Die Shanghai Dosis - Eli T. Crown - E-Book

Die Shanghai Dosis E-Book

Eli T. Crown

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Beschreibung

"Und bitte bloß nicht zuviel Kunst oder Kultur und auch nur dann, wenn es wirklich unbedingt sein muss!" Als Tessa ihre chinabegeisterte Schwester Eli in die Millionenmetropole Shanghai begleitet, stehen für sie vor allem Spaß, Erholung und Shoppen ganz oben auf dem Urlaubsprogramm. Doch gesundheitliche Beschwerden und ungeplante Begegnungen mit einem rätselhaften Mann zwingen die beiden immer wieder zu einer Anpassung ihrer gemeinsamen Pläne. Aber sind die Zusammentreffen mit diesem Herrn tatsächlich jedes Mal so zufällig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen?

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Seitenzahl: 220

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Eli T. Crown

Die ShanghaiDosis

Eine Eli T. Crown Story

© 2021 Eli T. Crown

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Cover-Design: Ben

ISBN

Paperback:

978-3-347-30475-8

Hardcover:

978-3-347-30476-5

e-Book:

978-3-347-30477-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Danksagung

Diese Geschichte ist vor allem denjenigen gewidmet, die den kleinen

Freak in mir (er)kennen und mich gerade deshalb lieb haben.

Danke an meine Familie, die mich bei jeder Entscheidung unterstützt,

egal wie ungewöhnlich sie für andere auch scheinen mag.

Vielen Dank auch an Ben, der mich glücklicherweise davon überzeugt

hat, besser nicht meinen eigenen Cover-Entwurf zu verwenden.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1-Der Start

Kapitel 2-Der Flug

Kapitel 3-Die Ankunft

Kapitel 4-Der erste Abend

Kapitel 5-Der erste Tag

Kapitel 6-Die weiteren Tage

Kapitel 7-Der Oriental Pearl Tower

Kapitel 8-Der Wellnesstag

Kapitel 9-Der Botanische Garten

Kapitel 10-Die Schifffahrt

Kapitel 11-Im Krankenhaus (Teil 1)

Kapitel 12-Der Traum

Kapitel 13-Zurück in die Realität

Kapitel 14-Im Krankenhaus (Teil 2)

Kapitel 15-Die Entlassung

Kapitel 16-Die Rückkehr

Kapitel 17-Der Abschied

Kapitel 1-Der Start

„Hast du diesmal BITTE an die Zahnpasta gedacht …??“ Dies war die erste Frage, die meine Schwester an mich richtete, gleich nachdem wir das Flugzeug betreten hatten. Ich musste unwillkürlich grinsen.

Das Thema mit der vergessenen Zahnpasta auf unseren Reisen war mittlerweile zum Running Gag zwischen uns geworden. Und natürlich hatte ich auch diesmal wieder an alles für den Urlaub gedacht. Quasi an alles. Nur eben nicht an die blöde Zahnpasta.

„Jetzt, wo du es sagst …“, begann ich den Satz und lies ihn unvollendet. Und grinste immer noch.

„Na, dann hoffe ich, dass sich dein Chinesisch-Kurs ausbezahlt hat und du auch das richtige Wort dafür kennst. Und es vor allem korrekt aussprechen kannst“, entgegnete sie, ebenfalls lachend.

„Ach, du meinst, nicht dass wir am Ende noch irgendeine Hämorrhoiden-Salbe oder Ähnliches kaufen!“, antwortete ich. Jetzt lachte sie nicht mehr, sondern schaute eher gequält. Ich beließ es mit einem schnell hinterhergeschobenen: „Na klar, ich kenn das Wort, keine Sorge!“ Und während ich noch in meinen Gedanken nach dem chinesischen Wort für Zahnpasta suchte, wurden wir auch schon überschwänglich von der Stewardess an Bord begrüßt.

„Einen wunderschönen guten Abend, die Damen!“, rief sie uns aus Richtung der Bordküche zu und eilte uns entgegen. Am Eingang des Flugzeugs hatten wir bereits unsere Bordkarten präsentiert und waren von dem Personal nach links in Richtung Businessclass gelotst worden. Anscheinend waren wir bislang auch die ersten Passagiere dieser Klasse.

