Die sieben Weiber des Blaubart und andere Geschichten - Ludwig Tieck - E-Book

Die sieben Weiber des Blaubart und andere Geschichten E-Book

Ludwig Tieck

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Beschreibung

Ludwig Tiecks Werk "Die sieben Weiber des Blaubart und andere Geschichten" ist eine Sammlung von Erzählungen und Novellen, die den Leser in die Welt der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts entführen. Die Geschichten zeichnen sich durch ihren märchenhaften und mystischen Stil aus und sind voller fantastischer Elemente. Tieck bedient sich kunstvoll der Sprache, um eine Atmosphäre voller Spannung und Faszination zu schaffen. Diese Sammlung reflektiert Tiecks intensive Auseinandersetzung mit Themen wie Liebe, Moral und Schuld, die in verschiedenen Geschichten auf faszinierende Weise dargestellt werden. Die Erzählungen bieten einen reichen Einblick in die literarische Welt des deutschen Romanticismus und zeigen Tiecks bemerkenswertes Erzähltalent.

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Ludwig Tieck

Die sieben Weiber des Blaubart und andere Geschichten

Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger, Die sieben Weiber des Blaubart, Leben des berühmten Kaisers Abraham Tonelli, Das jüngste Gericht
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Inhaltsverzeichnis

Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Die sieben Weiber des Blaubart
Leben des berühmten Kaisers Abraham Tonelli
Das jüngste Gericht

Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger

Inhaltsverzeichnis
Caput I
Caput II
Caput III
Caput IV
Caput V
Caput VI
Caput VII
Caput VIII
Caput IX
Caput X
Caput XI
Caput XII
Caput XIII
Caput XIV
Caput XV
Caput XVI
Caput XVII
Caput XVIII
Caput XIX
Caput XX

Caput I

Inhaltsverzeichnis

Einleitung des Verfassers. – Geographische Nachrichten. – Beschreibung der Einwohner.

Es ist sonder Zweifel für den Menschen ein sehr interessantes Studium, zu sehn und zu erfahren, was sich vor seiner Zeit in der Welt zugetragen hat, um nach den verschiedenen Vorfällen in der alten Welt die Begebenheiten seines Zeitalters beurtheilen zu lernen. Die Wissenschaft der Geschichte ist eben darum von je sehr hochgeachtet worden, so daß man von ihr sogar behauptet hat, sie könne den Staatsmann, so wie den Kriegshelden erziehn; aber auch für den, der in keiner von diesen Laufbahnen groß zu werden denkt, sondern nur zum Nutzen seines Geistes die Begebenheiten aus einer ruhigen und sichern Ferne beschauen will, ist es angenehm, in denen Sachen, die in der Welt vorgefallen sind, nicht unwissend zu bleiben.

Darum sind von je an billig die Männer geachtet worden, die ihre Zeit und Arbeit darauf verwandten, Begebenheiten zu sammeln, um sie dem Verstande des Lesers in einer zierlichen und klugen Ordnung vorzuführen. Auch können wir in unserm Zeitalter nicht klagen, daß es uns ganz und gar an Geschichtsbüchern mangle, wenn der Mensch deren gleich nie genug erhalten kann, und noch manche Lücken auszufüllen wären. Dem Leser ist es vergönnt, alle Nationen genau kennen zu lernen, um von allen Ländern und Städten die Beschreibungen in den Händen zu haben; daneben gebricht es ihm auch nicht an dem nöthigen Räsonnement, sondern wir haben unzählige weitläufige Werke, in denen fast nur geurtheilt wird, und wo die Geschichte selbst nur dem Scharfsinne des Scribenten dient. Es darf sich überdies der Leser nicht über Einseitigkeit der Anschauungen beklagen, denn er kann es häufig inne werden, wie man ohne sonderliche Verdrehung die größten Menschen zu kleinen, so wie die kleinsten zu den größten macht; ein Handgriff, der jetzt in der Geschichte fast nothwendig geworden ist, um den alten, längst bekannten Thaten und Männern wieder den Reiz der Neuheit zu geben, damit wir uns zugleich ergötzen können, indem wir uns um dergleichen alte Historien bekümmern.

Die Vergangenheit ist mit Recht ein Spiegel der Zukunft zu nennen, und deswegen ist schon zum bessern Verständniß der Zeitgeschichte die Kenntniß der alten Welt nützlich. Ich darf mir daher vielleicht einigen Dank von einem großgünstigen Leser versprechen, wenn ich ihm nachfolgende alte, längstvergangene Vorfälle erzähle, indem er dadurch vor der Einseitigkeit bewahrt wird, mit der er sonst gar zu leicht die moderne Weltgeschichte lesen könnte, die in Hamburg, Berlin, Leipzig, Erlangen, Bayreuth u. s. w. wöchentlich in zweien oder dreien kleinen Heften erscheint; ich habe darum auch keine Mühe bei'm Sammeln dieser Nachrichten gescheut.

Ich darf überhaupt in dieser Chronikgeschichte wohl am meisten auf den Beifall des Lesers rechnen, weil es doch viel ehrwürdiger ist, ein Historiograph, als ein Mährchenerzähler zu seyn; ich hoffe daher hier auch diejenigen mit mir zu versöhnen, die wegen der andern Erfindungen vielleicht übel mit mir zufrieden sind. Der Leser hat es auch nur dem Zufall zu danken, daß diese Geschichtsdarstellung in diese Mährchen geräth, für die ich sie anfänglich gar nicht bestimmt hatte, und man erlaube mir, hierüber nur noch ein paar Worte zu sagen.

Wenn man sich einem Beschützer und Gönner empfehlen will, indem man wünscht, bürgerliche Pflichten zu erfüllen, oder ein gutes Auskommen zu erhalten, und man bei einer solchen feierlichen Gelegenheit seinen Verstand zu zeigen wünscht, so wäre es höchst lächerlich, irgend etwas Poetisches hervor zu bringen und es als ein Beglaubigungsschreiben einzureichen. Darum wird auch kein vernünftiger, im kultivirten Staate erzogener Mensch darauf verfallen, den Aufschneider umzuarbeiten, oder den Finkenritter zu elaboriren, wenn er sich zu einer geistlichen oder Civilstelle melden will, denn es sind Mährchen und Possen, und kein Gönner glaubt an den Eulenspiegel und Aufschneider, selbst dann nicht, wenn er sogar einer von beiden in eigener Person seyn sollte. Die Dankbarkeit des Staats, die Liebe unsrer Mitbürger, das Eingreifen und Mitwirken, das Helfen bei'm Fortschieben des Jahrhunderts, die zunehmende Aufklärung und Humanität, alle diese Sachen, die doch gewiß keine Mährchen sind (weil sonst ja der dankbare Staat keine Gehalte dafür bezahlen würde), wird man nie durch Mährchen erlangen; sondern eben deswegen hat es ja Griechen und Römer gegeben, und deswegen haben so manche Männer unter ihnen etwas gethan und gelitten, daß man in unsern Zeiten Programme und Disputationen darüber schreiben kann, um Ruhm und Aemter zu erlangen. So wenig es sagen will, ein Gedicht hervorzubringen, so viel hat es zu bedeuten, wenn man eine Abhandlung über ein Gedicht zu verfertigen im Stande ist, und dazu haben wir auch die alten Classiker.

