Die Stadt der Schattenschläfer und die Melodie der Albträume - Olivia Vieweg - E-Book

Die Stadt der Schattenschläfer und die Melodie der Albträume E-Book

Olivia Vieweg

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Beschreibung

Eine Stadt mit einem gruseligen Geheimnis und eine außergewöhnliche Heldin, die man einfach lieben muss – perfekt für alle Fans von Wednesday Addams! Im idyllischen Quedlinburg wird Blasmusik wie eine Religion zelebriert. Jedes Kind spielt ein Blasinstrument und es scheint, als gäbe es hier niemals traurige Gesichter. Sehr zum Unmut der 13-jährigen Elly, die Blasmusik wie sonst niemand hasst und davon träumt, dorthin zu fliehen, wo Heavy-Metal-Musik heilig ist. Gemeinsam mit den Außenseiter-Kids der Stadt gründet sie eine Band, die so gar nicht nach Quedlinburgs Regeln spielt. Doch was sie nicht ahnt: Sie erwecken damit ein finsteres Geheimnis der Stadt, das lange geschlafen hat ... Spannend und originell: lustig-schräge Charaktere und ein schaurig-humorvolles Abenteuer, das seinesgleichen sucht!

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Seitenzahl: 369

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Über das Buch

Im idyllischen Quedlinburg wird Blasmusik wie eine Religion zelebriert. Jedes Kind spielt ein Blasinstrument und es scheint, als gäbe es hier niemals traurige Gesichter. Sehr zum Unmut der 13-jährigen Elly, die Blasmusik wie sonst niemand hasst und davon träumt, dorthin zu fliehen, wo Heavy-Metal-Musik heilig ist. Gemeinsam mit den Außenseiter-Kids der Stadt gründet sie eine Band, die so gar nicht nach Quedlinburgs Regeln spielt. Doch was sie nicht ahnt: Sie erwecken damit ein finsteres Geheimnis der Stadt, das lange geschlafen hat …

Ein schaurig-humorvolles Abenteuer, das seinesgleichen sucht!

Inhalt

ZWEI NÄCHTE ZUVOR

DER MITTELPUNKT DER WELT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Danke und Trommelwirbel!

ZWEI NÄCHTE ZUVOR

Rascheln und lautes Atmen waren zu hören. Etwas … oder jemand kroch durch die Dunkelheit eines Abwasserrohrs. Es war ein Mädchen namens Schatten, in einem dünnen Kleid und einem Paar glitzernder Ballerinas. Sie kroch, so schnell sie konnte, durch den finsteren Tunnel. Schon jetzt waren ihre Knie und Ellenbogen zerkratzt.

Wurde der Kanal hier enger? Schatten drehte sich um, doch sie konnte nichts sehen. Sie wandte sich nach vorne, aber im selben Moment griff etwas aus der Dunkelheit nach ihrem Bein. Schatten schrie schrill und voller Angst auf: »Nein, nein, nein!!«

Hektisch trat sie gegen das, was sie festhielt, und es half. Sie kam frei, doch da tauchte eine zweite Hand aus der Dunkelheit auf. Ehe die Hand ihre langen Finger um ihr schmales Bein legen konnte, kroch Schatten weiter. Schneller und immer schneller. Die weißen Arme einer unheimlichen Kreatur griffen erneut nach ihr. Zu allem Überfluss wuchsen dicke Wurzeln aus der Wand und blockierten Schattens Fluchtweg.

Plötzlich bog der senkrechte Schacht nach oben ab, und tatsächlich, dort oben war Licht! In dem Moment spürte Schatten eine kratzige Wurzel um ihren Hals. Mit aller Kraft riss sie die Wurzel heraus und kroch nach oben. Sie erklomm die steinerne Tunnelwand immer weiter hoch zum blassen Licht.

Aus einem alten Brunnen am Waldrand, der so oder ähnlich in jedem Märchen der Gebrüder Grimm hätte stehen können, griff eine kleine weiße Hand nach dem Rand. Um den Brunnen herum lag alles voller Müll. Mit zittrigen Armen zog sich Schatten hoch und kletterte aus dem Brunnen heraus. Ihr Kleid war schmutzig, die Haare zerzaust. Aber sie hatte es geschafft!

Doch da griff etwas ruckartig nach ihr und Schatten drehte sich voller Entsetzen um. Im Brunnen blickte ihr eine Kreatur ohne Mund entgegen. Aus kleinen pechschwarzen Augen schaute sie sie an. Sie hatte Ohren wie Fledermäuse und gleich mehrere Paare davon. Ihr Gesicht war mit Fell bedeckt, das ihr lang und zottelig bis zum Bauch wuchs. Sie trug eine dunkle Weste und eine altertümliche Hose mit vielen Knöpfen. Auf dem Rücken klapperten merkwürdige kleine Tongefäße, die es mit Lederbändern an sich festgebunden hatte.

Schatten brüllte, sie schnappte sich eine der leeren Weinflaschen vom Boden und warf sie der Kreatur gegen den Kopf. Es klirrte und die Kreatur geriet tatsächlich ins Wanken, auch die kleinen Gefäße an seinem Körper klapperten laut.

Schattens kleine zarte Stimme war ganz laut: »Lass mich in Ruhe, du verdammtes Monster!!«

Wie in Zeitlupe stürzte das Wesen hintenüber und fiel zurück in den tiefen schwarzen Brunnen, doch eine seiner langen Hände, die dünn wie Wurzeln waren, schnappte nach oben und berührte Schatten im Gesicht.

Schatten schreckte zurück, und im selben Moment erkannte sie, dass die Kreatur plötzlich einen Mund bekommen hatte. Während sie in die Finsternis hinabstürzte, öffnete sie ihren neu gewachsenen Mund und schrie: »Du wagst es, dich mit dem Tonholer anzulegen?«

Die Worte hallten durch den Schacht, als die Kreatur verschwand. Und Schatten wusste, dass sie diese zarte, kleine Stimme kannte. Es war ihre eigene Stimme gewesen!

Schatten atmete schwer und zitterte am ganzen Körper.

In der Ferne sah sie plötzlich zwei Menschen, die im Dunkeln mit ihrem Hund spazieren gingen. Schatten öffnete ihren Mund, um nach Hilfe zu rufen – doch alles blieb stumm, nichts kam über ihre Lippen.

Mit einer zitternden Hand griff sie nach ihrem Hals. Auch ein zweiter Versuch, Hilfe zu rufen, endete in absoluter Stille. Schatten drehte sich zurück zum Brunnen und versuchte, etwas hineinzurufen. Doch nichts geschah, denn das Ding, der Tonholer, hatte ihre Stimme gestohlen.

Schatten sank zu Boden, nicht fähig zu weinen, nicht fähig zu schreien.

DER MITTELPUNKT DER WELT

Es gibt Städte, die haben Kriege gesehen. Kiloschwere Bomben, die auf sie niederprasselten und die Häuser in Schutt und Asche legten.

