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Bachelorarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Romanistik - Hispanistik, Note: 2,0, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Philosophische Fakultät II – Institut für Romanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit dem Einzug der spanischen Kolonialmacht Anfang des 16. Jahrhunderts in Kolumbien begann ein bis heute anhaltender Prozess der indigenen Bevölkerung im Kampf um Emanzipation. Infolge von Unterwerfung, Ausbeutung und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage sank die in Kolumbien lebende indigene Bevölkerung rapide. Während der Kolonisierung trieb die spanische Krone die Eliminierung der Urbevölkerung voran, bis sie verstand, dass sie damit nützliche Arbeitskräfte verlor. Die darauffolgenden Gesetze erkannten erstmals die traditionellen, gemeinschaftlichen Territorien und Verwaltungsformen der Indigenen an.1 Im Zuge der Unabhängigkeit Kolumbiens 1819 wurde der zum Ende der Kolonisierung gemäßigtere Kurs durch eine Assimilierungs- und Integrationspolitik weitergeführt. Von der Prämisse ausgehend, dass alle Menschen gleich sind, strebte die Regierung eine Nation der Mestizen an.2 Die indigene Kultur, welche sich aus Sicht der republikanischen Regierung im Bezug auf den Fortschritt des Landes eher regressiv verhielt, behinderte den Kurs Kolumbiens zu einer Gestaltung des Landes nach europäischem Vorbild. Durch das Fehlen eines indigenen Elementes in dieser Ideologie blieben nur zwei Möglichkeiten zur Lösung der indigenen Frage: die Integration der Urbevölkerung oder ihre Eliminierung. Doch die Indigenen wehrten sich in gleichem Maße wie sie sich gegen die Unterdrückung durch die spanischen Invasoren aufgelehnt hatten nun gegen die staatlichen Integrationsversuche.3 Die Geschichte des indigenen Widerstandes in Kolumbien begann folglich vor mehr als 500 Jahren mit der aufkommenden Verteidigung gegen die spanischen Eindringlinge. Die neuere indigene Bewegung Kolumbiens hat ihren Ursprung jedoch in den 1970er Jahren, einer Zeit, in der die indigene Bevölkerung aufgrund ihrer Integration und Eliminierung in dem nationalen kolumbianischen Bewusstsein als etwas sich allmählich Auflösendes existierte. Umso überraschter registrierte die nationale Presse Anfang der 1970er Jahre, dass die Indigenen im öffentlichen Leben wieder eine rege Präsenz zeigten. Mit Märschen und Versammlungen waren sie wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.4 Bis in die 1970er Jahr wurde davon ausgegangen, dass sich die Frage nach der Stellung der indigenen Bevölkerung innerhalb der nationalen Gesellschaft mit dem Eintritt in die moderne Gesellschaft von selbst lösen würde, d.h. sich die Indigenen an die neuen Gegebenheiten anpassen würden...
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Veröffentlichungsjahr: 2007
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Die soziale und kulturelle Situation der
indigenen Bevölkerung Kolumbiens
vorgelegt von:
Manuela Paul
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Abkürzungsverzeichnis
Autoridades Indígenas de ColombiaAICO
Asociación Nacional de Usarios CampesinosANUCAlianza Social IndígenaASI
Autodefensas Unidas de ColombiaAUC
Centro de Cooperación al IndígenaCECOIN
Consultoría para los Derechos Humanos y el DesplazamientoCodhes
Consejo Regional Indígena del CaucaCRIC
Departamento Administrativo Nacional de EstadisticaDANE
Departamento Administrativo de SeguridadDAS
Ejército de Liberación NacionalELNEntidad Territorial IndígenaETI
Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejército del PuebloFARC-EP
International Labour OrganisationILO
Instituto Colombiano de la Reforma AgrariaINCORAMovimiento Indígena de ColombiaMIC
Organización Nacional Indígena de ColombiaONICOccidental de ColombiaOxy
