Die Sonne von Sannar - Linda Belago - E-Book
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Die Sonne von Sannar E-Book

Linda Belago

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  • Herausgeber: beHEARTBEAT
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Von Afrika nach Paris und London: eine abenteuerliche Reise, eine tragische Liebesgeschichte, ein wahrer historischer Kern

Im Jahr 1825 sollen zwei Giraffenkinder als Geschenk an den französischen und englischen Königshof verschickt werden. Zwei junge Sklavinnen, die Schwestern Najah und Zahina, begleiten die Tiere auf ihrer langen Reise, ebenso wie der junge französische Tierarzt Pierre, der sich in Zahina verliebt. Doch im fernen Europa verläuft das Schicksal anders als erhofft. Mit den Giraffen trennen sich auch die Wege der Schwestern, und ihre zarten Träume von Glück und Liebe scheinen sich nicht zu erfüllen ...

Dieser Roman basiert auf der wahren Reise dreier Giraffen von Afrika nach Europa im 19. Jahrhundert. Sie wurden als Geschenk des ägyptischen Gouverneurs Muhammad Ali Pascha an die europäischen Herrscher geschickt, was in Europa einen wahren Hype um die Tiere entfachte.

Die Sonne von Sannar ist ein farbenprächtiger historischer Landschaftsroman aus der Feder von Bestsellerautorin Judith Knigge, die als Linda Belago ihre Leserinnen bereits mit der Surinam-Saga bezaubert hat. Lesen Sie auch: IM LAND DER ORANGENBLÜTEN und DIE BLUME VON SURINAM.

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Seitenzahl: 739

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Inhalt

Cover

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Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Sprichwort

Die Giraffe

PROLOG

Das Geheimnis der Savanne

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

Auf der Brücke von Avignon

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

Die traurigen Augen der Königin

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

Der Wind wird zum Sturm

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

Der kleine Stern am Himmel

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

EPILOG

NACHWORT

DANK

QUELLEN

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Die Surinam-Saga:

Band 1: Im Land der Orangenblüten

Band 2: Die Blume von Surinam

Über dieses Buch

Von Afrika nach Paris und London: eine abenteuerliche Reise, eine tragische Liebesgeschichte, ein wahrer historischer Kern

Im Jahr 1825 sollen zwei Giraffenkinder als Geschenk an den französischen und englischen Königshof verschickt werden. Zwei junge Sklavinnen, die Schwestern Najah und Zahina, begleiten die Tiere auf ihrer langen Reise, ebenso wie der junge französische Tierarzt Pierre, der sich in Zahina verliebt. Doch im fernen Europa verläuft das Schicksal anders als erhofft. Mit den Giraffen trennen sich auch die Wege der Schwestern, und ihre zarten Träume von Glück und Liebe scheinen sich nicht zu erfüllen …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Als Linda Belago hat Judith Knigge bereits erfolgreich Familien- und Landschaftsromane wie die Surinam-Saga geschrieben. In ihren Büchern verflechtet sie gekonnt ihr Interesse an fremden Ländern und historischen Themen – so erzählt »Die Sonne von Sannar« von einer abenteuerlichen Reise und einer dramatischen Liebesgeschichte im 19. Jahrhundert. Judith Knigge veröffentlicht auch unter ihrem Klarnamen und als Anna Gerding Romane. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in einem alten Fachwerkhaus auf dem Land, umgeben von ihren Ponys, einem Hund und zwei Katzen.

Linda Belago

DIE SONNEVON SANNAR

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © getty-images/DEA / G. CIGOLINI; © shutterstock/Kasza; © shutterstock/Vadim Georgiev; © shutterstock/PHOTOCREO Michal Bednarek; © shutterstock/Roberto Castillo

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0176-1

be-ebooks.de

lesejury.de

Auch eine Reise von tausend Meilenbeginnt mit einem Schritt.

Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7.Amsterdam 1809, S. 393–394

Die Giraffe, ein sonderbares, zwar den Alten schon bekanntes, aber durch viele Erzählungen entstelltes Thier. In der Körperbildung hat es mit mehreren Thieren Aehnlichkeit. Dem Ansehn nach wie ein muthiges Roß, hat es einen langen Hals wie ein Kameel; ein Fell, wegen seiner regelmäßigen Flecke, wie ein Parder; den Kopf wie einen Hirschkopf, den Schwanz wie den von einer Kuh. Nach dem asiatischen Elephanten ist sie das höchste Thier, indem sie vom Kopf bis auf die Fußsohlen 16 bis 17 Fuß Höhe, wovon der Hals allein 7 Fuß, hat. Vor der Stirn hat das Thier zwei kleine 7 Zoll lange Hörner, welche sich etwas nach hinten zu beugen, und oben einen Haarbüschel wie eine Quaste haben. Der Aufenthalt der Giraffe ist Afrika; übrigens aber ist sie von Natur sanftmütig, und hat die meiste Nahrung von Baumblättern. Im Schlaf ruht der ganze Körper auf den Knien, welche daher auch kahl sind.

PROLOG

1825Ägyptisch-Sudanesisches KolonialgebietNahe der Stadt Sannar

Die Sonne senkte sich mit gleißendem, tiefrotem Licht über die Hügel von Sannar. Ein kühlender Schatten legte sich über die unzähligen Behausungen am Fuße der Erhebungen, und ein leichter Wind kam auf. Schnell erwachte das Lager aus der Starre der Tageshitze. Frauen eilten sich, die Vorhänge der Zelte zu öffnen, um die kühle Brise der nahenden Nacht einzulassen und die stickige Luft zu vertreiben. Menschen traten hervor, setzten sich auf fadenscheinigen Teppichen um kleine, qualmende Feuer auf eine Tasse dünnen Tee zusammen. Die bedrückende Stille des Tages wich einem leisen Gemurmel und einer dumpfen Geschäftigkeit.

Auch die neunzehnjährige Zahina und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Najah machten sich bereit, ihre ärmliche Unterkunft zu verlassen, in der sie bereits seit vielen Wochen verharrten.

Zahina richtete ihren Schleier. Ein für die Schwestern ungewohntes Kleidungsstück, auf das sie jedoch nicht verzichten konnten. Sie achteten tunlichst darauf, nichts auf ihren christlichen Glauben hindeuten zu lassen, da man Christen mit Argwohn begegnete und mit Anfeindungen überhäufte. Dem wollten sich Zahina und ihre Schwester nicht auch noch aussetzen.

»Ich werde heute das Wasser holen. Schau mal, ob du etwas Hirse bekommen kannst.« Zahina reichte Najah ein Beutelchen mit Tee. »Hier, nimm dies und versuche, es zu tauschen.« Sie verschwieg ihrer Schwester, dass sie den Tee mit einigen trockenen Blüten aus dem Gebüsch rund um das Lager gestreckt hatte. Es würde kaum jemandem auffallen, inzwischen aßen die Menschen sogar die toten Fliegen mit, die in ihre dünnen Suppen fielen.

Besorgt betrachtete Zahina das ausgezehrte Gesicht ihrer Schwester. Ob sie selbst ebenfalls schon so aussah? Mit eingefallenen Wangen und dunklen Ringen unter den Augen? Unwillkürlich berührte sie ihre Wange unter dem fadenscheinigen Stoff. Solange sie nicht krank wurden und noch Kraft zum Wasserholen aufbringen konnten, würden sie wohl überleben.

Was hatte sich nicht alles geändert, seit sie ihr Dorf im Tiefland des Sudan verlassen hatten. Ihr einziger Besitz waren nun die löchrige Zeltplane, eine Kanne, zwei abgewetzte Decken und noch etwas Tee. Die Versorgung der Lagerbewohner war desolat. Selten wurde Getreide ausgegeben. Die Menschen zehrten noch von dem, was sie hatten mitnehmen können. Sämtliche Dinge sparten sie sich mühsam vom Munde ab oder erbettelten sie. Bald aber würden die Vorräte aufgebraucht sein. Zahlungsmittel im Lager waren einzig Naturalien wie Wasser, Tee, Getreide oder Hirsebier. Manche Mädchen, so hatte Zahina gehört, boten sogar schon ihre Körper an. Aber was sollte man tun, wenn man das wenige, was man besaß, bereits eingetauscht hatte? Zahina hoffte inständig, sie würde nie in diese Not geraten, und gab sich alle Mühe, ihre jüngere Schwester und sich selbst zu versorgen. Wasser holen für andere brachte ihr mal eine Hand voll Getreide, mal eine Handvoll Mehl. Oft aber knurrte ihnen der Magen.

Nein, dieses Lager war kein schöner Ort, für niemanden. Es war ein Ort voll von Entbehrungen und Hoffnungslosigkeit. Keiner der Bewohner war aus freien Stücken hier, sie alle einte dasselbe Schicksal: Die ägyptischen Herrscher trieben ihre Truppen unentwegt in die eroberten Gebiete im Süden, um dort Dörfer zu überfallen und den unendlichen Bedarf an Sklaven zu stillen. Wie Heuschrecken waren sie über die Heimat der Schwestern hergefallen. Es war alles so schnell gegangen. Es hatte Kämpfe und Tote gegeben. Im Tumult waren Familien getrennt worden. Zahina wusste nichts über das Schicksal der Menschen aus ihrem Dorf, auch nicht über das ihrer Eltern. In langen Märschen trieb man die Menschen zusammen. Hier, im Sklavenlager nahe der Stadt Sannar, mussten sie jetzt warten, bis man sie woanders hinbrachte. Die Schwestern hatten die Eltern gesucht, nach bekannten Gesichtern Ausschau gehalten. Vergebens. Mehrmals war das Gerücht aufgekommen, dieses Lager würde aufgelöst und die Menschen den Blauen Nil hinabtransportiert. Bisher hatte sich das allerdings nicht bewahrheitet, und es deutete auch nichts darauf hin, dass dies bald geschehen würde.

