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Wer Karl Mays Abenteuer liest und liebt, der erfährt, dass Kara Ben Nemsi sich auch von fernen Städten faszinieren lässt. Von Städten und Stätten des Orients, in denen heute noch Szenerien wie aus 1001 Nacht mitschwingen, deren Architektonik selbst im Verfall noch historische Züge trägt und deren Namen bereits eine Sehnsucht in uns auslösen, sie zu besuchen – auch wenn der Besuch sich nur fiktional literarisch gestaltet. Basra und Bagdad haben noch etwas Märchenhaftes in sich, Kairo ist die jahrtausendealte Metropole, und Istanbul als osmanische Hauptstadt das Zentrum gleich dreier Kontinente. Im vorliegenden Band spüren moderne Autoren in neuen Geschichten dieser Faszination nach. In der Anthologie zeigen sich neue Facetten der beliebten Helden und erlauben diesen – ohne sich jedoch konträr zu Mays Weltbild zu stellen –, etwas mehr aus sich herauszugehen. Auch der eine oder andere humoristische Blick darf gewagt werden.
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Seitenzahl: 583
Veröffentlichungsjahr: 2025
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DIE STADTDER DIEBE
UND WEITERE NEUE ORIENTALISCHEABENTEUER MIT KARA BEN NEMSIUND HADSCHI HALEF OMAR
HERAUSGEGEBEN VON
THOMAS LE BLANC
Herausgeber der Reihe: Bernhard Schmid© 2024 Karl-May-Verlag, BambergAlle Urheber- und Verlagsrechte vorbehaltenDeckelbild: Klaus LehmannISBN 978-3-7802-1640-3
KARL-MAY-VERLAGBAMBERG.RADEBEUL
Vorwort
Alexander Röder: Die Stadt der Diebe
Nina Blazon: Die Totenbraut
Sabine Frambach: Vogelfrei
Christian Künne: Morgentau
Kai Riedemann: Zwei Betrüger
Bianca M. Riescher: Auf dem Weg nach Maskat
Thomas Le Blanc: Schutzgelderpressung in Istanbul
Alexander Röder: Die Schrecken Persiens
Friedhelm Schneidewind: Rätsel in Damaskus
Thomas Le Blanc: Amnesie
Bianca M. Riescher: Die Gräber von Sakkara
Christian Künne: Die Frau in der Höhle
Hubert Hug: Das Felsendorf
Christian Künne: Im Leuchtturm
Friedhelm Schneidewind: In der Falle
Der bevorzugte Handlungsraum in Karl Mays Reiseerzählungen ist die Weite der Wüste, der Savanne, der Grassteppen, aber auch die Schluchten des Balkan und die Bergwelt des wilden Kurdistan. Sein Held Kara Ben Nemsi ist ständig in Bewegung, gemeinsam mit den Lesern erobert er fremdes Terrain mit dem Pferd, dem Kamel oder auch mal zu Fuß. Dabei lebt er die Freiheit des Abenteuers aus, fern von gesellschaftlichen oder gar staatlichen Einengungen. Hier gilt kein geschriebenes Gesetz, hier unterwerfen sich die Helden dem Recht des Stärkeren, desjenigen, der die Waffe schneller zieht oder dessen Büchse weiter trägt, aber gleichzeitig stehen die Helden für eine natürliche Gerechtigkeit ein, verfechten den Schutz des Schwächeren und die Verfolgung des Bösen.
Doch wer Karl Mays Abenteuer liest und liebt, der erfährt, dass Kara Ben Nemsi sich auch von fernen Städten faszinieren lässt. Von Städten und Stätten des Orients, in denen heute noch Szenerien aus 1001 Nacht mitschwingen, deren Architektonik selbst im Verfall noch historische Züge trägt und deren Namen bereits eine Sehnsucht in uns auslösen, sie zu besuchen – auch wenn der Besuch sich nur fiktional literarisch gestaltet. Basra und Bagdad haben noch etwas Märchenhaftes in sich, Kairo ist die jahrtausendealte Metropole, und Istanbul (das auf Byzanz und Konstantinopel aufsitzt) ist als osmanische Hauptstadt das Zentrum gleich dreier Kontinente.
Im vorliegenden Band spüren moderne Autoren in neuen Geschichten nicht nur Karl Mays Wüstensehnsucht und Abenteuern in einem Orient nach, der bereits auf dem Balkan beginnt, sondern auch seiner Faszinationen für Städte. Kurdistan erschöpft sich nicht nur in den zerklüfteten Bergen, sondern ist auch das geschäftige Mossul und die Festungsstadt Amadijah, Kairo ist nicht nur der Ausgangspunkt für Abenteuer auf dem mäandernden Nil, sondern stellt sich als eine Stadt mit eigenen Gefahren in dunklen Stadtteilen vor, und das Osmanische Reich lässt sich nur dann wirklich kennenlernen, wenn man das Leben in Istanbul aufsucht.
In Mays legendären Orientromanen ist Kara mit Halef durch Istanbul nur durchgereist, in den hier vorgestellten Geschichten macht er mehrfach Halt für neue Abenteuer.
Thomas Le Blanc
Durch die finstere Gasse wallte der Nebel, der vom Tigris heraufzog. Es war tief im Winter, der in Mossul feucht und kühl ist und jegliche Erinnerung an die sonnendurchglühten Sommer Kurdistans zu vertreiben vermag. Halef und ich standen einander in zwei Nischen gegenüber und spähten die Gasse hinauf und hinab. Wir warteten. Die Sonne würde erst in einer Stunde aufgehen. Noch herrschte schwärzeste Nacht, denn der Mond war schmal, und selbst wenn er voller gewesen wäre, hätte er kaum die Gasse erhellen können. So aber fing der dünne Dunst nur das Licht der Sterne ein und lag wie ein schimmernder Schleier zwischen den schiefen Häuserwänden. Ich suchte Halefs Blick, doch da ich seine Gestalt im Schatten kaum ausmachen konnte, noch weniger seine Augen in der Kapuze seiner Dschellabah, wusste ich nicht, ob er wach oder weggedämmert war. Gewiss würde die feuchte Kälte ihn wachhalten, mir erging es nicht anders. Auch ich trug einen Umhang mit Kapuze, sowohl um mich zu wärmen, als auch um nicht erkannt zu werden. Es war seltsam, in solch maghrebinischer Tracht in Mossul Nachtwache zu halten, doch hatte ich in meinen Jahren der Reisen durch den Orient oft bemerkt, dass die Kurden in kalten Zeiten ihren traditionellen Kufiya, den üblichen dünnen Kopftüchern, gern eine weitere Schicht Wollgewebe beifügten, um Scheitel und Nacken warm zu halten. Und da auch die Schultern nicht vergessen sein wollten, der restliche Leib nicht minder, bot sich eben ein Überwurf oder Mantel mit Kapuze an. Die Wollweber und Schneider nahmen sich schlicht der Vorbilder aus Halefs Heimat an. Und so mochte man in den dunklen Nachtstunden meinen, dass man durch eine mittelalterliche Stadt des Abendlands schreiten würde, bevölkert von Mönchen und Dieben, denn nachts ist jeder Mantel grau.
Und Diebe waren es, auf die ich und Halef warteten. Man mag Mossul, ob aus eigener Erfahrung oder Lektüre, für eine Stadt der frommen Menschen halten, so viele Moscheen, Tempel, Kirchen und Klöster aller Konfessionen es in deren Mauern gibt. Und tatsächlich leben die Muslime, Christen und Jesiden hier in vorbildlichem Einklang miteinander. Doch Frommheit schützt weder vor Armut noch vor Gier, und wer sein Geld nicht mit Handel oder Handwerk verdienen kann oder will, obgleich es für beides reichliche Gelegenheiten gibt in dieser Stadt mit ihren Basaren, Werkstätten und Karawansereien, der stiehlt eben von anderen, um seinen Bauch oder seine Börse zu füllen.
Mossul ist eine Stadt der Diebe, und dies noch mehr, seit ich vor einigen Jahren etwas im Grunde Gutes bewerkstelligt hatte, wie sich meine Leser erinnern, und zwar den Sturz des grausamen Mutessarif, des Paschas von Mossul, der mit Unterdrückung und Ausbeutung geherrscht hatte. Reiche hatte er getötet und sich ihres Vermögens bemächtigt, mit einem Teil des erlangten Gelds manche Alteingesessene zu Fehden angestiftet, um wiederum andere in die Armut zu treiben. Einem Großteil der Bewohner hatte er somit Gold und Wohlergehen abgetrotzt. Dies geschah auch mit Hilfe des damaligen Makredsch, des Gerichtsvorstehers, der den Hass des Mutessarif auf die Jesiden dazu nutzte, um Kampf und Krieg gegen die angeblichen Teufelsanbeter anzuzetteln und Araber wie Osmanen auf sie zu hetzen. Mir war es mit Halef und anderen Vertrauten gelungen, diese beiden üblen Gesellen abzusetzen und der Gerechtigkeit schlussendlich Genüge zu tun. Gewiss hatten mir dabei die Schwächen jener schlimmen Menschen zugespielt, denn sie waren nicht allein von Hass und Gier getrieben gewesen, sondern auch der Trunksucht und dem Aberglauben verfallen, was ich gegen sie zu wenden wusste.1
Nun aber herrschten deren Nachfolger, und wer nun meint, es sei ein Gutes, dass diese so ganz anders waren als ihre Vorgänger im Amt, der muss enttäuscht werden. Gewiss, der neue Mutessarif, der neue Pascha, war nüchtern und strenggläubig, ein guter Muslim fürwahr, und der neue Oberrichter war ein ebensolcher, dazu gerecht und dem Gesetz verpflichtet. Doch beide waren allzu schwach und milde, zu nachsichtig und gütig, um dem Treiben des Bösen und des Verbrechens in Mossul Herr zu werden. Wohl wurde niemand mehr unter ihrer Herrschschaft wegen seiner Herkunft oder seines Glaubens verfolgt und ausgebeutet, doch Diebstahl und Betrug mehrten sich derart, dass Herrschaft und Gesetz am Ende die Waffen gestreckt hatten. Zumal die brutalen Polizeisoldaten und Kurdenbekämpfer, die Khawassen und Arnauten, welche den früheren Mutessarif und Makredsch willig unterstützt hatten, nach deren Sturz in Ungnade gefallen waren, somit flohen oder schlicht in den Untergrund gingen. Den Gebietern von Mossul waren nur noch schwache Soldaten geblieben und neue konnten sie nicht anwerben, weil es ihnen am Geld mangelte, das ihre verbrecherischen Vorgänger den Bewohnern noch hatten stehlen können.
