Die Sphärenchronik - Velacrian - Holger J. S. Schmidt - E-Book
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Die Sphärenchronik - Velacrian E-Book

Holger J. S. Schmidt

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Beschreibung

Ein Held wider Willen. Eine Adlige, die als Sklavin überleben muss. Eine fremde Welt, die am Rande der Zerstörung steht. Der Mensch Gero Velacrian hat eigentlich mit dem abenteuerlichen Leben im Weltraum abgeschlossen, als ihn ein Unbekannter kontaktiert, dessen Schwester in Lebensgefahr schwebt. Gemeinsam mit zwei alten Freunden begibt Gero sich auf eine Rettungsmission, die sie in eine riesige, scheinbar verlassene Anlage führt. Alara, eine sokhanische Geheimdienstagentin, ist ihrer Zielperson dicht auf den Fersen, da gerät sie unversehens an einen abgeschotteten Ort, an dem die Adlige als Sklavin um ihr Überleben kämpfen muss. Ihr erstes verheißungsvolles Zusammentreffen ist noch geprägt von Täuschung und Verrat, da trennen sich Geros und Alaras Wege abrupt. Werden die beiden sich in den Weiten der fremden Welt wiederbegegnen? Und können sie den drohenden Untergang einer uralten Alien-Konstruktion noch stoppen?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Sphärenchronik - Velacrian

 

Gesamtausgabe

 

Holger J. S. Schmidt

 

 

 

1. Auflage, veröffentlicht 2024.

 

Copyright © 2024 Holger J. S. Schmidt – alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

Kontakt:

Holger Schmidt

Hugenottenstrasse 101a

61381 Freidrichsdorf

[email protected]

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Korrektorat: Jasmin Wolffrath

Coverdesign: ambientpixeldesign.com

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog 5

1 22

2 51

3 67

4 88

5 113

6 128

7 149

8 174

9 190

10 204

11 229

12 245

13 265

14 279

15 291

16 306

17 320

18 343

19 357

20 375

21 402

22 415

23 435

24 448

25 465

26 483

27 499

28 517

29 533

30 549

31 579

32 605

33 619

34 642

35 666

36 680

37 701

38 732

39 756

40 772

41 788

Epilog 820

Prolog

Ein Stoß in die Rippen riss Gero unsanft aus dem Schlaf. Nur mühsam kam er wieder zu Bewusstsein. Um ihn herum herrschte Unruhe. Am Boden liegend, sah er vor sich nur auf einen Wald aus Beinen, Schwänzen und Tentakeln. Noch einmal stieß ein Fuß in seine Seite. Er sah auf. Der Übeltäter hatte ihm den Rücken zugewandt und beachtete ihn gar nicht. Gero wollte aufstehen und protestieren, doch sein eingeschlafener, rechter Arm versagte ihm den Dienst. Er war in einer unbequemen Stellung eingeschlafen. Erst beim zweiten Versuch schaffte er es, sich mit dem anderen Arm in eine sitzende Position hochzustemmen.

Im Zwielicht der Gefängniszelle war es nicht einfach, die Situation zu überblicken. Es gab irgendeinen Streit. Zahlreiche Xenos drängten sich an die Wände und schufen zwei Kontrahenten in der Mitte Platz. Mühsam kam Gero auf die Beine und versuchte zu erkennen, was genau sich dort abspielte. Obwohl er mit seinen 1,84 m nicht gerade klein war, überragten viele der anwesenden Xenos den Menschen noch. Ein riesiger Beltusianer und ein schmächtiger Grell belauerten sich kurz, dann eskalierte ihr Konflikt. Um mehr sehen zu können, drängte Gero sich in die erste Reihe der Schaulustigen vor.

Der affenartige Grell war klein und hatte dünne Glieder. Er besaß ein dichtes braunes Fell und einen Schwanz, durch den er bei schnellen Bewegungen die Balance hielt. Der Schwanz hatte zudem einen ausfahrbaren Stachel, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Die Physiologie des Beltusianers war auf Kraft ausgelegt. Er überragte seinen Gegner wie ein Gebirge aus Muskeln und Knochen. Seine schiefergraue Haut war sehr robust. Durch eine Reihe scharfer Zähne hinter zwei aus dem Unterkiefer nach oben ragenden Hauern knurrte er den Grell an.

Die beiden Xenos blieben zuerst auf Abstand, dann trat der Beltusianer vor und schlug zu. Doch dort, wo gerade noch sein Gegner gewesen war, schwang die Pranke des Beltusianers nun durch leere Luft. Der Grell hatte einen deutlichen Geschwindigkeitsvorteil. Die klauenbesetzte Pranke des Beltusianers verfehlte seinen Gegner erneut, während der Grell provokant zur Seite tänzelte. Fast beiläufig schlitzten die scharfen Krallen des Grell dabei die Brust des Beltusianers auf, sodass dieser nun stark blutete. Jetzt versuchte der Beltusianer den Grell zu packen, doch er griff erneut ins Leere. Im nächsten Moment starrte er erstaunt auf den Stachel seines Gegners, der sich tief in seinen Brustkorb gebohrt hatte. Der Grell gab einen wilden Siegesschrei von sich und der Beltusianer sank leblos zu Boden. Der siegreiche Grell hatte Mühe, seinen Stachel wieder herauszuziehen. Er musste ein lebenswichtiges Organ des Beltusianers zerfetzt haben und steckte vermutlich in einem Knochen fest. Als der Grell es dann doch schaffte, spritzte ein üppiger Strahl warmen Blutes durch die Zelle und besudelte die Umstehenden, die laut protestierten. Auch Gero wurde nicht verschont.

Das war viel zu schnell gegangen. Konnte es sein, dass der Beltusianer den Grell absichtlich gereizt hatte? Wollte er dem Tod auf der Planke entrinnen und in einem ehrenvollen Duell sterben? Das würde zu der Kriegermentalität seiner Spezies passen.

Einige der Xenos murrten wegen der Schweinerei. Doch schnell legte sich der Aufruhr und der Körper des toten Beltusianers wurde zu nichts anderem, als einem kleinen Hindernis, dem es auszuweichen galt. Angewidert von der Zurschaustellung roher Gewalt, wandte Gero sich ab. Wie schnell doch im Angesicht des eigenen Todes selbst bei intelligenten Wesen alle Hemmungen fallen, ging es ihm durch den Kopf. Den widerlichen Gestank des Blutes würde er jedenfalls nicht so schnell aus der Nase bekommen. Er sah an sich herab. Einige große Flecken hatten seinen grauen Overall durchweicht.

Der Beltusianer war schon der dritte Tote, seit Gero in dieser Zelle gelandet war. Zwei andere Xenos hatten Selbstmord begangen, um der Hinrichtung durch die Anakih zu entrinnen. Die Pala T'Kon hatten sich in Tiefschlaf versetzt und ihre Herzfrequenz so weit heruntergeregelt, dass sie letztlich sanft entschliefen. Man konnte sie für diese Fähigkeit nur beneiden, denn sie hatten ein deutlich sanfteres Ende erlebt, als dem Rest der Verurteilten bevorstand. Es hatte nicht lange gedauert, bis eine der Anakih-Wachen erschienen war, um die Toten aus der Zelle zu schleifen.

Was hätte Gero jetzt für ein Bad und frische Kleidung gegeben. Seine Zellengenossen mochte der Gestank, der von ihren ungewaschenen Körpern ausging und der wie eine Nebelwolke in dem stickigen Raum hing, nicht mehr stören, doch in einer zivilisierteren Situation hätte man die Nase über ihrer aller Zustand gerümpft. Seit Tagen steckte Gero in dem Standard-Schiffs-Overall. Sein kurzes schwarzes Haar klebte ihm an der Kopfhaut und seine Wangen zierte ein stoppeliger Dreitagebart.

Wie lange saß er jetzt schon in dieser Zelle? Gero hatte längst das Zeitgefühl verloren. Der Raum war ein dunkles Loch, das nur durch schmale, vergitterte Schlitze aus dem beleuchteten Korridor zwischen den Zellen etwas Licht abbekam. Nicht weniger als dreißig Xenos verschiedenster Spezies waren hier zusammengepfercht. Gero war der einzige Mensch. Seine drei menschlichen Kameraden hatte er zuletzt bei ihrer Gefangennahme gesehen. Es gab keine Sitz- oder Schlafgelegenheiten. Wenn einen die Müdigkeit übermannte, blieb einem nichts anderes übrig, als sich auf dem kalten Metallboden zusammenzurollen. Die Anakih hielten ihre Gefangenen nur geradeso am Leben; alle paar Stunden warf man ihnen eine Ladung Nahrungsriegel in die Zelle. Diese hatten Form und Farbe von Briketts und schmeckten ebenso ungenießbar. In der Mitte der Riegel war eine Blase mit Flüssigkeit eingebacken, sodass auch der Durst der Gefangenen gestillt wurde.

Seit er hier war, hatte Gero kaum mehr als ein paar Worte mit den anderen gewechselt. Sie waren Fremde für einander. Und jeder haderte mit seinem eigenen Schicksal. Die ungehinderte Ermordung des Beltusianers erinnerte ihn daran, dass auch seine Zellengenossen keine Unschuldslämmer waren. Sicher, die Anakih waren nicht wählerisch, wen sie ihrem Gott opferten. Manch einer mochte wegen einer Bagatelle hier sein. Immerhin bestraften die Anakih schon das Eindringen in ihren Raumsektor mit dem Tode. Doch das Verhalten der Xenos im Angesicht eines Mordes sprach nicht gerade für hohe moralische Standards.

In Geros Fall gab es für die Anakih einen durchaus guten Grund, ihn zu inhaftieren. Er hatte mit seinen Freunden die Anakih auf der Lobus Station ordentlich aufgemischt. In dem Moment, als der Betäubungsstrahl sie erwischt hatte, war ihm klar gewesen, was nun kommen würde. Aber wo befanden sich Tala, Rudko und Maalt jetzt? Nach der Festnahme auf der Station waren sie getrennt worden. Gero war sich sicher, dass die anderen, ebenso wie er, zu diesem Anakih-Kreuzer in direkter Nähe des Opalnebels gebracht worden waren. Hier würden die Anakih sie alle über die Planke schicken.

