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Beschreibung

Der Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe zählt zu den großen Strafverfahren des 20. Jahrhunderts. Die Hauptverhandlung fand von 1975 bis 1977 vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim statt. Belegt der Prozess, dass die Bundesrepublik der Herausforderung durch den Terrorismus standhielt? Oder kann von einem fairen Verfahren keine Rede sein? Bis heute gehen die Einschätzungen darüber auseinander. Hier wird zum ersten Mal eine umfassende Auswahl der unveröffentlichten Gerichtsprotokolle präsentiert. Zahlreiche Anmerkungen erläutern das Prozessgeschehen und ordnen es ein. Das Buch gewährt damit einen unmittelbaren Einblick in einen spektakulären Prozess, in dem der Rechtsstaat mehr als einmal auf die Probe gestellt wurde

Was hier stattfindet in diesem Verfahren, das kann man nicht anders benennen als die systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien.
Rechtsanwalt Otto Schily, 185. Verhandlungstag

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Seitenzahl: 606

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Florian Jeßberger / Inga Schuchmann (Hrsg.)

Die Stammheim-Protokolle

Der Prozess gegen die erste RAF-Generation

Florian Jeßberger / Inga Schuchmann (Hrsg.)

DIE STAMMHEIM-PROTOKOLLE

Der Prozess gegen die erste RAF-Generation

Ch.LinksVERLAG

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Ch. Links Verlag ist eine Marke der Aufbau Verlage GmbH & Co. KG

© Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 2021

entspricht der 1. Druckauflage von 2021

www.christoph-links-verlag.de

Prinzenstraße 85, 10969 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

Umschlaggestaltung: Kuzin & Kolling, Büro für Gestaltung, Hamburg, Kamil Kuzin, unter Verwendung eines Fotos aus dem Bundesarchiv (Plak 006-001-058)

Satz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag

ISBN 978-3-96289-127-5

eISBN 978-3-86284-505-7

INHALT

Vorwort

Einführung

Prolog

1 | Eröffnung der Hauptverhandlung

2 | Verteidigung I (Ausschluss)

3 | Verteidigung II (»Zwangsverteidiger«)

4 | Verteidigung III (Vertrauensverteidigung für Baader?)

5 | »Ein ganz normaler Straffall«

6 | Verhandlungsfähig?

7 | Zur Person

8 | Anklage

9 | Fortsetzung in Abwesenheit der Angeklagten

10 | »… und das ist der Verrat«

11 | Polizeizeugen

12 | Kriegsrecht?

13 | Frankfurt

14 | Heidelberg

15 | Baader am Tatort

16 | Karlsruhe

17 | Hamburg

18 | »Natürlich fassen wir unsere Politik nicht in völkerrechtlichen Kategorien«

19 | Meinhofs Tod

20 | Vietnam

21 | Der Kronzeuge

22 | Die RAF in Stammheim

23 | Befangen

24 | Abgehört

25 | Urteil

Epilog

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Herausgeber und Herausgeberin

VORWORT

Der Stammheim-Prozess zählt zu den großen Strafprozessen des 20. Jahrhunderts. Vor Gericht standen die Protagonist*innen der sogenannten ersten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF): Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Das Verfahren fand in den Jahren von 1975 bis 1977 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart statt. Seither steht der Name des Stuttgarter Stadtteils Stammheim, in dem das Verfahren durchgeführt wurde, emblematisch für den Versuch des Staates, politisch motivierter (terroristischer) Gewalt in den Formen des Strafprozesses zu begegnen.

Über den Prozess ist viel geschrieben, viel gesendet worden. Manches ist gelungen, manches weniger. Jedenfalls hat die mediale Verdichtung des historischen Stoffes durch unzählige Bücher, Filme und Fernsehstücke eine ganz eigene »Stammheim-Saga« entstehen lassen. In dem vorliegenden Band kommen die Verfahrensbeteiligten erstmals selbst und ungefiltert zu Wort. Möglich wird so eine authentische Rekonstruktion des Prozessgeschehens – Stammheim kann »er-lesen« werden.

Präsentiert werden ausgewählte Passagen aus dem Protokoll der Hauptverhandlung. Dass die Hauptverhandlung überhaupt in einem durch das Gericht erstellten Wortprotokoll dokumentiert ist, ist ein Glücksfall. Denn anders als vor vielen ausländischen und internationalen Strafgerichten wird das Geschehen in deutschen Gerichtssälen grundsätzlich nur in einem sogenannten Ergebnisprotokoll festgehalten.

Der Text ist in Kapitel gegliedert, ohne die chronologische Grundordnung aufzugeben. Eine knappe Einführung entwickelt den zeitgeschichtlichen und juristischen Rahmen. In einem Prolog und einem Epilog sowie in knappen Überleitungstexten werden die einzelnen Abschnitte in den Gesamtzusammenhang eingeordnet. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat erläutert zentrale Begriffe, gesetzliche Vorschriften, Personen und Ereignisse. Am Ende zahlreicher Anmerkungen finden sich Hinweise auf Quellen und vertiefende Literatur.

Das vollständige Protokoll der 192-tägigen Hauptverhandlung umfasst rund 14 000 Aktenseiten. Diesen Stoff auf 400 Buchseiten zu verdichten, war eine Herausforderung. Im Vordergrund unserer Bemühungen stand das Ziel, ein lebendiges Bild des Jahrhundertprozesses zu vermitteln, vor allem des Prozessgeschehens selbst, weniger seines Gegenstandes. Dies ist kein Buch über die RAF. Auch die Frage nach der juristischen Bewertung des Urteils oder einzelner Prozesshandlungen stellen wir uns hier nicht; wie es uns überhaupt nicht darum geht, Partei zu ergreifen oder gar darum, uns die von den Beteiligten zum Teil in absichtsvoll drastischen Worten getätigten Aussagen zu eigen zu machen. Entstanden ist eine höchst subjektive, gleichwohl authentische Auswahl von Textpassagen; Passagen, die wir für wichtig, die wir für repräsentativ oder die wir schlicht für interessant und lesenswert halten. Es ist unser Blick auf den Prozess, wie er sich nach vielen Jahren der Beschäftigung mit dem Material und dem Stoff herausgebildet hat. Wichtige Themen konnten bei der Auswahl nicht berücksichtigt werden, dies gilt etwa für weite Teile der Beweisaufnahme. Auch Passagen zur Frage der Beschränkung von Aussagegenehmigungen, deren Erteilung mitunter erst verwaltungsgerichtlich erstritten werden musste, oder zur Auseinandersetzung über die Frage der Aktenvollständigkeit konnten wir nicht aufnehmen.

Textliche Grundlage des vorliegenden Bandes ist das Sitzungsprotokoll, wie es als Bestandteil der Akte im Bundesarchiv vorliegt (BArch B 362/3441–3460). Redaktionelle Anpassungen haben wir nur zurückhaltend vorgenommen. Die Originalschreibweise (sogenannte alte Rechtschreibung) wurde beibehalten. Auch die im Original (in der Regel durch den Vorsitzenden des Strafsenats) vorgenommenen Korrekturen der ersten Abschrift haben wir für diese Zusammenstellung übernommen. Offensichtliche Rechtschreibfehler sind stillschweigend berichtigt. Wort-, Grammatik- und Zeichenfehler, die auf die Textgattung des Wortprotokolls zurückzuführen sind, wurden dagegen nicht korrigiert. Die dadurch bewirkte Beeinträchtigung des Leseflusses haben wir bewusst in Kauf genommen. Vereinheitlicht haben wir die Zeilenabstände und Einrückungen ebenso wie Zahlen und Datumsangaben. Hervorhebungen im Text (Unterstreichungen, Sperrdruck) haben wir entfernt. Auslassungen sind als solche durch eckige Klammern markiert. Durchweg vervollständigt und vereinheitlicht haben wir die im Protokoll abgekürzten Namen bzw. (Dienst-)Bezeichnungen der Rednerinnen und Redner. Die wenigen abgedruckten Anlagen zum Protokoll sind durch eine Doppellinie am Rand als solche kenntlich gemacht. Von uns hinzugefügte Überleitungstexte sind im Kursivdruck hervorgehoben. Ein Verzeichnis der Abkürzungen – die oftmals uneinheitliche Abkürzungstechnik im Protokoll haben wir überwiegend beibehalten – sowie ein Verzeichnis der in den Anmerkungen zitierten Literatur sind beigefügt.

Lichtbildaufnahme einer Seite aus dem Originalprotokoll im Bundesarchiv Koblenz.

Den Ausgangspunkt für die Zusammenstellung der Texte bildet die wissenschaftliche Gesamtedition der Materialien zum Stammheim-Prozess, die neben dem vollständigen Sitzungsprotokoll mit den Anlagen auch die Anklageschrift und das Urteil umfasst. Sie ist im Rahmen des Forschungs- und Dokumentationsprojekts »Der Stammheim-Prozess« entstanden, das von 2016 bis 2021 an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg unter Leitung bzw. Mitarbeit des Herausgebers und der Herausgeberin dieses Bandes durchgeführt wurde. Die rechtsund geschichtswissenschaftlich fundierte Erschließung des Materials für die Anfertigung der Gesamtedition hat die sachkundige Auswahl der Textpassagen für den vorliegenden Band überhaupt erst möglich gemacht. Zugleich erlaubt der freie Zugriff auf die digitale Gesamtedition (www.stammheim-prozess.de) jeder Leserin und jedem Leser dieses Bandes den Rückgriff auf die Originaldokumente.

An der Anfertigung der Gesamtedition waren zahlreiche Personen beteiligt, denen wir auch hier danken möchten. An erster Stelle zu nennen sind die Historikerin Prof. Dr. Gabriele Metzler (Humboldt-Universität zu Berlin), der Jurist Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum (Fern-Universität Hagen) sowie der Hamburger Rechtsanwalt Kurt Groenewold, der als Zeitzeuge wichtige Einblicke in Hintergründe und Verlauf des Prozesses gab. Kurt Groenewold verdanken wir auch den Impuls, sich mit den Materialien des Stammheim-Prozesses überhaupt zu befassen. Besonderer Dank gebührt den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern Robin Averesch, Alia Ben-Halima, Momme Harrsen, Tobias Hinderks, Anna Körfer, Anna-Lena Kurz, Viktoria Peymann, Ruth Antonia Rosenstock, Johann Tonner, Verena Voß und Lilli Zankel. Auf der Schlussgeraden haben Tobias Beinder, Dr. Aziz Epik und Antonia Gillhaus die Arbeiten an der Gesamtedition unterstützt. Zu danken haben wir ferner der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg sowie der Volkswagenstiftung, die das Forschungs- und Dokumentationsprojekt großzügig finanziell unterstützt hat. Ohne die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv, das nicht zuletzt die Aktenstücke zur Verfügung gestellt hat, hätte sich das Vorhaben nicht realisieren lassen.

