Die Stadt ohne Juden - Hugo Bettauer - E-Book

Die Stadt ohne Juden E-Book

Hugo Bettauer

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Beschreibung

In "Die Stadt ohne Juden" entwirft Hugo Bettauer eine dystopische Gesellschaft, in der das jüdische Leben aus der Wiener Stadtlandschaft vollständig verdrängt wurde. Der Roman, der 1922 erschienen ist, nutzt einen satirischen und gleichzeitig packenden Erzählstil, um die Konsequenzen des Antisemitismus und der sozialen Entfremdung zu beleuchten. Bettauer kombiniert dabei soziale Kritik mit fantastischen Elementen und schafft so eine eindringliche Reflexion über Identität, Zugehörigkeit und die Gefahren des Hasses. Sein Werk ist nicht nur ein überzeugendes literarisches Dokument seiner Zeit, sondern auch eine warnende Stimme gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung, die in den 1920er Jahren an Bedeutung gewannen. Hugo Bettauer, ein österreichischer Schriftsteller und Verleger, war ein engagierter Kämpfer für soziale Freiheit und Menschenrechte. Seine eigenen Erfahrungen in einer von Vorurteilen und politischen Umwälzungen geprägten Gesellschaft motivierten ihn, sich mit der jüdischen Identität und dem Schicksal der Juden in Europa zu befassen. Bettauer war Zeitzeuge der wachsenden Antisemitismusbewegungen und kritisierte ebenso gesellschaftliche Konventionen, was seiner Arbeit einen hohen gesellschaftlichen Relevanz verleiht. "Die Stadt ohne Juden" ist eine eindringliche und nachdenklich stimmende Lektüre, die sowohl als literarisches Meisterwerk als auch als wertvolle Mahnung dient. Leserinnen und Leser, die sich mit Fragen der Toleranz, Identität und den Gefahren des Hasses auseinandersetzen möchten, finden in Bettauers Werk eine tiefgründige Analyse, die auch in der heutigen Zeit von großer Bedeutung ist. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Hugo Bettauer

Die Stadt ohne Juden

Bereicherte Ausgabe. Der Roman von übermorgen: Eine erschreckend genaue Zukunftsvision und satirische Antwort auf den primitiven Antisemitismus der 1920er-Jahre
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547796916

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Die Stadt ohne Juden
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Was geschieht, wenn eine europäische Metropole im Namen einer vermeintlichen Erneuerung alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger ausweist, und wie entlarvt eine satirische Erzählung den fatalen Irrtum, wonach Reinheit, Einheit und Ruhe durch Ausschluss herstellbar seien, indem sie vielmehr die wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Verflechtungen sichtbar macht, die eine Stadt tragen; indem das Buch den Reflex der Sündenbocksuche bis zur Groteske steigert, legt es offen, wie verführbar politische Mehrheiten sind, wie rasch Institutionen kippen und wie brüchig jene Zivilität wird, die sich selbst für unerschütterlich hält, sobald Angst, Neid und Ressentiment den Ton bestimmen.

Hugo Bettauers Die Stadt ohne Juden ist ein satirischer Zukunftsroman, der in Wien angesiedelt ist und 1922 veröffentlicht wurde, also in der frühen Phase der Ersten Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Das Buch verbindet die Zuspitzung der politischen Satire mit einer erzählerischen Form, die nah an Alltagsbeobachtungen bleibt und zugleich die Mechanismen der öffentlichen Meinung seziert. Sein historischer Kontext – Inflation, soziale Spannungen, Orientierungssuche – bildet den Resonanzboden, vor dem die literarische Versuchsanordnung greift. Der programmatische Untertitel verortet das Werk bewusst im Modus des gedanklichen Experiments, das weniger Prophezeiung als Diagnose einer Gegenwart in Schieflage sein will.

Ausgangspunkt ist eine politische Entscheidung: Eine Mehrheit beschließt ein Gesetz, das die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner aus der Stadt weist. Von dort entfaltet der Roman eine Kette erzählerischer Situationen, die zeigen, wie sich ein solcher Akt in Amtsstuben, Geschäftsstraßen und privaten Räumen niederschlägt, ohne das Geschehen als Katastrophenmelodram auszuspielen. Die Stimme bleibt beißend und zugleich leichtfüßig, der Ton wechselt zwischen komischer Übertreibung und nüchternem Befund. Leserinnen und Leser erleben ein Leseabenteuer, das gleichermaßen unterhält, irritiert und nachdenklich macht, weil das Komische nie den Ernst der verhandelten Fragen verdeckt.

