Die Stadt mit dem großen Herzen - Jørgen Gunnerud - E-Book

Die Stadt mit dem großen Herzen E-Book

Jørgen Gunnerud

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Beschreibung

Knut Moens Lage wird noch unbequemer, als nicht nur seine Beziehung vor dem endgültigen Aus steht, sondern er auch des angeblichen Schmuggels überführt wird und seinen Dienst quittieren muss. Angesichts dieser offensichtlichen Intrigen wird für den frischgebackenen Exkommissar die Flucht nach vorn zum Gebot der Stunde: Als privater Ermittler nimmt er im Auftrag des zwielichtigen Geschäftsmanns Halvdan Krokfoss die Observation von Oslos feiner Gesellschaft auf, und schnell wird klar, dass alle Beteiligten weit mehr zu verbergen haben, als Moen es je für möglich gehalten hätte. Aber auch er muss die Grenzen des Legalen etwas ausdehnen, schließlich steht seine Ehre auf dem Spiel.

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Ähnliche


Inhalt

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Jørgen Gunnerud

DIE STADT

mit dem groBen

HERZEN

Kriminalroman

Aus dem Norwegischen von Andreas Brunstermann und Gabriele Haefs

Rotbuch Verlag

Die Übersetzung wurde gefördert durch NORLA.

Von Jørgen Gunnerud liegt bei Rotbuch außerdem vor:

Hatz (2009)

eISBN: 978-3-86789-523-1

Deutsche Erstveröffentlichung, 1. Auflage

© 2010 by Rotbuch Verlag, Berlin

Titel der Originalausgabe: »Byen med det store hjertet«

© 2009 by Kolon Forlag, Oslo

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

Rotbuch Verlag GmbH

Alexanderstr. 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

(0,14 Euro/Min., Mobil abweichend)

www.rotbuch.de

1

Kommissar Moen saß in der Vermisstenabteilung der Osloer Polizei. Die Abteilungschefin legte ihm einen Ordner auf den Tisch.

»Wir möchten, dass Sie sich das mal ansehen«, sagte sie und ging hinaus.

Er öffnete den Ordner und las: »Linn Fostervoll. 37 Jahre. 1,67 Meter groß. Schlank. Kurzes und fülliges, mittelblondes Haar. Kleidung: enge Jeans, geblümte Tunika, kurze dunkle Lederjacke. Flache braune, halbhohe Stiefel.«

Moen studierte eine Reihe von Familienfotos, die eine schlanke, fast magere Frau zeigten, wobei er sie in Gedanken als sportlich, athletisch und eigentlich etwas jungenhaft charakterisierte.

Er konzentrierte sich auf die grundlegenden Tatbestände. Ihre zwölfjährige Tochter war die Letzte, die Linn Fostervoll gesehen hatte. Die Mutter hatte sie am Dienstag, dem 28. Mai um 8.45 Uhr an der Ruseløkka Schule abgesetzt. Nach Aussage Linns engster Angehöriger hatte sie die Angewohnheit, sich jeden Monat einen Tag freizunehmen, gern einen Dienstag, um Lebensmittel im Nachbarland einzukaufen. Sie war sparsam.

Am 30. Mai hatte ein älteres Ehepaar den Lensmann in Bjørkelangen angerufen und einen roten Opel Corsa gemeldet, der seit drei Tagen auf einem Parkplatz an der Landstraße 21 stand, gleich neben seinem Ferienhaus. Der Lensmann hatte angekündigt, sich bei nächster Gelegenheit um die Sache kümmern zu wollen, doch hatten seine Alarmglocken geläutet, als er hörte, dass der Wagen nicht abgeschlossen war und eine Damenhandtasche auf dem Vordersitz lag.