Mossul war eine Freistatt der Diebe und Betrüger geworden, die Verhältnisse hatten sich umgekehrt, denn die Tunichtgute saßen nicht mehr auf den hohen Amtssitzen, sondern in ihren finsteren Verstecken. Und wenn nicht, so strichen sie bei Tag wie bei Nacht, teils offen, teils maskiert, durch die Straßen und Gassen und beuteten die ehrlichen Menschen nicht minder aus, als es zuvor auf Befehl der verbrecherischen Herrscher geschehen war. Immerhin floss weniger Blut dabei, kaum jemand kam noch zu Tode wie während der Gewaltherrschaft des grausamen, stets betrunkenen Mutessarif und des reißenden, menschenquälerischen Makredsch von einst. So hatten sich die Menschen Mossuls mit der Herrschaft der Diebe eingerichtet, zahlten freiwillig ihren Tribut oder ließen sich diesen stehlen. Wer aber meinte, dass Mossul die Stadt der festen Türen und sicheren Schlösser, der eisernen Truhen und gut verborgenen Verstecke von Gold und Kleinodien sein müsste – nun, das stimmte wohl, doch unter den Schmieden und Zimmerleuten gab es nicht wenige, welche mit den Dieben und Einbrechern gemeinsame Sache machten.
Dass Mossul nicht völlig verarmt und ausgebeutet war, lag allein am blühenden Handwerk und Handel, denn beides brachte stets neues Geld in die Stadt. Nicht von ungefähr jenes von Menschen aus dem Abendland, welche neugierig die Ruinen der Antike am gegenüberliegenden Ufer des Tigris bestaunen wollten oder gar darin herumgruben, seit der hochgeschätzte britische Altertumsforscher Layard dort die Überreste des legendären Ninive, der Metropole der antiken Assyrer, entdeckt hatte. Ich weiß, wovon ich spreche, denn mein guter Freund Sir David Lindsay ist einer jener Menschen, die alte Steine über harte Münze schätzen, was leicht ist, wenn man denn reich ist und Geld im Überfluss besitzt. Diese Touristen, wie man sie im Englischen nennt, werden übrigens von den Dieben Mossuls nicht angerührt. So klug und gewieft sind jene Verbrecher, denn sie wissen, dass man mit dem Ruf einer Stadt auch leicht das Geld verlieren kann.
Auch Halef und ich waren bislang nicht von Dieben, in diesem Fall wohl Taschendieben, behelligt worden, wenngleich wir auch erst einen Tag in Mossul zugegen waren. Aber das soll nichts bedeuten. Ich erinnere mich, dass Halef, Sir David und ich bereits in den ersten Stunden, die wir uns in Basra aufgehalten hatten, von einem jungen Spitzbuben bestohlen worden waren. Aber das ist eine andere Geschichte, die in ganz andere Gefilde führen würde.
Warum aber, fragen sich meine Leser, standen Halef und ich nun in Mossul, in dieser Gasse, in einer nebligen Winternacht, während sie selbst in der warmen und behaglichen Stube ein gutes Buch in Händen halten?
Nein, wir hatten uns nicht etwa als Wachsoldaten oder Polizeibüttel verdingt, um dem schwachen Pascha und dem hilflosen Richter zu helfen, die frech sich gebenden Diebe und Verbrecher zu fangen. Letzteres wollten wir wohl tun, doch taten wir dies im Auftrag des Mannes, der in einem stattlichen Haus an der Kante jener Gassengabelung wohnte, die wir von unseren Verstecken aus gut einsehen konnten. Nun, das Haus war seltsam gebaut, mit seinem keilförmigen Grundriss, bestehend aus einer schmalen Spitze, aber breiten Seiten, die sich weit nach hinten erstreckten und ein Gutteil der Hauszeile jener beiden Gassen einnahmen. An deren schmaler, kaum eine doppelte Armspanne messender Front befand sich der Eingang, ein veritables Portal, welches von feinen Steinmetzarbeiten geschmückt war. Und der Balkon darüber war von zierlichster Schmiedearbeit umringt, die Fenster dahinter und daneben voll geschnitztem Zierrat. Von der Dachterrasse hingen Ranken herab, die dem kleinen Garten dort entsprossen und im Frühjahr und Sommer herrliche Blüten trugen, jetzt aber verdorrt waren und nurmehr braunes Blattwerk zeigten, das den Nebel begierig aufsog und in der schwachen Brise knistern würde, die mit dem Morgen kommen und den Dunst vertreiben mochte. Der Sonnenaufgang war noch fern, es war noch immer die Stunde der Diebe. Und ihr Ziel war dieses Keilhaus.
Hier wohnte der Juwelenhändler Din Zawuhl. Und wir waren hier, um sein Wertvollstes zu schützen.
Wir waren Din Zawuhl begegnet, als wir in Mossul Quartier genommen hatten. Halef und ich wollten unserem Lord beistehen, der erneut in den Ruinen von Tigris nach seinen begehrtenfowling-bulls, den geflügelten Stierstatuen der Assyrer, zu forschen plante, und wir mochten gern seine Garde sein, damit er sich nicht verausgabte: körperlich wie auch seine Geldbörse betreffend. Doch Sir David widerstrebte es, sich um schnöde Angelegenheiten wie Wohnungssuche oder Ausrüstung zu kümmern, und kaum dass wir in Mossul angekommen waren, marschierte er über die Schiffsbrücke, um von der Stadt zum Ruinenfeld zu gelangen. Die Schiffsbrücke war das, was man auch als Pontonbrücke kennt, also eine Querung des Wasserlaufs, die nicht auf festen Pfeilern im Flussgrund ruht, sondern auf schwimmenden Fundamenten, gewissermaßen auf Kiel gelegt ist.
Halef und ich hatten den Lord in seiner ersten Begeisterung ziehen lassen, weil wir ihn in einigermaßen sichererBegleitung wussten. Nach unserer Ankunft in Mossul waren wir beim Pascha vorstellig geworden, ich hatte meinen Firman vorgezeigt, den Empfehlungspass des Sultans der Osmanen. So versicherte ich mich der Gewogenheit des lokalen Herrschers und lernte ihn sogleich kennen, wobei ich oben genannte Schlüsse zog und alles Weitere im Anschluss erfuhr, im Gespräch mit Lakaien und Untergebenen. Während auf Befehl des Mutessarif eine Abordnung aus ihnen zusammengestellt wurde, um den britischen Edelmann zu eskortieren, plauderte man mit mir und ich erfuhr, dass der Berater des Paschas, Astamal mit Namen, derlei Angebote ausweiten wollte, um die Stadtkasse zu füllen. Er sei ein mürrischer, aber ehrgeiziger Mann und wolle wohl das Beste für Mossul, war sehr um dessen Ruf besorgt, denn er wusste, dass selbst für spleenige Briten der Reiz einer Diebesstadt bald verflogen war und sie sich um ihre Börsen und Kehlen sorgen würden. Nun, das traf sicher auch auf Sir David zu, wenn er denn erst über solche Gefahren nachgedacht hätte, doch derlei flog ihn im Überschwang seiner Jagd auf Flügelstiere zunächst nicht an. Ich war zuversichtlich, dass Sir David nichts geschehen würde bei seinem ersten Ausflug. Später würden wir ihn auf dem Basar treffen und das Weitere für die kommenden Tage besprechen.
Auf dem Basar nun erlebten Halef und ich, wie Din Zawuhl und einige Diebe ein seltsames Spiel mit verkehrten Rollen aufführten.