Zahina seufzte und ließ ihren Blick zu Najah wandern, die geschickt die letzten Handgriffe an ihrem Schleier tat.

»Ich gehe jetzt, gib auf dich acht«, beschied sie ihre Schwester und sah ihr dabei fest in die braunen Augen. Sie ließ Najah nur äußerst ungern allein, zu groß war die Angst, die Schwester auch noch zu verlieren. Jedes Mal hoffte sie inständig, Najah würde sich durch ihre unbedarfte Art nicht in Gefahr bringen. Aber Zahina hatte keine Wahl – sie mussten irgendwie überleben.

»Geh ruhig. Ich passe auf mich auf, mir wird schon nichts geschehen.« Najahs Ton klang trotzig, und Zahina wusste, dass sie ihre Schwester mit ihrer Sorge zu sehr umspann. Seufzend griff sie nach dem Krug und machte sich eilig auf den Weg.

Wenigstens gab es einen Brunnen, der noch trinkbares Wasser spendete, der Gang dorthin aber war selbst in den kühleren Abendstunden ein unbequemer Marsch. Das Laufen fiel schwer im tiefen Sand der schmalen Wege, und überall lag Unrat und Kot. Es stank erbärmlich, und Heerscharen an Fliegen stoben auf, sobald sie ihren Fuß auf den Boden setzte. Die vielen Menschen im Lager trugen nicht gerade zur Sauberkeit des Ortes bei. Vor Wochen schon hatte es die ersten Kranken gegeben. Zahina war auch aus diesem Grunde froh, ihren und Najahs Lagerplatz am äußersten Rand der Zeltstadt zu wissen, dort hatte sich der beißende Gestank schmutziger Körper und ungenügender Latrinen noch nicht so ausgebreitet. Außerdem war dort die Gefahr geringer, überfallen zu werden. Immer wieder, so hatte sie gesehen und gehört, gab es Männer, die betrunken nach Mädchen grapschten, und da Zahina und Najah weder Vater noch Brüder im Lager hatten, welche sie beschützt hätten, versuchten sie, so wenig wie möglich aufzufallen. Auch vor den Aufsehern musste man sich hüten, sie hielten die zukünftigen Sklaven seit Wochen zusammen, und ihre Laune war nicht die beste. Aber im Gegensatz zu den Gefangenen konnten die Aufseher das Lager verlassen und sich im nahen Sannar versorgen. Zahina hatte einmal gesehen, wie sie Esel voller Proviant zu ihren Zelten geleiteten. Diese Zelte wurden stets streng bewacht, ebenso wie das gesamte Lager.

Kaum hatte Zahina nun das Dornengebüsch am Rande des Lagers auf dem schmalen Pfad durchquert und war auf die offene Fläche getreten, da stockte sie. Am Horizont, auf der nächsten Hügelreihe, zeichnete sich die schemenhafte Silhouette einer Karawane ab. Erst dachte sie, ihre Augen würden ihr einen Streich spielen. Doch je angestrengter sie in das Licht der untergehenden Sonne starrte, desto deutlicher zeichnete sich eine Reihe Kamele auf dem Saum der Hügel ab. Und sie kamen auf das Lager zu!

Eilig raffte Zahina ihr Kleid und sputete sich zum Brunnen. Die Frauen dort hatten die Karawane ebenfalls entdeckt und standen aufgeregt tuschelnd beisammen, während sie skeptisch beobachteten, wie sich die Tiere näherten. Man war nie sicher, was Reisende wollten. Zahina blickte immer wieder angespannt in Richtung der nahenden Ankömmlinge. Sie hatte frühere Besuche Fremder in keiner guten Erinnerung. Als Sklave in den Norden gebracht zu werden war durchaus keine verheißungsvolle Aussicht, von einer Karawane aber gegen einen Sack Hirse eingetauscht zu werden und mit ihr dann im Nirgendwo zu verschwinden, versprach noch mehr Unheil. Und die Karawanen nahmen gerne junge Frauen mit. Es war für sie und Najah vermutlich das Beste, erst einmal Schutz in ihrem Zelt zu suchen. Aber vorher brauchte sie Wasser.

Als Zahina kurze Zeit später ins Lager zurückkehrte, waren bereits alle in heller Aufregung. Die Kunde von einer nahenden Karawane hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Manche Frauen räumten ängstlich ihre Habseligkeiten zurück in die Unterkünfte und riefen nach ihren Töchtern, während andere bereits Krüge mit Hirsebier bereitstellten, um die Ankömmlinge gütlich zu stimmen und sich vielleicht etwas Essbares zu ertauschen. Zahina machte sich eilig auf die Suche nach Najah. Sie fand sie schon bald in einem Pulk Neugieriger und zog sie ungeduldig am Arm in ihr kleines Zelt. Najah protestierte leise, während sie sich fortwährend umdrehte.

»Zahina, lass uns doch erst mal schauen, was sie wollen. Vielleicht können wir etwas eintauschen.«

»Nein. Es ist zu gefährlich.« Zahina war fest entschlossen. Sie würden im Schutz des Zeltes verharren, bis die Karawane weitergezogen war. Ihren Plan, am heutigen Tag mehrmals zum Brunnen zu gehen, hatte sie bereits verworfen. Die Angst war stärker als der Hunger und der Durst.

Bald darauf traf die Karawane im Lager ein. Zahina hörte in ihrem Zelt, wie sich die Reitkamele mit einem blökenden Laut niederlegten und Männerstimmen sich erhoben. Sie fühlte sich unwohl. Sie hatte ihren Schleier abgenommen und saß auf dem Boden ihrer kleinen Bleibe und zeichnete mit unruhigen Fingern Muster in den Sand. Sosehr sie auch darüber nachdachte, wollte ihr kein Grund einfallen, warum die Karawane hier eine Rast einlegte und nicht in der Stadt.

Najah hingegen war ganz offensichtlich weniger ängstlich. Zahina konnte die Aufregung ihrer Schwester förmlich spüren, die unruhig neben ihr saß und jetzt fahrig an ihrem Kopftuch nestelte. Ihre Augen glänzten unternehmungslustig. Zahina betrachtete sie zärtlich. Sie wusste, dass Najah schwer unter der Eintönigkeit und der Einsamkeit im Lager litt. Najah war ungestüm und neugierig. Die Karawane brachte eine willkommene Unterbrechung des Alltags mit sich. Misstrauen war ihr, im Gegensatz zu Zahina, fremd, und Zahina hatte sie mehrfach angewiesen, nicht zu viel Kontakt mit den anderen Lagerbewohnern zu pflegen. Man wusste nie, was Menschen umtrieb, und Zahina hatte schnell gelernt, dass hier alle nur auf das eigene Wohl bedacht waren. Dass eine Karawane nicht nur Abwechslung brachte, sondern durchaus auch Gefahr barg, verdrängte ihre Schwester offensichtlich. Wie so vieles andere, das sie einfach in ihrem Geiste versteckte, um das Geschehene erträglicher zu machen.

Najah hatte in all den Wochen mit keinem Wort über den Verlust der Eltern oder ihrer Heimat geklagt. Nur manchmal, tief in der Nacht, hörte Zahina sie leise schluchzen. Dann zog sie Najah wortlos an sich und versuchte, ihr Trost zu spenden. Es brach ihr fast das Herz, und sie musste sich jedes Mal zusammenreißen, nicht selbst Schwäche zu zeigen. Sie hatte sich geschworen, gut auf ihre Schwester aufzupassen, und lebte in ständiger Angst, ihr könnte etwas Schlimmes zustoßen. Um nichts in der Welt wollte sie ihre Schwester verlieren.

»Kann ich nicht doch raus und nachsehen, was das für Fremde sind?« Najah riss sie aus ihren Gedanken.

»Nein! Das ist viel zu gefährlich.« Zahina schüttelte mit Nachdruck den Kopf.

»Aber …« Najah sprang auf, wobei sie fast mit dem Kopf gegen die niedrige Plane stieß, und spähte durch einen Schlitz im Türvorhang. Sie stieß einen leisen, überraschten Laut aus. »Zahina … Zahina, schau doch … das musst du dir ansehen!«

Seufzend kroch Zahina neben Najah, schob ihre Schwester beiseite und versuchte, nach draußen zu spähen. »Was ist denn so spannend?«

Kaum hatte sie es ausgesprochen, stockte ihr vor Überraschung der Atem. Dort hinter den Zelten, von einer großen Schar Menschen umringt, die aufgeregt murmelte, standen zwei Kamele, die eine höchst seltsame Fracht trugen: Quer über dem Kamelrücken lag je ein Giraffenkalb.

Najah hielt es jetzt nicht mehr im Zelt. Sie krabbelte flink an Zahina vorbei und lief los, wobei sie sich gerade noch so eben den Schleier vor das Gesicht hielt.

»Najah! Najah, komm zurück!«

Doch der Ruf verhallte ungehört, und so entschied Zahina schnell, ihrer Schwester zu folgen.