Als die Polizei zum Fundort gekommen war, hatte es so ausgesehen, als hätte die Autobesitzerin nur mal eben den Wagen verlassen. Die Autoschlüssel hatten gefehlt, doch die Handtasche war da gewesen, und im Portemonnaie hatte alles noch dringesteckt: Geld, Karten und Quittungen vom Olaf-Thon-Shoppingcenter in Charlottenberg, Schweden. Im Kofferraum hatten die Einkäufe gelegen. Moen warf einen Blick auf die Liste. Zu den Artikeln gehörten unter anderem vier Kartons Billigwein, weiß, eine halbe Flasche Gin und eine Flasche trockener Martini, zwei Stangen Marlboro light, außerdem Hühnerfilet, Entenbrust, Hamburger, Maiskonserven und Süßigkeiten.

Moen sah von den Unterlagen auf. Er wusste, dass dies praktisch alles war, was die gründlichen, von den Medien aufmerksam verfolgten Ermittlungen ergeben hatten. Die Hinterlassenschaften einer gewöhnlichen norwegischen, alleinerziehenden Mutter auf einer Einkaufstour in Schweden. Niemand hatte sie in der Gegend gesehen. Sie war schlicht und einfach verschwunden. Am Ende hatte die Osloer Polizei das einzig Vernünftige getan und die Ermittlungen eingestellt, womit die Sache nun Teil des umfangreichen kriminalpolizeilichen Archivs über vermisste Personen war – über Personen also, die selten oder nie wieder auftauchten.

Unter normalen Umständen würde sich die Öffentlichkeit früher oder später mit dem Aufgeben der Polizei abgefunden haben, doch dieser Fall hatte eine zusätzliche Dimension: Linn Fostervoll war Journalistin und arbeitete beim Fernsehen. Sie war Redaktionsmitarbeiterin der Sendung Brennpunkt im NRK. Jetzt, da die Sache anscheinend eingestellt war, musste man kein Meteorologe sein, um den Mediensturm schon aufziehen zu sehen.

Knut Moen war beauftragt, sich dieser Sache anzunehmen. Plötzlich betrachtete er seinen neuen Aufgabenbereich aus einer anderen Perspektive und mochte nicht, was er da sah. Er fragte sich, wieso ausgerechnet er hier in der Abteilung für vermisste Personen saß, mit Linn Fostervolls Akte vor sich auf dem Tisch. War er nun derjenige, der alles ausbaden sollte?

2

Es gab einen Grund, weshalb er so dachte. Zwei Tage zuvor war er zu seinem Abteilungsleiter gegangen und hatte um einen Aufgabenbereich gebeten, der nicht so viele Reisen erforderte. Moens Verhältnis zum Abteilungsleiter war nicht besonders gut, und da seine Aversion allgemein bekannt war, hätte er die Reaktion, die darauf gefolgt war, vielleicht vorhersehen müssen.

Jetzt saß er hier, leicht verwirrt und in eine andere Abteilung versetzt, und fragte sich, ob er eine Dummheit begangen hatte, schob den Gedanken aber zur Seite. Mit einem etwas vagen Auftrag hatte man ihn weggeschickt: Er sollte die durchgeführte Ermittlung in der Fostervoll-Sache evaluieren. Im Zuge dessen war die Rede von Qualitätssicherung gewesen und, dass er der richtige Mann für diese Aufgabe sei. Moen dachte einen Augenblick an seinen alten Job, resignierte jedoch und machte sich über den Papierberg her.

Der erste Schritt der Ermittler hatte darin bestanden, einen Zeitpunkt einzukreisen. Wann hatte sie den Wagen verlassen? Offenbar hatte sie sich nicht die Zeit genommen, in ein Café zu gehen. Es gab keine Quittungen, die das belegt hätten. Ging man also davon aus, dass sie ihre Einkäufe erledigt hatte und gleich wieder gefahren war, dann war sie wohl irgendwann gegen vierzehn Uhr auf dem Parkplatz angekommen. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt, so die Annahme, hatte sie angehalten und war aus dem Auto gestiegen, eine halbe Stunde Zeitpuffer für beide Wege mit eingerechnet. Das aufmerksame ältere Ehepaar hatte den Wagen zum ersten Mal am 28. Mai um achtzehn Uhr gesehen. Das Mobiltelefon in der Handtasche hatte für den Zeitraum, in dem sie sich in Schweden befunden hatte, keine Gespräche verzeichnet, und die unbeantworteten Anrufe aus der Liste gaben keine Anhaltspunkte und stammten von der Familie oder der Arbeitsstelle. Die kriminaltechnische Untersuchung hatte ansonsten nur einen Haufen vager Spuren ergeben.