So war ich neulich des unthätigen Lebens überdrüssig geworden, und beschloß also, am Baue des Staates mit Hand anzulegen. Ich hatte einen alten Verwandten von Einfluß, der mich aber schon längst vergessen hatte; darum wollte ich ihm das Gedächtniß auffrischen und ein kleines Buch schreiben, das den Beweis enthalten sollte, wie Nero nichts weniger als ein grausamer Kaiser gewesen sey, sondern im Gegentheil ein sehr gütiger Mann, ein Charakter, der in der Ausbildung zu groß und daher für diese kleine Welt unpassend geworden; unser Zeitalter liebt solche Bücher, und ich hätte mich dadurch vielleicht sehr empfohlen. Nachher wollt' ich von des Caligula Pferde schreiben und davon Gelegenheit nehmen, unser Zeitalter und unsre Bürgermeister zu loben; aber ein guter Freund warnte mich noch zur rechten Zeit und versicherte mich, daß man keinen Spaß verstehe. Ich schwur ihm, es sey mein bittrer Ernst, aber da er am Ende Recht behielt und ich nicht gern für boshaft ausgegeben seyn wolle, so ließ ich auch diese interessante Abhandlung liegen. Doch da ich wußte, daß mein Oheim, als ein rechtschaffener Geschäftsmann, alles Unernsthafte und Poetische verachtete, so mußte ich doch an irgend etwas Gründliches die Hand legen; und so verfiel ich denn auf die Geschichte der Schildbürger, die ich nach allen meinen Kräften auszuarbeiten versucht habe. – Aber kaum war ich mit dem Werke fertig, als mein Oheim starb und ich auch nach bürgerlichen Geschäften zu streben aufhörte; damit aber meine Untersuchungen nicht ganz unnütz seyn sollten, habe ich, um der Welt zu nutzen, einen kleinen Verstoß gegen die Schicklichkeit begangen und diese wahre Geschichte in diese Erfindungen hineingetrieben.

So viel zur Einleitung!

Es fällt mir ganz unmöglich, dem wißbegierigen Leser nur einigermaßen befriedigende Nachrichten über die Geographie dieses Landes, Volksmenge, Anzahl der Feuerstellen u. s. w. zu geben, ob es gleich meine erste Pflicht wäre, denn ich habe davon gar keine Notizen, trotz aller wiederholten Nachforschungen, angetroffen. Der Leser kann sich überhaupt schwerlich vorstellen, welche Schwierigkeiten ich habe überwinden müssen, um ihm gegenwärtige Geschichtserzählung zu liefern, denn die Quellen dazu sind fast alle versiegt und vertrocknet. Ich ließ in den angesehensten Bibliotheken nachsuchen, ich gab vielen Buchhändlern Aufträge, um mir von der Messe dahin einschlagende Bücher mitzubringen, aber Alles vergebens; in den Buchläden selbst war keine Spur eines zu meinem Endzwecke brauchbaren Werkes anzutreffen. Ich ließ mich aber nicht irre machen, sondern besuchte aus reinem Enthusiasmus die Leipziger Messe in eigner Person. Einige unverständige Buchführer wollten mir Schmids Geschichte der Deutschen oder dergleichen aufheften, aber ich merkte bald, daß das nicht einmal Hülfsmittel, viel weniger gute Quellen zu nennen wären. Als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, fand ich auf der Straße endlich noch einen kleinen, unansehnlichen Buchhändler sitzen, der aber bei aller seiner wenigen Figur die seltensten Werke feil hatte, die man vergebens in den größern Handlungen suchen wird. Das Exemplar, das ich hier von der Geschichte der Schildbürger antraf, ist daher billig für ein Manuscript zu achten, und aus diesem habe ich auch in der That das Meiste geschöpft. Der kleine Kaufmann erzählte mir unter Thränen, wie sehr er sich wundere, daß ich dergleichen Bücher kaufte, da ich doch wahrscheinlich zu den aufgeklärten Männern gehörte, die jetzt dergleichen Bücher so sehr verachteten und ihnen einen so schlimmen Einfluß auf die Sitten des gemeinen Mannes zuschrieben, daß er bisweilen wohl gar auf den Gedanken gekommen sey, sich für ein verderbliches Mitglied des Staats zu halten. Man suche ja zum Besten der Aufklärung und der Menschheit den Till Eulenspiegel, die Heymonskinder, den gehörnten Siegfried und dergleichen Bücher durch andere neuere, ungemein abgeschmackte, zu verdrängen; es stehe, fuhr er fort, zu befürchten, daß man ihn nächstens als einen Sittenverderber über die Grenze bringen würde, so wie er prophezeite, daß man diese Volksgeschichten mit der Zeit den Bauern so gut mit Gewalt wegnehmen würde, wie das Schießgewehr.

Ich wußte auch um diese Projekte, und hatte schon oft gelesen, wie jeder unbeholfene Schriftsteller in neugedruckten Büchern jene altgedruckten verachtet hatte, ich suchte daher den Mann, mit dem ich ein inniges Mitleiden hatte, einigermaßen zu trösten. Ich sagte ihm, nach meiner Ueberzeugung, daß er doch nur glauben solle, es sey der pure Neid, der die neuen Schriftsteller dahin bringe, daß sie diese guten alten Deutschen zu verdrängen trachteten, denn sie fühlten, daß jene besser geschrieben hätten, als sie im Stande wären; daß überhaupt diese Vorschläge, dem Volke bessere Lesebücher unterzuschieben, eben ein Projekt seyen, recht im Sinne der Schildbürger gedacht; daß die Menschen das Volk am liebsten erziehn möchten, die das Volk nicht kennen und selbst der Erziehung bedürfen, so wie diejenigen gern Lesebücher für alle Stände anfertigen, die für keinen Stand lesbar schreiben. Er sollte, fuhr ich immer fort, der Noth- und Hülfsbücher, der Boten aus Thüringen und dergleichen Bücher wegen nur unbesorgt seyn, eben so wegen der neuen moralischen Volkserzählungen, die so unbeschreiblich albern sind, weil sich die Verfasser das Volk so gar dumm vorstellen und daher nicht wissen, wie sie sich genug herablassen wollen; denn in jenen alten sogenannten Scharteken stecke eine Kraft der Poesie, eine Darstellung, die im Ganzen so wahr sey, daß sie bei'm Volk, so wie bei jedem poetischen Menschen, noch lange in Ansehn bleiben würden. Seyd nur zufrieden, sagte ich weiter, denn, mein lieber Mann, wenn jene Herren aufrichtig seyn wollen, so denken sie vom Homer nicht besser, wie von den schlichten Heymonskindern; so ein Curius incomptis capillis kommt ihnen mit seiner natürlichen Natur, mit seiner Wahrheit der Gefühle viel zu unhöflich vor, sie möchten sich Alles auf Popische Weise in langweilige Stanzen auflösen und übersetzen lassen, damit sie aus diesen Büchern heraus nicht mit einer zu harten altfränkischen Stimme angeredet würden, damit man ihnen den Honig noch verzuckerte, und statt der rohen Lächerlichkeiten lieber nichtswürdige, charakterlose Albernheiten zu genießen vorsetzte. Sie möchten gar zu gern, daß der simple, treuherzige Bauersmann eben so bei langweiligen, kraftlosen Büchern gähnte, wie sie, damit sie sich an seiner Bildung erfreuen könnten. Ich weiß es auch, daß die alten guten Jägerlieder, so wie die naiven verliebten Arien und Gesänge, die oft so kindlich reden und es so ehrlich meinen, abgedankt werden sollen, und daß der Märkische Herr Schmidt und noch ein anderer großer Dichter, Lieder bei'm Melken und Waschen will singen lassen, um die Kühe und das Gesinde poetischer Weise zu ermuntern; indessen, wie gesagt, seyd unbesorgt, ich hoffe, das Bessere wird oben bleiben. – Ich ging endlich so weit, daß ich dem Manne entdeckte, wie ich die Absicht hätte, diese alten Volksbücher zum Theil umzuschreiben und sie spitzbübischer Weise sogar in die öffentlichen Lesebibliotheken zu bringen, damit selbst aufgeklärte und wahrlich nicht schlecht fühlende Demoiselles sie mit lesen und sie eine der andern empfehlen möchte, ohne zu merken, daß es so alte verlegene Waare sey. Der Mann war sehr erfreut darüber und wir schieden als gute Freunde.