Viele Städte haben den Fortschritt gesehen, dort wuchsen gläserne Paläste aus dem Boden und breite graue Straßen teilten das Land. Seitdem reihen sich in diesen Städten enge Wohnhäuser, strahlende Supermärkte, finster wummernde Discos und goldene Restaurants dicht an dicht. Unter den Füßen dieser Städte rauschen U-Bahnen durch den Untergrund, drängen sich breite Autos durch kahle Tunnel, während über den Dächern der Stadt silberne Flugzeuge für einen kurzen Moment Schatten auf die gläsernen Wolkenkratzer werfen, ehe sie zu anderen glitzernden Metropolen weiterfliegen. Dorthin, wo die Zukunft schon heute greifbar ist.

Und es gibt Städte, in denen einfach alles so bleibt, wie es immer war. In denen das Kopfsteinpflaster nach Hunderten von Jahren krumm getreten ist, wo die Häuser schief und standhaft zugleich sind. Wo sich bunte Stiefmütterchen in Blumenkästen auf den knorrigen Fensterbänken nach der Sonne recken und Erdbeeren den sanften Regen willkommen heißen. Städte, die von einer brüchigen Mauer umgeben sind, die noch zeigt, an welchem Punkt das sichere Leben einst begann und wo genau es endete. Wo das Mittelalter mit seinen Kutschen und Holzschubkarren manchmal näher scheint als das Internet und Pumpkin-Spice-Latte.

So eine Stadt ist Quedlinburg. Sie liegt weit weg vom vibrierenden Fortschritt, der in all seinem Eifer dennoch nie den Weg hierher gefunden hat. Es ist eine Stadt, in der an jedem Tag eine Blaskapelle durch die Gassen zieht. Wo Kinder an offenen Fenstern Trompete üben. Eine Stadt mit einem Hügel, auf dem eine uralte Kirche über den bunten Fachwerkhäusern thront. Eine Stadt voller Wohnhäuser, deren Fassaden sich nie verändert haben, sondern höchstens neu gestrichen wurden. Moderne Glaspaläste sucht man hier vergebens, denn hier ist nie ein Haus verschwunden, hat nie Platz für Glas und Beton gemacht.

Quedlinburg ist umgeben von dichten Wäldern, die auch heute noch so unergründlich sind, dass jedem, der dort wandert, ein neues Märchen einfallen muss.

Eigentlich, so sollte man meinen, könnte jeder Mensch in so einer friedlichen Stadt wie Quedlinburg glücklich sein.

Eigentlich.

1

Entfernte Schritte hallten durch die Straßen der Stadt. Abgesehen von diesem Störgeräusch konnte ein Montagmorgen friedlicher kaum sein. Gerade erst schob sich die Sonne träge hinter dem Horizont hinauf, um Quedlinburg in lauwarmes Licht zu tauchen.

Vor einem alten blauen Fachwerkhaus saßen zwei Jungs, die in ihre glänzend polierten Posaunen pusteten. Der blonde Junge mit den Sommersprossen hielt ein abgewetztes Notenheft in der Hand, während der schwarzhaarige versuchte, es mit schiefem Kopf zu lesen. Das war aussichtslos und so boxte er seinem blonden Freund beherzt in die Rippen.

»Heeey!«

Der Blonde boxte zurück. Für die beiden gehörte neben dem Musikmachen offensichtlich auch das Prügeln zur Routine. Doch ehe eine wirkliche Schlägerei ausbrach, huschte etwas Schwarzes durch die morgendlichen Straßen. Das schwarze Etwas war zu schnell, um erkennen zu lassen, wer oder was es war. Erschrocken schaute der blonde Posaunenjunge auf. War das ein Mensch? Aber wer außer ihnen trieb sich so früh in der Stadt herum? Nun blickte ihn auch der schwarzhaarige Posaunenjunge fragend an.

»Ist was?«

Jede Lust auf Prügelei war verflogen.

»Hast du nichts gesehen?«

Der Blonde legte seine Posaune auf die Bank und wollte wissen, wer den friedlichen Morgen störte. Er spähte nach dem schwarzen Etwas. Wo war es hin? Doch weit konnte er nicht sehen, zu verwinkelt waren die alten Gassen in Quedlinburg. Wer sich in dieser Stadt beeilte, konnte neugierigen Blicken immer schnell entgehen. Aber auch jetzt noch waren die schnellen Schritte in der Ferne zu hören.

Es waren Ellys Schritte. Das Mädchen mit den rabenschwarzen Haaren hatte gelernt, wie man über das krumme Kopfsteinpflaster rannte, ohne zu stolpern und sich dabei die Knochen zu brechen. Auch wusste sie längst, welche Schleichwege man nehmen musste, um ein paar Sekunden Zeit zu sparen. Einige der eng zusammenstehenden Häuser hatten einen schmalen Abstand zum nächsten Haus. So schmal und so dunkel, dass keine Pflanzen dort wuchsen und auch kein erwachsener Mensch dort langging. Doch kleine Menschen konnten sich hindurchzwängen und somit manchen Weg abkürzen. So gelangte Elly blitzschnell vom Schlosstor zum Theater, vorbei an den vielen kleinen Restaurants, die jetzt noch niemanden willkommen hießen. Elly wusste, um welche Uhrzeit die Stadt sicher war, nämlich dann, wenn die gut gelaunten Einwohner und Einwohnerinnen in ihren Betten schliefen und ihren Fluchtversuch nicht bemerken konnten.

Die Morgenluft war noch kalt und neblige Atemwolken umgaben Elly, ehe sie verblassten und in die Morgenluft aufstiegen. Ellys schwarze, schulterlange Haare flatterten wild im Wind. Überhaupt war alles an Elly rabenschwarz, bis auf ihre blasse, schwitzige Haut und eine ungewöhnliche weiße Haarsträhne, die aber genauso mit den anderen Haaren flatterte.

Ihre schwarze Jacke raschelte rhythmisch, ihre schwarzen Lederboots stampften über die unebenen Steine. Über der Schulter trug sie eine schwarze Reisetasche, die so schwer war, dass sie sich krumm machen musste, doch das war egal. Am wichtigsten aber war für Elly das, was sie auf dem Rücken trug. Auch wenn sie es gerne vor allen neugierigen Blicken verborgen hätte, nur war es dazu leider viel zu groß. Ein schwarzer Gitarrenkoffer.

An diesem Morgen war Ellys Herz schwer wie ein Stein. Ganz anders als ihre Beine, die waren federleicht, so wie Beine leicht werden, wenn man vor etwas davonrennen musste. Ja, es war eine Flucht und Elly wurde mit jedem Schritt eines immer klarer: dass sie niemals zurückkommen würde.

Elly dachte nicht daran, zu verschnaufen oder sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Nur weg, bevor alle wach wurden! Doch noch ehe der Gedanke zu Ende gedacht war, blockierte plötzlich etwas ihren Weg und nur eine Vollbremsung konnte sie vor einem Zusammenprall retten. Elly stürzte auf das harte, unerbittliche Kopfsteinpflaster mit den großen, dicken Steinen und den breiten Lücken dazwischen. Sie schrie auf und musste zusehen, wie der Aufprall zwei Löcher in ihre makellosen schwarzen Leggings riss.

