Die Spaghetti-vongole- Tagebücher - Stefan Maiwald - E-Book

Die Spaghetti-vongole- Tagebücher E-Book

Stefan Maiwald

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Beschreibung

Was tun, wenn der Geburtstag naht? Was tun, wenn die italienische Familie bekocht werden will und der Schwiegervater ein ausgewiesener Feinschmecker ist? Man(n) fragt bei den Besten nach! Zwischen Venedig und Triest stehen sie mit Rat und Tat zur Seite: der smarteste Barkeeper der Welt, die Königin der Cicchetti, der Kapitän der Sarde in saor, der Padrone der Pasta, die Winzerin der Wasser-Reben, der Frico-Feinschmecker, der Bändiger des Baccalà – und natürlich Pino aus der »Bar in Italien«, der dem Autor beruhigend die Hand hält, wenn der Nervenzusammenbruch droht. Am Ende der Reise zu den kulinarischen Höhepunkten an der Oberen Adria steht das Grande Finale – und die Frage, ob auch der Padrone zufrieden war.

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Stefan Maiwald

Die Spaghetti-vongole-Tagebücher

Wie ich mit drei Kilo Pasta,

zwei Kisten Prosecco

und einem toten Fisch

von Venedig nach Triest fuhr,

um meine Schwiegereltern

zu beeindrucken

Hallo. Schön, dass ihr da seid!

Teil I: Die Vorbereitungen

Conegliano

Zoff am ersten Tisch

Venedig

Walter und der wahre Bellini

Enrico, Sibylle und die Yacht des Poeten

Am Wegesrand: Venedigs Gewürze

Alessandras Cicchetti – Kunst, Licht und Schatten

Am Wegesrand: Wer traut sich?

Mit einer Leiche zum Bahnhof

Jesolo

Die sehr erträgliche Leichtigkeit des Seins

Am Wegesrand: Der Diktator und die Nudel

Lignano

Die verwirrte Deutsche und Joles Pasta

Am Wegesrand: Der Koch, der Dieb, keine Frau und kein Liebhaber

Die Lagune von Marano

Wein mitten aus dem Wasser

Aquileia

Der geheimnisvolle Goldschatz und das große Gerüttel

Am Wegesrand: Vom Leben am Strand

Grado

Christian und der Baccalà

Am Wegesrand: Woher die Vongole kommen

Die Lagune von Grado

Endlich – Die perfekten Spaghetti vongole

Im Supermarkt

Am Wegesrand: Die Lieblingsnudeln berühmter Italienerinnen und Italiener

Grado

Attias und sein Boreto

Eva, Antonio und aussterbende Arten

Italienische und kulinarische Rituale

Evas Tiramisu

Triest

Dieser Duft!

Teil II: Das Fest naht

In drei Tagen ist das Fest

Zuspruch von Pino

Übermorgen ist das Fest

Der Kampf mit dem Stockfisch und Ass Adriano

Meine geheime Gästeliste

Morgen ist das Fest

Die Playlist

Planänderung I

Planänderung II

Teil III: Das Fest

Das perfekte Geschenk

Am Wegesrand: Das Fest ist am Abend. Und was machen wir zu Mittag?

Ab in die Küche

Die Gäste kommen

Anhang

Faszinierende Fakten

Literatur

Instagram & Co.

Dank

Der Autor

Ein Mann, ein Plan, eine Reise, ein gemeinsames Essen – eine famiglia.

Hallo. Schön, dass ihr da seid!

Viele von euch haben schon einige meiner Bücher gelesen oder meinen Blog abonniert. Deswegen verzichte ich auf das formelle Sie, denn ich finde, wir sind eine famiglia geworden. Und das gilt besonders für ein Buch, das sich ganz wesentlich ums Essen und Trinken dreht. Denn an einem gemeinsamen virtuellen Tisch zu sitzen, erfordert doch geradezu eine gewisse Vertrautheit, ja Freundschaft. Nun gut, auch Ribbentrop und Stalin saßen zusammen am Tisch, aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel.