„Darf ich Sie bitte nach Ihrem Namen fragen?“, sprach sie uns höflich an.

„Tessa und Elise Crown“, sagte ich schnell, während sie uns die Mäntel abnahm.

„Oh, wie schön, Sie sind unsere ersten Gäste! Willkommen an Bord! Sie sitzen gleich hier hinten, 7E und F.“ Sie deutete auf zwei Plätze hinter uns, am Ende der Businessclass.

Wenn möglich, buchen meine Schwester und ich immer diese Art von Plätzen. Ganz hinten an der Trennwand. Dies erleichtert unsere Kommunikation, denn so haben wir keine weiteren Gäste hinter oder zwischen uns und können uns leise, über was auch immer, unterhalten (oder amüsieren). Je nach Lust und Laune oder Bedarf. Ich entschied mich für den Fensterplatz und meine Schwester begann, es sich neben mir am Gang gemütlich zu machen.

„Möchten Sie ein Glas Sekt oder lieber einen Orangensaft? Oder etwas anderes nach Ihrer Wahl?“, fragte uns die Stewardess gleich nachdem wir Platz genommen hatten. Ich fragte mich insgeheim, wie sie so schnell unsere dicken und sperrigen Wintermäntel aufgehängt hatte und sofort wieder entspannt mit den Getränken zurückgekehrt war. Es waren gefühlt keine fünf Sekunden vergangen. Sicher war es länger, aber ich befand mich seit Betreten des Flughafens im Urlaubsmodus und schob es deshalb auf mein leicht verschobenes Zeitgefühl.

„Gerne, für mich bitte einen Sekt“, antwortete ich und meine Schwester entschied sich für dasselbe.

Wir verstauten unser Handgepäck in den Fächern über uns und alles andere Notwendige für den langen Trip in den Taschen direkt vor uns. Danach richteten wir uns die Plätze noch entsprechend unseres gewählten Sitzkomforts ein und stießen in Ruhe mit dem Sekt an.

„Auf den nächsten spannenden Trip in ein neues Land! Zumindest für mich!“, prostete Tessa mir zu.

„Ja, und vor allem darauf, dass wir wieder gesund nach Hause kommen. Und viel Neues im Gepäck haben!“, erwiderte ich schmunzelnd und trank einen großen Schluck.

Für Tessa war es das erste Mal in Shanghai, für mich war es bereits die vierte Reise in die chinesische Großstadt. Bislang allerdings immer alleine, diesmal sollte es der erste Trip zusammen mit meiner jüngeren Schwester werden. Und Einkaufen sollte dabei für uns keine unwesentliche Rolle spielen. Wie wahrscheinlich für die meisten Frauen.

Während ich in meinem Fach noch nach dem Reiseführer suchte, füllte sich das Flugzeug immer mehr. Die meisten anderen Passagiere waren offensichtlich Geschäftsleute und überwiegend chinesische Männer. Dies war auf meinen bisherigen Reisen fast immer der Fall gewesen, und da es diesmal nicht anders war, stachen meine Schwester und ich mit den für uns typischen Reiseklamotten mehr als deutlich heraus. Trotz der gehobeneren Klasse waren wir eher leger gekleidet. In Jogginghosen und gemütlichen Oberteilen reist es sich viel entspannter, vor allem auf Langstreckenflügen.

Diese Regel galt aber offensichtlich nicht für die chinesischen Geschäftsmänner. Also ignorierte ich die meisten Blicke so gut wie möglich, die uns mehr als deutlich signalisierten, dass sich die anderen Gäste zu fragen schienen, ob wir eher durch Zufall in der Businessclass gelandet waren. Endlich war ich erfolgreich und fand den Reiseführer.

„Hast du schon mal reingeschaut und etwas gefunden, was dich interessieren könnte?“, fragte ich Tessa neugierig. Durch meine bisherigen Aufenthalte in Shanghai hatte ich schon einiges in und um die Millionenstadt herum gesehen und auch erlebt. Deshalb wollte ich mich in diesem Urlaub gerne vermehrt nach den Wünschen meiner Schwester richten.

