Die stille Nacht der kleinen Wunder - Shirley Jump - E-Book
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Die stille Nacht der kleinen Wunder E-Book

Shirley Jump

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Beschreibung

Nur noch ein verzweifelter letzter Kuss, dann geht Emily: Ihre Ehe mit Cole ist gescheitert und damit ihr Traum vom Glück. Doch als Weihnachten naht, steht Cole unvermittelt vor ihr. Und so sehr sie sich auch dagegen wehrt, träumt Emily von einer Nacht voller Wunder …

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IMPRESSUM

Die stille Nacht der kleinen Wunder erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2013 by Shirley Kawa-Jump Originaltitel: „The Christmas Baby Surprise“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA WEIHNACHTENBand 27 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: "Relentless_one/GettyImages, aekikuis/GettyImages"

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733759766

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Emily war auf der Flucht aus ihrem alten Leben, allerdings mit Stil. Sie trug dunkelblaue Skinny Jeans, Stiefeletten mit zehn Zentimeter hohen Absätzen, eine perlmutt schimmernde Softshelljacke und darüber einen grünen Oversize-Cardigan mit Gürtel. Jedes Stück von einem bekannten Designerlabel, die Schuhe maßgefertigt. Aber Emily machte sich nichts daraus. Designerkleidung war ihr nie wichtig gewesen, und manchmal dachte sie wehmütig an die Zeit zurück, in der sie Secondhand-Jeans vom Flohmarkt mit einem ausgeblichenen T-Shirt trug, so dünn vom vielen Waschen, dass es sich weich wie Seide anfühlte.

Entschlossen hievte sie zwei Koffer in den alten Volvo-Kombi, den sie sich gekauft hatte, obwohl Cole ihn abscheulich fand, schlüpfte hinters Steuer und fuhr los. Fort von dem Haus, das nicht mehr länger ihr Zuhause war.

Vier Stunden später rollte sie über die hügeligen Straßen von Brownsville, einer kleinen Stadt in Massachusetts, dann am Barrow Lake entlang, bis sich die großen Bäume über ihr lichteten und vor ihr die lang gestreckte Schotterstraße lag, die zum Gingerbread Inn führte. Ein vertrautes handbemaltes Holzschild mit inzwischen verblassten Farben wies die Anhöhe hinauf zum Gasthaus.

Emily kurbelte die Seitenscheibe hinunter und genoss die frische, würzige Herbstluft – zusammen mit dem wundervollen Gefühl, zu Hause zu sein. Endlich.

Kiesel knirschten unter den Reifen, spritzten beiseite, als sie ihren Volvo die Straße hinauflenkte. Emily verspürte freudige Erwartung. Ja, sie war wieder hier. An dem einzigen Ort, wo ihr Leben einen Sinn machte, wo sie Frieden gefunden hatte. Wie sehr hoffte sie, dass sie auch wieder zu sich selbst finden würde!

Zärtlich legte sie eine Hand auf ihren Bauch. „Wir sind gleich da, Sweet Pea.“ Zuckererbse hatte sie ihr Baby genannt, das wirklich noch nicht viel größer war als eine Erbse.

Und hier, so schwor sie sich, würde sie ein neues Leben beginnen. All das, was ihr altes ausmachte, hatte sie hinter sich gelassen, um nachzudenken, zu planen und zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Denn egal, was kommen würde, Emily Watson wollte nie mehr zu dem alten Zustand zurückkehren. Auch nicht zu Cole, dem Mann, den sie einst geliebt und geheiratet hatte.

Einst war schon lange, lange her. Die vielen Jahre ihrer einsamen, unerfüllten Ehe hatten sie gelehrt, dass nur Dumme an Märchen glaubten.

Das zweistöckige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert kam in Sicht. Durch die tief stehende Herbstsonne lag es bereits im Schatten und machte einen merkwürdig verlorenen Eindruck. Und als Emily nahe genug heran war, um Einzelheiten zu erkennen, verflog ihre frohe Erwartung schlagartig. Was war passiert?