Stilistisch arbeitet Bettauer mit Überzeichnung, pointierter Situationskomik und einer klaren, zugänglichen Sprache, die den Blick auf Haltungen und Reflexe schärft. Der Roman zeigt Figuren oft als gesellschaftliche Typen und verfolgt sie durch öffentliche Räume, Editorials, politische Debatten und alltägliche Begegnungen. Diese episodenhafte Anlage erzeugt Tempo und Breite: Statt psychologischer Tiefenbohrung dominiert die Beobachtung sozialer Dynamiken. Durch den Wechsel zwischen naher Szene und panoramischer Übersicht entsteht ein Bild städtischen Lebens, in dem Rollen, Milieus und Interessen aneinander reiben. So wächst die Satire aus konkreten Beispielen, nicht aus abstrakten Thesen.

Thematisch kreist das Werk um die Mechanik des Antisemitismus, um die Verführungskraft einfacher Erklärungen in Zeiten ökonomischer Unsicherheit und um die fragile Balance von Recht, Moral und politischem Opportunismus. Bettauer zeigt, wie ökonomische Netzwerke, kulturelle Praxis und städtische Identität miteinander verwoben sind – und wie ein Angriff auf eine Minderheit stets die Mehrheit mittrifft. Sichtbar werden die Versuchungen symbolischer Politik, die Lust am Sündenbock und die Idee einer homogenen Gemeinschaft, die die Komplexität modernen Lebens nicht erträgt. Das Buch hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, ohne sich in moralischen Deklarationen zu verlieren.

Für heutige Leserinnen und Leser bleibt der Roman relevant, weil er Mechanismen beschreibt, die sich in neuen Gewändern wiederholen: das Versprechen schneller Lösungen, die rhetorische Aufladung von Differenz, die mediale Verstärkung von Vorurteilen und der legislative Zugriff auf Grundrechte. In einer von Krisenwahrnehmungen geprägten Öffentlichkeit zeigt das Buch, wie Sprache Wirklichkeit formt und politische Entscheidungen sich in Biografien einschreiben. Es lädt dazu ein, Empathie als intellektuelle Tugend zu verstehen und die Resilienz demokratischer Institutionen nicht als gegeben zu betrachten, sondern als Ergebnis mühsamer, konfliktfähiger Aushandlung.

Die Stadt ohne Juden bietet damit mehr als eine historische Kuriosität: Sie ist eine präzise, oft witzige, immer wache Satire, die Leserinnen und Leser in ein Gedankenexperiment führt und ihnen die Freiheit lässt, Schlüsse zu ziehen. Wer sich auf die Lektüre einlässt, findet einen klar gezeichneten Spiegel städtischer Moderne, der die Bequemlichkeit schneller Urteile unterläuft. Gerade in einer Zeit, in der Zugehörigkeit und Ausschluss erneut politische Schlagworte sind, öffnet das Buch einen Raum, in dem über Verantwortung, Mitwirkung und das Minimum an Gemeinsamkeit nachgedacht werden kann, das eine offene Gesellschaft benötigt.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Hugo Bettauers Roman Die Stadt ohne Juden, 1922 erstveröffentlicht, ist eine satirische Zukunftsvision, die unübersehbar an Wien der Zwischenkriegszeit erinnert. Unter dem Untertitel Roman von Übermorgen entwirft Bettauer ein Szenario, in dem eine von Krisen erschütterte Großstadt die jüdische Bevölkerung politisch ausstößt. Der Text verbindet politische Parabel und Gesellschaftssatire: Er führt vor, wie Ressentiments, wirtschaftliche Ängste und opportunistische Machtstrategien zusammenwirken. Das Buch arbeitet mit Überzeichnung, bleibt jedoch in sozialen Details nah an der Realität seiner Zeit. Leitend sind Fragen nach Zugehörigkeit, Modernität und der Fragilität urbaner Vielfalt, die im Verlauf der Handlung in konkrete Konflikte übersetzt werden.