»Sag mal, Mädel, schläfst du noch?!«

Zwei Männer in blauer Arbeitskleidung, die gerade ein großes Schild vor Ellys Nase über die Straße trugen, schauten sie genervt an. »Rennst hier wie der Teufel?«

»Was machst du so früh auf der Straße?«

»Hast es wohl eilig, in die Schule zu kommen?«

Elly biss den Schmerz weg. Dann hob sie den Kopf und starrte auf das große Holzschild, das die Männer trugen. Darauf war das Logo der Stadt mit dem lateinischen Spruch »Pax in Aeternum«: Frieden für Immer. In schönen handgeschriebenen Lettern stand daneben: »Musik für den Frieden!«

Der ältere Arbeiter musterte die gestürzte Elly kritisch von oben bis unten. Sie passte so gar nicht ins Stadtbild.

»In welcher Blasmusik-Kapelle bist du eigentlich zum großen Festival dieses Jahr? Und welches Instrument spielst du?«

»Ich? Ich spiele in der ersten Reihe den Mittelfinger!«

Elly klappte ihren Mittelfinger aus und pustete wie in eine Trompete.

Vor Entrüstung waren die Gesichter der Arbeiter eingefroren. Dann sahen sich die beiden ungläubig an.

Elly rappelte sich auf. Weiter!

Jetzt schauten bereits die ersten Bürger der Stadt aus ihren Häusern, und auch die beiden Posaunenjungs näherten sich dem Marktplatz, um weiter mit ihren Instrumenten zu üben. Diesmal hatten sie mit den Frühaufstehern sogar ein Publikum. Ganz sicher wollten sie auch beim großen Wettbewerb dabei sein.

Elly schüttelte sich, vor Ekel und auch um wieder klar denken zu können. Sie verschwand in der nächstbesten engen Gasse, die ihr den Weg aus der Stadt heraus bieten würde. Vorbei an den bunten Häusern und den bunten Blumen in den bunten Blumenkästen. Vorbei an den Katzen, die gemütlich am Dom in der Morgensonne dösten, ehe ihnen ihre Besitzer endlich die Tür zum Haus öffneten.

Nur eine Sache ließ Elly für einen Moment langsamer werden. Sie näherte sich einem Teil der Stadt, der ganz anders war als der Rest. Einem Stadtteil, den niemand mehr betreten wollte. Dort waren alle Häuser verlassen und schwarzer Ruß klebte an den rissigen Fassaden. Selbst die Gehwegsteine waren stumpf und schwarz, wie nach einem großen Brand. Es war das Morgenrot-Viertel und Elly wusste, dass sich hier niemand freiwillig aufhielt. Es hieß, das Viertel sei ein sichtbares Mahnmal, was der Stadt passieren würde, wenn man sich nicht an die Regeln hielt. Doch was für Regeln überhaupt? So machte Elly einen Bogen um die stillen verbrannten Gebäude und setzte ihren Weg fort.

»Da musst du dein Sparschwein aber etwas besser füttern.«

Hinter Ellys Rücken war schallendes Gelächter zu hören, doch gerade deshalb war es wichtig, jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Mit Nachdruck schob sie dem Busfahrer ihr Geld entgegen. Doch der zeigte keine Regung, er thronte bequem auf seinem gepolsterten Fahrersitz und machte keine Anstalten, Elly in den Bus einsteigen zu lassen. Lieber fuhr er sich durch das schüttere Haar und checkte noch mal seinen Routenplan, obwohl es der gleiche war, den er auch schon gestern gefahren ist. Oder vor einem Jahr. Oder vor zehn Jahren. Er fuhr den Bus, der Elly am weitesten von Quedlinburg wegbringen würde.

»Bitte.«

»Kindchen, damit kommst du nicht ans Ziel. Okay?«

»Machen Sie ’ne Ausnahme!«

Elly schaute nicht flehend, denn Schwäche konnten viele Menschen schon von Weitem riechen. Jetzt war die Zeit, stark zu sein. Vor allem, weil hinter ihr im ranzigen Häuschen des Busbahnhofs eine Horde Teenager saß, die unglaublich dankbar über das kleine Schauspiel waren. Wie schön, wenn jemandem etwas Unangenehmes passierte und man ganz entspannt zuschauen durfte. Unter ihnen war auch Nana, die alle die »Queen of Chill« nannten. Sie konnte im Stehen schlafen und sah immer noch cool dabei aus. Ihr Erfindungsreichtum zu chillen war unermesslich und so hatte sie sogar eine geheime Hängematte in der Schule aufgehängt und verschwand manchmal dorthin, wenn sie die Nase voll hatte. Nana war zwei Jahre älter als Elly und gefühlt hundert Mal souveräner. Selbst ihre strubbligen, schwarzen Haare wirkten selbstsicherer und cooler als jede Faser an Ellys Körper. In ihren bunten Hippie-Klamotten und den Dutzenden geflochtenen Armbändern war Nana ein echter Farbtupfer an diesem grauen Morgen. Sie schaute Elly an und grinste frech. Elly verzog keine Miene, auch wenn ihr Kiefer vom Zähnezusammenbeißen bereits schmerzte. Sie wandte sich an den Busfahrer.

»Es tut niemandem weh, wenn Sie eine Ausnahme machen!«

Jetzt durchbohrten sie auch die neugierigen Blicke der Passagiere, die bereits im Bus Platz genommen hatten. Kleine Kinder in bunten Jacken rückten ganz nach vorne auf die Kanten ihrer Sitze, um genau zu beobachten, was mit dem Grufti-Mädchen los war, das zu wenig Geld hatte. Ein Mann auf der Rückbank murmelte vor sich hin: »Die hält den ganzen Betrieb auf.«

Elly wusste das. Und es war ein Scheißgefühl, aber sie wusste auch, dass sie hart bleiben musste, dass sie nicht verletzlich sein durfte. Jemandem, der verletzlich ist, gibt man nicht, was er will, dem tätschelt man nur freundlich den Kopf und drückt ihm die Daumen, dass es irgendwann mal klappen möge.

»Ich. Möchte. Einsteigen. Hier. Ist. Mein. Geld.«

Mutig machte Elly einen Schritt vorwärts und spähte einen freien Sitzplatz aus. Lachend schüttelte der Busfahrer den Kopf und patschte Elly mit seiner großen, warmen Hand auf den schwarzen Haarschopf.

»Kindchen, wie alt bist du? Elf? Zwölf? Geh nach Hause und spiel mit deinen Puppen.«

Er drückte ihr die Münzen zurück in die Hand. Ellys Gesicht wurde noch finsterer, falls das überhaupt möglich war. Es waren nur ein paar Schritte bis zum freien Sitz, wenn sie nur … Doch ohne diesen Gedanken beenden zu können, griff sie der Busfahrer am Arm und gab ihr einen kleinen Schubs. Völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte Elly mit ihrem schweren Gepäck aus dem Bus, die Stufe hinunter und raus in die kühle Morgenluft am Busbahnhof von Quedlinburg. Es war zu spät. Vor ihrer Nase schloss sich die Bustür und Elly wurde von einer dicken Abgaswolke eingehüllt. Im Dunst entfernte der Bus sich langsam.