Das strahlende Weiß der Fensterrahmen war zu einem schmutzigen Grau verblasst, Farbe blätterte von den hölzernen Wandschindeln, und die vordere Veranda war in der Mitte eingesunken. Gras wuchs zwischen den Steinplatten des Wegs, und die früher liebevoll gepflegten Flächen um das Gasthaus waren von Unkraut überwuchert. Schwer zu glauben, dass sie einmal als leuchtendes Beispiel in einer Gartenzeitschrift abgebildet gewesen waren.

Noch viel mehr traf Emily jedoch das rot-weiße Schild, das ein wenig schief an der Hauswand hing, so als hätte selbst der Makler die Hoffnung aufgegeben. ZU VERKAUFEN, stand darauf.

Sie hielt an, stieg aus, blieb aber erst einmal stehen. Was nun? Sie war davon ausgegangen, dass sie im Gingerbread Inn bleiben und ihr Leben neu ordnen könnte. Ihre schönsten Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden. Erinnerungen an die Zeit mit Andrea und Casey und Melissa …

Oh, Melissa …

Ihr wurde das Herz schwer, als sie an ihre verstorbene Freundin dachte. Aber das hätte Melissa nicht gewollt. Wie hatte sie in ihrem Abschiedsbrief geschrieben? Sie solle ihr Leben leben und versuchen, sich ihre Träume zu erfüllen. Und sich durch nichts davon abhalten lassen.

Durch nichts? Auch nicht von diesem Verkaufsschild?

Wieder glitt ihre Hand zu ihrem Bauch. Ich muss es tun, dachte sie. Nicht nur meinetwegen, sondern auch für Sweet Pea. Zwar konnte sie es sich leisten, in ein Hotel zu ziehen oder sogar nach Italien zu fliegen, um sich dort für eine Woche in einer Villa einzumieten. Aber das wollte sie nicht. Dieser Ort bedeutete ihr so viel.

Emily warf einen Blick auf ihre Hand, auf den Platinring mit dem wunderschönen Diamanten. Sie streifte ihn ab und steckte ihn in die Tasche. Sie musste sich endlich eingestehen, dass Schluss war.

Schluss mit Cole.

Die Gasthaustür wurde geöffnet. Eine zierliche grauhaarige Frau trat auf die Veranda. Sie trug eine orangefarbene Schürze mit gelber Paspel, ein hellrosa T-Shirt, Jeans-Shorts und Sneakers, die schon bessere Tage gesehen hatten.

Emily strahlte sie an und eilte auf die ältere Frau zu. „Carol!“

Die Besitzerin des Gasthauses kam die Stufen herunter. „Emily? Du meine Güte, ich kann es kaum glauben!“

Die beiden Frauen umarmten sich herzlich. Sie waren seit vielen Jahren befreundet. In ihrer Kindheit hatte Emily hier so viele Ferien verbracht, dass Carol für sie fast so etwas wie eine Tante oder weitere Großmutter geworden war. Der Duft nach frisch gebackenem Brot gehörte genauso zu ihr wie das aufmunternde Lächeln, und Emily verband alles Gute der Welt mit Carol Parsons.

Da stupste etwas gegen ihr Bein. Lächelnd sah sie auf die struppige Hündin hinunter. „Ist das Wesleys Tochter?“

Carol nickte. „Darf ich dir Harper vorstellen? Sie ist ein wenig schusselig, aber lieb und anhänglich. Hat all das, was man sich bei einem Hund wünscht.“

Emily bückte sich und kraulte Harper die Ohren. „Dann schlägst du ja nach deiner Mutter, kleines Fräulein.“

Die Hündin wedelte mit dem Schwanz und blickte Emily treuherzig an. Urplötzlich wirbelte sie dann herum und schoss laut bellend ins Gebüsch. Wahrscheinlich hatte sie ein Eichhörnchen gewittert.