Wahrscheinlich waren Geros Kameraden in einer anderen Zelle gelandet. Durch die Fensterschlitze seiner Zelle hatte er nicht viel erkennen können. Die Anakih-Wachen, die in den Korridoren zwischen den Zellen patrouillierten, ließen ihre Traumapeitschen nach jedem züngeln, der zu neugierig wurde. Ab und zu sah Gero die bläulich schimmernde Energie der Waffen aufflammen.

Über den verschlagenen Maalt, ihren mysteriösen Auftraggeber, mochte er erst gar nicht nachdenken. Der Agrav trug die Schuld daran, dass sie den Anakih überhaupt erst in die Hände gefallen waren. Die ganze Rettungsmission war von Anfang an ein Himmelfahrtskommando gewesen. Irgendwie hatte die ganze Sache auf Gero wie ein großer Schwindel gewirkt. Doch niemand war so verrückt, mit den kriegerischen Anakih ein solches Spiel zu spielen, oder? War Maalt überhaupt noch zurechnungsfähig? Gero wusste es einfach nicht. Vielleicht würde er es noch erfahren, bevor die Energiefelder der Verwerfung seinen Körper in einzelne Atome zerrissen. Falls Maalt sich unter ihren Anakih-Peinigern aufhalten sollte, würde Gero zumindest die Gewissheit haben, dass sie von ihm hereingelegt worden waren.

Als ihre Scharfrichter schließlich kamen, kehrte kurz Ruhe unter den Verurteilten ein. Ein greller Signalton erklang und das Kraftfeld der Tür erlosch. Dann öffnete sich die Zellentür und mehrere Anakih-Wachen traten nacheinander ein. Die für den Kampf optimierte Unterart war ein furchteinflößender Anblick. Zwei Meter groß stolzierten sie auf abgerundeten Krallenfüßen in den Raum. Ihr gesamter Körper wurde von dicken Chitinpanzern geschützt. Diese glänzten ölig Olivgrün. Zusätzliche Chitin-Schienen um die zwei Arme und vier Beine schützten die Glieder wie das Schienbein eines Menschen das Wadenbein. Durch die scharfen Formen ihrer Panzerung wirkten die Anakih fast wie Roboter. Mit einem sezierend kalten Blick sahen die Wachen sich um. Auch ihre gelb schimmernden Augen in den im Verhältnis zu ihren massigen Körpern kleinen Schädeln wirkten unnatürlich. Ihre Traumapeitschen schnitten drohend durch die Luft und streckten jeden, der aufbegehrte, sofort mit einem elektrischen Schock nieder.

Die Gefangenen begannen nun aus vollen Kehlen zu protestieren. Ein Bendra versuchte die Wächter zu provozieren, während zwei weitere in Lauerstellung lagen, um die abgelenkten Wachen zu überrumpeln. Es nutzte nichts. Selbst die stark gepanzerten Bendra gingen nach einem geradezu lässigen Schwung der Peitsche zu Boden. Ein Babasan-Händler war auf die Knie gesunken und bettelte um sein Leben. Natürlich ließen die Anakih sich davon nicht beeindrucken. Eine der Wachen legte dem Händler sogleich Handschellen um die ausgestreckten Arme und zerrte ihn auf die Beine. Der Grell, der den Beltusianer ermordet hatte, stürzte sich mit Gebrüll auf einen Anakih. Sein Stachel prallte krachend vom Chitin-Panzer des Wächters ab. Dann machte die Traumapeitsche auch mit dem Grell kurzen Prozess.

So arbeiteten die Anakih sich systematisch durch die Masse der Gefangenen, bis sie schließlich auch Gero zu fassen bekamen und fesselten. Ein Anakih zerrte ihn aus der Zelle. Die Wachen sprachen dabei kein einziges Wort. Sie fertigten die Verurteilten nur effizient für den Weitertransport ab. Für sie waren andere Spezies minderwertig und keines Wortes wert. Genauso wenig hätten sie mit Schlachtvieh geredet.

Im Gang zwischen den Zellen herrschte ein Heidenlärm. Die Schreie, Rufe, das Betteln und Flehen, Wehklagen und hemmungslose Heulen so vieler Personen in Galaktik-Standard und vielen weiteren Dialekten wurden zu einer Kakofonie des Leids. Geros Augen brauchten einen Moment, um sich an das grelle Licht, das von der Deckenbeleuchtung kam, zu gewöhnen. Dann sah er, wie überall in dem langen Korridor Xenos aus ihren Zellen geholt wurden.

Wach oder bewusstlos befestigte man die Verurteilten zu beiden Seiten an einer Art autonom fahrender Hängevorrichtung. Gero ließ es einfach geschehen. Die Vorrichtung war länglich und ähnelte grotesken Kleiderhaken. Die hilflos daran baumelnden Körper wirkten wie Schweinehälften in einem Schlachthaus, als das Gefährt sie den Gang entlang schleifte. Die Anakih-Wachen eskortierten die Gefährte nur.

Gero war wie betäubt von dem Lärm und dem grellen Licht. Resigniert ließ er sich durch die Gänge schleifen. Bisher hatte er sich der Realität nicht stellen wollen. Er konnte seinen nahenden Tod einfach nicht akzeptieren. Ihm war klar, warum er dazu nicht bereit war: Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Er war nie religiös gewesen. Seine Eltern hatten keiner der zwei Hauptreligionen auf seiner Heimat, Setus Beta, angehört. Er selbst hatte sich immer als Atheist betrachtet. Und auch jetzt fiel es ihm schwer, an eine Gottheit zu glauben, die solches Leid tolerierte. Die Alternative wäre, an den nach Opfergaben lechzenden Kriegsgott der Anakih zu glauben. Zumindest dessen Anhängern schien das Glück hold zu sein.

Ein paar Augen in der Menge erregten Geros Aufmerksamkeit. Es war eine Sokha Frau, die ebenfalls gerade für den Transport zur Planke vorbereitet wurde. Ihre Blicke trafen sich und Geros Herz setzte für einen Moment aus. Der Glanz in den Reptae-Augen der Fremden erinnerte ihn an Bibia. Doch die Menschenfrau befand sich gerade Lichtjahre entfernt auf Setus Beta, sicher vor den anakihschen Schlächtern. Die Sokha starrte Gero ebenfalls erschrocken an. Hatte sein Blick sie einfach neugierig gemacht? Gero schob die Verwechslung auf seine verwirrten Sinne. Schon war er außer Sichtweite der Frau. Der langsame Treck setzte unerbittlich den Weg zur Planke fort.

Schließlich kamen sie in einer großen Halle an, in der der letzte Vorhang fallen sollte. Das alles kam Gero wie ein Albtraum vor. Völlig entkräftet ließ er es über sich ergehen und war zu benommen, um noch weiter mit seinem Schicksal zu hadern. Bald wäre es vorbei. Die Planke wartete.

Die Haltevorrichtungen wurden jetzt in mehreren Reihen vor einem großen Hangartor aufgestellt; dann fuhren die Gestelle in den Boden ein und ließen nur noch eine Kette zurück, an deren Ende jeweils ein Gefangener baumelte. Dem Hangartor gegenüber befand sich ein Sprecherpult, dem mehrere Sitzreihen zugewandt waren. Auf den Bänken hatte schon eine kleine Anzahl von Anakih-Klerikern Platz genommen, die mit geschlossenen Augen beteten. Wegen des Lärms, den die Verurteilten weiterhin veranstalten, konnte man nur sehen, wie sich ihre schnabelartigen Münder bewegten.

Als der Großinquisitor in einer feuerroten Robe den Raum betrat, verstummten die Kleriker. Diese Unterart der Anakih war kleiner als die Wachen, aber nicht weniger wehrhaft. Die dicken Schutzplatten seines Körpers stachen wie Messer unter der Robe hervor. Gemächlich schritt der Großinquisitor auf das Pult zu. Dann hielt er kurz inne und schrie mit einem Mal aus voller Kehle: »Ruhe!«

Sofort ging ein betäubender Stromschlag durch die Ketten der Verurteilten und brachte auch die widerstandsfähigsten unter ihnen zum Schweigen. Jetzt öffnete sich das große Hangartor langsam und enthüllte die Energiefelder der Verwerfung und dahinter den vielfarbig leuchtenden Opalnebel. Noch war die Sicht nach draußen von einem schützenden Kraftfeld verzerrt. Gero fand, dass das Schauspiel der zuckenden Entladungen, die die Gase im Nebel in bunten Farben aufleuchten ließen, wunderschön aussah.

Ein Teil von ihm hatte das Gefühl, nun endlich heimzukehren. Er hatte keine Ahnung, warum der Nebel ihn seit einiger Zeit so faszinierte. Die Aussicht, mit ihrer Rettungsmission in dessen Nähe zu gelangen, hatte auf ihn beinahe unwiderstehlich gewirkt. Der Opalnebel war eigentlich für alle Spezies außer den Anakih unerreichbar, denn er befand sich tief in ihrem Raum. Man konnte fast glauben, er bilde das Zentrum ihres Imperiums. Nur wer auf der Planke geopfert wurde, konnte das stellare Phänomen für einen kurzen Moment mit eigenen Augen betrachten.

Bald würde Gero dem Nebel ganz nahe sein. Wenn die Energiefelder seinen Körper zerreißen würden, würden die einzelnen Atome, aus denen einmal der Mensch Gero Velacrian bestanden hatte, langsam über den Opalnebel verteilt werden. Vielleicht würde sich irgendwann in ferner Zukunft ein neuer Stern mit einem Planetensystem aus dem Materienebel bilden. Dann wären diese Atome wieder Teil eines neuen Lebenszyklus. Diese Vorstellung gefiel ihm und ließ Gero noch einen winzig kleinen Sinn in seinem ansonsten gescheiterten Leben erkennen.

