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Beschreibung

Umweltprobleme verändern seit Beginn der Industrialisierung, mit wachsender Beschleunigung seit den 1950er- Jahren, das Gefüge moderner Gesellschaften. Welche Dynamiken ergeben sich aus diesen Prozessen? Welche Chancen eröffnen sie für den radikalen Wandel fossiler in postfossile Gesellschaften, den die Klimaforscher vehement einfordern? Dieses von Sozialwissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen erstellte Handbuch bietet erstmals eine historisch und global orientierte Analyse des konfliktreichen Wegs der sozial-ökologischen Transformation. Es beleuchtet zentrale Transformationsfelder (Klima, Energiewende, Wirtschaft und Konsum, Stadtentwicklung und Landwirtschaft) und stellt Entwicklungen in westlichen Industrieländern, in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien sowie in armen, agrarisch geprägten Ländern wie Äthiopien vor.

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Seitenzahl: 747

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Karl-Werner Brand (Hg.)

Die sozial-ökologische Transformation der Welt

Ein Handbuch

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Umweltprobleme verändern seit Beginn der Industrialisierung, mit wachsender Beschleunigung seit den 1950er Jahren, das Gefüge moderner Gesellschaften. Welche Dynamiken ergeben sich aus diesen Prozessen? Welche Chancen eröffnen sie für den radikalen Wandel fossiler in postfossile Gesellschaften, den die Klimaforscher vehement einfordern? Dieses von Sozialwissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen erstellte Handbuch bietet erstmals eine historisch und global orientierte Analyse des konfliktreichen Wegs der sozial-ökologischen Transformation. Es beleuchtet zentrale Transformationsfelder (Klima, Energiewende, Wirtschaft und Konsum, Stadtentwicklung und Landwirtschaft) und stellt Entwicklungen in westlichen Industrieländern, in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien sowie in armen, agrarisch geprägten Ländern wie Äthiopien vor.

Vita

Karl-Werner Brand ist Professor für Soziologie i.R. an der Technischen Universität München und Mitbegründer der deutschen Sektion Umweltsoziologie.

Inhalt

Vorwort

Karl-Werner Brand: Einleitung: Problemstellung und Untersuchungsperspektive

Fragestellung

Untersuchungsperspektive

Literatur

Teil A Theoretischer und historischer Interpretationsrahmen

1.Karl-Werner Brand: 1. Das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse: Wie Gesellschaften Umweltprobleme produzieren unddamit umgehen

Gesellschaftliche Naturverhältnisse

Gesellschaftliche Verursachung, Folgen und Bearbeitung von Umweltproblemen

Literatur

2.Karl-Werner Brand: 2. Der historische Kontext: Industrielle Modernisierungs- und Transformationsdynamiken

Die Entwicklung der industriellen Moderne

Strukturdynamiken und Rahmenbedingungen der industriellen Moderne

Zyklisch-strukturelle Transformationsdynamiken

Die Eigendynamiken der »Peripherie«

Ausblick: Der Kampf um die Restrukturierung neuer, »nachhaltiger« Regulationsmodelle

Literatur

3.Karl-Werner Brand: 3. Naturschutz – Umweltschutz – Nachhaltige Entwicklung: Transformation gesellschaftlicher Regulationsmodelle und sozial-ökologischer Regime

Die Ära des »liberalen Kapitalismus«: Aufschwung, Urbanisierung und Schmutz

Der »organisierte Kapitalismus«: Hochindustrialisierung, Stadthygiene und Naturschutz

Die »fordistische« Ära: Funktionale Moderne, Konsumgesellschaft und Umweltschutz

Die »neoliberale« Ära: Vermarktlichung, Globalisierung und nachhaltige Entwicklung

Literatur

4.Karl-Werner Brand: 4. Zur Problematik der Steuerung sozial-ökologischer Transformationsprozesse

Was soll verändert werden? Umkämpftes Problemwissen, wechselnde Umweltparadigmen und konkurrierende Transformationsdiskurse

Wie kann gesteuert werden? Spielräume, Gestaltungsmöglichkeiten und Ansatzpunkte sozial-ökologischer Transformation

Umweltgovernance: Die politische Gestaltung sozial-ökologischer Transformationen

»Transition to Sustainability«: Von der Nische zum Regime?

»Transformation from below«: Umweltkonflikte und Umweltbewegungen als Motor sozial-ökologischer Transformation

Fazit

Literatur

Teil B Zentrale Problem- undTransformationsfelder

5.Fritz Reusswig: 5. Das Transformationspotenzial des anthropogenen Klimawandels

Klima und Gesellschaft im Wandel: Antriebskräfte und Folgen

Das transformative Potenzial des Klimawandels: Subsysteme, Mechanismen und Konflikte

Die Besonderheit des Klimawandels als Umweltproblem

Wissensordnungen im Wandel

Konkurrierende mediale Klima-Realitäten

Besonderheiten und transformative Ansatzpunkte der Klimapolitik

Zum transformativen Potenzial des Klimawandels: Das globale Klimaregime zwischen Fragmentierung und Resonanzerzeugung

Literatur

6.Rüdiger Mautz: 6. Der Kampf um die postfossile Energiewende

Energie und Gesellschaft

Die Pionierphase der erneuerbare Energien als gesellschaftlicher Bottom-up-Prozess

Internationale Verbreitung der erneuerbaren Energien

Globale Energiewende: noch im Anfangsstadium

Top-down-Prozesse als Treiber erneuerbarer Energien

Das Innovationsparadox der Energiewende

Das »chinesische Paradox«

Energiewende: vom Wachstum des globalen Energieverbrauchs konterkariert?

Der Blick in die Zukunft: Chancen und Hindernisse der postfossilen Energiewende

Die optimistische Sichtweise

Die kritisch-skeptische Sichtweise

Fazit

Literatur

7.Karl-Michael Brunner und Beate Littig: 7. Nachhaltige Produktion, nachhaltiger Konsum, nachhaltige Arbeit: The Greening of Capitalism?

Green Economy: Die Ökologische Modernisierung der Wirtschaft

Das Konzept der Green Economy: Nachhaltige Produktions- und Konsummuster im Fokus

Nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum: Erfolgsgeschichten?

Grüne Ökonomie – grüne Jobs – gute Arbeitsplätze?

Hoffnungsträger green jobs?

Die schwierige quantitative wie qualitative Messung von green jobs

Gute green jobs – auch für Frauen?

KonsumentInnen als Treiber der Nachhaltigkeitstransformation?

Der Bio-Konsum als Erfolgsmodell der green economy?

Die globale Produktion der Nachfrage: Klimaanlagen auf dem Vormarsch

Transformationsperspektiven aus praxistheoretischem Blickwinkel: More than the Greening of Capitalism!

Von individualisierten, dekontextualisierten Konsumentscheidungen zu sozialen Praktiken

Nachhaltige Lebensführung oder: Arbeit und Leben neu denken

Literatur

8.Dieter Rink und Sigrun Kabisch: 8. Urbane Transformationen und die Vision nachhaltiger Stadtentwicklung

Problemstellung

Konzepte Urbaner Transformationen

Die »große« urbane Transformation (WBGU)

Transition Management (DRIFT)

Urbane Transformationen (UFZ)

Die Vision der nachhaltigen Stadtentwicklung

Die Genese des Leitbildes nachhaltiger Stadtentwicklung

Die Umsetzung des Leitbildes nachhaltiger Stadtentwicklung

Zentrale Felder und Modelle urbaner Nachhaltigkeitstransformationen

Die post-fossile Stadt: Klimaschutz

Die resiliente Stadt: Klimaanpassung

Governance urbaner Transformationen

Fazit

Literatur

9.Lutz Laschewski: 9. Landwirtschaft: Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Ernährungssystem?

Modernisierung der Landwirtschaft als Prozess räumlicher und zeitlicher Trennungen

Die Trennung der Landwirtschaft von ihren lokalen Bedingungen

Die Trennung von Stadt und Land

Trennung von Produktion und Konsum

Globale Herausforderungen

Bevölkerungswachstum, Wohlstand und Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten

Ökologische Grenzen der landwirtschaftlichen Produktion

Ernährungssicherung und Nachhaltigkeit: eine Kontroverse

Praktiken, Barrieren und Ambivalenzen der ökologischen Transformation

Relokalisierung

Regulierung der Warenkette

Diskussion

Literatur

Teil C Nationale und internationale Akteure

10.Achim Brunnengräber: 10. Die Vereinten Nationen in der Post-Governance-Ära: Internationale Umweltpolitik, neue Welt(un)ordnung und multiple Krisen

Entstehungsphase internationaler Umweltpolitik

Die UN als Institution im Wandel

Die UN im Schatten des Neoliberalismus

Neue Welt(un)ordnung – neue Grenzen für die UN

Resümee: Umweltpolitik der UN in der Krise

Literatur

11.Lutz Meyer-Ohlendorf: 11. Umwelt, Armut und Entwicklung in Indien: Hemmnisse und Potenziale für eine sozial-ökologische Transformation

Indien – Eckpunkte wirtschaftlicher Entwicklung und ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft

Kleinbäuerliche Landwirtschaft und Subsistenz – Indien vor der britischen Kolonialherrschaft

Das koloniale Indien

Politische und wirtschaftliche Entwicklung Indiens nach der Unabhängigkeit (1947–1991)

Das »neue« Indien – Wirtschaftsreformen, Globalisierung und Wachstum

New Economic Policy NEP

Wachstum, Fortschritt, Umwelt: Reformen unter Narendra Modi (seit 2014)

Schattenseiten wirtschaftlicher Entwicklung

Umwelt- und klimabezogene Folgen des globalen Wandels in Indien

Armut und wachsende Ungleichheit

Gesellschaftliche Ambivalenzen aktueller und zukünftiger Entwicklung

Gesellschaftliche Konfliktlinien zwischen Fortschritt, Nachholender Entwicklung und Tradition

Motive und Themenfelder indischer Umweltbewegungen

Ausblick: Die Große Transformation in Indien

Literatur

12.Anja D. Senz: 12. Zwischen zerstörter Umwelt und Ökolabor: Perspektiven einer sozial-ökologischen Transformation in China

Umweltmanagement als Tradition

Aktuelle Umweltprobleme und deren Folgen

China und der Klimawandel

Gesellschaftliches Umweltbewusstsein

Staatliche Hierarchie- und Koordinationsprobleme

Machen wir den Himmel wieder blau

Vom Klimasünder zum Klimaretter?

Literatur

13.Martin Coy und Frank Zirkl: 13. Brasilien: Chancen und Limitationen sozial-ökologischer Transformation

Die Ausgangslage: Brasilien – Land der Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten

Räumliche Disparitäten und ihre historische Verankerung

Wachstum und Modernisierung um jeden Preis

Ein assoziativ-kapitalistischer Entwicklungsweg

Sozialökologische Folgen einer auf Wachstum und Modernisierung fokussierten Entwicklung

Die Problematik des ländlichen Raumes: Erschließung und Inwertsetzung neuer Frontiers in Amazonien und im Mittelwesten

Die Problematik städtischer Fragmentierung

Eine Wende zur Nachhaltigkeit? Zivilgesellschaftlicher Aufbruch – politische Chancen

Wirkungen des Redemokratisierungsprozesses

Brasilien betritt die globale Bühne

Die politische Wende der Lula-Regierungen: Chance für eine sozialökologische Transformation?