Die Ermittlungen waren eine gut organisierte Zusammenarbeit des Lensmanns in Bjørkelangen und der Kripo in Oslo gewesen. Es war nicht zu leugnen, dass man in erster Linie an Selbstmord gedacht hatte. Jahr für Jahr gab es überaus raffinierte Inszenierungen, in denen sich die Verschwundenen zuerst in Luft auflösten, um dann an einem Baum oder in einem See aufgefunden zu werden. In Oslo konzentrierte man sich daher auf Verwandte, Freunde, Kollegen und medizinisches Personal.

Rasch las Moen das Vernehmungsprotokoll aus Oslo und konnte ebenso schnell zwei Dinge konstatieren: Erstens deutete bei Linn Fostervoll nichts auf eine Störung des psychischen Gleichgewichts hin. Weder ihre Verwandten noch ihr Hausarzt konnten diese Hypothese stützen. Der Gedanke, sie habe suizidale Tendenzen gehabt, wurde kategorisch abgewiesen. Einer ihrer Kollegen hatte es so ausgedrückt: »Dazu war sie viel zu glücklich mit sich selbst und ihrem Leben.« Moen betrachtete das Urteil ihrer Umgebung selbstverständlich mit einer gehörigen Portion Zweifel; manche Menschen waren komplizierter, als es den Anschein hatte.

Auf der anderen Seite hatte sie allerdings ebenso wenig einen Spaziergang durch den Wald gemacht, um über irgendetwas nachzudenken. Sie hatte gesagt, wo sie hinwollte, und getan, was sie tun wollte, doch die Ermittlungen waren durchgehend von einem bestimmten Ansatz geprägt: Die Vernehmungen hatten sich im Großen und Ganzen um Linn Fostervolls Psyche gedreht. Die Polizei hatte es nicht in Erwägung gezogen, dass sie Opfer einer kriminellen Handlung gewesen sein könnte. Aufgrund der Tatsache, dass ihre Sachen unberührt im offenen Wagen gelegen hatten, wurde die Möglichkeit osteuropäischer Straßenräuber ausgeschlossen.

Ansonsten hatten sich die Vernehmungen auf den Exmann, Sverre Midtsem jr., konzentriert. Es war nun einmal so, dass ein geschiedener Mann als möglicher Verdächtiger auf der Liste der Polizei hoch oben stand, und es gab statistische Belege, die diesen routinemäßigen Reflex erklärten. Dieser Exmann hatte allerdings ein hieb- und stichfestes Alibi. Während des relevanten Zeitraums war er mit einem Arbeitskollegen in Oslo gesehen worden. Da die Vernehmungen keinerlei sichere Anhaltspunkte ergeben hatten, stand die Suchaktion natürlich im Mittelpunkt. Es wurde gemutmaßt, sie hätte sich nach draußen begeben, einen Unfall erlitten, sich verletzt oder wäre im schlimmsten Fall überfallen worden. Der Lensmann in Bjørkelangen hatte mit Unterstützung von Experten der Kripo die Suche geleitet, an der eine große Mannschaft aus Angestellten der Kommune sowie freiwillige Organisationen und Hundestaffeln beteiligt gewesen waren. Gewässer wurden durchsucht, Felsspalten durchkämmt, jeder Stein wurde umgedreht. Auf Schritt und Tritt wurde alles genauestens von Linn Fostervolls Kollegen aus den Medien verfolgt. Ohne Ergebnis. Man fand keinen Schuh, kein einziges Kleidungsstück. Nichts. Nur aufgrund des Mediendrucks wurde eine Woche länger gesucht, als eigentlich zweckdienlich gewesen wäre, doch dann war Schluss. Auf einer Pressekonferenz Ende Juni hatte der Lensmann in Bjørkelangen das Handtuch geworfen.

