Die Stellung der Familie zur Zeit der Aufklärung. Gotthold Ephraim Lessings 'Emilia Galotti' und 'Miß Sara Sampson' im Vergleich - Gaby Schneidereit - E-Book

Die Stellung der Familie zur Zeit der Aufklärung. Gotthold Ephraim Lessings 'Emilia Galotti' und 'Miß Sara Sampson' im Vergleich E-Book

Gaby Schneidereit

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Beschreibung

Zwischenprüfungsarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: sehr gut (1,0), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Germanistisches Institut II), Veranstaltung: Thematisches Proseminar: Das Drama in der Epoche der Aufklärung, Sprache: Deutsch, Abstract: "Die ältesten deutschsprachigen Dramen, die heute noch zum ständigen Repertoire unserer Bühnen gehören, sind Dramen Lessings." (Eibl, 1971: 95) So griffen die bürgerlichen Trauerspiele Emilia Galotti und Miß Sara Sampson schon im 18. Jahrhundert Themen auf, die unser modernes Dasein noch immer beschäftigen. Aus diesem Grund genießen sie noch heute große Beliebtheit. Als erste Sozialisationsinstanz prägt der Bund der Familie die Entwicklung eines Menschen in hohem Maße. Mit der Aufklärung gewinnt die Familie zunehmend an Bedeutung; zum ersten Mal erleben Kinder tatsächlich eine Kindheit. Dennoch ist das Leben eingeschränkt, auf den intimen Familienkreis reduziert: Nur das elterliche Wertsystem dient als Maßstab für das Verhalten des Kindes; der Vater verfügt als Familienoberhaupt noch immer über das Leben der Heranwachsenden. Erst in der Aufklärung wird diese Bevormundung kritisiert. Auch Lessing gibt in seinen Werken zum Ausdruck, dass er als einer der Hauptvertreter der Aufklärung eine Erziehung zur Mündigkeit fordert. Auf diesen Aspekt wird im Verlauf dieser Abhandlung näher eingegangen. Um einen theoretischen Rahmen herzustellen, wird im Folgenden zunächst die Geschichte des deutschen bürgerlichen Trauerspiels erläutert. Anschließend soll der Strukturwandel der Familie des späten 18. Jahrhunderts thematisiert werden. Dabei wird es vor allem um das neue bürgerliche Erziehungsideal gehen: Um die Humanisierung der Kleinfamilie sowie den Rückzug ins Private. Dass die Entsagung der Welt aber nur eine Utopie zu sein scheint, wird sich in dieser Arbeit herausstellen. Darauf basierend werden die beiden Trauerspiele hinsichtlich der Rollen der Familienmitglieder analysiert: Welche Funktion hat Mutter Galotti in der Beziehung zwischen Vater und Tochter inne? Warum tötet Odoardo seine Tochter? Verkörpert Sir William Sampson das Vaterideal der Aufklärung? – Während die Familienkonstellationen der beiden Trauerspiele zunächst separat ergründet werden, folgt abschließend ein Vergleich beider Familien, der die Ähnlichkeiten der Schicksale beider Töchter darlegt; sie können als Prototypen für die damalige Zeit angesehen werden. Fußnote: 1. Eibl, Karl: Gotthold Ephraim Lessing – Miss Sara Sampson. Ein bürgerliches Trauerspiel. Hg. von Wolfgang Frühwald. Frankfurt am Main: Athenäum 1971 (= Commentatio – Analysen und Kommentare zur deutschen Literatur), S.95

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Veröffentlichungsjahr: 2005

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Inhaltsverzeichnis:

 

1. Einleitung

2. Die Familie in der Aufklärung

2.1 Das deutsche bürgerliche Trauerspiel

2.2 Die Funktion der Familie in Bürgertum bzw. Adel

2.3 Die Familie Galotti

2.3.1 Claudia Galotti, Mediatorin zwischen väterlichem Tugendideal und realer Welt

2.3.2 Odoardo Galotti, mächtiger Patriarch und ohnmächtiger Untertan zugleich

2.3.3 Emilia Galotti, wohlbehütete Tochter zwischen den Fronten

2.4 Die Familie Sampson

2.4.1 Sir William Sampson, Vater zwischen Edelmut und Selbstsucht

2.4.2 Sara Sampson, starre Befolgerin der väterlichen Prinzipien?

2.5 Vergleich beider Familienkonstellationen

3. Schlussbemerkung

1. Einleitung

 

„Die ältesten deutschsprachigen Dramen, die heute noch zum ständigen Repertoire unserer Bühnen gehören, sind Dramen Lessings“[1]. So habe ich die bürgerlichen Trauerspiele Emilia Galotti und Miß Sara Sampson ausgewählt, weil sie schon im 18. Jahrhundert Themen aufgegriffen haben, die unser modernes Dasein noch immer beschäftigen, sie heute noch große Beliebtheit genießen.