Die zierliche junge Frau drängte sich bereits flink durch die Menschen, welche die Kamele umringten, nach ganz vorne. Zahina ärgerte sich über Najahs Ungehorsam, andererseits war sie nun selbst von Neugier gepackt. Dies war offensichtlich keine gewöhnliche Handelskarawane. Als sie endlich neben Najah stand und ihr den Schleier zurechtzupfte, gaben die Männer den Lastkamelen gerade den Befehl zum Hinlegen. Zahina beobachtete das Geschehen gespannt. Die Männer der Karawane trugen allesamt blaue Kaftane und schwarze Turbane, die Kleidung von Nomaden … Ihre Gesichter waren von Sonne und Sand gegerbt und ihre Bärte lang und zottelig. Zahina sah Erschöpfung in ihren Gesichtern. Die Kamele taten, wie ihnen geheißen, und sackten dem Boden entgegen, die Giraffenkälber aber zeigten keine Reaktion, nicht einmal auf die vielen Menschen um sie herum, und ließen die Köpfe hängen.

Zahina betrachtete die beiden Giraffen. Sie mussten sehr weit aus dem Süden kommen, aus den Savannen, hier im Sudan war es viel zu trocken für diese Tiere. Sie waren vermutlich schon lange unterwegs, vielleicht erklärte das auch, warum die Karawane nicht bis in die Stadt weiterzog. Es waren sehr junge Tiere, und sie waren sehr erschöpft. Wie man sie wohl gefangen hatte? Man erzählte sich doch, eine ausgewachsene Giraffe könnte sogar ein Rudel Löwen töten. Ein Blick auf die langen Macheten und Speere, die an den anderen Kamelsätteln baumelten, verrieten ihr die Antwort.

Plötzlich richtete sich die Aufmerksamkeit der wartenden Menge auf zwei Kamele, die etwas abseits lagen. Unmengen von Fliegen stoben auf, als einige Männer anfingen, die großen Lastenbündel abzuladen. Aufgeregte Rufe wurden laut. Fleisch! Das gab es nur sehr selten im Lager, und innerhalb der nächsten Stunden würden vermutlich viele ihr letztes Hab und Gut versetzen, um an eine kleine Portion zu kommen. Zahina schauderte. Deswegen also hatte man die kleinen Giraffen fangen können – dort in den Packen war wahrscheinlich das Muttertier. Angewidert beobachtete sie, wie sich nun die meisten Lagerbewohner in Richtung der bereits um das Fleisch handelnden Männer orientierten. Zahina selbst blieb neben Najah stehen und beobachtete gebannt das Abladen der jungen Giraffen.

Je zwei Männer vorne und hinten hoben die Kälber soeben von den Rücken der Kamele und stellten sie neben die Transporttiere. Die Vorder- und Hinterbeine waren zusammengebunden, und an jeder Seite musste nun ein Mann stehen bleiben, um die wankenden, mageren und fohlenhaft zarten Geschöpfe zu stützen, welche ihre Jäger bereits um gut zwei Kopflängen überragten. Mehrere Männer mühten sich damit ab, den Tieren Halfter anzulegen. Als dies schließlich gelang, kam ein großer, imposanter Mann, vermutlich der Anführer der Karawane, und durchtrennte die Fußfesseln der Giraffen. Die Jungtiere, merklich erschöpft, versuchten daraufhin, ein paar Schritte zu gehen, kamen dabei aber gefährlich ins Wanken. Zahina zog Najah eilig zurück, um nicht unter eine stürzende Giraffe zu geraten.

»Los! Los! Die Tiere müssen gefüttert werden«, wies der vermeintliche Anführer der Karawane die Männer laut an. Er stand mit verschränkten Armen im Sand, auch hatte er sich seinen Turban noch nicht vom Gesicht gewickelt. Zahina sah nur seine dunklen Augen und einen langen Bart unter seinem Kinn.

Die Männer trieben die Kamele wieder auf die Beine und versuchten dann mit aller Kraft, die Giraffen in Richtung der Euter der Tragtiere zu schieben.

»Lassen sie die Kamele etwa die Giraffen säugen?«, flüsterte Najah erstaunt.

Zahina war ebenso überrascht und beobachtete, wie die Kamele diesen Versuch mit bösem Brummen und Unmengen Speichel, den sie um sich spuckten, quittierten. Das Schauspiel zog sich hin, und Zahina sah mit wachsendem Unbehagen, wie vier starke Männer versuchten, die Kamele im Zaum zu halten, während weitere vier je ein Giraffenkalb an eine Kamelstute heranschoben. Ein unglückseliges Unterfangen, denn die Giraffen hatten sichtlich Angst vor den Kamelen, und die Kamelstuten wurden immer aggressiver. Das Leid aller Tiere war offensichtlich.

Als dann der Mann, der zuvor die Anweisung zur Fütterung gegeben hatte, plötzlich aus sicherem Abstand seinen langen Stock auf die Hinterteile der Kamele schlug, zuckte Zahina zusammen.

»Kann man die Tiere nicht anders füttern?«, fragte Najah halblaut.

Zahina sah sie entsetzt an, doch Najah hatte ihren Blick mutig auf den Mann mit dem Stock gerichtet.

Der Mann drehte sich zu den Schwestern um. Zahina wusste, dass es unerhört war, sich einzumischen. Im ersten Moment sah sie Wut in den Augen des Mannes aufflackern und duckte sich unwillkürlich, während Najah wie erstarrt stehen blieb. Dann zog er sich schließlich das Tuch vom Gesicht und grinste. »Na, wenn du eine bessere Idee hast.«

»Melkt die Kamele doch ab«, sagte Najah mit entschlossener Stimme.

Jetzt lachte der Mann laut, wobei sein zotteliger schwarzer Bart hin und her wippte. »Melken? Sehe ich aus wie ein Weib?«

Dann wandte er sich an die Männer, die erschöpft und verschwitzt immer noch versuchten, die Tiere zusammenzuführen. »He, hört mal! Das Mädchen hier – sie meint, sie kann das besser!«

Ein dröhnendes Gelächter erscholl, und die Männer hielten für einen Moment inne. Alle Augen richteten sich auf die beiden jungen Frauen.

Zahina fühlte sich unwohl. Sie schalt Najah im Stillen für ihre Arglosigkeit, wusste aber, dass es ihr allein um das Wohl der Tiere ging. Bevor Zahina sich versah, griff Najah nach einem Krug und schritt entschlossen auf das erste Kamel zu. Zahina bebte innerlich vor Spannung.

Die Männer machten ihr schweigend Platz, und die Stute beruhigte sich gleich, sobald die Giraffe nicht mehr in ihre Nähe gedrängt wurde. Als Last hatte sie das Kalb geduldet, aber die Rolle der Amme lehnte sie eindeutig ab.

Zahina wunderte dies nicht, säugten Tiere doch gewöhnlich nur ihresgleichen. Wie hatten diese gestandenen Jäger das nur außer Betracht lassen können? Aber ihnen geht es vermutlich mehr ums Töten als ums Füttern, dachte Zahina bitter.

Najah näherte sich langsam dem Kamel und trat schließlich mit ein paar beruhigenden Worten an das Tier heran. Sorgsam beobachtete Zahina die Reaktion des Kamels, das aber keine Anstalten machte, sich zu wehren oder gar nach Najah zu treten. Entschlossen begann Najah, es zu melken. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand, sie hatte sie schon so viele Male ausgeführt. Zahina beobachtete ihre mutige Schwester. Kurz wanderten ihre Gedanken zu den Kamelen und Kühen, die ihre Familie einst in ihrem Dorf besessen hatte. Als das Bild ihrer Eltern vor ihrem inneren Auge erschien, spürte sie einen Kloß im Hals und zwang sich, die Gedanken zu verscheuchen.

Schnell war der Krug gefüllt. Najah erhob sich langsam und sprach leise mit dem Tier. Dann trat sie vorsichtig zu der Giraffe hinüber. Zahina klopfte das Herz bis zum Hals, aber das Tier wirkte eher apathisch als gefährlich und musste immer noch von einem Mann gestützt werden. Najah stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt dem Tier mit sanfter Stimme lockend den Krug vor das Maul. Um sie herum herrschte plötzlich gespannte Stille. Auf was hatte sich Najah da nur eingelassen? Konnte sie überhaupt davon ausgehen, dass die Giraffe die Kamelmilch annehmen würde? Was geschah wohl, wenn das Tier sich weigerte? Zahinas Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als die Giraffe zögerte. Dann aber beobachtete sie erleichtert, dass sie ihren Kopf senkte und das Maul in die Kamelmilch tauchte. Zahina fiel ein Stein vom Herzen. Najah sprach beruhigend auf das Tier ein und nickte dann Zahina über die Schulter auffordernd zu. Zahina musste ihren ganzen Mut zusammennehmen. Aber sie würde ihre Schwester jetzt nicht im Stich lassen, also tat sie es ihr nach, und schon wenig später bekam die andere Giraffe endlich Nahrung. Jetzt murmelten die Männer anerkennend, und die Menge applaudierte.

Der Anführer trat an die jungen Frauen heran und stemmte die Hände auf die Hüften. »Ich glaube, ihr habt gerade das Problem mit der Fütterung gelöst«, sagte er lächelnd. Dann zog er die Augenbrauen zusammen, und Zahina traute ihren Ohren nicht, als er schließlich weitersprach. »Ihr Mädchen werdet jetzt mit meiner Karawane mitkommen und euch um die Giraffen kümmern. Holt eure Sachen, ich spreche mit den Aufsehern. Und nennt mich Bajahr.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und ging mit forschen Schritten auf das Lager zu. Zahina und Najah sahen sich verwundert über den Köpfen der trinkenden Giraffen hin an. Während Najah nickte und ihre Augen vor Begeisterung funkelten, schüttelte Zahina den Kopf.