Bei der Anfertigung des vorliegenden Bandes hat uns erneut Antonia Gillhaus sehr unterstützt. Herzlich danken wir schließlich unserem Lektor, Christof Blome, für die ebenso umsichtige wie sachkundige Begleitung bei der Herstellung dieses Buches.

Berlin, im Juni 2021

F. J. und I. S.

EINFÜHRUNG

Die Entstehung der RAF

Die Rote Armee Fraktion ging aus der Protestbewegung von Studierenden, Hochschullehrer*innen und Intellektuellen hervor, die sich in den 1960er Jahren formiert hatte. Ihren Ausgang nahm die Studentenbewegung in West-Berlin, breitete sich jedoch rasch auch in andere westdeutsche Städte aus. Sie richtete sich zunächst gegen die Hochschulstrukturen, mit dem unmittelbaren Ziel einer Hochschulreform, und gegen die unterbliebene Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Schon bald wandte sich der Protest auch gegen die geplante Notstandsgesetzgebung und ab 1966/67 zunehmend gegen die deutsche Beteiligung am Vietnam-Krieg. Innerhalb der Bewegung entwickelte sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) zu einer einflussreichen Gruppierung. Da die 1966 gebildete Große Koalition aus SPD und CDU/CSU im Bundestag einer nahezu machtlosen Opposition (FDP) gegenüberstand, rief der Vorsitzende des SDS, Rudi Dutschke, alle Bewegungen, die politisch links von der SPD standen, zur Gründung einer Außerparlamentarischen Opposition (APO) auf. In der Folge kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrant*innen. Die Presse, allen voran die Blätter des Springerkonzerns, heizte die Stimmung weiter an. Am 2. Juni 1967 erreichte die Polizeigewalt bei einer Demonstration in Berlin gegen den Besuch des Schahs von Persien mit der Erschießung des 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizeibeamten einen Höhepunkt.

Insbesondere die Kritik am Vietnam-Krieg führte zu einer zunehmenden Politisierung, aber auch Radikalisierung innerhalb der Bewegung. Über den konkreten Konflikt hinaus bildete sie den Ausgangspunkt für eine grundlegende Imperialismus- und Kapitalismuskritik und die Solidarisierung mit revolutionären Befreiungsbewegungen.

In der Nacht des 3. April 1968 legten Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Horst Söhnlein und Thorwald Proll in zwei großen Frankfurter Kaufhäusern Feuer. Diese Aktion fand in den Reihen der APO nicht überall Unterstützung. Ulrike Meinhof, Beobachterin im anschließenden Strafprozess, interpretierte die Brandstiftung in ihrer Kolumne (Konkret Nr. 14, 1968) als »Angriff auf die kapitalistische Konsumwelt« und stellte nüchtern fest, dass diese Konsumwelt durch den Warenhausbrand nicht verletzt worden sei; zudem, so Meinhof, spreche gegen Brandstiftung im Allgemeinen, dass dadurch »Personen gefährdet sein könnten, die nicht gefährdet sein sollen.« Ensslin hingegen, die mit ihren Komplizen rasch gefasst worden war, erklärte in Frankfurt a. M. vor Gericht, es sei ihnen nur um die Beschädigung von Sachen gegangen, niemand habe gefährdet werden sollen. Sie hätten aus Protest gegen die Gleichgültigkeit gehandelt, mit der die Menschen dem Völkermord in Vietnam zusähen.

Ensslin, Baader, Söhnlein und Proll wurden zu Freiheitsstrafen von je drei Jahren verurteilt. Nach 14 Monaten wurde ihnen zunächst Haftverschonung gewährt. Nachdem ihre Revision im November 1969 vom Bundesgerichtshof verworfen worden war, stand die Vollstreckung der Reststrafe von 22 Monaten an. Daraufhin setzten sich Baader und Ensslin zunächst nach Paris und Rom, später nach West-Berlin ab, um sich der Haft zu entziehen. Erst im April 1970 konnte Baader bei einer Verkehrskontrolle in Berlin erneut verhaftet werden.

Am 14. Mai 1970 gelang Baader die Flucht aus dem Strafvollzug. Im Rahmen der bewaffneten Befreiungsaktion, an der unter anderem Ulrike Meinhof beteiligt war, wurden mehrere Personen verletzt, eine davon lebensgefährlich. Die Befreiung Baaders gilt heute als Geburtsstunde der RAF. Nicht nur Baader und Ensslin, sondern auch Meinhof, die nun wegen der Beteiligung an einem versuchten Mord gesucht wurde, lebten von da an im Untergrund. Nachdem die drei sich mit anderen im Juni 1970 in einem palästinensischen Ausbildungslager in Jordanien in den Techniken des Guerillakampfes hatten unterweisen lassen, trat die Gruppe ab September 1970 mit Banküberfällen, Autodiebstählen und Einbrüchen in Rathäuser und Meldeämter zur Besschaffung von Pässen und weiteren Papieren in Erscheinung. Im April 1971 veröffentlichte die nun als Rote Armee Fraktion auftretende Gruppe die Schrift »Das Konzept Stadtguerilla«, in der aus ideologischer Sicht die Notwendigkeit entwickelt wurde, bewaffneten Widerstand zu organisieren. Die RAF verstand sich als Teil einer »revolutionären Weltarmee«, die gegen die Gesellschaft der noch jungen Bundesrepublik, welche als Fortsetzung des nationalsozialistischen Deutschlands begriffen wurde, gegen das kapitalistisch-imperialistische System, gegen die USA und den Krieg in Vietnam kämpfte.

Am 11. Mai 1972 kam es zum ersten von insgesamt sechs Sprengstoffanschlägen innerhalb von zwei Wochen: Im I.G.-Farben-Haus in Frankfurt a. M., dem Hauptquartier des 5. US-Korps, detonierten drei Sprengkörper, wobei eine Person getötet wurde. Am 12. Mai folgten Anschläge in München auf dem Parkplatz des Bayerischen Landeskriminalamts und in der Polizeidirektion Augsburg. Am 15. Mai explodierte eine Sprengvorrichtung unter dem Auto des Richters am BGH Buddenberg; seine Frau, die allein im Wagen saß, wurde schwer verletzt. Am 19. Mai detonierten zwei Sprengkörper im Verlagshaus Springer in Hamburg; drei weitere nichtdetonierte Sprengkörper wurden später im Gebäude gefunden. Am 24. Mai explodierten schließlich zwei Pkw auf dem Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) in Heidelberg, wobei drei weitere Personen getötet wurden. Die Bilanz dieser »Mai-Offensive«: vier Tote, zahlreiche Verletzte und erheblicher Sachschaden. In sogenannten Kommando-Erklärungen bekannte sich die RAF zu allen Anschlägen.

Stammheim

Im Juni 1972 wurden zunächst Baader und Raspe zusammen mit Holger Meins, dann Ensslin und schließlich Meinhof festgenommen. Der vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhobene Anklagevorwurf gegen alle lautete Mord, versuchter Mord, Bildung bzw. Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen sowie schwerer Raub, davon in einem Fall mit Todesfolge, und Verabredung zum Raub. Hinzu kam der Vorwurf schweren Diebstahls gegenüber Baader, Ensslin und Meinhof sowie des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gegen Baader, Ensslin und Raspe. Die Anklagepunkte betrafen die genannten sechs Sprengstoffanschläge, die in der Zeit vom 11. bis 24. Mai 1972 verübt worden waren (»Mai-Offensive«), diverse Raub- und Diebstahlsdelikte zwischen September 1970 und Januar 1972, Straftaten im Zusammenhang mit der Festnahme der Angeklagten und schließlich die Gründung und Beteiligung als Rädelsführer (Baader, Ensslin, Meinhof) und als Mitglied (Raspe, Meins) an einer kriminellen Vereinigung.

Am 21. Mai 1975 begann die Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat. In der schwäbischen Provinz, in Stammheim, prallte die ganze Normalität und Verstaubtheit der Nachkriegsbundesrepublik auf die Schroffheit einer selbsternannten Welt-Guerilla, die sich im globalen Klassenkampf gegen den Imperialismus des internationalen Kapitals Seite an Seite mit den sozialrevolutionären Befreiungsbewegungen im sogenannten Trikont wähnte. Dieses politische Selbstverständnis fand seinen juristischen Ausdruck in den Versuchen der Angeklagten und ihrer Verteidigung, ein völkerrechtliches Widerstandsrecht und das strafrechtliche Nothilferecht in Stellung zu bringen. Sämtliche Beweisanträge der Verteidigung, die in diesem Zusammenhang standen, wurden durch den Strafsenat abgewiesen. Daneben konzentrierte sich die Verteidigung vor allem auf drei Themenfelder: die Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten, die Rechte der Verteidigung und die Frage der Befangenheit des Gerichts.

Kritische Aufmerksamkeit fand der Prozess nicht nur nur in den Rechts- und Sozialwissenschaften, sondern auch in der allgemeinen Öffentlichkeit. DER SPIEGEL schrieb: »Selten genug rückte ins Blickfeld des Verfahrens, ob und was der Prozeß an neuen Erkenntnissen für oder gegen die Schuld der Angeklagten erbrachte – fast immer verdrängt von den grellen Effekten einer verbissen ausgetragenen Fehde, die die Fronten zwischen den Prozeßbeteiligten versteinerte, der Wahrheitsfindung nicht dienen konnte und sich am Ende nur noch darauf zuspitzte, wer die meisten Federn ließ«.1

Der Hochsicherheitstrakt im 7. Stock der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Hier waren die Angeklagten inhaftiert. Aufnahme aus dem Oktober 2002.