»Wir spendieren dir eine Fahrt.«

Auf den bunten Holzbänken am Busbahnhof saß immer noch Nana mit der Gruppe Teenager. Alle außer Nana hatten Instrumentenkoffer für verschiedene Blasinstrumente bei sich und warteten auf den Bus, der in einer halben Stunde fahren würde. Mit einem leisen Klirren landeten ein paar Cent-Stücke hüpfend vor Ellys Füßen. Und sie musste nicht in die Gesichter schauen, um zu wissen, dass sie alle grinsten. Ellys dunkle Augenringe erschienen jetzt noch dunkler und böser als zuvor und sie hob nun doch ihren Blick. Für sie wäre es vollkommen okay gewesen, wenn Blicke in diesem Moment getötet hätten. Die Queen of Chill schaute Elly mit absoluter Ruhe an und spielte an ihren bunten Armbändern herum. Nanas Mutter Tanisha gehörte die Glasbläserei oben auf dem Berg und Elly erinnerte sich daran, wie sie als kleines Kind immer mal in die Werkstatt reinschnuppern durfte. In ihrem Zimmer hing sogar ein schwarzer Glasvogel, den Tanisha für sie geblasen hatte. Aber nur weil die Mutter nett war, musste es die Tochter noch lange nicht sein.

Elly hockte sich so würdevoll wie möglich hin, um die Münzen vom Boden aufzuklauben. Mit einer theatralischen Verbeugung verabschiedete sie sich von ihrem schrecklichen Publikum. Blöd nur, dass die schwere Reisetasche und der Gitarrenkoffer ein schnelles souveränes Verlassen des Busbahnhofs verhinderten. Das Gewicht zwang sie zu einem leicht watschelnden Gang. Verdammter Mist.

Aus Quedlinburg hinaus führte nördlich die Halberstädter Straße, von hier war es nicht mehr weit bis zur Autobahn. Ab und zu kam ein Auto vorbeigerauscht. Elly stapfte ein paar Schritte durch das ungesund gelbliche Gras am Seitenstreifen, ehe sie ihre Tasche und den schwarzen Gitarrenkoffer absetzte. Der Morgen war noch immer kühl, obwohl der Blick in den Himmel versprach, dass es ein warmer Tag werden würde. Mit beiden Händen rieb Elly ihre kalten Oberarme. Ihr wurde immer schnell kalt an den Schultern, ihre Beine hingegen waren immer warm, selbst jetzt mit den frischen Löchern in der Leggins. Warme Beine waren gut für lange Wege, gut für eine Flucht. Schlimmer als die Kälte war sowieso der Schmutz, den die Autos über die Jahre hier zurückgelassen hatten. Eine graubraune Schicht aus Abgasen, die sich auf alles niedergelegt hatte, egal ob Stein oder Pflanze. Elly blies ihren Atem in kleinen weißen Wölkchen aus dem Mund und wartete.

Ein weiteres Auto näherte sich und schnell streckte sie ihren Daumen raus. Doch das Auto rauschte vorbei, ohne dass sich der Fahrer nach dem Grufti-Mädchen umgesehen hätte. So wartete Elly weiter am Fahrbahnrand. Nun war es schon kein früher Morgen mehr und die Leute waren wach. Das war nicht gut. Elly trat unruhig auf der Stelle. Warum wollte heutzutage eigentlich niemand mehr Anhalter mitnehmen? Waren es die Horrorfilme, die alle im Kopf hatten? Oder war es … Da hielt ein silbernes Auto neben Elly an.

Elly wischte sich schnell den Staub aus dem Gesicht und packte ihr freundlichstes Lächeln aus. Ja, das konnte sie gut, und es sah auch beinahe bezaubernd aus. Lächelnd trat sie an das silberne Fahrzeug heran. Im Auto saß eine Familie mit zwei Kindern und viel Gepäck. Sie ließen ein Fenster herunter. Das kleine Mädchen mit braunen Locken auf der Rückbank winkte ihr zu. »Wir fahren ins Glitzerpony-Land!«

Elly rieb sich lächelnd ihre kalte Wange.

»Oh … ah … genau da will ich auch hin!« Mit großer Stärke hielt sie ihr bezauberndes Lächeln aufrecht und strich ihre glatten schwarzen Haare mit der weißen Strähne hinter die Ohren in dem Versuch, süß zu wirken. Vielleicht überzeugten ein ordentliches Auftreten und ein wenig gespielte Schüchternheit die Bilderbuchfamilie. Die blond gelockten Eltern musterten das verschwitzte Grufti-Mädchen, das so ganz eindeutig nicht ins Glitzerpony-Land wollte.

Elly versuchte, Tatsachen zu schaffen, und schnappte ihre Gitarre samt Reisetasche.

»Ich mach mich auch ganz schmal.«

Die Eltern starrten auf die sperrige Gitarre auf Ellys Rücken und tauschten besorgte Blicke aus. Die Mutter griff ins Handschuhfach und reichte Elly einen Schokoriegel aus dem Fenster. Irritiert nahm Elly den Riegel.

»Reiseproviant? Das ist nett, ich pack dann mal meinen Kram fix in den Kofferrau–«

Doch weiter kam sie nicht, mit einem leisen Zischen schlossen sich die Fenster und Elly schaute in die Augen der beiden Kinder auf der Rückbank. Das lockige Mädchen winkte ihr zu, während der kleine Bruder ihr die Zunge rausstreckte. So entfernte sich das Auto langsam, aber schnell genug, dass Elly keine Zeit hatte, noch etwas zu sagen. Immerhin schaffte sie es noch rechtzeitig, ihr bezauberndes Lächeln zu einer boshaften Fratze zu wechseln und die Zähne wie ein Vampir zu fletschen. Der kleine Junge auf der Rückbank drehte sich in Windeseile weg. Ha!

Dann war alles still und Elly stand da mit grimmigem Blick, ihrem Gepäck, den Löchern in der Leggins und einem Zittern in den Schultern. Vielleicht war da auch der Wunsch zu heulen. Sie biss auf ihrer Unterlippe herum, irgendwann musste sie doch mal Glück haben.

Viele Autos rauschten an ihr vorbei und niemand dachte auch nur daran anzuhalten. Elly versuchte, standhaft zu bleiben, und entschied, ihr Gepäck nicht mehr abzusetzen, lieber ertrug sie das Zittern in ihren Muskeln und die Schmerzen in den Schultern. Da endlich näherte sich wieder ein Auto, in dem drei junge Typen saßen. Aber sie machten keine Anstalten zu stoppen, und wie Elly das Auto näher auf sich zukommen sah, traf sie eine Entscheidung. Sie holte tief Luft – und sprang auf die Straße. Reifen quietschten und der Staub der Straße stob in die Luft. Das Auto kam endlich schief auf dem Seitenstreifen zum Stehen. Die drei jungen Männer schauten Elly mit großen Augen an, sie waren gar nicht fähig zu einer wütenden Reaktion. Mit ihren Händen und Lippen formte Elly ein »BITTE!«. Sie ging dicht an das Auto heran, diesmal ohne bezauberndes Lächeln, denn es hatte ihr bisher auch nichts gebracht. Der Fahrer mit seinen langen blonden Haaren und Löchern im Shirt öffnete die Autotür, doch ehe Elly einen Schritt auf ihn zugehen konnte, dröhnte ihr völlig unerwartet die schlimmste deutsche Blasmusik EVER entgegen. Humtata und Tschingderassabum in einer Höllenlautstärke.

