 42

Hochzeit

Kapitel 43

Rettungsmission

Kapitel 44

Vorbereitungen

Kapitel 45

Im Gefängnis

Kapitel 46

Befreit

Kapitel 47

Elizabeth und Triton

Kapital 48

Charleston

Kapitel 49

Zu Hause

Epilog

Nachwort

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für

Mara und Mina

Im goldenen Lichtscheint der SandGlitzernd wie tausend SterneDie Unendlichkeit im SonnenaufgangDurchtränkt vom Wasser der Meere.

Janine Baruschke

Kapitel 1

Abschied

Mich fragt ja keiner. Nach der Hektik der vergangenen Wochen bewegt sich Melissa immer an der Grenze zum Weinen, das spüre ich genau. Auch wenn sie selbstverständlich so tut, als ob alles gut wäre. Sie ist schon ein wunderbares Mädchen, immer brav und tapfer. Doch was hat sie davon? Ich versuche, sie aufzuheitern, indem ich um sie herumhüpfe und sie zum Spielen auffordere. Da schimpft sie sogar mit mir und sagt, ich solle ihr aus dem Weg gehen. Pah, sie sollte sich einfach mal entspannen, finde ich, aber mich fragt ja keiner.

»Pass auf dich auf Papa!« Melissa schluchzte in den Armen ihres Vaters. Pfarrer Arthur St. James klopfte seiner Tochter mit der behandschuhten Hand beschwichtigend auf den Rücken. »Nun beruhige dich doch, mein Kind. Wir sehen uns bald wieder. Nur ein paar Monate.«

Eine blasse Wintersonne schien Melissa ins Gesicht. Sie blinzelte. Eigentlich liebte sie diese Jahreszeit. Die Tage wurden spürbar länger, und manchmal wehte ein winziger Hauch des nahenden Frühlings um ihre Nase. Es war ein milder Winter gewesen, und die ersten Schneeglöckchen ließen bereits ihre kleinen grün-weißen Spitzen blicken. Doch seit ihr Vater und seine neue Frau sich für diese Reise entschieden hatten, war viel Zeit mit den Reisevorbereitungen vergangen, und nun stand die Abreise bevor.

Melissa war oft in Gedanken versunken und lächelte seltener als üblich. Sie hatte sich mit einer dauernden Betriebsamkeit in die Vorbereitungen der Abreise gestürzt und sich so von dem Gefühl des Verlassenwerdens abzulenken versucht.

»Ich weiß, aber ich war noch nie länger als ein paar Tage von dir getrennt«, sagte sie betrübt.

Der Pfarrer schob seine Tochter ein wenig von sich und betrachtete sie eingehend. Von der kleinen Strähne kastanienbraunen Haares, die sich aus der ansonsten sorgsam unter einem Hut verborgenen Aufsteckfrisur gelöst hatte, über die geröteten Wangen in die tiefgrünen Augen, die durch die Tränen heller schimmerten und ihn an das zarte Blattgrün im Frühling erinnerten.

»Mein Schatz, du siehst deiner Mutter so ähnlich.« Seine warme Hand lag an ihrer Wange. Melissa schaute mit verschleiertem Blick zu ihrem Vater auf. Ihre grünen Augen trafen auf seine haselnussbraunen, die wie Ton-in-Ton auf seine hellbraunen Haare abgestimmt wirkten. Es stimmte, äußerlich hatte sie nicht viel von ihm. Schon immer hieß es, sie sehe ihrer Mutter sehr ähnlich. »Und du bist genauso charakterstark, wie sie es war. Du wirst bestens zurechtkommen.«

»Meinst du wirklich?« Melissa hatte ihre Mutter sehr geliebt und stets versucht, ihr nachzueifern. Doch hatte sie geglaubt, den Sanftmut und die Hilfsbereitschaft ihres Vaters geerbt zu haben. Immerhin füllte sie die Rolle der braven Pfarrerstochter sehr gut aus.

Doch tief im Innern, oft vor sich selbst verleugnet, spürte sie, wie sie sich im Grunde nach Freiheit sehnte.

»Selbstverständlich. Du hast recht lange zurückgesteckt, aber jetzt kannst du dich etwas von deinem Papa lösen.« Melissa erkannte, wie schwer es ihrem Vater fiel, sie etwas loszulassen. »Du kannst nicht immer an meiner Seite sein. Du bist jetzt erwachsen und musst dein Leben leben«, setzte Arthur hinzu.

Er warf über Melissas Schulter einen Blick zurück auf das kleine Pfarrhaus, das fast fünfundzwanzig Jahre ihr Zuhause gewesen war. Er seufzte leicht. »Hier habe ich die größten Freuden und das größte Leid erlebt«, sagte er leise. »Wie oft hat deine Mutter in dem kleinen Garten hinter dem Haus gesessen. Als wie hierherkamen, war er völlig verwildert, und sie hat ein kleines Kunstwerk mit herrlichen Rosen, Funkien und Hortensien daraus gemacht, einen traumhaften Ort für uns alle.«

Auch Melissa sah es vor sich. »Im Frühjahr duftet es nach Flieder und Jasmin. Im Sommer haben wir den Schatten der mit Blauregen und Clematis berankten Pergola genossen«, überkam nun auch Melissa die Erinnerung.

»Und erst der Herbst mit seinen leuchtenden Farben und den herrlichen Äpfeln«, fiel ihr Vater ein. »Bald ist die Zeit wieder reif, alles wird sprießen und wachsen.«

»Ja, aber dieses Jahr werden wir es nicht erleben.« Jetzt rannen ein paar Tränen über Melissas Wangen.