Sozialökologische Transformation zwischen Reformansätzen, Widersprüchen und neuen Unübersichtlichkeiten

Literatur

14.Bernhard Freyer: 14. Landnutzung in Äthiopien: Ansätzeund Widersprüche auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft

Rahmenbedingungen, Problemlagen und Spannungsfelder eines kleinbäuerlich geprägten, einkommensschwachen Entwicklungslandes

Politische Rahmenbedingungen und ökonomische Entwicklungsprogramme

Politische Entwicklungsprogramme seit 2003 – GTPI und GTPII

Growth and Transformation Plan I (2010/11–2014/15)

Growth and Transformation Plan II (2015/16–2020/21)

Kritische Würdigung der Planungsziele und Entwicklungen

Mitbestimmung in der Entwicklung politischer Programme

Technisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft

Großinvestoren in der Landwirtschaft

Privatwirtschaft

Staatseigene landwirtschaftliche Betriebe

Kritische Kommentierung der Entwicklungen

Konturen zukünftiger Entwicklungen

Politische Rahmenbedingungen und Potentiale für Demokratisierungsprozesse

Transformationspfade umwelt- und sozialgerechter Landnutzungsformen

Perspektiven für einen Wandel

Literatur

Teil D Resümee

15.Karl-Werner Brand: 15. Die sozial-ökologische Transformation der Welt: Resümee und Ausblick

Die wachsende Bedeutung von Umweltproblemen – und warum ein globales Erdsystem-Management keine Lösung bietet

Wie lassen sich sozial-ökologische Problementwicklungen und Transformationsdynamiken erklären?

Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Ambivalenzen: Transformationsdynamiken in unterschiedlichen Handlungsfeldern und nationalen Kontexten

Externalisierung – Internalisierung: Der Kampf um eine ökologisch transformierte Moderne

Literatur

Autorinnen und Autoren

Vorwort

Dieser Band hat eine längere Vorgeschichte. Seine jetzige Gestalt verdankt er der (etwas späten) Einsicht, dass es unmöglich ist, eine global angelegte, historisch breiter ausholende empirische Studie zu dieser Thematik auch nur in ihren Kernbereichen alleine zu bearbeiten – zumindest innerhalb eines überschaubaren Zeitraums. Zuvor waren allerding schon zwei Jahre ins Land gegangen, in denen ich mich in den ausufernden gesellschaftstheoretischen Debatten, historischen Analysen und internationalen Vergleichen zur Entwicklung und Veränderung gesellschaftlicher Umweltbeziehungen im 20. und frühen 21. Jahrhundert etwas verloren hatte. Die Frage, wie sich die widersprüchlichen, ambivalenten ökologischen Transformationsdynamiken, die offenkundigen Blockaden aber auch die erstaunlichen, durch ökologische Problemdebatten oder externe Ereignisse immer wieder ausgelösten Veränderungsschübe überzeugend erklären lassen, führte zu immer neuen Entwürfen, die mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen auch regelmäßig diskutiert, dann aber meist auch wieder verworfen wurden. Das ist grundsätzlich zwar ein sehr produktiver wissenschaftlicher Erkenntnisprozess; aber das Zeitgespenst und der Machbarkeitszwang sitzen einem doch immer im Nacken.

Nach zwei Jahren stand so zwar im Großen und Ganzen das theoretische Interpretationsgerüst dieser Studie. Aber es war überhaupt nicht absehbar, wie es gelingen sollte, in den folgenden zwei, drei Jahren die verschiedenen Themenbereiche (darunter auch solche, in die ich mich nicht schon länger eingearbeitet hatte), oder gar die Entwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern, von der ich bisher nur beiläufige Kenntnis hatte, halbwegs angemessen darzustellen. So lag es nahe, nach Mitstreitern zu suchen. Glücklicherweise gelang es auch, Kolleginnen und Kollegen als Co-Autoren zu gewinnen, die sich auf den unterschiedlichen Feldern der Nachhaltigkeitsforschung und im Bereich der umweltbezogenen Länderstudien einen Namen gemacht hatten oder überhaupt als Einzige in der Lage waren, einen historisch und fachlich entsprechend breit angelegten Überblick über die widersprüchlichen Entwicklungsdynamiken in den verschiedenen Transformationsfeldern oder Ländern zu geben. Ihnen allen sei noch einmal herzlich dafür gedankt, dass sie sich auf das ungewisse Abenteuer dieses Buchprojekts eingelassen haben.

Insgesamt weist dieser Band so eine gewisse Asymmetrie auf. Anders als klassische Handbücher enthält er einen umfangreichen ersten Teil, in dem der theoretische und historische Bezugsrahmen der Analyse sozial-ökologischer Transformationsdynamiken entwickelt und am Beispiel der Entwicklung der Umweltregulierungen westlicher Industrieländer verdeutlicht wird. Hier kommen meine eigenen Vorarbeiten zum Tragen. Im Schlusskapitel wird dieser Bezugsrahmen dann noch einmal für eine resümierende Analyse der verschiedenen Beiträge dieses Bandes und für einen Ausblick auf die Zukunft genutzt. Die meisten Autorinnen und Autoren dieses Bandes teilen diesen theoretischen Zugang aber nicht unbedingt, zumindest nicht im Detail, auch wenn niemand einen grundsätzlichen Dissens angemeldet hat. Wir gehören keiner gemeinsamen theoretischen Schule an. Entlang der in mehreren Autorentreffen erarbeiteten Fragestellungen und durch die gemeinsame Diskussion der Rohfassungen der einzelnen Beiträge ist es aber doch gelungen, gemeinsame Perspektiven auf die Probleme und Dynamiken sozial-ökologischer Transformationsprozesse zu entwickeln und damit auch so etwas wie einen roten Faden für die Erstellung der Beiträge zu gewinnen. So hoffe ich, dass es gelungen ist, ein in sich halbwegs konsistentes, informatives, theoretisch herausforderndes Handbuch zur »sozial-ökologischen Transformation der Welt« in den vergangenen gut hundert Jahren zu erstellen. Das ist in etwa der Zeitraum, in dem, je nach Land und Region früher oder später, gezielte Bemühungen einsetzten, die Umweltfolgen beschleunigter Modernisierungs- und Industrialisierungsprozesse ›in den Griff‹ zu bekommen. Der empirische Fokus der Feld- und Länderstudien liegt dabei auf der seit den 1970er Jahren sich beschleunigt vollziehenden Problementwicklung, die überall mit entsprechenden Problemdebatten und heftigen Konflikten einherging und zu neuen Regulierungsansätzen führte. Darüber hat sich die industrielle Moderne – in ihren heute sehr heterogenen, globalisierten Formen – selbst in wesentlicher Hinsicht verändert.

Provoziert wurde dieses Buch, zumindest in seiner speziellen Anlage, nicht zuletzt durch das vom WBGU 2011 erstellte Gutachten zur »Großen Transformation«. Die hier mit großem Aufwand aus einer planetarischen Perspektive entwickelte Transformationsvision hat zwar – zumindest für engagierte Klimawissenschaftler, Umweltpolitiker, NGOs und andere, von den prognostizierte Folgen des Klimawandels zutiefst betroffene gesellschaftliche Akteure – eine hohe Faszinationskraft. Dass damit die Verhältnisse aber nicht zum Tanzen gebracht werden konnten, hat auch mit einer entscheidenden Schwachstelle dieses Gutachtens zu tun: es beschwört eher die Notwendigkeit und Machbarkeit der Transformation, als dass es sich auf die realen Transformationsdynamiken, ihre strukturellen Triebkräfte, Widersprüche und unterschiedlichen Kontextbedingungen einlassen würde. Ökologische Transformationsprozesse sind aber immer zutiefst in gesellschaftliche Verhältnisse und Entwicklungsdynamiken eingelassen. Dieser Aspekt kommt in diesem Handbuch stärker zum Tragen.

Der Schweisfurth-Stiftung sei herzlich gedankt, dass sie dieses Buchprojekt gefördert hat. Dadurch wurden eine Reihe von Autorentreffen und ein vergleichsweise intensiver persönlicher Diskussions- und Rückkopplungsprozess ermöglicht, der diesem Band mit Sicherheit zugutegekommen ist.

Karl-Werner Brand

München, im Juli 2017

Einleitung: Problemstellung und Untersuchungsperspektive

Karl-Werner Brand

Umweltprobleme sind nicht neu. Sie sind Teil der Menschheitsgeschichte. Sie haben auch nicht selten zum Untergang einzelner Gesellschaften geführt (Diamond 2005). Wie uns die Umwelthistoriker lehren, gab es bisher nur wenige Gesellschaften, die »ihre jeweilige Technologie, ihre Organisations- und Wirtschaftsformen und ihre Institutionen auch nur einige Jahrhunderte aufrechterhalten konnten. Immer wieder gerieten die Gesellschaften an die Grenzen der Ressourcen, von denen sie abhängig waren, oder sie zerstörten die sie unterhaltenden Umweltformen, bis es zur Krise kam« (Worster 1994: 96). Für den Kulturanthropologen Marvin Harris sind die Ursprünge aller Kulturen dieser Erde überhaupt nur in solchen tief greifenden Umwelt- und Ressourcenkrisen zu sehen, die zu grundlegend neuen Antworten nötigten (Harris 1977). Dass moderne Industriegesellschaften aufgrund ihrer historisch unvergleichlichen technisch-wissenschaftlichen Innovationspotenziale diesen zyklischen Aufstiegs- und Verfallsprozessen historischer Kulturen nicht mehr unterliegen, gehört zwar zum klassischen Selbstverständnis der Moderne. Der Blick auf exponentiell wachsende globale Umweltprobleme lässt heute gleichwohl erhebliche Zweifel an dieser Selbstdeutung aufkommen.

Das seit den 1950er Jahren zunächst im Westen, sukzessive dann auch in den Industriegesellschaften sowjetischer Prägung sowie in den südlichen Schwellen- und Entwicklungsländern sich ausbreitende Modell industrieller Massenproduktion und industriellen Massenkonsums hat zu exponentiell steigenden Kurven des Ressourcenverbrauchs, zu dramatischen Formen regionaler Luft- und Gewässerverschmutzung, zur beschleunigten Prozessen der Bodenerosion, der Wasserverknappung und des Artensterbens sowie zur umfassenden chemischen Belastung und Veränderung bio-physischer Stoffkreisläufe geführt. Vorangetrieben von den Wachstumsimperativen der kapitalistischen Ökonomie, von sprunghaften technischen Entwicklungen, der leichten Verfügbarkeit fossiler Ressourcen, einem rapiden Bevölkerungswachstum und der beschleunigten Verstädterung der Welt haben diese industriellen Transformationsprozesse der Natur inzwischen ein Ausmaß erreicht, das Geologen veranlasst, von einer neuen Stufe der Erdgeschichte, dem »Anthropozän«, zu sprechen. So tief greifend die damit beschriebenen, anthropogen verursachten Veränderungen im Gefüge und den Dynamiken des »Erdsystems« sind, so tief greifend sind auch die damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen, die durch den Klimawandel eine besondere Dramatik erlangen.

