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Als man an jenem schwülen Sommerabend die Leiche Barbara Lamonts fand, da glaubte Sheriff O'Hara noch, es würde sich um eines jener mysteriösen Verbrechen handeln, die niemand begangen hatte - nirgends war ein Hinweis auf den Täter zu finden.
Für den trinkfreudigen Sheriff brachen düstere Tage an...
Der Roman Die Straße zum Schafott von S.-A. Steeman (* 13. Januar 1908 in Lüttich; † 15. Dezember 1970 in Menton) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1966.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Die Straße zum Schafott in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
S.-A. Steeman
Die Straße zum Schafott
Roman
Apex Noir, Band 12
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DIE STRASSE ZUM SCHAFOTT
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Als man an jenem schwülen Sommerabend die Leiche Barbara Lamonts fand, da glaubte Sheriff O'Hara noch, es würde sich um eines jener mysteriösen Verbrechen handeln, die niemand begangen hatte - nirgends war ein Hinweis auf den Täter zu finden.
Für den trinkfreudigen Sheriff brachen düstere Tage an...
Der Roman Die Straße zum Schafott von S.-A. Steeman (* 13. Januar 1908 in Lüttich; † 15. Dezember 1970 in Menton) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1966.
Der Apex-Verlag veröffentlicht Die Straße zum Schafott in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
Das heraufziehende Gewitter unterbrach Frank Sinatras Top Love mit knisternden Geräuschen. Auf der Windschutzscheibe erschienen die ersten Regentropfen, alle hundert Meter tauchten weiße Reklameschilder auf, immer schreiender: De Luxe, De Luxe. Über dem Sabaoth und den dunstigen Höhenzügen von New Valley zuckten Blitze über einen pistaziengrünen Himmel.
George Lamont trat das Gaspedal durch. Er war schlecht gelaunt. Ein gewitzter Kerl wie er hatte sich von Hayes, diesem Lackaffen, reinlegen lassen! Hayes und seine kurzfristige Option. Seine geheimen Absprachen. Diese verdammten Gardenien. Hayes mit dem italienischen Schnurrbart! Immer und überall Hayes! Zum Glück war der Alte beim Schwertfischfang und würde nicht vor dem Fünfzehnten zurückkommen. Aber wenn er zurückkam - an diesem Tag musste der heilige Georg den armen George beschützen!
Da war die Brücke über die Witham. Die Lichtung. Die Mustermeierei der Ilkes. Der Wespenpfuhl. Ein letztes Schild wie ein Wegweiser an der Kreuzung: De Luxe.
Green Corner.
George Lamont bog nach rechts ein, und das weiße Licht seiner Scheinwerfer streifte panoramaartig eine Reihe neuer Häuser in kleinen Gärten, über ein verbeultes Kinderauto, über einen leeren Schaukelstuhl auf einer Veranda, auf die Licht aus einer offenen Tür fiel. Major Hawkins sprengte seinen Rasen! Als ob sich darum nicht bald der Himmel selbst kümmern würde! Crowthers fütterte seine angeblich persischen Katzen, die trotz ihrer vornehmen Abstammung ständig die Mülltonnen inspizierten. Mrs. Kairnes in Pionierkleidung und Gartenhut winkte und rief ihm irgendetwas Unverständliches zu. Er schenkte ihren Worten keinerlei Beachtung. Mrs. Kairnes, eine nicht hinreichend getröstete Witwe, hatte immer, an jedem Tag und zu jeder Stunde, irgendetwas Unverständliches zu sagen: über die Politik des Weißen Hauses etwa, das lose Treiben der Beatniks oder die Rassentrennung. Als gute Südstaatlerin hasste sie mit Inbrunst.
Dolce Vita, das letzte Landhaus an der Straße, lag mit seiner Rückfront zur Heide hin. George Lamont hatte die Pläne für das Haus selbst entworfen, hatte auch alle Materialien bis hin zu den Dachziegeln selbst ausgesucht. Das war noch zu einer Zeit gewesen, da er alles auf Kredit kaufte und der Verlauf der Straße noch nicht feststand. Wenn jemand sich wunderte, dass man ihn, den ersten Bauherrn, heute am Ende der Straße suchen musste, pflegte George grimmig zu antworten, dass er eben alles am falschen Ende begonnen hatte. Wenn man ihn dann noch leichtsinnigerweise fragte, warum er das Haus Dolce Vita genannt hatte, fluchte George wie ein Heide und schickte den Neugierigen zu Barbara, seiner jungen Frau, die heuchlerisch vorgab, den Namen selbst erfunden zu haben. Von dieser Behauptung ließ sie sich nicht wieder abbringen, auch nicht durch versteckte Hinweise auf die wachsende Verbreitung italienischer Filme.