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Mit dem Einzug der spanischen Kolonialmacht Anfang des 16. Jahrhunderts in Kolumbien begann ein bis heute anhaltender Prozess der indigenen Bevölkerung im Kampf um Emanzipation. Infolge von Unterwerfung, Ausbeutung und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage sank die in Kolumbien lebende indigene Bevölkerung rapide. Während der Kolonisierung trieb die spanische Krone die Eliminierung der Urbevölkerung voran, bis sie verstand, dass sie damit nützliche Arbeitskräfte verlor. Die darauffolgenden Gesetze erkannten erstmals die traditionellen, gemeinschaftlichen Territorien und Verwaltungsformen der Indigenen an.1Im Zuge der Unabhängigkeit Kolumbiens 1819 wurde der zum Ende der Kolonisierung gemäßigtere Kurs durch eine Assimilierungs- und Integrationspolitik weitergeführt. Von der Prämisse ausgehend, dass alle Menschen gleich sind, strebte die Regierung eine Nation der Mestizen an.2Die indigene Kultur, welche sich aus Sicht der republikanischen Regierung im Bezug auf den Fortschritt des Landes eher regressiv verhielt, behinderte den Kurs Kolumbiens zu einer Gestaltung des Landes nach europäischem Vorbild. Durch das Fehlen eines indigenen Elementes in dieser Ideologie blieben nur zwei Möglichkeiten zur Lösung der indigenen Frage: die Integration der Urbevölkerung oder ihre Eliminierung. Doch die Indigenen wehrten sich in gleichem Maße wie sie sich gegen die Unterdrückung durch die spanischen Invasoren aufgelehnt hatten nun gegen die staatlichen Integrationsversuche.3Die Geschichte des indigenen Widerstandes in Kolumbien begann folglich vor mehr als 500 Jahren mit der aufkommenden Verteidigung gegen die spanischen Eindringlinge. Die neuere indigene Bewegung Kolumbiens hat ihren Ursprung jedoch in den 1970er Jahren, einer Zeit, in der die indigene Bevölkerung aufgrund ihrer Integration und Eliminierung in dem nationalen kolumbianischen Bewusstsein als etwas sich allmählich Auflösendes existierte. Umso überraschter registrierte die nationale Presse Anfang der 1970er Jahre, dass die Indigenen im öffentlichen Leben wieder eine
1Roldán (2000), S. 8ff.
2Fischer (1997), S. 64.
3Padilla (1995), S. 81f.
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rege Präsenz zeigten. Mit Märschen und Versammlungen waren sie wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.4
Bis in die 1970er Jahr wurde davon ausgegangen, dass sich die Frage nach der Stellung der indigenen Bevölkerung innerhalb der nationalen Gesellschaft mit dem Eintritt in die moderne Gesellschaft von selbst lösen würde, d.h. sich die Indigenen an die neuen Gegebenheiten anpassen würden. Diese Angelegenheit hatte sich entgegen den Vermutungen anders entwickelt: Der kolumbianischen Gesellschaft standen selbstbewusste Akteure der indigenen Bevölkerung gegenüber, die begannen eigene Organisationsformen zu entwickeln, um für ihre Rechte und Normen zu kämpfen.5Der Organisationsprozess setzte mit der Gründung einer vom Staat unabhängigen Vereinigung ein, der sogenanntenConsejo Regional Indigena del Cauca(CRIC). Er stellte sich zur Aufgabe für die Rechte der indigenen Gemeinschaften im Cauca zu kämpfen. Bis heute haben sich sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene verschiedene Organisationen, Vereinigungen und Parteien gegründet, die für den Schutz und die Anerkennung von Besonderheiten der indigenen Kultur eintreten. Seit mehr als 30 Jahren streben die Indigenen eine ihrer Kultur angemessene, eigenständige Entwicklung innerhalb der Grenzen der kolumbianischen Nation an. Neben der Anerkennung ihrer Selbstorganisation fordern sie in gleichem Maße von der Regierung, die rechtlichen Konditionen zur Verwirklichung einer angestrebten Autonomie zu schaffen. Seit den 1990er Jahren verfolgt die indigene Bevölkerung auch ein weiteres Ziel: eine größere Repräsentanz und damit verbunden Partizipationsmöglichkeiten auf politischer Ebene.
In der Arbeit werden die genannten Ziele der indigenen Bewegung Kolumbiens in dem Zeitraum von 1970 bis heute näher betrachtet. Der Beginn der Arbeit um 1970 begründet sich mit der zu dieser Zeit einsetzenden Formierung der indigenen Bevölkerung in einer Organisation, um Anspruch auf ihre Rechte zu erheben. Die zentrale Frage lautet, ob bzw. wie weit die Indigenen ihre Realität autonom gestalten und inwiefern eine politische Partizipation innerhalb der Grenzen und Strukturen des kolumbianischen Staates möglich ist. Im Zusammenhang mit dieser Thematik werden eventuelle Faktoren diskutiert, welche die Bestrebungen begünstigen oder hemmen. Außerdem wird untersucht, ob die Autonomiebestrebungen der Indigenen mit ihrem
4Findji (1992), S. 113.
5Semper (2003), S. 27.