Nun können Industriegesellschaften schon auf eine längere Geschichte der Auseinandersetzung mit lokalen und regionalen Umweltproblemen zurückblicken. Diese hatten Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts erste umfassendere zivilgesellschaftliche wie staatlich-institutionelle Bestrebungen zum Umwelt-, Gesundheits- und Naturschutz hervorgebracht. In Reaktion auf die Verschärfung regionaler und transnationaler Umweltprobleme verbreitete sich dann aber vor allem seit den 1970er Jahren in allen westlichen Industrieländern eine Welle an Umweltbewegungen und umweltpolitischen Reformbestrebungen, die die »Ära der Ökologie« (Radkau 2011) einleiteten. Die Hauptstoßrichtung der umweltpolitischen Reformen der 1970er und 1980er Jahre zielte zunächst darauf, durch den Ausbau neuer institutioneller Regelwerke und Behörden, durch die Verschärfung von »Grenzwerten« und Sicherheitsstandards, gesundheits- und umweltbelastende Emissionen zu reduzieren sowie Abfälle und Abwässer geregelt(er) zu entsorgen. Diese technisch-regulativen Umweltmaßnahmen haben in allen westlichen Industrieländern in den vergangenen Jahrzehnten die lokalen Probleme der Luft-, Gewässer- und Bodenverschmutzung erheblich verringert. Dazu hat allerdings auch beigetragen, dass die stark verschmutzenden Schwerindustrien im Rahmen eines weltweiten wirtschaftlichen Strukturwandels in die neuen Schwellenländer des globalen Südens abgewandert sind. Nicht nur die wirtschaftlichen Wachstumsraten der bevölkerungsreichen Schwellenländer Asiens, Lateinamerikas oder Afrikas, sondern auch die damit verbundenen Verschmutzungsprobleme übersteigen deshalb inzwischen das der hoch industrialisierten westlichen Länder bei weitem. Fehlende ökonomische Ressourcen, Abhängigkeiten von global operierenden Konzernen, autoritäre Regime, extreme interne Ungleichheiten, Korruption und ineffektive Staatsapparate tragen das ihre dazu bei, dass der Grad der Verschmutzung in vielen Fällen noch wesentlich höher ausfällt, als es bei schärferen umweltpolitischen Regulierungen und der Nutzung verfügbarer Umwelt- und Filtertechnologien sein müsste.

Unterstützt das die herkömmliche Annahme, dass die Lösung der Umweltprobleme von Schwellen- und Entwicklungsländern nur eine Frage der Zeit, des Übergangs von frühindustriellen zu modernen Hightech-Gesellschaften ist? Diese Annahme bleibt nicht nur dem überkommenen linearen Modell von Fortschritt und Modernisierung verhaftet, es verkennt auch die Art der Umweltprobleme, mit denen wir es heute zu tun haben. Diese äußern sich nur zum Teil in lokalen Formen der Luft-, Gewässer- und Bodenverschmutzung. Die ökologische Problematik ist vielmehr durch die räumliche Ausdehnung, die enorme Beschleunigung und Tiefe industrieller Naturnutzung in den vergangenen Jahrzehnten längst zu einem globalen Problem geworden – und zwar von der Ressourcen- wie von der Emissionsseite.

Das betrifft erstens die Intensität großtechnischer, industrieller Ressourcenausbeutung und die damit vorangetriebene Erschöpfung natürlicher Ressourcen – ob fossiler Energieträger, mineralischer Rohstoffe oder biologischer Ressourcen wie Böden, Gewässer, Wälder oder Fischgründe. Das betrifft zweitens die weltweite industrielle Transformation von Naturräumen durch Verstädterung, industrielle Landwirtschaft, Verkehrserschließung, großflächige Waldrodungen, Gewässerregulierung oder Ressourcenabbau und den damit verbundenen Verlust an Biodiversität. Das betrifft drittens aber auch die schiere, exponentiell wachsende Menge an material- und energieintensiven Infrastrukturen, Geräten, Produkten und Dienstleistungen, die modernes Leben und Arbeiten in einer hochmobilen, städtisch geprägten Welt überhaupt erst ermöglichen, deren Emissionen und Rückstände sich aber in globalen Nahrungsketten und bio-physischen Stoffkreisläufen anreichern und zu komplexen, räumlich und zeitlich versetzten ökologischen Reaktionen führen (wie z. B. dem Klimawandel).

Alle diese Problemlagen beeinträchtigen nicht nur die natürlichen Lebensräume und die Lebensbedingungen von Pflanzen, Tieren und Menschen, sondern sie erhöhen auch die Verletzbarkeit von Gesellschaften und führen zur Häufung lokaler Umweltkatastrophen. Selbst wenn im Prozess nachholender ökologischer Modernisierung moderne Umwelt- und Filtertechnologien von Industrie- in Schwellen- und Entwicklungsländer transferiert werden, so lassen sich damit zwar die durch die Schadstoffemissionen von Fabriken, Kraftwerken, Verkehr und Haushalten verursachten lokalen Belastungen und Schäden reduzieren. Damit hat sich aber die Gefährdung durch globale, lokal sehr unterschiedlich wirkende Umweltprobleme noch nicht verringert.

Parallel zur Entwicklung komplexerer wissenschaftlicher Modelle und Methoden der Beobachtung und Analyse globaler Ökosysteme, Stoffflüsse, Schadensbefunde und Gefährdungslagen haben sich deshalb in den vergangenen Jahrzehnten auch internationale Bemühungen zur Regulierung transnationaler und globaler Umweltprobleme verstärkt. Das führte nicht nur zu einer explosionsartigen Vermehrung internationaler Umweltabkommen. Transnationale und globale Umweltprobleme waren auch ein treibender Faktor in der Entwicklung neuer flexibler Formen von Governance, in der neben den klassischen nationalstaatlichen Akteuren auch zwischenstaatliche Organisationen, Wissenschaftsgemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen. Umweltpolitische Koordinations- und Steuerungsprobleme lassen sich international nur noch im Rahmen komplexer Mehrebenen-Politiken und unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure lösen. Dem Bezug auf wissenschaftliche Befunde kommt dabei zwar ein zentraler Stellenwert zu; da diese aufgrund der Komplexität der Problemlagen aber meist erhebliche Ungewissheiten aufweisen, sind sie fast immer auch umstritten und politisch zugunsten der einen oder anderen Position instrumentalisierbar.

Die Regulierung von Umweltproblemen stößt darüber hinaus auf nationaler wie auf internationaler Ebene auf grundsätzliche Probleme. Das liegt wesentlich am institutionellen Design der auf nationalstaatliche Interessen und Legitimationsformen, auf Verteilungsprobleme, kurzfristiges Problemmanagement und ressortspezifische Problembearbeitung zugeschnittenen Formen moderner Politik, die auf wirtschaftliches Wachstum fixiert und deshalb in hohem Maße auch von den Dynamiken des Weltmarkts und den Interessen mächtiger wirtschaftlicher Akteure abhängig ist. Das kollidiert in vieler Hinsicht mit den grenzüberschreitenden, ressortübergreifenden, sehr viel längerfristigen Zeitrhythmen folgenden ökologischen Problemlagen. Diese Inkompatibilitäten zeigen sich auch auf der Ebene der Global Environmental Governance (Najam u. a. 2006; Winter 2006).

Die Vielzahl von Umweltregimen und die kaum überschaubare Vielfalt an zwischenstaatlichen Organisationen und Netzwerken, die die jeweiligen Umweltregime begleiten und die Verhandlungsprozesse am Laufen halten, ermöglichen zwar internationale Lern- und Anpassungsprozesse; wie die Klimaverhandlungen zeigen, bieten sie offensichtlich aber keinerlei Gewähr für substantielle Problemlösungen (Jakob u. a. 2007; Breitmeier u. a. 2009). Dem widerspricht auch nicht der international gefeierte Durchbruch auf dem Pariser Klimagipfel vom Dezember 2015. Substantielle Fortschritte in internationalen Klimaregimen gibt es offensichtlich immer nur dann, wenn alle relevanten Akteure davon überzeugt werden können, dass der Kampf gegen den Klimawandel langfristig auch für sie selbst wirtschaftliche Vorteile bringt.1 Das ist eine vergleichsweise seltene Konstellation. Auch wenn internationale Regulierungen für die meisten »global commons«-Probleme unverzichtbar sind, stellt sich deshalb doch die Frage, ob die Entwicklung alternativer, ökologisch verträglicherer Praktiken nicht auf anderen Wegen wirksamer oder zumindest ebenso wirksam vorangetrieben werden kann: etwa durch die internationale Diffusion innovativer umweltpolitischer Steuerungsmodelle (z. B. des »Erneuerbaren Energiegesetzes«), durch die Verbreitung »grüner« Technologien über den Marktmechanismus, durch internationale Netzwerke kommunaler Klimainitiativen, durch die Verbreitung neuer Modelle solidarischer Ökonomie oder durch die Veränderung von Lebens- und Konsumstilen, die eine steigende Nachfrage nach ökologisch und fair produzierten Gütern schaffen (könnten).

Einen erheblichen Schub zu einer systematischeren Integration von Umweltkriterien in die klassischen Politikfelder der Wirtschafts-, Energie-, Verkehrs-, Bau- oder Landwirtschaftspolitik brachte das im Bericht der Brundtland-Kommission »Our Common Future« (WCED 1987) entwickelte, in der UNCED-Konferenz in Rio 1992 dann offiziell in internationalen Dokumenten und Konventionen verankerte Konzept der »nachhaltigen Entwicklung«. Dieses Leitbild steht für einen Kurswechsel in der klassischen Entwicklungspolitik der UN. Nicht das Wachstumsziel als solches, wohl aber das umweltbelastende, den Bestand natürlicher Ressourcen gefährdende herkömmliche Modell wirtschaftlichen Wachstums soll zugunsten eines ökologisch modernisierten »qualitativen« oder »nachhaltigen Wachstums« aufgegeben werden. Da dies vor allem eine Veränderung industrieller Produktions- und Konsummuster voraussetzt, führte die Aufbruchsstimmung der Rio-Konferenz, unter Bezug auf das dort verabschiedete Aktionsprogramm »Agenda 21«, auch zu einer neuen, weltweiten Welle an Initiativen (Lokale Agenda 21-Prozesse), die das Ziel verfolgten, nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene voranzutreiben. Das internationale Leitbild der nachhaltigen Entwicklung nötigte aber auch nationale Regierungen und Parlamente zur Entwicklung integrativer, querschnittsorientierter Nachhaltigkeitsstrategien und Aktionsprogramme.

Ein Großteil dieser Initiativen versickerte wieder zu Beginn des neuen Jahrhunderts. In den USA hatte »9/11«, der verheerende Anschlag auf das World Trade Center, dem »Krieg gegen den Terrorismus« neue Priorität verschafft. Ende 2006 sensibilisierte der »Stern-Report« zwar eine breite politische Öffentlichkeit für die Kosten des Klimawandels, vor allem für die vergleichsweise geringen Kosten einer möglichst früh einsetzenden, konsequenten Politik des Klimaschutzes. Und im Frühjahr 2007 sorgte dann der vierte Bericht des internationalen Klimarats (IPCC) zu den erwartbaren katastrophalen Folgen des Klimawandels in vielen Ländern der Welt für ein gewaltiges Medienecho. Eine international als »Klima-Queen« gefeierte Bundeskanzlerin erklärte im selben Jahr die »Klimafrage zur Überlebensfrage der Menschheit«. Die Ende 2007 in den USA einsetzende, nach und nach die ganze Welt erfassende Finanz- und Wirtschaftskrise ließ Klima- und Umweltfragen allerdings rasch wieder in den Hintergrund treten. Neben tief greifenden ökonomischen und sozialen Problemlagen bestimmen seither vor allem politische Krisen, Kriege im Nahen Osten, radikal-islamistischer Terror, Flüchtlingsströme und ein insbesondere in den westlichen Ländern auffälliger Rechtsruck die politische Tagesordnung. Drohende – und real stattfindende – Umwelt- und Klimakatastrophen sind in diesem Rahmen nur ein Aspekt einer vielgestaltigen Krisenkonstellation.