Moen sah auf die Uhr. Er legte sein Kinn in die Hände und stellte fest, wie die Arbeit ihn wieder einmal völlig vereinnahmte. Verwundert blickte er sich um. Der Archivraum, in dem er saß, hatte keine Fenster, und die einzigen Geräusche, die er hörte, rührten von der Klimaanlage her.

Moen erhob sich, legte die Lesebrille auf den Tisch und steuerte auf die Kantine zu, wurde im Korridor jedoch von Astrid Bredeveien, seiner neuen Chefin, aufgehalten. Sie wies auf eine CD-Hülle in ihren Händen.

»Ich habe da etwas, das Sie sich ansehen müssen. Kommen Sie doch mit in mein Büro.«

Astrid Bredeveien deutete auf einen Stuhl, trat ans Fenster und sperrte den schönen Spätsommertag aus. Dann setzte sie sich und schob die CD in ihren Computer.

»Konnten Sie sich schon ein Bild von der Sache machen, so wie sie uns jetzt vorliegt?«

»Ja«, erwiderte Moen, worauf sie fortfuhr:

»Das hier ist eine Sendung, die heute Abend im NRK ausgestrahlt werden soll. Faktor. Ich hab sie vor ein paar Tagen bekommen und wurde gebeten, mich dazu zu äußern. Ich möchte, dass Sie sich das ansehen.«

Sie spielte die CD ab, die mit einem kurzen Überblick bis zum Abschluss der Suchaktion in Bjørkelangen begann. Danach folgte ein kurzes, peinliches Interview mit der Osloer Polizei über die Art und Weise der Ermittlung. Das Ganze wurde von einem der zahlreichen NRK-Redakteure mit Grabesstimme kommentiert, wobei der Erzählstil eine Art dramatischer oder unheilvoller Stimmung hervorrief, die dem Stoff nicht unmittelbar innewohnte. Moen ärgerte sich bereits über die Dramaturgie.

Dann folgte eine Auswahl sommerlicher Bilder von Reihenhäusern entlang dem Leangkollen in Asker, vom Jachthafen in der Leangbukta sowie den Räumlichkeiten des Bærumer Polizeireviers. Der begleitende Kommentar lautete folgendermaßen: »In der Nacht zu Sonntag, dem 2. Juni, nur wenige Tage nach Linn Fostervolls Verschwinden, rief Frau Klara Midtsem ihren Sohn Sverre jr. an und berichtete, ihr Mann sei am Abend nicht vom Ausflug zu seinem Segelboot in der Leangbukta zurückgekommen. Sie bat den Sohn, dort hinzufahren und nachzusehen, da sie selbst schlecht laufen könne. Sverre Midtsem jr. fuhr zum Jachthafen und fand seinen Vater mit einer Schusswunde in der Schläfe und einer Pistole in der Hand. Der Fall wurde vom Polizeirevier Asker und Bærum untersucht, dessen Ermittlung ergab, dass Sverre Midtsem sr. sich das Leben genommen hatte. Es gab keinerlei Anhaltspunkte für den Aufenthalt einer anderen Person am Tatort. Das Einzige, worüber die Polizei noch Aufschluss bieten konnte, war die Entdeckung eines weiteren Projektils im Sitzpolster der Bootskajüte. Die Polizei geht hierbei von einem Probeschuss aus, der abgegeben wurde, bevor der tödliche Schuss fiel.«

Um die Tatsache zu verschleiern, dass es sich bei der Reportage bis hierher um Radio mit Bildern handelte, gab es nun eine Einblendung mit der Erkennungsmelodie des Senders, um das Drama gleichsam ins Bewusstsein der Zuschauer einsinken zu lassen. Die Vermutung lag nahe, dass die Faktor-Redaktion beabsichtigte, das Verschwinden Linn Fostervolls mit dem Selbstmord ihres ehemaligen Schwiegervaters in Verbindung zu bringen, doch der folgende Beitrag brachte Interviews mit der Polizei in Asker und Oslo, die die Geschehnisse keineswegs miteinander verknüpften. Sie wurden separat untersucht. Der Selbstmord war zu den Akten gelegt worden.