Den anderen Klerikern zugewandt, begann der Großinquisitor nun mit kräftiger Stimme zu predigen: »Dich Kro'ol, Herrscher über Dies- und Jenseits, Gebieter über Zeit und Raum, Schöpfer aller Materie, geheiligter Geist von Energie und Gedanke, Ursprung von …«

Mit der Gewissheit, dass dies die letzten Momente seines Lebens waren, ließ Gero seinen Blick über die anderen Verurteilten schweifen. Die Anakih hatten Wesen aus der gesamten, bekannten Galaxie gefangen genommen. Vermutlich um ihrem Gott ein möglichst reichhaltiges Opfer darzubringen, dachte er sarkastisch.

Da war ein amphibischer Goododandra, der in die typische Schockstarre seiner Rasse verfallen war. Zumindest würde er seinen Tod nicht mit klarem Verstand ertragen müssen. Der/die Heliax Söldner/in an seiner Seite wirkte gefasst. Die Heliax waren eine nahezu emotionslose Spezies. Vielleicht war er/sie so etwas wie ein/eine Beschützer/in des Goododandra. Das würde erklären, warum er/sie ebenfalls hier war. Üblicherweise kämpfte ein/eine Heliax bis zum Tode und würde sich niemals gefangen nehmen lassen.

Eine junge Babasan murmelte wie in Trance vor sich hin. Ein leises Gebet an ihre Götter oder ein letzter Gruß, der die Lieben zu Hause nie erreichen würde? In Anbetracht eines so jungen Lebens, das einen sinnlosen Opfertod sterben sollte, traten Tränen in Geros Augen.

»… widmen wir, deine auserwählten Diener und Ebenbilder, deines einst fleischlichen Antlitzes unterwürfigst …«

Der Geist eines insektoiden *Ptix strich hilfesuchend umher, sondierte die Anwesenden und fand doch in ihnen keine geeigneten Empfänger für seine telepathische Kommunikation. War dem Wesen überhaupt klar, was gerade geschah? Und war die Drohne, die nur in einem Schwarmbewusstsein existieren konnte, überhaupt in der Lage, zu begreifen, dass ihr unausweichlicher physischer Tod kurz bevorstand? Für den *Ptix musste die Trennung von seinem Schwarm schon Qual genug sein.

»… dieses geringe Opfer von Frevlern, Blasphemikern, ungläubigen und unwürdigen Kreaturen, die du, großer Kro'ol, in deiner unendlichen Güte …«

Das Schluchzen einer jungen velusianischen Frau wurde von ihrem wütenden Zerren an ihren Ketten begleitet. Gero konnte hören, wie sie die Anakih verfluchte. Selbst in ihrer Wut strahlte die Velusianerin noch immer die ätherisch-erhabene Schönheit ihrer Rasse aus. Ihre bleiche Haut hatte eine dunkelgraue Färbung angenommen.

»… lass die jämmerlichen kleinen Funken ihrer Lebenskraft in deinem Glanze erstrahlen und geleite unsere Opfer zu einer neuen Existenz, die Dich und Deine göttlichen Diener nähren möge bis …«

Alle Hoffnung fiel von Gero ab, als er Tala und Rudko schließlich doch sah. Die kleine menschliche Frau mit der wilden Lockenmähne und der hünenhafte Mann waren ein Paar und seit vielen Jahren Geros beste Freunde. Jetzt hatten sie ihn auch erkannt. Instinktiv wollte Gero ihren Blicken ausweichen, weil er es nicht ertragen konnte, auch für ihren Tod verantwortlich zu sein. Doch dann zwang er sich dazu, seinen Freunden ein letztes Mal in die Augen zu schauen. Die Stimme des Anakih-Priesters im Hintergrund übertönte alles, und durch die Distanz hätten sie seine Bitte um Entschuldigung ohnehin nicht gehört. Gero sah, dass Rudkos Lippen sich bewegten. Immer wieder schien er einen Satz zu wiederholen. Gero meinte, ›nicht deine Schuld‹ zu erkennen. Auch in Talas Augen fand er keinen Vorwurf, nur den resignierten Blick einer Todgeweihten.

»… nimm nun unser Opfer entgegen und segne uns abermals, dass wir weiterhin Dein Werk tun können und Dein williges Werkzeug, die Vollstrecker Deines göttlichen Willens und Deines weisen Planes sein können, den Du uns, wenn der jüngste Tag naht, in Deiner Güte zuteilwerden lässt. Oh, großer Kro'ol …«

Mit einer Kopfbewegung signalisierte Rudko ihm, in eine bestimmte Richtung zu schauen. Und dann sah Gero ihn: geschunden wie alle anderen, kniete der Agrav Maalt mehr tot als lebendig in Ketten. Allein die Standard-Gravitation auf dem Anakih-Kreuzer musste den Weltraumbewohner schon an die Schwelle des Todes bringen. Die Anakih hatten einen Teil seines Exoskeletts entfernt. Geradeso, dass der Agrav noch etwas weiterlebte, aber ohne die verstärkten Gliedmaßen keine Gefahr mehr für seine Bewacher darstellen konnte. Maalts Augen funkelten in einer Art religiösem Wahn, als freue er sich auf die Hinrichtung. Eine rätselhafte Tiefe lag in seinem Blick, als er auch Gero wahrnahm. War das ein Lächeln auf seinen Lippen oder war es nur ein Ausdruck des Schmerzes? Gero ahnte, dass er und seine Freunde auf die Wahnvorstellungen eines völlig Verrückten hereingefallen waren.

Trotzdem machte Gero sich selbst für alles verantwortlich. Hätte er sich nicht auf diese Mission eingelassen, wären Tala und Rudko jetzt nicht hier. Der Reiz des Abenteuers hatte ihn geblendet. Und die befremdliche Neugier, den Opalnebel aus nächster Nähe zu betrachten, hatte ihr Übriges getan.

So endgültig wie die fallende Klinge einer Guillotine, teilte plötzlich ein neues Kraftfeld die Halle und trennte Verurteilte und Anakih voneinander. Die Anakih waren auf der sicheren Seite des Feldes. Der Großinquisitor kam zum Ende seiner Predigt.

»Dir Kro'ol!«, schrie er.

»DIR KRO'OL!«, stimmten die Kleriker lauthals mit ein.

In der darauffolgenden Stille löste sich das Kraftfeld des Hangars beinahe lautlos auf. Gleichzeitig öffneten sich die Ketten der Verurteilten. Einem wilden Orkan gleich, erfasste die entweichende Atmosphäre ihre zappelnden Körper und blies sie in wenigen Sekunden bis an die zuckenden Energiefelder der Verwerfung heran. Gleich würden sie sich unter der Kraft der Energie auflösen.

Das Vakuum presste Gero die Luft aus den Lungen. Wie der erbarmungslose Griff eines Eistitanen umschloss die Kälte ihn. Noch einmal spürte er den stechenden Schmerz der Schuld. Dann fühlte er sich plötzlich ganz leicht.

Es wurde dunkel.

 

Teil 1

Was zuvor geschah.

 

1

Mit diesem Buch möchte ich einen, wenn auch nicht ganz unvoreingenommenen, Blick auf den Menschen Gero Velacrian werfen. Schon vor den Ereignissen, die die Geschichte unserer Galaxie später so sehr prägten, war seine Laufbahn mehr als ungewöhnlich. Es lohnt sich, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und der wahren Motivation Geros auf den Grund zu gehen.

– Aus: »Gero Velacrian - Die autorisierte Biografie« von Rudko Perann

 

»Setusianer aufrecht!«, begrüßte Personalchef Delian die Anwesenden mit der auf Setus Beta traditionellen Floskel, während er in Begleitung Geros eilig zum Kopf des Konferenztisches schritt. Die angeregten Gespräche der Anwesenden verstummten abrupt, als ihr Vorgesetzter den Raum betrat. Im Gegensatz zu Delian, dessen grauer Reptae-Körper in einem edlen Business-Anzug steckte, war der Sicherheitstrupp der Gelem Corp. sehr leger gekleidet. Die fünfzehn Xenos verschiedenster Rassen saßen erwartungsvoll um den länglichen Tisch verteilt und trugen ihre Uniformen hemdsärmelig aufgeknüpft. Sie erwiderten den Gruß jedoch nur mit wenig Enthusiasmus. Sicher ahnten sie schon, dass es keine guten Neuigkeiten gab, denn dieses Treffen war sehr kurzfristig direkt zu Dienstantritt der ersten Tagesschicht anberaumt worden.

Der Konferenzraum war schlicht eingerichtet und beschränkte sich auf den Tisch und die den unterschiedlichen Anatomien angepassten Sitzgelegenheiten der Xenos des Sicherheitstrupps. Die Wand hinter dem Kopf des Tisches wurde fast vollkommen von einem großen Bildschirm eingenommen. Selbst auf Tageslicht musste man verzichten; Leuchtröhren fluteten den Raum mit sterilem, grellem Licht. Er war komplett von der Außenwelt abgeschirmt, damit das hier Besprochene nicht abgehört werden konnte. In diesem Raum hatte man unweigerlich das Gefühl, nichts vor den anderen verbergen zu können.

Delian und Gero nahmen Platz. Die Xenos des Sicherheitstrupps musterten den Menschen in Delians Gefolge neugierig. Doch statt den Fremden direkt vorzustellen, sagte Delian zuerst: »Es tut mir leid, dass ich Ihren Tagesplan durcheinanderwerfe, Gentlemen. Leider hat sich eine kurzfristige Änderung ergeben, die unser sofortiges Handeln erfordert. Um es kurz zu machen: Sicherheitschef Pal Topas ist bis auf Weiteres beurlaubt und wird den kommenden Einsatz nicht leiten können.«

Wie erwartet, reagierte der Trupp unzufrieden auf diese überraschende Nachricht. »So kann ich nicht arbeiten!«, »Krass!« und »Ich bin zu alt für den Scheiß!«, hörte Gero aus den einsetzenden Protesten heraus. Delian hatte das offenbar schon erwartet und gab den Leuten einen Augenblick Zeit, um sich wieder zu beruhigen und mit den Tatsachen abzufinden.