Wie von einer Ohrfeige getroffen wich Elly zurück, dennoch fuhr ihr die Musik wie ein stechender Schmerz durch den Kopf und schlug ihr auf den Bauch. Wie betäubt ging Elly rückwärts, bis ihre Beine plötzlich von großen Brennnesseln umringt waren, die unerbittlich durch den dünnen Stoff und die Löcher ihrer Leggins stachen. Vor Schreck stolperte Elly rückwärts die Böschung hinunter. Die jungen Typen im Auto schauten sich erschrocken an. Der Langhaarige sprang aus dem Wagen und sprintete Elly hinterher. Vorsichtig und besorgt schaute er über die Böschung.

»A-alles okay?«

Statt seiner Stimme hörte Elly ein Rauschen und Plätschern in ihren Ohren. Eiskaltes Wasser gluckerte durch ihre Klamotten und kroch in ihre Stiefel. Eine ferne Erinnerung stieg in ihr auf, aber sie wusste nicht, was es genau war. Der Wunsch, an den roten Brennnesselpusteln zu kratzen, war stark. Ellys Blick war dem Himmel entgegengerichtet, während sie mit dem Rücken in einem kleinen Bach lag und klitschnass war. Aber mit beiden Händen hielt sie heldenhaft den schwarzen Gitarrenkoffer in die Luft. Denn wenn eines trocken bleiben musste, dann das. Der langhaarige Typ schaute mit einer tiefen Sorgenfalte im Gesicht zu dem Mädchen hinunter, das wie paralysiert in den Himmel starrte und tapfer die Gitarre in die Luft hielt.

»Äh … kommst du klar?«

Nach einer kurzen Pause kam endlich Ellys Antwort: »Alles de luxe.«

Sie konnte die laute Musik aus dem Auto noch immer deutlich hören.

»Ich meine, wirklich. Geht’s dir gut?«

»Ja.«

»Ohne Scheiß?«

»Ja.«

Da blieb dem Fahrer des Autos nichts anderes übrig, als sich den Kopf zu kratzen.

»Okay, weil ich normalerweise gerne helfe, aber ich muss echt weiter.«

Elly nickte in Zeitlupe. Und tatsächlich, ohne ihr eine Hand zu reichen, eilte der Typ zurück zu seinen Kumpels. Elly war nicht wütend, sie schaute lieber, wie die Wolken am Himmel über ihr im Schneckentempo vorüberzogen. Endlich verstummte auch die unsägliche Blasmusik, als das Auto mit den Jungs verschwand. Elly schloss erschöpft die Augen und war dankbar für die Stille. Und als es still war in ihrem Kopf, kamen die Fragen.

Wie lange würde es dauern, die Klamotten zu trocknen? Drei Stunden? Kommt auf die Heizung an. Wann hörten Brennnesselpusteln auf zu jucken? Nach einer halben Stunde? Wann würde wieder ein Auto halten? Vielleicht nie?

Und die wichtigste aller Fragen: Wann würde Quedlinburg endlich aufhören, so besessen von dieser beschissenen Blasmusik zu sein? Morgens, mittags, abends! In der Schule, auf der Arbeit, bei Beerdigungen! Als ob der gottverdammte Weltfrieden davon abhinge! Was war den Leuten so wichtig an dieser Musik?

Das waren die Fragen, die durch Ellys Kopf kreisten. Da hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich.

»Schatz?«

Elly hatte keine Energie für diese Stimme, sie lauschte nur dem leisen Rauschen des Wassers.

»Schatz?!«

Elly versuchte, sich noch ein wenig an dem sanften Rauschen festzuhalten, auch wenn ihre Arme unter der Last des Gitarrenkoffers schwankten und ihre Zähne vor Kälte klapperten.

»Schatz!«

Ein Mann eilte die Böschung hinunter. Der Mann hieß Holger Wollmüller und war der Vater von Elly Wollmüller. Seine hellbraunen Haare wippten in alle Richtungen, seine Augen waren groß und voller Sorge, sein Mund war aufgerissen und kannte nur ein lautes, erschrockenes Wort: »Schatz!!«

Er nahm Elly die Gitarre aus der Hand und legte sie ins Gras. Besorgt griff er Elly an den Schultern und zog sie aus dem kalten Wasser.

Er drückte sie an sich, und Elly konnte nicht anders, als auch ihre Arme um ihren Vater zu schließen und dabei seine graue Trachtenjacke, die mit fröhlichen Blumen bestickt war, zu durchnässen. Holger strich Ellys nasse Haare aus dem Gesicht.

»Du machst ja Sachen!«

Elly nickte. »Ja, ich mache Sachen. Menschen machen Sachen. So wie es sein sollte.«

»Was war denn los? Wie kommst du hierher? Was wolltest du hier?« Holger blickte sich um, aber er konnte nichts von Interesse erkennen. Er nahm den Gitarrenkoffer über die Schulter und zog das nasse, schwarze Elend, das seine Tochter war, an der Hand die Böschung hoch. Oben stand Holgers rundlicher VW Beetle mit laufendem Motor. Er hatte ihn schräg auf dem Seitenstreifen geparkt. Nachdem der Gitarrenkoffer sicher verstaut war, sammelte Holger Ellys schwarze Reisetasche aus den Brennnesseln ein und verfrachtete sie in den Kofferraum.

»Ich hab deine Tasche gesehen, Mensch, stell dir vor, ich hätte sie übersehen und nicht angehalten. Mäuschen! Stell dir das mal vor! Während du ganz allein, klatschnass in dieser Kälte liegst!«

Jetzt tat es Elly leid, ihr Vater war so ein lieber Mensch und lieben Menschen tat man einfach nicht weh. Ihn so voller Angst zu sehen, trieb ihr Tränen in die Augen, aber es war jetzt keine Zeit zum Weinen. Jetzt war Zeit zu funktionieren. Und so stieg Elly ins Auto, sie suchte sich einen Platz zwischen einem Berg von Trachtenkleidern, die ihr Vater ordentlich in Folie verpackt auf dem Rücksitz transportierte. Es waren neue Kleider für sein Ladengeschäft. Elly zitterte, wahrscheinlich vor Kälte, aber auch weil alles schiefgegangen war. Aus einer Tüte auf dem Beifahrersitz reichte Holger ihr einen bestickten Schal, der sich gut zum Handtuch umfunktionieren ließ. Elly war mit den Gedanken woanders.

»Schatz?«

Holger schaute zu Elly, die das Tuch in seiner Hand nicht bemerkt hatte. Endlich schaute sie hoch.