Die Klimaproblematik verschärft sich indessen weiter. 2014 emittierte die Welt 30 Prozent mehr Treibhausgase als 2007 und der Zuwachs ist ungebrochen. Die Grönlandgletscher schmelzen fünfmal schneller als es die Forscher noch vor zehn Jahren erwartet haben. Die Extremwetter nehmen zu – auch in Europa. Die Stimmen derer, die einen drastischen Kurswechsel, eine neue Bündelung gesellschaftlicher Anstrengungen fordern, um Problementwicklungen nicht vollends ins Chaotische, Unkontrollierbare kippen zu lassen, sind in den vergangenen Jahren deshalb auch immer lauter geworden. In Deutschland hat so der »Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« 2011 ein viel beachtetes Jahresgutachten vorgelegt, in dem ein neuer »Gesellschaftsvertrag« propagiert wird, der die »Große Transformation« hin zu einer dekarbonisierten Wirtschafts- und Lebensweise in raschen Schritten voranbringen soll (WBGU 2011). Diese Forderungen fanden allerdings weder in der ein Jahr später stattfindenden »Rio+20«-Konferenz der Vereinten Nationen, noch in den nationalen Politiken ein nennenswertes Echo – auch wenn die atomare Katastrophe in Fukushima im März 2011 die politischen Routinen zumindest in Deutschland für kurze Zeit erschütterte und die »Energiewende« programmatisch zu einem zentralen Projekt der Regierung werden ließ. Aber auch diese »Wende« wird inzwischen im Alltag politischer Interessenkonflikte klein gekocht und zeitigt eine ganze Reihe paradoxer Effekte.

Gleichzeitig gewinnt die zivilgesellschaftliche Transformationsdebatte, der Chor der Wachstumskritiker, der »Degrowth«- und »Postwachstums«-Verfechter, an Gewicht. Darüber, dass sich das Bruttoinlandsprodukt nur noch sehr begrenzt als Indikator für gesellschaftliche Wohlfahrt und Zufriedenheit eignet, besteht inzwischen zwar ein gewisser Konsens. Es fehlt allerdings an institutionellen Konsequenzen; Wachstum ist nach wie vor die zentrale Bezugsgröße der Politik in Ländern des Nordens wie des Südens. In vielen gesellschaftlichen Nischen wird gleichwohl in unterschiedlichsten Facetten mit alternativen, sozial und ökologisch orientierten Lebensstilen experimentiert. Manches davon ist bereits Mainstream geworden. Zumindest in westlichen Ländern hat das Bedürfnis, seinen Konsum an ökologischen und »fairen« Kriterien zu orientieren, inzwischen einen hohen Stellenwert erlangt. Ob »urban gardening«, vegane Ernährung, hippe Öko-Design-Textilien oder ethisch korrektes Banking – Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sind in Teilen der Bevölkerung absolute Trendthemen. Aber auch generell wächst das Bedürfnis nach Einfachheit und Entschleunigung, nach einer neuen Balance von Arbeit, Freizeit, Partnerschaft und Familie. »Downshifting«, das Hamsterrad des stressigen Arbeits- und Alltagslebens einen Gang herunter zu schalten, erscheint vielen attraktiv, wenn auch nur schwer umsetzbar. Dafür boomt der Markt für Wellness, für entschleunigende Wohlfühlangebote, die kompensatorisch in stressige, hochgradig flexibilisierte, auf individuelle Selbstoptimierung verpflichtete Alltagswelten der Mittel- und Oberschichten eingebaut werden. Auch die neuen, durch das Internet begünstigten Formen der »Share Economy«, des gemeinsam geteilten Konsums, werden von vielen als Abschied vom klassischen Besitzdenken gefeiert und als Teil einer sozial-ökologischen Wende von unten wahrgenommen.

Fragestellung

Die Frage ist, zu welchen Mustern sich diese widersprüchlichen Tendenzen fügen. Dass sich seit den 1970er Jahren eine tief greifende ökologische Transformation von Problemwahrnehmungen, von Natur- und Weltdeutungen, von institutionellen Regulierungen, technischen Problemlösungen und Alltagspraktiken vollzogen hat, ist unbestreitbar (vgl. Radkau 2011). Die Frage ist aber, ob es damit auch gelungen ist, die zentralen Trends globaler Umweltbelastung zu brechen und die Formen der Naturnutzung in eine umweltverträglichere Richtung zu lenken – oder ob die gängigen Lösungsstrategien nur zu Problemverschiebungen und paradoxen Nebeneffekten geführt haben. Verweist der allgegenwärtige ökologische Krisendiskurs der Medien, die omnipräsente Nachhaltigkeitsrhetorik von Politik und Wirtschaft, das internationale Karussell von Klimakonferenzen, die zahllosen Forschungsprogramme und die anschwellende Flut an Publikationen zu Umwelt-, Klima- und Energiefragen nur auf einen »volltönenden Stillstand« in den Bemühungen, fortschreitende, globale Umweltprobleme in den Griff zu bekommen (Uekötter 2011)? Oder lassen sich über die vergangenen Jahrzehnte hinweg doch spezifische Lerneffekte und Paradigmenwechsel im Umgang mit ökologischen Problemen identifizieren? Wären die ökologischen Folgen des weltweiten Industrialisierungsprozesses ohne die Neuformierung der Umweltbewegung und eines breiten umweltpolitischen Engagements auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene in den vergangenen Jahrzehnten nicht noch wesentlich dramatischer als sie heute sind? Warum scheitern aber meist konsequentere, von Umweltbewegungen und Teilen der Wissenschaft als notwendig erachtete umweltpolitische Kurskorrekturen – und warum gelingen manchmal doch überraschende Durchbrüche? Wie lassen sich in hochkomplexen transnationalen Problem- und Handlungsfeldern, in denen sehr heterogene Akteuren mit unterschiedlichen Interessen, Betroffenheiten, Problemwahrnehmungen, Handlungspräferenzen und Machtressourcen aufeinander treffen, überhaupt innovative Lösungen und Regulierungsformen für Umweltprobleme finden? Und welchen Stellenwert haben all die innovativen, zivilgesellschaftlichen Reformansätze und Nischenpraktiken in den verschiedenen Teilen der Welt für diesen Transformationsprozess? Haben die auf der ganzen Welt sich sprunghaft verbreiternden Ansätze einer sozial-ökologischen Transformation von unten nicht längst einen sehr viel tiefer greifenden strukturellen Transformationsprozess in die Wege geleitet, als dies auf der institutionellen Ebene der wachstumsfixierten politischen und wirtschaftlichen Handlungsprogramme erkennbar ist?

Diese und viele andere Fragen bedürfen der eingehenderen Diskussion, um ein Gesamtbild der Dynamiken, Blockaden und Ambivalenzen des ökologischen Transformationsprozesses der Welt im frühen 21. Jahrhundert zu gewinnen. Wir gehen dabei von der Einsicht aus, dass die Entstehung von und der Umgang mit Umweltproblemen untrennbar mit den jeweils dominanten gesellschaftlichen Organisationsmustern, Problem- und Konfliktlagen verknüpft ist. Die Dynamiken der ökologischen Transformation moderner Gesellschaften lassen sich deshalb nur dann angemessen begreifen, wenn es gelingt, diese Verflechtungen zu rekonstruieren. Da die jeweiligen Strategien ökologischer Problembearbeitung primär gesellschaftliche Handlungsrationalitäten und erst sekundär die komplexen Sachlogiken ökologischer Problemlagen reflektieren, produzieren sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht intendierte, paradoxe Effekte, die zu immer neuen Rückkopplungsschleifen von kontroversen Problemdebatten, inkrementellen Lösungsstrategien und neu auftretenden Nebenfolgen führen. Welche Transformationsdynamiken sich daraus insgesamt ergeben, ist der Gegenstand dieser Studie.

Untersuchungsperspektive

Die Studie zielt auf eine empirische Bilanz dieser Transformationsprozesse auf den verschiedenen Handlungsfeldern und in den verschiedenen Teilen der Welt, insbesondere dort, wo industrielle Modernisierungsprozesse das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben bereits seit längerem geprägt haben oder zunehmend prägen. Eng verknüpft mit den Dynamiken des Weltmarkts und der informationstechnischen Globalisierung hat die industrielle Modernisierung heute nahezu alle Gesellschaften der Erde mehr oder weniger stark verändert. Gleichwohl unterscheiden sich die früh industrialisierten Länder des Westens in erheblichem Maße von den postsozialistischen Ländern, die das sowjetische Modell industrieller Modernisierung im 20. Jahrhundert durchlaufen haben. Und sie unterscheiden sich noch stärker von den heutigen »Schwellen«- und »Entwicklungsländern«,2 in denen industrielle und ökonomische Modernisierungsprozesse auf breiter Fläche erst seit einigen Jahrzehnten an Fahrt gewonnen haben und die darüber hinaus, zumindest partiell, auch eigenen, nicht-westlichen Modernisierungsmodellen folgen. Alle diese Ländergruppen weisen sehr unterschiedliche politische, wirtschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen auf. Sie sind in unterschiedlicher Weise in das kapitalistische Weltsystem eingebunden und durch unterschiedliche koloniale Hypotheken geprägt. In fast allen Schwellen- und Entwicklungsländern besteht zwischen den am westlichen Wohlstandsmodell orientierten neuen Ober- und Mittelschichten der Großstädte, den Bewohnern der städtischen Slums und den ländlich-agrarischen Bevölkerungsschichten eine gewaltige soziale Kluft. Aber auch altindustrielle Länder sind heute unter dem Druck wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse in wachsendem Maße von Deindustrialisierung, sozialer Prekarisierung und Armut betroffen. Das alles paart sich mit regional sehr unterschiedlich verteilten Umweltbelastungen, Katastrophenrisiken und umweltpolitischen Reformansätzen.

Eine global angelegte Bilanzierung der ökologischen oder sozial-ökologischen Transformation der modernen Welt steht so vor gewaltigen methodischen und konzeptionellen Problemen. Sie muss (1) den Untersuchungsgegenstand zeitlich und sachlich eingrenzen. Da nicht die Vielfalt individueller Entwicklungen nachgezeichnet werden kann, muss sie (2) eine exemplarische Auswahl von Themenfeldern und Ländern treffen, an denen sich typische Entwicklungsmuster aufzeigen lassen. Sie muss (3) klären, aus welcher Perspektive sie die beobachtbaren Transformationen untersucht, was im Rahmen dieses Bandes unter dem Begriff der »sozial-ökologischen Transformation« verstanden wird. Sie muss (4) aber auch den theoretischen Bezugsrahmen verdeutlichen, der dem Handbuch insgesamt zugrunde liegen. Darauf wird in diesem einleitenden Kapitel allerdings nur kurz verwiesen. Der theoretische Bezugsrahmen wird in Teil A (Kapitel 1,2 und 4) ausführlich erläutert und am Beispiel der Entwicklung westlicher Industriegesellschaften historisch verdeutlicht (Kapitel 3). Er liegt auch der Bilanzierung der verschiedenen Beiträge dieses Handbuchs im Schlusskapitel zugrunde. Die hier versammelten Autoren vertreten allerdings keinen gemeinsamen theoretischen Ansatz. Sie entstammen unterschiedlichen disziplinären – wenn auch überwiegend sozialwissenschaftlichen – Kontexten und nutzen unterschiedliche theoretische Konzepte zur Analyse ihrer Themenbereiche. Die Entwicklung des theoretischen Bezugsrahmens wurde gleichwohl in verschiedenen Stadien auf diversen Autorentreffen (in unterschiedlichen Zusammensetzungen) gemeinsam diskutiert. Das hat zumindest zu einer gewissen Homogenisierung der Fragestellung und der theoretischen Untersuchungsperspektive geführt. Gleichwohl ist das hier entwickelte Interpretationsmodell, insbesondere was seinen gesellschaftstheoretischen Kern der zyklisch-strukturellen Analyse von Modernisierungs- und Globalisierungsdynamiken betrifft, allein vom Herausgeber zu verantworten.