Dann folgte natürlich, wozu die Polizei sich nicht äußern wollte. Sverre Midtsem sr. hatte noch nie eine Waffe besessen, und für die Verwandten war es ein Rätsel, wie er an diese gekommen war. Zweitens war die Waffe aus der Wohnung eines bekannten, doch »medienscheuen Finanzmannes« gestohlen worden. Es handelte sich um eine kleinkalibrige Pistole, die vom Besitzer kurz nach Ostern als gestohlen gemeldet worden war, sich also bereits zwei Monate vor dem Selbstmord auf Abwegen befunden hatte.

Der Redaktion von Faktor war außerdem gelungen, den Brennpunkt-Redakteur, also Linn Fostervolls ehemaligen Chef, zu interviewen. Der Redaktionsleiter berichtete, Linn habe ihm gegenüber angedeutet, Zugang zu einem bestimmten Kreis von der Aker Brygge erlangt zu haben, der für seine ausagierenden Festivitäten bekannt war, und dass sie auf eigene Faust Nachforschungen betrieb, um vielleicht einen Beitrag über die »Grauzone« in der Osloer Finanzwelt zu machen.

Bei näherer Untersuchung hatte sich genau die Wohnung, aus der man die Pistole gestohlen hatte, als eine der Feststätten dieses Kreises erwiesen. Dann wurde zu einer Blondine und einer Brünetten mit vernebeltem Gesichtsausdruck übergeleitet, die mit verzerrten Stimmen von Drogen und Sex sprachen und so den Eindruck erweckten, Faktor hätte bereits mit der Arbeit an diesem Beitrag begonnen.

Als sich die Faktor-Redaktion an den medienscheuen Finanzmann wandte, wurde sie mit einer schriftlichen Erklärung seines Anwalts abgespeist, in der es hieß, der Besitzer wohne mit seiner Familie auf Bygdøy. Die Wohnung werde an Freunde und Geschäftspartner vermietet, und es sei viele Jahre her, dass der Besitzer sie selbst benutzt habe.

Das Ende der Sendung lautete folgendermaßen: »Linn Fostervolls Exmann möchte in dieser Sendung natürlich nicht auftreten, berichtet jedoch, der im Auftrag des Finanzmanns operierende Anwalt habe sich mehrmals an seinen Vater gewandt, um das Familienhotel im Parkveien aufzukaufen, und dass sein Vater sich unter Druck gesetzt fühlte. Auf dem Konto seiner Exfrau befinde sich ein größerer Betrag, den sich niemand erklären könne. Er hat sich entschieden, die Polizei auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, und räumt ein, diese Tatsache bisher aus Rücksicht auf das gemeinsame Kind verschwiegen zu haben.«

Der Moderator der Sendung kam salbungsvoll zum Schluss. Es sei nicht Absicht der Redaktion, Behauptungen aufzustellen. Sie sei weder imstande noch wünsche sie, die Arbeit der Polizei zu übernehmen. Sie stelle lediglich die Frage, aus welchem Grund die Polizei die erwähnten Tatbestände nicht näher untersucht habe.

»Kennen Sie Bjørn Hansen?«, fragte Moen.

»Meinen Sie den vom NRK?«

»Nein. Den Sicherheitsberater; ein ehemaliger Polizist.«

»Den kenne ich nicht«, sagte Astrid Bredeveien. »Aber ich habe von ihm gehört. Es heißt, er wacht dort im Hintergrund, wo reiche Leute Probleme haben.«

»Er hat mich gebeten, mir diese Sendung heute Abend anzusehen.«

Astrid Bredeveien blickte Moen über ihre Brille hinweg an.

»Woher kennen Sie ihn?«

»Bei unserer ersten Mordermittlung haben wir zusammengearbeitet. In den letzten Jahren hat er mir verschiedentlich Jobs angeboten.«

»Jetzt auch?«

Moen lächelte.