»Komm. Wenigstens die Haare. Und dann eine warme Dusche zu Hause!«

Elly rieb sich die Haare trocken, und ja, die Idee mit dem Handtuch war gut, denn dahinter konnte sie gut ihr Gesicht und all ihre Wut und ihre Scham verstecken. Wie schön, dass es jemanden gab, der einem in solchen Momenten ein Tuch reichte und keine blöden Kommentare machte. Elly wischte ihr Gesicht trocken und legte sich das Tuch um den Hals. Sie bemerkte, wie ihre nackten Knie aus den Löchern der Leggins schauten. Wären die Knie nicht zerkratzt, wären die Löcher als modisches Statement durchgegangen. Elly bewegte ihre Zehen in den mit Wasser gefüllten Schuhen, die glucksende Geräusche von sich gaben. Geräusche, die ganz und gar nicht zu ihrer Stimmung passten. Sie hob den Blick und sah die bunten Häuser Quedlinburgs näherkommen. Ein paar dicke Tränen wollten ihr in die Augen steigen, aber Elly beschloss, alles runterzuschlucken und sich dem Unausweichlichen zu stellen. Ihr Vater brachte sie zurück in die Stadt.

2

In der Schmiede der Instrumentenbauer stand ein schlaksiger Lehrling und arbeitete mit Schweißperlen auf der Stirn, die hin und wieder zu Boden tropften. Der Boden war es gewohnt, denn hier wurde immer hart gearbeitet. Die Werkstatt war gefüllt mit Blasinstrumenten in unterschiedlichen Stadien der Fertigung. Trompeten, Posaunen, Flügelhörner. Der ganze Raum war ein unordentliches Paradies der Handwerkskunst. Dicker Staub bedeckte die Ecken, in denen länger nicht gearbeitet wurde, und es duftete nach frischem Holz und heißem Metall. Die Werkstatt war so alt, dass sie seit Hunderten von Jahren in ein und demselben Haus angesiedelt war. In einem hellbraunen Fachwerkhaus mit zu kleinen Fenstern. Sie stammten noch aus der Zeit, in denen sich Häuser schlecht beheizen ließen und jedes große Fenster garantierte, dass man im Winter fror. Mittlerweile hatte die Werkstatt eine prächtige und tüchtige Heizung, aber viel Licht kam immer noch nicht herein, als dürfte man in dieser Stadt mit bestimmten Traditionen einfach nicht brechen.

Der schlaksige Lehrling bog den unfertigen Korpus eines Flügelhorns mit bloßen Händen und versuchte, ihn in Form zu bringen.

»Drecksscheiße!!!«

Er schmiss das Ding auf den großen hölzernen Arbeitstisch und haute mit einem Hammer wütend darauf.

»HUARGH!!! DU MISTDING VON EINEM INSTRUMENT!«

Das unkoordinierte Hämmern und Fluchen ließ alle anderen in der Werkstatt aufhorchen.

Herbert Zahl, der alte Meister der Instrumentenbauer, nahm dem jungen Mann das unfertige Instrument kopfschüttelnd weg. Beschwichtigend klopfte er ihm auf die Schulter, denn mehr Chaos konnte und wollte er sich in seiner Werkstatt nicht leisten. Gerne hätte er selber noch Hand angelegt bei den Instrumenten, aber seit einem Brand vor zwölf Jahren war sein rechter Arm teilweise gelähmt. Und seit damals, so behaupteten die Leute, ging eine gewisse Finsterkeit von Herbert aus und er knetete in der Hand meistens einen Stressball, der in seiner Faust knirschte.

Der Meister legte das misslungene Instrument in eine schwarze Kiste, die hinter einem dicken Vorhang verborgen stand. Jeder wusste, es war die Kiste der gescheiterten Versuche.

Der Meister ging zu seiner Kollegin, die gleichzeitig seine Frau war. Ihre langjährige Erfahrung konnte jeder an den entschlossenen Gesichtszügen, der makellosen Kleidung und der aufrechten Haltung ablesen. Die Frau mit den langen, weißen Haaren war Iris Zahl. Wenn Herbert mit ihr zusammen war, vergaß er oft, den Stressball zu kneten, denn Iris strahlte Ruhe aus. Zusammen waren sie die Instrumentenbauer der Stadt. Sie trugen auffällig königsblaue Uniformen mit dem Q als Wappen. In ihrer Zeit hatten sie schon viele Lehrlinge kommen und gehen sehen. Ob dieser Lehrling gehen oder bleiben würde, stand noch nicht fest. Einen guten Tag hatte er heute jedenfalls nicht. Um Instrumente zu bauen, brauchte man Kraft und Fingerspitzengefühl. Meistens kamen die Lehrlinge nur mit Kraft oder nur mit Fingerspitzengefühl, das jeweils andere mussten sie mühsam lernen, und nicht jedem gelang es. Iris Zahl griff einen kleinen Klöppel vom Arbeitstisch und schlug ihn zackig gegen eine goldbraune Glocke, die über der Tür hing. Frühstückspause. Etwas früher als sonst, aber vielleicht war das auch besser so. Die Arbeiterinnen, Lehrlinge und Meister ließen ihre Arbeit stehen und liegen. Sie streckten ihre müden Muskeln und fuhren sich durch die verschwitzten Haare. Alle nahmen an einem Holztisch im Nebenraum Platz. Die meisten hatten ihr eigenes Essen dabei und packten es aus. Herbert Zahl stellte zusätzlich Gläser und geschnittenes Gemüse auf den Tisch, während Iris Zahl einen letzten Kontrollblick in die Werkstatt warf. Waren auch alle zu Tisch gekommen? Es sah ganz danach aus.

Was Iris entgangen war, war die kleine silbergraue Maus, die am Rand der Wand entlangtippelte. Genauso wie der kleine Junge mit der grünen Latzhose, der auf dem staubigen Boden der Schmiede auf allen vieren der Maus ganz leise hinterherkroch. Er hielt ganz still, als das kleine Tier an einem alten Brotkrümel zu knabbern begann. Jetzt war sie beschäftigt und zack, mit zwei Händen, die unfassbar geschickt waren, griff er nach der Maus. Doch sie entwischte fiepsend und schlüpfte panisch unter einem dicken Vorhang hindurch. Der Junge tat es der Maus gleich und vor ihm stand im schummerigen Licht die schwarze Kiste mit den gescheiterten Instrumenten. Darin musste die Maus sein, denn woanders bot sich ihr kein Versteck. Vorsichtig hob der Junge den Deckel, um in die Kiste zu schauen. Darin sah man verbogenes Metall voller Dellen, halbfertige Instrumente, aber keine Maus … Denn die rannte gerade lautlos hinter dem Jungen zurück in die Werkstatt. Diesmal war sie mit dem Leben davongekommen, ohne es als Spielzeug für ein Kindergartenkind mit festem Händedruck auszuhauchen.