 

Als erste Sozialisationsinstanz prägt der Bund der Familie die Entwicklung eines Menschen in hohem Maße. Mit der Aufklärung gewinnt die Familie zunehmend an Bedeutung; zum ersten Mal erleben Kinder tatsächlich eine Kindheit. Dennoch ist das Leben eingeschränkt, auf den intimen Familienkreis reduziert: Nur das elterliche Wertsystem dient als Maßstab für das Verhalten des Kindes; der Vater verfügt als Familienoberhaupt noch immer über das Leben der Heranwachsenden. Erst in der Aufklärung wird diese Bevormundung kritisiert. Auch Lessing gibt in seinen Werken zum Ausdruck, dass er als einer der Hauptvertreter der Aufklärung eine Erziehung zur Mündigkeit fordert.

 

Auf diesen Aspekt werde ich im Verlauf meiner Hausarbeit näher eingehen. Um einen theoretischen Rahmen herzustellen, werde ich im Folgenden zunächst die Geschichte des deutschen bürgerlichen Trauerspiels erläutern und anschließend den Strukturwandel der Familie des späten 18. Jahrhunderts thematisieren. Dabei wird es vor allem um das neue bürgerliche Erziehungsideal gehen: Um die Humanisierung der Kleinfamilie sowie den Rückzug ins Private. Dass die Entsagung der Welt aber nur eine Utopie zu sein scheint, wird sich in meiner Arbeit herausstellen.

 

Darauf basierend werde ich die beiden Trauerspiele hinsichtlich der Rollen der Familienmitglieder analysieren: Welche Funktion hat Mutter Galotti in der Beziehung zwischen Vater und Tochter inne? Warum tötet Odoardo seine Tochter? Verkörpert Sir William Sampson das Vaterideal der Aufklärung? – Während ich die Familienkonstellationen der beiden Trauerspiele zunächst separat ergründe, werde ich abschließend einen Vergleich beider Familien anstellen und die Ähnlichkeiten der Schicksale beider Töchter darlegen; sie können als Prototypen für die damalige Zeit angesehen werden.

2. Die Familie in der Aufklärung

 

2.1 Das deutsche bürgerliche Trauerspiel

 

In der Lessing-Zeit liegt „einer der bedeutendsten Einschnitte der deutschen Dramengeschichte“[2]. Mit Miß Sara Sampson, 1755 uraufgeführt, hat Lessing das bürgerliche Trauerspiel in Deutschland eingeführt.Fraglich ist, ob man es als dramatische Gattung oder als Untergattung bezeichnen kann, denn der Terminus ist umstritten. Einige Charakteristika des bürgerlichen Trauerspiels sind aber trotzdem nennbar: Der Unterschied zu „jenem Heroischen [...], das bis in die Mitte des 18. Jhs das Weltbild der Tragödie beherrschte“[3], liegt in der Betonung des Allgemeinmenschlichen, des Moralischen sowie der Gesinnung des Bürgertums. Es stehen keine gesellschaftspolitischen Themen im Vordergrund, vielmehr bilden auf die familiale Gemeinschaft, auf moralisches Verhalten bezogene Figuren den Handlungsrahmen. Im Fokus des Geschehens steht der empfindsame Mensch, der nach Tugendhaftigkeit strebt und sich vom Lasterhaften zurückzieht. Die Betonung der Empfindsamkeit führt zur Thematisierung von Gefühlsregungen sowie einer ausführlichen Darbietung emotionaler Leidenssituationen.

 

In den siebziger Jahren löst sich das deutsche bürgerliche Trauerspiel allerdings von jenem Urtyp. Während Miß Sara Sampson als das Urbild des deutschen bürgerlichen Trauerspiels gilt, verbindet man mit Emilia Galotti (1772) ein neues Stadium dieses Typus: Auf das empfindsame Moment wird zunehmend verzichtet, an dessen Stelle tritt nun die Passion der Hauptfigur. Die Personen entstammen einem festgelegten Standes- und Berufsmilieu mit einer „kennzeichnende[n] ständisch bedingte[n] [...] Mentalität“[4]. Diese Bestimmtheit schlägt sich auch in der Umsetzung von Tugend und Laster nieder, sie werden nicht mehr abstrakt, sondern „in ihrem gesellschaftlichen Determinationszusammenhang“[5] dargelegt. Erst jetzt gehören Ständekonflikte, wie die Aufspaltung des Mittelstandes, ausgelöst durch die Polarität der sozialen Schichten und ihres Selbstbewusstseins, zum Handlungskontext.