»Aber wir wissen, es geschieht, und darin finde ich Trost. Diese Oase, in der wir die Ruhe gefunden haben, wird bestehen bleiben. Und ich bin gewiss, wir werden beide andere, ähnliche Orte finden – und an uns denken.«

»Ich muss zur Kutsche, mein Schatz«, sagte er. Widerstrebend löste sich Melissa aus der Umarmung ihres Vaters. Sofia wartete bereits darin und sah aus dem Fenster. Sie wollte den beiden einen Augenblick allein für ihre Verabschiedung geben.

»Es bleibt doch dabei, du kümmerst dich hier um alles und unterstützt den neuen Pfarrer, wo du kannst. Und dann kommst du nachgereist. Nicht dass es du es dir anders überlegst«, sagte Arthur mit einem Augenzwinkern. Sie hatten immer wieder darüber gesprochen. Sofia und Arthur hatten Melissa gebeten, sie gleich zu begleiten. Doch Melissa ahnte, sie würde sich nur überflüssig fühlen, wenn sie sofort mitreiste. Immerhin handelte es sich um die Hochzeitsreise ihres Vaters. Die Frischvermählten sollten Zeit für sich haben, ohne die erwachsene Tochter am Rockzipfel. Sie würden nach Indien reisen und dort ein paar Monate bei Sofias Eltern bleiben.

»Vielleicht genießt ihr eure Zweisamkeit so sehr, dass ich gar nicht kommen soll«, ging Melissa mit schelmischem, wenn auch tränenverschleiertem Blick auf den neckenden Ton ihres Vaters ein.

»So kenne ich meine Tochter. Durch nichts unterzukriegen. Das wird sicher nicht geschehen. Bis Mai, meine Kleine.« Sprach’s, küsste sie auf die Wange und eilte zur Kutsche. Der Kutscher hatte schon einige missmutige Blicke zu den beiden geworfen, weil der Abschied so lange dauerte.

Melissa sah noch, wie sich ihr Vater aus dem Fenster beugte, bis der Wagen in eine Kurve fuhr und verschwand

Kapitel 2

Zurückgeblieben – Was nun?

Mir sagt ja keiner was. Arthur ist weg, Sofia auch. Hier herrscht trotzdem weiter große Aufregung, und das Packen hat ebenfalls kein Ende. Doch das Schlimmste ist, Melissa wirkt so nachdenklich und irgendwie bedrückt. Dorothy ist ebenfalls keine Hilfe. Wollen die etwa auch noch weg? Was wird dann aus mir?

Mir reicht’s. Ich geh Mäuse erschrecken.

Melissa schaute dem Wagen nach, bis nichts mehr zu sehen war. Dann schlang sie sich das Wolltuch enger um den Körper und ging ins Haus zurück.

Sie war nie längere Zeit ohne ein Elternteil zu Hause gewesen. Die vor ihr liegenden Monate würden eine Bewährungsprobe für sie darstellen. Als sie so Gedanken versunken ins Haus zurückkehrte, kam ihr Max, ihr Britisch-Kurzhaar-Kater, entgegengelaufen, im Schlepptau Dorothy, ihre Haushälterin. Mit ihren dunkelblonden Locken, den wachen blauen Augen und dem stets sonnigen Gemüt war Dorothy Melissas Familie seit Jahren eine verlässliche Hilfe. Und mehr noch, sie war in all diesen Jahren eine Freundin geworden. Sie war fast einen Kopf kleiner als Melissa und wesentlich runder. »Sind sie weg?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Melissa niedergeschlagen und beugte sich herab, um ihren Kater zu streicheln, der ihr schnurrend um die Beine strich. »Jetzt ist er fort«, sagte Melissa mehr zu sich selbst als zu Dorothy.

»Na, na. Mach dir nicht so viele Sorgen. Dein Vater und Sofia werden eine schöne Zeit miteinander haben, und es wird alles gut gehen«, sagte Dorothy.

Melissa hob erstaunt den Kopf: »Eigentlich hatte ich mir mehr Sorgen darum gemacht, wie ich ohne meinen Vater zurechtkomme.« Max reichte die kleine Zuwendung. Er drehte sich um und schlich auf seinen Samtpfoten Richtung Schuppen davon. Melissa folgte ihm gedankenverloren mit den Augen. Max, ein Britisch-Kurzhaar-Kater, hatte ihrer Mutter gehört, und obwohl er mittlerweile zehn Jahre alt war, sprang er oft noch so fidel herum wie als junges Kätzchen. Vermutlich verdankte er seine gute Konstitution der Einkreuzung einer Hauskatze. Zwar hatte er das hübsche grau-schwarz-gestreifte Fell seiner Artgenossen, doch er war etwas weniger gedrungen und kräftig. Seine hellen grünen Augen hatten fast dieselbe Farbe wie Melissas.

Dorothy schüttelte lächelnd den Kopf und riss Melissa aus ihren Gedanken: »Also, das hätte ich wahrhaftig nicht gedacht. Die ganze Gemeinde weiß doch, dass du es bist, die sich im Hintergrund um alles kümmert und alles organisiert. Du hast doch nach dem Tod deiner Mutter das Zepter in die Hand genommen und dich fünf Jahre um alles gekümmert, bis Sofia in euer Leben trat. Du musstest viel zu früh erwachsen werden.«

»Aber das war doch selbstverständlich.« Melissa wusste gar nicht, was sie von dieser Ansicht halten sollte. Doch Dorothy wollte das offenbar schon längst einmal gesagt haben und ließ sich nicht abbringen. »Du bist bald einundzwanzig. Willst du nicht endlich deine eigene Familie gründen? Willst du immer bei deinem Vater leben? Nicht dass grundsätzlich etwas dagegenspräche, aber ich hatte immer gedacht, du erwartest etwas anderes von deinem Leben.«

Melissa musste überlegen. Ja, was erwartete sie vom Leben? Bevor ihre Mutter gestorben war und obwohl sie damals noch halb ein Kind war, hätte sie die Frage problemlos beantworten können. Einen Mann finden, einander so zu lieben, wie sie es bei ihren Eltern erlebt hatte, heiraten, Kinder bekommen, und sich um ihre Familie kümmern. Diese Zukunft hatte klar vor ihrem inneren Auge gestanden. Doch früher als erwartet, hatte sie den schmerzhaftesten Verlust erfahren, den ein Kind ertragen muss. Ohne groß darüber zu nachzudenken, vielleicht um sich von dem Schmerz abzulenken, hatte sie ihrem Vater geholfen. Sie hatten sich gegenseitig gestützt.