(1) Wie eingangs bereits festgestellt, begleiten Umweltprobleme die Menschheit von Anfang an. Das können unmittelbare Bedrohungen durch die natürliche Umwelt sein (Fressfeinde, Mikroben, Krankheitskeime und Seuchen, Überschwemmungen und Dürren, Vulkanausbrüche etc.). Umweltprobleme können sich aber auch aus einem raschen Bevölkerungswachstum (und der entsprechenden Verknappung von Nahrungsmittel), aus einer für Agrargesellschaften oft typischen Übernutzung von Böden und Wäldern oder auch aus dem Umfang und der Eingriffstiefe industrieller Formen der Naturnutzung ergeben. Die jeweils dominanten Gefährdungslagen verändern sich historisch und sie werden auch kulturell jeweils anders gedeutet und reguliert.

Im Rahmen dieser Studie stehen die aus den beschleunigten Modernisierungs- und Industrialisierungsprozessen, aus den expansiven Dynamiken wirtschaftlichen Wachstums und gesellschaftlicher Globalisierung sich ergebenden ökologischen Folgeprobleme und Gefährdungslagen der heutigen Welt im Vordergrund – und die spezifischen Formen ihrer gesellschaftlichen Bearbeitung. Drastische Luft-, Gewässer- und Bodenverschmutzung gab es lokal und regional zwar bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert im Umfeld der neuen industriellen Ballungszentren. Aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts verdichteten sich zum einen die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Zusammenhänge von industriellen Emissionen und Gesundheitsschäden sowie über die Ursachen verheerender städtischer Seuchen (insbesondere der im 19. Jahrhundert auch in Europa grassierenden Choleraepidemien), die »moderne«, wissenschaftlich fundierte Reaktionsformen ermöglichten. Erst in dieser Zeit formierten sich zum anderen in den bereits stärker industrialisierten Ländern Europas und der USA auch breitere großstadt- und zivilisationskritische »Zurück-zur Natur«-Bewegungen, die den Resonanzboden für die Entwicklung der modernen Naturschutzbewegung darstellten. Die in dieser Studie betrachtete Zeitspanne reicht zwar grundsätzlich vom späten 19. Jahrhundert, von der Herausbildung moderner Stadthygiene und Naturschutzbewegungen bis zu Gegenwart. Da ein derart weit greifender internationaler historischer Vergleich den Rahmen dieses Bandes aber zugleich sprengen würde und sich die Ausgangsfrage ohnehin auf die verwirrende Vielfalt und Widersprüchlichkeit aktueller ökologischer Transformationsprozesse bezieht, liegt der Fokus der hier versammelten Beiträge auf den Dynamiken der seit den späten 1960er Jahren zunächst im Westen einsetzenden neuen Umweltdebatten. Entzündeten sich diese zunächst an den Folgeproblemen des beschleunigten wirtschaftlichen Wachstums und der seit den 1950er Jahren sich herausbildenden neuen »Konsumgesellschaften«, so erlangte die Umweltproblematik seither, parallel zur globalen – wenn auch hochgradig ungleichzeitigen und ungleichen – Verbreitung industrieller Produktions- und Wohlstandsmodelle, in allen Teilen der Welt eine immer zentralere Rolle.

(2) Wie lassen sich aus der kaum überschaubaren Fülle unterschiedlicher nationaler Einzelbefunde typische Muster und generelle Trends ökologischer Transformationsprozesse herausarbeiten? Die Studie verfolgt zu diesem Zweck eine doppelte Strategie. Sie beleuchtet zum einen in einer Querschnittsperspektive spezifische Problem- und Transformationsfelder (Teil B). Auch wenn in den Beiträgen nicht alle umweltrelevanten Transformationsfelder abgedeckt sind, so sind die ausgewählten thematischen Felder – Klimawandel (Fritz Reusswig), Energiewende (Rüdiger Mautz), Transformationen in Wirtschaft & Konsum (Karl-Michael Brunner und Beate Littig), urbane Transformationen (Dieter Rink und Sigrun Kabisch) und Transformationen der Landwirtschaft (Lutz Laschewski) – doch heterogen genug, um einerseits typische feldspezifische Muster, andererseits aber auch generelle Trends und Ambivalenzen ökologischer Transformation sichtbar machen zu können.

Die Studie beleuchtet zum anderen unterschiedliche nationale und internationale Handlungskontexte (Teil C). Der Grund dafür ist, dass die jeweiligen nationalen Kontexte und ihre historischen Prägungen eine entscheidende Rolle sowohl für die Verursachung als auch die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bearbeitung von Umweltproblemen spielen. Zentrale Unterschiede bestehen dabei zwischen den hochindustrialisierten westlichen und den überwiegend kolonial geprägten Ländern der »Dritten Welt«, den heutigen Schwellen- und Entwicklungsländern in Asien, Afrika und Lateinamerika.3 Der historischen Entwicklung folgend gehen wir von den westlichen Industrieländern aus (vgl. Kapitel 3).4 Diese haben nicht nur das heute weltweit verbreitete Modell von Industrialisierung und wirtschaftlicher Entwicklung hervorgebracht und dabei – zusammen mit dem sowjetischen Modell schwerindustrieller Entwicklung – einen Großteil der bisherigen Umweltschäden verursacht, sondern sie haben seit den 1960er und 1970er Jahren auch forcierte Anstrengungen zur Bekämpfung der Umweltprobleme unternommen. In den westlichen Industrieländern hat sich seither ein breites Spektrum von Umweltwissenschaften etabliert. Hier wurden die fortgeschrittensten Umwelt- und Entsorgungstechnologien entwickelt. Hier entstanden die Blaupausen moderner Umweltpolitik, die dann auch in Schwellen- und Entwicklungsländern zur Anwendung kamen. Westliche Industrieländer stehen darüber hinaus international unter Druck, aufgrund ihrer historischen Hypotheken auch einen Großteil zur Lösung der globalen Umweltprobleme beizutragen. Aufgrund der Stärke seiner Ökologiebewegung und der relativ hohen Bedeutung der Umweltproblematik in der öffentlichen Debatte ist Deutschland ein exponiertes Beispiel für die Art und Weise, wie moderne Industriegesellschaften die ökologische Herausforderung aufgreifen und sie bearbeiten.

Von gleicher und zunehmend wachsender Bedeutung sind aber auch die heutigen bevölkerungsreichen Schwellenländer. Sie haben in vielerlei Hinsicht andere Umweltprobleme und weisen andere Vulnerabilitäten auf als die hoch industrialisierten Länder des Nordens – und sie haben andere, eigenständige Traditionen im Umgang mit diesen Problemen. Sie sind, mit Ausnahme Chinas, durch (post)koloniale Hypotheken und weltwirtschaftliche Abhängigkeiten geprägt. Sie weisen eine hohe wirtschaftliche Wachstums- und Modernisierungsdynamik auf, aber auf einem, verglichen mit dem Westen, sehr viel niedrigeren Wohlstandniveau. Sie sind durch hohe Ungleichheit, räumlich fragmentierte Entwicklungsdynamiken und ethnische Konflikte geprägt. All das bestimmt auch den Umgang mit aktuellen Umweltproblemen. Die hier für Fallstudien ausgewählten drei Schwellenländer – Indien (Lutz Meyer-Ohlendorf), China (Anja Senz) und Brasilien (Martin Coy und Frank Zirkl) – haben nicht nur eine wachsende globale Bedeutung, sie weisen auch sehr unterschiedliche Prägungen auf. Sie können damit die Vielfalt und Unterschiede sozial-ökologischer Transformationsdynamiken deutlich machen. Große Unterschiede sind auch in der sehr heterogenen Gruppe von Entwicklungsländern zu erwarten. Wir wählen hier Äthiopien als Fallstudie aus (Bernhard Freyer), das seinerseits wieder für ein breiteres Spektrum ostafrikanischer Länder steht, die mit ähnlichen Umwelt- und Entwicklungsproblemen zu kämpfen haben.

Die Bearbeitung und Regulierung von Umweltproblemen vollzieht sich aber nicht nur auf nationalstaatlicher Ebene. Mit dem wachsenden Gewicht globaler Umweltprobleme haben neue Formen globaler environmental governance erheblich an Bedeutung gewonnen. Darin spielen – neben den Nationalstaaten und supranationalen Akteuren wie der EU – die Vereinten Nationen, internationale Umweltregime, NGOs, Wirtschaftsorganisationen, die internationale »scientific community« und transnationale zivilgesellschaftliche Netzwerke eine entscheidende Rolle. Auch diese Handlungsebene und die mit ihr verknüpften Probleme globaler, koordinierter Regulierung werden hier deshalb genauer beleuchtet (vgl. den Beitrag von Achim Brunnengräber).

(3) Welches Transformationsverständnis, oder genauer, welches Verständnis von »sozial-ökologischer Transformation« liegt diesem Handbuch zugrunde? Dieser Begriff hat sich in den vergangenen Jahren rasch verbreitet. Er ist die Antwort auf die verschärfte Krisenstimmung, die sich nach dem vierten Bericht des Weltklimarats (IPCC) von 2007, vor allem aber seit der im Jahr danach ausbrechenden Weltwirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise in den westlichen Ländern verbreitet hat. Das etablierte Leitbild der »nachhaltigen Entwicklung« schien in dieser Situation keine adäquate Antwort mehr auf die »multiple Krise« und das Bedürfnis einer grundlegenden, strukturellen Veränderung zu geben (Brand 2009). Der »Transformations«-Begriff füllt nun rasch diese Lücke. Das Hauptgutachten des WBGU von 2011 unter dem Titel »Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation« gewinnt in dieser Situation eine hohe Symbolkraft als Referenztext einer neuen, von der Problematik des Klimawandels getriebenen Transformationsdebatte, die auf den raschen Umbruch fossiler Industriegesellschaften in Richtung eines dekarbonisierten, auf erneuerbaren Energien beruhenden Gesellschaftsmodells zielt. Diese (geforderte) »große Transformation« wird, was ihre Reichweite betrifft, mit der neolithischen und der industriellen Revolution gleichgesetzt. Auch in der links-ökologischen Szene verbreitet sich nun schnell eine neue, stärker kapitalismuskritisch geprägte Debatte um die notwendige »sozial-ökologische Transformation«, die eine produktive Antwort auf die multiplen sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen geben soll (vgl. Demirovic 2011; Tauss 2016). Aber auch die neuen »Sustainable Development Goals« atmen diesen neuen Aufbruchs- und Transformationsgeist. Das im September 2015 von der UN verabschiedete Programm »Transforming our World – The 2030 Agenda for Sustainable Development« beabsichtigt ja nicht weniger, als Armut auszurotten, den Planeten zu schützen und Wohlstand für alle zu sichern – und das innerhalb der nächsten 15 Jahre (vgl. Präambel der 2030 Agenda).