»Das können wir nicht machen, wer weiß …«

»Zahina, das ist doch besser als … als in diesem Lager zu bleiben«, flüsterte Najah aufgeregt.

Zahina musste Najah recht geben. Diese Karawane war offensichtlich nicht zum Zweck des Menschenhandels unterwegs. Ihre Zukunftsaussichten im Lager waren nicht sonderlich gut.

Zögerlich nickte sie. »Also gut.«

Die Schwestern ahnten nicht, wie untrennbar sich ihr Schicksal in diesem Moment mit dem der beiden Giraffen verband.

Le secret de la savaneDas Geheimnis der Savanne

1825–1826

ParisÄgyptisch-sudanesische KolonialgebieteAlexandria

KAPITEL 1

Pierre Morin schlug den Kragen seines Mantels hoch und trat aus dem Hauseingang in die frühmorgendliche, feuchtkalte Herbstluft. Kurz besah er im Licht der Gaslaterne prüfend sein Spiegelbild in einem der Hausfenster. Seine goldblonden Haare waren kurz und akkurat geschnitten, seine blauen Augen glänzten unternehmungslustig und er schenkte sich selbst ein aufmunterndes Lächeln an diesem Morgen. Der Oktober war noch jung, dennoch hatte sich bereits im September ein frühes Ende der warmen Jahreszeit angedeutet. Die Blätter der Pariser Alleen waren schneller bunt geworden als in den Jahren zuvor, und am wolkenverhangenen Himmel sah man bereits immer wieder große Schwärme von Zugvögeln, die keilförmig ihre Route gen Süden fortsetzten.

Pierre fröstelte. Er setzte seinen Zylinder auf und zog seinen dicken wollenen Mantel fest um sich. Die Rue Saint-Médard, eine kleine enge Seitenstraße, durch die kaum ein Pferdefuhrwerk passte, bot dem frischen Wind immer eine willkommene Schneise. Pierre atmete einmal tief aus und hielt mit der linken Hand seinen Zylinder fest, als er sich auf die Straße begab. Sofort traf ihn ein schneidend kalter Windstoß. Er zog die Schultern hoch und verließ mit eiligen Schritten seinen Wohnort. Und wie jeden Morgen, wenn er hastig aufbrach, hatte er das Gefühl, dass sich die Häuser der Rue Saint-Médard über ihn beugten und die Gasse sich enger um ihn schloss.

Pierre wohnte bereits seit zwei Jahren hier, in der dritten Etage eines hoch aufragenden grauen Hauses. Es war eine Notlösung gewesen, Wohnraum war schwer zu finden in dieser Stadt, vor allem, wenn man allein war, so wie Pierre. Die Straße, das Haus, sein kleines Zimmer, welches direkt von der steilen, knarrenden Holztreppe, die sich durch das Haus zog, zu erreichen war, dies alles versetzte ihn allmorgendlich in eine melancholische Stimmung. Er hätte sich schon längst nach einer anderen Unterkunft umsehen sollen. Doch er wusste, er würde dieses düstere Gefühl, welches ihn in seiner Unterkunft stets überfiel, im Laufe der nächsten Stunde ablegen, wie sich auch der Nebelschleier über der Stadt verziehen würde. Pierre straffte sich und begann seinen Fußweg in Richtung Fluss. Hier in den Seitenstraßen musste man achtgeben, wo man hintrat. Allerlei Unrat lag herum, und es roch nicht gut. So glänzend sich Paris von vorne zeigte, so schmutzig waren seine Hinterhöfe. Pierre, der auf dem Land groß geworden war, hatte sich an diesen Umstand immer noch nicht gewöhnt.

Schon nach wenigen Metern gelangte er auf die Rue de la Seine. Dort zog es nicht mehr so, und der Himmel über ihm war ohne die trutzigen Häuserfronten nun weithin zu sehen. Ab hier führte ihn jeder Schritt ein Stück weiter fort von seiner kleinen Bleibe, dem schlechten Gewissen und den nagenden Gedanken, vielleicht doch einen Fehler gemacht zu haben. Jeder Schritt trug ihn ein Stück weiter in sein jetziges Leben, in dem er genau genommen sehr glücklich war, wenn er nicht jeden Abend in die Rue Saint-Médard zurückkehren müsste, wo die flüsternde Stimme des Windes schon auf ihn lauerte, um ihm zu sagen, wie allein er doch war. Ohne jemanden, der auf ihn wartete. Dort hielt er sich nur noch zum Schlafen auf.

Pierre beschleunigte seine Schritte und erblickte schon bald die Baumwipfel der Uferpromenade. Zu seiner Linken lagen die Weinhallen und der Weinmarkt, die Halle aux vins de Paris. Männer luden bereits große Holzfässer ab und rollten diese polternd in die Lagerhallen. Ein süßlich fruchtiger Geruch drang in Pierres Nase und weckte wohlige Erinnerungen. Dies war der Geruch warmer Sommertage und üppig tragender Weinreben. Früher, als Pierre noch nicht in der Stadt, sondern im Haus seines Vaters gelebt hatte, da hatte jeder Sommermorgen so gerochen. Welch Gegensatz zu dem sonstigen Geruch auf den Straßen! Hier in der Stadt versuchte er stets nicht tief einzuatmen, bevor er das Ufer der Seine erreicht hatte. Der Fluss schien die üble Luft der schmalen Gassen, der überquellenden Sickergruben, der unachtsam entleerten Nachttöpfe und des Unrats der vielen Menschen mit sich hinaus aus der Stadt zu tragen. Von hier aus war es noch ein Stück bis zur Ménagerie du Jardin des Plantes, dem Zoologischen Garten von Paris. Die Ménagerie war ein Teil des Botanischen Gartens, der sich, umringt von zahlreichen Museumsgebäuden, Magazinen und Archiven, vom Seine-Ufer bis hin zum trutzigen Bau des Muséum national d’Histoire naturelle erstreckte.

Pierre hatte vor einem Jahr die Stelle als Veterinär der Ménagerie angetreten. Es war angesichts seines Alters eine außergewöhnliche Ehre für ihn, diese Tätigkeit ausführen zu dürfen. Er war gerade einmal vierundzwanzig und hatte die École Nationale Vétérinaire d’Alfort erst vor zwei Jahren abgeschlossen. Pierre schmunzelte bei dem Gedanken an seine Ausbildung. Noch an der Schule hatte sich die Möglichkeit, nachfolgend in der Ménagerie zu arbeiten, aufgetan. Aber ohne seinen Mentor, Étienne Geoffroy Saint-Hilaire, den leitenden Professor der Zoologischen Abteilung des Muséum national d’Histoire naturelle, hätte er diese Chance nie bekommen.

Pierre hatte Saint-Hilaire in einer Vorlesung an der École kennengelernt. Dieser bemühte sich sehr um die Zöglinge der Schule, waren sie doch die Generation, die künftig das Veterinärwesen prägen würde. Der Professor vertrat die Auffassung, dass neben einer guten theoretischen Bildung insbesondere der Praxis unschätzbare Bedeutung beizumessen war.

Zu Zeiten Napoleons hatten viele junge Männer eine Ausbildung an der Schule des Veterinärwesens angestrebt, vornehmlich, weil Napoleon großen Wert auf die Gesundhaltung seiner Kavallerie gelegt hatte und insbesondere Pferdeärzte ein hohes Ansehen genossen. In den vergangenen Jahren allerdings war die Begeisterung für diesen Studiengang merklich zurückgegangen. Seit aufgrund mangelnder Kriegsbeteiligung die Kavallerie keine stetige Begleitung mehr benötigte, bemängelten zahlreiche Veterinäre, dass es im Alltagsleben wesentlich unedleres Getier zu behandeln galt. Eine große Anzahl der Studenten und Absolventen zog seitdem die Theorie der Praxis vor, hielt sich in den Bibliotheken auf und diskutierte über wissenschaftliche Themen. Nur eine deutlich kleinere Gruppe der Absolventen war gewillt, praktisch tätig zu sein und zum Beispiel auch schon mal einer Kuh beim Kalben zu helfen. Sich aber auf die Tiere der Ménagerie einzulassen, dazu war kaum einer bereit. Man bestaunte sie durch Gitter oder hielt Vorträge über sie; einem Löwen aber eine vereiterte Kralle zu ziehen – nein! Schließlich war ja allgemein bekannt, wozu diese wilden Kreaturen fähig waren.

Pierre hatte sich davon nicht abschrecken lassen und Étienne Geoffroy Saint-Hilaire durch sein Interesse an der Ménagerie und durch seine Arbeitseinstellung überzeugt. So hatte er in der Ménagerie zunächst eine Stelle als Assistent und nachfolgend die feste Anstellung als Tierarzt bekommen. Und die Ménagerie hatte sich für ihn im Laufe der Zeit zu mehr als nur einem Arbeitsplatz entwickelt. Sie war Pierre ein Zuhause, die Mitarbeiter und Tiere waren ihm eine Familie geworden. Hier fühlte er sich wohl, jeden Tag aufs Neue.