Ich lebe in Italien, und meine Frau ist Italienerin. Nach vielen Jahren hier unten verstehe ich ein bisschen was vom Essen und vom Trinken. Nicht so viel, dass ich allen damit auf die Nerven gehe, aber ich würde mich auch für italienische Verhältnisse als guter Durchschnitt am Herd bezeichnen. Ich bin kein Massimo Bottura1, aber ich weiß, dass Spaghetti schön al dente gekocht werden sollen und dass die Pasta zur Sauce muss, nicht umgekehrt.

Bloß glaubt mir das keiner. Denn Italiener, man kann es nicht anders sagen, hängen an ihren Klischees und lassen sich ungern davon abbringen. Wenn eine deutsche Mannschaft gegen eine italienische Mannschaft gewinnt (was, zugegeben, nicht sehr häufig passiert), ist in der Gazzetta dello Sport sofort von »Panzern« die Rede, die das eigene Team »überrollt« hätten. Und wir Deutschen sind nun einmal für unsere Pünktlichkeit, unseren Ordnungssinn und unsere vermeintlich barbarische Küche bekannt. Und all das gilt auf der Insel Grado genauso für Österreicher. (Das Wort tedeschi meinte nämlich einst uns alle: Deutsche, Österreicher, Ungarn, Polen, Tschechen.)

Italienern sind Menschen suspekt, die die Kochzeit der Spaghetti mit einer Stoppuhr überprüfen.

Das stört mich schon seit Jahren. Obwohl ich beispielsweise meinem Schwiegervater schon köstliche Pasta alla busara zubereitet habe – so ganz traut mir meine Familie nicht. Das spüre ich nicht nur, das wird mir auch gesagt. Es fängt schon mit der Präzision an: Italienern sind Menschen suspekt, die die Kochzeit der Spaghetti mit einer Stoppuhr überprüfen. Ich kalkuliere sogar die fünf Sekunden ein, die ich vom Herd bis zum Nudelsieb in der Spüle brauche. Meine Frau Laura schaut nicht auf die Uhr, meine Schwiegermutter erst recht nicht.

Sie haben mich über Jahre herausgefordert, und das haben sie jetzt davon: Ich werde alle konsequent bekochen! Am Ende des Sommers habe ich Geburtstag. Da nahezu meine gesamte italienische Familie zu Beginn des Sommers Geburtstag hat, ist bei aller Feierwütigkeit immer schon etwas die Luft raus, wenn ich dran bin, wie überall nach einer allzu langen und heißen Saison. Meist feiern wir im kleinen Kreis. Klein, das heißt zwölf bis fünfzehn Gäste. Familie eben.

Sie sind dann alle schon ein wenig müde, außerdem können sie aus Höflichkeit nicht einfach absagen und müssen wohl oder übel essen, was ich ihnen vorsetzen werde:

ihre Lieblingsgerichte aus dem Veneto und dem Friaul2, denn sie stammen aus der erstgenannten und leben in der letztgenannten Region. Wer meinen extrem kritischen Schwiegervater kennt, weiß, welche Herkulesaufgabe ich mir da vorgenommen habe. Denn mein Schwiegervater besitzt eine mächtige, nicht zu erlernende Gabe, die natürliche Autorität heißt, eine echte Superkraft. Ich könnte dafür viele Beispiele nennen, aber eines soll hier genügen: Kurz vor unserer Hochzeit kam mich meine italienische Familie in München besuchen. Ich führte sie in ein zünftiges Wirtshaus, mein Stammlokal, in dem ich von jeder Bedienung die Lebensgeschichte kannte (und sie alle die meine). Ja, ich möchte fast sagen, wir waren kumpelhaft verbunden. Doch an jenem Abend – wir saßen an einem Achtertisch – hatte keine der Bedienungen Augen für mich. Sie wandten sich ausschließlich an meinen Schwiegervater, obwohl der weder am Kopfende saß noch ein einziges Wort Deutsch sprach, geschweige denn das humorvolle Bayerisch auf der Speisekarte lesen konnte. Doch mein Schwiegervater scherzte und radebrechte, und bald standen alle um ihn herum, erklärten ihm mit viel Liebe und in München gelerntem Küchenitalienisch die ungefähren Zutaten der jeweiligen Gerichte. Ja, sie schäkerten regelrecht mit ihm, während an den Nebentischen schon gemurrt wurde, weil andere Bestellungen vergessen und hintendran geschoben wurden. Es fehlte nicht viel, und die ganze Brigade hätte meinen Schwiegervater um ein gemeinsames Foto gefragt. Übrigens hat er die Bestellungen für den ganzen Tisch aufgegeben.