Ausgangspunkt ist eine angespannte wirtschaftliche und politische Lage, die populistische Akteure geschickt ausnutzen. Im Parlament setzt sich die Forderung durch, alle Jüdinnen und Juden auszuweisen, angeblich um Wohlstand, Ordnung und nationale Reinheit zu sichern. Bettauer zeichnet die Kampagnen der Wortführer, die mit simplen Erklärungen Zustimmung gewinnen, während gemäßigte Stimmen marginalisiert werden. Der Beschluss fällt als spektakulärer Akt symbolischer Politik. Behörden bereiten Verordnungen, Listen und Fristen vor; die Presse feiert die Wende als Beginn einer neuen Ära. Schon hier deutet die Erzählung die Kluft zwischen Versprechen und Realität an und legt den Boden für die folgenden Verwerfungen.

Die Durchführung der Ausweisung zeigt Bettauer als Mischung aus bürokratischem Eifer und menschlichem Drama. Familien müssen in kurzer Zeit ihre Existenz ordnen, Geschäfte liquidieren und Wohnungen verlassen; Berufe, Netzwerke und Alltagsroutinen brechen ab. Die Stadt organisiert Züge und Durchgangsstellen, während Schaulust und Selbstgerechtigkeit auf den Straßen sichtbar werden. Gleichzeitig beschreibt der Roman unspektakuläre Verluste: verwaiste Ateliers, entleerte Klassenzimmer, verschwundene Stimmen im Stadtgespräch. Ein Teil der Öffentlichkeit jubelt, weil man schnelle Erleichterung erwartet. Andere reagieren verstört oder schweigend. Die Erzählung insistiert auf Ambivalenzen und zeigt, wie eine politische Maßnahme das scheinbar Selbstverständliche der städtischen Lebenswelt auseinanderreißt.

Erst allmählich werden die ökonomischen und kulturellen Folgen sichtbar. Fachkräfte fehlen, Lieferketten reißen, Unternehmen geraten ins Taumeln; Bankgeschäfte, Handel und freie Berufe verlieren tragende Akteure. Theater, Zeitungen und Vereine büßen Profil, Vielfalt und Publikum ein. Das städtische Milieu, zuvor von Mischungen und Reibungen geprägt, wirkt auf einmal flach und provinziell. Bettauer lässt die Effekte nicht als Katastrophe über Nacht erscheinen, sondern als beschleunigte Erosion: kleine Ausfälle, die sich summieren, Missstimmungen, die Alltag und Politik anstecken. Aus der ersehnten Klarheit wird Versteinerung; aus Versorgungsversprechen werden Engpässe. Der Roman verdichtet diese Entwicklung zu einer spürbaren sozialen Müdigkeit.

Parallel treten moralische und rechtliche Spannungen hervor. Gemischte Partnerschaften geraten unter Druck, Loyalitäten in Familien und Betrieben zerbrechen, und die Ausnutzung der Lage nimmt zu. Versteigerungen und Zuweisungen schaffen Gelegenheiten für Bereicherung, die Verwaltung verschärft Kontrollen, während Schlupflöcher und Informalität wachsen. Bettauer beobachtet die Psychologie der Mitläufer und Nutznießer ebenso wie die Zermürbung jener, die sich entziehen möchten. Presse und Stammtisch liefern einfache Parolen, doch im Alltag häufen sich Ausnahmen, Härtefälle und Widersprüche. Der Roman konfrontiert die Idee einer homogenen Stadt mit der Tatsache, dass Bedürfnisse, Talente und Biografien sich nicht sauber sortieren lassen, geschweige denn dauerhaft.

Die politischen Folgen spitzen sich zu. Verantwortliche, die einfache Lösungen versprachen, müssen nun für sinkende Einnahmen, außenpolitische Irritationen und wachsende Unzufriedenheit Erklärungen finden. Handelspartner reagieren reserviert, Reisen und Tourismus gehen zurück, und kulturelle Beziehungen versiegen. Innerhalb der Stadt entstehen ungewohnte Allianzen: Wirtschaftsakteure, Künstlerinnen und Studierende artikulieren Interessen, die mit der offiziellen Linie kollidieren. Bettauer arbeitet mit ironischen Kontrasten und kleinen, exemplarischen Episoden, um den Druck auf die Entscheidungsträger fühlbar zu machen. Debatten verlagern sich von Prinzipien zu Praktikabilität; die Frage, ob die Maßnahme moralisch war, wird von der Frage verdrängt, wie die Stadt unter den Folgen bestehen soll.