Für Pierre war die Anstellung ein großer Schritt in seine eigene Zukunft gewesen, für Pierres Vater hingegen ein weiterer Grund, sich von seinem Sohn abzuwenden. Wie immer, wenn Pierre an seinen Vater dachte, durchfuhr ihn auch jetzt ein Stich in der Herzgegend. Er atmete tief ein und schritt etwas eiliger voran. Pierre liebte seinen Beruf, hatte dafür aber ein großes Opfer bringen müssen. Sein Vater hatte sich von ihm losgesagt.

Er seufzte und entschied sich, wie so oft, den Tag am Fluss zu beginnen. Über der Seine lag noch fader Nebel. Pierre ließ seinen Blick gen Osten wandern und bemerkte erleichtert den schwachen roten Lichtstreif am Himmel. Er würde also noch rechtzeitig kommen. Schnellen Schrittes lief er die Uferstraße entlang auf die Pont d’Austerlitz zu. Die breite Brücke, die auf wuchtigen Pfeilern ruhend den Place Valhubert mit dem gegenüberliegenden Seine-Ufer verband, stand ebenfalls noch im Nebel. So früh am Morgen wurde sie kaum von Fuhrwerken und nur von wenigen Fußgängern benutzt.

Pierre betrat die Brücke und blieb in deren Mitte stehen. Atemlos zog er seinen Mantel noch ein wenig fester um seinen Körper und stützte sich dann mit verschränkten Armen auf die steinerne Brüstung. Unter ihm zog die Seine mit graublauem Wasser vorüber, und Pierre überlegte, ob es Nebelfetzen waren oder kleine Schaumwellen, die auf der Wasseroberfläche tanzten. Der Nebel würde gleich, bei Sonnenaufgang, für einen kurzen Moment stark und kraftvoll aufwallen, um sich dann in den aufsteigenden Sonnenstrahlen zu verlieren. Wieder hob Pierre seinen Blick prüfend zum Himmel. Gleich würde es so weit sein, gleich würde die Sonne über Paris aufsteigen. Er ließ seinen Blick über das Wasser gleiten, bis hin zur im Fluss liegenden Île de la Cité. Dort stemmte sich die Kathedrale Notre-Dame de Paris wie jeden Tag trutzig gegen den Boden, als wäre es das jahrhundertealte Bauwerk selbst, welches die Insel in der Seine an dieser Stelle hielt.

Pierre war kein sonderlich frommer Kirchgänger, aber er liebte diese Kirche. Insbesondere für das Schauspiel, das sie ihm gleich wieder bieten würde, diesen Moment, der ihn stets verzauberte und den er jetzt mit kindlicher Freude erwartete. Seine Finger waren steif vor Kälte, und er versuchte, sie in den Ärmeln seines Mantels zu wärmen. Ungeduldig wechselte er das Standbein. Schließlich spürte er endlich die Vorboten des Ereignisses in der Luft, der Nebel unter ihm auf dem Fluss waberte einen störrischen Moment empor und dann geschah es: Ein Sonnenstrahl schimmerte mitten durch die Kathedrale, die Fenster im Kirchenschiff leuchteten einen kurzen Moment blendend hell auf, und dann stieg die Sonne auch schon über den Häusern der Stadt empor und spendete sofort merklich Wärme. Pierres Gesicht wurde von einem zufriedenen Lächeln überzogen. Er liebte diesen Augenblick, wenn sich die Sonne in den Kirchenfenstern brach. Das war sein kleiner, ganz privater Moment, den Tag zu beginnen. So wie andere Menschen morgens von ihren Lieben begrüßt wurden, so ließ Pierre sich seine Seele von der Morgensonne streicheln. Das Strahlen breitete sich bis in sein Herz aus und vertrieb die heimliche Leere darin. Beschwingt richtete er sich auf, rieb sich seine kalten Hände und machte sich auf zum Eingang des Jardin des Plantes. Jetzt konnte der Tag beginnen, dies war ein guter Morgen, und es würde ein guter Tag werden.

Pierre betrat den Jardin des Plantes durch das schmiedeeiserne Tor am Place Valhubert und folgte den geradlinigen Pfaden in Richtung Menagerie. Der Jardin des Plantes war im strengen französischen Stil angelegt. Gleichmäßige Alleen umrahmten rechteckige Parterres, in denen auch die Pflanzen in einem geordneten System gesetzt waren. Pierre ließ seinen Blick über ein Beet zu seiner Rechten gleiten. Dicke Tautropfen hingen an den letzten Blütenständen des Sommers. Die Sonne würde die Feuchtigkeit vertreiben und die Pflanzen ermutigen, sich noch einen weiteren Tag stolz aufzurichten. Hier und da raschelten bereits einige welke Blätter über die Wege. Pierre schmunzelte. Sie würden nicht die Möglichkeit bekommen, sich in einer windstillen Ecke zu sammeln und anzuhäufen. Unzählige Gärtner, Bedienstete und Tagelöhner huschten tagtäglich durch die weitläufige Anlage, bedacht darauf, die Ordnung zu erhalten. In Höhe der großen Rotunde, eines im klassizistischen Stil errichteten runden Backsteingebäudes mit fünf turmartigen Anbauten, betrat Pierre die Menagerie. Sogleich befand er sich in einer vollkommen anderen Welt. Jeder Baum, jeder Busch und jedes Tiergehege hier spiegelte die bewegte Geschichte des Zoologischen Gartens seit seiner Gründung im Jahre 1793.

Damals hauchten die letzten Atemzüge der Revolution den öffentlichen Einrichtungen einen anderen Atem ein. Alles, was an die ehemalige monarchistische Regierungsform, an das Ancien Régime erinnerte, wurde ausgemerzt und umgewandelt in einen freien, liberalen, allen Bürgern zugetanen Stil. Was die Menagerie du Jardin des Plantes betraf, so sollte sie ein »Garten der Freiheit« bleiben.

Es blieb die Frage, wie man dies mit den Wildtieren bewerkstelligen sollte. Da die Kommune zur napoleonischen Zeit zudem angeordnet hatte, dass die Pariser Schausteller ihre exotischen Tiere in der Menagerie abgeben sollten, um sie allen Bürgern eintrittsfrei zeigen zu können, war schnell beschlossen worden, ausreichend Platz für allerlei Getier zu schaffen. Die Planer errichteten und erweiterten die Anlage im Stil eines englischen Gartens, welcher damit im direkten Gegensatz zu der gegenüberliegenden französischen Parkanlage stand. Die Menagerie wurde von sanft geschwungenen Wegen durchzogen, es gab Hügel, Täler, Wälder und Freiflächen. Das erste große Gebäude war von Napoleon noch selbst in Auftrag gegeben worden – die große Rotunde sollte die Asiatischen Elefanten beherbergen, die er erworben hatte. So wurde seit Anfang des Jahrhunderts in der Menagerie stets gebaut und die Tieranlagen erweitert.

Pierre war im Nachhinein froh, dass die Menagerie sich ungeachtet der Umbrüche im Land eher zu ihrem Vorteil entwickeln konnte. Hier wurde, zu Pierres großer Erleichterung, der liberale Geist über die Machtwechsel hinweg zum Wohle der Tiere aufrechterhalten.

Pierre war stolz, die Entwicklung nun selbst miterleben und vor allem daran mitwirken zu dürfen. Die Ménagerie hatte sich, weit über die französischen Grenzen hinweg, zu einem bekannten Tiergarten entwickelt und war gut besucht. Das Volk sehnte sich nach Abwechslung und Entspannung, waren die letzten Jahrzehnte doch von Kriegen, Not und Unruhe geprägt gewesen. In Paris war die Ménagerie der ideale Ort der Zerstreuung. Hier gab es unter anderem das Vallée Suisse, ein pittoreskes Gehege mit angelegten Felsen für Gebirgshuftiere, außerdem einen Bärengraben, in dessen Nähe zudem Anlagen und Häuser für Krokodile und anderes Kriechgetier eingerichtet waren. Vor vier Jahren war feierlich die Fauverie, das Raubtierhaus, eröffnet worden, in dem man nun in einundzwanzig Käfigen wilde Raubkatzen bestaunen konnte; aktuell wurde an der Fasanerie und an den Volieren gebaut.

Pierre liebte es, die Menschen im Tierpark zu beobachten. Er genoss den Moment, wenn sie die exotischen Tiere bestaunten und wenn Kinderaugen leuchteten. Er konnte die Leidenschaft der Menschen für diesen Ort gut verstehen, genoss er doch selbst jeden Morgen den Gang durch die Ménagerie, als wäre es ein kurzer erholsamer Ausflug. Alles um ihn herum, insbesondere die grauen Gassen der Stadt und die darin liegenden, dunklen Gedanken, verblichen vor der Pracht der Anlagen und dem Anmut der Tiere.

Pierre war in diesen unruhigen Zeiten aufgewachsen, auch wenn er mit der Revolution und den Umbrüchen im Land eher andere Dinge verband. Er hatte sich nie viel um Politik geschert. Die dramatischen Ereignisse der Weltgeschichte brachte er eher mit seinen kleinen persönlichen Katastrophen in Zusammenhang.