Abgesehen von seiner Autorität: Mein Schwiegervater ist in kulinarischen Dingen eine echte Herausforderung. Erstens versteht er wirklich viel vom Essen und Trinken und tut nicht nur so. Er schmeckt präzise Gewürze heraus, die ich nur dumpf erahnen kann, wenn ich sie überhaupt wahrnehme.

Aber wenn mein Schwiegervater schon schwierig ist, dann ist meine Schwiegermutter die ultimative Gegnerin. Eine unüberwindliche Wand. Denn sie (die Schwiegermutter, die Wand) kocht selbst gern und leidenschaftlich. Und sie akzeptiert keine anderen Götter neben sich. Du kannst sie nicht bezwingen. Als sie einmal von meinem Ragù3 probierte, das meine Töchter lieben, kommentierte sie: »Das ist gut. Aber das ist kein Ragù.« – Wie kannst du da gewinnen?

Sie zu überzeugen, das wäre mir noch wichtiger.

Um mich auf dieses delikate Unterfangen vorzubereiten, plane ich eine kulinarische Forschungsreise am oberen Adriabogen, von Venedig bis Triest, also von der Hauptstadt des Veneto bis zur Hauptstadt des Friaul, strettamente an der Adria entlang. Ich brauche Wein, ich brauche erstklassige Zutaten, ich brauche Tipps und Rezepte von den Besten ihres Fachs – und Unterstützung von euch.

Ihr müsst mir kräftig die Daumen drücken. Außerdem erzähle ich euch auch ein paar bislang unerzählte Geschichten vom Wegesrand, auf die ich in zwanzig Jahren gestoßen bin – Anekdoten, Verblüffendes und Dramatisches rund ums Essen und Trinken. Deswegen erfahrt ihr auch von Italiens berühmtestem Banditen, vom ersten Luftangriff der Geschichte, von Mussolinis Kampf gegen die Nudel oder von einem Schiffsunglück vor sechshundert Jahren, das eine kulinarische Tradition begründete.

»Du überschätzt dich«, findet Laura, meine Frau. Sie hält immer zu mir, bloß dieses eine Mal ist sie skeptisch.

Auf geht’s.

Teil I

Die Vorbereitungen

Conegliano: Zoff am ersten Tisch

Beim Winzer Roccat in Conegliano, umgeben von Reben des edelsten Prosecco und etwa vierzig Kilometer von Venedig entfernt, steht ein Tisch. Ich weiß, ich wollte am Meer bleiben, aber das Auto steht schon mit dem Kühlergrill in Richtung Adria, gleich fahren wir los. Und auf den Prosecco kann ich bei meinem Fest nicht verzichten.

Zurück zum Tisch. Es ist ein großer, langer, grober Holztisch, und er ist viele Stunden am Tag besetzt, oft von Kunden und beinahe immer von drei älteren Herren, von denen derjenige in der Mitte der Firmengründer ist, der sich nun aber zur Ruhe gesetzt hat und die Geschäfte seinem Sohn Manuel überlässt. Wie so oft in Italien sehen die Herren fabelhaft gesund aus: Sie sind drahtig und fit und haben volles Haar, obwohl sie sich nur von Prosecco und Aufschnitt ernähren.

Es mag so aussehen, als säße papà passiv am Tisch, in Wirklichkeit nimmt er immer noch äußerst aktiv am Geschehen teil, dirigiert den Sohn und dessen Angestellte mit einem kurzen Kopfnicken mal hierhin, mal dorthin. Selbst wenn man, so wie ich, darauf achtet, bekommt man es kaum mit – ein ganz ausgekochtes Schlitzohr.