»Und was ist mit dem Chief?«, wollte ein groß gewachsener Bendra mit einer stattlichen Narbe auf der linken Wange wissen.

»Wie gesagt, er wurde beurlaubt. Das ist ausdrücklich noch keine Verurteilung. Bis die Umstände geklärt sind, kann Herr Topas die Einheit jedoch nicht mehr leiten. Es ist gut möglich, dass er schon bald wieder zurück ist. Mehr darf ich Ihnen jedoch im Moment zu der Angelegenheit nicht sagen.«

Delian hatte Gero über den wahren Grund informiert: Auffällige Geldeingänge auf dem privaten Bankkonto Topas’ hatten die Personalabteilung zum Handeln gezwungen. Die verdächtigen Buchungen waren zuerst dem setusianischen Geheimdienst aufgefallen. Da es sich bei der nächsten Mission um den Schutz eines Politikers handelte, war auch der planetare Geheimdienst involviert. Gelem Corp. blieb keine andere Wahl, als Topas bis auf Weiteres zu beurlauben. Da die Buchungen jedoch sehr auffällig vonstattengegangen waren, vermutete man, dass jemand Topas diskreditieren wollte, um ihn als Sicherheitschef aus dem Weg zu räumen. Möglicherweise wollten die potenziellen Attentäter auch einen der ihren als Leiter der Sicherheit sehen. Deswegen hatte man Gero als Außenstehenden hinzugezogen. In der aktuellen Situation konnte man nicht vorsichtig genug sein.

»Aber Sir, wir haben den gesamten Ablauf schon mehrmals mit Topas durchexerziert. Wie sollen wir in nur zwei Tagen ein neues Sicherheitskonzept erstellen?«, fragte Keptan, ein schlanker Lytan. Er war Topas’ Stellvertreter und hätte eigentlich dessen Nachfolge antreten sollen. Die skeptischen Blicke, die er Gero zuwarf, ließen erahnen, dass er schon vermutete, diesen Posten nicht zu bekommen.

»An den ursprünglichen Plänen wird nicht viel geändert. Wir haben uns entschieden, zumindest für diese wichtige Mission, einen Außenstehenden als Leiter der Sicherheitsabteilung zu installieren. Was wir jetzt benötigen, ist ein frischer Blick auf alle Abläufe. Deswegen möchte ich Ihnen Gero Velacrian kurz vorstellen.« Gero nickte freundlich in die Runde. »Herr Velacrian war Captain bei der Sokhanischen Verteidigungsflotte und hatte das Kommando über eine Einheit der Fünften Brigade. Seitdem er wieder als Privatmann auf Setus Beta lebt, hat er schon einige Aufträge zu unserer Zufriedenheit erledigt. Er genießt unser volles Vertrauen und ist mehr als qualifiziert für diesen Job.«

Gero sah in gespannte Gesichter. Die Erwähnung der Fünften Brigade hatte respektvolles Nicken zur Folge gehabt. Diese Einheit der sokhanischen Armee besaß einen geradezu legendären Ruf. Sich dort einen Kommandoposten zu erarbeiten, war für einen Menschen mehr als ungewöhnlich. Doch Gero wusste, dass auch die Frage, warum er nicht mehr diente, den Anwesenden schon auf der Zunge lag.

Delian warf Gero einen aufmunternden Blick zu - ein unmissverständliches Zeichen, das Wort zu ergreifen. »Hallo, ich freue mich, hier zu sein, auch wenn die Umstände unglücklich sind. Wir kennen uns bisher nicht und haben auch nur wenig Zeit, um eine vertrauensvolle Basis für die Zusammenarbeit aufzubauen. Mit Chief Topas habe ich aber schon einmal in der Vergangenheit zusammengearbeitet. Topas ist ein feiner Kerl und ich bin sicher, dass er bald wieder auf seinen Posten zurückkehren kann.« Das war Geros voller Ernst und brachte ihm, wie erhofft, ein paar lautstarke Zustimmungen ein. »Ich will gar nicht alles über den Haufen werfen. Die Abläufe werden grundsätzlich beibehalten. Aber Sie alle wissen, dass die Sicherheit von Senator Xhenizanam absolute Priorität hat. Gekränkte Eitelkeiten, aber auch die absolut verständliche Loyalität gegenüber dem Chief, dürfen uns nicht daran hindern, alles objektiv auf den Prüfstand zu stellen. Ich selbst strebe kein langfristiges Kommando an. Diesen Auftrag der Gelem Corp. konnte ich als loyaler Einwohner Setus’ aber nicht ausschlagen. Es ist für uns alle eine Ehre, mit der Sicherheit Xhenizanams betraut zu werden. Die großzügigen Boni, die die Setusianer zahlen, brauche ich ja nicht zu erwähnen. Deswegen kann ich nur sagen: Auf eine gute Zusammenarbeit und machen wir unseren Job.« Mit erhobener Faust setzte Gero noch ein »Hey!« nach. Der gesamte Trupp erwiderte die gängige Siegergeste.

»Danke, Herr Velacrian. Damit ist so weit alles geklärt. Ich habe noch ein Treffen mit dem Geheimdienst vor mir und überlasse Sie jetzt ihrer Arbeit.« Delian stand schwungvoll auf, zupfte seinen Anzug zurecht und verabschiedete sich. Im Vorbeigehen klopfte er Gero aufmunternd auf die Schulter. »Viel Erfolg, Velacrian.«

***

Während sich die Versammlung auflöste und der Trupp die tägliche Routine aufnahm, ließ Gero sich von Keptan das Sicherheitskonzept noch einmal in eigenen Worten erläutern. Man hatte ihn die Pläne bereits einsehen lassen, aber Gero bevorzugte es, wenn einer der Planer ihm die Abläufe selbst noch einmal darlegte.

»Die Fünfte Brigade, also. Sie müssen der erste Mensch sein, der jemals ein Kommando über eine sokhanische Einheit innehatte«, bemerkte Keptan respektvoll. Die Lytan waren eine der ersten fremdweltlerischen Spezies, die auf Setus Beta als Gastarbeiter begonnen hatten. Heute waren sie eine der angesehensten Spezies auf Setus. Keptans dunkelblau schimmerndes Fell war sorgsam gestutzt. Seine gelben Augen musterten Gero aufmerksam.

»Das ist richtig. Ich hatte viel Glück, einen wohlwollenden Mentor zu finden. Ohne ihn hätte ich nie einen Kommandoposten bekommen. Die Sokhanische Verteidigungsflotte hat sich in den vergangenen Jahren für Xenos aber immer mehr geöffnet.« Gero ahnte, dass Keptan diese eine Frage bereits auf den Lippen lag.

»Mein jüngerer Bruder spielt ebenfalls mit dem Gedanken, zur Verteidigungsflotte zu gehen.«

»Ich kann ihm nur raten, es zu versuchen. Es ist ein großes Privileg. Ich bin von den Sokha immer gut behandelt worden.« In Gedanken setzte Gero noch ›außer nach Binares‹ hinzu, was er aber lieber für sich behielt. Es war besser, wenn er das Gespräch in harmlose Gefilde lenkte. »Lebt Ihre Familie auf Setus?«

»Nur der engste Familienkreis. Darf ich fragen, warum Sie ein so einzigartiges Kommando aufgaben?« Immerhin war Keptan so höflich, Gero nicht direkt auf das Binares Desaster anzusprechen. Sicher hatte er schon davon gehört. Wie lange mochte es dauern, bis der Lytan eine Verbindung zwischen dem entlassenen Offizier Gero Velacrian und dem Vorfall im Binares System zog?

»Letztlich gab es Differenzen bei der Definition meiner Hauptaufgaben.« Das war die Formulierung, die Gero nach dem Militärgerichtsverfahren einstudiert hatte. Man hatte ihn zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet. Sein Einwilligen, niemals etwas über die Ereignisse bei Binares zu verraten, hatte Gero letztlich vor einer Haftstrafe bewahrt. »Aber wie gesagt, ich verdanke den Sokha viel. Die Zeit in der Verteidigungsflotte war die beste meines Lebens.«

Wieder erwies sich Keptan als rücksichtsvoll und diskret, indem er nicht weiter nachbohrte. Er hatte soeben einige Pluspunkte bei Gero gesammelt.

Den Rest des Vormittages beriet sich Gero mit Keptan. Er sollte nicht nur die Routinen erneut überprüfen, sondern auch nach einem potenziellen Spion im Sicherheitstrupp suchen. Falls sich der Verdacht gegenüber Topas nicht erhärten sollte, war es wahrscheinlich, dass ein Spion sich dessen Abwesenheit zunutze machen wollte. Keptan war als Topas' Stellvertreter und logischer Nachfolger besonders verdächtig. Gero konnte es sich aber auch nicht leisten, Keptan vor den Kopf zu stoßen. Es blieb einfach nicht genügend Zeit, um den erarbeiteten Sicherheitsplan komplett zu verwerfen. Im günstigsten Fall war der Verdacht unbegründet und die Vorwürfe nur einer professionellen Paranoia geschuldet.

***

»... haben Korridor 25B überprüft, sind jetzt auf dem Weg zu 24A. Keine Auffälligkeiten«, berichtete Einheit Fünf per Funk.