Im Winter 1804, in dem sich Napoleon in der Kathedrale, die Pierre eben noch im Morgennebel beobachtet hatte, zum Kaiser krönte, hatte Pierre mit dem schmerzlichen Verlust seiner Mutter zu kämpfen. Er war damals drei Jahre alt und hatte nicht verstanden, warum er zunächst nicht mehr in die Arme seiner Mutter, dann nicht mehr an ihr Bett durfte, und warum sie dann eines Tages einfach fort gewesen war. Pierres Vater hatte sich zwar Mühe gegeben, für das Kind da zu sein, seine eher strenge, resolute Art und seine Vorliebe für alles Militärische, die auch in die Erziehung einfloss, waren aber genauso wenig ein Ersatz für die liebende und tröstende Umarmung einer Mutter wie die strengen Kinderfrauen. Als kleiner Junge hatte Pierre oft stundenlang vor dem großen Ölbild im Flur seines Elternhauses verharrt, auf welchem seine Mutter zu sehen war. Eine zarte, grazile Frau, mit warmen, gesprenkelten blauen Augen, und Haaren, goldgelb wie ein reifes Weizenfeld. Pierre hatte nach Gemeinsamkeiten gesucht, hatte sich immer wieder prüfend im Spiegel betrachtet und war, sehr zu seiner Freude, mit den Jahren seiner Mutter ähnlicher geworden als seinem grauhaarigen Vater mit den groben Zügen. Doch diese Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte den Groll seines Vaters geweckt, der sich immer schwerer tat, seinem Sohn eine liebevolle Umgebung zu schaffen.

Die ersehnte Liebe und Zuneigung fand Pierre an anderer Stelle. Aksa, die treue und ergebene Jagdhündin seines Vaters, wurde zur steten Begleiterin seiner Kinderjahre. Ihr weiches braunes Fell spendete ihm Trost, und ihre warme Schnauze trocknete seine Tränen, wenn er abends im Dunkeln heimlich seinem Kummer freien Lauf ließ. Tagsüber hatte er der Sohn zu sein, den sich sein Vater nach seinem Dünken heranzuziehen erlaubte. Der Sohn, der ein Mann werden sollte. Der zum Soldaten oder gar zu Höherem geschaffen war.

Pierre konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken. Diese Einstellung hatte gerade mit zunehmendem Alter Unverständnis in ihm ausgelöst und war nicht selten Anlass heftiger Streitereien gewesen.

Seine Familie entstammte einem alten französischen Adelsgeschlecht, sein Vater hatte dies aber in den Jahren der Revolution geschickt zu verdecken gewusst. Man war plötzlich nicht mehr von Stand, man war Bürger, wenn auch ein wohlhabender. Die Familie besaß neben weitläufigen Ländereien unter anderem ein großes Haus westlich der Stadt, im Örtchen Billancourt, nahe des großen Waldes Bois de Boulogne. Der allerdings mit den Jahren der Revolution gehörig geschrumpft war, Brennholz war in so manchem Jahr ein rares Gut.

In der Gegend war Pierre aufgewachsen, außerhalb der durch die unruhigen Jahre gezeichneten Stadt, weit ab von Not und Hunger. Auch als das Haus Morin später durchaus unter den Nachwehen der Kriege und Revolutionen litt, war Pierre dies kaum merklich aufgefallen; sein Vater hatte sich redlich Mühe gegeben, den Schein zu wahren. Und so lag in der Erziehung, die Pierres Vater seinem Sohn angediehen ließ, immer ein letzter Rest seines adeligen Hochmutes, gepaart mit militärischem Ehrgeiz.

Pierre hatte als Kind stundenlang vor einem großen Tisch verharren müssen, auf dem sein Vater minutiös versuchte, Napoleons Feldzug darzustellen. Dass Napoleons kriegerische Aktionen bei Weitem nicht mehr so erfolgreich waren wie einst, tat der Begeisterung von Pierres Vater keinen Abbruch.

Als Napoleon im Frühjahr 1814 in Russland unterging, kämpfte Pierre wiederum mit einer ganz persönlichen Katastrophe. Die gute alte Aksa, welche in Ehren an der Schnauze ergraut war, war alt und gebrechlich geworden. Pierres Vater vertrat eine ganz eigene Ansicht, was das Ende der treuen Jagdhündin betraf. Sie hatte ihn und seine Jagdbüchse unzählige Male begleitet, so sollte sie auch durch diese den Frieden finden. Pierre, damals zarte dreizehn Jahre alt, flehte seinen Vater um Gnade an, doch dieser herrschte ihn an, verweichlicht zu sein, schließlich handele es sich nur um einen Hund.

Die treue Aksa folgte ihrem Herrn humpelnd in den Garten, bis ein Schuss sie unter den Kirschbäumen von ihren Altersleiden erlöste. Für Pierre war dieser Moment ein einschneidendes Erlebnis. Das sowieso schon schwierige Verhältnis zu seinem Vater bekam einen weiteren großen Riss. Und die Trauer und Hilflosigkeit in Bezug auf die alternde, kranke Hündin ließ den heranwachsenden Jungen einen Beschluss fassen: Er würde Tierarzt werden.

Nach und nach entwickelte sich aus dieser Idee für Pierre ein gefestigter Lebenstraum. So oft er konnte, beschäftigte er sich mit dem Thema. Er nahm sich heimlich Bücher aus der Bibliothek seines Vaters und verschlang jede greifbare Information zum Aufbau und der Lebensweise von Tieren. Er ging mit geschärften Sinnen durch die Natur und beobachtete den Flug der Bienen ebenso wie das Verhalten von Tieren in den Wäldern und auf den Feldern. Gerne und häufig beobachtete er auch den Pferdearzt bei seiner Arbeit im Stall. In mancherlei Hinsicht, so schien es Pierre, ließ sein Vater seinen edlen Reittieren eine bessere Versorgung angedeihen als so manchem Hausangestellten.

Der Arzt konnte wahre Wunder vollbringen. Lahme und totgesagte Pferde mit geschwollenen Gelenken verwandelte er mithilfe seiner Tinkturen in wahre Prachtrösser, und selbst für die struppige Stallkatze hatte er ein paar Tropfen Medizin übrig, wenn diese sich wieder das Fell vom Rücken kratzte. Pierre meinte, in den Augen der Tiere so etwas wie Dankbarkeit zu erkennen, während der Arzt leise und ruhig mit ihnen sprach. Dieser Mann wurde Pierre zum Vorbild.

Lange schwieg er über seinen Berufswunsch, er wusste, was sein Vater davon halten würde. Doch eines Tages war die Frage um seine Zukunft unausweichlich. An dem Tag beugte Pierre sich zum ersten Mal nicht dem Willen seines Vaters. Dieser tobte, herrschte ihn an, etwas Anständiges zu erlernen. Doch Pierre blieb standhaft. Er packte seine Sachen und zog als Student in die École Nationale Vétérinaire d’Alfort. Dass die Schule ein hohes Ansehen genoss, beschwichtigte seinen Vater nur wenig. Zwar trug er die Kosten, betonte aber stets, dass Pierre eines Tages doch zu ihm zurückkommen würde, um sich auf den rechten Lebensweg zu besinnen. Ansonsten hatten Vater und Sohn sich nicht mehr viel zu sagen. Je mehr sich Pierre in seine Studien vertiefte, desto größer wurde die Kluft zwischen ihnen. Als Pierre aber nach dem Abschluss der Schule sein Amt in der Ménagerie antrat, stellte sein Vater seine Apanagen ein. Pierre musste fortan finanziell auf eigenen Füßen stehen. Er hoffte immer noch, seinem Vater irgendwann beweisen zu können, dass seine Entscheidung richtig gewesen war. Wie, das wusste er nicht.

»Wahrscheinlich werde ich eher von einem unserer Tiger gefressen, als dass mein Vater meine Entscheidung anerkennt«, pflegte Pierre gegenüber seinem Mentor Étienne Geoffroy Saint-Hilaire zu sagen.

Dieser klopfte ihm dann immer beschwichtigend auf die Schulter. »Eines Tages, Pierre, eines Tages wird Ihr Vater stolz auf Sie sein.«

Pierre seufzte bei dem Gedanken daran, dass das noch viele Jahre dauern konnte. Eilig machte er sich auf seinen morgendlichen Rundgang durch die Ménagerie. Er schaute beim Vorbeigehen prüfend in jedes Gehege. Am Vallée Suisse hielt er kurz inne und beobachtete einen der Steinböcke. Das Tier hatte vor wenigen Tagen gelahmt, nun kletterte es bereits wieder flink über die Felsen der Anlage. Pierre lächelte zufrieden und schob sich seine Kopfbedeckung zurecht. Er trug aus praktischen Gründen keinen altmodischen Zylinder, sondern einen modernen Chapeau Claque. Dies war der einzige Luxus, den er sich gönnte, hielt dieser doch auch einmal einen Stoß aus, denen Pierre unausweichlich bei seiner Arbeit ausgesetzt war. Zumal gerade eine der Elefantendamen seine Kopfbedeckung unwiderstehlich fand, was Pierre schon so manchen Hut gekostet hatte.

Pierre achtete im Übrigen sehr darauf, bei der Arbeit stets korrekte Kleidung zu tragen, schließlich war die Ménagerie öffentlich zugänglich und stets gut besucht. Allerdings verzichtete er auf den Bart, er gefiel sich selbst weder mit Kinn- noch mit Wangenbehaarung. In Paris war es durchaus noch üblich, die eigene politische Gesinnung durch das Tragen einer speziellen Bartform stillschweigend kundzutun. Viel Auswahl blieb ihm also nicht, was die Rasur betraf, und da Pierre nur eine Gesinnung kannte, nämlich das Wohl der Ménagerie-Tiere, verzichtete er ganz auf einen Bart.