Es geschah in einem Winkel des Basars, an einer Stelle, von wo man – so man das Haupt reckt – sowohl die Große Nuriddin-Moschee im Westen als auch die alte Zitadelle von Basch Tabia im Osten, nahe dem Flussufer, erblicken könnte, wenn man nicht seinen Geschäften nachgeht und beide Bauten ohnehin kennt und gar nicht mehr bestaunt, weil man schon lange in Mossul wohnt. Dieser Winkel des Basars befand sich hinter den letzten Ständen, an einem wenig benutzten Zugang. Dort sah ich einen stattlichen Mann, der gesund und gepflegt war, aber schlicht, nahezu bescheiden gekleidet. Die zwei Männer bei ihm hingegen waren ein großer, ungeschlachter Kerl und ein dicklicher Geselle mit wieselartigen Augen, denen der wenig erquickliche Lebenswandel in die Züge gegraben war: dem Trunk und der Völlerei ergeben und doch stets mit reichlich Barschaft gesegnet, was sich an ihren überladenen, maßlos prunkvollen Kleidern zeigte. Dies waren keineswegs ehrbare Leute, das sah ich sogleich: Es waren zweifellos Exemplare jener Gattung von Verbrechern, die Mossul seinen üblen Ruf gaben. Dass sie im Begriff waren, den ehrlichen Herrn zu berauben oder zu erpressen, war offenbar. Somit zog ich Halef am Ärmel und machte ihn auf meine Beobachtung aufmerksam. Halef hatte sich gerade einige Waren beschaut, die weniger unserem Auftrag entsprachen, sondern als Geschenke für seine verehrte Hanneh herhalten sollten, obwohl ich ihn mahnte, dass derlei wohl Diebesgut und Hehlerware sein mochte, worauf Halef in seiner unnachahmlich pragmatischen Art meinte:
„Ach, Sihdi, ich aber werde es ehrlich bezahlen, und wenn der Vorbesitzer oder gar Vorvorbesitzer derlei wiederhaben mag, so kann er gerne an mich herantreten, ich würde ihm gegenüber nett sein und ihm sein Gut zum Selbstkostenpreis überlassen.“ Dabei schaute er allerdings etwas verdrossen, wenn nicht gar zweifelnd.
Mein Ärmelzupfen erschrak ihn also etwas, sodass er die Kanne aus ziseliertem Kupfer beinahe fallen ließ. Rasch griff ich zu, um das Gefäß nicht auf die restliche Ware scheppern zu lassen und die nahe Gruppe der Männer nicht etwa zu warnen, bevor ich einschreiten konnte.
„Was ist denn, Sihdi?“, empörte sich Halef, und auch der Händler war unwirsch, dass ich das sich anbahnende Geschäft störte. Ich drehte Halef herum und hob meine Finger an die Lippen.
„Scht, Halef“, zischte ich, „dort ist ein Verbrechen im Gange. Siehst du die drei dort? Die beiden üblen Kerle wollen dem unbescholtenen Mann zweifellos etwas antun.“
„Mord auf dem Basar, Sihdi?“ Halef gab sich erschrocken.
„Nicht doch. Schlichter Raub, aber das ist schlimm genug. Wir können nicht tatenlos zuschauen.“
„Aber, Sihdi, kann es nicht sein, dass du dich irrst?“
„Keinesfalls, Halef, weil …“ Ich stutzte. Denn die Szene zeigte sich nun völlig anders, als ich sie zuvor gesehen, nein, ich muss gestehen: eher erahnt und erwartet hatte. Denn nicht etwa die beiden übel wirkenden Gesellen bedrängten den anständigen Herrn, nein, es war gerade umgekehrt: Der schlicht gekleidete Mann wedelte mit den Händen, doch nicht etwa um Gnade und Milde zu erflehen, wie es das Opfer von Räubern gemeinhin unternimmt, nein, seine Gesten hatten etwas Forderndes an sich, etwas Schmeichelndes zudem, und doch schwang eine leise Verzweiflung mit. Der Herr benahm sich wie ein Händler auf dem Basar, der seine Waren den noch unwilligen Kunden anpreist. Die reich gekleideten Männer mit ihren schlimmen Gesichtern, wie ich sie stets nur bei unedlen Zeitgenossen bemerkt habe, gaben sich hingegen, als würde man ihnen etwas aufschwatzen wollen. Sie winkten ab, wollten sich zum Gehen wenden und wurden von dem Herrn zaghaft aufgehalten, jedoch nur mit schwachen Gesten und sachten Griffen, als fürchtete er eine gefährliche Gegenwehr. Was nicht eine Furcht von ungefähr war, denn den beiden Verbrechern steckten Dolche in den Schärpen, die zwar reich geschmückt waren, an deren Form aber und daran, wie sie getragen wurden, ich erkannte, dass es nicht allein Ziermesser und Statussymbole waren, sondern scharf geschliffene Mordinstrumente.
Rasch änderte ich meine Auffassung: Hier war kein Verbrechen im Gang, sondern ein bereits begangenes Unrecht sollte ungeschehen gemacht werden. Der Herr flehte wohl, ihm etwas Gestohlenes zurückzuerstatten, und er bot dafür klingende Münze, ja, er zog gerade einen prallen Beutel hervor und schüttelte ihn vor den Augen jener, die nicht etwa ihn bedrängten, sondern er sie.
„Schau, Sihdi“, meinte Halef, „es ist ganz anders, als du meintest. Hier will ein Mann seine ehrbelastenden Schulden zurückzahlen, doch die wohlmeinenden Herren lehnen dies aus Barmherzigkeit ab.“
„Es gibt keine Barmherzigkeit, wenn es um Geld geht, Halef. Am wenigstens in der Stadt der Diebe.“
„Aber auch Diebe haben eine Ehre“, beharrte Halef und stutzte. „Vielleicht wollen die beiden dem Mann nur mehr Zeit geben, um die volle Summe zurückzuerhalten, und zwar erst dann, wenn er sie wahrhaft zahlen kann. Nicht jetzt, wo er sich den ersten Teil vom Mund abspart.“
„Es reicht, Halef“, sagte ich knapp. „Ich bin stets für allerlei Abwägungen, doch dies ist zuviel. Ich gehe hinüber.“
Doch bevor ich mehr als einen Schritt in den Winkel mit den drei Streitenden machen konnte, änderte sich die Lage dort mit einem Mal: Der Mann mit dem Geldbeutel wurde grob, schlug mit der Münzbörse dem dicklichen Gesellen gegen die Stirn, wie mit einem klimpernden Totschläger – es mochte auch eine misslungene Geste sein, dem anderen das ungeliebte Geld ins Gesicht zu werfen. Wie auch immer, dies ließ den großen Schweigsamen eingreifen: Er stieß mit seiner Pranke seinerseits heftig gegen die Brust des Mannes mit der Börse, sodass diese zu Boden fiel und jener nach hinten gegen die Wand kippte, dass der Putz bröckelte. In einem Schauer aus Staub sank der Herr nieder, nicht etwa betäubt, sondern seelisch niedergeschlagen. Der Wieseläugige trat gegen den Geldbeutel und ließ ihn gegen den Zusammengesunkenen rutschen. Dann wandten sich die beiden Verbrecher ab und gingen, ohne den erbärmlich klagenden und in die leere Luft greifenden Mann noch mit einem Blick zu bedenken.
„Was auch immer die Gründe hierfür waren, aufhelfen werden wir ihm“, bemerkte ich zu Halef und ging rasch hinüber. Der Jammernde am Boden versuchte sich zu erheben und mit zitternden Armen von der Wand abzustützen, doch kraftlos sank er zweimal wieder hinab, bis ich heran war und ihm die helfenden Hände bot. Zweifelnd schaute er mich an, griff dann aber schwach zu.
„Seid Ihr verletzt?“, fragte ich, als der Mann bebend mir gegenüberstand und ich mir die naheliegende Tat versagte, ihm den Staub von den Schultern zu klopfen. Dies hätte ihm in diesem Augenblick wohl das Gefühl gegeben, noch hilfloser zu sein. Auch löste ich meinen Griff sachte, um ihn nicht über Gebühr zu halten. Halef war herangeschlendert, bückte sich nach der Börse und drückte sie dem Mann in die Hand, ohne viel Aufhebens zu machen. Diese herzhafte Geste half dem Herrn, sich aus seiner Schwäche zu lösen. Er straffte die Schultern und wirkte trotz seines bestaubten Äußeren mit seinem sauber gestutzten Bart sehr stattlich. Er war mittleren Alters und wurde bereits grau, doch sein Blick war wach, und sei es nur, dass Empörung in seinen Augen funkelte. Die Höflichkeit vergaß er jedoch nicht.
„Habt Dank, mein Herr“, sagte er zu mir und nickte auch Halef zu. „Mein Name ist Din Zawuhl, ich bin Händler hier in Mossul. Ihr aber seid wohl von einem anderen Ort hergekommen, wie ich an Eurem edlen Gemüt erkenne?“
„Wir sind auf Besuch hier“, entgegnete ich unverbindlich und stellte uns vor. „Darf ich fragen, was vorgefallen ist?“, fügte ich an.
Din Zawuhl seufzte schwer. „Ich wollte mich freikaufen, doch meine Peiniger lehnten ab.“
„Schutzgeld?“, vermutete ich.
„Man kann es wohl Schutz nennen. Schutz vor Diebstahl.“
Halef schnaubte. „Sich mit Gesindel auf Handel einzulassen, ist keine Art!“
„Das mag sein“, nickte Din Zawuhl. „Ich weiß wohl, dass derlei gemeinhin keine Erlösung birgt. Doch auch wenn die Dinge in Mossul noch etwas anders stehen als in anderen Städten, zumal jenen, aus welchen Ihr stammt, so ist meine Lage doch besonders.“
„Sehr besonders, wenn die Diebe bares Geld ablehnen“, meinte ich. „Erzählt uns alles, vielleicht können wir Euch helfen.“
„Darf ich Euch zu einem heißen Trank einladen?“, fragte daraufhin Din Zawuhl. „Es redet sich besser in angenehmer Umgebung.“
In einem Kaffeehaus nahe der Moschee des Propheten Junus, welche angeblich einen Zahn jenes Wals beherbergt, der diesen auch unter dem Namen Jona bekannten Mann zu biblischen Zeiten verschlungen und wieder ausgespien haben soll, ließen wir uns nieder.