»Es wird doch sicher einen reichen Mann geben, der in Schwierigkeiten steckt.«

»Interessant, aber kehren wir mal zurück zum Thema. Was sagen Sie zu den Ausführungen in der Sendung?«

Moen zuckte mit den Schultern. »Wir beide wissen, dass man im Leben eines Menschen nicht allzu lange herumgraben muss, um auf ein Mordmotiv zu stoßen, und noch nie hat es Ermittlungen in einem Mordfall gegeben, in dem es keine Leiche gab.«

Frau Bredeveien lächelte.

»Nüchtern wie immer. Ich habe das starke Gefühl, die Kleine ist in irgendwas hineingeraten. Ich spüre es sozusagen in den Knochen, und ich will diese Sache wieder auf der Tagesordnung haben. Allerdings möchte ich nicht öffentlich machen, dass wir einen der profiliertesten Ermittler des Landes auf die Sache ansetzen. Wir befinden uns hier in der Vermisstenabteilung. Ich habe eine äußerst tüchtige Mitarbeiterin, die sich um die Betreffenden und alle anderen kümmern wird. Wir reagieren ganz offiziell, und sie wird uns nach außen vertreten.«

»Worin besteht meine Aufgabe?«

»Ich möchte, dass Sie die Tatbestände um den Tod des Schwiegervaters und das Verschwinden der Schwiegertochter so betrachten, als handelte es sich um verdächtige Todesfälle.«

»Nun ja«, erwiderte Moen. »Sie haben aber doch wohl auch in Erwägung gezogen, dass sie mit einem großen Drink in Monaco oder Dubai sitzen könnte? Mit neuem Namen und neuer Kreditkarte.«

»Selbstverständlich. Bilder von ihr sind an alle möglichen Orte in der Welt unterwegs.«

3

Am nächsten Tag fuhr Moen auf der E 18 aus der Stadt. Stadteinwärts drängten sich die Autos dicht an dicht. Auch stadtauswärts herrschte viel Verkehr, doch die Fahrt ging schnell, und es dauerte nicht lange, bis er sich durch ein Wirrwarr aus Brückenträgern und Kreisverkehren in Sandvika schlängelte, dem Hauptquartier der bürgerlichen Schlafkommune. Vor dem Polizeirevier von Asker und Bærum fand er einen Parkplatz und meldete sich am Empfang, von wo er zu einem Kommissar in den Dreißigern geführt wurde. Der Mann stand auf, lächelte und begrüßte Moen per Handschlag.

»Lange her«, sagte er und registrierte Moens Verwunderung. »Sie erinnern sich vielleicht nicht an mich, dafür erinnere ich mich aber gut an Sie. An meinem ersten Tag hier auf dem Revier war ich an der Suche nach einer Mordwaffe beteiligt, in Hosle.« Er deutete auf den zweiten Stuhl im Raum. Moen setzte sich. »Es ging um einen Zuwanderer, dem in den Rücken geschossen wurde. Gestern hab ich den Täter im Einkaufszentrum von Sandvika gesehen. Nach acht Jahren ist er nun freigekommen.«

Moen nickte und lächelte. In der Zwischenzeit hatte es viele Mordfälle gegeben, und da er nicht sonderlich nostalgisch veranlagt war, kam er gleich zur Sache. »Haben Sie die Akte hier?«

Der Polizist zeigte auf eine Mappe auf dem Tisch. »Hier haben Sie eine Kopie. Wollen Sie sie durchsehen?«

Moen blätterte die Akte schnell durch. Karten von der Leangbukta und dem Jachthafen lagen darin – und Fotos. Er hatte daran gedacht, weiterzufahren und sich alles mit eigenen Augen anzusehen, aber das schien kaum notwendig. Moen wandte sich an den jungen Polizisten und sagte:

»Sehr schön. Vielen Dank.«

»Haben Sie Fragen dazu?«

»Sie haben doch schon eine Weile mit Gewaltverbrechen zu tun, oder?«

»Fünf Jahre.«

»Und ist Ihnen sonst schon ein Selbstmord mit Schusswaffengebrauch untergekommen?«