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Ziel erweiterter, politischer Repräsentanz vereinbar sind. Die wichtige Rolle des Staates in dem zu führenden Diskurs ist als wesentlicher Bestandteil zu betrachten und wird daher den Bestrebungen der indigenen Bevölkerung gegenüber gestellt. Es wird daher der Frage nachgegangen, welchen Raum er den Indigenen gibt ihre Forderungen in die Tat umzusetzen und somit die Anerkennung ihrer Kultur fördert. Zur Erörterung der Fragestellung wurde wie folgt vorgegangen. Um eine Basis für die weiteren Untersuchungen zu schaffen werden im einleitenden Teil Grundlagen wie demografische Lage, Kultur und Lebensweise der indigenen Bevölkerung Kolumbiens und ihre indigenen Organisationen erläutert. Infolgedessen werden im dritten Kapitel die jüngste Geschichte und die aktuellen Bestrebungen der Indigenen nach mehr Autonomie an einigen Beispielen erläutert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Integration der indigenen Bewegung in das politische Leben des Landes auf lokaler und nationaler Ebene.
Der seit mehr als 40 Jahren andauernde bewaffnete Konflikt beherrscht Kolumbien und beeinflusst das Leben seiner Bürger. Um eine umfassende Betrachtung der Thematik zu gewährleisten, musste dieser temporäre Faktor in die Untersuchungen der Arbeit mit einbezogen werden. Im fünften Kapitel soll deshalb festgestellt werden, inwieweit der im Land herrschende Krieg, die in den vorhergehenden Kapiteln ausgeführten Bestrebungen der Indigenen beeinflusst. Im letzten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse des Diskurses zusammengefasst.
Die wissenschaftlichen Schriften Theodor Rathgebers, der während mehrerer Aufenthalte in Kolumbien zum Thema Autonomie kleinbäuerlicher und indigener Gemeinschaften forschte und seit 1990 Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation „Gesellschaft für bedrohte Völker“ ist, sind für diese Arbeit von großer Bedeutung. Vor allem in seiner 1993 abgelegten Dissertation beschreibt er am Beispiel desConsejo Regional Indígena del Caucaden Versuch einer Wahrung der indigenen Identität durch Abnabelung von staatlichen, zurück zu den traditionellen kollektiven Organisationsstrukturen.
Das Vorhandensein mehrerer gegenwartsnaher Werke ermöglichte einen Bezug auf aktuelle Forschungsergebnisse. So ist die im Jahr 2002/2003 abgelegte Dissertationsarbeit von Frank Semper ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit. Semper befasst sich in seiner Studie mit dem Indigenenrecht in Kolumbien und diskutiert die
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Divergenz zwischen Recht und der indigenen Lebenswirklichkeit. Die Untersuchungen zur Realität der politischen Partizipation stützen sich vor allem auf Virginie Laurent. Sie trug mit ihren Forschungen im Rahmen ihrer Doktorarbeit wichtige Daten und Reflexionen zur indigenen politischen Erfahrung besonders in Bezug auf die Wahlen bei. Die Ausführungen über die Rolle des Bürgerkrieges beziehen sich besonders auf das von William Villa und Juan Houghton vorgelegte Werk, welches Tabellen, Daten als auch Auswertungen zur Problematik der politischen Gewalt an der indigenen Bevölkerung.
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Bevor die indigene Bevölkerung durch Eroberung und Kolonisierung dezimiert wurde, befanden sich auf dem Territorium des heutigen Kolumbiens etwa 10 Mio. indigene Einwohner.6Heute schätzt man sie auf 700.000 bis 800.000 Personen, einem Anteil der ca. 2% der nationalen Bevölkerung entspricht. Das nationale Statistikinstitut DANE7ermittelte in einer Erhebung im Jahr 2001 die Zahl 785.356 Indigener in Kolumbien (1,83% der Gesamtbevölkerung).8Dagegen bestimmte eine nationale Volkszählung von 1993 nur 523.233 Indigene.9Diese unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich vor allem darauf zurückführen, dass die Volkszählung nicht die in den Städten lebenden Indigenen berücksichtigte. Außerdem unterscheiden sich die Studien, da sie auf verschiedenen Definitionsansätzen zur Indigenität beruhen. Während manche Quellen nur die traditionelle Bevölkerung oder diejenigen, die noch ihre ursprünglichen Sprachen beherrschen, als indigen betrachten, erfassen andere wiederum auch die Indigenen, welche sich einer kleinbäuerlichen Lebensweise angepasst haben und nicht mehr imstande sind ihre Sprache zu sprechen.10