Im letzten Drittel verdichtet der Roman die Krise zu einer Prüfung der politischen Klasse und der Öffentlichkeit. Ohne die endgültige Auflösung vorwegzunehmen, zeichnet Bettauer die Bewegung auf einen Wendepunkt hin, an dem die Stadt die Konsequenzen ihrer Entscheidung nicht länger verdrängen kann. Die leitende Aussage des Buches ist klar: Urbanes Leben beruht auf Austausch, Differenz und Konfliktfähigkeit; wer Vielfalt opfert, gefährdet eigene Grundlagen. Die Satire wirkte bereits zeitgenössisch als Warnbild und erhielt durch die Verfilmung von 1924 zusätzliche Breitenwirkung. Bis heute bleibt das Werk als frühe, hellsichtige Kritik an Ausgrenzung und Sündenbockpolitik bemerkenswert.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Das Buch erschien 1922 in der Ersten Republik Österreich, mit Wien als politischem und kulturellem Zentrum. Nach dem Ende der Habsburgermonarchie hatten die Verfassung von 1920 und ihre Institutionen – Nationalrat, Bundesrat, Verfassungsgerichtshof – das Staatsgefüge neu geordnet; 1922 wurde Wien zugleich eigenes Bundesland. Prägend waren außerdem die christlichsoziale Bundesregierung, die sozialdemokratisch regierte Stadt Wien ("Rotes Wien"), die katholische Kirche sowie Universitäten, Theater und eine lebhafte Presselandschaft. Vor diesem Hintergrund verhandelt der Roman eine fiktive antisemitische Maßnahme in einer Stadt, die unschwer als Wien erkennbar ist, und nutzt satirische Zuspitzung, um reale politische Strömungen zu spiegeln.

Die österreichische Politik der Jahrzehnte zuvor war durch Antisemitismus tief geprägt. Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1897–1910) verband soziale Reformen mit offen judenfeindlicher Rhetorik; der deutschnationale Agitator Georg von Schönerer radikalisierte völkische Programmatik. Diese Traditionen wirkten nach 1918 fort, in Parteien, Vereinen und Teilen der Verwaltung. Besonders an Universitäten kam es in den frühen 1920er Jahren zu wiederholten Übergriffen und Boykotten gegen jüdische Studierende. Der Roman greift diese öffentlich akzeptierten Feindbilder auf und führt vor, wie „Lösungen“ auf dem Papier politisch mehrheitsfähig werden, obwohl sie die Grundlagen von Rechtstaatlichkeit und städtischer Kultur untergraben.

Nach dem Krieg steckte die verkleinerte Republik in einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise. Das Zerfallen der Monarchie, der Vertrag von Saint‑Germain (1919) und der Verlust von Märkten belasteten Industrie und Handel; Inflation und Arbeitslosigkeit verschärften das Elend. 1922 stabilisierte ein Völkerbundkredit unter Bundeskanzler Ignaz Seipel die Finanzen, doch die soziale Not blieb. In diesem Klima florierten Sündenbockmodelle und Versprechen schneller Abhilfe. Bettauers Roman zeigt, wie wirtschaftliche Illusionen – etwa die Idee, Ausgrenzung könne Wohlstand schaffen – politisch attraktiv werden und wie Krisenrhetorik mit Nationalismus und Antisemitismus verschmilzt, um drakonische Maßnahmen zu legitimieren.

Parallel dazu begann das sozialdemokratische "Rote Wien" ein umfassendes Reformprogramm. Mit der Wohnbausteuer von 1923 finanzierte die Stadt kommunale Gemeindebauten und soziale Infrastruktur; Bildungs-, Gesundheits- und Kulturpolitik sollten Armut und Analphabetismus entgegenwirken. Das urbane Leben wurde von einer modernen Kultur geprägt, in der viele jüdische Künstler, Ärztinnen, Wissenschaftler und Unternehmer eine herausragende Rolle spielten. Diese reale Verwobenheit von jüdischem Leben und städtischer Entwicklung bildet einen entscheidenden Resonanzraum des Romans: Er macht erfahrbar, wie der Ausschluss einer Minderheit die Stadt nicht nur moralisch, sondern auch sozial, wirtschaftlich und kulturell verödet.