Der Leser verzeihe mir diese Abschweifung; sie kann dazu dienen, ihm zum Theil deutlich zu machen, was ich von jenen Volksbüchern denke, und warum ich sie von Neuem abschreibe.

Von der Geographie des Landes also weiß ich nichts beizubringen. Einige haben die Scene nach Utopien legen wollen; indessen halte ich dies nur für einen gelehrten Kunstgriff, um sich aus der Verlegenheit zu ziehn, weil Utopien eine Gegend ist, die es verträgt, daß man ihr Alles aufbürde.

Aus dem Mangel der geographischen Nachrichten so wie der historischen Quellen, so wie aus der Geschichte der Schildbürger selbst, die fast etwas Possierliches an sich hat, haben Einige schließen wollen, daß diese Schildbürger niemalen existirt hätten, sondern nur eine Erfindung der Imagination seyen. Ich will nicht weitläuftig untersuchen, welche gefährliche Folgen dergleichen Hypothesen für die ganze Geschichte haben können und daß diese Sucht, Alles allegorisch zu erklären, am Ende nothwendig Geschichte und Poesie zerstören müsse. Ein guter Freund von mir ist dieser Erklärungsmethode gänzlich ergeben, und liest deswegen Banier's Mythologie, so wie die neueren noch tiefern Abhandlungen und etymologisch, mystisch-allegorischen Werke fleißig; dieser leugnet mir gradezu, daß die Schildbürger jemals existirt hätten. Er hat sich die Mühe gegeben, die Odyssee und Ilias prosaisch aufzulösen, um zu beweisen, daß diese beiden Gedichte nichts sind, als eine wunderliche Einkleidung von allerhand Sittensprüchen und Gemeinplätzen. Er hält daher die Mühe der Botaniker für etwas sehr Ueberflüssiges, wenn sie sich quälen, den Homerischen Lotos ausfindig zu machen, denn er findet in der Geschichte der Lotophagen und der Gefährten des Odysseus, die sich in der Lotosspeise überessen, wieder nur eine scharfsinnige Allegorie. Ulysses war nämlich mit seinen Kameraden lange nach Art der Vagabunden umhergeirrt, die keine Gelegenheit fanden, sich zu fixiren, bis sie endlich in ein Land geriethen, das ordentlich mit Collegien, Accise, Lotterie und dergleichen eingerichtet war; sie erhielten Alle Bedienungen, und schmeckten nun die Süßigkeit eines bestimmten bürgerlichen Einkommens; sie waren in die politischen verschiedenen Fächer versetzt, übten Pflichten aus und hatten überdies noch die Hoffnung, zu avanciren. Als Ulysses sie nun wieder abrufen wollte, um das unstäte Leben von vorn anzufangen, hatte, wie begreiflich, Keiner Lust, ihm zu folgen; und diese schöne Wahrheit hüllte nun Homer in das Gewand der Fabel, und erfand so ferne Lotophagen, die also nichts Anderes significiren, als einen gut eingerichteten Staat. Ich will dem Leser in der Beurtheilung dieser Erklärung nicht vorgreifen; nur werfe ich die Frage auf: Wohin führt das endlich? Wenn Jemand nach mehreren hundert Jahren unsere ordentliche deutsche Geschichte läse und ihm die religiöse und statistische Einrichtung bekannt würde, wenn er die verschiedenen Collegia und ihre Gewalt kennen lernte, unsere Methode zu arbeiten, die mannigfaltigen Spaltungen, das verschiedene wechselnde Interesse, die Wirkungen des Aberglaubens und der Aufklärung, die Akten, die Registraturen, die Controllen, die tausend und aber tausend Bogen, die Keiner liest, die Tabellen, die Steuern, die Finanzprojekte, würde er, sag' ich, nicht vielleicht in die Versuchung kommen, unser ganzes Zeitalter, und Alles in ihm, nur für eine witzige, scharfsinnige Allegorie zu erklären? So absonderlich dürfte ihm Alles dünken; so daß ich und alle meine wirkenden und gewiß nicht zu verachtenden Mitbürger nur allegorische Personen wären, das heißt, abstrakte Verstandesbegriffe. Und doch versichern wir gegenwärtig (und ich thue es hier um so lieber, damit auf keinen Fall in der Zukunft ein Irrthum entstehe), und unser ganzes Zeitalter stimmt mir darin bei, daß wir Alle wirklich existiren und also an Scharfsinn und Witz bei uns gar nicht gedacht werden darf, daß wir uns auch daran begnügen wollen, lebende Personen zu seyn und uns das gute Zutrauen verbitten, für Verstandesbegriffe zu gelten.

Ich habe dies Exempel nur darum anführen wollen, um dem geneigten Leser recht klar zu machen, wohin die verderbliche Allegoriensucht führen könne.

Es scheint mir daher auch außer allem Zweifel zu seyn, daß die Schildbürger wirklich existirt haben, und in dieser Ueberzeugung will ich nun endlich zu ihrer eigentlichen Geschichte übergehn.

Höchst wahrscheinlich war es eine Colonie vertriebener griechischer Staatsmänner und Philosophen, die sich zuerst im Lande Schilda niederließen. Es entstand in diesem Lande wenigstens nach und nach eine Generation von Menschen, die einen ganz verwundernswürdigen Verstand in sich hatten. Sie unterschieden sich durch ihre Weisheit von allen übrigen Menschen, und wußten beständig, was recht und gut sey und was man schlimm und unrecht zu nennen habe; sie waren nicht nur im theoretischen Theile der Klugheit wohl erfahren, sondern auch im praktischen, so daß Alles, was sie thaten und riethen, einen glücklichen Ausgang gewann.

Dergleichen Vortrefflichkeit konnte nicht lange verborgen bleiben, und die ganze Welt sprach bald von der großen Weisheit und dem fast übermenschlichen Verstande der Schildbürger. Einige der benachbarten Könige und Fürsten zogen die berühmtesten an ihren Hof und machten sie zu Ministern, ja, was noch mehr war, sie folgten ihrem Rathe und befanden sich wohl dabei; andere ahmten diesem Beispiele nach, und so war bald ganz Schilda von Einwohnern entblößt, die ihr eignes Land unregiert lassen mußten, um dafür alle übrigen vortrefflich zu regieren.

Es war also nun dahin gekommen, daß ein jeder Fürst einen Schildbürger als einen weisen Mann an seinem Hofe hielt, und daß der Verstand aller übrigen Länder in Mißkredit kam. Es schien, als hätte die Natur alle ihre Kräfte aufgewandt, um in dem kleinen Lande Schilda die allervortrefflichsten Rathschläger aufsprossen zu lassen, und daß es deshalb bald Mode und haut goût werden mußte, einen rathschlagenden Mann nirgends anders her zu verschreiben, so daß auch einige Fürsten, die keinen mehr überkommen konnten, sich innerlich schämten und wenigstens ein Paar Schildknaben an ihrem Hofe erziehen ließen, um mit ehestem Verstand und guten Rath als eine sichere Erndte davon zu bringen. Auch gab es hier und da Surrogate und nachgemachte Schildbürger, und der Rath war dann freilich so, daß er einer feinen verwöhnten Zunge nicht schmecken wollte.