»Empfangen und genehmigt«, bestätigte Gero. Er befand sich in der Zentrale der Sicherheit des Gelem Towers. Von hier aus koordinierte er die Einheiten, die durch das Gebäude patrouillierten. Alle Stränge der komplexen Überwachungstechnologie des Towers liefen hier zusammen. Auf einer unübersichtlich anmutenden Phalanx von Bildschirmen kontrollierte ein Sicherheitsmann die Szenen, die die KI für ihn zum Check aussiebte. Meist waren das nur Lappalien, wie zum Beispiel ein Insekt, das sich in den Sicherheitsbereich verirrt hatte. Der Wachmann kontrollierte daraufhin mit einem manuellen Scan, ob es sich dabei wirklich nur um ein Tier, oder doch um eine Miniaturdrohne handelte.

Dieser Einsatz machte Gero aus einem unbekannten Grund nervös. Seit Binares hatte er kein Kommando über einen Trupp mehr übernommen. Er zog es mittlerweile vor, alleine zu arbeiten. Aber als gebürtiger Einwohner von Setus Beta wäre es ein Affront gewesen, einen solchen Auftrag auszuschlagen. Hätte er nicht angenommen, würde er auf Setus vielleicht nie wieder einen Securityjob bekommen. Doch er fühlte sich unwohl. War es die Art und Weise, wie der Job zustande gekommen war, oder ein Hinweis seines Unterbewusstseins, dass irgendetwas bei dem Einsatz falsch lief? Noch konnte er das mulmige Gefühl nicht deuten.

Als Leiter des Einsatzes musste Gero sich jedoch auf seine Instinkte verlassen. Wenn etwas nicht nach Plan lief - und wenn – wie hierbei – Zivilisten involviert waren, konnte das jederzeit geschehen - dann musste er innerhalb von Sekunden entscheiden, wie die Sicherheit darauf reagieren sollte. Dabei mussten sie stets diskret vorgehen, denn der Senator wollte sich volksnah geben. Xhenizanam zog es vor, dass die aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen, die seine öffentlichen Auftritte stets begleiteten, von normalen Bürgern gar nicht als solche wahrgenommen wurden. Es war eine Eigenart des Senators, die Gero nicht besonders schätzte. In der Sokhanischen Verteidigungsflotte wäre ein Eiertanz wie dieser nicht nötig gewesen. Dort hatte Gero nur mit Profis gearbeitet, die sich nicht ständig zurückhalten mussten und, wenn nötig, auch einmal hart durchgreifen konnten. Hier musste jedoch der schöne Schein einer zu keiner Zeit bedrohten Vertragsunterzeichnung gewahrt werden. Die Reporter, die die Veranstaltung begleiteten, mussten genauestens durchleuchtet und überwacht werden, damit sie der Öffentlichkeit die vom Senator gewünschten Bilder liefern konnten.

Seit dem Binares Desaster zweifelte Gero jedoch generell an seinen Instinkten. Die Verantwortung, die bei solchen Einsätzen auf ihm lastete, behagte ihm überhaupt nicht. Doch letzten Endes war es das, was er am besten konnte. Als er nach Setus Beta zurückgekehrt war, hatte er auch eine komplette berufliche Neuorientierung in Betracht gezogen. Für einen Menschen standen jedoch kaum reizvolle Karrierewege offen. Gero hatte kein kaufmännisches Talent, handwerklich war er auch nicht begabt, ganz zu schweigen von seinem legendären schwarzen Daumen, der auch die Landwirtschaft ausschloss. Übrig blieben nur noch Anstellungen als Hilfsarbeiter oder Angestellter einer Firma, die für ihn mehr als einen kleinen Rückschritt bedeutet hätten. Wenn er sein eigenes Geld verdienen wollte, musste er also die Kröte schlucken und das tun, was er am besten konnte. Den Weltraum würde er wahrscheinlich nie wieder sehen.

Schon bald sollten Senator Xhenizanam und ein Gesandter der Gebnat Hanse hier eintreffen, um einen Freihandelsvertrag für einen gesamten Raumsektor zu erneuern. Während die meisten Spezies eine Doppelposition in Politik und einem Wirtschaftsunternehmen wegen des Risikos von Interessenkonflikten und Korruption strikt ablehnten, gingen die Setusianer bei solchen Dingen pragmatischer vor. Ihre Bevölkerungsdichte war schon immer sehr gering, deswegen war es üblich, dass ein Setusianer mehreren Aufgaben nachging. Die alte Rasse rühmte sich hoher moralischer Standards. Für sie war es undenkbar, dass einer der ihren seine eigenen Interessen über die der gesamten Rasse stellte. Deswegen wurde es als unbedenklich erachtet, wenn Politiker gleichzeitig auch in der Wirtschaft tätig waren. Gero war da skeptisch.

»Hier spricht der Chief, noch eine Stunde bis zum Eintreffen des Senators. Wir gehen in Phase Zwei über. Ab jetzt ist jede Auffälligkeit zu melden«, sagte Gero über den internen Kanal. »Einheit Drei, begebt euch jetzt zum Eingang Gamma. Die Presseleute warten schon. Ich möchte, dass ihr einen zweiten Tiefenscan durchführt.«

»Äh, Chief, das wird dann aber noch zehn Minuten zusätzlich dauern. Die Typen gehen mir so schon krass auf die Nerven.« ›Krass‹ war Sedrix’ Lieblingswort. Gero musste grinsen, als er sich daran erinnerte, dass der Bendra schon bei den gestrigen Proben mit einer Reporterin aneinandergeraten war, als er darauf bestanden hatte, dass sie sämtliche Aufzeichnungsgeräte für einen Scan aushändigte.

»Sag ihnen, dass sie die Wahl haben: Entweder sie dürfen exklusiv die Unterzeichnung der Verträge für die nächsten zwanzig Zyklen dokumentieren, oder stattdessen eine Kaffeepause im Park einlegen.« Die Befindlichkeiten der Presseleute kümmerten Gero nur wenig. Was innerhalb des Gelem Towers geschah, hatten sie unter Kontrolle. Die größte Gefahr kam von außen. Deswegen konnten sie es sich nicht leisten, bei den Durchsuchungen schlampig zu sein.

»Einheit Drei bestätigt«, meldete Sedrix hörbar grummelig.

Gero überflog noch einmal die Liste der Personen, denen eine Genehmigung erteilt worden war. Dieser kurze Besuch des Senators und seines Anhangs war seit Wochen von der Sicherheit vorbereitet worden. Von den Behörden hatten sie weitere Informationen über die Presseleute erhalten, darunter Akkreditierungen und Nachweise, dass alle schon seit mindestens einem Zyklus für ihre Presseabteilung arbeiteten. Es musste sichergestellt werden, dass keiner der Reporter ein Attentäter war. Auch deren Aufnahme-Equipment war detailliert aufgelistet und sowohl von Geros Vorgänger als auch von einem zweiten Sicherheitsmann zusätzlich bestätigt worden. Trotzdem bestand er auf dem erneuten Tiefenscan, damit ihnen keine Waffen durch die Lappen gingen. Danach würde der Computer noch einmal die Unbedenklichkeit der Geräte bestätigen.

Über die Monitore verfolgte Gero, wie sein Team die Reporter und deren Equipment scannte und über die Aufzüge in einen Aufenthaltsraum im zwanzigsten Stockwerk begleitete. Auf dieser Ebene befand sich auch der Konferenzsaal.

Gero wusste, dass die hohen Sicherheitsmaßnahmen erforderlich waren, weil sich Senator Xhenizanam vor einiger Zeit mit einem Verbrechersyndikat angelegt hatte. Das Syndikat hatte den Senator zwingen wollen, bei Verträgen mit den Gebnat einer bestimmten Flugroute der Frachtschiffe zuzustimmen. Das Syndikat hätte auf dieser Route große Mengen der Droge Zybalin B schmuggeln können. Bisher war der Zybalin B-Markt auf Setus Beta klein. Die Behörden hatten das Problem größtenteils im Griff. Hätte der Senator dieser Route zugestimmt, wäre Setus mit der Droge regelrecht überschwemmt worden. Für das Syndikat hätte das exorbitant hohe Gewinne bedeutet. Doch sie hätten wissen müssen, dass der Senator nicht bestechlich war. Das Angebot einer geheimen Gentherapie, die die Fruchtbarkeit der Setusianer deutlich erhöhen sollte, musste dem Senator die Entscheidung erschwert haben. Letztlich hatte jedoch die Moral gesiegt und Xhenizanam hatte den Bestechungsversuch öffentlich gemacht. Die prompt folgende Morddrohung hatte das Syndikat mit einem Anschlag bereits in die Tat umsetzen wollen. Mit Glück hatte der Senator diesen überlebt. Man war sich sicher, dass sie es bald wieder versuchen würden. Und ein Anschlag, bei dem der Vertrag unterzeichnet wurde, den das Syndikat hatte beeinflussen wollen, wäre ein unmissverständliches Signal an alle, die glaubten, sich den Verbrechern widersetzen zu können. Diese Vorgeschichte machte die Mission sehr heikel.

Endlich war der Moment gekommen. Gero beobachtete über eine Außenkamera, wie der Flieger des Senators, von zwei Polizeigleitern eskortiert, auf dem Dach des Gelem Towers landete. Direkt nach der Landung des Schiffes aktivierte man die Kraftfelder der Dachabschirmung. Senator Xhenizanam kam mit einem kleinen Gefolge seiner engsten Mitarbeiter zur Unterzeichnung. Über diese Leute hatte die Sicherheit der Gelem Corp. keine detaillierten Informationen erhalten.