 

Kritik übt der Verfasser primär am Adelsstand, gehört er doch selbst der Bürgerschicht an. Dennoch muss man sich von der Auffassung, Lessing übe mit Emilia Galotti Kritik am fürstlichen Absolutismus und den sich daraus ergebenden Lebensbedingungen, distanzieren. Das Trauerspiel greift zwar diesen Themenkomplex auf und verurteilt „Despotismus, Willkür und Machtmißbrauch“[6]. Jedoch behandelt Lessing vorwiegend „ein grundsätzlicheres Problem“[7] als Gegenstand seiner Trauerspiele, das sich innerhalb der Familienthematik ansiedelt und den politisch-gesellschaftlichen Aspekt lediglich einbezieht.

 

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Attribut ‘bürgerlich‘ keineswegs soziologisch zu verstehen ist; im 18. Jahrhundert treten nämlich durchaus auch Adlige neben Bürgerlichen auf, wie das Beispiel der Familie Sampson zeigt. Diese Entwicklung

 

   „weg vom Begriff für ein Ständisch-Besonderes [...] hin zum Begriff für ein Menschlich-Allgemeines [...] ist Ausdruck einer sozial- und ideologiegeschichtlichen Wende“[8].

 

Es werden nun Themen aus der Erfahrungswelt der Zuschauer aufgegriffen;

 

   „Wirklichkeit ist [...] nicht mehr die mythisch-geschichtliche, von Gott geschaffene Welt wie in der heroischen Tragödie [...], sondern die des gegenwärtigen gemeinen Lebens“[9].

 

Nur so können sich die Zuschauer mit den Charakteren identifizieren, sich einer sittlichen Reinigung unterziehen: Das Trauerspiel ist demnach von großem Nutzen, führt durch die Wirkung auf das Gemüt zu moralischer Besserung. Nicht Einsicht führt also zur Läuterung und Moralisierung des Publikums, sondern „tragische[s] Mitleid“[10] mit den fehlerhaften, leidenden Charakteren und zugleich „tragische Furcht“[11] vor einem ähnlichen Schicksal.

 

Ferner sind die Protagonisten beider Typen des bürgerlichen Trauerspiels überwiegend weiblich, mit einer Neigung zum Leiden statt zum Handeln. So enden auch die meisten Trauerspiele mit einer Weisheit, die eine anfangs angedeutete moralische Lehre wieder aufgreift, etwa einer Warnung vor der „Ausartung empfindsamer Liebe zu maßloser subjektivistischer Leidenschaftlichkeit, die zum Laster führt“[12].

 

2.2 Die Funktion der Familie in Bürgertum bzw. Adel

 

Nehmen wir Bezug auf die Familie Galotti, so ist die patriarchalische Kleinfamilie gemeint, und zwar in der Position des (gehobenen) Bürgertums, die sich im 18. Jahrhundert „gegenüber dem bislang repräsentativen Typus des ‘Ganzen Hauses‘ (Großfamilie)“[13] neu etabliert hat. Es kommt in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts eine ganz neue Auffassung der Familie zu Tage, die durch die kapitalistische Umwälzung hervorgerufen worden ist: Während die Familie zuvor als

 

   „die kleinste Zelle der ständischen Gesellschaft [den Zweck] der Zeugung, der Aufzucht und des Wirtschaftens [,] gebunden an die Zielsetzung des Staates “[14],

 

verfolgt und neben Ehegatten, Kindern und Verwandten auch die Angestellten auf dem Hof umfasst hat, meint man seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine „ideale Liebesgemeinschaft von Mann und Frau, Eltern und Kindern“[15]. Die Familie wird, von der Gesellschaft separiert, als „Naturordnung eigenen Rechts“[16] angesehen, alles Zweckmäßige tritt nun in den Hintergrund. Öffentliche und private Sphäre erfahren eine strikte Trennung, infolgedessen sind auch Produktionsstätte und Familienwohnsitz nicht mehr identisch. Stattdessen dominieren – wenn auch anfangs nur in intellektuellen Kreisen – Emotionen das Familienleben, die abseits vom ständischen Leben eine neue Rangstellung erfahren: Die elterliche Liebe zum Kind ist dabei deren „höchste Form [...], in [der] [...] sich die Natur des Menschen jederzeit ganz unverfälscht“[17] äußert. Außerhalb dieser Gemeinschaft hingegen wird der „Kampf ums Dasein“[18] geführt.