Barbara - Babs genannt. Bald, am Zwanzigsten, war es fünf Jahre her, dass er sie, einen Trenchcoat über ihr Revuegirl-Trikot geworfen, zum Traualtar geführt hatte. Diesen Tag durfte er nicht vergessen, wenn ihm seine Ruhe lieb war.
George Lamont stieg aus dem Wagen, dessen Scheinwerfer seinen Schatten grotesk verzerrten, als er die Schiebetüren der Garage öffnete. Er bemerkte, dass er heftig schwitzte: die Wäsche klebte ihm auf der Haut, der Anzug war reif zum Bügeln.
»Ein Schwein, dieser Hayes«, brummte er. »Soll er mich doch mit seinen Gardenien...!« Glatt könnte der sich ein Treibhaus leisten.
Ein kurzes Aufbrummen des Motors, die Scheinwerfer erloschen. Frank Sinatras Stimme erstarb. Leises Klirren der Schlüssel.
George Lamont schloss die Garagentüren hinter seinem Chevrolet. Wieviel Gerümpel sich in der Garage angesammelt hatte, da musste er unbedingt an einem Sonntag Ordnung schaffen. Vielleicht hätte er Barbara besser anrufen und sie von seinen geschäftlichen Abhaltungen verständigen sollen, wie er es fast jeden dritten Tag tat. Jetzt würde sie ihm mit Fragen zusetzen, auf die er keine Antwort wusste, sie würde ihn in alberner Weise aufziehen, ihn Saufbruder oder auch nur Säufer nennen, wenn er Anstalten treffen wollte, sich mit einer Flasche Bowlon in seinem Büro einzuschließen - das einzige, worauf er jetzt Lust hatte, die einzige Therapie gegen das Hayes-Leiden -
Eine Katze - sicher eines dieser pseudo-persischen Viecher von Crowthers - miaute hinter einer Hecke. Die Eukalyptusbäume verströmten vor dem Gewitter einen starken Duft, der die Bronchien aller Asthmatiker von Green Corner hätte durchpusten können. Man musste Asthmatiker sein, um sich in Green Corner wohl zu fühlen. Asthmatiker oder Spießbürger. Asthmatiker und Spießbürger, entschied George Lamont.
Zwei junge Zypressen standen links und rechts von dem Briefkasten. Auf der Holztreppe, die freischwebend zum ersten Stock führte - nach wie vor der Einfluss italienischer Filme -, stutzte er. Barbara hatte das Außenlicht nicht eingeschaltet, wie sie es doch immer tat, wenn sie auf ihn wartete. Außer im Schlafzimmer brannte nirgends Licht, und der teerosenfarbene Schimmer rührte von der Nachttischlampe her.
Sie liest, dachte George und warf Tasche, Hut und Mantel auf den erstbesten Stuhl.
»Hallo, Liebling, ich bin’s«, rief er und ging zu der Bar in der Ecke des Wohnzimmers. Auf einem Tisch standen eine Flasche Tom Collins, das Lieblingsgetränk Barbaras, sowie zwei Gläser; in einer Vase steckte ein Strauß frischer Blumen. Barbara schien Besuch gehabt zu haben, obwohl die beiden Gläser nicht benutzt waren.
Das Radio war zu laut eingestellt, dröhnend verlieh es dem einschmeichelnden Organ Frank Sinatras das Volumen der Stimme des verstorbenen Mario Lanza.
»Babs, schläfst du?« Lamont nahm einen Schluck aus der Flasche. »Babs!«
Er ging zu der Treppe mit dem schmiedeeisernen Geländer, als Sinatras Stimme unvermittelt erneut erstarb.
Kurzschluss.
Lamont begann zu fluchen. Er gehörte zu den Menschen, die äußere Schwierigkeiten in Weißglut zu bringen vermögen.
»Babs! Bist du gestorben?«
Im Schlafzimmer, dessen Tür offenstand, war es stockdunkel, vielleicht weil der Wind die Fensterläden zugeschlagen hatte, wahrscheinlich aber wegen der plötzlichen Finsternis.
»Babs!«, flüsterte Lamont. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. »Babs, bist du da?«
Sie musste da sein, er konnte sie atmen hören.