Hatte sie dabei ihre eigenen Wünsche und Ziele aus den Augen verloren? Die Heirat ihres Vaters hatte an ihrem Leben zunächst nichts Grundlegendes geändert. Sofia hatte viele Aufgaben übernommen, doch es gab immer noch genug für Melissa zu tun. Sie war so daran gewöhnt, dass sie in diesem Hamsterrad gar nicht innehielt.

Manchmal überkam sie das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein. So war es in diesem Augenblick. Sie wusste natürlich, dass sie auf ihren Vater und Sofia sowie Dorothy immer zählen konnte, doch nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte sie das Gefühl, ihren Anker verloren zu haben. Sie fühlte sich einfach mutterseelenallein.

Ihr Vater hatte das immer gespürt und versucht, diese Lücke zu füllen. Doch es war ihm nie gelungen. Melissa mochte sich aber auch nicht vorstellen, wie ihr bisheriges Leben wohl verlaufen wäre, wenn ihr Vater nicht so einfühlsam, liebevoll und fürsorglich zu ihr gewesen wäre. Viele ihrer Freundinnen hatten weniger Glück mit ihren Vätern oder mit Stiefmüttern.

Melissa sah, dass Dorothy sie fragend anblickte.

»Ich weiß gar nicht mehr so genau, was ich mir früher für mich erträumt habe«, gab Melissa leise zu. »In all den Jahren habe ich nur an meine Aufgaben gedacht und nicht an das, was ich wollte. Früher hätte ich sagen können, was das ist. Eine eigene Familie. Doch ich bin ja bisher keinem Mann begegnet, mit dem ich mir das Gründen einer Familie hätte vorstellen können.«

Es hatte in den vergangenen drei Jahren drei Anträge von jungen Männern gegeben, und obwohl Melissa sie mochte und sich geschmeichelt fühlte, kam eine Heirat nicht infrage. Beim dritten Antrag, der erst ein paar Monate her war, fiel ihr die Ablehnung schwerer als beim ersten. Zwar mochte sie den jungen Mann. Aber nicht so sehr, dass sie sich vorstellen konnte, den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen.

»So ist das beim Erwachsenwerden«, holte Dorothy sie zurück in die Gegenwart. »Die Wirklichkeit holt jeden ein, und man muss seinen eigenen Weg finden. Für dich bedeuten die kommenden Monate, dir über dein zukünftiges Leben klar zu werden.«

Dorothy hatte leicht reden, dachte sich Melissa. Was hatte sie schon zu bedenken, woher wollte sie wissen, welche Entscheidungen Melissa zu treffen hatte? Melissa merkte sogleich, wie ungerecht diese Gedanken waren. Selbstredend hatte Dorothy das Recht, denn immerhin hatte sie sich entschieden, Melissa zu begleiten, wenn sie sich aufmachen würden, um ihrem Vater und ihrer Stiefmutter zu folgen.

Niemand von ihnen wusste, wie es in der Fremde zugehen würde. Zivilisiert wie hier in England würde es gewiss nicht sein, und auch die Seereise versprach bereits einiges an Aufregung. So lange unterwegs zu sein, auf einem Schiff voller fremder Menschen. All das würde neu und aufregend sein, Spuren hinterlassen. Und Melissa freute sich sehr darauf.

Kapitel 3

Mutprobe

Merde, verdammt, ja, ja, jagt ein armes Kätzchen, das nur Hunger hat, ruhig mit einem Fußtritt davon. Dabei bin ich doch nur meinem Herrn in das Wirtshaus gefolgt. Und siehe da, ein großer, dunkler Mann hat sein Fleisch mit mir geteilt. Da musste ich mich aber beeilen, schnell alles zu vertilgen. In den Ritzen unter der Treppe glühten schon die Augen der Ratten. Aber von diesem Festmahl haben sie nichts bekommen. Es war délicieux.

Er betrat das Wirtshaus. Lautes Stimmengewirr und albernes Frauenlachen klangen ihm entgegen. Einen Moment brauchte er, um sich an das Halbdunkel und den Rauch in der Luft zu gewöhnen. Im Pfeifenqualm konnte er Gesichter ausmachen. Er sah sich im Schankraum um. Die meisten Kerle waren einfache Seeleute, so wie er ab heute einer sein würde. Er blickte in ihre schmutzigen Gesichter. Eine Flasche Rum und eine willige Frau, mehr brauchten sie nicht nach einer langen Seereise.

Es würde vielleicht nicht so einfach werden, wie er sich das ausgemalt hatte. Zwar fiel er in seiner Kleidung nicht auf. Sie war nicht besser als die der anderen. Aber in seiner Sprechweise und in seinem Benehmen könnte ein aufmerksamer Beobachter sehr wohl einen Unterschied bemerken. Nun, er würde eben aufpassen müssen und sehr schnell lernen.

»Endlich«, polterte eine raue Stimme neben ihm, und schon lag eine große schwere Hand auf seiner Schulter. »Wird Zeit, dass du auftauchst. Der Kapitän wollte nicht mehr lange warten.«

Jonathan drehte sich um und sah sich einem bulligen Mann gegenüber. Zwar war der Mann um einiges kleiner, aber wesentlich muskulöser.