„Nein, bislang noch nicht. Ich habe mich aber vorher im Internet schlaugemacht“, entgegnete sie. „Am meisten interessieren mich der Oriental Pearl Tower und der Fake Market am Technology Museum. Wenn es sein muss, geh ich natürlich auch mit dir ins Museum!“ Und nach einer kurzen, bedeutungsschwangeren Pause fügte meine Schwester lachend hinzu: „Aber wenn, dann wirklich nur ins Kino!“

„Vollkommen verständlich!“, stimmte ich zu. „Dad hat uns wirklich alle Museen für immer und ewig versaut!“

Unser ursprünglich aus England stammende Vater hatte während unserer Kindheit immer wieder versucht, uns zahlreiche Museen in den verschiedensten europäischen Städten schmackhaft zu machen. Jedoch ohne Erfolg. Bis er uns in Stockholm einmal ernsthaft fragte, was uns an dem letzten Museum am besten gefallen hätte. Und wir, wie aus der Pistole geschossen, gleichzeitig mit „Der Ausgang!“ geantwortet haben. Danach waren Museen für eine sehr lange Zeit kein Thema mehr. Ich muss außerdem hinzufügen, dass es in dem Shanghaier Science and Technology Museum ein Kino mit ganztägig mehreren 3- und 4-D-Kinovorstellungen gab. Die meisten Vorstellungen waren zwar eher an Kinder gerichtet, aber einige davon waren - mit Themen über die Natur oder das Weltall - auch für uns Erwachsene super interessant. Ich war bislang dreimal dort und allein zweimal wegen einer der sehenswerten Kinovorstellungen.

„Super! Den Tower machen wir dann am besten abends, wenn es dunkel wird. Und zu dem Museum gehen wir einfach an einem der anderen Tage. Den Fake Market sollten wir erst danach besuchen, denn wenn wir erst einmal voll bepackt sind, wollen wir sicher nur noch zurück ins Hotel!“ „Geht klar!“, antwortete sie und nahm den Reiseführer an sich. „Ich schau ihn mir während des Fluges an und werde die Sightseeing-Liste noch etwas erweitern! Ansonsten verlasse ich mich gerne auf deine Erfahrung.“

„Machen wir so. Der Oriental Pearl Tower wird dir gefallen!“, schmunzelte ich verschwörerisch und legte mir die Decke über die Beine.

„Warum?“, fragte Tessa neugierig.

„Lass dich überraschen …“, sagte ich und zwinkerte ihr zu. „Na gut … solange die Überraschung nichts mit allzu exotischen Speisen zu tun hat, bin ich dabei.“

„Nein, keine Sorge!“, lachte ich. Und nahm die Decke, die ich mir bereits über meine Beine gelegt hatte, schon wieder weg. „Ich geh vor dem Start besser noch mal schnell zur Toilette. Zur Sicherheit!“, sagte ich und stieg über Tessas Beine hinweg.

Ich war bereits auf dem Weg, als ich fast über einen anderen Gast stolperte, der in der Reihe vor Tessa saß. Er hatte sich, just in dem Moment, ebenfalls entschlossen, noch einmal einem Bedürfnis nachzugehen, als ich auf seiner Höhe war.

„Ooops, Entschuldigung!“, stieß ich hervor. Er sah mich etwas irritiert an. „Ach, verflixt! I‘m sorry!“, wiederholte ich meine Entschuldigung auf Englisch.

„No problem!“, erwiderte er, obwohl er bei dem Zusammenstoß fast in seinen Sitz zurückgefallen war. Ich blieb schuldbewusst stehen und wusste nicht genau, was ich noch sagen sollte, wobei ich bemerkte, dass ich sogar etwas rot wurde. „Please, go on!“, ergänzte er noch, da er offenbar bemerkt hatte, wie unschlüssig ich war.

„Okay, thank you!“, antwortete ich und ging eilig weiter. Im Augenwinkel sah ich gerade noch, wie er sich zu meiner Schwester umdrehte. Da ich mich aber beeilen wollte, lief ich etwas schneller weiter in Richtung Vorhang und zog ihn beiseite. Beide Bordtoiletten waren frei und die Stewardessen damit beschäftigt, die Menükarten für die Passagiere vorzubereiten. Also entschied ich mich schnell für die rechte Kabine, um hier nicht auch noch jemandem im Weg zu stehen.