Aus diesem Kontext ist inzwischen eine (zumindest in Deutschland) florierende »Transformationsforschung« erwachsen, die die Voraussetzungen und Möglichkeiten eines beschleunigten gesellschaftlichen Umbaus in Richtung einer klimaverträglichen, nachhaltigen Gesellschaft – oder auch noch breiter, in Richtung einer durch die neuen »Sustainable Development Goals« definierten nachhaltigen Zukunft – bestimmen und befördern soll.5 Im angelsächsischen Sprachraum wird der zielorientierte, aktiv gestaltete »Übergang« von einem bisherigen zu einem neuen, normativ gewünschten Zustand zwar als Transition bezeichnet. Entsprechende Forschungen im Nachhaltigkeitsbereich laufen deshalb üblicherweise auch unter dem Etikett der »Sustainability Transition« (vgl. Markard u. a. 2012). Im Deutschen hat sich in den vergangenen Jahren aber ganz generell, nicht nur im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung, der Transformationsbegriff für die Analyse gesellschaftlicher Übergänge durchgesetzt (vgl. Kollmorgen u. a. 2015; Merkel 2000; Reißig 2009; Schneidewind 2013). Entscheidend ist, dass es dabei immer um die Frage geht, mithilfe welcher strategischen Ansatzpunkte, welcher sozialen und technischen Innovationen, welcher neuen Governance- und Forschungsformen der Übergangsprozess in nachhaltige, klimaverträgliche Gesellschaften befördert und bestehende Pfadabhängigkeiten überwunden werden kann.

Diese Begriffsverwendung kollidiert nun allerdings mit einem bereits länger etablierten Verständnis »gesellschaftlicher Transformation«, das darunter längerfristige, umfassende, krisenhafte Wandlungsprozesse gesellschaftlicher Strukturen versteht. Historische und sozialwissenschaftliche Transformationsforschung versucht diese strukturellen Wandlungsprozesse in ihren treibenden Faktoren, Krisendynamiken, Umbrüchen und Neustrukturierungen zu rekonstruieren und zu erklären. Diese Entwicklungsdynamiken lassen sich allerdings immer erst im historischen Rückblick in ihren Gesamtkonturen erkennen. In der Nachhaltigkeitsforschung dient seit einiger Zeit Karl Polanyis Studie »The Great Transformation« (1977) als exemplarisches Beispiel für eine solche Transformationsstudie. In ihr wird der Übergang von der agrarisch-feudalen zur modernen, kapitalistischen Industriegesellschaft als krisenhafter sozialer »Entbettungsprozess« von Marktdynamiken rekonstruiert, der historisch von Versuchen der sozialen »Wiedereinbettung« (Sozialstaat) begleitet wird. Das durch das Begriffspaar disembedding/reembedding charakterisierte Konzept gesellschaftlicher Transformation bietet dann auch direkte Anschlussmöglichkeiten für die ökologische Problematik. Die Frage ist allerdings, ob sich Polanyis Studie als Bezugsfolie einer vor allem aus klimapolitischen Gründen geforderten neuen »Großen Transformation« eignet. Die WBGU-Studie postuliert ja zunächst nur die Notwendigkeit eines umfassenden gesellschaftlichen Strukturwandels, um einen weiteren Anstieg der Klimaerwärmung um mehr als zwei Grad und damit das Umkippen des Weltklimas in einen unkontrollierbaren, chaotischen Zustand zu verhindern. Welche Umbrüche und Wandlungsprozesse sich aber tatsächlich vollziehen oder in Reaktion auf wahrgenommene regionale und globale Umweltprobleme bereits vollzogen haben, ist eine ganz andere Frage. Diese steht hier im Vordergrund.

Wenn sich historische Strukturbrüche – trotz der Versuche einflussreicher gesellschaftlicher Akteure (Politik, soziale Bewegungen, Wirtschaft etc.) diese Umbruchsprozesse jeweils in ihrem Sinne zu steuern – bisher immer als evolutionäre, emergente, in ihrer Gesamtdynamik ungesteuerte Prozesse vollzogen haben, so stellt sich allerdings die Frage, ob dies auch für die Zukunft, für die anstehenden tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformationsprozesse noch so gilt. Zumindest der WBGU und viele andere Nachhaltigkeits- und Klimaforscher gehen davon aus, dass die notwendige »Große Transformation« innerhalb eines sehr engen Zeitfensters politisch gestaltet werden muss, um katastrophale Entwicklungen zu vermeiden. Diese »Gestaltung des Unplanbaren« wird zwar als schwierig, grundsätzlich aber als möglich erachtet. Der WBGU plädiert deshalb auch für einen »neuen Weltgesellschaftsvertrag«, der einen starken, auf erweiterter bürgerschaftlicher Partizipation beruhenden »gestaltenden Staat« ermächtig, diesen Transformationsprozess aktiv voranzutreiben.6

Angesichts der Schwierigkeiten globaler Kooperation, der hochgradigen globalen Ungleichheiten (in Bezug auf Wohlstand und Vulnerabilität) und der höchst kontroversen Debatten um die Bestimmung dessen, was, mit welchem Ziel, wie transformiert werden soll, erscheint diese Erwartung doch mehr als optimistisch. Auch wenn ökologische Transformationsprozesse heute in starkem Maße wissenschaftlich verankert sind, so bleiben doch grundlegende Differenzen über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten der verschiedenen Problemlagen bestehen. Daraus erwachsen komplexe, widersprüchliche, umkämpfte Veränderungsdynamiken. Das gehäufte Auftreten von Umweltkatastrophen kann dabei, muss aber keineswegs umweltpolitische Reformprozesse vorantreiben. Es kann auch Ressourcenkonflikte, Bürgerkriege und zwischenstaatliche militärische Konflikte schüren. Es ist auch keineswegs klar, dass die bisher eingeschlagenen institutionellen Transformationspfade die ökologischen Probleme tatsächlich entschärfen. Viele Stimmen engagierter Umweltakteure und Umweltwissenschaftler lassen daran zweifeln.

Gleichwohl bewegt sich die aktuelle sozial-ökologische Transformationsdebatte auf einem historisch neuen Terrain. Die neue globale Verantwortungszurechnung für die zukünftige Entwicklung des Erdsystems, der nicht nur von Bewegungsakteuren und Wissenschaftlern sondern auch von etablierten politischen Akteuren verfolgte Anspruch, den Übergang in eine postkarbone Gesellschaft durch international koordinierte Maßnahmen zu steuern, schafft auch einen neuen Typus von Gesellschaftstransformation. Auch wenn sich gesellschaftliche Transformationsprozesse wohl auch weiterhin nur als ineinander verschränkte »intentionale, eingreifende, gestaltende und zugleich eigendynamische, evolutionäre Entwicklungsprozesse« begreifen lassen (Reißig 2009: 34), so stehen sie nun doch, zumindest was zentrale sozial-ökologische Entwicklungsdynamiken betrifft, unter dem radikaleren Anspruch einer umfassenden kollektiven Gestaltung. Die Frage ist, welche neuen Konfliktkonstellationen, institutionellen Innovationen und Transformationsdynamiken aus diesem Anspruch erwachsen.

Die im Rahmen dieses Bandes verfolgte Untersuchungsperspektive bewegt sich zwar unvermeidlich im Horizont dieser aktuellen Problemdebatten und Gestaltungsansprüche. Sie orientiert sich aber nicht an einer bestimmten normativen Vision einer »großen« Transformation, wie sie von den Vertretern des ökologischen Modernisierungsmodells, der Postwachstums-Perspektive oder links-ökologischer, kapitalismuskritischer Strömungen verfolgt wird. Sie bezieht sich vielmehr reflexiv-beobachtend auf diese gesellschaftlichen Debatten und die dadurch ausgelösten Veränderungen. Im Rahmen dieses Bandes geht es somit nicht um die Frage, wie sich ein bestimmtes Transformationsprojekt am besten durchsetzen lässt, sondern um die Analyse der empirisch beobachtbaren Transformationsdynamiken, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in Reaktion auf wachsende Umweltprobleme auf unterschiedlichen Entwicklungsfeldern und in unterschiedlichen nationalen und transnationalen Kontexten vollzogen haben und weiterhin vollziehen. Diese Veränderungen beziehen sich zunächst zwar (nur) auf die problematisch gewordenen Formen gesellschaftlicher Naturnutzung. Gesellschaftliche Naturverhältnisse sind aber untrennbar mit gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungsdynamiken verbunden. Gesellschaftliche Naturverhältnisse sind immer nur die Kehrseite gesellschaftlicher Verhältnisse. Die hier untersuchten Transformationsprozesse sind deshalb im strengen Sinn auch nicht (nur) soziale oder ökologische, sondern »sozial-ökologische« Transformationsprozesse (vgl. dazu genauer Kapitel 2).

Der Begriff der »sozial-ökologischen Transformation« behält gleichwohl eine hohe Unschärfe und Ambivalenz. Er bezeichnet erstens, in einem analytischen Sinne, die durch Technikentwicklung, industrielle Landwirtschaft, Urbanisierung, Motorisierung oder steigenden Konsum immer schon bewirkte Transformation gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Er bezeichnet zweitens die von der kontroversen gesellschaftlichen Thematisierung und Bearbeitung ökologischer Folgeprobleme industrieller Modernisierung in Gang gesetzten sozial-ökologischen Veränderungsdynamiken – das ist der eigentliche Untersuchungsgegenstand dieses Bandes. Er bezeichnet drittens, im Rahmen der politischen Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsdebatte, aber auch verschiedene, auf die Lösung globaler Nachhaltigkeitsprobleme zielende normative Veränderungsstrategien. Diese werden hier nur als Teil eines umfassenderen Diskurs- und Konfliktfelds sozial-ökologischer Transformationsprozesse untersucht.

(4) Welcher gesellschaftstheoretische Bezugsrahmen und welche theoretischen Konzepte werden für die Analyse dieser sozial-ökologischen Transformationsprozesse genutzt? Der in Teil A näher aufgefächerte theoretische Bezugsrahmen stützt sich auf drei Bausteine:

erstens auf das sozial-ökologische Konzept »gesellschaftlicher Naturverhältnisse«, das für die Entwicklung eines generellen Modells der gesellschaftlichen Verursachung und Bearbeitung von Umweltproblemen genutzt wird (Kapitel  1);

zweitens auf ein historisch konkretisiertes, gesellschaftstheoretisches Modell der Struktur- und Transformationsdynamiken moderner Industriegesellschaften sowie der darin involvierten Naturverhältnisse (Kapitel 2). Dieses zunächst im Westen entwickelte, auf ein kolonial strukturiertes Weltsystem und die Erschließung fossiler Ressourcen gestützte Gesellschaftsmodell gräbt sich sukzessive, im einem diskontinuierlichen, macht-, markt- und technikgetrieben Globalisierungsprozess auch in andere (kolonisierte und nicht-kolonisierte) Gesellschaften ein, transformiert sie, schafft neue Entwicklungs-, Ungleichheits- und Konfliktgefüge. Das westliche Modernisierungsmodell ist aufgrund seiner krisenhaften immanenten Entwicklung, aufgrund der Produktion immer neuer sozialer, ökonomischer und ökologischer Folgeprobleme, aber auch selbst immer wieder tiefgreifenden Restrukturierungen unterworfen. Diese zyklisch-strukturellen Transformationsdynamiken untergraben heute – paradoxerweise gerade durch die Globalisierung des westlichen Modernisierungs- und Industrialisierungsmodells – die Voraussetzungen der westlichen Hegemonie. Dieses in einem weiteren, kritischen Sinn modernisierungstheoretische Konzept stellt die Grundlage für das Verständnis der durch die ökologische Problematik ausgelösten gesellschaftlichen Transformationsprozesse dar. In Kapitel 3 wird dies am Beispiel der sozial-ökologischen Transformations- und Restrukturierungsdynamiken westlicher Industriegesellschaften im 20. Jahrhundert verdeutlicht.