»Ja, ja, schon gut, Henri. War gar nicht so einfach, diese Spelunke hier zu finden. Aber jetzt bin ich da«, antwortete Jonathan.

Der ältere Seemann bugsierte ihn zu einem Tisch in einer Nische. Dort saß ein hakennasiger Mann mit dunklen Bartstoppeln. Der Dreispitz lag neben einem halbvollen Bierkrug und einer Rumflasche mit zwei Gläsern. Auch ein paar Stücke kaltes Fleisch lagen auf einem Teller, und daneben duftete ein halber Laib Brot.

»Das ist La Buse, der Bussard«, sagte Henri auf den Mann weisend. Er hätte den Kapitän nicht vorstellen müssen. La Buse, oder Olivier Le Vasseur, wie er hieß, war in diesen Zeiten und Gewässern als umtriebiger Piratenkapitän bekannt. Als Franzose noch dazu hatte er es natürlich hauptsächlich auf englische, spanische und portugiesische Schiffe abgesehen.

»Ich bin Jonathan Smith«, wandte er sich nun direkt an La Buse. »Ich würde gern anheuern.«

La Buse musterte ihn eine volle Minute, die Jonathan wie eine Ewigkeit vorkam, bevor er antwortete: »Wir haben unseren Steuermann nach unserer letzten Fahrt eingebüßt.« Dabei warf er einen Seitenblick auf seinen Quartiermeister. Dieser kurze Blick entging Jonathan nicht, und er fragte sich, was da wohl passiert war. »Nach allem, was mir Henri berichtet hat, könntest du der Richtige dafür sein«, sagte La Buse. »Setzt dich her und trink mit uns.«

Henri schob ihm einen vollen Bierkrug zu, und auch der Teller mit dem Fleisch sowie ein paar Scheiben Brot wanderten zu Jonathan. Er langte zu und war überrascht, wie gut es schmeckte. Dann schaute er nach unten, weil ihm etwas um die Beine strich. Es war ein besonders dünnes, schwarzes Kätzchen. La Buse bemerkte seinen Blick und sagte: »Was machst du denn hier, Lady?«

Jonathan musste sich ein Grinsen verkneifen, gab dem Kätzchen ein paar kleine Stücke Fleisch und fragte: »Lady?«

»Ja, das ist unsere Schiffskatze, und sie benimmt sich gern wie eine Dame. Streunt mit hocherhobenem Kopf auf dem Schiff herum«, antwortete Henri.

»Und manchmal begleitet sie euch an Land, wie ich sehe.«

La Buse antwortete nicht, strich der Katze aber ein paar Mal über ihr struppiges, schwarzes Fell.

»Wann geht die Fahrt denn los?«, fragte Jonathan.

»In drei Tagen. Morgens mit Einsetzen der Flut sticht die Victory in See. Allerdings wirst du verstehen, wenn wir dich vor der Heuer noch prüfen.«

Damit hatte Jonathan gerechnet. Hier konnte der gefährlichste Teil des gesamten Unterfangens lauern.

»Aye«, antwortete Jonathan und blieb äußerlich gelassen.

Gemeinsam verließen sie das Wirtshaus und liefen an der Hafenmauer entlang. Gefolgt von der schwarzen Katze. Nach einigen Minuten erreichten sie das Schiff. Bis auf drei verschlafen wirkenden Männer, die darauf herumschlurften, war es leer. Lady sprang mit ein paar Sätzen die Gangway hinauf und machte es sich auf einem Fass bequem. Die Männer ließ sie nicht aus den Augen.

»Männer, aufgepasst, wir haben hier einen neuen Rekruten«, sprach La Buse die Seeleute an. »Wie wäre es, wenn ihr in Schwung kommt, damit wir ihn gebührend willkommen heißen können?«

Die Verwandlung der drei war erstaunlich. Ihre ermatteten Schritte verwandelten sich in einen federnden Gang, und ihre müden Mienen wurden von einem breiten Grinsen erhellt.

»Lass uns beginnen«, forderte La Buse Jonathan auf.

Der war sehr wachsam, konnte sich aber noch keinen Reim auf das Kommende machen.

So stieg er die Gangway hinauf. Oben angekommen, musste er sich gleich unter dem ersten unvorhergesehenen Schwerthieb wegducken.

Er machte eine Drehung, bei der er seinen Säbel zog und bereits in dieser Bewegung den Angriff eines zweiten Piraten abwehrte. Der Erste wartete nicht lange und schlug erneut auf Jonathan ein. Zum Glück für Jonathan war keiner der beiden ein guter Kämpfer, und er konnte sie schnell in Schach halten.

Nach einige Minuten stoppte der Kapitän den Kampf. »Genug! Wehren kannst du dich. Jetzt lass mal sehen, wie gut du dich in der Takelage bewegst. Auf, auf!« Mit diesen Worten zog er seine beiden Pistolen.

Jonathan war verdutzt. Da wedelte La Buse mit den Pistolen Richtung Mast.

»Du meinst … da rauf?«

»Genau«, La Buse ersetzte seinen grimmigen Gesichtsausdruck durch ein schiefes Grinsen.

Jonathan war nicht ganz klar, was der Kapitän sehen wollte. Dennoch machte er sich auf und krabbelte hoch. Als das erste Projektil neben ihm vorbeizischte, hätte er vor Schreck beinahe das Gleichgewicht verloren. Zum Glück konnten die Freibeuter sein Gesicht nicht sehen, da er ihnen den Rücken zuwandte. Dass es gefährlich werden würde, bei dieser Bande anzuheuern, hatte er geahnt. Dass ihm drohte, in den Rücken geschossen zu werden, damit hatte er nicht gerechnet.