Xhenizanam war ein betagter Setusianer. Langsamer als es für seine Bodyguards zu ertragen sein musste, schritt er auf seinen vier stämmigen Beinen dahin. Sie trugen einen mächtigen graubraunen Torso, dessen faltige Haut ihn wie eine bequeme, aber doch langsam unansehnlich gewordene, Couch aussehen ließ. Die Setusianer waren nicht humanoid und ähnelten eher geruhsamen Pflanzenfressern. Erst wenn ein Setusianer sich aufrichtete, kamen die vier feingliedrigen Tastarme zum Vorschein. Diese machten die Setusianer zu einer intelligenten Spezies, die Werkzeuge benutzen konnte. Die alte Rasse hatte sich schon vor Äonen zur Hochkultur entwickelt. Das flache Gesicht des Senators wurde von zwei Glubschaugen dominiert, die ihre Umgebung unter schweren Augenlidern musterten. Zwei Sinnesorgane seitlich am Kopf dienten dem Hören. Ein Drittes in einem kleinen Höcker auf dem breiten Rücken konnte stets die eigene Position zum Magnetfeld des Planeten wahrnehmen. Die Notwendigkeit eines stetig spürbaren Magnetfeldflusses hatte verhindert, dass die setusianische Rasse sich weiter über die Galaxie ausgebreitet hatte. Sobald sie ihren Planeten verließen, fühlten sie sich auf beunruhigende Weise orientierungslos.

Xhenizanams Gefolge bestand ausnahmslos aus humanoiden Spezies. Gero sah zwei Heliax Söldner*innen und einen Grell. Die Heliax galten als sehr wehrhaft. Ein Attentäter würde es schwer haben, gleich zwei von ihnen zu überwinden.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis der Senator im Konferenzsaal angekommen war und die Vertragsunterzeichnung endlich beginnen konnte. Doch der Setusianer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wusste sehr wohl, dass das gesamte Zeremoniell in erster Linie ihm galt. Ob er es genoss, andere Spezies, die schneller zu Fuß waren, warten zu lassen, oder sich überhaupt keine Gedanken um derlei Dinge machte, konnte man seinem undeutbaren Gesichtsausdruck jedoch nicht entnehmen.

Während Xhenizanam auf dem Weg zum Konferenzsaal war, erreichte seine Familie unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Tiefgarage des Gelem Towers. Sie würden im Erdgeschoss warten, bis die Unterzeichnung zu Ende war. Die Setusianer bevorzugten es, ihre Familien stets in ihrer Nähe zu wissen. Sicher hoffte Xenizanam den Reportern nach dem offiziellen Teil noch ein paar gute Bilder im Kreise seiner Familie liefern zu können.

Die Zeremonie begann ohne nennenswerte Vorfälle. Gero war zufrieden. Allmählich entspannte er sich dabei, das Geschehen über die Monitore der Zentrale zu verfolgen.

Der Abgesandte der Gebnat Hanse war zwischenzeitlich ebenfalls über das Dach eingetroffen. Gemeinsam mit dem Senator würde er die Freihandelsverträge unterzeichnen. Gelem Corp. war der private Handelspartner, der auf Seiten der Setusianer in erster Linie die Logistik übernahm. Mittlerweile verzichteten die Setusianer auf jegliche Weltraumreisen, hatten sich jedoch ein dichtes Netzwerk von Partnern aufgebaut, die Setus Beta zu einem Knotenpunkt des Handels im gesamten Raumsektor machten.

Vor der feierlichen Unterzeichnung würden Senator Xenizanam und der Gesandte der Gebnat Hanse noch eine Rede halten. Diese wandte sich in erster Linie an die Bürger der beiden Vertragsparteien. Die anwesenden Pressevertreter fieberten den Reden sichtlich entgegen. Als es endlich soweit war, begann der Abgesandte der Hanse mit einer weitschweifigen Darstellung der Vorteile, die der Vertrag für beide Parteien haben würde. Gero seufzte ungehalten. Sie hinkten dem Zeitplan schon jetzt hinterher und diese diplomatischen Gemeinplätze würden den heiklen Einsatz nur noch mehr in die Länge ziehen.

Er ließ sich das Geschehen im Konferenzsaal aus unterschiedlichen Kameraperspektiven anzeigen. Einer der Reporter erweckte dabei seine Aufmerksamkeit. Es war ein Mensch mittleren Alters. Er hustete immer wieder verstohlen in seine Armbeuge. Man konnte erkennen, dass er nur mit viel Mühe einen größeren Hustenanfall zu unterdrücken versuchte. Die Umstehenden ignorierten die Störung anfangs und auch der Redner ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Nach einer Weile zückte der Mann einen Inhalator und nahm einen Zug des Medikaments.

Gero überprüfte hastig die Liste der autorisierten Personen und deren benötigte Hilfsmittel. Der Mann war ein Reporter der Setusla Rundschau. Auch sein Asthma-Inhalator war aufgeführt und als erforderliches Medikament genehmigt worden.

Doch irgendwie kam Gero die Sache verdächtig vor. »Chief an Einheit Drei.«

»Einheit Drei hier.«

»Einer der Reporter benutzt einen Inhalator. Wurde dieser bei dem Tiefenscan ebenfalls durchleuchtet?«

»Nein, die persönlichen Gegenstände sind getrennt hereingekommen und erhielten nur einen Standard-Scan. Bei Medikamenten wurde eine negative Beeinflussung der Zusammensetzung befürchtet. Deswegen keine invasiven Scans.«

»Ok, das gefällt mir nicht. Wir müssen auch den Inhalt des Inhalators auf Unbedenklichkeit überprüfen. Lasst ihn euch aushändigen und scannt ihn auf Stufe zwei. Verhaltet euch aber diskret.«

Sofort machte der Wachmann sich auf den Weg. Indes hatte der Reporter angefangen, stärker zu husten. Er krümmte sich und hielt beide Arme vor die Brust. Jetzt konnten die Umstehenden ihn nicht länger ignorieren. Als die Menge der Reporter von dem Mann zurückwich, sah Gero, wie dieser plötzlich in die Knie ging. Sein Husten wurde stärker. Mit einer Hand griff er an seine Kehle. Offenbar bekam er kaum noch Luft. Die Kamera zoomte näher an das Geschehen und Gero konnte erkennen, dass der Mann mit jedem Husten einen feinen roten Nebel ausspie. Dann sank er plötzlich leblos zu Boden.

Die Scanner im Saal registrierten etwas und augenblicklich wurde Alarm ausgelöst. Ein lautes, misstönendes Signal dröhnte durch den Konferenzsaal. Die Systeme in der Zentrale zeigten Gero an, dass ein Nanonebel aufgetaucht war. Mikroskopisch kleine Maschinen flogen als unsichtbarer Schwarm durch die Luft des Saals. Hatte der Mann die Maschinen zuerst inhaliert und dann ausgehustet? Sofort hatte ein Kraftfeld das Rednerpodest mitsamt den beiden Handelspartnern abgeriegelt. In der Atemluft innerhalb dieses Kraftfelds konnten die Sensoren zum Glück keine feindlichen Nanomaschinen erkennen. Während das automatische Sicherheitssystem den Rest des Saals mit weiteren Kraftfeldern teilte, versuchten die Einheiten vor Ort, die anwesenden Zivilisten vor dem Nanonebel in Sicherheit zu bringen.

Gero war erleichtert, dass die Sicherheitsmaßnahmen so schnell und effektiv arbeiteten. Doch die Gefahr war längst noch nicht vorüber. Der Nebel hatte zwar keine Möglichkeit mehr, die Ehrengäste auf direktem Wege zu erreichen, doch sicher gab es einen Alternativplan der Attentäter.

Als die Menge der Reporter vom Sicherheitsteam zerstreut wurde, hatten sie ihr Equipment in Panik fallen lassen. Gero sah, wie mehrere Aufnahmegeräte sich plötzlich wie von Geisterhand ummodulierten. Innerhalb weniger Sekunden wurden durch die mikroskopischen Maschinen aus den harmlosen Kameras drei Kampfdrohnen. Gerade rechtzeitig, um sich vor dem Beschuss durch den Sicherheitstrupp zu schützen, bauten die Maschinen Kraftfelder um sich auf und erhoben sich in die Luft. Die Leute im Raum schrien erschrocken auf.

Ein Teil der Wachmannschaft evakuierte die Reporter und Zuschauer in den angrenzenden Flur. Der Rest des Trupps gab ihnen dabei Feuerschutz. Noch immer standen der Abgesandte der Hanse und Senator Xhenizanam von allen anderen abgeschnitten bei den Rednerpulten. Die Drohnen kreisten bedrohlich um das Kraftfeld, das die beiden umgab. Es sah aus, als ob riesige Wespen kampfbereit ihre Opfer ins Visier nähmen.

Erst als der Raum bis auf die beiden Politiker geräumt war, wagte das Sicherheitsteam, das Feuer auf die Drohnen zu eröffnen. Doch diese waren klein und wendig. Ihre Kraftfelder konnten den wenigen direkten Treffern mühelos standhalten. Geschickt nutzten die Maschinen das Podest-Kraftfeld, um sich vor weiterem Beschuss zu schützen. Wann immer sich eine kleine Lücke auftat, gaben sie ihrerseits Schüsse auf die Männer ab und hielten diese auf Distanz.

Hatten die Drohnen überhaupt eine Chance, den Eingeschlossenen gefährlich zu werden? Gero konnte nur hoffen, dass auf kurz oder lang sein Sicherheitsteam die Oberhand gewinnen würde. Doch er fürchtete bereits, dass der Feind auch hierfür einen Alternativplan bereithielt. Es widerstrebte Gero, das Geschehen nur auf Monitoren im Überwachungsraum beobachten zu können. Am liebsten wäre er bei seinem Team. Jetzt, wo es zum offenen Kampf gekommen war, waren seine Anweisungen an die Männer überflüssig. Ab hier übernahm die Routine des kampferprobten Teams. Sie mussten blitzschnell eigene Entscheidungen treffen.

Die offensichtliche Pattsituation beunruhigte Gero. Sein Instinkt sagte ihm, dass hier etwas nicht stimmte. Im Chaos des Überfalls hatten sie sich nur noch um das Geschehen im Konferenzsaal gekümmert.

»Haben wir die Statusmeldungen der anderen Teams bestätigt?«, fragte Gero den Sicherheitsmann an seiner Seite.

»Teams Eins und Zwei sind zur Unterstützung in den Konferenzsaal abkommandiert worden«, sagte dieser und prüfte die Anzeigen.