Man darf sich übrigens über dieses anscheinende Wunderwerk nicht verwundern, denn die Natur scheint überall ihre Oekonomie so eingerichtet zu haben. An irgend einem bestimmten Orte ist jeglichesmal jede Sorte von Früchten die beste, so daß alle übrigen nur Abarten von dieser Art zu seyn scheinen. Die Krebse sind in manchen Gegenden weit vorzüglicher, als in andern. Die Römer konnten es zu des Horatii Zeiten den Fischen anschmecken, wo sie waren gefangen worden. In den neueren Zeiten hat man beobachten können, wie die Treue so in dem engen Bezirke der Schweiz zusammengedrängt gewachsen war, daß kein anderes Volk ein Talent dazu hatte, eine Leibwache der Fürsten zu formiren, bis sich in den neuesten Zeiten diese Fähigkeit der Schweizer wieder verloren zu haben scheint, so wie auch die Früchte manchmal plötzlich wieder aus der Art schlagen. So haben die Pariser Pasteten, so wie die englischen Guineen, immer alles gute Vorurtheil für sich; so wie ich auch nicht begreifen kann, warum ein Fürst seine Unterthanen nicht als Soldaten solle vermiethen oder verkaufen können, wenn er einmal eine ganz besondere Anlage in ihnen dazu verspürt. Sollen denn Talente vergehen und verwesen? Ja, so wie ich es eben nicht unbillig finde, daß der berühmte Redner Demosthenes zweien gegeneinander streitenden Partheien die Reden machte, mit denen sie sich vortrefflich bekriegten, so halte ich es für bloße Einseitigkeit, daß man nicht öfter beiden Partheien zu dem doch nothwendigen Kriege die Soldaten aus Einem Lande übermacht hatte. Der Tadel dürfte auch übel angebracht seyn, da in frühern Jahrhunderten schon die edle Unpartheilichkeit der Schweizer auch hierin mit schönem Beispiele vorangegangen ist.

Auf diese Art waren also die Schildbürger im Rathschlagen unvergleichlich; denn da sie vielen Fürsten dienten, geschah es eben so, daß einer oft Rath gegen den Rath seines Mitbürgers geben mußte, und sie sich also mannigfaltig mit dem einen Verstand bekriegten, der auf demselben Boden gewachsen war.

Caput II

Inhaltsverzeichnis

Weiberversammlung zu Schilda. – Ihr Brief.

Es war jetzt geschehen, daß alle Männer aus Schilda mehrere Jahre hintereinander waren entfernt gewesen, und ihre Frauen indessen das Regiment zu Hause hatten führen müssen. Sey es nun, daß sie dieser Einsamkeit überdrüssig geworden sind, oder daß vielleicht ein durchreisender Fremder sie auf andere Gedanken gebracht hat, oder daß es gar der Wille des Schicksals war, welches beschlossen hatte, daß die Geschichte der Schildbürger von diesem Zeitpunkte die denkwürdigsten Vorfälle enthalten sollte; genug, die Weiber kamen an einem Morgen zusammen und beschlossen nach einer langen Berathschlagung, daß ihre Männer nothwendig zurückkehren müßten, und in dieser Absicht verfaßten sie folgendes Sendschreiben:

Vielgeliebten Männer!

Es ist uns lieb gewesen, zu vernehmen, daß Ihr Euch noch wohl befindet, und wir haben lange vergebens auf Eure Zurückkunft gehofft. Ihr dürft es uns nicht übel deuten, wenn wir auf Eure übergroße Weisheit gar nicht gut zu sprechen sind, da diese eben Schuld daran ist, daß wir Euren erwünschten Umgang entbehren müssen. Ihr habt, mit Erlaubniß zu sagen, Verstand für fremde Leute, aber keinen für's Haus, Ihr versteht nur zu säen, aber nicht zu erndten, und eben deswegen wird Euer Winter sehr karg ausfallen. Da Ihr die ganze weite Welt mit gutem Rath ausfüllt, so möchten wir armen bedrängten Weiber uns auch wohl ein Stückchen ausbitten, was wir denn anfangen sollen, wenn, wie es zu vermuthen steht, Eure Abwesenheit noch länger währen sollte. Es ist sehr schmeichelhaft für uns, daß Ihr in unsere Treue ein so festes Vertrauen setzt, und doch sind wir nicht ganz außer Zweifel, ob wir Euch so unbedingt trauen dürfen, wenigstens hat es einen sehr zweideutigen Anschein, daß Ihr ganz keine Sehnsucht nach uns und nach Euren väterlichen Herden empfindet. Wollt Ihr denn bloß vielleicht dem Sprichwort zu gefallen: »Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande,« niemals wieder zurückkehren? Denkt nur daran, daß es auch heißt: der Pfennig ist da am meisten werth, wo er geschlagen ist; und daß Ihr hier in Schilda geschlagen seyd, darüber werdet Ihr doch hoffentlich keinen Zweifel haben.

Ihr seyd durch Eure verdammte Weisheit über alle Eifersucht erhaben, sonst wollten wir Euch bald durch einige guterfundene Lügen hierherbannen können; wenn Ihr aber nicht aus Mißtrauen zurückkehren wollt, so kommt wenigstens zurück, um Euch unsrer musterhaften Treue zu erfreuen; laßt die Welt einmal ohne sonderliche Weisheit ihren Gang gehn und nehmt Euch des Hauswesens wiederum an. Schlagt Ihr aber unsern guten Rath in den Wind, so haben wir auch auf diesen Fall einen Entschluß gefaßt. Wir haben uns dann nämlich nach Männern umgesehn, die uns mehr lieben, wenn sie auch größere Dummköpfe sind; wir leben dann um so glücklicher mit ihnen, und haben des Bischen Verstandes wegen nicht so viel Sorge und Kummer. Wir wünschen insgesammt, daß diese verzweifelte Gegenwehr nicht nöthig sey und daß wir uns Alle unterschreiben dürfen

Eure Weiber    N. N. n. n. etc.

Caput III

Inhaltsverzeichnis

Berathschlagungen. – Philemon trägt seine Gedanken vor, die Beifall finden.

Die Männer, als sie diesen Brief empfingen, wunderten sich anfangs, dann aber gingen sie in sich und sahen ein, daß ihre Frauen das größte Recht von der Welt hätten. Sie beschlossen also, nach ihrer Heimath zurückzukehren, und nahmen deshalb von den Fürsten und Königen Urlaub, die sie ungern entließen und nur auf das Versprechen, daß sie zurückkehren wollten, sobald man ihres Raths bedürfe.

Ein Jeder fürchtete sich vor seiner Hausfrauen, besonders vor dem ersten Empfange; aber als sie angekommen waren, vergaßen Alle über die Freude des Grolls, und man sah allenthalben Trinkgelage, man hörte Gesang und freundschaftliche Gespräche und Jedermann war zufrieden.

Als sich aber die Männer nach dem Zustande ihres Landes umsahen, fanden sie Alles in der größten Verwirrung. Das Gesinde war ungehorsam, die Aecker lagen unbebaut, die Werkzeuge waren in Stücken gegangen oder verrostet, das Vieh war abgestorben, Nesseln und Unkraut wucherten auf den Wiesen und in den Saatfeldern, die Kinder hielten sich für die Vornehmsten und sprachen in Alles mit, kurz, es läßt sich nicht beschreiben, welche Verwirrung, Verwickelung und Unordnung im ganzen Staate herrschte. Die Männer nahmen daraus so viel ab, daß ihre Gegenwart ganz unumgänglich nöthig sey; das machte ihnen schlaflose Nächte, denn sie sahen nicht ein, wie sie von den Fürsten und großen Herren abkommen wollten, die sie so lieb gewonnen hatten.