Auf dem Tisch stehen viele Weinflaschen unterschiedlicher Füllstände, denn er wird für Weinproben benutzt, während das Keltern in Stahltanks in einem angrenzenden Gebäude stattfindet. Es duftet köstlich-säuerlich nach verschütteten Tropfen und den Resten aus den halb geleerten Flaschen, aber auch nach Käse und Salami, die zu den Proben gereicht werden. Eigentlich, denke ich, könnte ich hier an diesem Tisch den Rest des Tages verbringen. Vielleicht sogar den Rest der Woche oder desMonats. Ganz ehrlich: Warum je wieder fort von hier? Aber so einfach ist es nicht. Der Job, die Kinder, das Leben. Und meine Frau zerrt mich auch schon am Ärmel. Derzeit sind außer uns keine Kunden da, und wir brauchen keine Weinprobe, denn wir wissen, was wir wollen. Wir sind Stammgäste.

Eigentlich, denke ich, könnte ich hier an diesem Tisch den Rest des Tages verbringen.

Allein mit dem Prosecco, seiner unaufhaltsamen Ausbreitung einerseits in den italienischen Weinbergen in meiner unmittelbaren Umgebung, andererseits in deutschen Bars und Restaurants, sowie der eklatanten Qualitätsunterschiede zwischen einem Wald-und-Wiesen-Prosecco, bei dem die Gärung mit Hitze beschleunigt wird, und einem DOCG-Prosecco aus Valdobbiadene, der gemächlich im Stahltank vor sich hin reagiert, ließe sich dieses Kapitel füllen. Aber dazu kommen wir gar nicht, denn wir haben die drei älteren Herren in höchste Erregung versetzt, dabei war unsere Frage ganz harmlos. Der Herr links von papà springt wütend auf und fuchtelt mit den Händen vor den Augen des Herrn rechts von papà, der daraufhin erst den Kopf schüttelt, sich dann weit im Stuhl zurücklehnt, den Kopf in den Nacken legt und den Herrgott im Himmel anfleht. Selbst papà legt die Stirn in tiefe Falten und blickt seinen Sohn vorwurfsvoll an. »Basta!«, ruft er schließlich, und seine Freunde beruhigen sich wieder – obwohl die Gesichtsfarbe aller Beteiligten immer noch dem appetitlichen Rot einer sizilianischen Kirschtomate ähnelt.

Der Dialekt ist für mich kaum verständlich (bis auf das Basta!), bloß gut, dass meine Frau aus Venetien stammt. Ein lautes Basta! kenne ich auch von daheim, wenn ich wieder eine meiner spektakulären Ideen zum Besten gebe, die bei Laura überhaupt nicht gut ankommen. Etwa das Projekt des selbstgemauerten Pizzaofens auf dem Balkon – die Betonung liegt auf selbstgemauert – von jemandem (mir), der nicht einmal einen Fahrradschlauch wechseln kann.

Aber bevor wir zu unserer Frage kommen, die die beschauliche Welt eines Prosecco-Winzers in Aufruhr gebracht hat, müssen wir kurz über den Prosecco selbst reden, jene zugänglichste, beliebteste Spezialität aus Italiens Nordosten, durch den uns unsere kulinarische Beschaffungsreise führen wird und der ein perfekter aperitivo zu Beginn des Buches ist – und für das Fest, von dem ich bald mehr erzählen werde.

Mit dem Schaumwein ist in den letzten Jahrzehnten arges Schindluder getrieben worden, und ein Ende ist nicht abzusehen. In Venetien sind von knapp 100.000 Hektar Rebfläche etwa 30.000 Hektar mit der Rebsorte Glera bestückt, aus der Prosecco gekeltert wird. Die Rebsorte ist robust, ertragreich und gewinnbringend, denn alle Welt will Prosecco trinken. 638 Millionen Flaschen wurden 2022 allein für den Export produziert, das entspricht einem Wert von deutlich über drei Milliarden Euro und ist eine Steigerung von fast 12 Prozent gegenüber 2021. Etwa die Hälfte aller Flaschen geht in den deutschsprachigen Raum.