Nachdem ich fertig war, fragte ich eine Stewardess nach zwei Speisekarten für uns, nahm sie entgegen und ging zurück zu meinem Platz. Auf dem Rückweg sah ich gerade noch, wie sich der Mann in der Reihe vor uns wieder umdrehte und mich beim Vorbeigehen interessiert musterte.

‚Ja, ich weiß, ich sehe aus, als würde ich vom Sport kommen‘, dachte ich etwas verärgert. ‚Aber ich habe meinen Platz hier genauso bezahlt wie du.‘ Und je länger ich ihn fixierte, desto mehr wurde mir klar, wie gut dieser Mann aussah. Dunkelhaarig, etwas älter als ich, und mit Bart. Eigentlich genau mein Typ. Eigentlich. Aber besser nicht heute.

Ich stieg über Tessa hinweg und drehte mich zu ihr. Leise flüsterte ich: „Hat er was von dir gewollt?“ Auch wenn ich aufgrund der vorherigen Situation davon ausging, dass er kein Deutsch sprach, redete ich trotzdem so unauffällig wie möglich.

„Nein, nicht direkt. Er hat mich nur gefragt, ob wir das erste Mal nach China fliegen und was wir geplant haben und so. Small Talk eben. Ich denke, er wollte nach deinem Anschlag nur etwas freundlich sein.“ Tessa blinzelte mir bei dem Wort Anschlag zu.

„Ah, okay. Na dann. Ich kann ihm ja nachher zur Entschuldigung noch einen Sekt auf Kosten der Fluglinie ausgeben!“, antwortete ich lachend.

„In welchem Hotel sind wir eigentlich?“, fragte sie, als ich ihr die Menükarte reichte.

„Im Crowne Region natürlich, allein schon wegen des Namens! Warum fragst du? Du weißt doch eh nicht, wo und was für ein Hotel das ist …“

„Na, weil er das auch gefragt hat, und ich es nicht wusste.“ ‚Mmmh, ganz schön neugierig für einen reinen Small Talk‘, dachte ich und wollte eigentlich noch weiter über diese doch recht direkte Frage grübeln, als die Stewardess schon zu uns kam.

„Wir starten gleich, bitte bringen Sie Ihre Sitze zum Start in eine aufrechte Position.“ Wir kamen der Aufforderung schnell nach und klappten zusätzlich auch unsere Tische hoch.

Während des Startvorgangs schmökerten wir in den Menüs und als wir die Zielflughöhe erreicht hatten, nahmen die Flugbegleiterinnen die Bestellungen der Passagiere auf. Tessa entschied sich für das Steak, ich bestellte die Nudeln mit Gemüse. Als Vorspeise wählten wir beide das Lachstatar. Und den Nachtisch ließen wir zunächst, zugunsten eines eventuell weiteren Glases Rotwein, ausfallen. Natürlich entgegen jeder Gesundheitsempfehlung für Langstreckenflüge: Trank ich mehr Alkohol, schlief ich einfach besser.

Die einzelnen Gänge wurden sehr zeitnah serviert, so hatten sowohl die Gäste als auch das Flugpersonal die Möglichkeit, die Nacht ohne vermehrte Unterbrechungen und je nach Bedarf zu nutzen. Kurz nach dem Essen wurde das Licht in der Kabine gedimmt und jeder Passagier bereitete sich individuell auf die nächsten Stunden vor. Einige der Geschäftsreisenden schalteten ihren Laptop ein, andere wiederum starteten einen der zahlreichen Filme, die das Bordkino in jedem der im Vordersitz integrierten Fernseher zur Verfügung stellte. Tessa und ich versuchten gleich, etwas Schlaf zu finden. Als ich probierte, die von der Fluglinie bereitgestellten Ohrstöpsel optimal in meine Ohren zu bugsieren, hörte ich gerade noch, wie eine Stewardess den Mann vor Tessa ansprach.

„Herr Schneider, Sie fragten eine Kollegin nach einem Wagen, der nach der Ankunft auf Sie warten soll. Können wir dies für Sie organisieren? Und falls ja, wohin möchten Sie gebracht werden?“ Der Mann antwortete mit etwas Verzögerung, jedoch so leise, dass ich es kaum hörte. Er schien aus Rücksicht auf die anderen Passagiere seine Stimme so weit wie möglich zu senken. Ich glaubte, das Wort Crowne verstehen zu können. Ich war irritiert. Nicht unbedingt wegen derselben Vorsilbe unseres bereits gebuchten Hotels, denn in China gab es sicher sehr viele verschiedene Hotelketten mit diesem Zusatz. Sondern, weil er seinem Namen nach ganz offensichtlich deutscher Staatsbürger war. Und ich mir vorher aufgrund seines Verhaltens und seiner Reaktion eigentlich ziemlich sicher gewesen war, dass er mich zunächst nicht verstanden hatte.