Kurz vor dem Ende seiner Runde, als er gerade die Wasservögel am kleinen Weiher begutachtete, sah Pierre Frédéric Cuvier, den Garde de la Ménagerie, mit den für ihn typisch eilig Schritten auf sich zukommen. Dem bestellten Inspektor der Zoologischen Abteilung, der damit auch den Leitungsposten innehatte, sah man seine fünfzig Jahre nicht an. Er war hochgewachsen und hatte immer noch bemerkenswert dichtes dunkles Haar, auch wenn dies an den Schläfen bereits einen leichten grauen Schimmer bekam. Dafür war sein Gesicht meist fahl und immer gläsern blass. Er war stets in Eile und, sehr zu Pierres Verdruss, nicht sonderlich leicht zufriedenzustellen.

»Monsieur Morin? Bonjour!«

»Monsieur Cuvier.« Pierre nickte zum Gruß.

»Gut, dass ich Sie antreffe.« Cuvier schnaufte leicht, sein Gesicht war von der frischen Morgenluft gerötet, und wie immer lag selbst in seinem Blick etwas Gehetztes.

»Monsieur Morin, Professor Saint-Hilaire wünscht Sie und mich heute zu sprechen. Aber wir sehen uns sowieso gleich bei den Eulen, Sie wissen ja …«, stieß er hervor, bevor er sich auch schon wieder aufmachte, ohne Pierres Antwort abzuwarten.

Pierre zuckte mit den Schultern, er kannte den Inspektor kaum anders. Der Mann stellte an sich selbst den Anspruch, jederzeit an jedem Ort zugleich sein müssen. Eine sicherlich lobenswerte, wenn auch recht ungesunde Arbeitseinstellung. Pierre vermutete, dass sie früher oder später zu einer nervösen Erkrankung führte.

In Bezug auf Cuviers Worte beschlich ihn an diesem Tag dennoch eine gewisse Unruhe. Pierre wurde mehr oder weniger regelmäßig zu Étienne Geoffroy Saint-Hilaire gerufen, meist ging es dabei um Berichte zum Gesundheitszustand einzelner Tiere. Der alternde Professor hegte ein ehrliches Interesse an Pierres Tätigkeit als Arzt der Ménagerie, schließlich hatte er über viele Jahre im Außenbereich des Muséum national d’Histoire naturelle und der Ménagerie gearbeitet. Er kannte, ebenso wie Pierre, alle Tiere und deren Eigenheiten, auch wenn er selbst an ihrer Versorgung nicht mehr direkt teilnahm. Nun war er der Leiter der Abteilung für Vögel und Säugetiere, aber würden es ihm sein Alter und seine Gesundheit, sein Amt als lehrender Professor und insbesondere seine Frau erlauben, man würde ihn wohl viel häufiger im Freien antreffen als in seinem Büro.

Pierres Unbehagen wuchs. Seine dienstlichen Treffen mit dem Professor waren fast schon freundschaftlicher Natur, eine gemeinsame Besprechung mit Cuvier, seinem Vorgesetzten, ließ allerdings auf eine gewichtigere Mitteilung schließen. Eilig überschlug er im Kopf die Ereignisse der letzten Tage, war sich aber keines Fehlverhaltens bewusst. Energisch schüttelte er den Gedanken ab. Es nutzte nichts, sich im Vorfeld den Kopf zu zerbrechen, er würde früh genug erfahren, worum es ging. Entschlossen wandte er sich ab und folgte Cuvier mit beschwingtem Schritt. Gleich würde er einer der Eulen eine abgeknickte Schwungfeder ziehen, vorher allerdings musste er seine Ausrüstung und seine Tasche mit den medizinischen Geräten holen, und das schnell, denn der Inspektor war bereits auf dem Weg zu den Volieren. Cuvier würde, wie immer, das ganze Prozedere überwachen und wahrscheinlich mehr behindern als helfen. Sein Vorgesetzter war ein herausragender Zoologe, der seine nervöse Art aber schnell auf Tiere und Mitarbeiter übertrug. Dennoch freute sich Pierre auf die erste Aufgabe des Tages. Danach würde er zum Naturkundemuseum hinübergehen und seinen Mentor aufsuchen. Was der Professor wohl von ihm wollte?

KAPITEL 2

Die Feuer waren fast niedergebrannt und der Abend näherte sich der Stunde, in der sich die Jäger mit berauschenden Getränken in den Schlaf brachten. Zahina saß mit Najah an einem der Feuer und lauschte noch den Geschichten von Bajahr, der neben ihnen saß. Sein Gesicht verschmolz im Schein der Glut mit den Gestalten, die sich aus den Worten seiner Erzählungen emporhoben. Die tiefen Falten in seinem Gesicht bildeten Hügel und Täler, seine Augen kleine Feuer. Zahina war jeden Abend aufs Neue fasziniert von seinen Geschichten, in die sie, von seiner Stimme umhüllt, eintauchte wie unter eine warme, schützende Decke, und die sie die Welt um sie herum vergessen ließen.

Auch Najah schien den Moment zu genießen. Sie hing mit gebanntem Blick an den Lippen Bajahrs.

»Diese Tiere tragen das Geheimnis der Savanne in sich«, raunte er ernsthaft. »Sie wissen so viel mehr als wir. Wenn du einer Giraffe in die Augen schaust, Mädchen …«

Der erfahrene Jäger nickte Najah gewichtig zu und hob mahnend den Zeigefinger. Der Schein der letzten Flammen spiegelte sich in seinem Blick und verstärkte die geheimnisvolle Stimmung, die er durch seine raue, leise Stimme erzeugte. Er beugte sich vor, als sei das, was er zu sagen hatte, nicht für jedermanns Ohren bestimmt. »Dann wirst du dort, an dem Punkt, den du im Auge der Giraffe siehst, einen Schatz finden.«

Najah saß regungslos da. Ihre geweiteten dunklen Pupillen und ihre zusammengepressten Lippen verrieten Zahina, dass ihre Schwester gerade überlegte, wie dieser Schatz wohl aussah. Zahina war dankbar für diesen Moment der Unbeschwertheit, den Bajahr ihnen gewährte. Beide hatten sie schon immer Geschichten und Märchen geliebt. Die Worte Bajahrs trugen sie nun geradewegs aus der Wirklichkeit hinaus, weit hinein in die Savanne. Dorthin, wo die Löwen unter den wenigen Schatten spendenden Bäumen ruhten, wo die Antilopenböcke sich auf die Hinterbeine erhoben und krachend ihre Hörner gegeneinanderstießen … dorthin, wo einst ihr Dorf gelegen hatte. Auf der einen Seite die schützenden Felsen, auf der anderen die weit überschaubare Ebene.

Einen kurzen, glücklichen Augenblick lang hatte Zahina das Gefühl, daheim am Feuer zu sitzen und den Geschichten ihres Großvaters zu lauschen. Doch dann durchfuhr sie ein schmerzhaftes Beben, und eine heiße Träne rann ihr über die Wange. Verstohlen wischte sie diese fort, bevor Najah sie womöglich entdeckte. Das war Vergangenheit und würde nie wieder geschehen. Sie musste stark sein, sie war die Ältere, sie hatte jetzt die Verantwortung für sich und Najah. Schon kurz nachdem sie von Menschenjägern aus ihrem Dorf getrieben worden waren, ohne zu wissen wohin und mit welcher Bestimmung, hatte Zahina einen Entschluss gefasst. Sie würde sich auf das Wesentliche konzentrieren: überleben und ihre Schwester beschützen.

Und bisher war ihr das ganz gut gelungen, auch wenn sie häufig eine tiefe Angst und Hilflosigkeit verspürte. Sie betete still zu Gott und bat ihn um Beistand, viele Male schon hatte sie ihn um Hilfe angerufen. Sie wusste, dass auch Najah Zwiesprache mit ihm hielt, auch wenn sie sich nie mit ihr darüber austauschte. Die Schwestern hatten während der bisherigen Reise tunlichst darauf geachtet, nichts auf ihren christlichen Glauben hindeuten zu lassen. Tief in ihrem Inneren war Zahina traurig, auch diesen Teil ihres Lebens vernachlässigen zu müssen, aber sie hatte keine Wahl. Nur ab und an erlaubte sie sich einen verstohlenen Griff zu dem kleinen goldenen Kreuz, welches sie gut versteckt an einer Kette um ihren Hals trug. Das einzige Erinnerungsstück an die Mutter und den Vater. Es spendete ihr Trost und gab ihr Zutrauen.

Das Wissen um Gottes Nähe leitete Zahina durch die Phasen lähmender Angst, eine tiefe Unruhe aber blieb. Dabei war nach dem ersten Zusammentreffen mit der Karawane alles sehr schnell gegangen. Ein kurzes Gespräch zwischen dem Wachpersonal des Lagers und Bajahr, ein flüsternd vollzogener Handel, ein Handschlag – und schon waren Zahina und Najah von den Aufsehern des Lagers gegen ein großes Stück Fleisch eingetauscht worden.

»Ihr seid ab heute für die Giraffen zuständig«, hatte Bajahr sie knapp beschieden. »Füttert sie. Und wehe, ich bekomme Klagen zu hören.« Bajahr hatte eine unmissverständliche Geste gemacht, sie dann aber mit versöhnlichem Blick angesehen. »Nun los, sonst lasse ich euch doch noch hier!«

Eilig hatten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammengeklaubt und waren in das Lager der Karawane übergewechselt.