Die Analyse stützt sich drittens auf bestimmte Annahmen über die Möglichkeiten, Grenzen und Widersprüche der Steuerung »großer« sozial-ökologischer Transformationen (Kapitel 4). Diese Annahmen werden aus der kritischen Konfrontation der derzeit gängigen Governance- und Transition-Modelle mit dem hier skizzierten zyklisch-strukturellen Transformationsmodell moderner Industriegesellschaften gewonnen. Für die Frage der Gestaltung spielen Akteure, Diskurse, Praktiken und Institutionen, Macht-, Interessen- und Konfliktstrukturen, aber auch System- und Pfadabhängigkeiten, die Verfügbarkeit von Ressourcen und die jeweilige Betroffenheit durch Umweltprobleme eine zentrale Rolle. Die spezielle Problematik der Steuerung sozial-ökologischer Transformationsprozesse ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass sowohl die Frage was, mit welchem Ziel verändert werden soll, als auch die Frage wie hochkomplexe gesellschaftliche Entwicklungsdynamiken gezielt beeinflusst verändert werden können, hochgradig umstritten sind. Die Steuerungsfrage verschärft sich noch angesichts der räumlichen, zeitlichen und sachlichen Inkongruenzen zwischen Problementwicklung und etablierten politischen Bearbeitungsformen. Internationale kollektive Regulierungen müssen darüber hinaus in einem global äußerst ungleichen und heterogenen gesellschaftlichen Umfeld gefunden und umgesetzt werden (hohe Ungleichheit und Fragmentierung sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung, starke Ungleichheit zwischen Profiteuren und negativ Betroffenen ressourcenintensiver Lebensweisen, starke oder fragile Staaten, starke und schwache Zivilgesellschaften, demokratische, autoritäre oder korrupte Regime).

Die Frage ist, ob sich in einer längerfristigen, komparativen Perspektive gleichwohl ein halbwegs realistisches Verständnis sozial-ökologischer Transformationsdynamiken, ihrer Widersprüche und Ambivalenzen gewinnen lässt. Die in Teil B und C dieses Handbuchs versammelten Fallstudien greifen diese Frage auf und versuchen sie anhand des jeweils untersuchten Transformationsfeldes sowie mit Blick auf unterschiedliche nationale Entwicklungskontexte und die UN-Ebene zu beantworten. Es wird sich zeigen, ob die im theoretischen Bezugsrahmen aufgefächerten Annahmen und Erklärungsmodelle dann produktiv für die Identifizierung genereller Muster, Trends und historischer Brüche im gesellschaftlichen Umgang mit Umweltproblemen genutzt werden können und inwieweit sich damit auch eine neue Sicht auf die aktuellen Dynamiken der »sozial-ökologischen Transformation der Welt« eröffnet.

Literatur

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Najam, Adil; Papa, Mihaela; Taiyab, Nadaa (2006), Global Environmental Governance: A Reform Agenda, Manitoba.

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Radkau, Joachim (2011), Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München.

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Schneidewind, Uwe (2013), »Transformative Literacy – gesellschaftliche Veränderungsprozesse verstehen und gestalten«, in: GAIA 22 (2), S. 82–86.

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Tauss, Aaron (Hg.) (2016), Sozial-ökologische Transformationen. Das Ende des Kapitalismus denken, Hamburg.

Uekötter, Frank (2011), Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert, Frankfurt/New York.

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Winter, Gerd (Hg.) (2006), Multilevel Governance of Global Environmental Change, Cambridge.

Worster, Donald (1994), Nature’s Economy: A History of Ecological Ideas, New York.

Teil A Theoretischer und historischer Interpretationsrahmen

1.Das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse: Wie Gesellschaften Umweltprobleme produzieren unddamit umgehen

Karl-Werner Brand

Das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse schließt an die sozial-ökologische Forschungsperspektive an, wie sie etwa im Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung (vgl. Becker/Jahn 2006) ausgearbeitet, aber auch in anderen Versionen in den letzten Jahrzehnten für die Analyse sozial-ökologischer Entwicklungsdynamiken entwickelt wurde (vgl. Görg 2003; Haberl u. a. 2016; Glaeser 2006; Simon/Tretter 2015). Dazu gehört auch das breite Spektrum der Politischen Ökologie, das insbesondere in der Humangeographie der herrschaftskritischen Analyse gesellschaftlicher Naturbeziehungen dient (vgl. Bryant 2015; Mattissek/Sakdapolrak 2016; Perreault u. a. 2015). Das im Folgenden skizzierte Konzept versucht keine neue, eigenständige Variante dieser verschiedenen Ansätze der sozial-ökologischen Forschung zu entwickeln. Sie versucht daraus vielmehr eine Art Rahmenmodell der gesellschaftlichen Verursachung und Bearbeitung von Umweltproblemen zu gewinnen, das für unterschiedliche theoretische, themen- und problemspezifische Zugänge offen ist, die Aufmerksamkeit gleichwohl auf zentrale Faktorenzusammenhänge in den problematisch gewordenen Interaktionsdynamiken von Gesellschaft und Natur lenkt.7

Gesellschaftliche Naturverhältnisse

Menschen sind Natur- und Kulturwesen zugleich. In sehr unterschiedlichen natürlichen Umwelten lebend haben menschliche Gemeinschaften über Jahrtausende hinweg die Fähigkeit erlangt, in begrenztem Umfang ihre natürliche Umwelt gemäß ihren eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu gestalten. Diese Fähigkeiten sind aus praktischen Erfahrungen, aus der praktisch-tätigen Aneignung von und Auseinandersetzung mit der Natur und ihren Gefährdungen erwachsen. Sie haben zur Entwicklung neuer Fertigkeiten und Techniken geführt, sie haben aber auch die jeweiligen Formen sozialer Organisation und kultureller Orientierung geprägt. Ganz generell gilt, dass sich die Menschheit über die praktische Aneignung der Natur, über die permanente Auseinandersetzung mit den Herausforderungen ihrer natürlichen Umweltbedingungen, ihre historisch sich wandelnden Technologien, Lebensformen und Weltbilder geschaffen hat.

In modernen Industrie- und Wissensgesellschaften hat das aus der sinnlichen Erfahrung der Probleme und Möglichkeiten gesellschaftlicher Naturnutzung resultierende praktische Umweltwissen an Bedeutung verloren. Naturwissenschaftliche Theorien, Experimente und Laborforschung haben eine neue Form von Wissen, neue technische Erfahrungswelten und Weltbilder geschaffen, die mit ungleich effizienteren Formen der Naturaneignung und Naturkontrolle verbunden sind. Gesellschaftliche Naturbeziehungen sind heute durch komplexe technische Sach- und Infrastrukturen sowie durch globale Formen wirtschaftlicher Arbeitsteilung vermittelt. Sie verbergen sich in industriellen Produktionsverfahren, in globalen Informations- und Warenströmen, in der glitzernden Welt der Kaufhäuser, Super- und Erlebnismärkte, in der Nutzung von Wasser-, Strom- oder Gasanschlüssen, im Auto-, Schienen- oder Luftverkehr, in der Nutzung von Häusern und Geräten. Damit hat sich auch die Art der Umweltprobleme wesentlich verändert. Sind es vormals die unmittelbaren Gefährdungen durch tierische Nahrungskonkurrenten, Schädlinge und Seuchen, durch Nahrungs- und Ressourcenmangel, Unwetter, Dürren und Überschwemmungen, so schieben sich nun die Folgeprobleme industrieller Natur- und Ressourcennutzung in den Vordergrund. Das sind zunächst die für die Frühphase der Industrialisierung typischen Probleme massiver lokaler Verschmutzung durch industrielle Emissionen und Abwässer. Der Einbau moderner Filter- und Entsorgungstechnologien kann dann zwar lokale Lebensverhältnisse entscheidend verbessern; die mit der industriellen Massenproduktion (und dem entsprechenden Massenkonsum) verbundenen Umweltprobleme kommen so aber nur in komplexer vermittelten, zeitlich und räumlich versetzt in Erscheinung tretenden Problemlagen zum Ausdruck. Die Naturabhängigkeit moderner Gesellschaften verschiebt sich nur, wird indirekter und undurchschaubarer. Sie bleibt aber grundsätzlich erhalten.

Im Rahmen der ökologischen Ökonomie wird sie heute vor allem als industrieller Stoffwechsel untersucht. Wie jeder Organismus, so sind auch Individuen und umfassendere menschliche Gemeinschaften in einen materiellen, biologisch-chemischen Stoffwechsel (Metabolismus) mit der Natur eingebunden. Diese materiellen und energetischen Austauschprozesse zwischen Gesellschaft und Natur lassen sich mithilfe bestimmter Indikatoren empirisch erfassen. Energie- und Stoffstromanalysen gehören heute so zum Standardrepertoire der Industrial Ecology und der umweltwirtschaftlichen Gesamtrechnungen, die von den meisten Industrieländern, aber auch von regionalen Wirtschaftsräumen wie der EU in Ergänzung zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erhoben werden. Die statistische Erfassung der Material- und Energieströme bestimmter Wirtschaftsräume liefert einen deutlichen Hinweis auf die mit bestimmten Produktions- und Konsumformen, Siedlungsweisen und Verkehrsstrukturen verknüpften Umweltbelastungen und damit auch auf die Ansatzpunkte eines effizienteren Ressourcen- und Stoffstrommanagements. Sofern in solchen Materialflussanalysen die nationalen Importe von Naturressourcen sowie die Exporte von Abfällen und Emissionen mit berücksichtigt werden, werden auch die globalen Ungleichheiten in der Nutzung von Naturressourcen und Umwelträumen sichtbar (Wuppertal Institut 2005). Diese Ungleichheiten lassen sich beispielsweise anhand des »ökologischen Fußabdrucks« unterschiedlicher Länder und Regionen veranschaulichen (Wackernagel/Rees 1997).

Aus dem Kontext der Biodiversitätsdebatte ergibt sich wiederum ein anderer Blick auf gesellschaftliche Naturabhängigkeiten. Im Bemühen, nicht nur die offenkundigen, sondern auch die weniger sichtbaren, gleichwohl existenziellen »Leistungen« der Natur für moderne Gesellschaften sichtbar und für politische Entscheidungsprozesse bewertbar zu machen, wurde so das Konzept der Ökosystemdienstleistungen entwickelt. Auch wenn die damit verknüpfte Ökonomisierung von Naturleistungen vielfache Probleme aufwirft (vgl. Brand/Görg 2003; Jetzkowitz 2011), so ist die Unterscheidung verschiedener Naturfunktionen – »supporting«, »provisioning«, »regulating« und »cultural services« – für das Verständnis gesellschaftlicher Naturbeziehungen gleichwohl hilfreich (MEA 2005).

Unstrittig ist, dass die historische Entwicklung, in immenser Beschleunigung seit der industriellen Revolution, zu einer fortschreitenden technischen »Kolonisierung« der natürlichen Umwelt geführt hat, die wiederum massiv auf die Formen gesellschaftlichen Lebens und ihre kulturellen Selbstdeutungen zurückgewirkt haben. Sowohl ökologische Problemdynamiken als auch ökologische Modernisierungs- und Transformationsprozesse lassen sich nur mit Blick auf diese technische Strukturierung der Interaktionsdynamik zwischen natürlichen und sozialen Systemen verstehen. Abbildung 1 versucht die zentralen Elemente und Faktorenkomplexe dieser Interaktionsdynamik zu veranschaulichen.