»Und Team Nummer Vier?«

»Die Statusmeldung von Team Vier ist seit einigen Minuten überfällig. Mist! Keine Ahnung, warum der Computer nicht Alarm geschlagen hat. Ich habe es jetzt erst bemerkt, Chief«, entschuldigte sich der Sicherheitsmann.

Team Vier war für die Familie des Senators zuständig, gemeinsam mit einem Teil von dessen eigenen Leibwächtern. Teil des Sicherheitskonzepts war es gewesen, alle Aufmerksamkeit auf das Eintreffen der beiden Politiker zu lenken. Xhenizanams Familie war derweil im Foyer unter Bewachung.

»Was ist mit den Kameras im Foyer?«

Der Sicherheitsmann beackerte hektisch seine Kontrollen; er stand kurz vor einer Panik. Etwas war gewaltig schiefgelaufen. »Ich bekomme kein Signal. Dort ist alles tot. Tut mir leid, Chief.«

»Verdammt«, fluchte Gero, »die Drohnen sind nur ein Ablenkungsmanöver. Ich versuche, sie aufzuhalten. Sobald die Situation im Konferenzsaal gelöst ist, schicken Sie mir ein Team.«

Er rannte zum Aufzug und fuhr bis zum ersten Stock hinab. Sicherheitshalber verließ er den Aufzug dort und nahm die hintere Treppe zum Erdgeschoss. Ein sich öffnender Aufzug direkt vor mutmaßlichen Attentätern wäre die reinste Todesfalle. Wenn Eindringlinge im Erdgeschoss waren, dann rechneten sie sicher schon damit, dass sie bald Besuch bekommen würden.

Im hinteren Teil des Erdgeschosses befanden sich hauptsächlich Lagerräume. Bis auf die Notbeleuchtung war alles düster und es herrschte besorgniserregende Stille. Sie mussten die Hauptenergie abgeschaltet haben, um die automatischen Systeme zu deaktivieren. Warum hatte der Computer das nicht gemeldet? Es konnte nur bedeuten, dass sie wirklich einen Verräter unter sich hatten, denn von außerhalb war es unmöglich, die Systeme des Towers zu hacken. Normalerweise herrschte hier betriebsame Hektik, doch für die Vertragsunterzeichnung hatte man alle Angestellten beurlaubt. Nur die Security-Teams sollten durch die Korridore patrouillieren.

Mit gezücktem Strahler schlich Gero leise durch die Flure. Das Erdgeschoss war im hinteren Teil ein Labyrinth aus kleinen Räumen und weitverzweigten Gängen. Die Unübersichtlichkeit könnte ein Vorteil für Gero sein, sofern die Attentäter nicht zahlreich genug waren, um alles abzusichern. Gero prüfte seinen Scanner, doch er bekam keine Anzeige. Sie verwendeten offenbar auch ein Dämpfungsfeld.

Als Gero eine Tür passierte, bemerkte er, dass sie nicht verschlossen war und halb offen stand. Nur ein weiterer Lagerraum. Sicherheitshalber leuchtete Gero mit der Lampe seiner Waffe hinein und sah zwei Füße. Jemand lag am Boden. Gero trat ein und erkannte die Uniform eines seiner Wachmänner. Er war mit einem Schuss in den Rücken getötet worden. Also war der zweite Mann des Teams der Verräter. Es musste der Wexianer Zeppa sein.

Plötzlich ertönten Schüsse. Mit gezückter Waffe rannte Gero den Flur zum Haupteingang entlang. Wenn die Attentäter noch da waren, musste er sie um jeden Preis aufhalten. Der Aufenthaltsraum, in dem sich die Familie Xhenizanams aufhielt, grenzte an das Foyer beim Haupteingang. Es war ein weiträumiger Bereich mit Tresen, Sitzgelegenheiten und interaktiven Bildschirmen, die normalerweise über die Geschichte und Geschäftsfelder der Gelem Corp. informierten. Wegen des Energieausfalls waren jedoch alle Geräte tot. Das Foyer lag düster und verlassen da.

Gero sah, dass die Attentäter durch den Haupteingang verschwinden wollten. Ein großer, als Baumaschine getarnter Roboter hatte die transparenten Türen des Haupteingangs aufgestemmt. Wahrscheinlich waren so auch Attentäter in das Gebäude gelangt. Zeppa musste die Hauptenergie abgeschaltet und seinen Komplizen von außerhalb geholfen haben, den Türmechanismus zu überwinden. Der Roboter hielt den Haupteingang noch immer offen. Als die Energie abgeschaltet worden war, waren die Türen automatisch blockiert worden. Nur bei einem Notfall, wie einem Brand, konnte man sie öffnen. Das sollte also ihr Fluchtweg sein.

Erneut hörte Gero Schüsse und sah flüchtig, wie Strahlerfeuer aus dem verglasten Aufenthaltsraum aufblitzte. Doch bevor er dort nach dem Rechten sehen konnte, musste er verhindern, dass die Attentäter fliehen konnten. Er zerstörte die Roboterarme mit gezielten Schüssen, woraufhin die Sicherungshydraulik automatisch die Türen wieder schloss. Draußen sah er zwei Xenos, die als Bauarbeiter getarnt waren und die Lage überwachten. Jetzt hatten sie Gero ebenfalls bemerkt. Sie sprachen in ein Headset. Wahrscheinlich meldeten sie gerade ihren Freunden im Gebäude, dass sie Besuch bekamen.

»Chief an Zentrale«, sagte Gero leise.

»Hier Zentrale, was gibt es, Chief?«

»Ich bin im Foyer. Wahrscheinlich sind Attentäter durch den Haupteingang ins Gebäude gelangt. Ich habe die Türen wieder verschlossen. Draußen beim Haupteingang warten weitere Komplizen der Attentäter. Traddam ist tot und es sieht so aus, als ob Zeppa der Verräter ist. Kontaktiert die Polizei, damit sie sich um die Komplizen draußen kümmert. Es gibt einen Schusswechsel im Aufenthaltsraum. Ich werde jetzt dorthin gehen. Und schickt schnellstmöglich Verstärkung. Wie ist die Situation im Konferenzsaal?«

»Wird gemacht, Chief. Dort ist es nach wie vor brenzlig. Wir konnten eine der Drohnen unschädlich machen, die anderen beiden aber bisher nicht zerstören, sonst würden wir dabei das halbe Stockwerk in Schutt und Asche legen. Der Senator und der Hansevertreter sind aber nicht in unmittelbarer Gefahr.«

»Ok. Ich kümmere mich jetzt um die Attentäter im Foyer. Chief Ende.«

Breite Säulen im Empfangsbereich boten Gero Deckung, und so konnte er sich langsam an den Aufenthaltsraum heranschleichen. Dieser hatte zum Eingangsbereich hin dünne, milchig verglaste Wände. Ein Schuss von innerhalb brachte eine der Scheiben zum Splittern. Gero erhaschte einen Blick auf die Situation im Raum. Er sah zwei Körper am Boden liegen, konnte aber nicht erkennen, um wen es sich handelte. Im hinteren Bereich hatten scheinbar Leute hinter umgekippten Tischen Zuflucht gesucht. Während drei Attentäter den Bereich umzingelt hatten, kamen von dort immer wieder Schüsse. Jetzt sah Gero, dass ein/e Heliax Söldner/in Xhenizanams noch Widerstand leistete.

Zwei Attentäter gaben einem dritten Deckung, als dieser vorsichtig aus dem Aufenthaltsraum schlich. Zeppa. Gero erkannte die extrem dünnen Glieder des Wexianers sofort. Offenbar machte er sich auf die Suche nach dem gemeldeten Security-Mann. Geschickt bewegte er sich in der Deckung der Säulen voran; es gelang Gero nicht, freie Schussbahn zu bekommen. Der Verräter kannte sich im Gebäude bestens aus, während Gero sich die Pläne erst vor Kurzem flüchtig hatte einprägen können. Für ein langes Katz-und-Maus-Spiel blieb keine Zeit. Noch hatte Zeppa ihn nicht gesehen. Es war fast unmöglich, sich auf dem blanken Marmorfußboden der Halle lautlos zu bewegen. Ihre Stiefel erzeugten ein unmissverständliches Klacken, das noch weitere Echos in dem leeren Raum nach sich zog. Beide wussten längst von der Anwesenheit des anderen.

Gero suchte Deckung in einer Nische. Dort stand ein Servicebot. Er hatte einmal gesehen, wie ein Kind zum Geburtstag von einem Bot überrascht worden war. Die Dinger veranstalteten einen riesigen Radau, was bei den Kleinen natürlich ausgesprochen gut ankam. Die Bots waren unabhängig von der Energieversorgung des Gebäudes, wusste Gero. Noch war Zeppa einige Schritte entfernt. Gero quetschte sich in die Nische neben den Bot und programmierte manuell einen Überraschungsauftritt. Als die Maschine losrumpelte, ging Gero sofort wieder in die Deckung einer Säule.

Zuerst ignorierte Zeppa den Bot, als dieser eine Sitzreihe in der Mitte der Empfangshalle ansteuerte. Um den Verräter abzulenken, gab Gero zwei Schüsse in die Richtung ab, in der er Zeppa vermutete. Dieser erwiderte das Feuer. Gero hörte, wie Zeppa sofort sein Versteck wechselte, nachdem er sich mit den Schüssen verraten hatte. Da begann der Bot plötzlich laute Musik abzuspielen und sich wild zu drehen. Mit einem schrillen ›Happy Birthday‹ entzündete die Maschine Wunderkerzen in den vier Armen und imitierte holografisch ein Feuerwerk.

Zeppa hatte sich tatsächlich erschrocken und feuerte auf den Bot. Das gab Gero die Gelegenheit, den Verräter ins Visier zu nehmen. Sein erster Schuss traf Zeppas Arm. Der Verräter schrie wütend auf und geriet ins Straucheln. Als er aus der Deckung stolperte, machte Gero kurzen Prozess mit ihm. Ein gezielter Schuss in die Brust ließ ihn leblos zu Boden fallen. Makabererweise setzte der Bot sein schrill-fröhliches Geburtstagslied trotz der Beschädigung weiter fort.