»Babs! Antworte doch!«
Was sollte dieses alberne Spiel?
In diesem Augenblick zeigte ein Blitz sie ihm.
Sie lag rücklings auf dem Bett und war bis zur Taille entblößt. Den Kopf knapp über dem Teppich, die roten Haare ausgebreitet, blickte sie ihn starr an.
»Babs! Was ist...?«, begann er zu Tode erschrocken. »Was ist..,?«, wiederholte er mit dumpfer Stimme.
In diesem Moment zuckte ein neuer Blitz auf, und er sah den Mann. Bis dahin hatte er sich hinter der halboffenen Tür versteckt, nun wollte er gerade verschwinden. Der Mann trug einen Hut, dessen Krempe sein fahles Gesicht beschattete, und eine Lederjacke, die ihn unbeholfen erscheinen ließ. In der Hand hielt er einen Revolver, aus dem zwei orangenfarbene Flammen züngelten.
Von der Gewalt der Geschosse zurückgeworfen, fiel George mit dem Rücken gegen die Wand und sank dann langsam in sich zusammen. In seinem Kopf läuteten Glocken. Ohne ihn zurückhalten zu können, sah er den Mann entfliehen, hörte, wie er die Treppen hinuntersprang und leise fluchte, weil er eine Stufe verfehlt hatte, hörte, wie sich die Eingangstür öffnete und von einem Windstoß wieder zugeschlagen wurde.
Er hat auf mich geschossen!
Den Mund voll Blut, schmerzverkrümmt und die ganze Welt verfluchend, kroch George Lamont Ewigkeiten später zu dem Bett.
Vielleicht atmete Babs noch?
Vielleicht war noch nicht alles aus, wenn er sofort einen Arzt holte!
Er stieß an ihren herunterhängenden Kopf, an ihre nackten, noch warmen Brüste.
Er musste telefonieren, musste Hilfe herbeiholen. Aber zunächst musste er ein Kopfkissen finden, irgendetwas...
Das Telefon stand unendlich weit entfernt auf dem Nachttisch.
»Hallo, Polizei... Polizei... Po...«
Samt Kopfkissen und Hörer sackte Lamont auf den noch warmen Körper seiner Frau.
Der Mörder nahm sich die Zeit, die Gartenpforte zu schließen und dem Kinderauto an der Straßenbiegung einen Fußtritt zu versetzen.
Wie um ihn an sein Verbrechen zu erinnern, erhellte ein Blitz kurz den Namen des Ortes, den er floh. Zwischen den beiden jungen Zypressen, die sich links und rechts von dem Briefkasten befanden, stand: Dolce Vita.
Larry Bones trug ausgeblichene Blue Jeans, und auf seinem struppigen Haar saß ein Strohhut ohne Boden, der an einen Heiligenschein erinnerte. Seit dem Morgengrauen fing er im Sumpf Frösche.
Gegen Mittag tönte von der Tankstelle eine Trompetenmelodie zu ihm herüber - Duck’s Soup. Der Alte rief ihn zu Tisch. Manchmal spielte der Duck’s Soup, manchmal The Onions.
Larry grinste. Er brauchte keine Trompete, um an die Essenszeit erinnert zu werden. Das besorgte schon sein Magen. Er ging nach Hause, wenn er Hunger hatte. Nicht vorher. Sollte sich der Alte ruhig die Lungen aus dem Leib blasen.
Larry durchpflügte den Sumpf mit einem Schöpfer, in den die Frösche, von dem darauf genähten roten Lappen offenbar völlig fasziniert, ganz von selbst hineinrutschten. Es gibt nichts Dümmeres als Frösche, dachte Larry, stachelte ihnen mit einem stumpfen Taschenmesser die hinteren Schenkel ab und warf sie wieder in den Sumpf. Laut Mr. Halley krepierten sie langsam. Laut Mr. Jamison wuchsen ihnen die Beine nach wie den Blindschleichen der Schwanz. Wenn das stimmte, hatte er dann vielleicht denselben Fröschen schon mehrere Male die Beine abgeschnitten?
»Beißen sie, Lazy?«, fragte eine Stimme hinter ihm, während sich zwei gleich große Schatten zwischen ihn und die Sonne schoben.
Larry spuckte ins Wasser. Immer musste irgendein Angsthase kommen und ihm diese Frage stellen.
»Kö-können Sie nicht sehen?«, brummelte er und zeigte auf den Haufen steifer Beine, die aus seinem Beutel quollen.