Nicht ohne Wirkung blieb der Stammheim-Prozess auf die RAF selbst. Die vielfach als überzogen empfundene Reaktion des Staates auf terroristische Gewalt wurde fortan selbst zum Bezugspunkt terroristischer Aktion: Versuche der Freipressung von Gefangenen und die Mobilisierung von »Sympathisanten« durch das Anprangern der Haftbedingungen (»Isolationsfolter«) überlagerten seit Beginn des Stammheim-Prozesses das »Welt-Guerilla«-Narrativ der RAF.

Nachdem die RAF 1992 mitgeteilt hatte, »Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat vorerst nicht mehr« vornehmen zu wollen, wurde im Frühjahr 1998, also 28 Jahre nach der Befreiung Andreas Baaders, schließlich die Auflösung erklärt: »Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.« Damit fand das Kapitel Rote Armee Fraktion, das in drei »Generationen« die Geschichte der Bundesrepublik geprägt hatte, nach über 30 Morden, zahlreichen Banküberfällen und Sprengstoffattenten ein Ende.

Ein »ganz normaler Straffall«?

War Stammheim nun ein »ganz normaler Straffall«, wie der Senatsvorsitzende Dr. Prinzing es formulierte? Oder ein »Schauprozess gegen revolutionäre Politik« und die »systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien«, wie Ulrike Meinhof und Verteidiger Otto Schily vor Gericht erklärten?

Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Jan-Carl Raspe wurden beschuldigt, vier Menschen getötet und die Tötung weiterer 54 Menschen versucht zu haben. Ein Mordprozess also. Aber das war es dann auch schon mit der Normalität.

Anklagebehörde war der Generalbundesanwalt, der die Strafverfolgung aufgrund der besonderen Bedeutung des Falls übernommen hatte. Anklage erhoben wurde daher auch nicht, wie für Mordprozesse üblich, vor dem Schwurgericht, sondern vor einem Strafsenat eines Oberlandesgerichts. Noch vor Eröffnung der Hauptverhandlung wurden mehrere Verteidiger vom Verfahren ausgeschlossen, Verteidiger, von denen einige schließlich selbst zu Beschuldigten wurden. Als das Hauptverfahren eröffnet wurde, waren nur noch vier, bei Verkündung des Urteils nur noch drei der ursprünglich fünf Beschuldigten am Leben. In Rechtskraft erwuchs das Urteil nie, weil sich auch die verbliebenen drei Angeklagten vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Revision das Leben nahmen. 192 Tage wurde verhandelt. Hunderte Zeug*innen wurden gehört. Die Vernehmung der Angeklagten zur Person, die eigentlich nach dem Aufruf der Sache, der Feststellung der Anwesenheit und der Verlesung der Anklage zu Beginn einer Hauptverhandlung vorgesehen ist, erfolgte erst drei Monate nach Prozessbeginn. Über weite Strecken wurde die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten geführt. Mit dem 174. Verhandlungstag schied der Senatsvorsitzende Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Verfahren aus. Der Gesetzgeber intervenierte in das laufende Verfahren mit einer Fülle von Gesetzesänderungen.

Blick in den Gerichtssaal im neu errichteten und besonders gesicherten Gebäude in Stuttgart-Stammheim, April 1975.

Die Verteidigung der Angeklagten war kompromisslos: »Totalopposition gegen die Strafgerichtsbarkeit« lautete die Losung. Das war das gute Recht der Angeklagten. Hier manifestierte sich zum ersten Mal eine Praxis, die später als Konfliktverteidigung bezeichnet wurde. Ein Stück weit zerrieben zwischen ihr und einer vordergründig um Normalität bemühten Strafjustiz wurden allerdings rechtsstaatliche Fundamente eines Strafrechts, eines Strafprozessrechts, das nach den Einschnitten durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber gerade erst wieder dabei war, auf die Beine zu finden.

Der niederländische Rechtsanwalt Pieter Bakker Schut, dem wir die nach wie vor gelungenste Studie zum Stammheim-Prozess verdanken, hat ganz recht, wenn er das Kapitel über die Hauptverhandlung mit »Die Inszenierung« überschreibt. Inszeniert wurde das Lehrstück »Politischer Terrorismus vor Gericht«; inszeniert haben sich alle Beteiligten.

Ein politischer Prozess?

Stammheim fügt sich ein in die Folge großer Strafprozesse des 20. Jahrhunderts. Es steht in einer Reihe mit dem Prozess gegen Robert Mulka und andere, der vor dem Frankfurter Landgericht wegen der Massentötungen in Auschwitz geführt wurde, mit dem Prozess gegen Erich Honecker und andere vor dem Landgericht Berlin wegen der Tötungen an der deutsch-deutschen Grenze und wohl auch mit dem Prozess gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Münchener Oberlandesgericht wegen der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

Die Angeklagten und ihre Wahlverteidiger*innen (v. l. n. r.): Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Polizist, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin (hintere Reihe), Rupert von Plottnitz, Marielouise Becker and Otto Schily (vordere Reihe). Gerichtszeichnung vom ersten Verhandlungstag, 21. Mai 1975.

Stammheim ein politischer Strafprozess also? Der Begriff des »politischen Strafprozesses« ist mindestens ebenso schillernd wie der der »politischen Strafjustiz«. Von dieser ist dort die Rede, wo das politische Strafrecht, also das Strafrecht, das sich unmittelbar dem Schutz des Staates und seiner Institutionen verschrieben hat, das Staatsschutzstrafrecht, den Gegenstand der justiziellen Aktivität bildet. Hier geht es um Hochverrat, das heißt um Angriffe gegen den Bestand oder die verfassungsmäßige Ordnung des Staates. Gerichtsverfassungsrechtlich gewendet – also mit Blick auf die dafür innerhalb der Strafjustiz zuständigen Spruchkörper – sind politische Strafprozesse dann solche, die vor den dafür zuständigen Staatsschutzkammern geführt werden. Gegen einen solcherart eng und im Grunde technisch verstandenen Begriff der »politischen Strafjustiz« argumentieren jene, die das Strafrecht immer und ausnahmslos als Instrument der Verstärkung politischer Macht begreifen. Stellvertretend genannt sei der Strafrechtswissenschaftler Wolfgang Naucke, für den die »Machtnähe« gerade das Kennzeichen des Strafrechts überhaupt ist. So verstanden, ist jeder Strafprozess auch ein politischer.

Otto Kirchheimer schließlich hat uns in seinem 1961 erschienen Standardwerk einen Begriff der politischen Strafjustiz an die Hand gegeben, der dort ansetzt, wo Gerichte für politische Zwecke in Anspruch genommen werden und dadurch das Feld politischen Handelns ausgeweitet und abgesichert wird. Der politischen Strafjustiz gehe es darum, das politische Handeln von Individuen oder Gruppen einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Kategorisierung als »politisch« ist danach nicht das Handeln der Justiz selbst, das etwa durch politische Macht beeinflusst wird, sondern eine bestimmte Qualität der Handlungen, die den Gegenstand der justiziellen Aktivität bilden, politisches Handeln eben.

Stammheim – jedenfalls ein Stück Strafrechtsgeschichte. Ein Stück deutscher Geschichte.

PROLOG

Zwischen dem 11. und 24. Mai 1972 kommt es in Frankfurt a. M., Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg zu einer Serie von Sprengstoffanschlägen, bei denen insgesamt vier Personen getötet und weitere verletzt werden. In sogenannten Kommando-Erklärungen bekennt sich die Rote Armee Fraktion dazu. Im Juni 1972 werden Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Jan-Carl Raspe als mutmaßliche Täter*innen festgenommen.

Der anstehende Strafprozess erfordert erhebliche Vorbereitungen. Unter anderem wird unmittelbar neben der Haftanstalt in Stuttgart-Stammheim, wo die Angeklagten inhaftiert sind, für 12 Millionen DM eigens ein neues Gerichtsgebäude – die »Mehrzweckhalle« – errichtet.2 Die Gefangenen bezeichnen ihre Haftbedingungen als »Isolationsfolter«.3 Um ihre Forderungen, etwa die Zusammenlegung aller RAF-Gefangenen, durchzusetzen, treten sie ab 1973 mehrfach in Hungerstreik. Der dritte und längste davon dauert von September 1974 bis Februar 1975. Holger Meins überlebt ihn nicht; er stirbt am 9. November 1974 in der Untersuchungshaft an den Folgen der Mangelernährung. Für die anderen Gefangenen ist das Urteil klar: Das war Mord.4

Am 1. Januar 1975 treten zahlreiche Änderungen der Strafprozessordnung in Kraft, durch welche die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt werden, darunter das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO), die erstmals eingeräumte Möglichkeit des Verteidiger*innenausschlusses (§ 138a StPO) und die Beschränkung der zulässigen Anzahl von Wahlverteidiger*innen auf drei (§ 137 StPO). Da viele der Vorschriften ersichtlich im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen worden sind, werden sie als »Lex RAF« kritisiert.5 Aufgrund der Neuregelungen muss auch die Verteidigung im Stammheim-Prozess, bisher als gemeinschaftliche Verteidigung aller Beschuldigter zugelassen (sogenannte Blockverteidigung), neu organisiert werden.

Handschriftliche Erklärung von Holger Meins vom 9. März 1974, die er bei seinem Verteidiger Dr. Croissant hinterlegt hatte (zu Protokoll genommen).

Im Frühjahr 1975, noch vor Beginn der Hauptverhandlung, werden die Rechtsanwälte Dr. Klaus Croissant, Kurt Groenewold und Hans-Christian Ströbele, die zunächst als gemeinsame Verteidiger aller Angeklagten, nach Inkrafttreten des Verbots der Mehrfachverteidigung lediglich als Verteidiger von Andreas Baader am Verfahren mitwirkten, wegen des Verdachts der Tatbeteiligung von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen; zugleich werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet.6 Wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung wird auch Rechtsanwalt Siegfried Haag, der Andreas Baader als einzig verbliebener Verteidiger seines Vertrauens beigeordnet ist, vorläufig festgenommen. Der beim Bundesgerichtshof beantragte Haftbefehl wird zunächst abgelehnt. Bevor der Haftbefehl im Beschwerdeverfahren schließlich doch erteilt wird, taucht Haag unter und schließt sich der RAF an.7 Obwohl damit alle Vertrauensverteidiger von Andreas Baader noch vor Beginn der Hauptverhandlung aus dem Verfahren ausgeschieden sind (und es sich um einen Fall sogenannter notwendiger Verteidigung8 handelt), kann die Verhandlung durchgeführt werden: Zur Sicherung des Verfahrens sind allen Angeklagten je zwei weitere Verteidiger beigeordnet – allerdings gegen den erklärten Willen der Angeklagten, weshalb sie von diesen als »Zwangsverteidiger« bezeichnet werden.