Der Junge seufzte. Sein schönes Spiel endete mit keinem Höhepunkt, nur mit Enttäuschung. Frustriert zog er das missglückte Instrument des Lehrlings hervor und betrachtete es mit all seinen Dellen und Einschlägen. Dann holte er tief Luft und blies hinein. Ein schriller, unschöner Ton durchdrang die Werkstatt. Das klang nach Spaß, also versuchte er es noch mal und es wurde immer schriller. Und noch mal, und noch mal. Der Ton wurde nur grässlicher.

Plötzlich riss der Meister dem Jungen das Instrument aus der Hand und schüttelte mit aufgerissenen Augen den Kopf.

»NICHT!!«

Der Meister drehte sich vorsichtig, als würde jede hektische Bewegung den Tod bedeuten, zum Tisch, auf dem die glänzend polierten Trompeten aufgereiht standen, an denen die Lehrlinge gerade arbeiteten. Und wenn man ganz genau hinschaute, sah man, dass sie vibrierten. Auch das Wasser in der Glasflasche auf dem Tisch daneben erzitterte. Nun ergriff den Jungen die Angst und er hielt sich an Herbert Zahls Jacke fest.

»Ist das … ein … ein Erdbeben?«

Die Lehrlinge und Meister, die längst nicht mehr am Esstisch saßen, starrten unsicher von links nach rechts, als ein weiteres unerklärliches Zittern durch das uralte Haus fuhr. Herbert knetete seinen Stressball mit einem finsteren Gesichtsausdruck.

Tief im dunkelgrünen Gestrüpp des Waldes, der Quedlinburg umgab, war vom Beben kaum etwas zu spüren. Hier war es nur mehr ein flüsterndes Grollen, das durch die dunkle Erde des Waldbodens fuhr. Doch so idyllisch wie in den alten Märchen war dieser Wald längst nicht mehr. Flaschen, Dosen und vom Sonnenlicht ausgeblichene Toastbrotverpackungen lagen zwischen dunkelgrünem Moos und Farnen. Reste von verrotteten Silvesterraketen bröckelten unter braunen Blättern vor sich hin. Allerdings fand man hier auch besonderen Müll. Unter einem wuchernden Weißdornbusch stand ein kaputter Trabant aus DDR-Zeiten. Wer das Auto hier einmal abgestellt hatte, wusste niemand und für die Entsorgung fühlte sich ebenso niemand verantwortlich. Der Trabant war ganz grün vor Moos und aus allen Ritzen wuchsen Äste junger Bäume, als hätten sie sich abgesprochen, das verrottende Auto als willkommenen Pflanzentopf zu nutzen. Es war wieder Stille im Wald eingekehrt, das Beben war vorüber. Bis auf ein flüsterndes Rauschen in den Blättern konnte man nichts hören.

Doch vom Inneren des Autos kam ein Schnaufen, ein Ächzen. Und mit einem lauten Knarzen öffnete sich plötzlich die Tür des Trabants. Eine Weile lang sah man nichts, sodass man glauben konnte, der Wind hätte die Tür aufgestoßen. Doch da war immer noch das erschöpfte Atmen und Japsen. Aus dem dunklen Auto kam ein langes Bein in einer schwarzen Anzughose hervor. Auffällige gelbe Lederschuhe suchten nach Halt auf dem weichen Waldboden. Ein großer Mann mit schwarzen, halblangen Haaren stieg aus dem Auto, fiel aber sofort erschöpft auf die Knie. Er schnaufte, als hätte er sich gerade durch einen Marathonlauf gekämpft. Er besaß ein ebenmäßiges Gesicht mit heller Haut, auf der lauter Schweißperlen standen, die langsam über sein Gesicht herunterliefen. Seine Lippen waren spröde und seine Augen tiefschwarze Abgründe. Und dennoch besaß er eine unerklärliche Schönheit. Schwer atmend strich er seine dunklen Haare hinters Ohr. Nach einer Weile rappelte er sich auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Für einen Moment presste er eine Hand gegen die feuchte Stirn, mit der anderen hielt er sich am Auto fest, als ob ihn schlimme Kopfschmerzen quälten. Er atmete tief durch und sog gierig die Luft in seine Lungen. Dann endlich war er bereit, sich von dem Auto als Stütze zu lösen. Er setzte einen Fuß vor den anderen und lief wie jemand, der von einer langen Seereise kam und währenddessen alle Kraft verloren hatte. Er musste sein Gleichgewicht bei jedem Schritt neu ausloten, um nicht hinzufallen. Dennoch folgte er einem klaren Weg und lief geradeaus. Sein Ziel war die Stadt.

3

In einem schmalen gelben Fachwerkhaus mit hellblauen Fensterläden, in die herzförmige Löcher geschnitzt waren, konnte man lautes Tellerklappern hören. Auf dem ebenfalls liebevoll geschnitzten Namensschild stand: Wollmüller.

Elly ließ den Kopf über ihrem Frühstücksteller hängen und schaute den Cornflakes beim Einweichen zu. Die ersten Flakes sanken bereits in die undurchsichtige Milch hinab. Ellys Kleidung war trocken, nur ihre Haare waren noch feucht, weil sie keine Nerven für den altersschwachen Föhn hatte. Ellys Beine steckten in einer neuen schwarzen Strumpfhose, der weiche Stoff verleitete sie dazu, mit den Füßen über den unebenen Holzfußboden zu fahren, vielleicht ließen sich ein paar Splitter einfangen. Ellys Mutter band sich ihre blonden Haare zum Zopf. Sie war wirklich der Mensch mit dem bezauberndsten Lächeln um halb acht Uhr morgens. Franziska Wollmüller war ein absoluter Morgenmensch und schob mit ihren schönen, faltenfreien Händen den hölzernen Pfannenwender in der alten gusseisernen Pfanne umher. Gleich war das Rührei fertig. Ellys Papa brühte lächelnd den Kräutertee auf. Er schaute Elly aufmunternd an, während er ein Liedchen pfiff. Wie konnten zwei Menschen so großartig und gleichzeitig so unfassbar schrecklich sein? Natürlich liebte Elly ihre Eltern, aber mit einer gewissen Verzweiflung, die sie mit Worten nicht greifen konnte. Jedoch war das Schlimmste an diesem Morgen das, was an der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß und mit ebenso strahlendem Lächeln einen Teller Rührei entgegennahm.

»Frau Wollmüller, Sie haben sich wieder selbst übertroffen!«

Melody März saß am anderen Ende des massiven Holztisches, mit ihren goldblonden Zöpfen und ihrem blassblauen Blümchenkleid. Melody war so alt wie Elly, allerdings konnte man in ihr schon die künftige junge Frau erkennen, die zukünftige Königin aller Volksfeste oder gleich die angehende Bürgermeisterin. All das sah man bereits in ihrem Gesicht, dort wo bei Elly bisher nur ein großes Fragezeichen stand. Franziska Wollmüller schaute Melody besorgt an.

»Ist es auch nicht zu albern mit dem Gesicht?«

Sie deutete fragend auf Rührei, Würstchen und Ketchup auf dem Teller, die zusammen ein Gesicht ergaben.

»Aber nein! Es ist wunderbar und so perfekt gelungen!«

»Seid ihr auch nicht zu alt dafür?« Franziska war immer noch unsicher.