Das ist deswegen ein Problem, weil allzu viele Winzer daran mitverdienen wollen, Glera anpflanzen und Billigweine auf den Markt werfen. Denn DOC-Prosecco dürfen sich erstaunlich viele Weine nennen4, die mit heißer Luft statt ruhiger Hand zum Schäumen gebracht werden. Und: Sogar die Slowenen wollen nun mitmischen und ihren »Prosek« als Prosecco bewerben.

All das entwertet die wahren Proseccos, und so ist in Italien das Wort beinahe ein Synonym für Billigwein geworden. Wer wirklich guten Prosecco haben will, muss auf den Zusatz DOCG achten.5 Dieses begehrte Siegel dürfen nur Qualitätsweine aus dem eigentlichen Kerngebiet des Prosecco tragen. Doch Manuel, der junge Winzer von Roccat (DOCG), hat sich dennoch zu einem mutigen und radikalen Schritt entschlossen. Er schreibt auf die Etiketten seines Spitzenproseccos nicht mehr das Wort »Prosecco«. Um gar nicht erst mit den 1,99-Euro-Flaschen im Supermarkt verwechselt zu werden. Das ist gewagt, und wir können nur hoffen, dass sein Mut belohnt wird und Qualität sich durchsetzt.

In jedem Fall fahren wir mit drei Kisten erstklassigem DOCG-Prosecco davon.

***

Nun aber endlich zu unserer Frage: Wir wollten nach erfolgreichem Prosecco-Kauf noch in irgendeiner Trattoria halten und hatten die honorigen Herren um eine Empfehlung gebeten, was, wie mir Laura im Nachhinein berichtete, unter den Alten eine jahrzehntelange, komplizierte Familienfehde wieder aufbrechen ließ, in die die beiden Trattorien, die in der Nähe des Winzers liegen, irgendwie miteinbezogen waren und in der es um eine versprochene Ehe, eine entführte Braut, eine versehentlich (oder eben nicht versehentlich) vergiftete Katze und ein Stück Land ging, das im Katasteramt fehlerhaft (oder eben nicht fehlerhaft) zugeordnet worden war und die Grundlage für den Wohlstand der einen und die Armut der anderen Familie begründet hatte.

Wenn ich es richtig behalten habe. Und wenn sich meine Frau nicht über mich lustig gemacht hat.

Venedig: Walter und der wahre Bellini

Ich bin ja prinzipiell dagegen, mit dem Auto nach Venedig zu fahren, aber der Kofferraum ist nun mal voller Prosecco. Und natürlich hat sich, um meine Prinzipien zu bestätigen, vor dem Parkhaus an der Piazzale Roma eine mächtige Schlange gebildet, die exakt keinen Zentimeter vorangeht.

Doch es hatte schon seinen Grund, warum meine Frau und ich in Mestre einen Fahrerwechsel vornahmen. Denn nun stemmt sich meine Frau mithilfe des Lenkrads mit ihrem ganzen Oberkörper aus dem Fenster, packt ihr heftigstes Venezianisch aus und ruft den Parkwächter heran, der in diesem Moment der mächtigste Mann der ganzen Stadt ist.

»Ehi, come se?«, sagt sie. (»Na, wie geht’s?« Das s wird ganz sanft ausgesprochen. Wie in »sanft«.)

»Cussì cussì«, antwortet der Parkwächter. (»Nicht schlecht, aber es könnte auch besser gehen« – eine venezianische Standardantwort, ob nach der ausgebrannten Wohnung oder nach einem Lottogewinn.)

»Com’è la situassiong?«6 (»Geht noch was?«)

»Mal, mui mal.« (»Nein, alles ausgebucht, schon seit Monaten.«)

»Riesci a sistemar qualkkkossa?« (»Kriegst du trotzdem was hin, unter uns Venezianern? Na, komm schon!«)

Ein gequälter Gesichtsausdruck, ein kurzes Winken mit dem Kinn, der Geste des Patriarchen von Roccat nicht unähnlich, und wir folgen dem Parkwächter im Schritttempo an der Schlange vorbei direkt ins Parkhaus.