1

ERÖFFNUNG DER HAUPTVERHANDLUNG

Mittwoch, 21. Mai 1975 1. Verhandlungstag

Verhandlungsprotokoll

der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts

Stgt.-Stammheim, 21. Mai 1975

– Mehrzweckgebäude –

Beginn der Hauptverhandlung um 9.00 Uhr

2 StE (OLG Stgt.) 1/74

Anwesend:

Vorsitzender Richter am OLG Dr. Prinzing

– als Vorsitzender –

Richter am OLG Dr. Foth

Richter am OLG Maier

Richter am OLG Dr. Berroth

Richter am OLG Dr. Breucker

– als beisitzende Richter –

Richter am OLG Vötsch

Richter am OLG Dr. Nerlich

Richter am OLG Meinhold

Richter am OLG Freuer

– als Ergänzungsrichter9 –

Bundesanwalt Dr. Wunder

Oberstaatsanwalt Zeis

Regierungsdirektor Widera

– Staatsanwalt Holland

– als Vertreter der Bundesanwaltschaft –

Justizsekretär J.

Justizassistent z. A. C.

Justizassistent z. A. S.

– als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle –

Anwesend sind ferner die auf Seite 2 und 3 aufgeführten Angeklagten und die auf Seite 11 genannten Verteidiger.

Strafsache gegen

1. den berufslosen Andreas Bernd Baader, geboren am 6. Mai 1943 in München, ohne festen Wohnsitz, Deutscher, ledig, zur Zeit in Untersuchungshaft in der Vollzugsanstalt Stgt.-Stammheim, Pflichtverteidiger :

a) Rechtsanwalt Eberhard Schwarz, Stuttgart

b) Rechtsanwalt Siegfried Haag, Heidelberg

c) Rechtsanwalt Dieter Schnabel, Ditzingen

Wahlverteidiger:10 —

2. die Studentin Gudrun Ensslin, geboren am 15. August 1940 in Bartholomä, Krs. Schwäbisch-Gmünd, ohne festen Wohnsitz, Deutsche, ledig, zur Zeit in Untersuchungshaft in der Vollzugsanstalt Stgt.-Stammheim, Pflichtverteidiger :

a) Rechtsanwalt Ernst Eggler, Karlsruhe

b) Rechtsanwalt Otto Schily, Berlin 15

c) Rechtsanwältin Marielouise Becker, Heidelberg

d) Rechtsanwalt Manfred Künzel, Waiblingen

Wahlverteidiger:

a) Rechtsanwalt Dr. Franz Josef Degenhardt, Hamburg

3. die Journalistin Ulrike Marie Meinhof, gesch. Röhl, geboren am 7. Oktober 1934 in Oldenburg/Old., ohne festen Wohnsitz, Deutsche, geschieden, zur Zeit in Untersuchungshaft in der Vollzugsanstalt Stgt.-Stammheim,

Pflichtverteidiger :

a) Rechtsanwalt Dieter König, Stuttgart

b) Rechtsanwalt Helmut Riedel, Frankfurt

c) Rechtsanwalt Karl-Heinz Linke, Karlsruhe

Wahlverteidiger:

a) Rechtsanwalt Rainer Köncke, Hamburg

b) Rechtsanwalt Dieter Hoffmann, Berlin

4. den Diplomsoziologen Jan-Carl Stefan Raspe, geboren am 24. Juli 1944 in Seefeld / Tirol, ohne festen Wohnsitz, Deutscher, ledig, zur Zeit in Untersuchungshaft in der Vollzugsanstalt Stgt.-Stammheim, Pflichtverteidiger :

a) Rechtsanwalt Stefan Schlaegel, Esslingen

b) Rechtsanwalt von Plottnitz, Frankfurt

c) Rechtsanwalt Peter Grigat, Stuttgart

Wahlverteidiger:

a) Rechtsanwalt Laubscher, Heidelberg

wegen Mordes u. a.

VORS.: Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf zunächst vor Aufruf der Sache11 einige technische Dinge erläutern. Sie hängen damit zusammen, daß wir, wie mit der Verteidigung besprochen, beabsichtigen, ein Wortprotokoll12 anzufertigen. Das dient dazu, daß alle Beteiligten nachher das gleiche Prozeßmaterial zur Verfügung haben. Es werden also alle Gespräche und alle Ausführungen auf Band übernommen, die Bänder werden übertragen, werden möglichst rasch abgelichtet und verteilt. Ich hoffe, daß wir es schaffen, innerhalb von drei Tagen jedem der Prozeßbeteiligten dann die Ablichtung in die Hand zu geben. Danach sollen zwei Tage verbleiben, bis dahin müßten Beanstandungen des Inhalts des Protokolls bekannt gegeben werden. Danach würde das Band, wenn keine Beanstandungen kommen, gelöscht und erneut zu Aufnahmen verwendet.

Ich bitte um Verständnis, wenn ich darauf hinweise, daß die Bandaufnahme eine gewisse Sprechdisziplin erfordert. Durcheinanderreden bedeutet, daß wir kein Protokoll zustandekriegen, weil das eben nicht mehr verständlich ist. Daher muß ich darum bitten, was ja ohnehin dem § 240 StPO13 entspricht, jeweils sich zu Wort zu melden und abzuwarten, bis ich das Wort erteile. Ich muß also grundsätzlich z. B. erklären, Herr Rechtsanwalt Sowieso und Sowieso, damit auch das Protokoll weiß, wer nun im Augenblick spricht. […] Ich darf jetzt die Frage an die Herren Verteidiger stellen, ob das Einverständnis, ein Wortprotokoll herzustellen, nach wie vor existiert? Ich sehe keine Beanstandungen. Dann können, wenn zu den technischen Angelegenheiten keine Fragen gestellt werden sollen? Auch das scheint nicht der Fall zu sein? […]

VORS.: Schön, damit komme ich zum Aufruf der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Dem Gericht sind die Angeklagten durch den Anhörungstermin vom 12. Februar 1975 persönlich bekannt. Als Verteidiger sind erschienen, ich darf der Reihe nach aufführen:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, Herr Rechtsanwalt Riedel, Frau Rechtsanwältin Becker, Herr Rechtsanwalt Schily, Herr Rechtsanwalt Schwarz, Herr Rechtsanwalt Schnabel, Herr Rechtsanwalt Künzel, Herr Rechtsanwalt Grigat, Herr Rechtsanwalt Eggler, Herr Rechtsanwalt Linke, Herr Rechtsanwalt König und Herr Rechtsanwalt Schlaegel.

2

VERTEIDIGUNG I (AUSSCHLUSS)

RA VON PLOTTNITZ : Ich habe folgenden Antrag zu stellen und zwar überreiche ich zunächst einen Schriftsatz des Kollegen Croissant vom 21. Mai 1975.

Siehe Anlage 2 b zum Protokoll

Ein Schriftsatz durch den sich der Kollege Dr. Croissant als Verteidiger für den Herrn Raspe legitimiert. Ich habe ergänzend hierzu den Antrag zu stellen, Herrn Rechtsanwalt Dr. Croissant unverzüglich als Verteidiger zur Hauptverhandlung zuzulassen und ihm den Zutritt zum Sitzungssaal zu gestatten. Das ist der erste Antrag. Der zweite Antrag, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, bis sich Herr Dr. Croissant als Verteidiger von Herrn Raspe im Sitzungssaal befindet. Einen solchen Antrag bräuchte man normalerweise nicht zu begründen, da jedoch der Kollege Dr. Croissant als Verteidiger von Herrn Baader, als früherer Verteidiger von Herrn Baader, von einem Ausschlußverfahren bereits betroffen ist. Zur Begründung, ganz kurz folgendes:

RA von Plottnitz verliest nunmehr die Begründung aus Anlage 2 a. Anlage wird zu den Akten übergeben. […]

Anschließend überreicht auch Rechtsanwalt Riedel einen Schriftsatz des Rechtsanwalts Groenewold, in dem sich dieser für die Angeklagte Meinhof legitimiert und ebenfalls beantragt, zur Hauptverhandlung zugelassen zu werden. Rechtsanwältin Becker teilt schließlich mit, dass Entsprechendes auch für Rechtsanwalt Ströbele in Bezug auf die Angeklagte Ensslin gelte.

VORS.: Ja. Die Bundesanwaltschaft wird Stellung nehmen wollen. Sind Sie in der Lage das sofort zu tun, oder wollen Sie zuerst die Schriftsätze einsehen.

BA DR. WUNDER: Ich möchte gleich Stellung nehmen. […]

RA VON PLOTTNITZ: Herr Vorsitzender, wir hatten beantragt, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, bis den Kollegen, die sich als Verteidiger soeben legitimiert haben, Zutritt zum Sitzungssaal gestattet worden ist.

VORS.: Ja.

RA VON PLOTTNITZ: Wir meinen das also die, daß auch nicht eine Sekunde gewartet werden darf, was den Zutritt dieser Kollegen angeht. Die Kollegen haben bereits Anspruch darauf, zu hören und Stellung zu nehmen, zu dem was die Bundesanwaltschaft jetzt zu sagen gedenkt. Also ich beantrage ausdrücklich nochmal die Hauptverhandlung jetzt kurz zu unterbrechen, bis sich diese Kollegen im Sitzungssaal befinden. Die Kollegen haben, genauso wie die Mandanten, für die sie sich legitimiert haben, hierauf einen unmittelbaren prozessualen Anspruch.14 […]

RA SCHILY: Wenn sich ein Verteidiger meldet, liegt eine Vollmacht vor in einem, dann hat er das Recht zum Auftritt in der Verhandlung. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann weiß ich, dann machen wir den Laden zu.