Diese Interaktionsdynamiken lassen sich zum einen mit Blick auf die basalen Elemente gesellschaftlicher Naturverhältnisse beschreiben. Diese umfassen (a) die Binnendynamiken der Natur, (b) die Binnendynamiken des Sozialen sowie (c) die Vernetzungs- und Interaktionsdynamiken zwischen beiden Sphären, aus denen sowohl auf Seiten der Gesellschaft wie auf Seiten der Natur immer enger miteinander verflochtene hybride »SozioNaturen«, technische Sachwelten und technisch transformierte biophysische Welten erwachsen. Sie lassen sich zum anderen mit Blick auf die gesellschaftliche Verursachung, die sozialen Folgen und Bearbeitungsformen von Umweltproblemen beschreiben. Dazu zählen vier Faktorenkomplexe (1)–(4), die für diese problembezogenen Interaktions- und Rückkopplungsdynamiken eine zentrale Rolle spielen (vgl. Brand/Reusswig 2007: 156 ff., Brand 2014: 154 ff.).

Abbildung 1: Gesellschaftliche Naturverhältnisse: Verursachung und Bearbeitung von Umweltproblemen.

Quelle: Eigene Darstellung

Wir beginnen mit der Erläuterung der basalen Elemente gesellschaftlicher Naturverhältnisse:

(a) Die Eigendynamiken der Natur werden aus unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Perspektiven, etwa mithilfe ökologischer oder chemisch-physikalischer Systemmodelle rekonstruiert. Natur ist kein statisches Gebilde, sondern unterliegt vielfachem Wandel (Gunderson/Holling 2002). So ist zum Beispiel das Klima der Erde starken natürlichen Schwankungen unterworfen – viel stärkeren (große Eiszeit!), als sie vom Menschen derzeit verursacht werden. Ähnliches gilt für alle Aspekte der »natürlichen« Natur: von der Geotektonik über die Ozeane bis hin zur Biosphäre. Alle diese Teilsysteme sind zudem in komplexen, nicht-linearen Entwicklungsdynamiken miteinander rückgekoppelt (z. B. Biosphäre, Klima und Wasserkreislauf). In der Umweltforschung wird dies u. a. mit dem neuen Paradigma der »integrierten Erdsystemanalyse« untersucht (Schellnhuber/Wenzel 1998). Es sind diese Rückkopplungsprozesse und Entwicklungsdynamiken natürlicher Systeme, in die menschliches Handeln mit gravierenden Folgen eingreift.

(b) Die Eigendynamiken des Sozialen werden aus unterschiedlichen sozial- und kulturwissenschaftlichen Perspektiven untersucht. Man kann dafür eine Reihe von Schlüsselbegriffen nutzen, die zentrale Dimensionen sozialen Lebens beschreiben (vgl. Joas 2007). Dazu gehören beispielsweise die Begriffe »Sozialstruktur« und »soziale Ungleichheit«, »soziales Handeln«, »Kultur«, »Macht«, »Konflikt« und »Integration«. Solche Schlüsselbegriffe bieten eine erste Möglichkeit, die relevanten sozialen Dimensionen von Umweltproblemen zu erschließen. Damit sind die jeweiligen Problemzusammenhänge aber noch nicht geklärt. Das bedarf theoretischer Erklärungsansätze. Als »multiparadigmatische« Disziplinen bieten die Sozialwissenschaften dafür eine Fülle unterschiedlicher Zugänge (vgl. Rosa u. a. 2007; Kneer/Schroer 2009): Rational Choice-, praxis-, diskurs- und netzwerktheoretische, neoinstitutionalistische, neomarxistische oder systemtheoretische Ansätze bieten so unterschiedliche Erklärungsperspektiven für das Verständnis von Umweltproblemen. Damit werden zwar immer nur bestimmte Problemaspekte und Problemzusammenhänge thematisiert. Aus dieser Multiperspektivität gibt es aber kein Entrinnen; sie lässt sich nur problembezogen, mit einem reflexiven Blick auf die typischen Blindstellen der jeweiligen Ansätze, bearbeiten. Ein Großteil der sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätze bleibt allerdings auf das »Soziale« fokussiert. Damit lassen sich aber weder die für die Entstehung von Umweltproblemen zentralen Interaktionsdynamiken von Gesellschaft, Technik und Natur erfassen, noch die Bedingungen und Möglichkeiten einer erfolgversprechenden Problembearbeitung klären.

(c) Die Analyse der Wechselwirkungen von Gesellschaft und Natur erfordert somit neue theoretische Konzepte. Die Rückkopplungsdynamiken gesellschaftlicher Naturbeziehungen lassen sich ja nicht allein durch die naturwissenschaftliche Analyse von Energie- und Stoffflüssen erfassen. Sie sind auch kulturell durch soziale Organisationsformen, ökonomische Strukturen und sozio-technische Systeme geprägt. Das erfordert von Seiten der Sozialwissenschaften eine konzeptionelle Öffnung für die Analyse sozio-materieller Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens (vgl. Brand 2014); es erfordert aber auch die Entwicklung neuer interdisziplinärer Formen der Wissensintegration (Bergmann u. a. 2010; Schäfer 2013). Beides hat für sozial-ökologische Forschungsansätze eine zentrale Bedeutung. Hier steht die problembezogene Verknüpfung stofflich-energetischer, ökonomischer, sozialer, politischer und kultureller Aspekte gesellschaftlicher Naturbeziehungen im Vordergrund (vgl. Becker/Jahn 2006; Haberl u. a. 2016). In der Humangeographie rückt darüber hinaus das komplexe Zusammenspiel sozialer und natürlicher Prozesse auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen in den Mittelpunkt der Forschung (vgl. Mattissek/Sakdapolrak 2016).

Historisch haben sich Umfang und Art des gesellschaftlichen Stoffwechsels stark verändert. Sowohl die neolithische Revolution, der Übergang von Jäger- und Sammlergesellschaften in staatlich organisierte Agrargesellschaften, als auch die industrielle Revolution, der Übergang von historischen Agrar- zu modernen Industriegesellschaften, bilden dabei zwei tiefe Einschnitte. Vor allem der seit etwa 200 Jahren, in immer neuen Entwicklungsschüben und immer globaleren Dimensionen verlaufende industrielle Transformationsprozess hat die Intensität der gesellschaftlichen Naturnutzung und Natureingriffe dramatisch vorangetrieben. So haben sich seither nicht nur die Material- und Energieflüsse um das Zehn- bis Zwanzigfache erweitert, auch die stoffliche Zusammensetzung des gesellschaftlichen Metabolismus hat sich erheblich verändert (Fischer-Kowalski u. a. 1997; McNeill 2003; Sieferle 1997). Auf der Erdoberfläche gibt es inzwischen so gut wie keine von menschlicher Einflussnahme unberührte Natur mehr. Darauf verweist der Begriff des »Anthropozän« (Crutzen 2002; Steffen u. a. 2007). Die beschleunigte Industrialisierung gesellschaftlicher Naturbeziehungen hat dabei nicht nur zu einer immer umfassenderen Durchdringung natürlicher wie sozialer Systeme durch sozio-materielle Sach- und Technikstrukturen geführt. Die dadurch ermöglichte Distanzierung von unmittelbaren biologischen Bedürfnissen und Naturabhängigkeiten hat auch eine wachsende Abhängigkeit von Sach- und Technikstrukturen und einen neuen Typus von Umweltproblemen, Risiken und Gefährdungslagen geschaffen. Menschen und ihre bio-physische Umwelt sind Teil eines hybriden, komplexen, interdependenten »TechnoNatureCulture«-Gewebes geworden (vgl. z. B. Latour 2005; Haraway 2003; Shaw 2008).

Gesellschaftliche Verursachung, Folgen und Bearbeitung von Umweltproblemen

Was den Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Verursachung und Bearbeitung von Umweltproblemen betrifft, so wird er in Abbildung 1 als Rückkopplungsprozess dargestellt. Das soll nicht suggerieren, dass diese vier Faktorenkomplexe als rückgekoppelter Wirkungszusammenhang gezielt gesteuert werden könnten. Gesellschaftliche Naturbeziehungen sind keine extern steuerbaren kybernetischen Regelkreise. Die hohe Komplexität der Verflechtungen von Gesellschaft, Technik und Natur macht jede Form des Eingriffs zu einem – nur in Grenzen kontrollierbaren, reflexiv gestaltbaren – »Realexperiment« (Groß u. a. 2005). Dieses Rückkopplungsmodell soll stattdessen nur den Sachverhalt verdeutlichen, dass Menschen durch die Art ihrer Naturnutzung bestimmte Umweltprobleme produzieren und auf diese, sofern sie als Gefährdung ihrer eigenen Reproduktionsmöglichkeiten wahrgenommen werden, auch wieder in einer bestimmten Art und Weise reagieren. Sowohl die Verursachungsmechanismen als auch die Reaktionsweisen sind durch die jeweiligen Gesellschaftsstrukturen entscheidend geprägt. Diese Zusammenhänge gilt es zu entschlüsseln. Ob die gesellschaftlichen Reaktionen »problemadäquat« sind oder die Probleme vielleicht sogar verstärken, ist dabei zunächst völlig offen.

Für die Analyse der jeweiligen Rückkopplungsprozesse ist es sinnvoll, vier zentrale Faktorenkomplexe zu unterscheiden: (1) Ursachen und Antriebskräfte gesellschaftlicher Umweltveränderungen, (2) sozial-ökologische Regime, (3) Umweltprobleme, Betroffenheit und Vulnerabilität, (4) gesellschaftliche Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster. Diese vier Faktorenblöcke werden im Folgenden näher erläutert.

(1) Die Ursachen und Antriebskräfte der vom Menschen verursachten Umweltprobleme variieren von Gesellschaft zu Gesellschaft und unterliegen dem historischen Wandel. Das Spektrum reicht von der Übernutzung lokaler Ökosysteme und Tierbestände, über die großmaßstäbliche, profitorientierte Ausbeutung von Naturressourcen bis hin zur bewussten Zerstörung von Landschaften zu kriegerischen Zwecken (Strategie der »verbrannten Erde«). Die grundsätzlichen Determinanten, die Art und Umfang der menschlichen Naturnutzung und -zerstörung beeinflussen, sind im Kontext der Human- und Sozialökologie schon seit längerem diskutiert worden (Glaeser/Teherani-Krönner 1992; Krausmann/Fischer-Kowalski 2010; Stern u. a. 1992; McNeill 2003; Serbser 2004). Folgende Faktoren scheinen eine entscheidende Rolle zu spielen:

Bevölkerung (Größe, Dichte, Verteilung)

Industrialisierungs- und Wohlstandsniveau (Industrialisierungsgrad, Wirtschaftsstruktur, Urbanisierungsgrad, Siedlungs- und Verkehrsstruktur, Einkommensniveau und Einkommensverteilung)

Wissen und Technik (Entwicklungsstand und Verfügbarkeit moderner Wissenschaften und Technologien)

Institutionen (Wirtschaftsstrukturen, staatliche Strukturen, Familienstrukturen, Geschlechterverhältnisse etc.)

Kultur (Welt- und Naturbilder, Religionen, Wertorientierungen, Lebensstile)

Die konkreten Verursachungszusammenhänge gilt es mit Blick auf die jeweiligen historischen Problemkonstellationen allerdings immer erst genauer zu untersuchen.8