Emily richtete sich auf. „Ich bin so froh, dich zu sehen, Carol. Als ich das Verkaufsschild sah, habe ich schon befürchtet …“

„Keine Sorge, ich bin immer noch hier. Wenn auch am seidenen Faden. Doch das ist eine traurige Geschichte, über die wir ein andermal reden können.“ Sie deutete auf das Gasthaus. „Willst du nicht hereinkommen? Bleibst du ein paar Tage?“

„Ehrlich gesagt …“ Emily deutete auf ihr Gepäck im Kofferraum. „… wollte ich sogar eine ganze Weile bleiben.“

Carol schaute sie mit ihren grünen Augen prüfend an. „Gerne, und solange du willst, meine Liebe“, sagte sie schließlich. „Für dich ist hier immer Platz.“

Das liebte Emily an Carol so sehr. Sie stellte keine Fragen, versuchte nicht, jemanden auszuhorchen, sondern bot einfach nur Hilfe an oder eine Schulter zum Ausweinen. So eine enge Bindung hatte Emily zu ihrer eigenen Mutter nicht gehabt. Wie sehr hatte sie sich immer auf die Sommerferien bei Carol gefreut. Wie über Sonnenschein an einem bewölkten Tag.

Die beiden Frauen stiegen die Treppe hoch. Die halb verrotteten Verandadielen knackten verdächtig unter ihren Füßen. Einige Verandapfosten lagen im Rasen vor dem Haus, und die Hollywoodschaukel musste dringend neu gestrichen werden. Die Eingangstür mit den großen geschliffenen Scheiben zeigte noch immer die alte Eleganz, aber drinnen im Haus war alles alt, abgenutzt und abgestoßen. Eins der Fenster im Salon klapperte im Wind, der durch den undichten Rahmen hereinzog. An der Decke zeugte ein brauner Fleck von einem Wasserschaden, und die uralte Heizung, die die Kühle vertreiben sollte, zischte und blubberte.

Emily stellte ihre Tasche an der Tür ab und folgte Carol in die Küche. Auch dieser Raum hatte schwer unter dem Zahn der Zeit gelitten. Die einst freundliche und helle Sonnenblumentapete löste sich teilweise von den Wänden, und der weiße Vinylbelag war an einigen Stellen zerschrammt und abgetreten. Doch der lange Tisch aus massivem Ahornholz, an dem sie immer gemeinsam gegessen hatten, beherrschte wie eh und je den Raum.

„Möchtest du eine Tasse Kaffee?“ Carol griff nach der Kanne. „Und es gibt auch frisch gebackenes Brot, direkt aus dem Herd. Es ist noch warm.“

„Danke, keinen Kaffee, aber eine Scheibe Brot nehme ich gern. Hast du vielleicht auch etwas Honig?“

„Aber natürlich. Wenn es jemand hier gibt, der immer noch etwas produziert, dann sind es die Bienen.“ Carol lächelte, aber Emily sah den Schmerz hinter der Fassade. Carol schenkte sich einen Becher ein, stellte einen Korb mit duftenden Brotschnitten und ein Glas Honig auf den Tisch und setzte sich. Ihren Becher in den Händen, als wollte sie sich wärmen, blickte sie Emily an und seufzte schwer. „Bestimmt fragst du dich, wieso es hier so aussieht und warum ich verkaufen will, oder?“

„Ja, aber du musst nicht darüber reden, wenn du nicht magst.“ In ihrem eigenen Leben war genug schiefgelaufen, über das sie auch nicht unbedingt reden musste.

„Schon gut. Am schwersten war es für mich, es den Stammgästen beizubringen. Sie sind wie eine Familie für mich, und der Gedanke, dass das Gingerbread Inn bald nicht mehr existiert … es bricht mir einfach das Herz.“ Sie senkte den Blick. „Seit mein Mann tot ist, schaffe ich es einfach nicht mehr. Für einen allein ist es zu viel Arbeit. Durch die Wirtschaftskrise kommen weniger Gäste, und deshalb kann ich mir keine Handwerker leisten. Dies ist ein wundervoller Ort, und ich liebe ihn, aber ich bin an einem Punkt angelangt, wo mich alles überfordert. Ich weiß nicht einmal, wo ich mit den Reparaturen und Renovierungen anfangen soll. Deshalb habe ich das Inn zum Verkauf angeboten. Vielleicht bekomme ich ja genügend Geld für ein kleines Cottage in Strandnähe.“

Harper drängte sich durch die Hundeklappe in der Küchentür, warf den beiden Frauen einen Blick zu und machte es sich dann unter dem Tisch bequem. Carol tätschelte sie.