VORS.: Das sind ausgeschlossene Rechtsanwälte, die hier alle benannt werden, das macht wohl die Sache etwas anders, als so wie sich …

RA SCHILY: Aber Herr Vorsitzender, ich wüßte nicht, daß z. B. der Kollege Dr. Croissant für Herrn Raspe ausgeschlossen ist. Wenn Sie mir einen solchen Beschluß vorlegen, bitteschön. Den kenn’ ich nicht. Aber vielleicht haben Sie so einen Beschluß, ich weiß es nicht, ich kenn’ ihn nicht.

VORS.: Ich auch nicht.

RA SCHILY: Ja ja, dann muß er doch in den Saal, das ist doch ganz selbstverständlich.

VORS.: Herr Rechtsanwalt Riedel.

RA RIEDEL: Herr Vorsitzender, ich habe einen Antrag gestellt, ebenso wie der Kollege von Plottnitz und die Mitverteidigerin Becker und bevor das Gericht erwägt, die Vorschriften des § 138 [StPO] folgende15 heranzuziehen, zur Überprüfung darüber, ob den Anträgen stattzugeben ist, oder nicht, bitte ich doch das Gericht erst einmal, die davorstehende Vorschrift den § 137 [StPO]16 anzusehen und zu prüfen, ob sich daraus nicht ganz klar eindeutig und unabwendbar ergibt, daß das sofort zu veranlassen ist, was der Kollege Schily soeben nochmals betont hat, nämlich das Zulassen, und zwar auf der Verteidigerbank, der Kollegen die sich soeben legitimiert haben.

VORS.: Herr Rechtsanwalt, das Gericht steht vor der Frage, ob die Ausschließung, die ausgesprochen ist, wie bereits in ihren Anträgen zum Ausdruck kommt, sich auch bezieht auf das, was jetzt die weiteren Verteidiger vorhaben.

RA RIEDEL: Herr Vorsitzender, das ist nicht die Frage.

VORS.: Und dazu bedürfen wir der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, was sie für eine Meinung dazu hat und wir werden diese Stellungnahme auch einholen und dann entscheiden darüber.

RA RIEDEL: Herr Vorsitzender, das ist nicht die Frage, die dem Gericht in erster Linie gestellt worden ist, sondern das ist die sekundäre Frage, aber die primäre Frage ist doch, der Antrag, den wir gestellt haben, sofort die Anwesenheit auf der Verteidigerbank, der Kollegen zu gestatten. Das ist die primäre Frage.

VORS.: Gewiß …

RA RIEDEL: Die sekundäre Frage ist, ob unter Umständen, das was Sie sagen, nämlich das schon stattgefundene Ausschlußverfahren, im Bezug auf die Verteidigung von Andreas Baader, irgendwie Auswirkungen auch auf die Mandatsübernahme, wie sie soeben beantragt worden ist hat, nicht wahr. Aber die primäre Frage, bleibt doch und das ergibt sich aus § 137 [StPO], die sofortige Zulassung, auf der ich auch bestehe und wo ich auch jetzt nochmal ausdrücklich beantrage, daß das Gericht eine Entscheidung herbeiführt, nicht wahr. Wie auch immer, das Gericht hat zu entscheiden, was beantragt ist und kann diese Entscheidung nicht aufschieben und mit der sekundären Frage anfangen.

VORS.: Schön, Sie haben also meine Maßnahme, die besagt, daß wir zuerst die Stellungnahme einholen, beanstandet,17 darüber wird das Gericht befinden, wir werden uns dazu zurückziehen.

RA VON PLOTTNITZ: Herr Vorsitzender, vielleicht noch ein Satz dazu. Wenn den Kollegen, wie beantragt, nicht unverzüglich der Zutritt, als Verteidiger und die Zulassung als Verteidiger gewährt wird, dann würde das in der Tat auf eine Rechtsbeugung18 hinauslaufen. Diese Kollegen sind nicht ausgeschlossen worden als Verteidiger für die Mandanten, für die sie sich jetzt gemeldet haben. Sie wissen so gut wie die Verteidigung, daß z. B. in Presseberichten zu lesen war, daß die Autoren des Ausschlußgesetzes, das Gesetz als unvollständig empfinden, deshalb, weil es etwa nicht verhindert, daß in einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte ein Verteidiger sich legitimieren kann, als Verteidiger eines weiteren Beschuldigten im Bezug auf den er noch nicht ausgeschlossen war.

Wir können natürlich in der Tat, wie der Kollege Schily gesagt hat, die Strafprozeßordnung überhaupt nicht mehr zur Grundlage des, zu derartigen Minimalfragen nicht mehr zur Grundlage dieser Hauptverhandlung machen, dann aber würde ich empfehlen tatsächlich einen Bundeswehrgeneral zum Vorsitzenden des Gerichts bestellt und einige Offiziere als Beisitzer und in der Tat den Laden zuzumachen.

VORS.: Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, ich weiß nicht, ob Sie nicht Ihre Begründung etwas überziehen. Den Vorschlag bezüglich des Vorsitzes durch einen Bundeswehrgeneral und den Ausdruck Rechtsbeugung, wenn wir nicht Ihrer Rechtsansicht folgen würden, den weise ich entschieden zurück.

RA SCHILY: Aber Herr Vorsitzender, über solche einfachen Dinge sollte doch eigentlich Klarheit herrschen. Ich meine, man kann über viele Dinge, wenn zwei Juristen im Saal sind, sind zwei Meinungen, das ist ja dieses Sprichwort, was mitunter verbreitet wird. Aber bei solch einer einfachen Frage, wenn sich jemand als Verteidiger legitimiert, legt eine Vollmacht vor, da müßte doch eigentlich Klarheit herrschen, man kann jetzt nicht sagen, mit irgendwelchen Ausweichbewegungen an dieser klaren Rechtstatsache vorbeisteuern, das geht nicht, Herr Vorsitzender, und Sie kennen ja den Ausschlußbeschluß, das nehm’ ich ja an, daß Sie ihn kennen. Daß der Ihnen zur Kenntnis gelangt ist und da steht nun eindeutig drin, wenn man noch lesen kann, liest man es. In der Strafsache gegen Andreas Baader wird der Kollege Dr. Croissant von der Verteidigung ausgeschlossen und sonst gar nichts, kein Jota mehr und kein Komma mehr und der Kollege von Plottnitz hat hier ganz klar zum Ausdruck gebracht, dem kann ich mich nur anschließen. Der Mann, der ja nun am besten Bescheid wissen muß über das Zustandekommen dieser Norm, über den Ausschließungstatbestand, nämlich Herr Bundesjustizminister Vogel19, der hat ja öffentlich bekanntgegeben, gesagt, ja das fehlt da noch darin und wir überlegen, ob wir vielleicht noch eine Ergänzung vornehmen müssen, um sozusagen da eine Lücke zu schließen, die man meint, sehen zu sollen. Das ist ja der Punkt und Sie können sich ja wohl nicht darüber hinwegsetzen, über diesen klaren Tatbestand. Und da können also auch jetzt nicht gesagt werden, ja wir müssen jetzt hier hin und her argumentieren, sondern zunächst einmal muß der Kollege Dr. Croissant und die anderen Kollegen in den Saal und dann wie gesagt, werden wir mit Interesse hören, was die Bundesanwaltschaft dazu zu sagen hat.

VORS.: Herr Rechtsanwalt Sie werden dem Gericht die Möglichkeit geben, ohne daß Sie glauben, daß das ein Verstoß gegen irgendwelche Rechte von Ihrer Seite wäre, sich das zu überlegen, ob die Herrn den Anspruch haben sofort, hier zugelassen zu werden. Ich habe das zunächst nicht angeordnet und das ist beanstandet worden, das Gericht wird jetzt darüber befinden. Was Sie dazu sagen, sind Begründungen, die Sie bereits vorher schon vorgebracht haben.

RA SCHILY: Ja, dann bitte ich sofort um einen Gerichtsbeschluß.

VORS.: Das geschieht. Wir ziehen uns zurück zur Beratung.

Pause von 9.35 Uhr bis 9.45 Uhr. In dieser Pause erscheint Frau H. (Protokollführerin der Rechtsanwälte).

Fortsetzung der Verhandlung:

VORS.: So, ich bitte Platz zu nehmen. Der Senat hat beschlossen, daß jetzt zunächst die Bundesanwaltschaft Gelegenheit erhält, Stellung zu nehmen. Würde sie die Gelegenheit nicht haben und würden wir gleich den Wünschen der Verteidiger entsprechen, so wäre die Entscheidung, die beantragt ist, bereits vorweggenommen. Bitteschön, Herr Bundesanwalt.

BA DR. WUNDER: […] Aus den Gründen, die in den Ausschlußverfahren gegen die Herrn Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, als Verteidiger Baaders, bereits vorgetragen sind, beantrage ich neue Ausschlußverfahren einzuleiten und die Anwälte gemäß § 138c Abs. 3 StPO ihrer Rechte aus dem § 147, 148 StPO20 sofort zu entheben. Im übrigen gebe ich zu den polemischen Ausführungen keine Erklärungen ab, bitte aber diese Protokollteile den zuständigen Anwaltskammern zuzuleiten.21

VORS.: Dankeschön. […]

Der Senat zog sich um 10.00 Uhr zur Beratung zurück.

Wiedereintritt des Senats um 10.47 Uhr.

VORS.: […] Hier hat der Senat beschlossen:

Die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele dürfen aus Rechtsgründen in diesem Verfahren keinen der Angeklagten verteidigen.

Zur Begründung:

Die genannten Anwälte sind durch Beschlüsse des Oberlandesgerichts Stuttgart von der Verteidigung des Angeklagten Baader ausgeschlossen worden. Dieser Ausschluß erstreckt sich nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift des § 138a StPO22 auf das gesamte Verfahren, hindert auch also an der Verteidigung aller Angeklagten dieses Verfahrens. Nach der derzeitigen Regelung sind die Verteidiger lediglich in der Lage, Mitangeklagte dieses Verfahrens in einem anderen Verfahren zu verteidigen. Es ist noch zu bemerken, daß der erste Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart, der den Ausschluß ausgesprochen hat, keinen Anlaß hatte, einen anderen Angeklagten in den Ausschlußbeschlüssen als Herrn Baader zu erwähnen, einfach deshalb, weil die betroffenen Verteidiger nur Herrn Baader verteidigten. […]

BA DR. WUNDER: Herr Vorsitzender, ich bitte um Unterbrechung der Sitzung, weil wir gegen diese Rechtsauffassung des Senats große Bedenken hegen und ergänzende Erklärungen vorbereiten möchten. […]

Der Senat zog sich um 11.15 Uhr zur Beratung zurück.