Er stotterte - und schielte - von Geburt an. Obwohl er neunzehn Jahre alt war, hielt man ihn trotz seiner ein Meter siebzig und seiner achtzig Kilo für knappe fünfzehn.
»Wieviel gibt dir Gaston für diese Schweinereien?«
»Je na-nachdem.«
Manchmal bestellte Gaston - Gaston Verdure, der ein vornehmes Restaurant in New Valley eröffnet hatte und stolz seine »Französische Küche« anpries - mehrere Dutzend. Ein andermal, wenn er keine Franzosen erwartete, setzte er ihn mit der Frage vor die Tür, was, zum Teufel, er mit solchen Anatomieabfällen anfangen solle.
»Nehmen wir einmal an, dass Gaston nichts mehr braucht. Nehmen wir weiter an, dass du keinen Abnehmer mehr findest. Würdest du weiter Frösche fangen?«
»S-s-sicher«, versetzte Larry.
»Warum?«
»Weil ich das mag.«
»Den Tieren weh zu tun, sie zu verstümmeln?«
»Sind ja nur Tiere«, entgegnete Larry. »Das ist erlaubt. Man muss die Sümpfe s-säubern.«
Irgendwann würde er eines da beiden Gewehre, die über dem Kamin hingen, herunternehmen, würde den Gewehrlauf mit Nägeln füllen...
Die beiden Schatten verdeckten ihm immer noch die Sonne.
»Ich habe gerade Lisa Carson getroffen. Mit einem Rothaarigen. Ist Schluss zwischen euch beiden?«
»Ich b-bin nie mit ihr gegangen.«
»Aber du läufst hinter ihr her.«
»Ich bin no-noch nie einem Mädchen hi-hinterhergelaufen...«
»Sag das mal Helen Wilkes.«
»Helen Wilkes ist eine Lü-Lügnerin.«
»Sie behauptet, du habest ihr einen Büstenhalter geklaut?«
»Was hätte ich mit einem Bü-Büstenhalter anfangen sollen?«
»Vielleicht einen Schöpfer draus machen?«
»Sch-scheiße«, knurrte Larry. »Ihr ko-kotzt mich an.«
Die beiden O’Hara, Vater und Sohn, behielten, obgleich sie Irländer waren, erstaunlich kaltes Blut.
Sean O’Hara, der Vater, fünfzig Jahre alt und noch im Besitz aller seiner Zähne, polierte mit dem Ärmel seinen Sheriffstern. Dublin O’Hara, sein Sohn und Gehilfe, polierte seinen Colt.
»Stars and Stripes«, bemerkte er leichthin und lauschte dem erneut aufklingenden Trompetensolo. »Ich glaube, Lazy, dass dein Erzeuger nervös zu werden beginnt.«
»S-soll er doch!«, erwiderte Larry grimmig. Wenn er zwei Menschen auf der Welt nicht ausstehen konnte, dann den Sheriff und seinen Sohn. »Und nennen Sie mich nicht immer Lazy! Ich heiße La-Larry.«
»Klar, Larry!«, erwiderte Dublin versöhnlich. »Wir nennen dich ja nur aus Freundschaft Lazy.«
Lazy Bones - was ja fauler Knochen bedeutete - sollte also freundschaftlich klingen. Wieder spuckte Larry ins Wasser. Eine feine Art, sich über ihn lustig zu machen. Aber ihr Benehmen würden sie nicht mit ins Paradies nehmen. Eines Tages würde er das Beil seines Vaters nehmen und dann...
»Wirst du uns die Rübe spalten, okay!«, nickte der Sheriff friedlich, als könnte er seine Gedanken lesen. »Los, nimm deinen Kram, wir gehen.«
»Wohin? Mir gefällt es hier.«
»Zu dir nach Hause. Wir bringen dich zurück in den Stall, Junge. Wir haben mit Mr. und Mrs. Bones ein Wörtchen zu reden. Über dich.«
»Es ist nicht ve-verboten, Frösche zu fangen«, protestierte Larry. »Es ist erla-laubt.«
»Darum geht es nicht.«
»Worum dann?«
»Um etwas anderes.«
Die beiden O’Haras zogen in Richtung Tankstelle los. Der Vater mit einer schwarzen mexikanischen Zigarre, der Sohn mit einem Kleeblatt zwischen den Lippen.
Larry, in Schweiß gebadet, dachte einen Augenblick lang daran, die Beine unter den Arm zu nehmen, zum Sabaoth zu laufen und sich dort zu verstecken. Aber sie würden ihn rasch erwischt haben.