Sie hielten endlich eine allgemeine Versammlung, worin die Noth des Vaterlandes in einer recht kräftigen Rede Allen an's Herz gelegt wurde, und die der Redner endlich damit beschloß, daß man ein Mittel ersinnen müsse, irgend einen Anschlag, um von den Fürsten loszukommen, um im Stande zu seyn, die eigenen Angelegenheiten wieder einzurichten.

Die weisen Männer dachten nach, und endlich erhob sich einer, Gerard genannt, und sagte: Meine lieben Freunde und Mitbürger, es ist unsers Verstandes wegen, daß wir uns von unserm Vaterlande haben entfernen müssen, weil die Weisheit unsrer Rathschläge uns weit und breit zu bekannt gemacht hat, so ist es meine unmaßgebliche Meinung, daß wir uns nicht gleich so plötzlich von den Fürsten und Herren losmachen, denn sie möchten über uns ergrimmt werden, gegen uns ausziehen, uns gefangen nehmen und den guten Rath mit Gewalt von uns fordern, den wir ihnen im Guten versagen; denn es ist immer ein gefährliches Unternehmen, sich den Großen zu widersetzen, ihr Verlangen mag nun billig oder unbillig seyn. Deshalb schlag' ich vor, daß wir noch auf einige Zeit zu den Fürsten zurückkehren, ihnen aber so schlechte Rathschläge ertheilen, daß sie uns bald freiwillig als untauglich entlassen.

Als er ausgeredet hatte, setzte er sich wieder nieder, und Barthel, ein sehr erfahrner Mann, stand auf und antwortete: Mein lieber Schwager, Dein Rath ist aus einer sehr guten Meinung hervorgegangen, nur glaub' ich, daß wir auf diesem Wege das Ziel gänzlich verfehlen möchten. Es ist mit dem Verstande und den Zufällen in dieser Welt eine so wunderliche Einrichtung, daß beide selten zusammentreffen. Ein verständiger Rath ist meistentheils nichts weiter, als ein gutgemeinter Wunsch, der bedächtlich ausgesäet wird, und über den die Folgezeit mit ehernen Füßen hinstampft und dadurch Schuld ist, daß er gar nicht aufgehn kann. Es ist daher nicht genug, daß man säet, sondern es muß auch eine Windstille folgen. Kein naschender Vogel darf die Saamenkörner wegfressen, dann muß ein milder Regen folgen, die Nachtfröste müssen ausbleiben, und unter diesen günstigen Umständen geht die Pflanze auf und wird nachher doch noch vielleicht vom Hagelschlag, oder durch Raupen und andres Ungeziefer verdorben. Eben also ist es mit der Weisheit, die ausgesprochen auf keinen dürren Boden fallen muß, wenn sie Wurzel fassen soll; ein guter Rath muß gerade so vernünftig gebraucht werden, wie vernünftig man ihn gegeben hat, denn sonst ist er oft wie ein übel zusammengelegtes Messer, das den verwundet, der es bei sich trägt. Auch müssen sich die Zufälle so schicken, alle Kleinigkeiten, auf die man vorher gar nicht rechnen kann, daß die Umstände und die Zeit den guten Rath vertragen. Denn so wie es thöricht wäre, die Schafe in jeder Jahreszeit zu scheeren, wenn sie auch Wolle haben, eben so unbesonnen wäre es oft, den an sich guten Rath in der und jener Stunde zu befolgen, wo sich die Gegenwart, wie ein aufgebrachter Truthahn, mit allen Federn dagegen sträubt. Und habt Ihr es, meine Freunde, nicht selber aus der Erfahrung gelernt, daß guter Rath oft wie ein blinder Gärtner ist, der bei aller seiner Erfahrung die Obstbäume verdirbt und die Blumenwurzeln mit seinem Spaden zersticht? Befanden wir uns oft nicht in großer Noth, wenn wir guten Rath frisch und gesund vorangeschickt hatten, und er unterwegs krank ward und, von den Umständen aufgehalten, liegen bleiben mußte? Nun wurde nachgeräthelt und abgenommen und hinzugethan, verschoben und versetzt, gelenkt und gerenkt, daß wir manchmal unsere ersten eigenen Gedanken nicht wieder kannten. Statt daß oft der Unbesonnene einen Rath vom Bogen schießt, ohne hinzusehn, und doch das Weiße der Scheibe trifft. Hieraus, meine lieben Mitbürger, wollte ich nur die Anwendung auf uns machen, daß uns schlecht geholfen wäre, wenn wir uns damit abgäben, thörichten Rath zu ertheilen; denn wider alles Verhoffen könnte so in dieser thörichten und ungereimten Welt gerade der beste Rath entstehn und wir würden noch mehr hochgeschätzt und gesucht, und es gelänge uns denn das, was tausend andern Narren gelingt, die auf ihre Einfalt sich durch die Welt betteln, und eben dadurch reicher werden, als die verständigen Leute, die ihnen Almosen geben.

Diese Meinung des alten Barthel schien den Schildbürgern noch mehr Weisheit zu enthalten; sie fielen ihm daher Alle bei und sahen sich dann einander an, da sie noch keine Arznei für ihre Krankheit gefunden hatten. Endlich erhob sich Philemon, den man fast für den hellsten Kopf erklärte, und redete. Er war noch jung, aber seine Gebehrden und sein Anstand, so wie seine deutliche, zierliche Aussprache, brachten ihm selbst bei den Aeltesten Ehrfurcht zuwege. Sein einziger Fehler als Redner war, daß er sich etwas zu lange vorher räusperte, den Kragen zurechtschob u. s. w., so daß er darin gleichsam den Fechtern nachahmte, die sich vorher mit Oel salben und alle Gelenke geschmeidig zu machen trachten. Er redete folgendermaßen:

Verehrungswürdige Freunde und Mitbürger!

Ich ersuche Euch demüthig, mir geduldig zuzuhören und Euch durch meine Vorschläge nicht erbittern zu lassen, wenn sie sich Eures Beifalls nicht erfreuen dürfen.

Es scheint eine eben so alte als ausgemachte Wahrheit zu seyn, daß man viel leichter Andern als sich selber rathen könne. Dies beweiset diese ansehnliche Versammlung, die aus den erfahrensten Männern besteht, und die, um die Minerva und ihr ganzes Gefolge zu beschämen, ihrer eigenen Angelegenheiten wegen immer noch in Verlegenheit ist. Würden es jene Fürsten und Könige glauben können, wenn sie es hörten oder läsen, die lehrbegierig zu Euren Füßen saßen und Eure weisen Reden mit Aufmerksamkeit und tiefer Demuth auffingen? Ist denn der Verstand so kurzarmig, daß er sich selber nicht helfen kann, wenn es die Noth gebietet? Wir haben ein Handwerk daraus gemacht, Andre aus dem Wasser zu ziehn, ohne das Naßwerden zu scheuen, und jetzt wäre fast nöthig, daß wir nach jenen Thoren um Hülfe riefen, da es scheint, als wenn wir die edle Kunst des Schwimmens verlernt hätten.