„Ich finde es schrecklich, dass du verkaufen musst. Mir bedeutet es sehr viel, zu wissen, dass es das Gasthaus hier gibt, wenn …“ Emily seufzte. „Wenn ich es brauche.“

Carol sah sie besorgt an und berührte Emilys Hand. „Was ist los, Kleines?“

„Im Moment tut sich viel in meinem Leben.“ Noch mehr untertreiben konnte sie nicht.

Heute Morgen hatte sie ihre zehnjährige Ehe hinter sich gelassen. Seit sechs Monaten lebten sie getrennt. Cole sah das anscheinend nicht so. Mindestens einmal die Woche ließ er sich blicken, sei es, um seinen Lieblingsgolfschläger zu holen, oder um sich davon zu überzeugen, dass im Rasenmäher genügend Benzin war, weil der Gärtner in den nächsten Tagen kam.

So, als wollte er nicht akzeptieren, dass es aus und vorbei war. Andererseits war sie auch nicht sehr konsequent gewesen und hatte noch einmal mit ihm geschlafen. In einer verrückten Nacht, erfüllt von schönen Erinnerungen und nostalgischen Gefühlen, ließ sie sich dazu hinreißen und vergaß all die Gründe, warum sie nicht zueinanderpassten. Die Gründe, warum sie nicht mehr mit einem Mann zusammenleben konnte, der ihr jeden Tag das Herz brach.

Irgendwann begriff sie, dass sie Freiraum für sich brauchte. Und mit dem neuen Leben, das in ihr heranwuchs, benötigte sie einen klaren Kopf, um eine große Entscheidung treffen zu können.

Ob sie sich scheiden lassen oder es noch einmal versuchen sollte.

„Also, bleib so lange, wie du möchtest“, meinte Carol. „Wenn es einen guten Ort zum Nachdenken gibt, dann diesen hier.“

„Darauf vertraue ich.“ Emily nahm sich eine zweite Scheibe Brot. Sie hatte das sichere Gefühl, am richtigen Ort zu sein, sie konnte es spüren. Und dieses Gefühl war jetzt am allerwichtigsten für sie.

Cole Watson sprang die Treppe zu seinem Haus hinauf – okay, eigentlich war es nicht mehr seins, auch wenn er weiterhin die Hypothek abzahlte. In der einen Hand hielt er eine Flasche Wein, in der anderen einen Blumenstrauß. Er griff nach der Türklinke, verharrte dann aber.

Dies war jetzt Emilys Zuhause. Er durfte also nicht einfach hereinplatzen, das hatte sie ihm mehr als einmal sehr deutlich gemacht. Er selbst lebte in einem Apartment auf der anderen Stadtseite. Ein Apartment, in dem die Leere wohnte und die Einsamkeit, was ihm jeden Abend, wenn er es betrat, bewusst wurde. Das war sein Zuhause, ob es ihm gefiel oder nicht. Hier nicht mehr. Er konnte nicht wie selbstverständlich hereinkommen, sich die Fernbedienung greifen und die Füße auf den Couchtisch legen. So drückte er die Klingel, auch wenn es merkwürdig war, an seinem eigenen Haus zu klingeln. Er wartete. Niemand öffnete. Er klingelte noch einmal.

Nichts.

Cole fischte seinen Schlüssel aus der Jackentasche – Emily hatte das Schloss nie ausgewechselt, was er für ein hoffnungsvolles Zeichen hielt –, schloss auf und ging hinein. Im Foyer blieb er stehen. Und auch hier spürte er die gleiche Leere wie in seiner Wohnung. Sechshundertfünfzig Quadratmeter Wohnfläche mit schimmerndem Marmor und Granit umgaben ihn, und doch wirkte alles …

Irgendwie traurig und verlassen.

Auf dem Tisch im Foyer wartete die Kupferschale, die sie im Urlaub in Mexiko gekauft hatten, immer noch auf seine Schlüssel. Unter der Tiffanylampe neben der Lampe lag ein Stapel Briefe. Die Lampe hatte er Emily zum ersten Hochzeitstag geschenkt. Zu seiner Rechten, im Wohnzimmer, sah er das weiße Sofa und die Sessel, die Emily hasste, die er aber dennoch gekauft hatte. Und am anderen Ende der Halle standen immer noch die schmiedeeisernen Stühle mit dem dazu passenden Tisch, ein Geschenk seiner Mutter.

Das Haus schien wie immer – und war dennoch anders. Als würde hier niemand mehr leben.