»Eigentlich nur ein Mal, aber da ging’s um eine Schrotflinte. Das sah dann etwas schlimmer aus.«

»Sie waren von Beginn an den Ermittlungen beteiligt, stimmt’s?«

»Wir sind zu zweit losgefahren, einer von der Spurensicherung und ich. Der Einzige, der sich vor uns auf dem Boot aufhielt, war der Sohn. Er hatte Alarm geschlagen. Das Sanitäterteam konnte nur noch den Tod feststellen. Wir haben die Situation, wie wir sie damals vorfanden, durch die Kajütentür fotografiert.« Er kramte ein Bild hervor und reichte es Moen.

Der Verstorbene, Sverre Midtsem sr., geboren 1931, lag mit dem Rücken auf den Sitzkissen einer engen Kabine. Es war ein zweiundzwanzig Fuß langes Segelboot. Er lag rechts, das Gesicht nach oben, der rechte Arm abgespreizt. Auf dem Boden unterhalb der ausgestreckten Hand lag eine Pistole. Das nächste Bild zeigte den Kopf von der Seite. Ein winziges Loch in der Schläfe und ein kleines Rinnsal Blut.

»Kaliber .22. Die Kugel hat sich im Gehirn gedreht und ist auf der anderen Seite nicht wieder rausgekommen. Saubere Sache, könnte man sagen. Am Eintrittspunkt und an der rechten Hand fanden sich Schmauchspuren. Es wurden zwei Schüsse abgefeuert. Das andere Projektil fanden wir in der Polsterung der Bank auf der linken Seite. Es ist wohl anzunehmen, dass es sich dabei um einen Probeschuss handelte.«

»Was ist mit Fingerabdrücken?«

»Nur seine und die des Sohnes. Nach Aussage der Ehefrau hat er allein das Boot benutzt. Sie sagte auch, dass die Kajüte immer unverschlossen war. Als wir die Kajüte weiter durchsucht haben, sind wir mehr oder weniger nur auf leere Flaschen gestoßen. Billiger Whisky und ein paar leere Pillengläser. Adumbran. Ein leichtes Beruhigungsmittel. Ansonsten haben wir noch schmutzige Wäsche, eine abgewetzte Aktentasche und einen Füllfederhalter gefunden. Mit Goldfeder.

»Handy?«

»Das lag zu Hause. Die Angehörigen meinten, er sei aufs Boot gegangen, um zu trinken, und wollte in Ruhe gelassen werden. Hatte übrigens ordentlich was im Blut, fast zwei Promille.«

»Zeitpunkt?«

»Die Rechtsmediziner meinen zwischen eins und vier in der Nacht.«

Dunkle Absichten gehören in die Dunkelheit, dachte Moen.

»Wo lag das Boot?«

»Fast ganz außen am schwimmenden Kai in der Nähe von Hvalstrand. Ein Wachunternehmen patrouilliert da mehrmals in der Nacht und überprüft das Tor. Keine Beobachtungen in der betreffenden Nacht. Niemand hat einen Schuss gehört.«

»Welchen Eindruck haben Sie von den Angehörigen?«

Der Polizist überlegte einen Moment, bevor er antwortete.

»Wir haben nur mit dem Sohn und seiner Mutter gesprochen. Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Sie wirkten eigentlich nicht überrascht, waren aber anscheinend erstaunt über die Art und Weise, wie es passierte. Er hat nie eine Waffe besessen.« Der Polizeibeamte zog eine Grimasse. »Haben Sie gestern Faktor gesehen?«

Moen nickte, enthielt sich aber eines Kommentars. »Mal abgesehen von der Waffe, was meinen Sie damit, dass sie nicht überrascht wirkten?«

»Es kam mir so vor, als ob Mutter und Sohn in einem schwierigen Verhältnis zu dem Verstorbenen standen. Er hatte einen hohen Alkoholkonsum, nachdem er den Betrieb des Hotels seinem Sohn überließ, und als die Schwiegertochter verschwand, ist er mehr oder weniger ganz auf das Boot gezogen. Er war nur noch zu Hause, um zwischendurch mal zu duschen.«

»Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, wie das Verhältnis des Verstorbenen zu seiner ehemaligen Schwiegertochter war?«

»Der Sohn sagte, dass sein Vater sehr an ihr gehangen hat, meinte aber, das habe am Enkelkind gelegen. Seine Mutter schnaubte bloß und tat das als neuen Vorwand ab, sich um den Verstand zu saufen. Sie hält sich ansonsten eher bedeckt.«

»Gibt es sonst noch etwas über die Hinterbliebenen?«

»Auf mich wirkten sie ganz vertrauenswürdig. Der Sohn war wie gelähmt, es ließ sich aber leicht mit ihm reden. Er bemühte sich, alles zu erzählen, was er wusste. Es gibt da nichts Zweideutiges an seinen Ausführungen. Sie stimmen mit den Funden am Tatort völlig überein. Vor seiner Mutter hatte ich ein bisschen Respekt, sie ist eine ziemlich direkte Frau. Ganz nüchtern hat sie vom Alkoholproblem ihres Mannes berichtet. Wir wissen ja beide, was für eine zerstörerische Wirkung Alkohol manchmal haben kann. Eine Familientragödie.«

»Irgendwas Merkwürdiges?«

»Ich wüsste nicht, was.«

»Abgesehen von der Waffe.«

»Ja, abgesehen davon.«

»Sie war gestohlen, aber man braucht ja wohl ein paar Kontakte, um so etwas in die Finger zu kriegen?«

»Ja, aber da sind wir nicht weitergekommen.«

»Weil Sie im tiefsten Innern davon überzeugt waren, dass er sich umgebracht hat?«

»Ja, wo Sie das jetzt so sagen. Alle waren wir in diesem Punkt sicher, da hatte die Waffe keine so hohe Priorität. Sie wissen ja, wie das ist.«

4

Moen genoss die neue Hauptstraße 2 von Ullensaker nach Vormsund, doch die Herrlichkeit währte nicht lange. Als er sich Kongsvinger näherte, verdichtete sich der Verkehr. Nach fünf, sechs oder sieben Kreisverkehren fuhr er die letzten Kilometer in Richtung Magnor, Morokulien und Eda-Glasfabrik in einem Schwarm aus Lastwagen und Einkaufstouristen. Unterwegs grübelte Moen, wieso Linn Fostervoll sich ausgerechnet diese Strecke nach Schweden ausgesucht hatte. Viele schworen auf Nordby und Strømstad, und streng genommen war der Weg über Ørje kürzer, doch alle, die Linn Fostervoll kannten, waren einer Meinung. Sie hatte ihre Routine und wich niemals davon ab. Sie hatte die Hauptstraße 2 über Kongsvinger nach Charlottenberg genommen. Auf dem Rückweg war sie bei Skotterud abgefahren und über die Landstraße 21 gefahren, wo der Wagen gefunden worden war. Hätte sie ihren Plan eingehalten, wäre sie am Settensee vorbeigekommen und hätte die 170 durch Bjørkelangen nach Fetsund genommen. Schlechtere Straße, aber kürzere Distanz.

Moen war mindestens zehn Jahre nicht mehr in Charlottenberg gewesen. Im Zuge einer Ermittlung hatte er zwei Tage im Motel gewohnt. Das Zimmer war ein unvergessliches Raucherzimmer gewesen, mit Aussicht auf einen Parkplatz voller Müllcontainer und ein Straßenschild, an dem er ablesen konnte, dass er an der Ecke Stationsgata und Industriväg wohnte, doch das war damals. Moen sperrte die Augen auf, als er sich der Ausfahrt näherte. Ein zweispuriger Kreisverkehr löste den nächsten ab, und bereits im ersten wurde er fast von einem alten Volvo torpediert, als er versuchte, sich einen Überblick von dem enormen Gebäude zu verschaffen, das im Moor außerhalb des Zentrums errichtet worden war. Er fuhr an den Mietskasernen, dem Rathaus und der Bibliothek vorbei, parkte vor dem und schlenderte hinunter zur Storgata.

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