Die Stewardess war mit seiner Antwort zufrieden, eilte gleich darauf wieder zurück in Richtung Bordküche und schloss den Vorhang hinter sich. Ich wollte meine Ohrstöpsel nicht wieder herausholen und meine Schwester stören, also beließ ich meine Frage bei mir und drehte mich in Richtung Fenster. Es dauerte nicht lange, und ich war eingeschlafen.

Kapitel 2-Der Flug

Zuerst war da ein kaum hörbares Klacken. Dann kam ein Rascheln. Ich öffnete müde meine Augen und sah zunächst: nichts. Als mir klar wurde, dass ich immer noch in Richtung des geschlossenen Fensters lag, drehte ich mich träge um. Obwohl das Licht nach wie vor gedimmt war, sah ich deutlich Umrisse, die sich langsam bewegten. Meine Schwester lag weiterhin ruhig neben mir und machte keinen Mucks. Ich blinzelte verschlafen, und die Bilder vor mir wurden langsam etwas genauer. Direkt vor Tessa stand ein Mann und hantierte in den Ablagen über uns. Er bewegte sich sehr zögerlich und versuchte dabei, so behutsam wie möglich zu sein. Dennoch hörte ich ihn durch meine Ohrstöpsel hindurch. Das Klacken kam in unregelmäßigen Abständen wieder.

Ich richtete mich etwas auf. Der Mann versteinerte in seinen Bewegungen und sah mich direkt an. Aber kramte gleich wieder weiter. Ich versuchte meine Ohrstöpsel so elegant wie möglich aus meinem Ohr zu pulen, was mir nicht sofort gelang. Als ich endlich wieder normal hören konnte, wurde mir erst bewusst, wie leise sich der Mann bei seinen Bemühungen tatsächlich verhielt. Ich wusste erst nicht genau, was ich sagen wollte oder sollte, weil ich mir unschlüssig war, ob sich in den Ablagefächern über uns nur unser Handgepäck befand oder auch sein eigenes. Denn es war der Mann aus der direkten Reihe vor uns. Der Mann, den ich kurz vor dem Start fast umgerannt hatte und der im schummrigen Licht noch viel besser aussah. Und als ich mich schon dazu durchgerungen hatte, zumindest irgendetwas zu sagen, kam eine Stewardess durch den Gang schnell auf ihn zu.

„Kann ich Ihnen helfen, Herr Schneider?“, flüsterte sie. Er stoppte seine Aktivitäten, schaute etwas böse in ihre Richtung und schüttelte kurz den Kopf. Er drehte sich wieder in meine Richtung, nahm seine Hände aus der Ablage und schloss das Fach wieder. „Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen? Vielleicht ein Wasser?“ Er nickte, schob sich leicht an ihr vorbei und setzte sich langsam auf seinen Platz. Die Stewardess wirkte etwas irritiert, genau wie ich. Sie fragte ebenfalls nach meinen Getränkewünschen. Ich lehnte dankend ab und suchte in dem Sitz vor mir nach meinem Handy. Es befand sich zwar nur im Flugmodus, aber ich wollte die Uhrzeit überprüfen. Erst ungefähr drei Stunden waren seit dem Start vergangen. Ich war genervt, denn ohne die Aktivitäten unseres Sitznachbarn hätte ich sicher noch einige Zeit weiterschlafen können.

Ich richtete mich auf und brachte meinen Sitz in eine aufrechte Position. Herr Schneider bekam gerade sein Wasser gebracht und setzte sich währenddessen seine Kopfhörer auf.