Din Zawuhl hatte sich von einem der Kaffeesiedergesellen eine Bürste bringen lassen und entledigte sich des Staubs, während für uns der bestellte Kahve gebraut wurde. Als wir jeweils einen Schluck aus den dampfenden Schalen genommen hatten, berichtete der Juwelenhändler, als der er sich nun zu erkennen gegeben hatte. Halef staunte zunächst, dass der Mann völlig schmucklos durch den Tag ging, doch rasch begriff er, dass man derlei Waren nicht allzu offen anpreist, um keine Begehrlichkeiten zu wecken. Andererseits läuft ein Kesselhändler auch nicht mit seinen Töpfen auf dem Buckel einher, sofern er kein Hausierer ist.
„Diese Elenden“, begann Din Zawuhl, „wollen mir meinen edelsten und herzliebsten Besitz stehlen, ein Schmuckstück, das seinesgleichen nirgends hat, so einmalig ist es. Obwohl es offenkundig ist, dass die Verbrecher es nicht zu Geld machen können, denn niemand würde es kaufen. Sie wollen mich schlichtweg beschämen. Und mir Schmerz bereiten. Und um mich noch mehr zu quälen, haben sie mir ihre Pläne bereits enthüllt.“
„Warum kann man das Schmuckstück nicht verkaufen?“
„Es ist nur von ideellem Wert, eine Familiensache. Ja, man mag es wegen seiner Saphire und Rubine und Perlen rühmen, auch des feinen Goldes, mit dem es umsponnen ist, doch ist die Fasson recht speziell, und so kann nicht jedermann sich damit schmücken.“
„Es gibt Hehler, welche die einzelnen wertvollen Bestandteile herausbrechen und jeweils für sich verkaufen“, erinnerte ich mich.
Din Zawuhl erbleichte. „Das wäre ein Frevel und niemand würde es wagen. Selbst jene üblen Gesellen nicht!“
„Dann ist das Stück also doch berühmt und von historischem Wert? Das widerspräche Euren vorigen Worten.“
„Ach, Effendi, es ist so eine Sache …“
„Sihdi“, sprang Halef dem Mann bei, „nun dränge nicht so mit deinen Fragen. Wolltest du dich gern vor Fremden erklären, wenn es um dein Liebstes geht? Um deine Büchse, deine Bücher? Wie kann man für andere verständlich erklären, warum einem das Herz an einer Sache hängt?“
„Weise gesprochen, Halef“, lobte ich. „Es geht zudem nicht um den Wert, sondern um die Ehre. Und um einem Mann diese abzuschneiden und ihm seelische Pein zu bereiten, reicht Verbrechern kein Betrag hin. Man muss ihnen auf gleiche Weise beikommen.“
„Wie das?“, fragten Halef und Din Zawuhl wie aus einem Mund.
„Wir stehlen das Kleinod selbst, und zwar vor den Augen der Diebe.“
Dies war nun der Plan: Halef und ich würden den Dieben auflauern, und nachdem Din Zawuhl es zugelassen hatte, dass man ihm das Kleinod entwendete, würden wir es wiederum aus den Händen der Verbrecher stehlen. All das müsste auf derselben Bühne geschehen, in Din Zawuhls Haus und in seiner Anwesenheit, denn auch er hatte seine Rolle zu spielen: Entsetzen über diefremdenDiebe, welche zudem ein gnadenloses Gebaren an den Tag oder vielmehr die Nacht legen würden, wegen derer sowohl ihre Konkurrenten wie auch ihr Opfer ein Übermaß an tüchtigen Prügeln erhielten. Bei Din Zawuhl würden die Schläge allerdings nur glaubhaftes Schauspiel sein, bei den wahren Dieben aber, nun, da wären auch die Hiebe wahrhaftig. Sie sollten durchaus glauben, dass sie ihre Meister gefunden hatten – und gleichsam danach Ruhe geben oder geben müssen, weil Din Zawuhl seinen Verlust ja erlitten hatte. Diesen aber würden wir ihm heimlich zurückerstatten. Doch fortan würde der Juwelenhändler den gebrochenen Mann geben müssen. Und sich nur im Geheimen an seinem Kleinod erfreuen.
„Nun, das mag gelingen“, meinte Din Zawuhl, nachdem ich ihm all dies geschildert hatte. „Das Schmuckstück ist ohnehin nicht für die Allgemeinheit bestimmt. Und ich habe wohl meine Seelenruhe, wenn alle vermeintlich wissen, dass ich es gar nicht mehr besitze. Solange ich nur nicht wahrhaft den Verlust zu beklagen habe, soll mir das genügen.“
„Warum“, fragte Halef, „habt Ihr nicht früher an dergleichen gedacht? Als Juwelenhändler müsst Ihr Euch doch mit dem Schutz von wertvollen Dingen auskennen, mit sicheren Schlössern und festen Truhen. Manche vergraben ihre größten Schätze auch im Garten und lassen Blumen darüber wachsen.“
„Guter Hadschi“, lachte Din Zawuhl ein wenig bitter, „Letzteres ist der Sache nicht angemessen, und ich brächte es auch nicht über das Herz. Was aber die Maßnahmen von Eisen und Riegeln betrifft, so muss ich erinnern, dass auch die Schmiede und Zimmersleute mit den Dieben paktieren. Und auch die Händler, die derlei Waren von andernorts herschaffen. In dieser Stadt wird alles an alle verraten. Und ein jeder verrät den Nächsten, vor allen, wenn er selber ein Verräter ist. Da ist es gleich, ob es um Menschen, Waren oder Kenntnisse geht.“
Ich nickte versonnen. Die Waren, welche in die Stadt kamen, unterlagen also einer Art Zollkontrolle, nur nicht vom Staat, sondern von Verbrechern, wenngleich diese das Geld oder die Waren nicht direkt einzogen, sondern dank bestimmter Kenntnisse erst später.
„Warum bringt Ihr das Kleinod nicht aus der Stadt? Oder verlasst Mossul, wenn Euch die Lage so quält? Andernorts wärt Ihr wohl unbehelligt?“, fragte ich, wobei ich deutlich machte, dass ich von meinen Vorschlägen und Plänen nicht abrücken würde. Ich wollte nur sämtliche Hintergründe in Erfahrung bringen.
„Nun, das wäre schon möglich“, räumte Din Zawuhl ein. „Doch ich würde es als schmähliche Flucht empfinden. Mossul ist seit vielen Jahren meine Heimat und auch meine Familie stammt von hier. Ich will ausharren und hoffen, dass sich alles zum Besseren wendet. Irgendwann muss es so sein. Der vormalige Pascha ist ein schändlicher Ausbeuter und ein grausamer Mann gewesen. Doch wer nicht sein persönlich empfundener Feind war, konnte einigermaßen unbehelligt leben. Diese damaligen Zeiten waren unschön, aber erträglich. Doch nach seinem Sturz begann die Herrschaft der Verbrecher aus dem Volk, weil der neue Pascha so schwach ist. Ich sagte bereits, dass in dieser Stadt jeder ein Verräter ist. Und so will ich es anders halten als an anderen Orten, wo man Fremden misstraut. Ihr beiden seid Fremde, doch gerade deshalb will ich euch vertrauen. Ich setze sogar Hoffnung in euch, Hoffnung für Mossul. Somit seid willkommen, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar.“
Derlei Worte wärmten mich in jener kalten Nacht vor dem Morgengrauen, im Nebel des Tigris, in der finsteren Gasse von Mossul. Ich dachte an unseren Gefährten Sir David, der nun in seinem warmen Bett lag, friedlich schlummerte und gewiss von geflügelten Stieren träumte, die ihn zur Fundstelle ihrer steinernen Ebenbilder trugen. Als der Engländer am Abend des vergangenen Tages höchst vergnügt und beschwingt von seinem erstem Besuch der Ruinen am anderen Ufer des Flusses zurückgekehrt war und uns begeistert von seinen ersten Eindrücken und weiteren Plänen berichtete, hatten Halef und ich bereits einige Zeit mit kraftspendendem Halbschlaf verbracht, um uns auf die Nacht vorzubereiten. Wir waren mit Din Zawuhl übereingekommen, dass wir ihn nicht am Tag oder Abend in seinem Haus besuchten, sondern er uns eine Beschreibung der Eingänge und Räumlichkeiten gab, etwas, das auch wahrhaftige Diebe in Erfahrung hätten bringen können. So sollten wir glaubhaft unsere Rolle spielen, als verbrecherische Konkurrenz, die den eigentlichen Einbrechern die Beute abjagte. Dass jene Männer das Spiel durchschauen würden, etwa wegen des vorgespiegelten Zufalls, dass wir just in derselben Nacht zuschlugen, schien mir unwahrscheinlich. Eher würde es zur Glaubhaftigkeit unserer Finte beitragen, denn Gesellen des gleichen Gewerbes die Beute abzujagen, galt unter Verbrechern das, was die Engländer einensportnannten, einen Wettstreit von Können und Klugheit, was somit keineswegs ehrabschneidend war, sondern sogar für Ruhm sorgte. Ich ahnte, dass in einer Stadt voller Diebe niemand mehr aus Not stehlen musste, von Mundraub ganz zu schweigen. Den unlauteren Herren war es gar zu wohl geworden und so brachen sich gewiss Langeweile und zweifelhafter Zeitvertreib Bahn. Niemand soll meinen, dass nur Adlige und Künstler sich der Dekadenz hingeben. Und wer mich nun gleichermaßen der Abenteuersucht schelten wollte – nun, ich tat das, um Menschen in Not zu helfen, sei diese Hilfe auch nur empfunden oder gering, und anschließend mit diesen Abenteuern meine Leser zu erfreuen.