Sei es drum, er musste es schaffen.

Da sauste bereits die zweite Kugel an ihm vorbei. Er rechnete. Sie waren zu fünft. Jeder zwei Schuss, zusammen also zehn Kugeln, denen er ausgesetzt war, wenn sie nicht nachluden. Er hoffte, dass sie nüchtern waren und nicht versehentlich ein Loch in sein abgetragenes Hemd schießen würden.

Jonathan bemühte sich, ganz ruhig zu bleiben und auf direktem Wege nach oben zu gelangen, während die Pistolenkugeln um ihn herumschwirrten. Endlich hatte er es geschafft. Als sein Blick nach unten ging, gab ihm Henri das Zeichen, er solle wieder herunterkommen. Das Gesicht von La Buse sah er nicht, es war von seiner breiten Hutkrempe verdeckt.

Beim Abwärtsklettern schossen die Piraten nicht mehr auf ihn. Als Jonathan wieder die Schiffsplanken unter seinen Füßen hatte und sich zum Kapitän umwandte, nickte der nur und ging in Richtung Niedergang. Damit war Jonathan entlassen, und seine Karriere als Pirat konnte beginnen.

Kapitel 4

Im Hafen

Wahnsinn, es geht immer weiter. Wohin nur? Wir sind nun schon tagelang unterwegs. Welch eine Tortur. Aber andererseits hätte ich nicht allein zurückbleiben wollen. Immerhin scheint diese Reise zu Melissas Vater länger zu dauern. Ja, selbstverständlich weiß ich, dass wir zum ihm reisen. Ich wusste es von Anfang an. Auch wenn mir nie einer was sagt. Man wird sich ja wohl noch einen Spaß erlauben dürfen.

Melissa und Dorothy brauchten vier Tage, um von der Postkutschenstation in Newbury mit der gemieteten Kutsche in London anzukommen. Zwischendurch fragte sich Melissa oft, warum sie sich das alles nur antat. Wenn sie jetzt an die unbequeme Reise auf See dachte, graute ihr. Denn die Reise in der Kutsche gestaltete sich bereits wenig angenehm. Sie schaukelte auf der löchrigen Straße ständig hin und her. Max maunzte oft unwirsch in seinem Körbchen.

Melissa hatte ihn einfach nicht zurücklassen können. Sicher wäre es angesichts der Strapazen dieser Reise besser gewesen, und eigentlich sollte er nicht mitkommen. Ein Kater gehörte nicht in eine Kutsche und schon gar nicht auf ein Schiff. Doch letztlich brachte Melissa es nicht übers Herz, ihn alleinzulassen. Er war der Liebling ihrer Mutter und für Melissa ein Familienmitglied. So saß er jetzt gerade auf ihrem Schoß und ließ sich mit geschlossenen Augen kraulen. Er schnurrte behaglich.

Melissa hätte draußen gern ein paar der grünen Fleckchen entdeckt, die, wie sie wusste, durch den spätwinterlichen Boden durchbrachen. Immer wieder regnete es, entsprechend trist war die Umgebung, die sie durch die schmutzigen Kutschfenster sehen konnten.

In der Kutsche war vom Vorfrühling nichts zu spüren. Sie saßen mit ihren Mänteln und Decken auf Kissen, damit ihnen nicht zu kalt wurde. In den Gasthäusern, in denen sie unterwegs Station machen mussten, fühlten sie sich ebenfalls nicht besonders behaglich. Sie kosteten nicht viel, entsprechend wenig Wert wurde auf Sauberkeit oder gar Gemütlichkeit gelegt. Die Zeit verging schleppend, doch endlich machten sie Rast für die Nacht.

»Wie sehr wünsche ich mir mein gemütliches Bett daheim zurück«, klagte Dorothy gerade. Es war ihr dritter Abend unterwegs, und Max eroberte gerade eins der Betten und richtete sich auf der fadenscheinigen Decke ein, um sich ausgiebig zu putzen. Im Kamin brannte ein lustig knackendes Feuer. Normalerweise neigte Dorothy nicht dazu, sich zu beschweren. Die Reisebedingungen mussten sie also gewaltig stören.

»Ach, so übel ist es doch gar nicht. Wenigstens sind die Betten einigermaßen sauber«, versuchte Melissa sie aufzubauen, während sie die dünnen Decken und die nicht mehr ganz sauberen Kopfkissen begutachtete. Glücklicherweise reisten sie mit ihren eigenen Kissen. Außerdem hatten sie sich jede zu Hause an das offene Ende eines Bettbezugs einen Kissenbezug genäht, in den sie ihre Kissen stopfen konnten. In den Bettbezug schlüpften sie selbst, sodass sie nicht in Berührung mit den schmutzigen Decken kamen. »Und das Essen in diesem Gasthaus war wirklich sehr gut«, sagte Melissa, während sie die Decke und das Kissen vom Bett nahm.

»Ja, endlich eine Mahlzeit, die auch von mir hätte sein können«, stimmte Dorothy in Erinnerung an die herrliche Hühnersuppe mit dem frisch gebackenen Brot und dem Ale zu. Zum Nachtisch hatte es duftende Bratäpfel mit Schlag gegeben. Besonders genossen hatten beide den frisch gebrühten Kaffee. Jetzt allerdings fielen ihnen die Augen zu. Sie zogen sich ihre Kleider aus und krabbelten in ihren Unterkleidern in ihre Betten. Melissa pustete die Kerzen aus, und rasch schliefen sie ein.