Man dürfte sogar darauf kommen, an unserer bisherigen Weisheit zu zweifeln, da wir unsern Staat haben verfallen lassen, um andern aufzuhelfen; denn so wenig das ein gutes Auge zu nennen ist, das nur das Nahe bemerkt und das Fernliegende nicht zu sehn im Stande ist, eben so wenig ist das ein gutes Gesicht, das nur das Fernliegende unterscheidet und dem das Nächste gleichsam zu nahe steht, so daß es deswegen darüber hinwegsehn muß. Ich wage es, zu behaupten, daß wir uns beinahe in diesem letztern Falle befunden haben. Wir sind Köche gewesen, die nur für Andre kochen und selbst mit dem Abhube vorlieb nehmen; da wir Tag und Nacht uns mit der Weisheit abgearbeitet haben, ist sie uns gleichsam zu unserm Gebrauch etwas zu Geringes geworden.

Gar vortrefflich hat der verständige Barthel in schönen Figuren deutlich gemacht, wie selten sich die Weisheit eigentlich mit den Begebenheiten dieser Welt vereinigen lasse, denn es ist fast immer, als wenn die schlanke Grazie mit einem unbeholfenen Bauerntölpel spatzieren gehn wolle; sie werden sich nicht mit einander vertragen. Eben darum ist es auch ein undankbares Geschäft, die Umstände mit der Weisheit auszugleichen und dann wieder den Verstand durch die Umstände zu verkümmern, so daß Beide nur so eben wie Mann und Frau mit einander leben können; und eben deswegen habt Ihr, verehrungswürdige Väter, nicht so ganz Unrecht gehabt, wenn Ihr am Ende eine heimliche Verachtung gegen die Wissenschaft der Erfahrung und gegen die Klugheit bekamt, so daß Ihr auch lieber in Euren eignen Häusern die Unwissenheit aufwachsen ließet, um nicht in den Ruhestunden auch das lästige Gewerbe fortzusetzen. – Bemerkt, wie fein ich nun den vorigen Tadel zum Lobe herumgedreht habe und wo ich alsbald hinaus will.

Es giebt nämlich gewiß noch einen höhern Verstand, als mit dem wir uns bisher in unserm undankbaren Leben beschäftigt haben; einen Verstand, der zarter und feiner ist, so daß man ihn vielleicht den wohlgerathenen, ausgebildeten jungen Sohn jener altfränkischen, bäurischen Erfahrungsweisheit nennen könnte. Ehe die Flöte erfunden war, war der Dudelsack das lieblichste Instrument, und als man noch keinen Kaffee kannte, war Warmbier ein vornehmes Frühstück. Daß aber alle menschliche Kenntniß wachsen und sich verfeinern müsse, werdet Ihr nicht im Stande seyn zu läugnen, denn es hieße nichts anders, als behaupten, man habe nun die Gestalt der Weisheit von oben bis unten genau gesehn, man sey bis an den kleinen Zehen gekommen und fühle nun ganz deutlich, daß hier die Schuhe anfingen. Das riesengroße Bild der Göttin steht aber mit dem Haupte über die Wolken hinaus, und mit den kolossalen Füßen ist sie tief in die Erde gegründet, so daß vielleicht noch viele Jahrhunderte vergehn, ehe das Menschengeschlecht ihre Form ganz kennen lernt. Es wäre aber ein unedler Vorsatz, wenn wir in der Kniekehle wollten stehn bleiben, in die wir uns jetzt eingegraben haben; wir sind bloß so weise geworden, indem wir immer nach größerer Weisheit strebten. So wie wir uns also für vollendet halten, und das Trachten nach dem Höherklimmen aufhört, so schüttelt uns die Göttin wie Staub von sich, und wir fliegen dann weit in's Feld der Unwissenheit hinein und liegen im Sande der Thorheit und werden von den Dornen der Dummheit gestochen und gänzlich zerrieben.

Es giebt aber keinen bessern Ständer, keine bessere Grundlage, um das Gebäude des Verstandes aufzuführen, als wenn man stets vor Augen hat, was man eigentlich will. Wenn wir unsern Willen in einer ungewissen Ferne wandeln sehn und nicht darauf wetten mögen, ob er Vogel oder viergefüßt sey, dann ist unser Können nur ein tauber Handlanger, der sich aus den Befehlen des Baumeisters nicht zu vernehmen weiß. Und dies, meine Freunde, war in dem Auslande unser Fall. Wir mußten immer auf's Gerathewohl auf die Jagd gehn, da das Terrain zu groß war, um es genau kennen zu lernen; und so mußten wir freilich oft vorlieb nehmen, einen kleinen Hasen zu erschnappen, wenn wir uns auf einen ansehnlichen Hirsch Rechnung gemacht hatten. In solcher beschränkten Lage muß man sich genau an die Erfahrung halten, und an jene blöde Weisheit, die nicht wagt, weil statt eines großen Gewinnstes auch ein großer Verlust fallen könnte, und die den Zufall immer für verständiger als den Verstand halten muß, weil er sich durchaus nicht vom Verstande berechnen läßt. In solchen Umständen ist es gut, den Pferden des Scharfsinns die Augen von der Seite zuzubinden, damit sie immer nur gerade aussehn und das Lenken vertragen. Diesen Zustand, den wir nur verlassen haben, möcht' ich, wenn mir diese kühne Metapher erlaubt ist, den Milchbart unserer Weisheit nennen, den wir dem Auslande, als gleichsam einem Apollo, geopfert haben, um dem männlichen, kräftigern Nachschusse Platz zu machen. Denn hier sind wir nun in unserm kleinen beschränkten Vaterlande, wo es uns vergönnt ist, genau zu wissen, was wir wollen, wo wir Alles also auch um so dreister angreifen dürfen. Hier können wir Alles mit einem Blicke umschaun und unsre bisherigen Erfahrungen als Vordersätze zu weit scharfsinnigern Folgerungen benutzen; hier können wir die fliegende Spekulation mit kriechender praktischer Vernunft vermählen, und so in unserm Eigenthum eine Weisheit treiben, die Alles weit übertrifft, was die Sterblichen bisher auch nur geahndet haben.

Um diesen Vorsatz auszuführen, ist es aber nöthig, daß wir unser Vaterland nicht wieder verlassen, und ich komme also nun zum eigentlichen Zweck meiner Rede.

Der verständige Barthel hat Recht, wenn er Gerards gut gemeinten Vorschlag verwirft; ein besserer muß also dessen Stelle ersetzen. Hier ist er:

Um recht sicher zu seyn, müssen wir keinen der gewöhnlichen Wege gehn, weil man sonst unsre wahre Absicht gar zu leicht entdecken könnte. Wir müssen einen kühnern Plan entwerfen, den uns die Spekulation vielleicht an die Hand giebt.

Es ist bei manchen Gelegenheiten nicht undienlich, die Naturgeschichte nachzuschlagen, und jene unschuldigen, eingeschränkten Politiker, ich meine die sogenannten Thiere, zu beobachten, und einen Wink, den sie uns geben, auf eine klügere Art zu benutzen. So wissen wir, daß der Biber sich selbst der aromatischen Arznei entäußert, wegen der ihn der Jäger verfolgt, um nur in Sicherheit zu entkommen. Uns hat man wegen unserer köstlichen Weisheit nachgestellt, die man in uns fand, und dieser wunderbaren Essenz wegen, die einmal ohne unser Zuthun in uns wächst, wird man uns auch niemals in Ruhe lassen. Guter Rath ist theuer, sagt das Sprichwort, und eben deswegen wird man noch immer Jagd auf uns machen. Wir sollten also scheinbar dem Biber nachahmen, und uns freiwillig dessen berauben, was uns so kostbar macht; der Verstand ist die Ursache unsers Unglücks, wir müssen daher dem Scheine nach den Verstand auf einige Zeit beiseite legen, und eben dadurch im höchsten Grade verständig seyn.