Da entdeckte er einen Zettel auf der Post. Cole stellte Flasche und Blumen ab und griff nach der Notiz.

Ich habe die Stadt verlassen und weiß nicht, wann ich zurückkomme. Ruf mich nicht an. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Um herauszufinden, wie es weitergeht.

Emily

Die kühlen, deutlichen Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube.

Sie hatte die Stadt verlassen. Wohin? Warum? Mit jemand anders?

Dieser Gedanke peinigte ihn am meisten und machte ihm noch etwas anderes klar. Wenn sie ihre Ehe nicht kitten konnten, dann würde sie irgendwann endgültig gehen und einen anderen finden. Einen anderen Mann, dem sie ihr zauberhaftes Lächeln schenkte. Einen anderen Mann, der sie zum Lachen brachte und sie nachts in seinen Armen hielt.

Und zu Recht, denn ihre Ehe war gescheitert, und das schon lange. Da spielte es keine Rolle, dass er es nicht akzeptieren wollte.

Sein Handy vibrierte, und er holte es aus der Hosentasche. „Hier Cole.“

„Wir haben ein Problem mit dem Nachschub“, erklärte Doug, sein Projektmanager. „In Japan hat ein Taifun die Display-Fabrik schwer beschädigt. Sie wissen nicht, wann sie die Produktion wieder aufnehmen können.“

„Ruf jemand anders an.“

„Schon geschehen. Uns fehlt das Material, der Lagerbestand geht auf null. Es wird ungefähr zwei Wochen dauern, bis sie mehr produzieren können …“

„Ich kümmere mich darum. Buche mich für den ersten Flieger nach …“ Unruhig blickte Cole auf Emilys Nachricht. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Emily wollte nicht mehr, das begriff selbst ein Dummkopf.

Ruf mich nicht an.

Sie wollte nicht, dass er sich bei ihr meldete. Als er mit dem Wein und den Rosen vor der Tür stand, hatte er noch Hoffnung gehabt, aber die war nun verschwunden.

Seine Ehe war am Ende.

„Cole, willst du nach Japan fliegen? Oder zu dem Fabrikanten nach Polen?“

Cole Watson, der niemals unentschlossen war, stand im Foyer seines Hauses, in dem er nicht länger wohnte, und zauderte. „Ich …“

Wieder blickte er auf den Zettel. Um herauszufinden, wie es weitergeht.

Dann warf er einen Blick auf seine linke Hand. Auf den Ehering, den er seit zehn Jahren trug. Er stellte sich vor, er hätte ihn nicht mehr, und das Haus wäre verkauft. Es machte ihm so gut wie nichts aus.

Dann sah er wieder auf die fünf Buchstaben am Ende des Briefes. Emily.

Emily war weg. Unerreichbar für ihn.

Es fühlte sich an wie ein Stich mitten ins Herz. Cole knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in die Kupferschale. „Die Bildschirme können warten“, sagte er zu Doug. „Ich muss mich zuerst um etwas Wichtigeres kümmern.“

„Aber …“

„Keine Sorge, Doug. Ich schaffe das.“ Der Mann geriet zu leicht in Panik. „Glaub mir, wenn ich die Sache geregelt habe, wird uns das im Nachhinein wie ein Problemchen erscheinen. Ein momentaner Rückschlag.“

Doch als Cole das Gespräch beendete und überlegte, wohin seine Frau wohl verschwunden war und wie es weitergehen sollte, wurde ihm klar, dass er überhaupt nicht über die Bildschirme geredet hatte. Sondern über seine Ehe.

2. KAPITEL

In dem kleinen, aber gemütlichen Zimmer, in dem Emily viele Sommer ihrer Kindheit verbracht hatte, starrten sie ein blanker Monitor und der blinkende Cursor an, warteten darauf, dass sie den Bildschirm mit Worten füllte.

Und das schon seit geschlagenen zwanzig Minuten.

Sie hatte ein Wort geschrieben, wieder gelöscht. Ein neues geschrieben, wieder gelöscht. Was war nur los mit ihr? Im College hatte sie Kurzgeschichten produziert wie eine Henne Eier. Und nun, wo sie endlich Zeit und Ruhe zum Schreiben hatte, brachte sie nicht einen einzigen Satz zustande. Die Umstände waren so, wie sie es sich oft erträumt hatte, aber es nützte nichts. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren.