Er nahm seinen Beutel und folgte ihnen widerwillig, wobei er wütend einen amputierten Frosch in den Sumpfboden trat.
Jonathan Bones, ein dicker Mann mit schwarz umränderten Glotzaugen, der in einem blauen schmierigen Mechaniker-Anzug steckte, wollte seine Trompete gerade erneut ertönen lassen, als er sie herankommen sah.
»Tag, Sheriff! Was für ein glücklicher Zufall!«, sagte er mit erzwungener Höflichkeit. »Tag, Dublin! Vermutete gar nicht, Sie in dieser Gegend zu treffen, nach allem, was da gerade passiert ist. Vergewaltigung und Mord... Glaubte Sie am Tatort, Spuren suchen und so...«
»Die arme Mrs. Lamont, Opfer eines sadistischen Würgers!« Mit einer Bratpfanne in der Hand stürzte Mrs.
Bones aus der Küche. »Und erst der arme Mr. Lamont, der immer so anständig war. Nach dem Echo of New Valley soll sein Zustand hoffnungslos sein?«
Der Sheriff lüftete seinen Hut, einen Stetson von makellosem Weiß, und wischte sich die Stirn:
»So ist es, Mrs. Bones, so ist es!«
»Im Echo steht, dass die Polizei eine Spur verfolgt?«
»Mehrere, Mrs. Bones, mehrere!«
Mr. Bones reinigte sein Trompetenmundstück.
»Mehrere? Sie haben also Spuren gefunden?«
»Einige.«
»Ich nehme an, es hat keinen Zweck zu fragen, welche?«
Der Sheriff setzte seinen Stetson wieder auf.
»Zu Beginn einer Ermittlung reden wir nicht gern viel darüber.«
Dublin wurde nervös, und wie immer, wenn er nervös wurde, schienen sich seine Sommersprossen zu vermehren.
»Dad«, erinnerte er den Sheriff, indem er auf seine Uhr zeigte, »wir haben nicht viel Zeit.«
»Du hast recht, Junge. Um die Wahrheit zu sagen, Mr. Bones, wir sind keineswegs infolge eines glücklichen Zufalls hier. Ich habe Ihnen und Mrs. Bones eine Frage zu stellen. Eine heikle Frage.«
»Heikel?«
Der Sheriff schnupperte.
»Brennt da nicht irgendetwas an, Mrs. Bones?«
»Ich rieche nichts.«
»Ich aber«, sagte der Sheriff bestimmt.
»Da kann überhaupt nichts angebrannt riechen«, trotzte Mrs. Bones. »Ich habe eben alles ausgedreht.«
»Ich schlage dennoch vor, dass sie einmal nachsehen, Mrs. Bones. Und zwar zusammen mit Larry. Vielleicht geben Sie ihm ein Stück...«
»Ich dachte, Sie wollten mich etwas fragen?«
Vater und Sohn O’Hara verständigten sich durch einen finsteren Blick.
»Ich habe tatsächlich eine Frage an Sie«, sagte der Sheriff geduldig. »Aber ich möchte sie zuerst Mr. Bones stellen. Ohne Zeugen. Wegen der Vorschriften.«
»Was so-soll das h-heißen?«, empörte sich Mrs. Bones und fing gleichfalls an zu stottern. »Was soll...«
Mr. Bones unterbrach sie:
»Mach keine Geschichten, nimm den Jungen mit. Der Sheriff wird dich rufen.«
»Ich habe aber keinen Hunger«, protestierte Larry. »Ich will b-bleiben.«
»Und ich sage dir, du sollst mit deiner Mutter gehen!«, bestimmte Mr. Bones in einem unerwarteten Anflug von Autorität. »Oder ich - ich...«
Er beendete den Satz nicht, aber seine erhobene Hand verkündete unmissverständlich seine Absicht.
Mrs. Bones, eine kleine schmächtige Frau mit glatten Indianerhaaren und Augen, die nicht weniger von Fältchen umstanden waren als die ihres Mannes, zeterte los:
»Oder was, Jonathan? Oder was? Versuch nur, Larry ein Haar zu krümmen! Was hat der Kleine dir getan? Er hat nun einmal keinen Hunger. Er will hierbleiben. Ist das ein Verbrechen? Hat er vielleicht nicht das Recht...?«
Dublin spielte den Vermittler und appellierte plötzlich an die Gebote der Gastfreundschaft.