Die Zwischenkriegszeit brachte eine expandierende Massenkultur: Boulevardpresse, Feuilletons, Varieté und populäre Romane erreichten neue Leserschichten. Hugo Bettauer, 1872 geboren, arbeitete als Journalist und Autor sozialkritischer Unterhaltungsliteratur. Heftig diskutiert wurden seine Themen auch wegen ihres reformerischen Anspruchs. Er veröffentlichte 1922 "Die Stadt ohne Juden" und später "Die freudlose Gasse" (1924). Mit der Zeitschrift "Er und Sie" setzte er sich für Sexualreform ein und wurde 1924 in einem vielbeachteten Prozess freigesprochen. Bettauers Satire steht in der Wiener Presse- und Kabaretttradition: pointiert, aktuell und darauf angelegt, Mechanismen des Ressentiments offenzulegen.

Politisch polarisierte sich Österreich weiter. Christlichsoziale Regierungen, die Sozialdemokratie und wachsende außerparlamentarische Formationen – Heimwehr und ab 1923 der Republikanische Schutzbund – standen sich zunehmend konfrontativ gegenüber. Deutschnationale und frühe nationalsozialistische Gruppen verbreiteten Boykottparolen und rassistische Verschwörungsmythen. Die Gewalt auf der Straße nahm zu, Attentate und Saalschlachten prägten das Klima. Der Roman spiegelt diese Radikalisierung, indem er den Weg von der Hetze über parlamentarische Beschlüsse bis zu administrativem Zwang abbildet und damit zeigt, wie demokratische Institutionen unter Druck geraten, wenn Minderheitenrechte preisgegeben werden.

Das Buch wurde rasch ein Bestseller und löste breite Debatten aus; rechte Blätter attackierten Autor und Stoff, während progressive Kreise die Satire als Warnruf lasen. 1924 folgte eine vielbeachtete Stummfilmadaption von Hans Karl Breslauer, die das Szenario in erkennbar wienerische Räume übertrug und mancherorts gekürzt wurde. Um 2015/2016 wurde eine nahezu vollständige Fassung wiederentdeckt und anschließend restauriert; 2018 präsentierte das Filmarchiv Austria die Restaurierung. Die aufgeheizte Atmosphäre zeigte sich auch gewaltsam: 1925 erschoss der Nationalsozialist Otto Rothstock Bettauer; er wurde verurteilt und 1927 vorzeitig entlassen.

Inhaltlich setzt der Roman bei einer gesetzlich verfügten Ausweisung jüdischer Bewohner an (Spoiler auf dieses Grundmotiv ist zum Verständnis nötig) und führt die materiellen, kulturellen und moralischen Folgekosten vor. Rückblickend erhielt der Text zusätzliche Schärfe, weil nach 1938 in Österreich und im Deutschen Reich Zwangsmigration, Enteignung und Deportation staatlich organisiert wurden. Zeitgenössisch war das Werk ein prägnanter Kommentar zur fragilen Demokratie der Ersten Republik: Es demaskiert populistische Verheißungen, zeigt die Gefahren institutionell abgesicherter Diskriminierung und plädiert – in der Form der Satire – für rechtsstaatliche, pluralistische Normen als Bollwerk gegen kollektive Verblendung.

Die Stadt ohne Juden

Hauptinhaltsverzeichnis
Erster Teil
1. Kapitel. Das Antijudengesetz
2. Kapitel. Herr Schneuzel und sein Schwiegersohn
3. Kapitel. Vor Torschluß
4. Kapitel. Ein Schuß
5. Kapitel. Mädchen unter sich
6. Kapitel. Doktor Schwertfeger
7. Kapitel. Ein Wiener Bürgerhaus
8. Kapitel. »Meine lieben Christen!«
Zweiter Teil
1. Kapitel. Lotte Spineder an Leo Strakosch, Paris, Rue Foch 22
2. Kapitel. Loden – die große Mode
3. Kapitel. Der alte Markör
4. Kapitel. Die allzu große Tat
5. Kapitel. Henry Dufresne
6. Kapitel. Das Ende des Mieterschutzes
7. Kapitel. Zwickerl macht Konkurs
8. Kapitel. Die lieben süßen Mädeln
9. Kapitel. Das Ende der Hakenkreuzler
10. Kapitel. Die billige Sommerfrische
11. Kapitel. Eine erregte Debatte
12. Kapitel. Der Bund wahrhaftiger Christen
13. Kapitel. Traurige Weihnachten
14. Kapitel. Eine aufhetzende Rede
15. Kapitel. Herr Laberl dreht sich
16. Kapitel. »Nieder mit der Regierung«
17. Kapitel. Vorbereitungen
18. Kapitel. Die Neuwahlen