Am Morgen ging es beizeiten zu ihrer letzten Etappe weiter. Die Umgebung, durch die sie reisten, war mittlerweile weniger trostlos. Die Kutschfenster hatte Melissa ein wenig gesäubert, bevor sie aufbrachen. Die Sonne brach immer wieder hinter den dicken Wolken hervor, und mit ihren Strahlen stieg die Laune in der Kutsche deutlich. Selbst auf der Straße rumpelte es weniger. Max saß zwischendurch immer wieder auf Melissas Schoß und schaute ebenfalls aus dem Fenster.

Am Nachmittag erreichten sie London. Sie quartierten sich in einem Gasthof nicht weit vom Hafen ein. Auch hier gab es wenig Komfort. Zu gern hätten beide London erkundet, doch dafür reichten weder die Zeit noch ihre Kräfte. Ihr gesamtes Gepäck, das aufgrund ihres längeren Aufenthaltes in Indien aus vielen Koffern und Taschen bestand, hatten sie mit der Kutsche zum Hafen geschickt.

Noch ganz zerschlagen von der Anreise gingen sie zeitig ins Bett und machten sich früh am nächsten Morgen auf den Weg zum Hafen. Sie waren überwältigt von der Größe der Stadt und den vielen Menschen. Keine der beiden hatten zuvor London besucht.

Die Geschäftigkeit setzte sich am Hafen fort. Und als sie endlich ihr Schiff die Sunset, am Kai liegen sahen, waren sie beeindruckt. Melissa lief mit weit in den Nacken gelegtem Kopf vom Bug bis zum Heck und war fasziniert. Auch Dorothy konnte ihre Aufregung kaum verbergen. Das Schiff mit seinen drei Masten war viel größer und mächtiger, als sie erwartet hatten. Die Galionsfigur aus Holz stellte eine halbnackte Frau mit wildem Haar dar.

Melissa konnte sich gar nicht sattsehen. Sie drehte den Kopf hierhin, dorthin und wollte nichts verpassen.

»Oh Dorothy«, rief sie aus, »ist es nicht wundervoll hier?« Die Anstrengung der vergangenen Tage fiel angesichts des Hafens von ihr ab. Obwohl es so voll und laut und ungewohnt war, fühlte sie sich plötzlich belebt. Der Wind blähte ihren Rock. Die Möwen stritten sich kreischend in der Luft um ein paar Happen. Max in seinem Korb schaute interessiert zu ihnen auf. Solch laut kreischende Vögel hatte er noch nie gesehen oder gehört. Dorothy wandte sich zu Melissa um. »Ziemlich voll hier. Das gefällt mir nicht. Pass auf unsere Sachen auf. Hier lauern bestimmt überall Diebe«, sagte sie.

Melissa und Dorothy wussten, dass dieses Schiff einige Passagiere sowie verschiedene Waren transportieren würde. Wie viele Personen und wer mit ihnen reisen würde, war ihnen unbekannt. Melissa war überhaupt nicht vertraut mit der Seefahrt. Sie hatte sich bisher keine Gedanken über das Meer, das Segeln und Schiffe gemacht. Für sie handelte es sich einfach um ein Fortbewegungsmittel. Eine Möglichkeit, zu ihrem Vater zu reisen.

Doch als sie sich mit Dorothy einen Weg zur Gangway bahnte, ihr eine frische Brise ins Gesicht wehte und sie das beeindruckende Schiff sah, wurde ihr leicht ums Herz. Ihre Wangen röteten sich, und die Aufregung zauberte einen Glanz in ihre Augen. Die Hektik der zurückliegenden Wochen verflog, und unwillkürlich lächelte sie. Sie freute sich auf die Reise, nicht mehr nur auf das Ziel, sondern auf den Weg.

Kurz dachte sie zurück an die Ankunft des neuen Pfarrers, der die Vertretung ihres Vaters übernehmen sollte. Ein junger, unscheinbarer Mann Mitte zwanzig, ohne Frau, aber offensichtlich auf der Suche. Der Umstand, dass Melissa mit fast einundzwanzig Jahren noch nicht unter der Haube und die Tochter eines Pfarrers war, ließ sie in seinen Augen wohl besonders attraktiv erscheinen. Melissa empfand ihn zwar als einen angenehmen Gesellschafter, aber Gefühle entwickelte sie nicht für ihn.

Trotzdem gestattete sich Melissa kurz die Überlegung, wie ihr Leben verlaufen würde, wenn sie nicht abreisen würde. Es hatte einen gewissen Reiz, würde sie doch alles Gewohnte beibehalten können. Das Leben einer Pfarrersfrau, noch dazu in dieser Gemeinde, kannte sie. Doch ein unbestimmtes Gefühl hielt sie davon ab.

Als sie jetzt im Begriff standen, das Schiff zu betreten, kam es ihr sehr abwegig vor, dass sie diesem Gedanken überhaupt Raum gegeben hatte. Um nichts auf der Welt hätte sie diese Erfahrung und alle, die noch kommen würden, missen wollen.

Kapitel 5

Die Reise

Hilfe, soll das vielleicht ein Schiff sein? Zwischen meinen Nickerchen hatte ich wohl etwas von einer langen Reise zu Arthur gehört und auch etwas von einem Schiff. War dieses schwimmende Monstrum damit gemeint? Darüber haben Melissa und Dorothy sich immer wieder unterhalten und überlegt, ob sie mir das zumuten können oder nicht. Melissa hatte sich schließlich entschieden. Ja, hatte sie gesagt, es wäre eine Qual, sicher, doch mich in England zu lassen, wäre für uns alle noch viel schlimmer. Mit Letzterem hat sie sich schrecklich getäuscht, würde ich sagen. Ob ich flüchte, wenn sie diesen Korb endlich aufmacht?