Doch noch harrte ich all dessen in der langsam verfließenden Nacht. Ich stand auf Wache, im zehrenden Winter und von Nebelschleiern umkrochen, deren Feuchte langsam durch meine Kleidung bis auf die Haut sickerte.
Auch wenn mich nicht allein die Witterung frösteln ließ, sondern die Tatsache, dass sich jenseits dieses Viertels, hinter den Hüttenzeilen der Vorstadt, die Mauern des Kuschlik befanden, wie man den Palast des Paschas nannte. Dort saß der Mann, der die Diebe gewähren ließ und der an der Macht als Mutessarif war, weil ich geholfen hatte, seinen Vorgänger zu stürzen. Niemals hätte ich erwartet, dass meine Taten letzten Endes nicht zum Guten, sondern nur zu einer anderen Art von Ungerechtigkeit führen würden. Umso wichtiger war es, hier gewissermaßen im Kleinen Buße zu tun, Genugtuung zu erfahren und dabei immerhin einem einzelnen Mann zu helfen.
Kurz überlegte ich, ob diese Hilfe im Geheimen überhaupt nützen würde, in dem Sinne, dass sie eventuell Weiteres nach sich zog. Doch ich konnte nicht offen als Streiter für das Gute auftreten, schließlich würde ich nicht in Mossul bleiben können, um weitere Dinge zu bewirken. Ich musste in meiner Maske als fremder Dieb verbleiben und konnte nicht rufen: „Schert Euch, ihr Verbrecher, Kara Ben Nemsi ist hier und wird die Stadt der Diebe zu einem ehrbaren Ort machen.“ Diesen Sumpf trockenzulegen, oblag nicht mir. Denn gegen einen schwachen Pascha konnte ich nicht vorgehen, so wie ich es gegenüber seinem tyrannischen Vorgänger getan hatte.
Eine andere Sache kam mir in den Sinn: Vielleicht könnte diesmal nicht ich, sondern Sir David helfen. Ich hatte bereits über die unbehelligten touristischen Besucher Mossuls nachgesonnen, jene Pilger in Altertümern, die von den Dieben und Räubern verschont wurden. Wenn der eigensinnige Engländer nur mehr seiner spleenigen Landsleute herlocken konnte, dann mochten aus den Verbrechern vielleicht ehrbare Verkäufer von Andenken oder Anbieter von Expeditionen werden. Ach, was für ein hehrer Traum von gedeihlichem Auskommen der Menschen untereinander …
War ich eingenickt?
Ein leises Zischen ließ mich zusammenschrecken. Ich blickte zu der Nische hin, in welcher ich Halef wusste, und dort sah ich seine Kapuzengestalt mit dem weiten Ärmel wedeln und dann mit dem Finger deuten. Ich folgte dem Wink – und tatsächlich: Durch den niedrigen Nebel kamen zwei Gestalten heran, und schon an Statur und Gang erkannte ich die beiden wieder. Es waren der große, grobschlächtige Kerl und sein untersetzter wieseläugiger Gefährte. Sie wollten wahrhaftig eigenhändig ihr erbärmliches Spiel mit Din Zawuhl treiben. Mir war es nur recht: Diese beiden kannte ich nun, hatte sie im Basar mit meinem erfahrenen Blick gemustert und eingeschätzt, was ihre Stärke und Gewandtheit betraf. Vertraute Gegner sind leichte Gegner. Zumal es ja kein harter Kampf werden sollte, sondern nur ein spielerisches Raufen.
Ich rührte mich sachte, aber ohne Geräusche oder auffällige Bewegungen und spannte die Muskeln, um die Kälte zu vertreiben und mich geschmeidig zu machen. Da meine Augen längst an das schwache Licht gewöhnt waren, sah ich im Schatten der Nische gegenüber, dass Halef sich ebenso vorbereitete.
Die beiden Diebe näherten sich – und scheuten sich nicht, halblaut miteinander zu plaudern. So war es in Mossul bestellt, wenn Einbrecher auf Raubzug waren: Sie benahmen sich, als seien sie ehrbare Handwerker, die zur Arbeit schritten, auch wenn es in den dunklen Nebelstunden vor Sonnenaufgang war und nicht etwa bei der verheißenden Dämmerung oder in den ersten Strahlen des Tages, in dessen Licht sich die anständigen Menschen bewegen. Dass ihre Kapuzenmäntel grau wirkten oder gar waren, zeichnete sie ebenso wenig als Männer aus, die sich verbergen wollten, denn derlei trugen, wie erwähnt, viele im winterlichen Mossul am Nebelfluss des Tigris.
„Da sind wir schon“, sprach der Untersetzte, von dem ich erfahren hatte, dass er Assaf hieß. Din Zawuhl kannte seine Peiniger, die sich nicht scheuten, offen aufzutreten. „Jetzt holen wir das Schätzchen, das wird ein Spaß.“
Sein großer Begleiter mit Namen Salib brummte nur. Er war zweifellos für die groben Arbeiten zuständig, und wenn Reden nötig war, besorgte dies wohl über Gebühr der plapperhafte Assaf.
„Ich finde es nur schade, dass wir es nicht am hellen Tag zum Buckligen bringen können. Aber so will es nun mal die Tradition. Diebe in der Nacht, ha ha.“
Derlei Rede verwunderte mich wenig. Selbst in der Stadt der Diebe konnte man wohl nicht von alten Gepflogenheiten lassen. Stattdessen empörte man sich, wenn das Opfer eines offen geplanten Diebstahls eine Summe Geld anbot, um selbigen zu unterlassen. Sogar Verbrecher lassen sich nicht immer kaufen. Ich will für jene nun keine Ehre einlegen, aber es gibt diese auch bei Gaunern. Einen Obergauner hatten aber auch Salib und Assaf, der genannte Bucklige war wohl ihr Anführer oder der Hehler, vielleicht beides.
Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als die beiden Diebe meine Nische passierten. Doch Assaf sprach händereibend weiter, sodass ich wohl unbemerkt geblieben wäre, selbst wenn ich mir den Nebel aus der Kehle geräuspert hätte.
„Was freue ich mich, wenn wir nachher ankommen. Das große Hallo und der Umtrunk danach. Und wenn dann am besagten Tag bei Sonnenaufgang die Feier beginnt: Eine feine Tradition, wenn die ersten Strahlen durch den Nebel brechen und der Tau wie Diamanten glitzert …“
Ich wusste nicht, dass Diebe auch eine romantische Ader hatten, aber Assafs Gedanken waren wohl schon bei dem vermeintlich bald geraubten Kleinod. Was auch immer danach gefeiert werden sollte – gewiss nicht der Abschluss eines heiklen Raubzugs mit schwierigem Einbruch. Das Haus von Din Zawuhl war nicht der Topkapi-Palast zu Stambul.
Assaf und Salib strebten dem Eingang zu, dessen keilförmige Fassade aus dem Nebel ragte wie der Bug eines Schiffs aus dem Wasser. Ich hörte ein leises Klimpern. Assaf hatte wohl einen Ring mit Dietrichen gezückt; es mochte auch sein, dass er dank unlauterer Schlösserschmiede wahrhaftige Nachschlüssel hatte.
Dann drang ein kaum wahrnehmbares Scharren an mein Ohr, der Laut war noch vom Nebel gedämpft, doch das folgende Knarren der Tür und das Quietschen von Scharnieren waren eindeutig. In der grauen Fassade öffnete sich eine schwarze Fläche und die beiden dunklen Figuren verschwanden darin. Die Tür ließen sie weit offenstehen. Vielleicht taten sie dies, weil sie sich ihrer Sache so sicher waren und wussten, dass ihnen von keinem Gesetzeshüter oder Nachbarn Gefahr drohte. Es mochte auch sein, dass sie ihr Opfer Din Zawuhl beschämen wollten, indem sie sich rüpelhaft und ungebührlich verhielten. Wahrscheinlich sollte somit ihr Rückweg bequemer werden – von Flucht oder nur eiligem Entfernen mochte man hier kaum sprechen. Einerlei – mir und Halef bot dies einen leichten Zugang zum Haus von Din Zawuhl. Unser Spiel konnte beginnen.
Ich winkte Halef und er kam aus seiner Nische, trat herzhaft von einem Fuß auf den anderen und ruderte kurz mit dem Armen, dass dem alten Turnvater Jahn das Herz aufgegangen wäre ob solcher Leibesertüchtigung. Ich tat ein Gleiches. Dann nickten wir uns zu und gingen auf den einladenden Eingang zu.
In Din Zawuhls Haus war es dunkel und kühl. Lampen und Öfen waren lange erloschen und würden erst in einiger Zeit wieder entflammt werden. Ich lauschte und hörte die sich entfernenden Schritte der beiden Diebe. Sie scherten sich nicht um lautlosen Tritt. Wir aber schlichen auf leisen Sohlen hinterdrein. Aus dem Eingang, dessen Tür wir ebenfalls nicht geschlossen hatten, zogen wir einige Nebelfäden mit uns. Durch die Fenster fiel ein kaum wahrnehmbarer Schimmer ins Innere und ich bemerkte, dass sie vergittert waren. Eine verständliche Vorsichtsmaßnahme für das Domizil eines Juwelenhändlers, um seinen Besitz und seine Waren zu sichern.
„Sihdi“, wisperte Halef, der sich dicht bei mir hielt, „findest du nicht, dass es hier recht ärmlich aussieht, wo doch Din Zawuhl mit edlen, teuren Steinen Handel treibt?“
Tatsächlich bemerkte auch ich dies. Der Eingangsbereich war spärlich möbliert, geradezu kahl. Die Teppiche waren zudem recht dünn, wie ich spürte.