Schon seit Monaten nicht mehr, wenn sie ehrlich war. Sie musste es unbedingt schaffen, wieder Prioritäten zu setzen. Irgendwie.

Eine leichte Abendbrise wehte durch das angekippte Fenster herein und ließ die weißen Spitzenvorhänge tanzen. Von unten drang leise Radiomusik herauf, wahrscheinlich hatte Carol in der Küche zu tun. Es war eine schöne, friedliche Umgebung, der Traum jedes Schriftstellers. Nun ja, solange er keine Schreibblockade hatte.

Emily stand auf und zog einen Briefumschlag aus ihrer Reisetasche. Es war Melissas letzter Brief an sie, den sie auch an die anderen beiden Freundinnen geschrieben hatte.

Liebe Gingerbread-Girls,

ich muss lachen, während ich unseren Spitznamen schreibe. Erinnert Ihr Euch noch an die tollen Sommer im Gingerbread Inn? An all die Abenteuer in der Stadt und die verbotenen nächtlichen Ausflüge? Kein Wunder, dass wir irgendwann den Namen Gingerbread-Girls weghatten. Wisst Ihr noch, was Carol immer gesagt hat? Ihr haltet zusammen wie Pech und Schwefel.

Das fehlt mir. Ich weiß, wir sind alle älter geworden, und jede hat ihr eigenes Leben gelebt, aber mir fehlen diese Sommer und die innige Beziehung zu Euch. Das ist das Einzige, was ich jetzt richtig bedaure – dass wir nie Zeit gefunden haben, uns wieder einmal zu treffen. Nun ist es zu spät. Ich werde Euch alle nicht mehr sehen.

Versprecht mir, dass Ihr Euch verabredet. Versprecht mir, dass es die Gingerbread-Girls auch in Zukunft geben wird. Versprecht mir, dass Ihr Euren Träumen folgt, über die wir uns damals am See unterhalten haben. Meinen Stein besitze ich noch. Manchmal nehme ich ihn in die Hand und denke an jene herrliche Zeit.

Für mich wart und seid Ihr die besten Freundinnen, die man sich denken kann, und ich werde für die gemeinsamen Sommer mit Euch immer dankbar sein.

Melissa

Die Buchstaben verschwammen vor Emilys Augen. Bebend holte sie Luft, ließ den Brief neben den Computer sinken und legte den kleinen Stein darauf, den sie seit fünfzehn Jahren wie einen Schatz verwahrte. Vielleicht sollten die Gingerbread-Girls, wie sie sich damals nannten, sich wirklich wieder einmal treffen.

Kurz entschlossen schickte sie an Andrea und Casey eine Mail mit ihrer Handynummer und lud sie ins Gingerbread Inn ein. Ob sie es wohl einrichten konnten, spontan herzukommen?

Jemand klopfte an die Tür. Es war Carol. „Du kommst genau richtig!“ Emily lachte bitter. „Ich habe eine echte Schreibblockade. Mir fällt nicht einmal das erste Wort ein.“

„Und ich habe Kaffee und Kekse für dich, das sollte helfen“, meinte Carol. „Aber deswegen bin ich nicht hier. Jemand möchte dich sprechen.“

„Mich?“ Wie konnte das sein? Sie hatte niemandem gesagt, wohin sie fahren würde. Niemand war in der Lage, sie so schnell zu finden. Niemand außer … „Cole. Ist Cole da?“

Carol lächelte verschmitzt. „Wie hast du das erraten? Ja, er wartet unten. Er möchte mit dir reden.“ Anscheinend war Emilys Gesicht wie ein offenes Buch. „Ist alles in Ordnung, Kleines? Soll ich ihm sagen, dass er später wiederkommen möchte?“

„Nein.“ Emily kannte Cole. Ein Nein würde er nicht akzeptieren. Das machte ihn beruflich so außerordentlich erfolgreich, aber gleichzeitig zu einem unerträglichen Ehemann. Er musste gewinnen, koste es, was es wolle. Als sie sich kennenlernten, dachte sie, dass er sie unbedingt haben und mit ihr zusammenleben wollte, mehr als alles andere auf der Welt. Sie täuschte sich. Ihm ging es nur um den Erfolg. Und diese Haltung übertrug sich im Lauf der Jahre auch auf alle privaten Dinge, auf alles und jedes. Emily hatte endgültig genug davon. Sie wollte die Trennung.