Hier kommt mein Tipp: Wenn ihr mit dem Auto nach Venedig fahren wollt, heiratet eine Venezianerin.

***

Wieso ist es hier so leer? Das Hotel Cipriani auf Giudecca ohne Walter Bolzonella, das ist doch wie Venedig ohne Gondeln!

»Ci ha lasciato«, sagt der junge Barmann. »Er hat uns verlassen.« Der Schreck fährt mir in die Glieder, und auch meine Frau scheint verstört. »È in pensione«, setzt der Barmann hinzu. Na, Gott sei Dank! Hätte man das nicht anders formulieren können? Aber wenn viel los ist, hilft er immer noch aus. Heute Abend wird er da sein, verspricht der junge Barmann. Nun gut, so lange warten wir.

Walter Bolzonella ist das größtmöglich denkbare Gegenteil des Barkeeper-Klischees. Er hat kein einziges Tattoo und ist auch nicht experimentierfreudig mit seiner Gesichtsbehaarung. Er sieht aus wie ein Buchhalter, der so ehrlich wäre, dass er einen Rausschmiss riskiert, weil er einen schlimmen Skandal in der eigenen Firma aufdeckt. Walter ist ein freundlicher Herr mit zurückhaltender Stimme und wachen Augen hinter einer großen Brille.

Und doch ist sein Reich im Hotel Cipriani in Venedig einer der beliebtesten Treffpunkte Italiens, und auch die VIPs kommen gern. Ob George Clooney (für uns Ältere) oder Zac Efron (fragt eure Kinder): Sie alle lieben Walter – und bitten ihn um ein Selfie, nicht umgekehrt. George Clooney ist mit seiner Ehefrau Amal Alamuddin mindestens einmal pro Jahr zu Gast. Als Amal zum ersten Mal im Cipriani auftauchte, stürmte sie noch vor dem Einchecken zur Bar. »Sie müssen Walter sein«, sprach sie den Verblüfften an. Dann hob sie scherzhaft tadelnd den Zeigefinger. »George redet von niemand anderem, seit wir in Italien sind.«

Für Ronald Reagan mixte Walter nicht nur die Bellinis, sondern brachte sie persönlich nach oben in die Suite, denn für den Secret Service war jeder andere Mitarbeiter ein zu großes Risiko. Sogar der schüchterne Al Pacino gerät bei Walter ins Plaudern, und dann ist da noch die Geschichte von Elizabeth Taylors Schoßhund Fluffy, dem Walter einen hundefreundlichen Martini mixte, den der flauschige Gast standesgemäß aus einer Schale aus Muranoglas genoss. (Der Martini war pures Wasser, das Walter lediglich, ein bisschen Show gehört eben doch dazu, aus dem Mixer servierte.)

Seit 1978 steht Walter im Cipriani hinter der Bar. Er war einer der Ersten, der Kräuter in die Cocktails gab und Schirmchen verbannte. Seine erste berühmte Kreation hieß »Sherwood Forest«, ein Cocktail, der nach Wald duftet, mit Prosecco, Maulbeersaft, Kräuterhonig, Ahornsirup, Wacholder, Gewürznelken, Zimt, geriebener Limonenschale und gestoßenem Eis. Er dürfte mehr als hundert Drinks erfunden und tausende verfeinert haben, darunter den »Buonanotte« und speziell für seinen Kumpel George den »Buonanotte Amigos«. In Ersterem spielt Wodka die Hauptrolle, in Letzterem Clooneys eigenes Tequila-Label7, dazu kommen Limone, Gurke, Ingwer, Cranberrysaft, Rohrzucker, eine eigene Komposition aus mehreren Angostura Bitters und zerstoßenes Eis.

Walter selbst trinkt übrigens wenig. Mit einem klassischen Gin Tonic ist er glücklich, auch Drinks mit Wodka gefallen ihm, denn »Wodka betont den Geschmack der anderen Zutaten«.