Fortsetzung um 13.35 Uhr in derselben Besetzung von heute morgen. […] Bundesanwalt Dr. Wunder verlas den Antrag, der als Anl. 5 dem Protokoll beigefügt ist.

Die verlesene Gegenvorstellung23 der Bundesanwaltschaft enthält die Anträge, den soeben verkündeten Beschluss aufzuheben, die Akten zur Einleitung eines erneuten Ausschlussverfahrens gegen die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele dem zuständigen 1. Strafsenat24 des OLG Stuttgart vorzulegen, bis zu dessen Entscheidung die Hauptverhandlung zu unterbrechen und in der Zwischenzeit die Verteidigungsrechte der drei Rechtsanwälte ruhen zu lassen. Zur Begründung führt die Bundesanwaltschaft aus, dass der Wortlaut der Ausschlussvorschrift § 138 a StPO eine Erstreckung der Ausschlusswirkung auf andere Beschuldigte nicht zulasse und die Entscheidung des 2. Strafsenats daher nicht von der Vorschrift gedeckt sei. Da aber die Ausschlussgründe auch in Bezug auf die übrigen Angeklagten bestünden, seien bei dem zuständigen Senat erneute Ausschlussverfahren einzuleiten.

RA SCHILY: (nicht zu verstehen) … Stellungnahme abgeben?

BA DR. WUNDER: Danke schön.

VORS.: Bitte. Herr Rechtsanwalt Schily.

RA SCHILY: Ich darf vielleicht in Ergänzung der Ausführungen von Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder verlesen, wörtlich, aus einem Beschluß des Bundesjustizministers und der Länderjustizminister bzw. Senatoren. Die Länderjustizminister und der Bundesjustizminister haben in der Zeit vom 5. – 7. Mai 1975 eine Tagung abgehalten, und in Punkt 2 der Tagesordnung ist folgende Entschließung gefaßt worden – ich zitiere daraus –:

»Die Justizminister und Senatoren der Länder haben die Frage erörtert, ob die bestehenden gesetzlichen Vorschriften zur Verhinderung des Mißbrauchs von Verteidigerrechten ausreichen. Sie sind der Auffassung, daß die Vorschriften über die Ausschließung im Sinne einer besseren Wirksamkeit überprüft werden sollen. Unzulänglichkeiten haben sich besonders darin gezeigt, daß die Ausschließung sich nicht (wiederholt) sich nicht auf die Verteidigung von Mitbeschuldigten erstreckt.«

Das ist die Erklärung der Justizminister und des Herrn Bundesjustizministers, in dessen Hause ja dieses Gesetz entworfen worden ist, nämlich dieser Ausschließungstatbestand, der dann ab 1. Januar in Kraft getreten ist, und wenn das keine authentische (wiederholt) wenn das keine authentische Interpretation dessen ist, was jetzt im Gesetz steht, dann weiß ich nicht mehr, was eigentlich authentisch sein soll, und der Senat kann sich doch nicht einfach hier über den Wortlaut des Gesetzes und über diese offiziellen Verlautbarungen aus dem Bundesjustizministerium hinwegsetzen. Das – glaube ich – wäre wohl in keiner Weise vertretbar.

VORS.: Danke schön. Weitere Stellungnahmen seitens der Herren Verteidiger? […]

3

VERTEIDIGUNG II (»ZWANGSVERTEIDIGER«)

VORS.: Herr RA König, bitte sehr. Bitte Mikrophon. Protokoll ist eingestellt drüben? Geht nicht über Mikrophon. Da klappt irgendwas nicht. Haben Sie vielleicht bei Ihnen den Knipser falsch bedient?

RA RIEDEL: Bevor der Herr Kollege König das Wort ergreift, …

VORS.: Ja, Herr RA Riedel. Die Tatsache, daß das Mikrophon gestört ist, rechtfertigt natürlich nicht, daß Sie jetzt das Wort ergreifen.

RA RIEDEL: (Nicht zu verstehen)

VORS.: Im Augenblick hat Herr RA König das Wort erteilt bekommen, und ich bitte ihn auch … Aber ich lege jetzt Wert darauf, daß die Worterteilung, die gegeben worden ist, auch erfüllt werden kann.

RA RIEDEL: … bitte ich um Entscheidung darüber, ob es mir verweigert wird, dazu vorab eine Erklärung abzugeben. Die Absicht, daß Herr König sprechen will, veranlaßt mich dazu, vorab eine Erklärung abzugeben.

VORS.: Einverstanden.

Nach geheimer Umfrage25 verkündet der Vorsitzende den Beschluß:

Der Senat hat beschlossen, Herr RA König hat zunächst das Wort.

RA KÖNIG: Der Herr B. Anwalt hat zur Begründung …

ANGEKL. BAADER: Herr RA König Sie haben auch grundsätzlich nichts zu sagen26 […] spricht nicht in meinem Namen und meinem Auftrag.

VORS.: Gut. Das wird zur Kenntnis genommen. Herr RA König, bitte schön.

RA KÖNIG: Ich darf vielleicht vorab erklären, …

Angekl. Baader ist nicht zu verstehen.

VORS.: Im Augenblick, Herr Baader, hat Herr RA König das Wort. Es ist kein Grund gegeben, daß wir Ihnen jetzt zuhören. Sie werden nachher Gelegenheit haben, sich dazu zu äußern. Bitte, Herr RA König.

RA KÖNIG: Um Herrn Baader zu beruhigen: Ich spreche nicht für ihn, ich verteidige Frau Meinhof und nicht Herrn Baader. Zur Sache selber: Der Herr B. Anwalt hat sich zur Begründung seiner Gegenvorstellung und seines Antrags teilweise auf Antragsschriften in Bezug auf die Ausschließung der Herren Croissant, Ströbele und Groenewold berufen. Ich kenne diese Anträge nicht.

Zwischenruf der Angekl. Meinhof; nicht über Mikrophonanlage.

RA KÖNIG: Ich habe diese Anträge bisher auch nicht zugestellt bekommen. Ich glaube deshalb, daß zur Vervollständigung …

RA Riedel nicht zu verstehen.

VORS.: Herr RA, es hat im Augenblick, Herr RA König … Herr RA König hat jetzt das Wort, und ich bitte Sie, sich dran zu halten, daß ich hier das Wort zu erteilen habe. Der Senat hat, nachdem Sie meine Verfügung beanstandet haben, das bestätigt. Herr RA, bitte sehr.

RA KÖNIG: Ich bitte deshalb darum, zur Vervollständigung dieses Antrages uns die Antragsschriften zur Kenntnis zu bringen.

VORS.: Ist in Ordnung.

RA VON PLOTTNITZ: … veranlaßt mich, zunächst mal den Antrag zu stellen, daß das, was Frau Meinhof zur Erklärung des RA König gesagt hat, wörtlich zu protokollieren und anschließend verlesen zu lassen.27

VORS.: Mich veranlaßt Ihr Verhalten als RAe, daß ich Sie darauf hinweise, daß wir hier eine Verfahrensordnung haben, die auch für Sie gilt. Danach erteilt der Vors. das Wort. Ich habe das Wort Herrn RA König, der sich als erster gemeldet hat, erteilt. Es wurde beanstandet. Es ist dann entsprechend vom Senat beschieden worden. Sie müssen sich an diese Verfahrensordnung halten.

RA SCHILY: Wenn ein Angekl. den Eindruck hat und den Eindruck haben muß, daß durch die Wortmeldung eines aufgezwungenen Verteidigers ihm Nachteile im Verfahren entstehen, dann ist es sein gutes Recht, eine solche Wortmeldung zu unterbrechen und darauf hinzuwirken, daß dieser aufgezwungene Verteidiger diese Erklärung nicht abgibt.

VORS.: Herr RA …

RA SCHILY: Es ist sein selbstverständliches und gutes Recht, und an die Prozeßordnung, an die halten wir uns sehr wohl.

VORS.: Dann müssen Sie nicht vom guten Recht sprechen. Wir verstehen das auch ein bißchen, was die Prozeßordnung besagt, und wir glauben, daß der Verfahrensgang, wie ich ihn eben angezeigt habe, wohl der richtige ist. Frau Meinhof, Sie wollten eine Erklärung abgeben. Bitte schön. […]

ANGEKL. MEINHOF: Ja, das ist einfach. Hört man das?

VORS.: Schlecht. Wir wollen mal sehen, daß Ihr Mikrophon auch in Gang kommt.

ANGEKL. MEINHOF: Gut. Es handelt sich bei diesen Herren um Zwangsverteidiger.28 Keiner von denen hat im geringsten das Recht …

VORS.: Halt. ’s läuft nicht über Band. Frau Meinhof, entschuldigen Sie bitte, es läuft nicht auf Band. Wir müssen’s ja auf’s Protokoll bekommen. Es ist nicht meine Schuld.

ANGEKL. MEINHOF: Lassen Sie mich mal ausreden! […]

VORS.: ‘s tut mir leid, daß das Band nicht läuft; ich hätte es lieber reibungslos, daß es draufkommt. Ist das jetzt gewährleistet? Bitte Frau Meinhof, wenn Sie doch nochmals beginnen wollen.

ANGEKL. MEINHOF: Ja, es ist einfach. Es handelt sich bei diesen Zwangsverteidigern um Instrumente der B. Anwaltschaft.

PROTOKOLLFüHRER: ‘s geht immer noch nicht.

ANGEKL. MEINHOF: … aufgezwungen worden. Staatsschutzverteidiger, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis von der B. Anwaltschaft befinden, bei denen bei jeder Äußerung davon auszugehen ist, daß sie gegen uns gerichtet ist, und natürlich überhaupt dazu keine Legitimation unsererseits dazu besteht; und das ist zu protokollieren.

VORS.: Ist das auf’s Protokoll gekommen?

PROTOKOLLFüHRER: Nein. […]

VORS.: […] Ist hier niemand von der Technik da, daß dieses Ding da klappt? Jetzt tut’s ja! Hatten Sie den Knopf nicht an, den Drücker, Frau Meinhof?