„Der Mann steckt alles Geld in seine Ware“, flüsterte ich zurück.
„Aber wenn die Geschäfte gut gehen, muss man es doch zeigen. Das führt zu weiteren.“
„Vielleicht macht er Hausbesuche bei seinen Kunden“, vermutete ich und legte dann den Finger an die Lippen. Auch mich verwunderte, was Halef bemerkt hatte, doch nun war nicht die Zeit, um Gewerbe und Gebaren eines Kaufmanns zu hinterfragen.
Wir kamen durch einen Gang, von dem einige Zimmer abzweigten. Man spürte, dass sich das keilförmige Haus mehr und mehr verbreiterte. Ich fragte mich, wie weit es wohl in die doppelte Zeile der Gebäude hineinreichen mochte. Zunächst aber näherten wir uns einem Durchgang, der von einer Stoffbahn verhangen war. Dahinter befand sich, wie wir wussten, ein Empfangsraum oder Salon, von trapezförmigem Zuschnitt und mit einer hohen Decke, die bis zum Stockwerk darüber reichte, welches durch eine offene Treppe erreichbar war. Dies zeugte davon, dass wir uns durchaus in einem bürgerlichen Palast befanden, einem der alten Häuser Mossuls. Es mochte dementsprechend auch einen Innenhof mit hohen Arkaden geben, doch derlei hatte Din Zawuhl uns nicht beschrieben.
Wir lauschten. Assaf sprach offen mit Salib, doch die Stimmen waren durch den Vorhang gedämpft.
„Nimm du die Truhe, dafür bist du gut“, scherzte Assaf. „Ich nutze meine Arme für Schöneres.“
Salib brummte etwas, doch es klang gutmütig. Er schien den Triezereien seines Gefährten keine besondere Bedeutung beizumessen und seine brutale Art nur im Einschüchtern von Opfern auszuleben.
Assaf äußerte sich weiter, wohl angetan vom Anblick des Kleinods, das er im Begriff war zu stehlen. Er schien diesem Schmuckstück tatsächlich eine Persönlichkeit zuzuschreiben: „Ah, da sind wir ja. Einen wunderbaren Abend wünsche ich.“
Mir schien dieser Satz als passendes Stichwort für unseren Auftritt. Halef und ich zogen die Kefije, welche wir um die Hälse geschlungen hatten, und dies nicht allein, um Heiserkeit und Katarrh vorzubeugen, flugs nach oben über Kinn, Mund und Nase und verhüllten uns so, wie es sich für wahrhaftige Banditen geziemte. Die Vorstellung konnte beginnen. Halef zog seinen Dolch und ich mein Bowiemesser. Mit dieser im Orient auffälligen Blankwaffe wollte ich durchaus unterstreichen, dass wir nur zugereiste Diebeskonkurrenz waren. Halefs maghrebinischer Akzent, der auch in den langen Jahren bei den Haddedihn der Dschesireh noch immer hörbar war, zumal wenn er sich empörte, würde ein Weiteres beitragen.
Ich griff den Vorhang und riss ihn in bester theatralischer Manier beiseite: Aufzug, Akt, Szene – der finstere Verbrecher und sein Spießgeselle betreten die Bretter. Wir setzten in den weiten, hohen Raum, der von einer einzelnen Lampe schwach beleuchtet war, und hoben drohend unsere Klingen.
Unser Publikum, Salib und Assaf, schrak wie erwartet zusammen, auf Applaus wegen unseres furiosen Auftritts konnten wir kaum hoffen, die Überraschung war uns Lohn genug.
Und nicht weniger überrascht waren wir selbst!
Da standen also Assaf und Salib im Raum, neben ihnen ein Tisch mit einer Lampe. Der Hüne hielt eine große Truhe in den Händen, die mir als Schutz von Juwelen recht wenig stabil schien. Statt eisernen Bändern und Beschlägen war die Truhe mit zierlichen Einlegearbeiten ausgestattet. Dies hätte sich wohl für privaten Schmuck angeboten, doch wirkte sie auf mich, auch des Umfangs wegen, eher wie ein Kleiderkoffer.
Assaf, der sich der Treppe im Hintergrund zugewandt hatte, fuhr herum und starrte uns aus seinen Wieselaugen an. Er stieß zunächst ein entsetztes Japsen aus, dann stutzte er und runzelte die Stirn. Seine Hand zuckte zum Gürtel – den Umhang hatte er über die Schultern zurückgeschlagen, ebenso wie die Kapuze ihm im Nacken lag – und verharrte dort über dem Knauf des reich verzierten Messers. Dass er die Waffe nicht zog, lag wohl daran, dass Halef und ich keine Anstalten zum Angriff machten, sondern stattdessen auf die Treppe starrten.
Dort stand jemand – und es war nicht Din Zawuhl, der etwa entgegen aller Absprachen dem Schauspiel hatte beiwohnen wollen. Es war eine junge Frau. Sie schaute verwundert, doch keineswegs so alarmiert, wie es eine Dame sein sollte, wenn sie mitten in der Nacht Geräusche hört und beim Nachschauen zwei Diebespaare beim Raubzug ertappt. Zumal sie Assaf und Salib keines Blickes würdigte, sondern allein auf mich und Half blickte – und dies nicht etwa erschrocken, sondern amüsiert!
„Noch mehr Eskorte!“, rief sie mit klarer Stimme, die davon zeugte, dass sie nicht etwa just aus dem Schlaf gerissen worden war, auch wenn sie einen kleinen Leuchter mit einer Kerze trug, wie man ihn auf dem Bettkasten findet. Sie trug jedoch kein Nachtgewand, sondern einen Kapuzenmantel aus heller Wolle. Damit wollte sie sich gewiss nicht nur im Haus nicht verkühlen, sondern eben jenes verlassen. Ihre Pantoffeln waren zierlich, aber ebenfalls für einen nächtlichen Gang durch den Nebel geeignet. Grazil kam sie die Stufen hinab. „Aber steckt nur die Waffen fort, Vater wird sich fügen, allein wegen der Übermacht.“ Das WortVatersprach sie so aus, wie man es von einem liebenden Töchterlein schwerlich erwarten würde, mit einem abschätzigen Raspeln darin.
Und als sei all dies nicht genug, mich in einem völlig anderen Bühnenstück zu fühlen als dem, für welches ich engagiert worden war, schaute das Fräulein mich offen an und sprach: „Du siehst kräftig aus. Willst du bei Salib mit anpacken oder lieber ein Bündel schnappen? Oder gleich alle?“ Sie deutete zum Fuß der Treppe, wo sich allerlei Gepäck befand, als wolle sie eine Reise antreten. Wieso kannte sie den Namen des Diebs und warum sprach sie so ruppig, als wäre sie eine Räuberbraut?
Als sie näherkam und ich ihr Gesicht sah, begriff ich und das eben gedachte Wort füllte sich mit Bedeutung: Mir kam das Kleinod von Din Zawuhl entgegen und der Diebstahl war die Entrückung einer Verlobten! Der Juwelenhändler hatte einerseits gelogen, andererseits die Wahrheit gesagt, in seinen ihm eigenen Worten und Bewertungen. Die junge Frau besaß einen fließenden Schopf blonden Haares – das erwähnte Gold. Ihre Augen waren blau, die Lippen von gesunder Röte, und als sie sprach, sah man ihre kleinen, ebenmäßigen Zähne: die Perlen, Rubine und Saphire, die Din Zawuhl erwähnt hatte. Sein Kleinod von Tochter wirkte wie das, was man im Orient eine Fränkin nannte, also eine Frau europäischer Abkunft. Der Juwelenhändler aber hatte sich glaubhaft als Angehöriger einer alten Mossuler Familie bezeichnet, das Aussehen der jungen Dame stammte somit wohl von der Mutter.
Sie musterte mich. „Du bist mir unbekannt“, befand sie. „Aber da du hier bist, muss Kuwas dich für einen passablen Mann erachten. Auch wenn du dich so ungebührlich aufführst.“
Dieser Name sagte mir nichts, aber ich bemerkte, wie sie ihre Sprechweise geändert hatte.
„Verzeiht, Herrin“, entgegnete ich, denn ich hatte die Gelegenheit erkannt, unsere Finte zu ändern. Wir spielten nun nicht konkurrierende Diebe, sondern wenig bekannte derselben Bande. Jener erwähnte Kuwas musste deren Oberhaupt sein, vielleicht sogar der Bräutigam, zu welchem die Tochter des Juwelenhändlers ohne dessen Zustimmung gebracht werden wollte. Allerdings aus freien Stücken ihrerseits, sodass ich meine Aufgabe nicht mehr darin sah, das sogenannte Kleinod von Din Zawuhl zu schützen und mit den Dieben zu kämpfen. Ich würde abwarten und mir im Schutz meiner neuen Tarnung ein genaueres Bild machen. Denn tatsächlich hatte sich der Irrtum der jungen Frau auf Assaf und Salib übertragen und deren anfängliche Abwehrhaltung hatte sich gelöst.
Assaf murmelte Salib kopfschüttelnd etwas zu. Dann winkte er mich unwirsch heran. „Nun pack deinen Anteil vom Kram!“, befahl er. „Nimm etwas mehr als Strafe, dass du uns so erschreckt hast! Ich dachte schon, es seien Khawassen von Astamal, die uns ertappt hätten.“
Astamal! Der Berater des Paschas. Warum sollte dieser Polizeisoldaten zum Haus des Juwelenhändlers aussenden? Der eifrige Mehrer der Stadtfinanzen würde doch keine Bewacher für private Belange anbieten – oder ging ich in meiner Einschätzung modernen Wirtschaftens derart fehl?