‚Ja, versuch du nur zu entspannen … Ich bin ja jetzt wach‘, dachte ich mürrisch. Ich tat es ihm aber gleich und wollte versuchen, mich mit einem Film wieder etwas zur Ruhe zu bringen. Schlussendlich entschied ich mich aber doch für einen aktuellen Actionfilm und startete ihn kurz darauf. Der Film an sich war ganz gut, brachte aber als dritte Fortsetzung der Actionreihe leider keine neuen Überraschungen. Ich wurde zum Ende hin wieder etwas müder und versuchte ein weiteres Mal mein Glück. Kurze Zeit später war ich bereits eingeschlafen. Und diesmal klappte es, ganz ohne erneute Störungen, glücklicherweise etwas länger.

So richtig wach wurde ich tatsächlich erst, als das Licht an Bord etwas heller gestellt wurde. Meist passiert dies bei einem Nachtflug zum Ende des Fluges, damit die Passagiere passend zum Frühstück wieder langsam wach werden und sich der Biorhythmus etwas an die - nicht unwesentliche - Zeitverschiebung gewöhnen kann. Ich linste mit einem Auge auf mein Handy, es war bereits 5:07 Uhr deutsche Zeit. Dies wiederum bedeutete 12:07 Uhr chinesische Zeit. Ich gähnte herzhaft und schaute neugierig zu meiner Schwester hinüber. Diese saß, bereits fit wie ein Turnschuh, in ihrem Sitz und schaute sich denselben Actionfilm an, zu dem ich letzte Nacht versucht hatte, wieder Ruhe zu finden.

Nachdem ich meine Ohrstöpsel wieder entfernt hatte, setzte ich mich aufrecht hin und versuchte, meine Haare in den Griff zu bekommen. Leider habe ich seit jeher eine etwas störrische Naturwelle, die vor allem in den blödesten Situationen ein Eigenleben entwickelt. Ein Haargummi brachte mir auch diesmal kurzfristige Erleichterung.

„Na, gut geschlafen?“, fragte ich Tessa, immer noch etwas müde. Sie hatte mittlerweile ihre Kopfhörer abgenommen. „Ja, ich habe geschlafen wie ein Stein“, entgegnete sie mir frisch. „Ich hab uns beiden das europäische Frühstück bestellt, ich war so frei. Ich war mir sicher, Nudelsuppe ist selbst dir zum Frühstück zu krass. Oder?!“

„Perfekt!“, sagte ich erleichtert. „Ich brauche außerdem auf jeden Fall eine Menge Kaffee!“, fügte ich noch schnell hinzu und grinste.

Unser Frühstück wurde kurz darauf serviert. Ich war wirklich sehr hungrig und ließ absolut keinen Krümel übrig. „Isst du das noch auf?“, fragte ich Tessa mit vollem Mund.

„Nein, kannst dich gern bedienen!“ Noch während sie das sagte, mopste ich mir das zweite Brötchen von ihrem Teller. Sie schien meine Vorwarnung im Vorfeld nicht allzu ernst genommen zu haben, und zwar, dass die chinesischen Backwaren den europäischen eher unähnlich waren. Aber gut für mich. Leider war ich - trotz des einsetzenden Sättigungsgefühls - immer noch etwas unruhig. Da fiel mir das Ereignis der letzten Nacht wieder ein.

Ich schielte zu dem Nachbarn in der Reihe vor uns. Er hatte immer noch seine Kopfhörer auf und seine Augen waren geschlossen. Anscheinend hatte er auf sein Frühstück verzichtet.

‚Typisch, der achtet sicher auch noch super genau auf seine Figur‘, dachte ich und war gleich wieder genervt.

„Hast du das heute Nacht mitbekommen?“, fragte ich Tessa leise.

„Nein, was denn?“ Ich deutete auf den Mann vor ihr.

„Er hat in den Fächern über uns gewühlt, davon bin ich sogar wach geworden.“ Dabei verdrehte ich meine Augen.

„Warum das denn? Da sind doch nur unsere Taschen drin. Glaube ich zumindest …“, sagte sie. Und war offensichtlich auch etwas unschlüssig. „Soll ich mal nachsehen?“, fragte Tessa und war im selben Moment auch schon aufgesprungen. Sie öffnete das Fach für das Handgepäck und griff hinein und schob und zog etwas hin und her.

„Hier sind nur unsere Taschen, kein anderes Gepäck“, stellte sie fest. „Aber alles ist noch verschlossen.“ Sie gab mir meine Handtasche. „Schau lieber mal nach, ob noch alles drin ist“, sagte sie und nahm auch ihre Tasche heraus. Nach einer kurzen Kontrolle befanden wir beide, dass noch alles an seinem Platz und vollständig war. Aber ich ließ nicht locker.