Da es keine Frage weiter ist, ob wir weise Männer sind, so wird es uns eben um so leichter werden, Narren zu scheinen, und dadurch wird die Welt bethört werden, und die Fürsten und Herren werden von uns ablassen. Einen solchen Plan auszuführen ist nur dem Weisen möglich, denn für den Thoren ist es ein gefährliches Unternehmen, sich mit der Narrheit vertraut zu machen; statt daß er sie regieren sollte, regiert sie ihn, und so muß er nach dem Anlaufe den ganzen Abhang des Berges wider seinen Willen hinunterlaufen.

Dies ist mein Vorschlag. Laßt uns thöricht scheinen, um klug zu bleiben, uns're Widersacher hintergehn, und unsern eigenen Verstand vollkommen machen, indeß wir in unserm kleinen Lande so glücklich sind, und es so glücklich machen, als es nur möglich ist. – Dixi. –

Er setzte sich nieder und ein lauter Beifall erscholl durch die ganze Versammlung. Alle nahmen sich vor, die Thoren zu spielen, und Jeder überlegte, welche Rolle er wohl am besten durchzuführen im Stande sey. Nur Gerard stand auf, und sagte:

Wie, meine Freunde, sollt' ich denn mein ganzes Leben mit dem Studium der Weisheit verloren, und es nun endlich bis zum Narren gebracht haben? Sind das die Früchte des tiefen Forschens? Wahrlich, ich will doch lieber der ganzen Welt Rath ertheilen, als in meinem Hause für mich selber ein Narr seyn.

Es war aber Einer in der Versammlung, den die übrigen nur immer aus Scherz Pyrrho zu nennen pflegten, weil er oft an den unbezweifelsten Sachen zweifelte. Dieser antwortete:

Mein lieber Gerard, Ihr hättet ganz Recht, wenn die Rede davon wäre, daß wir simple Narren ohne weitern Zusatz seyn wollen. Wenn Ihr aber bedenkt, daß wir zum Besten des Vaterlandes es werden wollen, so könnt Ihr mir Euren Beifall nicht versagen. Ist es süße Pflicht, für sein Vaterland zu sterben, so ist es vielleicht eine noch lieblichere Aufgabe, den Kopf in der Thorheit unterzutauchen, und sich vom Grunde dieser wunderlichen Quelle herauf den Kranz eines Patrioten zu holen. Die meisten Menschen sind Narren ihr Lebelang, ohne sich und Anderen zu nutzen; wir haben den schönen Gewinn, daß wir den Staat und unsre Mitbürger damit erfreuen. Welches Opfer könnte zu groß seyn!

Nur erlaube mir diese verehrungswürdige Versammlung einige Zweifel, die ich nicht gänzlich verschweigen darf. – Es entsteht die Frage, ob es durchaus kein ander Mittel der Rettung giebt, als das vorgeschlagene? Man sagt: Wer Pech angreift, besudelt sich; und so, fürcht' ich, ist es mit der Narrheit beschaffen. Es läßt sich nicht mit ihr spaßen, sie macht keinen Unterschied unter Groß und Gering, Arm und Reich, und ihre höchste Schadenfreude ist es, von einem verständigen Manne den Stempel der Vernunft wegzulöschen. Ja, es fällt mir ein, ob nicht vielleicht, ohne daß wir daran denken. unsere Zeit gekommen ist, daß wir umschlagen und aus gutem Weine ein kamiges Getränk werden. Ich meine, daß wir vielleicht schon Narren sind, und aus keiner andern Ursache einen solchen Vorschlag thun und ihn genehmigen; dann dürfte es uns vielleicht wider Willen ziemlich leicht werden, das aufgegebene Thema durchzuführen. Es ist mit dem Menschen vielleicht wie mit dem Obst, das auch nur auf eine kurze Zeit durch sich gut ist und einen natürlichen Hang zum Verwildern hat, eben so wie sich auch die Kartoffeln mit jedem Jahre verschlechtern, wenn man sie nicht wieder aus neuem Samen zieht. Wenn man etwas Besseres haben will, verliert man oft noch, so wie der Hund in der Fabel, das Gute obenein, und so könnte es uns mit unserer zukünftigen Weisheit gehn. Wir werden am Ende, zum Beispiel für die ganze Welt, aus Ueberklugheit dumm, und dann, – wie soll es dann werden? Bedenkt also, Ihr weisen Männer, bedenkt den Schritt, den Ihr zu thun gesonnen seyd; es ist fast eben so mißlich, als zu heirathen, und darum seyd um des Himmelswillen nicht allzurasch.

Er hatte ausgeredet, und man fand seinen Vortrag nicht unweise; aber dennoch ging das Gesetz durch, das Philemon vorgeschlagen hatte, daß künftig jeder Schildbürger nur darauf sinnen solle, wie er den Narren natürlich genug darstellen könne.

Caput IV

Inhaltsverzeichnis

Die Narrheit nimmt glücklich ihren Anfang.

Da es der freiwillige Entschluß der Schildbürger war, sich in der Thorheit zu versuchen, so wird schon Jedermann vermuthen, daß sie es nicht gleich zum Eingange zu grob werden angefangen haben. Sie hatten sich klüglicherweise vorgenommen, nur Schritt für Schritt in dieser schweren Wissenschaft weiter zu gehn, damit sie die Welt um so besser betrügen könnten..

Es ward beschlossen, ein neues Rathhaus zu errichten, weil sich das alte in einem gar zu baufälligen Zustande befand. Die Schildbürger versammelten sich daher, um im Walde Holz zu fällen und es dann nach der Stadt zu schaffen.

Sie begannen das Werk ganz ordentlich, fällten das Holz und säuberten es von Aesten und Laubwerk, da ein ächter, unverstellter Narr im Gegentheil schon hier seine Thorheit würde offenbart haben.

Sie hatten viele Mühe, es auf dem Wege nach der Stadt über einen ziemlich hohen Berg zu schleppen und auf der andern Seite die Bäume wieder hinunter zu schaffen. Aber die Schildbürger ließen bei dieser Gelegenheit ihre Liebe zur Thätigkeit gewahr werden, denn es machte sie nicht verdrießlich, als sie schwitzten und heftig keuchten, sondern die Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatten, machten ihnen gleichsam einen neuen Muth zur Arbeit.

Es war nur noch einer von den Bäumen oben auf dem Berge liegen geblieben, dieser riß sich wegen seiner Schwere von den Stricken los und rollte aus eigener Kraft den steilen Berg hinunter. Die Schildbürger standen oben und verwunderten sich über den Verstand eines so groben Klotzes, der freiwillig seiner Bestimmung entgegeneilte; daneben freuten sie sich über das possirliche Hinunterrutschen, und Einer unter ihnen sagte: Sind wir nicht rechte Thoren, daß wir uns also abgequält haben, da das Holz durch sich selbst geschickt genug ist, den Berg hinunterzugehn? Ihm antwortete behende ein Anderer: Dem Schaden, Freunde, kann leichtlich abgeholfen werden, wir dürfen nur die Bäume wieder heraufschaffen, so können sie dann von selbsten herunterlaufen, und wir uns an ihrer Schnelligkeit ergötzen.