»Ich habe seit heute Morgen nichts mehr in den Magen bekommen, Mrs. Bones. Hätten Sie nicht vielleicht ein Glas Milch für mich? Pasteurisierte?«
Die Antwort erfolgte automatisch:
»Habe ich nicht. Nur kondensierte.«
»Die tut’s auch«, meinte Dublin und drängte Mutter und Sohn vor sich her zur Küche.
Der Sheriff blieb mit dem Tankwart allein zurück und betrachtete nachdenklich seine Zigarre.
»Machen Sie sich jetzt mal keine Gedanken, Mr. Bones. Man macht sich heutzutage viel zu viele Gedanken über dies und jenes. Zu Beginn einer solchen Ermittlung müssen wir immer zuallererst die nächsten Nachbarn des Opfers befragen. Reine Routine, weiter nichts. Larry, zum Beispiel, ist doch dauernd unterwegs, er könnte vielleicht mehr als andere gesehen und gehört haben. Wo war Larry gestern Abend? War er zu Hause oder...?«
Mr. Bones begann erneut seine Trompete zu reinigen.
»Nein, er war nicht da. Er schleicht sich abends immer weg, statt zu schlafen. Trotz meines Verbots. Wissen Sie, die Kinder heutzutage...«
»Haben Sie gehört, wie er zurückkam?«
»Ja.«
»Wie spät war es da?«
»Elf Uhr. Ich tankte gerade einen Ford-Kombi auf. Er ist durch die Hintertür zurückgekommen.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nein. Wir reden nur wenig miteinander.«
»Wissen Sie, wo er war?«
»Nein, aber ich kann es mir denken. Er geht nie sehr weit. Manchmal steigt er auf die Mauer oder auf einen Baum und schaut zu, was die Nachbarn treiben. Da ist nichts Schlimmes dabei...«
Mr. Bones beschäftigte sich immer intensiver mit seiner Trompete. »Wissen Sie, er ist nicht schlecht, der Junge. Er ist vielleicht nur ein bisschen mit dem Verstand zurückgeblieben. Die Drüsen funktionieren nicht so richtig. Aber Doktor Murphy hat gesagt, das würde ganz plötzlich einmal kommen.«
»Aber sicher. Ganz bestimmt. Würden Sie jetzt bitte so freundlich sein und Mrs. Bones rufen - und bei Larry bleiben, ja? Danke.«
Mrs. Bones erschien aufgeregt in der Küchentür, ihre Haare waren in Unordnung, ihre Lippen zitterten.
»Mr. O’Hara. Sheriff O’Hara. Sie können Larry unmöglich verdächtigen...«
»Aber, aber. Ich will nur eines wissen, Mrs. Bones. Ist er gestern Abend weggegangen?«
»Gestern Abend?«
»Montag.«
»Er ist nicht weggegangen!«, sagte Mrs. Bones eifrig. »Er war die ganze Zeit mit uns zusammen.«
»So. Mr. Bones behauptet aber das Gegenteil. Er sagt, Larry sei nach dem Abendbrot weggegangen und erst gegen elf Uhr durch die Hintertür zurückgekommen.«
Mr. Bones drehte ihre Schürze zu einer Wurst zusammen.
»Larry war nicht weg!«, wiederholte sie trotzig. »Ich bin bereit, auf die Bibel zu schwören. Er hat mit mir Karten gespielt - in der Küche.«
»Wie kommt es dann aber, dass Mr. Bones...«
»Er schlief!«, sagte Mrs. Bones kurz. »Er ist als erster schlafengegangen. Er muss das mit einem anderen Abend verwechselt haben.«
»So? Ich dachte, die Tankstelle ist Tag und Nacht geöffnet?«
»Ja, ja. Aber jede dritte Nacht habe ich Dienst, und gestern war ich dran.«
»Das lässt sich leicht feststellen«, meinte der Sheriff. »Irgendein Autofahrer, der bei Ihnen tankte, wird wohl Vater und Mutter unterscheiden können. Also gut. Hat Larry inzwischen etwas gegessen?«
»Ein halbes Sandwich. Warum?«
»Weil er jetzt an der Reihe ist, Fragen gestellt zu bekommen. Aber in meinem Büro.«
Als Vater und Sohn O’Hara mit Larry die Tankstelle verließen, vernahmen sie plötzlich einen wütenden Schrei und gleich darauf ein misstönendes Geräusch.
Sie drehten sich um..