Melody lächelte wunderschön und aufrichtig und sie passte so perfekt zu diesem sonnigen Morgen und zu diesen bezaubernden Eltern. Wie ein Schwan im Schwanennest. Ganz anders als die gerupfte schwarze Krähe auf dem Stuhl gegenüber.

»Frau Wollmüller! Für so was ist man nie zu alt!«

Melody strahlte Ellys Mutter weiter an. Elly hatte nun ebenfalls einen Teller mit liebevoll lächelndem Ei-Wurst-Ketchup-Gesicht vor sich stehen.

»Danke.«

Franziska nickte ihrer Tochter zu.

Elly dachte an den Tag, an dem Melody eingezogen war. Vor zwei Wochen sah die Welt nicht so sonnig aus, dunkle Gewitterwolken hingen über der Stadt und verfinsterten den Himmel. Was genau passiert war, hatte Elly nie erfahren. Es war die Rede von einem schweren Unfall. Melody war mit ihrem Vater von den Orchesterproben nach Hause gelaufen, fast waren sie schon an der beeindruckenden Villa angekommen, in der sie seit einigen Jahren wohnten. Sie war zartrosa gestrichen und hatte an den Mauern goldene Blasinstrumente als Verzierung. Das vielleicht schönste Haus der Stadt. Karl März war der talentierteste Lehrling, den Herbert und Iris Zahl je bei sich hatten begrüßen dürfen. Er besaß eine Genialität, die ihnen ein absolutes Rätsel blieb. Sie waren sich sicher, dass Karl eines Tages die Werkstatt der Instrumentenbauer übernehmen würde. Schon jetzt hatte er alle Fähigkeiten dazu und baute die schönsten und besten Blasmusik-Instrumente der Welt. Doch der Unfall riss ein dunkles Loch in ihre großen Pläne für die Zukunft. Ellys Mutter Franziska war Ärztin im Krankenhaus von Quedlinburg. Sofort war sie zu diesem Notfalleinsatz gerufen worden.

An diesem Tag hatte Holger Melody in der viel zu großen Villa abgeholt. Sie konnte nicht alleine dortbleiben.

»Komm zu uns, bis dein Papa über den Berg ist.«

Elly erinnerte sich an Melodys Gesicht, als sie mit zwei Koffern über die Türschwelle trat. Vielleicht war sie an diesem Tag innerlich mehrere Jahre gealtert.

Melody bezog das Gästezimmer im Haus und Elly hatte sich alle Mühe gegeben, es aufzuräumen. Sie nutzte es oft als Schreibzimmer und entsprechend chaotisch sah es aus. Voller zusammengeknüllter Papiere und leer geschriebener Stifte. Endlich war das Zimmer wieder blank und langweilig gewesen. Nur an den Wänden ließ Elly ihre besten Gedichte hängen, sie hatte sie in rabenschwarzer Tinte aufgeschrieben und war sehr stolz auf die Texte.

Als Elly zwei Tage später einen Blick ins Zimmer warf, war die Wand leer und alle Gedichte verschwunden. Ellys Herz sank. Melody entschuldigte sich aufrichtig: »Ich … ich wusste nicht, dass sie von dir waren. Sie haben mir Angst gemacht.« Elly nickte und schloss die Augen, die Müllabfuhr war am Tag zuvor gekommen und hatte die Tonne mit dem Papiermüll mitgenommen.

Holger streute etwas Zucker in seinen Tee.

»Machst du mal das Radio an, Spatz?«

Elly stand auf und drehte am Regler des silbergrauen Radios. Auf dem Display rauschten die Namen der Sender vorbei: BLASMUSIK FÜR SCHMUSE-STUNDEN, BLASMUSIK FÜR DIE FEIERTAGE, BLASMUSIK FÜR TRAUERNDE, BLASMUSIK FÜR DEN PARTY-KELLER … Für einen kurzen Moment ertönte die Musik des jeweiligen Senders und Elly durchfuhr ein Schaudern. Sie drehte weiter und plötzlich mogelten sich zwei Sender dazwischen: JAZZ HOURS und 90s-TECHNO ESCALATION. Elly hielt inne, um auf den Sendern zu bleiben. Doch ausgerechnet hier blieb alles still. Keine Musik war zu hören.

»Mach mal die 101.5!«

Ellys Papa summte eine Melodie und schaute Elly wartend an. Lustlos drehte Elly weiter und gelangte zu BLASMUSIK ZUM FRÜHSTÜCK. Fröhliche Musik erfüllte den ganzen Raum, die nahtlos in das nervige Summen von Holger Wollmüller überging. Zu allen Überfluss stimmte Melody nun auch noch mit ein. Überfordert und mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte Elly sich ihre großen Kopfhörer auf die Ohren und drückte auf Play. Ohrenbetäubender Heavy Metal dröhnte nun in Ellys Kopf. Sie drehte den Lautstärkepegel bis zum Anschlag und schob die Kopfhörer ein Stück von den Ohren. War es so laut, dass es die anderen hörten? Es war jedenfalls nicht laut genug, den gut gelaunten Wahnsinn zu stoppen, der sich vor ihren Augen abspielte. Es war NIE laut genug. In Ellys Stadt gab es keine Musik, die lauter war als Blasmusik. Es gab keine Musik, die anders war. Keine Musik für traurige Momente, für mutige Entscheidungen, keine Musik zum Träumen, keine Musik zum Headbangen. Es gab nur Humtata, humtata, humtata … Hauptsache, die Leute konnten auf Bierbänken schunkeln, Hauptsache, jedes noch so kleine Kind, das eine Trompete halten konnte, spielte auch Trompete. Hauptsache, jeder Opa, der den Takt schlagen konnte, schlug auch den Takt.

War es eine übermächtige Magie, die jede andere Musik aus Quedlinburg fernhielt? Oder war es eine perfide Technikleistung, die all das möglich machte? Elly wusste es nicht. Die Hauptsache war jedenfalls, dass alles so blieb, wie es schon immer war. Pax inAeternum. Frieden für Immer. Das war der Grund, warum Elly in dieser Stadt nicht länger bleiben konnte.

Franziska packte in der Küche hektisch ihre Tasche und gab Melody einen Kuss auf den engelsblonden Haarschopf.

»Wir machen dir die schwere Zeit so angenehm wie möglich. Es ist gut, dass du eine Freundin hast, bei der du wohnen kannst.«

Freundin … Elly ließ das Wort in ihrem Kopf kreisen. Melody schaute zu Elly und versuchte zu lächeln, aber Elly schaute sie gar nicht an. Sie hatte sowieso Wichtigeres zu tun, als den Hausfrieden zu bewahren. Warum sollte sie so tun, als wäre sie noch mit Melody befreundet?

In dem Moment entdeckte Elly etwas außerordentlich Wichtiges. Einen Geldschein, der aus der Handtasche ihrer Mutter hervorlugte. Mit geschickten Fingern und ohne ihren neutralen Gesichtsausdruck zu verändern, angelte Elly sich den Schein und ließ ihn in ihre Jackentasche wandern.