Was Walter so wichtig macht – und warum ich überhaupt hier bin: Er lernte noch vom alten Giuseppe Cipriani höchstpersönlich den Bellini. Venedig ohne Bellini ist wie Venedig ohne den Canal Grande. Vordergründig ist der großartig erfrischende Bellini, 1948 von Giuseppe erfunden, eine simple Angelegenheit: Prosecco mit Pfirsichsaft. Doch er hat seine Tücken.

Walter ist jetzt in seinem Element. Eine halbe Stunde lang erklärt er mir die Zubereitung, was man bei zwei Zutaten ja erst einmal schaffen muss. Das Wichtigste für uns Hobby-Mixologen ist folgender Trick: Die Pfirsiche, schön reif müssen sie sein, werden eben nicht püriert, sondern von Hand sanft zerdrückt und dann abgeseiht. Denn pürierte Pfirsiche ergäben eine viel zu klebrige, dicke Masse, die mit dem feinperligen Prosecco doch ganz und gar nicht zurechtkäme.

Und dann gibt es noch den Trick mit den Schalen: Sie werden zur Seite gelegt und am Ende noch mal extra ausgequetscht – oder in Walters Händen eher sanft massiert, um die Farbstoffe zu extrahieren, die sich vor allem in der Schale sammeln und dem Bellini die wunderbare Farbe geben.

So also wird der Prosecco von Roccat auf meinem Geburtstag seiner finalen Bestimmung zugeführt werden, denn der Bellini hat eben auch den großen Vorteil, ein perfekter sommerlicher Drink zu sein, erfrischend und nicht allzu alkoholhaltig. Ja, ich denke, auf meine aperitivi werde ich mich verlassen können. Ich stoße mit Laura an, und sie scheint mir aufmunternd zuzunicken. Aber vielleicht ist es nur das aufmunternde Nicken eines Pfarrers zum Verurteilten, bevor ihm der Strick um den Hals festgezurrt wird.

Enrico, Sibylle und die Yacht des Poeten

Er war ein mürrischer Bursche, und er ging wirklich jedem auf die Nerven. Sein Umfeld hatte es nicht leicht mit ihm. Das hatte möglicherweise damit zu tun, dass Pier Paolo Pasolini öffentlich schwul war – und das war im katholischen Italien der 1950er- und 1960er-Jahre kein leichtes Unterfangen, und schon gar nicht im Friaul, einer von den Nachbeben des Krieges ziemlich zerrissenen Region, deren kulturelles Zentrum Udine damals 90.000 Einwohner beherbergte.

Pasolini flüchtete sich in die Arbeit: Schon als Kind schrieb er erste Geschichten, seine Homosexualität entdeckte er beim Bewundern der Kniekehlen fußballspielender Jungen – zumindest sollte er das später behaupten, weil auch das zweifellos eine gute Geschichte war.

Wirklich glücklich fühlte sich Pasolini nur an einem Ort, und dieser Ort lag, sehr praktisch für einen störrischen Künstler, weit weg von allen Menschen und allen sozialen Zwängen. Seinem besten – und einzigen – Freund, dem Maler Giuseppe Zigaina, gehörte die Yacht Edipo Re, erbaut 1943 in Istrien, komplett aus Holz. Oft segelten sie gemeinsam durch die Lagune Venedigs, schliefen in den engen Kajüten unter Deck, ließen das Festland-Leben mit allen lästigen Verpflichtungen außen vor.

An Bord von »König Ödipus« ging Pasolini das Herz auf, ein paar Schwarz-Weiß-Bilder zeigen ihn sogar mit der Andeutung eines Lächelns im Gesicht. Auch Busenfreundin Maria Callas kam oft an Bord. Über die Beziehung der beiden lässt sich bis heute nur spekulieren; sicher ist, dass Pasolini die Callas nach ihrer Trennung von Aristoteles Onassis tröstete, mit dem sie eine lange Affäre gehabt hatte. »Neun verschwendete Jahre«, pflegte sie stets zu seufzen, während Onassis trocken kommentierte, dass eine Affäre doch selbstverständlich, ja geradezu eine Pflicht gewesen sei, schließlich seien die beiden »die bekanntesten lebenden Griechen der Welt« gewesen.