Beim Betreten des Schiffes halfen ihnen zwei Matrosen. Einer nahm Melissa den Korb mit Max ab. »Willkommen an Bord und eine angenehme Reise«, sagte er und grinste ihr zu. »Durch diese Tür dahinten gelangen Sie zu Ihrer Kabine. Ihre Koffer wurde bereits für Sie hineingebracht.«

Melissa und Dorothy hatten jeweils einen großen Koffer für die Dauer der Überfahrt gepackt. Das restliche Gepäck wurde in den Frachtraum des Schiffes geladen. Als sie nun den Niedergang zum Kabinendeck herunterstiegen, gelangten sie zunächst in einen rechteckigen Vorraum. Von dort gingen insgesamt acht Türen ab. Nach dem strahlenden Sonnenlicht oben war es hier unten recht dunkel und stickig. Nur zwei Lampen erhellten den Raum.

»Ich schaue mal links«, sagte Dorothy. Sie hatte sich offenbar schneller an das Dämmerlicht gewöhnt und eher als Melissa erkannt, dass an jeder Tür ein Zettel befestigt war.

»Hier drüben«, rief sie nun. »Das ist unsere.«

Dabei öffnete sie die Tür und trat ein. Melissa folgte ihr gespannt. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber die Wirklichkeit war etwas ernüchternd.

»Hier sollen wir jetzt wochenlang leben?!« Melissa konnte sich nicht vorstellen, wie das zu zweit mit einem Kater gehen sollte. Sie befreite Max aus seinem Korb. Es gab eine mit dem Schiff verbaute Koje, die Max sofort erkundete, sowie eine Hängematte. Die Koje war recht schmal, sah aber soweit passabel aus. Das Bullauge an der gegenüber der Tür liegenden Wand gab den Blick auf einen strahlendblauen Himmel und das dunklere Wasser frei. Ein schmaler, mit der Wand verbundener Schrank, komplettierte die Einrichtung.

»Ich versuche es mit der Hängematte«, sagte Dorothy skeptisch und ging die drei Schritte zu dem Schlafplatz. Sie wollte sich hineinsetzten und fiel prompt hintenüber. Max erschrak bei Dorothys Schmerzensschrei und machte einen Buckel.

Melissa lief zu ihr und musste sich ein Grinsen verkneifen. »Hast du dich verletzt?«

Dorothy sah zu komisch aus, wie sie da am Boden lag, die Röcke durcheinander, ein Fuß noch auf der Hängematte, und versuchte, sich wieder aufzurappeln.

»Nein«, murrte sie und setzte sich auf. Ihren Hut löste sie vom Kopf.

Melissa reichte ihr die Hand und zog sie wieder auf die Füße.

»Ich denke, du schläfst in der Koje, und ich nehme die Hängematte«, sagte Melissa mit einem leichten Glucksen in der Stimme.

Dorothy schaute sie böse an: »Wag es nicht, mich auszulachen«, grummelte sie und musste plötzlich selbst lächeln. Sie ging zur Koje hinüber. »Wie es aussieht, muss ich mein Bett mit Max teilen.«

Nun grinste Melissa sie breit an und setzte sich in die Hängematte. Die Füße zunächst fest am Boden. Sie brauchte einen Moment, um die passende Position für den nächsten Schritt zu finden. Dann drehte sie sich so, dass ihre Beine links und rechts von der Hängematte den Boden berührten, und legte sich auf den Rücken. Wieder wartete sie kurz und nahm schließlich die Beine hoch. Eine Erfahrung, die ihr Spaß machte. Wenn man den Bogen heraushatte, war es richtig lustig.

Nachdem sie das Notwendigste ausgepackt und in den Schrankfächern verstaut hatten, wollten sie beim Ablegen des Schiffes dabei sein. Melissa schloss die Kajütentür fest, bevor der Kater mit ihnen hindurchschlüpfen konnte. Als sie in den Vorraum traten, liefen sie einem gepflegt aussehenden Gentleman in einem schicken Anzug beinahe in die Arme. Er hob seine Hand zum Gruß an den Hut. »Meine Damen«, sagte er und ging weiter, ebenfalls in Richtung Treppe.

»Nanu«, wunderte sich Dorothy. »Wer war das?«

Melissa drehte sich zu Dorothy um. »Das werden wir sicher bald erfahren.«

An Deck traf die Besatzung die Vorbereitungen zum Ablegen. Auch jetzt überkam Melissa erneut dieses seltsame Hochgefühl, das, wie sie sich eingestand, weniger mit der Vorfreude auf ihren Vater als auf die bevorstehende Fahrt selbst zu tun hatte.

Der Gentleman, der ihnen begegnet war, unterhielt sich mit dem Kapitän. Melissa warf einen kurzen Blick in ihre Richtung. Der Kapitän fing diesen Blick auf und machte sich mit dem Mann an seiner Seite zu Melissa und Dorothy auf.

»Guten Tag«, begrüßte er sie mit einem Lächeln. »Ich bin der Kapitän dieses Schiffes, Edmond Stewart, und das hier ist Baron Jeremy Prescott. Er reist bis Südafrika mit uns. Und Sie müssen Melissa St. James und ihre Begleiterin Dorothy Thompson sein. Sie reisen bis Indien, korrekt?« Melissa nickte. Der Kapitän machte einen angenehmen Eindruck. Er war etwa in dem Alter von Melissas Vater und wirkte befehlsgewohnt, aber dabei nicht unfreundlich.

»Sehr erfreut«, sagte Sir Jeremy, zog ihre Hand zu einem angedeuteten Kuss bis kurz vor seine Lippen und verneigte sich leicht. Melissa hatte nicht viel Erfahrung mit fremden Gentlemen, daher beeindruckte das vornehme Verhalten des Mannes sie ein wenig. Sie machte einen kleinen Knicks.

Er war nicht viel größer als sie. Allerdings überragte Melissa viele Frauen in der Regel um mindestens einen halben Kopf. Dorothy war einen Kopf kleiner als sie, was Melissa mitunter Unbehagen bereitete. Denn durch ihre Größe fiel sie oft auf, und sie stand nicht gern im Mittelpunkt, und auch bei Männern standen größere Frauen nicht so hoch im Kurs. So machte Melissa sich manchmal etwas kleiner, indem sie die Schultern fallen ließ und den Kopf einzog. Auch jetzt hatte sie diesen Drang, als Sir Jeremy sie neugierig musterte. Doch dann straffte sie die Schultern und richtete sich auf.

Sir Jeremy sah sehr attraktiv aus mit seiner geraden, schmalen Nase, den sanft geschwungenen Lippen und dem dunkelblonden Haar. Die Farbe der Augen konnte Melissa unter dem Hut nicht gleich erkennen.

»Freuen Sie sich auf unsere Reise?«, fragte er Melissa.

»Ja, sehr«, antwortete sie und sah an ihm vorbei zu den Matrosen. Sie wollte sich eigentlich nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. Vielmehr interessierte sie, wie sich das Schiff gleich in Bewegung setzen würde.

Der Kapitän folgte ihrem Blick. »Für Gespräche haben wir in den kommenden Wochen ausreichend Zeit.« Dabei zwinkerte er Melissa zu. »Jetzt sollten Sie sich das Ablegen nicht entgehen lassen. Wir sehen uns später.«

Kapitel 6

Der Schatz

Mon nouvel ami, mein neuer Freund, ich wusste doch, der große, dunkle Neue hat ein gutes Herz. Nicht so wie viele andere dieser Piraten, die so gern nach mir treten, nur weil ich unterm Tisch nach Essen suche. Doch dieser hier beschützt mich tatsächlich. Selbstverständlich ist das völlig unnötig, passe ich doch mein Leben lang selbst auf mich auf, aber es ist schön, wenn man in ein freundliches Gesicht sieht. Und er hat ein Schüsselchen neben seine Hängematte gestellt, in der ich oft Essbares finde. Merci!

 

Nun ist es also so weit, dachte Jonathan noch, als er die Victory in Position für eine volle Breitseite steuerte und die ersten Schüsse fielen. Das Angriffsgeschrei der Piraten ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Kein Wunder, dass auf dem anderen Schiff panische Schreie zu hören waren. Jonathan war froh, als Steuermann nicht sofort zur Waffe greifen zu müssen. Das durfte er sich jedoch nicht anmerken lassen. Nur der Hauch einer Schwäche konnte ihn das Leben kosten. Die Mannschaft hielt zusammen wie Pech und Schwefel, alle mussten an einem Strang ziehen.

Der Gefahr direkt am Steuerrad war er sich sehr wohl bewusst, und schon sauste die erste Kugel vom gegnerischen Schiff an seinem Ohr vorbei. Er versuchte, sich ein wenig in Deckung zu begeben. Da er so groß war und das Steuer hielt, stellte er die perfekte Zielscheibe dar.

La Buse hatte seine Mannschaft erst gestern Abend in den Plan eingeweiht. Sie würden gemeinsam mit John Taylor, der direkt hinter ihnen segelte, ein portugiesisches Schiff überfallen. Normalerweise hätte sich kein Pirat an diesen Portugiesen herangewagt, obwohl die Beute sehr lohnenswert sein sollte, zu groß und zu viele Kanonen. Doch die Nossa Senhora do Cabo e São Pedro lag durch einen Sturm angeschlagen vor Saint-Denis – und die Piraten kamen mit zwei Schiffen.

»Solch eine Chance bietet sich nur selten im Leben«, hatte La Buse am Vorabend gesagt. »Welch ein Glück für uns, dass wir hier sind.« Sie hatten, wie auch John Taylor, vor Mauritius geankert. In einer Schenke dort hatten sich die Seeleute von dem Unglück des Schiffes erzählt. Es lag vor Saint-Denis und sollte repariert werden.

»Neben Schmuck, Gold- und Silberbarren sollen Perlen und vieles mehr darauf sein«, versprach der Piratenkapitän seinen Männern, die leuchtende Augen bekamen. »Und besonders hochrangige Passagiere sollen ebenfalls auf ihr reisen, der Vizekönig von Portugiesisch-Indien und der Erzbischof von Goa. Der im Übrigen das goldene Kreuz der Kathedrale von Goa dabeihaben soll«, fuhr La Buse fort.

Jonathan hatte sich insgeheim gewundert, wie viel sein Kapitän über die Werte wusste, die auf der »Nossa Senhora do Cabo e São Pedro« transportiert wurden. Woher bekamen die Piraten diese Informationen, hatte er sich gefragt. Momentan war das einerlei. Er stand hier unter Beschuss und hoffte, der Gegner würde es nicht schaffen, mit seinen Kanonen einen Treffer an der Wasserlinie zu landen. Da sah er hinter dem portugiesischen Schiff weitere Masten aufragen. Das musste John Taylor sein.

So in die Zange genommen, wehrte sich die portugiesische Mannschaft noch eine Weile heldenhaft, konnte doch letztlich nichts gegen diese Übermacht ausrichten. Bei dem Gefecht fing sich Jonathan einen Streifschuss an seinem Oberarm ein. Er versuchte soeben, die Stelle zu verbinden, als La Buse auf ihn zutrat.

»Hey, es hat dich erwischt.«

Jonathan zuckte leicht die Schulter des unverletzten Arms. »Es ist nichts weiter, nur eine kleine Fleischwunde.«

»Lass es lieber mit einem sauberen Stück Stoff verbinden. Du wärst nicht der Erste, der den Wundbrand einer kleinen Verletzung unterschätzt.«

»Ja, ich geh, sobald die schlimmeren Fälle behandelt sind.«

La Buse nickte.