Dieser Rath fand großen Beifall; obgleich die Mittagssonne brannte, so hielten die eifrigen Arbeiter doch nicht eher Ruhe, bis sie alle Bäume wieder auf den Gipfel des Berges geschafft hatten. Dann ließen sie einen nach dem andern los, und genossen nun im friedlichen Zuschauen den Lohn ihrer unermüdeten Thätigkeit, dann gingen sie in die Herberge und schmauseten auf Unkosten der Gemeine, weil sie ein so löbliches, allgemeinnützliches Werk glücklich vollbracht hatten.

Der Zweifler Pyrrho blieb noch eine Weile allein zurück und überlegte den ganzen Vorfall. Er war bei sich unschlüssig, ob er seine Stimme mitgegeben habe, um einen artlichen Scherz zu treiben und gleichsam einen Narren zu significiren, oder ob es sein Ernst gewesen. Er konnte sich seines Seelenzustandes nicht mehr so deutlich erinnern, um ein richtiges Urtheil über sich selber zu fällen; doch war er endlich dahin mit sich einig, daß ihm das possirliche Hinunterrutschen der Hölzer ein großes Vergnügen gemacht habe.

Nach diesem wurde das Rathhaus nach einem verständigen Plane angefangen und glücklich zum Ende hinausgeführt.

Caput V

Inhaltsverzeichnis

Einrichtung des neuen Rathhauses.

Ich kann nicht bestimmen, ob es Zufall war, oder durch die Absicht Philemons geschehen, der den Bau dirigirte, daß das neue Rathhaus, als es vollendet war, keine Fenster hatte. Es war in einem länglichen Viereck gebaut, und über der Thür stand mit großen Buchstaben:

An Gottes Segen Ist Alles gelegen.

Als man sich nun das erste Mal versammelte, um das Gebäude feierlich einzuweihen, siehe da, so fehlte es inwendig gänzlich am Lichte, Keiner konnte den Andern gewahr werden, Alle verfehlten ihrer Sitze, sie rannten mit den Köpfen gegeneinander, und es entstand ein großes Geschrei, Getümmel und Gepolter. Man merkte, daß diese Verwirrung allein durch die Finsterniß entstände, deshalb ließ man schnell ein Kaminfeuer anzünden, und nun fand ein Jeglicher seinen Sitz und seinen Rang wieder. Einer der Aeltesten in der Versammlung sagte hierauf: Es scheint, daß uns unser neues Rathhaus viele Verwirrung bringen wird; es wäre aber nicht gut, wenn wir jedesmal unter solchen Umständen zusammenkommen sollten, denn es wäre dann eine schlimme Handthierung, Rathsherr von Schilda zu seyn. Uebrigens mögt Ihr, werthgeschätzter Philemon, jetzt die Einweihungsrede halten.

Philemon stand auf, und Alle waren aufmerksam; er fing an:

Es ist heute für uns Alle, meine Freunde, ein feierlicher Tag. Nicht nur deswegen, weil wir an diesem Tage zum erstenmale uns hier in diesem Gebäude versammeln, sondern auch deswegen, weil es nun gerade drei Monate sind, als ich zuerst den Vorschlag that, uns thöricht und närrisch anzustellen. Es ist sehr von Nutzen, zuweilen still zu stehn, um zurückzusehn auf unsre Laufbahn, und zu überlegen, wie wir diesen weisen Vorsatz ausgeführt haben. Wenn ich an unser ganzes Betragen zurückdenke, so kann ich nichts anders thun, als uns selber loben und bewundern, daß wir als weise Männer uns in einer fremdartigen Maske doch so natürlich ausgenommen haben. Es ist aber auch sehr nützlich, so oft die Gelegenheit kömmt, uns ja zu erinnern, daß wir uns nur verstellen, und dabei genau untersuchen, ob nicht manche Thorheit etwa aus einem natürlichen Hange zur Narrheit entsteht, und wenn wir es gewahr werden sollten, uns ja in allem Ernste davor zu hüten. Denn es wäre doch ein schlimmes Beginnen, wenn wir das plötzlich im Ernste wären, wozu wir uns anfangs kaum aus Verstellung bekennen wollten; es würde für die Folgezeit alle weise Entschließungen in einen übeln Kredit bringen und man würde sehr über uns spotten, daß uns unser Vorsatz nur gar zu gut gerathen wäre. Deshalb wollen wir uns immer mit beiden Händen an der Weisheit, als unsrer lieben Mutter, fest halten, damit sie das Schwesterkind, die Thorheit, die wir haben adoptiren müssen, in den gehörigen Schranken halte.

Ihr habt Euch nun vielleicht gewundert, warum es doch in diesem unserm neuen Rathhause also finster sey. Ihr habt es wahrscheinlich für einen Fehler erklärt, und gemeint, es sey meine Nachlässigkeit, Unachtsamkeit, Zerstreuung oder sogar unfreiwillige Thorheit, die dergleichen Finsterniß veranlasset habe. Ich freue mich, eine Gelegenheit zu haben, mich zu vertheidigen und zugleich eine kurze Rechenschaft von meinem Verstande abzulegen.

Es ist nämlich aus kluger Ueberlegung entstanden, daß ich dieses Haus der Rathschläge also habe einrichten lassen; und damit Ihr seht, wie viel ich mir dabei gedacht habe, will ich Euch alle meine Gründe nach einander zur Prüfung vorlegen.

1) Ohne alles Bedenken muß jeder Rathsherr mit ernsten Gedanken in die Rathsstube treten, voll von seinen Vorschlägen und Meinungen. Es ist unschicklich, wenn er sich durch Nichtswürdigkeiten in seinen tiefen Betrachtungen stören läßt, und etwa, ehe die Verhandlungen ihren Anfang genommen haben, wie ein gemeiner Mann aus dem Fenster sieht, die Vorübergehenden grüßt, und wohl gar mit einem oder dem andern spricht. Oft hab' ich es erlebt, daß eine ganze Rathsversammlung aufsprang, und neugierig die Fenster aufriß, wenn sich ein Lärmen auf der Gasse hören ließ und etwa ein Puppenspieler mit seiner Trommel vorüberzog; ein plötzlich angespielter Dudelsack hat manchmal einem wichtigen Prozesse eine ganz falsche Wendung gegeben. – Diesem Uebel und dieser Unanständigkeit habe ich vorgebaut, denn Ihr werdet hier keine Fenster sehn, die uns irgend einmal in unsern tiefsinnigen Betrachtungen stören könnten.

2) Bringt die Dunkelheit schon immer ihrer Natur nach ernsthafte Gedanken mit sich. Darum sind auch die meisten Kirchen, in denen man andächtig und religiös seyn soll, etwas finster gebaut, weil das Licht gleichsam etwas Leichtsinniges in sich trägt, das unser Gemüth zerstreut und eine ungeziemende Heiterkeit auf uns herunterschüttet, so daß Licht und Finsterniß sich wie Scherz und Ernst gegenüberstehn und die Dämmerung ein Bastard von beiden ist, der zu gar nichts nützt. Ein Rathhaus kann aber darum nicht dunkel genug seyn, und Ihr seht, ich habe so ziemlich die beste Finsterniß getroffen.

3) Selbst das Alterthum spielt ganz deutlich auf die finstern Rathhäuser an, indem es die Gerechtigkeit beständig mit verbundenen Augen darstellt. Die Neueren haben es nachgeahmt, ohne zu wissen, was sie thun. Ich hoffe, wir sitzen hier Alle so gut, als wenn uns die Augen verbunden wären, und das ist es eben, was jeder Rathsherr inniglich wünschen muß, damit er ein ganz vollkommenes Bild der Gerechtigkeit ist.