„Komisch, aber was wollte er denn dann an unserem Fach?“

„Es muss nicht immer alles gleich einen mysteriösen Hintergrund haben“, antwortete Tessa leicht gereizt. „Vielleicht hat er sich nur geirrt und sein Gepäck im falschen Fach gesucht?“

„Ja … vielleicht. Es war ja auch echt dunkel an Bord“, bestätigte ich ihre Theorie. Möglich war es ja, und nur, weil ich gerne Detektivgeschichten las und in einem anderen Leben definitiv FBI-Agentin geworden wäre, konnte es wirklich nur ein blöder Zufall gewesen sein. Oder ein einfacher Irrtum. Ich gab ihr Recht und sie verstaute unsere Handtaschen wieder in dem Fach über uns. Kurz nachdem sie sich wieder gesetzt hatte, wurde das Frühstück abgeräumt und wir füllten die üblichen Formulare für die Einreise in Shanghai aus. Dadurch, dass ich diese schon öfter ausgefüllt hatte, ging es bei mir wesentlich schneller.

„Lässt du mich noch mal kurz raus? Ich möchte mir vor der Ankunft noch gerne die Zähne putzen“, sagte ich, und war bereits aufgestanden.

„Logisch, besser ist das!“, feixte sie, legte die Unterlagen beiseite und klappte ihren Tisch hoch. Ich stieg über ihre Beine hinweg und war bereits auf der Hälfte des Weges zu den Toiletten, als sie mir hinterherrief: „Eli, wie hieß unser Hotel noch mal schnell?“

„Crowne Region!“, rief ich zurück und ging weiter.

Nachdem ich eine kurze Morgenwäsche hinter mich gebracht hatte, fragte ich bei der netten Stewardess nach einem weiteren Kaffee für mich und ging zurück zu meinem Platz. Sie brachte mir zügig meinen Kaffee und bat mich, diesen auch so schnell wie möglich zu trinken. Die Landung stehe kurz bevor. Meine Schwester hatte mittlerweile ihr Einreiseformular ausgefüllt und räumte ihren Platz auf. Ich tat es ihr gleich und gab auch ordnungsgemäß die leere Kaffeetasse einer anderen vorbeilaufenden Stewardess mit. Ich schaute mich im Abteil um. Fast alle Passagiere waren bereits auf die Landung vorbereitet und in klarer Aufbruchstimmung. Ich ging meine Sachen vorsichtshalber noch einmal durch und überprüfte den richtigen Sitz meines Passes und der anderen Wertgegenstände. Da alles am Platz und schnell griffbereit war, wurde ich etwas ruhiger und schloss meine Tasche.

Die Landung verlief schnell und unkompliziert. Nachdem wir an der Landeposition angedockt hatten, sprangen alle Passagiere fast zeitgleich auf, und es schien so, als würden alle Handys gleichzeitig Netz-Empfang bekommen. Es piepste und vibrierte ohne Ende. Tessa und ich ließen uns noch etwas Zeit und gaben den Geschäftsreisenden beim Ausstieg den Vorrang. Wir hatten schließlich Urlaub und mussten keinen Anschlussflug erreichen. Auch der Mann vor uns schien, wie wir, alle Zeit der Welt zu haben, und deshalb erreichten wir fast zeitgleich den Shuttlebus, der vor dem Flugzeug auf die restlichen Passagiere wartete. Wir stiegen ein, und endlich ging es los mit unserem Chinaurlaub.

Kapitel 3-Die Ankunft

Nach gefühlten fünf Stunden in der Warteschlange vor dem Einreise- und VISA-Terminal kamen wir endlich mit unseren Koffern in der Ausgangshalle des Shanghai Pudong International Airports an.

Ich steuerte zielsicher den am äußersten Ende gelegenen Ausgang an. Vor diesem warteten die zahlreichen, ortsüblichen und vor allem sehr preiswerten Taxis, und wir stellten uns wie die anderen Passagiere brav in der Schlange an. Ich kramte unruhig in meiner Handtasche.