Gero wandte sich dem Aufenthaltsraum zu, in dem immer wieder Strahlerfeuer aufflammte. Schrille Schreie ließen vermuten, dass zumindest der kleine Sohn Xhenizanams noch immer am Leben war und von dem/der Heliax beschützt wurde. Die Attentäter planten scheinbar eine Entführung. Hätten sie die Familie des Senators nur töten wollen, wären sie sicherlich weniger vorsichtig vorgegangen. Eine Plasmagranate hätte genügt, das halbe Erdgeschoss zu zerstören und mit allen Personen darin kurzen Prozess gemacht. Gero konnte nur hoffen, dass sie es sich nicht noch anders überlegten.

Vorsichtig näherte er sich dem Durchgang zum Aufenthaltsraum. Als er den Attentäter sah, der auf ihn anlegte, blieb ihm nur der Bruchteil einer Sekunde, um hinter einer Säule in Deckung zu gehen. Der Energiestrahl perforierte die Säule und ließ nur ein Gerippe übrig. Nachdem der Beschuss geendet hatte, brachte Gero seinerseits mit einem gezielten Schuss einen weiteren Teil der verglasten Wand zum Bersten. Er brauchte unbedingt bessere Sicht auf das Geschehen im Raum, um zu verhindern, dass er versehentlich die Gefangenen beschoss.

»Zwei Attentäter, zehn und zwei Uhr. Frau und Kind sind bei mir!«, informierte die/der Heliax Gero über die taktische Situation.

Verdammt, wo blieb die Verstärkung?

Sie hatten wieder ein Patt erreicht. Während Gero einen der Attentäter mit einigen Schüssen in Schach hielt, war der Zweite mit dem/der Heliax beschäftigt. Man hörte, wie die beiden Attentäter sich stritten. Sie hatten also endlich begriffen, dass sie es schwer haben würden, die geplante Entführung noch immer durchzuziehen. Xhenizanams Familie schwebte jetzt in großer Gefahr.

»Deckung!«, hörte Gero einen der Attentäter dem anderen zurufen. Dann flog eine Granate ins Foyer. Der brachiale Impuls der Schockwelle machte auch vor den Personen im Aufenthaltsraum nicht halt und warf alle zu Boden. Selbst hinter einer dicken Säule war Gero nicht vor der Detonation geschützt. Er ging in die Knie und hielt sich instinktiv die Hände auf die Ohren. Sein Strahler fiel zu Boden und landete einige Meter entfernt.

Langsam rappelte er sich wieder auf. Sein Kopf dröhnte. Er fühlte, wie warmes Blut aus seinen Ohren austrat und ihm am Hals herunterlief. Durch seine geplatzten Trommelfelle hörte er nichts mehr, was der folgenden Szene eine beinahe surreale Wirkung verlieh.

Die beiden Attentäter wollten sich aus dem Staub machen. Der/Die Heliax erwischte einen der beiden, als er geduckt aus dem Raum fliehen wollte, doch der Zweite streckte den/die Heliax mit einer tödlichen Salve nieder. Der letzte Attentäter humpelte aus dem Aufenthaltsraum heraus. Gero beachtete er in seiner kopflosen Flucht anfangs nicht. Erst als Gero geduckt auf seinen Strahler zu kroch, sah der Mann ihn. Es gelang Gero gerade so, sich wegzudrehen. Der Schuss traf ihn am rechten Oberarm und betäubte diesen sofort. Unbeholfen robbte er im Schutz einer Couch weiter in Richtung des Strahlers und bekam die Waffe mit der linken Hand zu fassen. Gerade, als der Attentäter die Couch umrundet hatte, riss Gero die Waffe zu einem letzten Schuss hoch. Der Mann wurde von den Füßen gerissen, als der Schuss ihn mitten in die Brust traf. Damit war auch der letzte Attentäter neutralisiert.

Gero atmete tief durch und stand langsam auf. Mit letzter Kraft schaffte er es, in den Aufenthaltsraum zu humpeln. Aus sicherer Deckung blickten zwei völlig verängstigte setusianische Augenpaare glubschäugig zu ihm auf.

 

 

2

Vielleicht sind es letztlich nicht besondere positiven Eigenschaften oder seine Taten, die einen Mann zu einer besonderen Persönlichkeit machen. Vielleicht ist es vielmehr die Art, wie jemand mit Anfeindungen, Konflikten und rassistischen Vorurteilen umgeht, die ihn zu einer außergewöhnlichen Person machen. Auch Gero war weit davon entfernt, dem makellosen Ideal zu entsprechen, das manch einer heute in ihm sieht. Dafür war er viel zu unsicher in seiner Selbstsicht, zu kritisch, was seine Erfolge anbelangte, und insgesamt zu perfektionistisch. Er konnte sich nie auf dem Erreichten ausruhen und war stets getrieben von tiefsitzenden Verlustängsten.

– Aus: »Gero Velacrian - Die autorisierte Biografie« von Rudko Perann

 

»Hier lässt es sich leben«, bemerkte Rudko und ließ den Blick durch die schmale, verwinkelte Straße schweifen, an deren Seiten sich ausnahmslos kleine Einfamilienhäuser mit üppig-bunten Gärten aneinanderreihten.

»Jepp, als Mensch kann man’s koom besser treffen«, pflichtete ihm Tala mit ihrem breiten Frachtschiffcrew-Dialekt bei. »Sie hat ’nen Verwaltungsanjestellten jeheiratet.«

Auf ihrer Suche schlenderten die beiden Menschen gelassen durch die Straßen des Truspan Distrikts. Das Paar hätte gegensätzlicher kaum sein können: Rudko war eins neunzig groß und hatte eine kräftige Statur. Zu der Muskelmasse seines jahrelangen Militärdienstes war in den letzten beiden Jahren als Zivilist auch ein kaum übersehbarer Wohlstandsbauch hinzugekommen. Sein fein geschnittenes, attraktives Gesicht wurde von einem Doppelkinn und dem zurückweichenden Haaransatz eingerahmt. Mit den lässigen Khakishorts und dem grellbunten Hemd wirkte er wie ein typischer Tourist. Tala, seine Frau, reichte dem Koloss kaum bis zur Brust. Sie hatte einen dunklen Teint und einen schwarzen Wuschelkopf, der bei ihrer forschen Gangart stets mitwippte. Tala kleidete sich, als befände sie sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit. Die dunkelgraue Latzhose verbarg ihre weiblichen Reize sorgsam. Sie war stets optimistisch und besaß ein breites, ansteckendes Grinsen, das jeden schnell wieder aufmuntern konnte. Ihre breite Nase war von einigen Sommersprossen gesprenkelt. Aus dem Grün ihrer Augen blitzte einem stets der Schalk entgegen. Man hätte meinen können, dass ihr Mann der grobschlächtigere der beiden war, doch Tala konnte fluchen wie ein Kesselflicker und derbe Witze reißen, die so manchem Weltraumpiraten die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten. Trotz seines massigen Körpers war Rudko der Feingeist des gegensätzlichen Paars.

Es war später Nachmittag und am Himmel trat Setus Betas rotgelb strahlendes Zentralgestirn den langsamen Abstieg gen Horizont an. Hier und dort sah man einige Xenos beisammenstehen und reden. Das Zirpen von Insekten und helles Kinderlachen erzeugten eine friedlich-idyllische Atmosphäre. Dies war eine Wohngegend der Mittelklasse Setuslas, der Hauptstadt von Setus Beta. Reinrassige Setusianer bekam man hier keine zu Gesicht, dafür aber Xenos aus allen Teilen der Galaxie, die auf dem Planeten als Gastarbeiter gern gesehen waren. Die gesamte Infrastruktur Truspans war sehr naturnah gestaltet. Es fühlte sich beinahe so an, als wandere man durch eine Schrebergartensiedlung.

Als die beiden Menschen die Straße entlang schlenderten, entdeckten sie eine junge Frau, die gerade damit beschäftigt war, im Vorgarten einen Setzling zu pflanzen. Bei der Arbeit summte sie fröhlich eine Melodie vor sich hin. Ihre hastigen Bewegungen ließen auf ein quirliges Naturell schließen.

»'Tschuldijung, kenn’ Sie eene Telisia Velacrian?«, rief Tala der jungen Frau zu, ahnte aber schon, dass es sich bei der Fremden um die jüngere Schwester Geros handeln könnte. So hatte er sie immer beschrieben: eins fünfundsechzig, mit schulterlangem, rabenschwarzem Haar und voller Leben.

»Ja«, bestätigte die junge Frau, nachdem sie die Fremden gemustert hatte. »Das bin ich. Gensak Ty ist jetzt aber mein Nachname.«

»Wir sind eigentlich auf der Suche nach Ihrem Bruder, Gero«, erklärte Rudko.

Für einen kurzen Moment huschte ein Stirnrunzeln über das Gesicht der jungen Frau, das sich schnell wieder in ein freundliches Lächeln auflöste. »Sie sind Tala und Ra …«

»… Rudko, richtig! Dann hat Gero schon von uns erzählt?«

»Natürlich! Schon einige Male. Sie drei müssen seit der Akademie ja unzertrennlich gewesen sein. Willkommen in Setusla!«

Rudko bemerkte, dass Telisia die Begrüßungsform mit offenen Händen verwendete, die eigentlich nur Freunden und Familie vorbehalten war. Etwas unbeholfen erwiderten Tala und er die Geste.

»Gero ist gerade nicht hier, aber ich bin sicher, dass er bald nach Hause kommt. Bitte kommen Sie doch herein, Sie können gern im Haus auf ihn warten.«

»Das wäre prima«, erwiderte Rudko. Und Tala setzte ein »Danke« hinzu.