Die Karawane war schon bald wieder aufgebrochen, das Sklavenlager bei Sannar war kein gastlicher Ort. Wenige Tagesreisen entfernt lag Khartum, Zahina hatte von diesem Ort gehört. Im Gegensatz zu Sannar war Khartum ein aufstrebender Ort, gegründet von der ägyptischen Garnison. Und wo sich das ägyptische Militär ansiedelte, war der Wohlstand nicht weit, das hatte Zahina mehr als einmal vernommen.

Der Gedanke, bald in Khartum anzukommen, weckte in ihr neuerliche Ängste. Was würde sie in dieser Stadt erwarten? Sie alle würden sich dort länger aufhalten, das immerhin hatte Zahina Bajahr entlocken können, noch aber hatte sie nicht herausgefunden, was es mit dieser Karawane überhaupt auf sich hatte. Die Jäger behandelten die kleinen Giraffen wie pures Gold, und vielleicht waren die Tiere ja wirklich wertvoll. Dass sie sich um die Giraffen kümmerten, brachte den Schwestern jedenfalls einen gewissen Respekt ein. Die Jäger schienen allesamt froh, sich weder weiter mit den widerborstigen Kamelen noch mit den wilden Giraffenkälbern auseinandersetzen zu müssen. Bajahr hatte seinen Männern zudem mehr als deutlich gemacht, dass die beiden Schwestern für ihren Auftrag unabdingbar waren, und sie deshalb sogar unter seinen persönlichen Schutz gestellt.

»Geht den Männern aus dem Weg und bleibt in meiner Nähe, dann wird euch nichts passieren«, hatte er den Schwestern schon ganz am Anfang ihrer Reise zugeraunt. Seine väterliche Art hatte Zahina gerührt.

Dennoch war Zahina auf der Hut, wenn die Sonne untergegangen war und die Nacht die Umgebung in ein finsteres Dunkel tauchte. Sie wusste, dass es des Nachts für sie besser war, sich still und leise auf ihr Lager zu verziehen, dies war im Sklavenlager so gewesen und hier nicht anders, ihrer Sonderstellung zum Trotz.

»Najah, komm, wir sollten uns schlafen legen«, mahnte sie ihre Schwester jetzt ungeduldig.

Bajahr lehnte sich langsam zurück und nahm einen Schluck aus seinem Trinkbeutel. Das gegerbte Ziegenleder sah im Dunkeln genauso runzelig und faltig aus wie sein Gesicht. Zahina drang der Geruch von vergorener Kamelmilch in die Nase.

»Ja, geht schlafen, morgen liegt wieder ein langer Weg vor uns.«

»Nun komm. Genug Geschichten.« Zahina zog Najah auf die Füße und eilte sich zu ihrem Schlafplatz. Von den anderen Feuern um sie herum erklangen raue Männerstimmen. Es war Zeit, sich zurückzuziehen.

Zahina schob Najah nachdrücklich auf ihr kleines Lager zwischen den Kamelen, das aus einigen Decken bestand, und deutete ihr, sich still zu verhalten. Najah nahm ihren Schleier ab und blickte kurz in Richtung der Giraffen, bevor sie sich unter ihren Decken zusammenrollte.

»Ob wir auch eines Tages einen Schatz finden?«, murmelte Najah.

Zahina strich ihr liebevoll über das schwarze Haar und ließ im Licht des Mondes ihren Blick zu den jungen Tieren wandern.

»Vielleicht, Najah. Vielleicht.«

Sie seufzte leise und zog ihre Decke fester um sich. Es wurde empfindlich kalt hier am Rand der Wüste. Die Giraffen lagen mit verschnürten Beinen zwischen den Tragtieren und machten einen apathischen Eindruck. Zahina spürte, wie sehr die Tiere resigniert hatten, und konnte sogar nachvollziehen, wie es ihnen ging.

Mit einem letzten Blick auf Najah, die schon die Augen geschlossen hatte, drehte sich Zahina auf die Seite. Schlaf war kostbar, ihre Reise war anstrengend.

Wie eine schillernde Schlange zogen sich die beiden Ströme des Nils durch das Land. Von Osten der Blaue Nil, von Süden der Weiße Nil. Bei Khartum würden sie sich vereinen und zu einem breiten Strom werden. Die Karawane durchquerte das fruchtbare Dreieck, welches geradewegs auf Khartum zuführte. Die Stadt war in vielerlei Hinsicht mit Wohlstand gesegnet. Elfenbein, Gummi arabicum und Tamarindenholz fanden von hier aus ihren Weg zu den großen Städten flussaufwärts – ebenso wie die zahlreichen Schiffe, beladen mit dem »Schwarzen Elfenbein«, den Sklaven aus dem Hinterland.

»Glaubst du, wir dürfen uns die Stadt ansehen?« Najah wurde zusehends aufgeregter.

»Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht … vielleicht gibt es einen Markt, den wir besuchen können.« Die Augen ihrer Schwester leuchteten.

»Wir haben doch gar kein Geld, Najah.« Zahina war auch gespannt, zügelte aber ihre Erwartungen.

Auf den Wegen, deren beachtliche Breite auf regen Betrieb verwies, begegneten sie unzähligen Menschen. Über der Straße lag eine dünne Wolke feinen Staubs, aufgewirbelt durch zahlreiche Füße und Hufe. Hirten trieben ihre Herden von Khartum fort in das fruchtbare Umland, Eselskarren kamen aus der entgegengesetzten Richtung, beladen mit allerlei Waren. Allein auf diesen Karren sah Zahina im Vorübergehen mehr Speisen, als sie in den letzten Monaten erträumt, geschweige denn zu sich genommen hatte. Je näher sie der Siedlung kamen, desto mehr Anpflanzungen säumten den Weg. Dattelpalmen, Feigen und Bananen standen in kleinen Plantagen und trugen schwer. In Zahina keimte die zarte Hoffnung, dass es ihr und ihrer Schwester in diesem Garnisonslager besser ergehen würde als zuvor im Sklavenlager. Najahs sehnsuchtsvoller Blick verriet ihr, dass ihre Schwester bei diesem Anblick ähnliche Gedanken hegte.

»Hast du all die Früchte gesehen?«, flüsterte Najah ein ums andere Mal ehrfürchtig.

Khartum begrüßte die Karawane schließlich mit hohen, Schatten spendenden Palmen und einem Hauch würziger Luft. Zeltlager und Baracken waren entlang der Wege aufgebaut, Händler boten ihre farbenfrohen Waren am Wegesrand feil. Zahina war sofort gefangen von dieser Atmosphäre, die lebendig und berauschend und so vollkommen anders war als die erdrückende Stille und Eintönigkeit der Wüstenregion, welche sie durchquert hatten.

Gleichzeitig bemerkte sie beunruhigt, dass sich am Wegesrand schnell Schaulustige einfanden. Soldaten und Bürger traten gleichsam erstaunt zur Seite, als sich die Kamele der Karawane mit ihrer außergewöhnlichen Fracht zielstrebig durch das lebhafte Getümmel auf die öffentlichen Brunnen zuschoben. Gleich zwei der sonst so scheuen und grazilen Savannenbewohner in einer Garnisonsstadt vorgeführt zu bekommen, lockte Neugierige an.

Zahina und Najah liefen dicht neben den Kamelen, welche die Giraffenkälber trugen. Die Kamele waren sichtlich nervös. Aufgeregt gaben sie grollende Geräusche von sich, schäumender Speichel tropfte aus ihren Mäulern.

Auch die Giraffenkälber waren unruhig. Hektisch schwenkten sie ihre Köpfe, unfähig, sich sonst in irgendeiner Form zu bewegen. Die aufgerissenen Augen der Jungtiere zeigten Zahina, dass sie große Angst hatten. Sie sprach mit leisen Worten auf sie ein, in dem Versuch, den Tieren Trost zu spenden.

Die Führer geleiteten die Kamele zum Brunnen, wo die Tiere sofort gierig tranken. Zahina fing Najahs Blick auf, der die Unruhe spiegelte, die sie selber empfand. Die Menge hatte sich unangenehm dicht um die Ankömmlinge geschart, ein stetiges Murmeln erfüllte die Luft. Zahina sorgte sich um die nervösen Tiere und kämpfte selbst gegen das Gefühl der Enge. Als hinter den Menschen Staub aufwirbelte, die Masse sich teilte und zwei uniformierte Reiter auftauchten, welche die Menschen ein Stück zurücktrieben, atmete Zahina erleichtert auf.

Zahina sah, wie Bajahr mit einem der Reiter sprach und schon bald darauf seine Leute zum Weitergehen drängte. Die Kamele ließen sich nur widerwillig vom Brunnen wegführen, trotten dann aber gehorsam weiter durch die Straßen der Stadt. Die Reiter geleiteten die Karawane zu einem der wenigen größeren Steingebäude der Ansiedlung und durch das Tor in einen großen Innenhof. Die Führer gaben einen kurzen Befehl, und es stieg eine Staubwolke empor, als sich die Kamele niederlegten. Zahina sprach beruhigend auf die Giraffen ein, die sofort erneut von einer Unruhe befallen wurden, bedeutete das Ablegen der Lasttiere doch stets das Ende des Transports und damit auch eine zeitnahe Fütterung.

Durch die Staubwolke trat jetzt ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann an die Ankömmlinge heran. Er trug eine Uniform, die mit zahlreichen bunten Abzeichen geschmückt war. Er schien ein wichtiger Mann zu sein und ein wohlhabender zudem. Seine Kleidung war sauber und akkurat, sein Bart sorgfältig gestutzt.