Ja, Frau Meinhof, das war eine lange Erklärung. Wenn Sie wörtlich … d. h. keine lange Erklärung, aber für’s wörtliche Protokollieren müssen wir’s schon festlegen, was Sie nun wünschen, was ins Protokoll wörtlich kommt. Würden Sie das langsam ins Protokoll diktieren, was Sie hier wörtlich festgehalten wissen wollen? […]

ANGEKL. MEINHOF: Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung. Keiner von ihnen ist legitimiert, auch nur ein Wort in unserem Namen und in unserem Auftrag zu sagen. Sie haben dazu keine Legitimation. So.

VORS.: Bitte, wenn Sie es mitbekommen haben, verlesen Sie.

PROTOKOLLFÜHRER: Der Schluß fehlt mir.

VORS.: Wenn Sie irgendwo nicht mitgekommen sind …

ANGEKL. MEINHOF: Außerdem ist zu protokollieren, daß die Manipulation an diesen Mikrophonen darauf schließen läßt, daß sie deswegen vorgenommen worden ist, um das, was wir hier sprechen, abzuhören. Auch das ist zu protokollieren, selbstverständlich.

VORS.: Ja. Was soll denn in einer öffentlichen Verhandlung für ein Interesse bestehen, abzuhören?

ANGEKL. MEINHOF: Dann erklären Sie, warum die Mikrophone manipuliert sind. […]

VORS.: […] Darf ich jetzt bitten, vorzulesen, was Frau Meinhof wörtlich abgegeben hat? Wo Sie nicht mitgekommen sind, werden wir sehen, daß wir Ergänzungen kriegen. […]

PROTOKOLLFüHRER: Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind. …

VORS.: Das scheint mir ein bißchen kurz zu sein. Da war doch noch ein bißchen mehr dran. Frau Meinhof, vielleicht helfen Sie dem Herrn Protokollführer noch. Ich meine, wir können’s auch von Band abnehmen, wenn Sie damit zufrieden sind. Wir lassen einfach das Tonband zurücklaufen. Lassen Sie sich’s nochmal vorspielen, was war, dann haben wir’s ganz genau.

An dieser Stelle wurde die Aufnahme kurz unterbrochen, da die Erklärung der Angekl. Meinhof auf dem Band zu suchen war. […] Hierauf wurde nach zweimaligem Vorspielen der Erklärung der Angekl. Meinhof diese vom Protokollführer vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt. […]

RA VON PLOTTNITZ: Herr Vorsitzender, dieses halbstündige Intermezzo …

VORS.: Eine halbe Stunde hat’s nicht gedauert, aber bitte …

RA VON PLOTTNITZ: Naja. In etwa. In etwa. Ich nehm’s auch … ’s kommt ja auch auf die Minute nicht drauf an. Auf jeden Fall war’s lang genug.

Man hat ja angefangen damit, daß grade hier ein Zwangsverteidiger, der meiner Mandantin zugeordnet ist, hier versucht hat, das Wort zu ergreifen, und ich meine, egal, wie es jetzt technisch, ob’s in der Zukunft technisch besser geht oder nicht, auf jeden Fall ein Weg gefunden wäre, derartige mißliche Unterbrechungen zu vermeiden, daß klargestellt wird, daß keiner der Zwangsverteidiger, zumindest sage ich das, es ist ja im Plural bei meiner Mandantin von Zwangsverteidigern zu sprechen, daß keiner dieser Zwangsverteidiger seitens des Gerichts, sei es auch aus eigener Machtbefugnis heraus, in diesem Verfahren die Gelegenheit bekommt, auch nur ein Wort zu den Vorgängen, die hier ablaufen, zu sagen; denn alles – das ist klar -, was meine Mandantin gesagt hat und unmißverständlich; denn alles, was sie tun, alles, was sie sagen oder in rechtlich relevanter Weise unterlassen, widerspricht den Interessen der Mandanten und ist gegen deren ausdrücklichen Willen gerichtet. Wie ein Verteidiger, der sich noch … der diesen Namen verdient, in der Lage überhaupt ist, etwas Derartiges zu tun, was gegen den erklärten Willen gerichtet ist, das ist mir unverständlich. Bitte deshalb, Sorge zu tragen, daß so etwas überhaupt nicht mehr geschehen kann. Dann sind wir dieser ganzen Schwierigkeiten und auch diesen Verzögerungen auch enthoben.

VORS.: Selbstverständlich wird diesem Antrag in keiner Weise stattgegeben. Wir haben hier keine »Zwangsverteidiger«, sondern Herren, die sich als Pflichtverteidiger hier mit allen Rechten der Verteidigung befinden und diese Rechte auch wahrnehmen, und zwar unverkürzt. Im übrigen darf ich mein Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie dieses Wort »Zwangsverteidiger« so selbstverständlich übernehmen. Es sind Kollegen von Ihnen. […]

RA SCHILY: Ich wollte dazu sagen, daß das Wort Zwangsverteidiger einen Sachverhalt korrekt und präzise beschreibt. Und wenn der Herr Vorsitzende der Meinung ist, daß wir hier dies als irgendeine obskure, da sage ich dann wirklich, obskure Kollegialität über die Wahrnehmung der Interessen unserer Mandanten stellen, dann sind Sie im Irrtum. Dann sind Sie in einem vollständigen Irrtum begriffen. Und wir stehen ja mit dieser Meinung gar nicht alleine. Es ist ja ein bekannter Strafverteidiger wie der Kollege Schmidt-Leichner. Nicht. Der hat doch sehr interessante Ausführungen zu diesem Problem gemacht in der Neuen Juristischen Wochenschrift.29 Kann man ja nachlesen. Und das ist doch ein Vorgang, der sehr zu denken gibt.

Solange, es gibt ja den einzigen Ausnahmefall, wo vielleicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers angemessen sein könnte, wenn nämlich der Angeklagte sich partout weigert, überhaupt einen Anwalt seines Vertrauens zu benennen – vielleicht, weil er aus irgendwelchen Gründen dazu nicht in der Lage ist aus psychischen oder aus anderen Gründen -, das ist doch ein ganz anderer Fall. Aber hier ist das Wort korrekt: Zwangsverteidiger; und da wird keine Kollegialität verletzt, sondern da wird ein Sachverhalt korrekt beschrieben.

VORS.: […] Sie wissen selbst, daß ohne diese sog. Zwangsverteidiger im Augenblick zumindest gegen einen der Angeklagten das Verfahren schon nicht mehr durchführbar wäre.

RA SCHILY: Ist eigentlich auch nicht durchführbar.

VORS.: Das ist Ihre Meinung.

RA SCHILY: Ja. […]

Der Senat zog sich um 14.20 Uhr zur Beratung zurück.

Nach Wiedereintritt des Senats um 15.45 Uhr wurde folgendes verkündet:

VORS.: Der Senat hat folgendes beschlossen:

Auf die Gegenvorstellung der Bundesanwaltschaft wird der heutige Antrag auf Ausschluß der Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold, Ströbele als Verteidiger der Angeklagten Raspe, Meinhof und Ensslin dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart gemäß § 138 c Abs. 2 StPO30 zur Entscheidung vorgelegt […].

Der 1. Strafsenat des OLG Stuttgart schließt sich der zunächst geäußerten Auffassung des 2. Strafsenats an, dass bereits die ersten Ausschlussentscheidungen für das gessamte Verfahren und alle vier Beschuldigten wirken. Daher weist er den (nach dieser Ansicht überflüssigen) Antrag auf erneuten Ausschluss mit Beschluss vom 3. Juni 1975 zurück. Die Ausschlusswirkungen der Entscheidungen, die ursprünglich nur im Hinblick auf die Verteidigung von Andreas Baader ergangen waren, werden so auf die übrigen Angeklagten erstreckt, ohne dass diese dazu angehört werden.

Dienstag, 10. Juni 1975 3. Verhandlungstag

[…]

VORS.: Wir setzen die Sitzung fort, nach unserem Terminplan wie es vorgesehen war. Wir kommen heute, wenn keine Anträge zuvor gestellt werden sollen, zur Vernehmung zur Person.31 […] Frau Rechtsanwältin Becker.

RA’IN BECKER: Wir stellen den Antrag, die Bestellung der Rechtsanwälte Manfred Künzel und Ernst Eggler als Pflichtverteidiger für Gudrun Ensslin aufzuheben.

Rechtsanwältin Becker verliest nunmehr die Begründung aus Anlage 1. Anlage 1 wird zu den Akten genommen.

RA VON PLOTTNITZ: Ich habe mich zunächst der Begründung anzuschließen, die die Kollegin Becker hier gegeben hat, und für den Herrn Raspe zu beantragen:

Die Rechtsanwälte Grigat und Schlaegel zu entpflichten.

Ich kann eigentlich mit einem Satz nur ergänzen, was bereits gesagt worden ist, die Bestellung dieser Zwangsverteidiger dient nicht der Verteidigung der Gefangenen, sie ist eine Behinderung und eine sehr gravierende Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte der Gefangenen. […]

VORS.: Ich gehe davon aus, daß dazu Stellung genommen werden soll. Zumindest von Seiten der Bundesanwaltschaft. Die Herrn Verteidiger werden auch Stellung nehmen wollen. […]

RA KÜNZEL: Zunächst meine Bitte an das Protokoll, in Zukunft immer den Herrn Schily und die Frau Becker an erster Stelle aufzuführen. Dann eine Bemerkung zu dem Antrag der Sprecherin des Kollektivs.32 An sich genügt der Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 10. 1964 2 BvR 629/6433 […] zu der Frage der Antragsberechtigung der Sprecherin des Kollektivs und der betroffenen Angeklagten selbst, der Hinweis auf die Unzulässigkeit des Antrags. Nun zwingt mich aber die Art und Weise des Vortrags und die Behauptung, die hier aufgestellt werden, nun doch noch aus standesrechtlichen Gründen einige Bemerkungen zu sagen. Einmal, ich habe noch nie …

Zwischenrufe.

ANGEKL. ENSSLIN: Du sprichst nicht für mich!

RA KÜNZEL: Ich spreche nicht zur Frau Ensslin, in gar keiner Weise. Weil ich Sie …

Zwischenrufe.