„Wonach suchst du?“, fragte mich meine Schwester. „Hat uns der böse, gut aussehende Mann am Ende doch noch etwas aus den Taschen geklaut?“, fügte sie schmunzelnd hinzu. Die Worte gut aussehend betonte sie dabei besonders lange und deutlich.

„Nein, ich suche nur nach der chinesischen Beschreibung für den Weg zum Hotel. Und …“

„Und was?“, fragte sie weiter.

„Na ja, du kennst mich ja“, meinte ich etwas verlegen. „Ich habe uns zur Sicherheit einige Fragen von einem Freund ins Chinesische übersetzen lassen. Was die Sicherheit im Straßenverkehr betrifft. Nur zur Sicherheit.“

„Okay, das Wort Sicherheit hast du jetzt ganze drei Mal gesagt. Was für Fragen sind das denn …?“, wollte Tessa neugierig wissen. Genau in dem Moment, als ich zur Antwort ansetzte, waren wir auch schon an der Reihe, und ein chinesischer Taxifahrer kam uns entgegen, um uns eilig die Koffer abzunehmen.

„One moment, please!“, sagte ich und wühlte hektisch weiter. Endlich fand ich den gesuchten Zettel. Ich nahm ihn aus der Tasche und hielt ihn vor sein Gesicht. Er ging etwas auf Abstand, kniff die Augen zusammen und las die betreffenden Zeilen. Der Fahrer sah dabei äußerst irritiert aus, drehte sich jedoch nach einigem Zögern um und riss die hintere Tür auf. Er hantierte unter dem Hintersitz und nach einigem Hin und Her kam der erste Sicherheitsgurt zum Vorschein. Diesen zog er mit Gewalt nach vorne und grinste.

„Was soll das denn? Was steht denn bitte auf dem Zettel?“, rief meine Schwester aufgeregt und riss mir das Papier aus der Hand. „‚Haben Sie Sicherheitsgurte im Auto?‘ und ‚Fahren Sie bitte langsam!‘? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?!“ „Na ja“, setzte ich etwas verlegen an, „ich weiß doch, wie die chinesischen Taxis fahren, und ich würde sehr gerne wieder gesund nach Hause kommen. Mit dir zusammen. Und außerdem ist das ja wohl kein Weltuntergang, die Gurte sind ja auch nur etwas dreckig.“ Etwas war ein wenig untertrieben. Die Gurte sahen aus, als hätten sie in ihrem Leben noch keine Sekunde Tageslicht erblickt. Was verständlich war, denn die chinesische Mentalität ist in dieser Hinsicht anders als unsere deutsche. Sicherheitsgurte waren hier eher etwas für Anfänger und wurden in China so gut wie nie benutzt. Außer von mir natürlich, einer bayrischen Touristin.

Während ich den Zettel wieder in meiner Tasche verstaute, hatte der Taxifahrer unser Gepäck bereits im Kofferraum untergebracht und kam nach vorne zu seinem Sitz. Tessa saß bereits auf dem Rücksitz und hatte sich brav mit Gurt Nummer 2 angeschnallt. Beide warteten nur auf mich. Ich räusperte mich, stieg ein und schnallte mich ebenfalls an. ‚Ganz tief durchatmen‘, dachte ich und versuchte, alles um mich herum anzusehen, nur nicht, was für ein Muster der dreckige Gurt auf meinem hellen Pullover hinterlassen würde. Ich gab dem Fahrer die Visitenkarte unseres Hotels und er fuhr los. Etwas langsamer als sonst. Dennoch immer noch viel zu rasant für mich, aber ich fügte mich brav.

Mit dem Verkehr in China war es wie in einem Schwarm von Fischen. Entweder man schwamm mit ihnen oder gegen sie. Und kein guter chinesischer Taxifahrer schwamm dagegen. Er versuchte vielmehr, der Erste zu sein. Und der Lauteste. Denn auch die Hupe wurde aus meiner Sicht in keinem anderen Land der Erde so häufig benutzt wie in China. Nicht nur, um anzudeuten, wenn eine Situation gefährlich werden könnte, sondern auch, wenn eine Situation nervte, zu langsam oder zu schnell ging. Und bei allen anderen Gelegenheiten eigentlich auch. Daran sollte man sich in China gewöhnen. Oder Ohrstöpsel verwenden.