Doch Cole akzeptierte ihren Entschluss nicht.

„Gib mir nur eine Minute, dann komme ich runter.“

„Natürlich. Nimm dir so viel Zeit, wie du willst.“ Mitfühlend berührte sie Emily am Arm. „Falls es dir hilft – er sieht richtig schlecht aus.“

Emily bedankte sich und schloss die Tür hinter ihr, bevor sie sich in dem ovalen Spiegel über der antiken Kommode betrachtete. Sie hatte noch ihren hellblauen Pyjama an, die Haare waren nachlässig auf dem Kopf zusammengebunden und sie trug kein Make-up. Ein Bild, das nicht im Mindesten dem entsprach, das die Welt von Cole Watsons Ehefrau kannte.

Perfekt.

Emily machte sich nicht einmal die Mühe, die widerspenstigen Haarsträhnen zurückzustreichen, sondern stand auf, verließ den Raum und ging nach unten. Ihr war es egal, was Cole denken mochte. Früher hätte sie sich wegen jeder Falte, jedes kleinen Flecks und ständig darüber Gedanken gemacht, wie sie als Frau des Firmenchefs wirkte. Damit war Schluss. Sie würde wieder die werden, die sie vorher gewesen war.

Cole stand am Fenster, mit dem Rücken zu ihr. Er trug einen maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug, der seine breiten Schultern betonte. Sein dunkles Haar war jetzt ein wenig länger und berührte knapp den Hemdkragen. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, wie jedes Mal, wenn sie ihn sah. Das hatte sich nicht geändert – noch immer fand sie ihn unglaublich attraktiv.

Er drehte sich langsam um, als sie auf ihn zukam, so, als hätte er ihre Anwesenheit gespürt. „Was machst du hier?“, wollte er barsch wissen.

Die knappen Worte waren wie eine eisige Dusche. Was hast du denn erwartet? fragte sie sich. Sie waren nicht mehr zusammen, das musste auch ihr Herz irgendwann begreifen. „Wie hast du mich gefunden?“

„Es gibt nur einen Ort auf der Welt, der dir wirklich fehlt, hast du einmal gesagt. Also habe ich zuerst hier gesucht. Zu Recht, wie man sieht.“

Aha, daran hatte er sich erinnert. Warum hatte er sich dann geweigert, die gemeinsamen Probleme zu sehen? „Wo ich mich aufhalte und was ich dort tue, geht dich nichts mehr an, Cole.“

„Du bist meine Frau, Emily.“

„Wir leben seit einem halben Jahr getrennt. Es ist aus, Cole.“

Flüchtig glaubte sie, einen schmerzlichen Ausdruck über sein männlich markantes Gesicht gleiten zu sehen. Doch sie konnte sich auch getäuscht haben.

„Trotzdem sollte ich zumindest wissen, wo du dich aufhältst. Falls irgendetwas passiert.“

„Nun, jetzt weißt du es.“ Sie wandte sich ab.

Er kam hinterher, streckte die Hand nach ihrer aus, besann sich jedoch, als wäre ihm eingefallen, dass sie nicht länger zusammen waren. „Warte“, sagte er. „Geh nicht. Ich möchte mit dir reden.“

Als sie in seine blauen Augen blickte, hielt sie unwillkürlich den Atem an. Emily ärgerte sich darüber, dass er immer noch diese Wirkung auf sie hatte. „Wozu, Cole? Es würde ja doch nichts ändern. Und jetzt …“ Sie seufzte schwer. „… lass mich gehen. Bitte.“

Emily verließ den Raum, und Cole folgte ihr nicht. Oben an der Treppe blieb sie stehen, bis sie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel. Dann ging sie zurück in ihr Zimmer, legte eine Hand auf ihren Bauch und sagte sich, dass sie richtig gehandelt hatte.

Minutenlang stand Cole auf der maroden Veranda. Wie hatte es so weit kommen können? Was hatte er übersehen?