„Sind wir nicht“, bestätigte ich knapp und offenkundig.
„Allerdings“, lachte Assaf. „Du bist zu stattlich, um in dieser müden Truppe zu dienen.“ Er warf Halef einen mitleidigen Blick zu. „Der hier wiederum wäre wohl doch zu klein …“
Halef knurrte und wollte schon etwas entgegnen, als Assaf weitersprach: „Aber er wird wohl flink mit dem Dolch sein oder anderes können, denn sonst hätte Kuwas euch nicht rekrutiert, Fremde, die ihr seid.“ Er wandte sich an Salib, der mit der Truhe dastand und uns mit stumpfem Blick musterte. Assaf wackelte mit dem Kopf. „Aber uns sagt ja niemand etwas.“ Assaf stutzte. „Oder hat Mevlan euch gesandt, um uns zu foppen?“
Er verzog säuerlich den Mund, zumal er die amüsierte Miene der jungen Dame sah.
„Dein Bräutigam ist ein Witzbold, Ibrah“, knirschte er und nahm dann ein Bündel auf. „Und deine Aussteuer wiegt schwerer als erwartet. Immerhin haben wir nun Hilfe.“
Um keinen weiteren Argwohn zu erwecken, griff ich mir ebenfalls einen Packen und war voller Genugtuung, dass ich über die Jahre gelernt hatte, nicht immer auffällige Fragen zu stellen, sondern schlichtweg die Leute von sich aus reden zu lassen. Nun hatte ich allerlei erfahren und konnte mir die Fakten zurechtlegen. Die Tochter des Juwelenhändlers wollte also einen Dieb heiraten, was ihr Vater verständlicherweise nicht schätzte. Nun, wo die Liebe hinfällt, findet sie dennoch ihren Weg, wie so oder anders in jedem Kalender zu lesen steht, wenn ich nicht irre. Man mag mich für romantisch halten, aber hier wollte ich nicht eingreifen. Das Hab und Gut eines Mannes vor fremdem Zugriff zu schützen ist das eine, doch über seine Kinder sollte er nicht verfügen. So würde ich also nicht dabei helfen, ein Juwel in einer Schatulle zu belassen, sondern eine junge Dame zu ihrem neuen Heim führen. Ein kurzer Blickwechsel mit Halef ließ mich erkennen, dass er ebenso entschieden hatte. Wer wenn nicht er kannte sich mit schwierigen Familienverhältnissen aus. Schließlich hatte er die Tochter eines berüchtigten Piraten und schändlichen Frauenräubers geehelicht. Da musste ihn die jetzige Konstellation nachgerade mit Rührung erfüllen. Diebe sind nun doch etwas ehrbarer als Raubmörder.
Als wir uns zum Gehen wandten, fragte ich mich, wie ich Din Zawuhl begegnen könnte, so wir uns noch einmal treffen würden. Was hatte er mit seinem Plan bewirken wollen? Hatte er geglaubt, wir hätten seine Tochter davon abbringen können, sein Haus für immer zu verlassen? Oder dass wir ihre Befreiung verhindert hätten, falls er sie in diesen Mauern wie eine Gefangene gehalten hatte, wie ein Juwel in einem Eisenschrank verschlossen? Hatte er Halef und mich für jenes Schmierenstück rekrutiert, weil wir ihm als naive Gesellen erschienen, die vom eigenen Gerechtigkeitssinn so geblendet waren, dass sie jedem vermeintlich Bedrängten beistanden und dann seine Lügengeschichte glaubten? Ich war recht verärgert, sodass mich der nächste Akt des Stücks tatsächlich überraschte.
„Elende!“, dröhnte es vom oberen Treppenabsatz und hallte durch den hohen Raum. Din Zawuhl stand in einem schlichten Gewand dort, in einer Hand eine moderne Petroleumlampe, die harte Schatten an die Wände warf. In der anderen Hand hielt er ein modernes Armeegewehr, und dies nicht etwa sicher mitten am Lauf, sondern halb angelegt hinter dem Verschluss, mit dem Finger am Abzug. Die Mündung der langen, schweren Waffe schwankte, und ein Schuss hätte wohl alles in Reichweite getroffen, außer dem anvisierten Ziel. Din Zawuhl war keineswegs benommen vom Schlaf, aber trunken vor Wut. Ob auch Wein seinen Geist trübte, vermochte ich nicht zu sagen. Dem Wütenden derart nahezukommen, wäre auch nicht angeraten gewesen.
Der Lauf der Büchse richtete sich auf mich, oder zumindest war es das, was Din Zawuhl versuchte. „Verräter! Macht mit den Verbrechern gemeinsame Sache!“
Ich erkannte, dass diese zornigen Worte, die mir und Halef galten, seine Tochter Ibrah wie auch Assaf und Salib verwirrten. Sie fragten sich, was Din Zawuhl meinte. Gewiss, sie gehörten den Dieben von Mossul an – in Ibrahs Fall durch baldige Heirat – und waren in des Vaters Sicht Verbrecher und Verräter, doch was warf er ihnen vor? Mir kamen die Worte von Assaf in den Sinn, als er von Astamal sprach und den Khawassen, welche er erwartet, nein, deren Auftauchen er befürchtet hatte. Doch warum? War es so, dass Din Zawuhl wirr von der Staatsmacht sprach, von der er sich verraten glaubte, weil diese ihn nicht schützte? Und ich selbst fragte mich ebenfalls – hatte ich da etwas übersehen? Welche Rolle hatte Astamal in diesem Stück, das nun kein Spiel mehr war, wenn statt bloßen Fäusten nun die Kugeln fliegen mochten? Und zwar nicht allein die einzelne, verirrte von Din Zawuhls Büchse, sondern jene gezielten aus den Gewehren der Staatsmacht.
Die Khawassen stürmten den Raum! Din Zawhuls brüllender Auftritt hatte mich ihr Anschleichen durch den Gang nicht bemerken lassen.
Ein halbes Dutzend Polizeisoldaten in der Uniform der Paschagarde von Mossul bildeten einen Halbkreis und richteten die Läufe auf uns – wie ein Erschießungskommando!
Din Zawuhl lachte. „Ich bekomme meinen Willen!“
„Und ich nicht minder“, schnarrte eine Stimme hinter den Soldaten. Vor dem zurückfallenden Türvorhang stand ein schmaler Mann mit hagerem Gesicht im einfachen Gewand eines Beamten.
„Astamal!“, fauchte Ibrah. „Ihr widerlicher Intrigant!“
Der Berater des Pascha trat durch die mittlere Lücke in der Reihe der Khawassen und breitete die Arme aus. „Aber nicht doch, meine hübsche Brosche. Ist es nicht edler, durch gewiefte Schliche etwas zu erlangen, als es erbärmlich zu stehlen?“
Ibrah verzog zornig das Gesicht und zischte Astamal entgegen: „Ein stilles, hübsches Schmuckstück, wie Ihr es gerne hättet, hat keinen freien Willen und geht nicht dorthin, wo es ihm beliebt. Ich hingegen folge meinem Herzen und keinesfalls Eurem Zwang.“
Bevor der so Abgewiesene sich äußern konnte, zumindest über seine bittere, finstere Miene hinaus, wandte Ibrah ihren abschätzigen Blick von ihm ab und schaute nicht weniger erzürnt zu ihrem Vater hinauf. „Du hast es also gewagt, Vater“, klagte sie an. „Ja, du warst nicht erfreut, dass ich mein Herz an einen Dieb verloren habe – nein, er hat es nicht gestohlen, wie romantische Dichter schreiben würden oder wie es in den billigen Romanen stand, die Mutter einst so gern gelesen hat …“
Diese Worte vermittelten mir ein seltsames Gefühl, ich gestehe es. Aber ich wurde in der Vermutung bestätigt, dass die Mutter von Ibrah wohl aus Europa stammte und bereits verstorben war.
„… aber dass du diese Verbindung nicht einfach zu verhindern suchst, etwa mit Geld, was empörend genug wäre, sondern mich stattdessen an diesen ekelhaften Beamten des Paschas verhökern willst, als sei ich …“
Sie sprach nicht aus, was immer sie hatte sagen wollen, vielleicht scheute sie auch einen Vergleich, der sie zu sehr schmerzen würde. Stattdessen spie sie ganz undamenhaft aus, was wohl von ihrem Umgang mit ungehobelten Diebsgesellen herrührte. Ich als Vater wäre empört gewesen, doch wog das, was Din Zawuhl von seiner Tochter vorgeworfen wurde, wesentlich schwerer. Er wollte Ibrah mit Astamal verkuppeln, nein, gar zwangsverheiraten. Zu welchem Zweck? Offenbar war der Juwelenhändler nicht mehr so wohlhabend wie einst; doch was hätte er von einem Beamten erhalten können, auch wenn dieser der Berater des Paschas war? Der Mutessarif der von Dieben geplünderten Stadt Mossul konnte kein allzu fürstliches Salär zahlen. Außer er stand selbst mit Verbrechern im Bund. Was waren die Hintergründe dieses widerlichen Spiels?
Weiter nachsinnen konnte ich der Lösung dieses Rätsels nicht, denn in diesem Augenblick brachen alle Pläne, auch Spielpläne, zusammen – und Hass und Wahn betraten ungezügelt die Bühne.
Din Zawuhl packte den Lauf seiner Waffe mit der Hand, die auch die Lampe hielt. Er wollte einen gezielten Schuss abgeben – auf seine Tochter? Auf einen der Diebe, auf Halef und mich?
Wir würden es nie erfahren, denn durch die schwankende Lampe erlag die schwache Balance von Mann und Waffe vollends. Der Schuss löste sich und erschreckte zunächst den Schützen so, dass er die Lampe fallen ließ. Der Mündungsblitz blendete durch den halbdunklen Raum, alle fuhren zusammen, duckten sich, zuckten zur Seite, um der Kugel auszuweichen. Der Knall war noch nicht verhallt, da krachte die Lampe auf die Stufen und zerbarst. Brennendes Petroleum ergoss sich wie ein flammender Bach die Treppe hinab. Der Feuerschein ließ die Pulverdampfwolke grell aufleuchten – für einen Augenblick verschwand Din Zawuhl aus unseren Blicken.
Doch dies war nur die mindeste der Gefahren! Der Schuss hatte die bewaffneten Khawassen in Kampfstellung gehen lassen – es war nicht klar, ob um sich zu verteidigen oder um die Attacke auf die Diebe zu wagen, zu welchen sie ja mich und Halef zählten!
„Halt“, rief Astamal und riss die Faust empor. Ich sah den Widerschein der Flammen auf seinem Gesicht, das dadurch wie eine dämonische Fratze wirkte. Er starrte zur Treppe. Das brennende Petroleum verursachte schwarzen, scharf riechenden Qualm – das Holz der Stufen hatte ebenfalls Feuer gefangen. Dem gesamten Raum drohte Brandgefahr, ja, dem kompletten Haus, den Gassen, dem Viertel – wenn nicht sogleich gelöscht würde. Doch niemand wagte es, sich zu rühren!
Da brach aus dem wallenden Rauchvorhang eine rußgeschwärzte Gestalt, die Arme hoch erhoben, mit dem Gewehr quer über dem Haupt. Din Zawuhl rannte, stolperte die Stufen hinab, scherte sich nicht um das Feuer und stürzte dann – auf mich zu!
Ich wusste nicht, ob er mich blind als Opfer seines Zorns wählte oder ob er mich als den übelsten, da ihn jüngst hintergehenden Verräter ansah und deswegen als seinen ärgsten Feind.
Din Zawuhl nahm im Ansturm das Gewehr hinunter und streckte es nach vorn, als wolle er einen Angriff mit dem Bajonett führen – ein Glück, dass er keine Klinge besaß, die er aufgepflanzt hatte. Ich wich geschickt zur Seite aus, der Mann war von Wut und Rauch geblendet, und mit dem Gestank des Qualms kam auch eine Wolke von Schnapsdünsten heran. Als er an mir vorüberstürzte, ließ ich kurzerhand meine Faust auf seinen Nacken fallen. Ich führte keinen Schmetterhieb, denn um diese erbärmliche Gestalt zu fällen, war derlei nicht nötig. – Din Zawuhl brach durch seinen eigenen Schwung und seine Wut und seinen Trunk auf dem Boden zusammen.
Ibrah schrie entsetzt auf – denn trotz ihres Zorns war sie noch immer die Tochter des Gebrochenen und dieses Gefühl überwog nun. Sie eilte hinzu und sank neben dem Reglosen auf die Knie nieder. Sie schluchzte und schlug schwach mit den kleinen Fäusten auf den Rücken ein, der von versengten Kleidern bedeckt war. Hielt sie ihn für schwer verletzt, gar tot, oder ließ sie nur ihrer Wut freien Lauf?
Noch bevor ich mir darüber klar werden konnte, riss mich etwas anderes von dem familiären Drama in die gefahrvolle Gegenwart: Ich begriff, dass Din Zawuhl und Ibrah aus der Schusslinie der Khawassen geraten waren – die Diebe Salib und Assaf jedoch nicht, ebensowenig wie Halef und ich selbst. Astamal erkannte dies und rief kalt:
„Feuer!“
„Feuer“, brüllten auch die Khawassen und ließen ihre Gewehre fallen! Dann rannten sie los, um den Brand auf der Treppe zu löschen. Einer zerrte den Vorhang aus der Türöffnung, die anderen packten einen langen Teppichläufer – beides, um die Flammen auf den Stufen zu ersticken. Sie wussten schließlich nicht, wo sich in diesem Haus Brunnen oder Zisterne befanden.
Halef und ich starrten gebannt, ja ungläubig, doch Assaf lachte: „Das sind Männer der Brandwache aus dem Palast. Sie können kaum eine Flinte halten, geschweige denn damit schießen.“ Er feixte mich an. „Und dumm sind sie auch.“
Ein Schuss bellte und ich sah, wie Assaf einen unsichtbaren Schlag gegen die Schulter erhielt und herumgerissen wurde. Astamal lud das Gewehr durch, welches er vom Boden aufgenommen hatte und kniend im Anschlag hielt.
Ich verfluchte mich, dass ich keinen Revolver bei mir hatte oder gar den Henrystutzen. Dann hob ich das Bowiemesser und wollte es schon gegen den Feind schleudern, als mit gewaltigem Krachen eine kleine Truhe gegen Astamals Schädel flog und ihn heftig hintenüberkippen ließ. Reglos blieb er liegen.
Salib stieß einen grunzenden Laut der Genugtuung aus und klopfte sich die Hände ab. Er hatte während der gesamten Zeit mit der Truhe in den Händen dagestanden, als habe er nur auf den passenden Augenblick gewartet.
Assaf hielt sich die schmerzende Schulter, ein dunkler Fleck breitete sich aus, doch ich erkannte am schwachen Blutverlust, dass es nur eine Streifwunde war.
„Rasch, fliehen wir“, wagte ich zu sagen. „Bevor die Khawassen sich ihrer gedungenen Aufgabe besinnen und uns doch noch beschießen.“
„Nehmen wir doch ihre Gewehre“, gab Assaf zurück.
„Nein“, rief Ibrah. „Nehmt lieber meinen Vater. Auf die Aussteuer kann ich gut verzichten.“ Sie wischte sich die Tränen fort und ihre rußige Hand zog schwarze Spuren um ihre blauen Augen, die im schwindenden Flammenschein violett aufschimmerten. Dann lächelte sie keck: „Mevlan kann mir andere Sachen stehlen.“
Sie sprang auf, um Salib nicht im Weg zu stehen. Der Hüne beugte sich hinab und nahm mit Leichtigkeit den schlaffen, aber gewiss schweren Körper des Juwelenhändlers auf. Ich blickte auf die Khawassen, die nun auch kleinere Zierteppiche als Feuerpatschen benutzten. Sie waren wahrhaftig gute Brandbekämpfer. Dennoch tat es Not, dass wir flohen. Ich sah, wie Astamal sich regte. Statt ihn zu entwaffnen, war es wohl besser, ihm kein Ziel zu geben, auch nicht den Khawassen, falls er sie wieder zu den Gewehren befahl.
„Nicht gaffen“, sagte Ibrah zu mir und rempelte mich an, als sei sie mit mir seit Jahren vertraut und ich kein ihr fremder Dieb, sondern ein verzogener Bruder. Nun, es mochte sein, dass sie jeglichen Dieb als Teil ihrer Familie ansah, wenn sie denn mit einem verlobt war. Immerhin hatte sie nicht sämtliche Bande zu ihrem Vater gekappt und ihn nicht hasserfüllt zurückgelassen, dass er im Rauch erstickte oder gar verbrannte.
Ibrah deutete auf einen Durchgang seitlich der brennenden Treppe. „Da geht es zum Garten. Durch den Hinterhof kommen wir hinaus.“ Dann lief sie los, wobei sie den blessierten Assaf eher symbolisch stützte. Vielmehr zog sie ihn am Ärmel mit sich. Ich fragte mich, ob sie statt einer Räuberbraut wohl selbst schon eine Diebin war. Die Manieren besaß sie, vielleicht auch das Können. Wer wusste, ob sie nicht in jungen Jahren an den sicheren Truhen und verstärkten Schränken ihres Vaters das Einbrechen geübt hatte. Wie hatte sie bloß jenen Dieb Mevlan kennengelernt?
„Nicht grübeln, Sihdi“, sagte Halef zu mir und rempelte mich ebenfalls an. Nun, im Grunde war ich es, der im Laufen gegen ihn stieß. Wir folgten den Dieben und der jungen Dame, gewissermaßen als Nachhut. Ein Korridor führte, wie von Ibrah erwähnt, in den Garten, der recht ungepflegt, ja verwildert war, wie ich erkannte, auch wenn meine Augen sich noch nicht wieder an die Nacht gewöhnt hatten. Das Unkraut ragte auf den Weg, und als wir ihn passierten, zogen Dornen an meinem Umhang, die aus den weit ausgreifenden Zweigfingern der lange Zeit nicht zurückgeschnittenen Rosensträucher ragten. Selbst auf den Simsen der kleinen Arkaden wuchs Gras. Es mochte sein, dass der Juwelenhändler aus Gram über den Tod seiner Frau keine Hand mehr an die Pflanzen gelegt hatte. Oder kein Geld mehr für einen Gärtner hatte, seit die Diebe ihn ausgeplündert hatten. Oder etwas von beidem.
Wir erreichten den Hinterhof, in dem das Becken eines trockenen Springbrunnens leer und verdreckt gähnte. Ibrah eilte zur Pforte in der Außenmauer und löste den Haken, dann wandte sie sich zu uns um und öffnete den einen der beiden Flügel. Ich sah Flammenschein durch den Spalt fallen. Doch in diesen Gassen Mossuls gab es keine Straßenbeleuchtung.
„Halt“, rief ich, „schließt das Tor!“
Zu spät!