ANGEKL. BAADER: Sie haben einfach die Fresse zu halten! […]

VORS.: Also ich muß Sie jetzt darauf hinweisen, daß das Gericht … Herr Baader, nehmen Sie es bitte zur Kenntnis. Ich bin befugt Ihnen zu sagen, daß das Gericht bei solch einem Verhalten gezwungen sein könnte, die Verhandlung zunächst mal ohne Sie fortzusetzen.34 Das wäre uns sehr unlieb. Herr Rechtsanwalt, die Frage ist folgende.

Angekl. Baader spricht im Hintergrund weiter, es ist aber unverständlich, da es nicht über das Mikrofon geht.

VORS.: Herr Baader, Sie haben im Augenblick jetzt nicht das Wort und spielen Sie sich nicht so auf. Es hat gar keinen Wert.

Zwischenrufe.

Sämtliche Angeklagten springen auf, drängen aus ihrer Sitzbank und müssen von Justizwachtmeistern gehindert werden, den Saal eigenmächtig zu verlassen. Es entsteht laute Unruhe und tätliches Gedränge in der Bank der Angeklagten.

VORS.: Augenblick, nein, nein, es gibt keinen Auszug hier. Es gibt keinen Auszug hier.

Angekl. Baader spricht wiederum ohne Mikrofon, daher unverständlich.

VORS.: Herr Baader, das ist eine andere Frage. Tatsache bleibt, daß die Verteidiger, die Sie jetzt im Augenblick so angreifen, das Recht haben, zu einem Antrag der von Ihrer Seite, d. h. von den von Ihnen mit dem Vertrauen versehenen Anwälten gestellt worden ist, sich zu äußern. Dieses Recht werden Sie diesen Anwälten nicht nehmen können. Sie sind nicht imstande, Anträge von Ihrer Seite kommen zu lassen und der Gegenseite die Möglichkeit zu nehmen, sich dazu auch nur zu äußern. […]

RA KÜNZEL: Darf ich noch zweierlei bemerken.

RA SCHILY: … zu standesrechtlichen Fragen Stellung nehmen will.

VORS.: Das Recht steht ihm zu, Herr Rechtsanwalt. Also der Antrag …

RA SCHILY: Moment, Sie haben doch immer gesagt, für wen sprechen Sie? Das haben Sie doch immer mir gesagt. Das haben Sie mir heute morgen vorgehalten. Mehrfach haben Sie mich gefragt, für wen sprechen Sie hier. Und nun, wenn der Herr Kollege Künzel erklärt, er spricht gar nicht für Frau Ensslin, sondern für sich oder für wen immer, ich weiß ja nicht fürs abstrakte Standesrecht, da gehts nun wieder andersrum.

RA KÜNZEL: Herr Schily, darf ich Ihnen das erläutern. Der Verteidiger hat ja im Prozeß seine eigene Stellung. Und er spricht Kraft eigenen Rechts nicht Kraft Worterlaubnis irgendeines Angeklagten. Nichtwahr. […]

Ich habe nun alles Verständnis dafür, daß nach den gehabten Erfahrungen die Angeklagten selbst uns als Zwangsverteidiger abqualifizieren. Daß dies nun auch die Sprecher des Kollektivs tun, das ist im hohen Maße bedauerlich, nichtwahr. Herr Schily hat gesagt, es gäbe nun einen ganz konkreten …

Gerede im Hintergrund, unverständlich.

[…] Herr Schily hat gemeint, es gibt einen ganz konkreten und richtigen Sachverhalt richtig wieder.

ANGEKL. BAADER: Ja verdammt noch mal, bringt uns jetzt raus hier.

REG. DIR. WIDERA: Die Bundesanwaltschaft beantragt …

VORS.: Ja, Augenblick. Wir unterbrechen die Sitzung kurz, um uns die Maßnahmen hier gegen die Angeklagten zu überlegen. Die Angeklagten können hierbleiben.

Das Gericht zog sich um 9.55 Uhr zur Beratung zurück.

Nach Wiedereintritt um 10.00 Uhr wurde die Sitzung fortgesetzt.

VORS.: Ich bitte Platz zu nehmen. Herr Baader, wir wollen nochmals feststellen, daß Sie versucht haben, durch Dazwischenrufen, durch Verhindern der Worterteilung, Herrn Rechtsanwalt Künzel das Wort abzuschneiden. Sie haben dabei auch beleidigende Äußerungen verwendet. Bei Fortsetzung eines solchen Verhaltens wäre das Gericht gezwungen, Ihre Ausschließung für diesen Teil der Hauptverhandlung zu beschließen. Sie können sich dazu äußern. Sie können aber auch dazu schweigen und ab jetzt geordnet benehmen. Herr Raspe, Herr Baader ist am Wort, er war angesprochen.

ANGEKL. RASPE: Ich sage, das hängt davon ab, und das haben wir auch mehrfach gesagt, …

VORS.: Herr Raspe, wir sind jetzt bei Herrn Baader, Herr Baader war angesprochen.

ANGEKL. RASPE: Das interessiert mich nicht.

VORS.: Sie waren im Augenblick ganz ruhig gewesen …

ANGEKL. RASPE: Das hängt davon ab, und das haben wir mehrfach gesagt, ob wir hierbleiben …

VORS.: Herr Baader hat jetzt das Wort, Herr Raspe.

ANGEKL. RASPE: Ob diese Typen da drüben reden oder nicht. Und solange dort drüben geredet wird …

VORS.: Es hat zunächst mal Herr Baader die Frage zu beantworten, Herr Raspe, zunächst mal ist jetzt Herr Baader dran, um die Frage zu beantworten …

ANGEKL. BAADER: Was machen Sie denn hier für einen Quatsch.

VORS.: Wollen Sie sich dazu äußern.

ANGEKL. BAADER: Sie wissen doch genau, daß jeder von uns für jeden anderen sprechen kann. Und daß das immer so war und daß das so ist, das wissen Sie genau. Also versuchen Sie doch nicht durch Ihre albernen Versuche uns hier auseinanderzudividieren. Er kann für mich antworten, und ich kann auch für ihn antworten. So einfach ist das.

VORS.: Entweder Sie wollen antworten, oder nicht.

ANGEKL. BAADER: Ich stelle das jetzt noch einmal klar. Sie wollen doch eine Antwort von mir. Der Punkt ist nochmal, solange diese Zwangsverteidiger da drüben hier sprechen, uns aufgezwungen und gegen unseren Willen, solange werden wir stören. Und für diesen Teil, das heißt, so lange Sie sprechen, würde ich Ihnen dann auch vorschlagen, damit nicht diese Szenen hier, diese albernen, zustande kommen, also diese Rangeleien und Quälereien hier, uns für den Teil der Hauptverhandlung jeweils auszuschließen.

VORS.: Sie sagen also, Sie werden …

ANGEKL. ENSSLIN: Und damit Sie dieses Wir auch verstehen, wenn diese Schweine dort drüben, nochmals die Schnauze aufmachen …

VORS.: Wen haben Sie jetzt gemeint, mit der Schnauze.

ANGEKL. ENSSLIN: Geht es genau um diese Frage. Entweder sie oder wir.

VORS.: Wir nehmen also zur Kenntnis, Sie wollen, Herr Baader, um Sie dreht sich’s im Augenblick, für den Fall, daß der Zwangsverteidiger, wie Sie ihn bezeichnen, nochmals sich zu Wort meldet, weiterhin stören.

Wollen die Herren Rechtsanwälte sich auch dazu äußern, zu der Frage, daß für die Fortsetzung dieses Verhaltens ein Ausschluß angedroht ist.

RA VON PLOTTNITZ: Ich habe zunächst mal hier erneut den Antrag zu stellen, uns eine halbe Stunde Gelegenheit zu geben, um gemeinsam mit den Mandanten die jetzig eingetretene Situation zu beraten.

VORS.: Nein, dem wird nicht stattgegeben.

RA VON PLOTTNITZ: Das ist ein unmöglicher Zustand, daß wir nicht diese Gelegenheit erhalten.

VORS.: Das wäre nochmals schöner, wenn Sie hier einen solchen Zustand, d. h. in dem Falle die Angeklagten, provozieren, daß dann anschließend auch noch eine Pause verlangt werden müßte, um darüber zu beraten.

RA VON PLOTTNITZ: Entschuldigung, provoziert wird allenfalls von denjenigen, die als Zwangsverteidiger von den Mandanten bezeichnet werden und sich dennoch hier das Recht herausnehmen, Erklärungen abzugeben.

VORS.: Herr Rechtsanwalt, darüber wollen wir uns nicht weiter heute unterhalten, wir werden auf dieses Thema sicher noch zurückkommen. Will sich die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit dem . […]

REG. DIR. WIDERA: Die Bundesanwaltschaft beantragt wegen der dauernden Störungen und wegen der Ankündigung, weiter zu stören, solange die Herren Pflichtverteidiger sprechen, für diese Dauer die Angeklagten aus dem Saal zu entfernen. […]

ANGEKL. BAADER: Ich stelle jetzt also nochmal fest. Es ist Ihnen wichtiger, nochmal diese grundsätzliche Frage …

VORS.: Sie haben jetzt die Möglichkeit, sich zu der Frage des Ausschlusses zu äußern.

ANGEKL. BAADER: Ja, lassen Sie mich doch reden. Diese grundsätzliche Frage der Subjektstellung des Angeklagten, das ist ja sozusagen Kernpunkt dieses Verfahrens und der Gesetzgebung um dieses Verfahren. Dazu stellen wir also einfach nochmal fest, daß es Ihnen wichtiger ist, die Zwangsverteidiger im Saal zu haben, als die Angeklagten. Das ist wesentlich und zu den Zwangsverteidigern haben wir zu sagen … Also die Zwangsverteidiger haben da sozusagen, aufzufordern, sofern Sie sich als Organe der Rechtspflege verstehen. Ja, daß sie in dieser Funktion, sozusagen schweigend abtreten, denn das ist auch die einzige Möglichkeit, diese Funktion wahrzunehmen. Denn sollten sie hierbleiben, verhindern sie sozusagen den Fortgang der Verhandlung mit den Angeklagten. […]

VORS.: […] Das Gericht hat nach geheimer Umfrage beschlossen:

Die Angeklagten Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe sind für Dauer der Äußerungsmöglichkeiten für die Rechtsanwälte, gegen die sich der Entpflichtungsantrag richtet, vom Verfahren auszuschließen.

Ich bitte die Angeklagten abzuführen. […]

RA KÜNZEL: