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Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Soziologie - Recht und Kriminalität, Note: 1,1, Universität Siegen (Fachbereich Soziologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Spätestens seit den Ereignissen in Lens (zur Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich 1998) dürfte ein Großteil der deutschen Bevölkerung wissen, was Hooligans sind: brutale Schläger, zurückgebliebene Jugendliche mit schlechter Kindheit, Neonazis und vor allem keine richtigen Fußballfans. Da sind sich vor allem die Offiziellen (von den Vereinen, vom DFB etc.) einig. Dass dieses Raster nicht so einfach über die gewaltbereiten Jugendlichen und jungen Männer gelegt werden kann, will ich mit dieser Arbeit richtig stellen. Ich will die Subkultur der Hooligans gründlich analysieren, um dabei die Vorurteile von den wirklichen empirisch nachgewiesenen Gegebenheiten zu trennen. Aus dieser Zielsetzung heraus lag dementsprechend das Hauptaugenmerk meiner Arbeit auf dem ersten Teil, in welchem ich versuchte, die besonderen Spezifika der Subkultur herauszufiltern. Dafür notwendig waren anfangs die klare Abgrenzung der Begriffe und die Erklärungen über die Geschichte des Hooliganismus, die auch die heutige Differenzierung der (deutschen) Fußballfanszene begründet. Nicht zuletzt sollten innerdeutsche Unterschiede dabei herausgearbeitet werden. Nach diesen Vorüberlegungen und Differenzierungen habe ich mich der Ursachenanalyse zugewandt. Schnell habe ich festgestellt, dass es nicht die Ursache für jugendliches Gewalthandeln gibt, deshalb war es notwendig mehrere (theoretische wie praktische) Ansätze zu erläutern. Schließlich habe ich mich den spezifischen Merkmalen und Verhaltensweisen der Hooligans gewidmet. Auch hier war es nicht mein Ziel, ein bestimmtes Raster anzulegen, nach dem Hooligans „erkannt“ und „entlarvt“ werden können, vielmehr war es mein Anliegen zu zeigen, wie viele Facetten diese Subkultur hat und wo Affinitäten zu anderen Jugend(sub)kulturen zu finden sind. Im zweiten Teil meiner Arbeit habe ich besondere Probleme – Hooligans würden vielleicht eher sagen: Aspekte – der Hooliganszene vorgetragen, die im ersten Teil noch nicht mit zum Ausdruck kamen. So werden die politischen Orientierungen der Hools, die Rolle der Medien, das Problem Länderspiele, die deutsch-holländischen Hooligan- und Fanbeziehungen und die Rolle der Frauen in der Szene aufgegriffen, um das Bild der Hooligans und ihrer Umstände zu verfeinern. Im letzten Teil schließlich beschäftige ich mich mit den Präventionsmaßnahmen. Prävention wird von allen Instanzen, die sich mit „Hooliganbekämpfung“ beschäftigen, groß geschrieben. [...]
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Veröffentlichungsjahr: 2004
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Vorwort
Ich muss ehrlich zugeben, vor einem halben Jahr hatte ich wenig Ahnung von Fußball und noch weniger Ahnung von Hooligans. Es wäre mir wahrscheinlich auch nicht in den Sinn gekommen, mich mit dem Thema weiter auseinanderzusetzen. Als es darum ging, ein Diplomarbeitsthema auszuwählen, hatte ich dementsprechend anfangs ganz andere Eingebungen. Da jedoch meine Vorstellungen nicht wirklich umzusetzen waren, musste ich mir ein anderes Thema einfallen lassen. In Überlegung mit meinem betreuenden Dozenten kam ich dann zum Thema Hooligans. Zunächst einmal konnte ich damit nicht viel anfangen. Nach einiger Zeit und Gedanken darüber entwickelte sich bei mir ein neugieriges Interesse am Thema. Ich fand es spannend, sich mal mit etwas zu beschäftigen, mit dem man sonst eigentlich nichts zu tun hat, d.h. an was man infolgedessen recht unvoreingenommen herangehen kann. Es reizte mich, sich in etwas theoretisch hineinzufinden und es neu geordnet zusammenzutragen.
Das Problem der ganzen Sache liegt natürlich auch auf der Hand: Mein jetziges Wissen (und natürlich das Wissen was hier abgedruckt ist) ist größtenteils angelesen oder „angehört“ von subjektiven Dritten, wie dem Fernsehen, Freunden und Fußballfans. Praktisch hatte ich wenig Möglichkeit direkt mit Hooligans in Kontakt zu kommen oder sie bei ihren Gewalttouren zu begleiten. Ich war in einigen Fan-Blöcken von der 1. Bundesliga bis zur Regionalliga, aber mehr als Fotos und Eindrücke konnte ich da für meine Arbeit nicht sammeln. Diesem Dilemma wohl bewusst, habe ich versucht in meiner Arbeit mehr die wirklichen Experten zu Wort kommen zu lassen, um diese anschließend kritisch gegenüberzustellen und daraus meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Es sei mir daher meine „praktische Unwissenheit“ verziehen.
Bedanken möchte ich mich bei meinem fachlichen Betreuer und Erstgutachter Dr. Thomas Meyer für die Unterstützung und die freie Hand bei der inhaltlichen Füllung meines Themas. Auch meinem Zweitgutachter Univ.-Prof. Dr. Thilo Eisenhardt gilt der Dank für die Korrektur.
Danken möchte ich auch meiner Familie, die mich für die Zeit der Arbeit wieder zu Hause aufgenommen hat und mir für die drei Monate weitestgehend die nötige Ruhe gewährt und den Rücken frei gehalten hat. Des Weiteren bei allen Freunden, die mich mit ihrem Wissen (besonders beim Thema Fußball) unterstützt haben. Für die grammatische und orthographische Korrektur möchte ich mich bei Matthias Zwarg bedanken.
Ina Weigelt
Zschopau, im Juli 2003
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Abkürzungsverzeichnis
a.a.O. am angegebenen Ort Abb. Abbildung ABM Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers ANS/NA Aktionsfront Nationale Sozialisten / Nationale Aktivisten AOR Akademischer Oberrat BMD „Bester Mob Deutschlands“ - Fan-/Hooligan-Gruppe in Hannover BRD Bundesrepublik Deutschland BSG Betriebssportgemeinschaft bzw. beziehungsweise ca. circa CCCS Centre for Contemporary Cultural Studies (Birmingham) D.h. / d.h. das heißt DDR Deutsche Demokratische Republik DFB Deutscher Fußballbund Dr. Doktor DSJ Deutsche Sportjugend DVU Deutsche Volksunion EG Europäische Gemeinschaft EM Europameisterschaft etc. et cetera - und so weiter evtl. eventuell f. folgende Seite FC Football Club / Fußball Club ff. folgende Seiten FIFA Fédération Internationale de Football Association - Internationaler Fußballverband FKK Freikörper-Kultur ggf. gegebenenfalls Hool(s) Hooligan(s) Hrsg. Herausgeber HSV Hamburger Sport-Verein IM Inoffizieller Mitarbeiter insbes. insbesondere ISDN Integrated Services Digital Network - digitaler Telefonstandard KOS Koordinationsstelle Fan-Projekte LKA Landeskriminalamt
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m. E. meines Erachtens mind. mindestens n. Chr. nach Christus NKSS „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NRW Nordrhein-Westfalen PD Privat-Dozent PKW Personenkraftwagen / Auto RAF Rote Armee Fraktion resp. respektive S 04 FC Schalke 04 S. Seite SED Sozialistische Einheitspartei Deutschland Sept. September SKB szenekundiger Beamte sog. so genannt(e) St. Sankt StGB Strafgesetzbuch u.a. unter anderem UEFA Union of European Football Association - Europäischer Fußballverband Univ.-Prof. Universitätsprofessor usw. und so weiter v. Chr. vor Christus v. a. vor allem VfB Verein für Ballspiele vgl. vergleich(e) WM Weltmeisterschaft z. T. zum Teil z.B. zum Beispiel ZIS Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze zit. zitiert
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Spätestens seit den Ereignissen in Lens (zur Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich 1998) dürfte ein Großteil der deutschen Bevölkerung wissen, was Hooligans sind: brutale Schläger, zurückgebliebene Jugendliche mit schlechter Kindheit, Neonazis und vor allem keine richtigen Fußballfans. Da sind sich vor allem die Offiziellen (von den Vereinen, vom DFB etc.) einig. Dass dieses Raster nicht so einfach über die gewaltbereiten Jugendlichen und jungen Männer gelegt werden kann, will ich mit dieser Arbeit richtig stellen. Ich will die Subkultur der Hooligans gründlich analysieren, um dabei die Vorurteile von den wirklichen empirisch nachgewiesenen Gegebenheiten zu trennen.
Aus dieser Zielsetzung heraus lag dementsprechend das Hauptaugenmerk meiner Arbeit auf dem ersten Teil, in welchem ich versuchte, die besonderen Spezifika der Subkultur herauszufiltern. Dafür notwendig waren anfangs die klare Abgrenzung der Begriffe und die Erklärungen über die Geschichte des Hooliganismus, die auch die heutige Differenzierung der (deutschen) Fußballfanszene begründet. Nicht zuletzt sollten innerdeutsche Unterschiede dabei herausgearbeitet werden. Nach diesen Vorüberlegungen und Differenzierungen habe ich mich der Ursachenanalyse zugewandt. Schnell habe ich festgestellt, dass es nicht die Ursache für jugendliches Gewalthandeln gibt, deshalb war es notwendig mehrere (theoretische wie praktische) Ansätze zu erläutern. Schließlich habe ich mich den spezifischen Merkmalen und Verhaltensweisen der Hooligans gewidmet. Auch hier war es nicht mein Ziel, ein bestimmtes Raster anzulegen, nach dem Hooligans „erkannt“ und „entlarvt“ werden können, vielmehr war es mein Anliegen zu zeigen, wie viele Facetten diese Subkultur hat und wo Affinitäten zu anderen Jugend(sub)kulturen zu finden sind.
Im zweiten Teil meiner Arbeit habe ich besondere Probleme - Hooligans würden vielleicht eher sagen: Aspekte - der Hooliganszene vorgetragen, die im ersten Teil noch nicht mit zum Ausdruck kamen. So werden die politischen Orientierungen der Hools, die Rolle der Medien, das Problem Länderspiele, die deutsch-holländischen Hooligan- und Fanbeziehungen und die Rolle der Frauen in der Szene aufgegriffen, um das Bild der Hooligans und ihrer Umstände zu verfeinern.
Im letzten Teil schließlich beschäftige ich mich mit den Präventionsmaßnahmen. Prävention wird von allen Instanzen, die sich mit „Hooliganbekämpfung“ beschäftigen, groß geschrieben. Wie dies praktisch verwirklicht wird, ist jedoch sehr unterschiedlich. So wird in der Sozialarbeit - allen voran in der Fan-Projektarbeit - Akzeptanz für die Lebenswelt und für die Bewältigungsstrategien der Fans gefordert. Dem gegenüber stehen die überwiegend repressiv orientierten Maßnahmen der Polizei. Auch die
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Regierung hat versucht, den Fußballausschreitungen Einhalt zu gebieten, indem sie im „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“ (und in anderen Gesetzen) Richtlinien für die Stadienordnung, bauliche Maßnahmen, für die Ordnerdienst u.a. aufgestellt hat. Schließlich und endlich beschäftigen sich auch die Vereine und ihr Dachverband der Deutsche Fußballbund (DFB) - wenn auch dürftig - mit dem „Hooliganproblem“.
Im Hinblick auf die nächste Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland bleibt zu sagen, dass es wohl naiv ist, zu glauben, die Ausschreitungen bei Fußballspielen werden sich von allein auflösen oder sich durch die Maßnahmen der verschiedenen Institutionen bedeutend verringern. Deshalb scheint es m. E. sinnvoll, sich mit dem Thema besonders in der Sozialarbeit auseinanderzusetzen, um weitere Strategien für die Praxis zu entwickeln, die es denn Jugendlichen erlauben, ihre Bedürfnisse auszuleben, ohne dabei Personen oder Sachgegenstände zu gefährden.
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„Hooliganismus ist eine männliche Form zivilen Ungehorsams, eine nichtpolitische Rebellion gegen die sinnlose Autorität des Alltags, ein Versuch, die von montags bis freitags aufgezwungene Rolle abzustoßen, aus dem langweiligen, abstumpfenden Spießerdasein auszubrechen - wenigstens für ein paar Stunden.“1
Um diese beiden Begriffe zu definieren, will ich zunächst einmal nach der Herkunft des Begriffes „Hooligan“ suchen. Ralf Ek hat herausgefunden, dass der Begriff zum ersten Mal im Jahre 1898 in einer englischen Tageszeitung im Zusammenhang mit Alkohol und exzessiver Gewaltanwendung auf öffentlichen Plätzen benutzt wurde2. Woher dieser Begriff jedoch kommt, ist sehr umstritten und es gibt viele Erklärungsversuche. Ek nennt zwei mögliche Abstammungen:„Zum einen könnte sich der Begriff auf eine irisch-stämmige Familie namens ‚Houliah’ beziehen, die landesweit wegen ihrer gewalttätigen und trinkfesten Mitglieder bekannt war und in volkstümlichen irischen und schottischen Liedern besungen wurden. Zum anderen könnte Hooligan aus einer missverständlichen Übernahme von ‚Hooley´s gang’ entstanden sein, einer Bande jugendlicher Straßenkrimineller.“3Eine weitere Variante besteht darin, „Hooligan“ als englischen Kunstbegriff anzusehen, der sinngemäß mit „Straßenrowdy“ oder „Halbstarker“ übersetzt wird. Oder der Begriff kommt vom irischen Wort „hooley“, was so viel heißt wie „Sauforgie“, und wurde zu Hooligan verdreht. Aber es gibt auch Begriffserklärungen, die davon ausgehen, dass der Begriff etymologisch nicht von der britischen Insel kommt, sondern aus dem slawischen Sprachgebrauch. Denn ca. seit 1900 wurde der Begriff parallel auch in Russland benutzt.
Für welche Variante man sich nun entscheidet, fest steht, dass ab etwa 1900 „Hooligan“ benutzt wurde, um Straßenkriminelle zu beschreiben und auch Männer, die durch rowdyhaftes Verhalten und enormen Alkoholkonsum auffielen4. Erst seit den 80er Jahren des
20. Jahrhunderts wurde in Deutschland und ca. 15 bis 20 Jahre zuvor in England der Begriff im Zusammenhang mit gewalttätigen Fußballfans verwendet. „Hooligan“ löste damit Begriffe wie „Fußballrocker“ oder „Fußballrowdy“5ab, denn - wie ich in Kapitel
1Farin, Klaus: generation kick.de. Jugendsubkulturen heute, 2001, S. 191
2vgl. Ek, Ralf: Hooligans. Fakten - Hintergründe - Analysen, 1996
3Meier, Ingo-Felix: Hooliganismus in Deutschland, 2001, S. 9
4vgl. Meier, 2001, a.a.O.
5Nachzulesen sind diese Begriffe in unterschiedlichsten wissenschaftlichen Büchern und Zeitschriften vor ca. 1980, sowie in vielen Artikeln der Presse, so z. B. im „Spiegel“, Ausgabe 48, 1982.
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2.2.1 noch näher beschreiben werde - nicht erst seit den 80er Jahren gibt es das Phänomen der Randalierer beim Fußball. Nun aber hatte sich die Fanszene in friedliche und randalierende Fans geteilt (siehe Kapitel 2.2.2). Bei der neuen „sichzu körperlichen Aus-einandersetzung bekennenden Gruppierung“6hatte sich der Begriff durchgesetzt und wurde genutzt um sich von den friedlichen Fans - den so genannten „Kutten“ und „Normalos“ (siehe Kapitel 2.2.2) - abzugrenzen.
Meier definiert nun Hooligans als„Personen, die im Umfeld von Fußballspielen und Ereignissen durch gewalttätige Aktionen gegen Personen und Sachen auffallen.“7Hooliganismus ist demzufolge die Zuschauergewalt, die aus der aggressiven Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Hooligangruppen gewaltbereiter junger Männer vor, während oder nach einem Fußballspiel entsteht.
Meier bezieht in die Definition des Hooliganismus die Subkulturkomponente mit ein: „Hooliganismuswird als eine gewalttätige Subkultur verstanden, deren innersubkulturell physisch gewalttätiger Aktionismus auf keiner ideologischen oder theoretischen Grundlage basiert.“8Damit will er auch die Subkultur von dem Vorurteil lösen, politischen oder gar rechtsradikalen Interessen zu unterliegen.9
„Augenscheinlich war die Gewalttätigkeit eine Art Protest. So gäbe es Sinn: Fußballspiele dienten als Ventil für heftige Frustrationen. So viele junge Leute waren arbeitslos geworden oder hatten überhaupt noch nie Arbeit gefunden. Folglich war die Gewalt eine Art Rebellionsoziale Rebellion, Klassenrebellion, irgend so was.“10
Ein wichtiger Aspekt bei der Beschreibung der Hooligansubkultur ist der Gewaltaspekt. Gewalt spielt bei den Hooligans eine zentrale Rolle, sie ist ein Machtinstrument, mit dem sie spielen, aber sie ist auch ein Aspekt, der den Jugendlichen und jungen Männern physisch, psychisch und strukturell widerfährt.
Devianz oder abweichendes Verhalten wird als einmalige oder dauerhafte Verletzung gegebener sozialer Normen verstanden. Was als abweichendes Verhalten gilt, entscheidet die jeweilige Gesellschaft. Da die Normen und das entsprechende Verhalten einem stän-
6Matthesius,Beate: Anit-Sozial-Front. Vom Fußballfan zum Hooligan, 1992, S. 111
7Meier, 2001, S.9, a.a.O.
8Meier, 2001, S. 12, a.a.O.
9Zwar gibt es Hooligans, die rechtradikale Haltungen haben, jedoch kann nicht von einer rechten Subkultur gesprochen werden (aber mehr dazu in Kapitel 3.1.1).
10Buford, Bill: Geil auf Gewalt. Unter Hooligans, 1992, S. 15
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digen Wandel unterliegen, ist das Urteil, ob es sich um deviantes Verhalten handelt, im Einzelfall sehr schwierig zu treffen.
Die physische Gewalt der Hooligans kann als abweichendes Verhalten von Jugendlichen verstanden werden, denn in der hiesigen Normalgesellschaft wird physische Gewalt weitestgehend abgelehnt. Hier liegt auch wieder ein Differenzierungspunkt zu „normalen“ Fußballfans, die sich eher noch an den Werten und Normen der Gesellschaft orientieren. So schreibt z.B. Gehrmann: „Fußballfanstragen ihren gepflegten Haß (‚Pflastersteine für die Schalker Schweine!’) im Stadion öffentlich vor wie Hooligans ihre Lust an der Gewalt offen ausleben.“11
Wollen wir nun aber den Gewaltbegriff näher bestimmen. Dass Gewalt nicht nur dann vorliegt, wenn „Blut“ fließt12, steht wohl eindeutig fest. Trotzdem scheint es lohnenswert, es noch einmal zu erwähnen, denn damit kann man sich die Frage stellen, „obnicht die vielfach gesellschaftlich geduldeten, legitimierten, ja manchmal sogar gepriesenen subtil verfeinerten Formen der psychischen und strukturellen Gewalt viel problematischer sind, viel mehr Schaden anrichten als manche der gesellschaftlich geächteten Formen körperlicher Gewaltanwendung.“13So möchte ich mich der Gewaltdefinition von Theunert anschließen, der schreibt:„Gewalt ist … die Manifestation von Macht und/oder Herrschaft, mit der Folge, und/oder dem Ziel der Schädigung von einzelnen oder Gruppen von Men-
11Gehrmann,Jayin Thomas/Schneider, Thomas: Fußballrandale. Hooligans in Deutschland, 1998, S. 178
12vgl. Brückner (1979), zit. aus Pilz, Gunter A: Jugend, Gewalt und Rechtsextremismus, 1994, S. 17
13Pilz, 1994, S. 17, a.a.O.
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schen.“14Zu dieser Definition gehören zwei Bestimmungskriterien: Erstes Kriterium der Gewalt ist, die „beidem oder der Betroffenen feststellbare Folge, die durch Gewalt bewirkte Schädigung[…]Das Ziel der Gewaltausübung tritt gegenüber der Folge in den Hintergrund, es ist sekundäres Bestimmungskriterium.“15Zweites Kriterium ist, dass sie an die „Ausübungoder Existenz von Macht und Herrschaft gebunden ist. Macht und Herrschaft gründen auf der Verfügung über Machtmittel, die die Voraussetzungen zur Gewaltanwendung schaffen.“16
Pilz geht weiter und lässt die sozialen Bedingungen in seinen Gewaltbegriff mit einfließen, die maßgeblich an der Gewaltentstehung beteiligt sind.17So fordert er, - anlehnend an Horn - dass„die Wirkungszusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Verhalten aufgedeckt werden. Dies gilt auch und gerade für die Gewalttätigkeit Jugendlicher, deren personales Gewaltverhalten überwiegend eine Folge gesellschaftlich produzierter, struktureller Gewalt ist.“18Für Pilz liegt die Gewalt des Individuums in der Umwelt bzw. der Lebenswelt des Menschen. Deshalb können gewalttätige Handlungen gesamtgesellschaftlich betrachtet unsinnig und falsch erscheinen, jedoch auf der Ebene des Individuums akzeptabel oder gar sinnvoll sein. So kann das Problem der Gewalt nicht so einfach gelöst werden. Oder wie es Pilz ausdrückt:„Wie jedes menschliche Verhalten ist auch das gewaltförmige Verhalten von Jugendlichen nur sachgerecht zu beurteilen und kann entsprechend auch nur sachgerecht darauf reagiert werden, wenn wir es in den Kontext übergreifender, gesellschaftlicher Probleme und Wertordnungen stellen.“19
Diese Lebenswelt ist für die Fußballfans und Hooligans die Sportwelt. Und der Kampf und die Gewalt im Sport sind dominant. So schreiben Pilz und Silberstein:„Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich im Sport im Zuge des Zivilisationsprozesses eine zunehmende Kontrolle von Affekten und expressiven Formen der Gewalt festmachen lässt. Dies führt einerseits zu einer Verlagerung zu instrumentellen Formen der Gewalt, andererseits aber auch zu einer sehr unterschiedlichen Ausprägung dieser Entwicklung in den verschiedenen Sportarten. Diese Ergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam für das Problem der Zuschauer- bzw. Fangewalt:
•Fans kommen überwiegend aus einem Sozialmilieu, in dem Gewalt- und Affektkontrolle wenig ausgeprägt sind;
•Fans haben offenbar im Umfeld von Fußballspielen gute Möglichkeiten, gesellschaftlich tabuierte Formen der Gewalt, also expressive Gewalt, auszuüben und auszuleben. Hier kann man aus sich herausgehen und kann alle Formen kontrollierten Han-
14Theunert(1987), zit. aus Pilz, 1994, S. 17, a.a.O.
15Theunert (1987), zit. aus Pilz, 1994, S. 17, a.a.O.
16Theunert (1987), zit. aus Pilz, 1994, S. 17, a.a.O.
17vgl. Pilz, 1994, S. 18, a.a.O.
18Pilz, 1994, S. 18, a.a.O.
19Pilz, 1994, S. 19, a.a.O.
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delns vergessen. Gleichzeitig kann man sich der großen Aufmerksamkeit der Medien sicher sein.“20
„Diese Fußballfanentwicklung unterliegt den allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen einer Normalisierungsgesellschaft mit standardisierten Verhaltensanforderungen.[…]Die Verhaltensdiskrepanz zwischen milieuspezifischer und der herrschenden standardisierten Form, die die Einpassung der Individuen in die bestehenden Verhältnisse garantieren soll[…],eskalierte in dieser gesellschaftlichen Entwicklungsphase im jugendlichen Subkulturbereich.“21
Beziehen möchte ich mich bei meinen Subkulturüberlegungen auf das Modell von Rolf Schwendter. Er definiert zunächst den Kulturbegriff, um die Negation dessen als Subkultur zu definieren. So ist für ihn Kultur „derInnbegriff alles nicht Biologischen in der menschlichen Gesellschaft. Oder, anders gesagt: Kultur ist die Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft.“22Das entsprechende Gegenteil dessen ist dann die Subkultur, wenn sich nämlich die Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. im nicht geringen Maße von denen der Machtträger (oder „herrschendenInstitutionen“)differenziert.23
Schwendter geht weiter und differenziert die Subkulturen - in Anlehnung an Hollsteinin„Teil- und Gegenkulturen“. „Teilkulturen“sind Konsum- und Kompensationskulturen mit hohen Integrationsgraden, die nicht aus der Jugend hervorgehen, sondern für die Jugend gemacht werden. Diese„Teilkulturen“sind für Schwendter weniger interessant. Die„Gegenkulturen“verstehen sich selbst (und wollen auch so verstanden werden) als Opposition gegen das bestehende System24, wobei er da wieder unterscheidet in„progressive“und„regressive“Subkulturen.25Schwendter beschreibt die Subkulturen so:
•„Die Normen, Institutionen etc. der progressiven Subkulturen dienen diesen dazu, den gegenwärtigen Stand der Gesellschaft aufzuheben, weiterzutreiben, einen grundsätzlich neuen Zustand zu erarbeiten.“26
•„Die Normen, Institutionen etc. der regressiven Subkulturen dienen diesen dazu, einen vergangenen Stand der Gesellschaft, Normen, die nicht mehr, oder nicht in
20Pilz, G.A./Schippert, D./Silberstein, W: Das Fußballfanprojekt Hannover, 1990, S. 17
21Matthesius, 1992, S. 104, a.a.O.
22Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur, 1978, S. 10
23vgl. Schwendter, 1978, S. 11, a.a.O.
24vgl. Schwendter, 1978, S. 11, a.a.O.
25vgl. Schwendter, 1978, S. 37f., a.a.O.
26Schwendter, 1978, S. 37, a.a.O.
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dieser Weise, in der gegenwärtigen Gesellschaft wirksam sind, wiederherzustellen.“27
Auch die „regressiven“ Subkulturen interessieren Schwendter nur peripher, da zur Zeit der Verfassung des Buches von Schwendter der allgemeine Zeitgeist mehr links schwebte, sprich man eine neue Gesellschaft mit neuen Normen, Werten etc. schaffen wollte. Die zwar schon wieder gegründete NPD hatte ihre ersten Erfolge gehabt, aber die Neonazi-Szene (die man ja im Sinne von Schwendter als regressiv bezeichnen kann) wurde weder als Subkultur noch als Jugendsubkultur ernst genommen.28Die„progressiven“Subkulturen teilte Schwendter dann wiederum in„rationalistische“ (anAnalysen, Praxis zur Majorität und zu unfreiwilligen Subkulturen, Selbstbestimmung und konkrete Arbeit an technischen Möglichkeiten hin orientiert) und„emotionale“(wichtig sind individuelle Freiheit, Entwicklung des Bewusstseins und allgemeine bis kosmische Futurologie) Subkulturen auf.29Dazu eine verdeutlichende Übersicht, die Schwendter aufgestellt hat:
Ein weiterer wichtiger Ansatz in der Subkulturforschung entwickelten das Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS), das 1964 gegründet wurde. Die Studien der britischen Subkulturforschung befassten sich vor allem mit den Herkunftsfamilien der Jugendlichen in Subkulturen. Und sie kamen zu ähnlichen Erkenntnissen wie Schwendter: Sie arbeiteten zwei Gruppen heraus: „dieSubkulturen der Arbeiterklasse und die Gegenkulturen der Mittelschicht“.30So wurde der Subkulturforschung immer wieder ein milieu- bzw. schicht-orientierter Ansatz zugeordnet.
27Schwendter, 1978, S. 37, a.a.O.
28vgl. Farin, 2001, S. 17ff., a.a.O.
29vgl. Schwendter, 1978, S. 40, a.a.O.
30Farin, 2001, S. 62f., a.a.O.
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Ein anderer Ansatz wird durch Wilfried Ferchoff gegeben, der sich von dem Milieuansatz löst, und stattdessen für ihn die Subkultur aufgrund der„Veränderungen des gesamtgesellschaftlichen Gefüges“entsteht.31
Matthesius schreibt in Bezug auf die Subkultur Hooligans der Individualisierungsthese (siehe auch Kapitel 2.3.1) noch einen entscheidenden Aspekt zu, denn die„die aufgezeigten milieuspezifischen Verhaltensweisen müssen jedoch aufgrund der Individualisierungsthese modifiziert werden. Zeigen die Jugendlichen der im Fußball sozialisierten Fans noch ausgeprägte milieuspezifische Verhaltensweisen auf, so haben sich diese im Zuge der Individualisierungstendenzen verändert. Milieugebundene Jugendliche unterliegen in der Sekundärsozialisation schichtenübergreifenden Sozialisationseinflüssen und neue, nicht dem beschriebenen Milieu zuzurechnende Jugendliche beteiligen sich heute an Fußballfanaktivitäten und verwässern ursprüngliche Handlungsabläufe und -vorgaben.“32
In meiner folgenden Arbeit möchte ich mich diesen Überlegungen anschließen. Die Hooligans sind nicht mehr nur aufgrund ihrer Herkunftsfamilie, bzw. ihrer Schicht (was ja die traditionelle Arbeiterschicht wäre) Hooligans, sondern weil sie sich frei für diese Subkultur entschieden haben. Darum gibt es auch Jugendliche aus der Mittelschicht oder gar der Oberschicht, die sich dieser Subkultur anschließen. Klar ist, dass ein Großteil der jungen Männer auch noch aus dem Arbeitermilieu (wenn man mal davon ausgehen möge, dass es dies in der Form noch gibt) kommen, weil es eine Szene ist, in der noch klassische Verhaltensweisen der männlichen Arbeiterklasse zelebriert werden (so z. B. das Männlichkeitsverhalten, Kampf, Solidarität, Konkurrenz etc.). Aber dazu mehr in den nächsten Kapiteln.
31Ferchhoff, zit. aus Meier, 2001, S. 12, a.a.O.
32Matthesius, 1992, S.21f., a.a.O.
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2.2.1 Geschichte von Krawallen bei sportlichen Großveranstaltungen, insbesondere bei Fußballspielen
„Der Fußball ist, darüber kann kaum ein Zweifel bestehen, sowohl Ausdruck wirklicher Konflikte wie Anlass, sie auszutragen. Was hat aber das Spiel selbst mit realen Konflikten zu tun? Wer die Spielstruktur des Fußballs untersucht, wird zunächst feststellen, dass richtige Kämpfe und Wettkämpfe gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen: Auch im Fußball wird, wie im wirklichen Leben, real gehandelt, auch eine sportliche Entscheidung kann von den Beteiligten sehr ernst genommen werden. Sieg und Niederlage können auch im Spiel ziemlich bedeutsam werden.“33
Gewalt im Zusammenhang mit sportlichen Großveranstaltungen gibt es schon, seit es den Sport bzw. die Zuschauer gibt. So sind bereits aus der Antike Zuschauerausschreitungen überliefert. Tacitus schreibt zum Beispiel über die Sicherheitsmaßnahmen der Dionysyen in Chios. Dort gab es nämlich sog. „Stock- und Peitschenträger“ (heute würde man sagen Polizeibeamte), die für Recht und Ordnung zu sorgen hatten und das ausdrückliche Recht der körperlichen Züchtigung hatten.34Die antiken Schriften raten, „beiFackelläufen, Wettkämpfen und anderen öffentlichen Veranstaltungen auf der Hut zu sein und durch überlegte Postierung von Sicherheitskräften an strategisch wichtigen Punkten jede Möglichkeit zum Aufruhr im Keim zu ersticken.“35In Delphi wurde um 450 vor Christus während Wettkämpfen das Mitnehmen von alkoholischen Getränken ins Stadion untersagt, nachdem es immer wieder zu Randalen von betrunkenen Stadionbesuchern kam.36
Middendorf zitiert folgende Geschichte, die sich ebenso gut in den heutigen Ligen abspielen könnte, jedoch aus dem Jahre 59 n. Chr. stammt:„In der Stadt P[ompeji] fand eine Wettkampfveranstaltung zwischen den Mannschaften von P[ompeji] und der benachbarten Stadt N[ivevia] statt. Als die Wettkämpfe begannen, feuerten die Zuschauer auf den Tribünen ihre Kämpfer lautstark an. Dann gab es zwischen den Parteien zuerst Schimpfereien, anschließend folgten Steine und schließlich gingen die Zuschauer beider Parteien mit Fäusten, Stöcken und Dolchen aufeinander los. Die herbeigerufenen Ordnungshüter schlugen wahllos in das Getümmel, so dass eine Panik ausbrach. Die Fliehenden schlugen blindwütig auf alles ein, was sich ihnen in den Weg stellte. 20.000 Zuschauer drängten schreiend aus dem Stadion, viele Menschen wurden niedergetreten, es gab einige hun-33Bausenwein,Christoph: Geheimnis Fußball, 1995, S. 252f.
34vgl. Pilz, Gunter A: Fußballfans - Ein soziales Problem?, in: Klein, Michael (Hrsg.): Sport und soziale Probleme, 1989, S. 161f.
35Pilz, in: Klein (Hg.), 1989, S. 161, a.a.O.
36vgl. Pilz, in: Klein (Hg.), 1989, S. 161f., a.a.O.
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dert Verletzte.“37Folge dieser Zuschauerausschreitung war, dass die Beamten, die das Spiel genehmigten, lebenslang verbannt wurden und dass in der Stadt Pompeji zehn Jahre lang keine Gladiatorenkämpfe durchgeführt werden durften.
Auch aus dem Mittelalter gibt es Überlieferungen von Zuschauerausschreitungen. So erließ der Bürgermeister von London 1314 ein Ballspielverbot, da es im Zusammenhang der Ausübung dieser Sportarten immer wieder zu Krawallen kam.
1848 wurden in Cambridge die ersten allgemeinen Fußballregeln aufgestellt (Konrad Koch verfasst 1875 in Braunschweig die ersten deutschen Fußballregeln). Erste Fußballvereine wurden gegründet und auch die Fußballfanszene entstand. Es gab erste Ausschreitungen, da Fußball als Kampf zwischen zwei rivalisierenden Gemeinden (Mannschaften) zelebriert wurde und die Zuschauer auf den Rängen Gebietsansprüche und reale Konflikte austragen wollten. Vor allem bei Spielen zwischen territorialen Nachbarnsog. Derbys38- war mit Krawallen zu rechnen, denn„im Derby kämpfen die Spieler nicht nur für sich selbst oder um des Fußballs willen, sondern im Namen einer Gruppe. Wenn die Spieler als Repräsentanten einer Gemeinschaft und als Vertreter von deren Idealen antreten, dann, so weiß die Konfliktsoziologie, sind die Auseinandersetzungen unerbittlicher als die, bei denen die Spieler nur ihre persönliche Kampfmotivation mitbringen.“39Der britische Soziologe Eric Dunning hat sich mit Forschungen über die Zuschauerausschreitungen in England seit ca. dem 19. Jahrhundert verdient gemacht. Von 1895 bis 1914 errechnet er ca. 200 Fälle von Ausschreitungen pro Jahr.
(Ohne Hooligans und Zäune:EinPolizist gegenüber der Menge im Spiel Brentford-Huddersfield im
37Middendorf, zit. aus Kirsch, Andreas: Gewalt bei sportlichen Großveranstaltungen, 2000, S. 82
38Benannt nach dem englischen Ort Derby, in dem lokal verbundene Vereine zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihre „Kämpfe“ austrugen.
39Bausenwein, 1995, S. 273, a.a.O.
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Im Gegensatz zum heutigen Hooliganismus waren die damaligen Aggressionen weniger gegen die gegnerischen Vereinsanhänger gerichtet, vielmehr hatten sie mit den konkreten Umständen des Spieles zu tun, wie zum Beispiel wenn die Zuschauer unzufrieden mit der Schiedsrichterleistung waren oder über das unfaire Spiel der gegnerischen Mannschaft oder über das überfüllte Stadion. So richtete sich die Gewalt eher gegen den Schiedsrichter oder gegen die Spieler oder gegen andere Fangruppen, was, mal abgesehen von den Derbys, auch damit zusammenhängt, dass zu den Auswärtsspielen wenig Fans mitreisten, einfach weil die (finanziellen) Möglichkeiten sehr beschränkt waren.40
Die uns heute bekannten Ausschreitungen im Zuge von Fußballspielen - die seit 1966 mit dem Begriff Hooliganismus (die Herkunft dieses Begriffes habe ich in Kapitel 2.1.1 schon näher erläutert) überschrieben werden - entwickelten sich erst ab ca. der Mitte des
20. Jahrhunderts. Eine nicht unwesentliche Rolle bei diesem Prozess spielten die Medien, so wurde z. B. 1960/61 zum ersten Mal im Fernsehen übertragen, wie Fußballfans ein Spielfeld stürmen. Und 1963 wurde von der Presse zum ersten Mal im großen Stil berichtet, wie die „Schlacht“ zwischen katholischen Anhängern des FC Everton gegen die protestantischen Fans der Glasgow Rangers anlässlich der inoffiziellen britischen Meisterschaften ausgetragen wurde. Schon in den 60er Jahren wurden bei Presse und Fernsehen spezielle „Randale“-Reporter eingesetzt, und mittlerweile waren die Ausschreitungen neben dem Spiel mindestens genauso wichtig, wie das Spiel selbst.41
In der Öffentlichkeit verbindet man den Hooliganismus (nicht zuletzt wegen der Medien) vor allem mit drei historischen Ereignissen: Heysel, Hillsborough und Lens:
•Am 29. Mai 1985 beim 30. Endspiel um den Europapokal der Landesmeister zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool ereignete sich im Brüsseler Heysel-Stadion die Katastrophe. 39 Menschen starben und 376 wurden zum Teil schwer verletzt, als die Zuschauer in Panik gerieten, weil englische Fußballrowdys die italienischen Fans mit Feuerwerkskörpern beschossen und überdies die Ränge des Stadions maßlos überfüllt waren. Tausende stürmten zu den Ausgängen und dabei wurden in dem Aufruhr Menschen niedergetrampelt und zerquetscht. Diese tragischen Ereignisse hatten zur Folge, dass englische Klubs für mehrere Jahre vom internationalen Spielbetrieb ausgeschlossen wurden und die Regierung Thatcher beschloss in ihrem eingerichteten „Kriegskabinett“ mehrere Sofortmaßnahmen, wie z. B. Alkoholverbot in den Stadien, Videoüberwachung, Erweiterung der Polizeibefugnisse, Undercoveragenten in den Fanblöcken. Auch europaweit wurden neue Si-cherheitsvorschriften in und um die Stadien durchgesetzt.
40vgl. Bausenwein, 1995, S. 318, a.a.O.
41vgl. Bausenwein, 1995, S. 315, a.a.O.
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•Sheffield 15. April 1989 - „DieAnhänger von Liverpool und Nottingham Forrest strömen auf das Stadion von Hillsborough zu, sie freuen sich auf das FA-Cup-Semifinale. Immer mehr stauen sich vor den Türen, viele kommen spät und sie wollen unbedingt noch hinein, also schieben sie die vor ihnen Stehenden vor sich her. Die Polizisten öffnen ein paar Tore, um den Druck draußen zu senken, die Polizisten sind nervös, sie haben Angst vor Hooligans, sie sind schlecht organisiert. Drinnen aber wird der Druck immer stärker, in einem Tunnel, der zur bereits hoffnungslos überfüllten Leppings Lane Tribüne führt, zerquetschen sie einander, weil sie, von hinten zusammengedrückt, vorne nicht über die ‚Sicherheitszäune’ rund ums Spielfeld kommen. 96 Fans sterben in der tödlichen, von ‚Sicherheitskräften’ aufgestellten Falle von Hillsborough.“42Ein Richter, der im Nachhinein Untersuchungen zu dieser Katastrophe durchgeführt hatte, empfahl im sog. „Tayler-Report“ die Umrüstung der Stadien von Stehplätzen zu Sitzplätzen. Mittlerweile gibt es bei allen Länderspielen und auch in der englischen Liga in den Stadien nur Sitzplätze. Auch in der deutschen Bundesliga soll das durchgesetzt werden, jedoch gibt es energische Gegenwehr von Seiten der Fans.
Nach diesen schweren Ereignissen, die bei weiten nicht alle waren, bemühte man sich auch in Deutschland intensiv darum, durch präventive und repressive Maßnahmen das Problem „in den Griff“ zu bekommen. Dadurch wurde das Ausmaß der Zuschauergewalt in der Mitte der 80er Jahre verringert. Bei der Europameisterschaft in Deutschland 1988 und der darauf folgenden Weltmeisterschaft in Italien 1990 kam es jedoch erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Nach der Wiedervereinigung erfolgte zudem eine weitere Belebung der Situation in Deutschland durch die neuen ostdeutschen Vereine und ihrem hohen Konfliktpotential seitens der Fans. So stieg die Zahl der Gewalttaten noch einmal an. Diese Situation führte zu der Entwicklung des „Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit“, das z.B. die Einrichtung von Fan-Projekten vorsah.
•Während der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich wurde nach dem Spiel Deutschland gegen Jugoslawien in Lens der französische Gendarm Daniel Nivel von mehreren deutschen Hooligans niedergestreckt und am Boden liegend weiter getreten und geschlagen. Durch diesen Übergriff erlitt Nivel solche schweren Verletzungen, dass er mehrere Tage im Koma lag. Schon Tage zuvor war klar, dass es an diesem Tag zu Ausschreitungen kommen würde und so fanden sich 600 bis 700 deutsche Hooligans - darunter viele Nazis (Augenzeugenberichten nach mehr als sonst) - an diesem Tag in Lens ein.
Durch diese Eskalation der Gewalt wurden - auch im Hinblick auf die Europameisterschaft 2000 in den Niederlanden und Belgien - die Präventionsaktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene weiter intensiviert. Zwar gelang es den deutschen Verantwortlichen, dass es in den Niederlanden und in Belgien zu keinen Ausschreitungen von deut-
42„DerStandard“ vom 15.04.1999
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schen Hooligans kam, jedoch gab es auch bei dieser EM wieder Randale, vor allem von englischen Hools.43
„Aber es ist möglich, sowohl die Gültigkeit bestimmter universeller deterministischer Modelle als auch die Differenzen anzuerkennen: in wichtigen politischen und ökonomischen Belangen ist die Gesellschaft im Umbau und Umschichtungen begriffen, ebenso wie sie in anderen Belangen von ihren konstanten Elementen beherrscht wird. Gewiss hat es in der Arbeiterschaft immer Gewalttätigkeit gegeben, besonders in Verbindung mit dem Fußballspiel, aber es ist auch richtig, dass die letzte Generation - oder möglicherweise die letzten zwei Generationen
- junger Fußballfans aus der Arbeiterschaft sich die Gewalttätigkeit auf eine besondere und unverwechselbare Art zu eigen gemacht haben.“44
Als Konrad Koch 1875 die ersten deutschen Fußballregeln niederschrieb, wurde damit der Grundstein für organisierten Fußball gelegt. 1900 wurde der Deutsche Fußballbund (DFB) gegründet, die Bundesliga wurde eingeführt und erste Vereine begannen, kommerziell Fußball zu spielen. Fußball wurde zwar schon lange Zeit vorher gespielt,45aber mit der Kommerzialisierung entstanden erste Fanclubs. Das Zuschauerverhalten änderte sich, aber auch die Erwartungen des Vereins an seine Zuschauer: „Nichtdas Vereinsmitglied, das durch Mithilfe und Beteiligung in den Ver-einsbetrieb involviert ist, sondern der zahlende Konsument, dem für viel Geld 90 Minuten Unterhaltung geboten werden sollte, wurde nun benötigt.“46Seit ca. den 70er Jahren stieg in Deutschland die Zahl der Fußballfans und es wurden vermehrt neue Fanclubs errichtet. Es entstanden Fanclubs, die sich zunehmend von der Rolle der konsumierenden Fans lösten und sich immer mehr den „gesellschaftlichenZwängen der standardisierten Verhaltensanforderungen“47entzogen. Es entstanden neue Formen des Fußballfandaseins. Auch die Gewalt in den Stadien nahm in dieser Zeit wieder zu. Heitmeyer schreibt dazu: „Danicht von einer homogenen Fußballfan-Szene auszugehen ist, stellt sich die Frage nach den unterschiedlichen Motiven. Wir unterscheiden eher konsumorientierte, fußballzentrierte oder erlebnisorientierte Motive, um Identitätsbestrebungen, Fußball und sozialen Alltag über das Erleben von Spannungssituationen miteinander zu verbinden.“48Wie nun diese drei Typen von Fußballfans sich im Detail unterscheiden, soll diese Übersicht verdeutlichen:
43vgl. Lösel, Friedrich/Bliesener, Thomas/Fischer, Thomas/Pabst, Markus A.: Hooliganismus in Deutschland, 2001, S. 7f.
44Buford, 1992, 283f., a.a.O.
45So soll schon der chinesische Kaiser Huang-Ti 2967 v. Chr. das sog. „T’su-Küh“ erfunden haben („T’su“ bedeutet ‚mit dem Fuß schießen’ und „Küh“ heißt soviel wie ‚ausgestopfter Ball aus Leder’).
46Matthesius, 1992, S. 81, a.a.O.
47Matthesius, 1992, S. 81, a.a.O.
48Heitmeyer, Wilhelm/Peter, Jörg-Ingo: Jugendliche Fußballfans, 1992, S. 31
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Austauschbarkeit im
Lebenszusammenhang Soziale Anerken-
nungsrelevanz Gruppenorientierung schwach; allein oder
Die Fußballfans hatten natürlich ihre eigenen Begriffe für diese drei Fan-Typen. So werden konsumorientierte Fans als „Neckermänner“ oder „Normalos“ bezeichnet, fußballzentrierte Fans als „Kutten“ und „Hools“ bilden einen Teil der erlebnisorientierten Fans.
Auch die Polizei hatte ihre eigenen Begrifflichkeiten, für die Einteilung der Fans, bei der sie sich an gewalttätigen Gesichtspunkten orientiert. So gibt es in Polizeistatistiken Fans der Kategorien A, B und C. Fans der Kategorie A stellen die 90 bis 98% der friedlichen Fans im Stadion dar. Fans der Kategorie B sind konfliktbereit, aber diese aggressiven Situationen entstehen meistens im Zusammenhang mit den sportlichen Ereignissen (z.B. bei Fehlentscheidungen des Schiedsrichters). Die „Kutten“ bilden einen Großteil dieser Personengruppe. Kategorie-C-Fans sind die Gewalttäter oder Hooligans, die das Fußballspiel zum Anlass nehmen, um Randale zu machen. Wie bei den Kategorie-B-Fans sind dies meist männliche Jugendliche und junge Männer im Alter von 14 bis 30 Jahren.
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Nun will ich aber noch einmal kurz auf die drei Gruppen „Neckermänner“, „Kutten“ und „Hools“ eingehen.
Die „Neckermänner“ oder konsumorientierten Fans wollen ein gutes Spiel sehen, und gehen deshalb oft nur dann ins Stadion, wenn die Mannschaft gegen einen interessanten Gegner spielt. Sie stehen nicht fanatisch hinter dem Verein, sie wollen, dass der Bessere gewinnt. Seltener sind Besuche von Auswärtsspielen oder bei Regen. Von anderen Fans werden sie oft als Spießer angesehen.49„Normalos“ lehnen „Kutten“ und „Hools“ ab, oft sind diese auch Anlass, dass der konsumorientierte Fan nicht ins Stadion kommt, sondern sich lieber das Spiel zu hause vor dem Fernseher anschaut. Trotzdem findet man bei den „Normalos“ auch eine „hoheemotionale Anteilnahme am Fußballspiel“50. Heitmeyer schreibt es folgendermaßen: „Fürdie konsumorientierten Fans steht das Erleben von Spannungssituationen, die von anderen dargeboten werden, im engen Zusammenhang mit Leistungsgesichtspunkten, während die soziale Relevanz weitgehend unbedeutend ist.“51D.h. die Leistung der Spieler steht im Mittelpunkt und Fußball ist für diesen Fan-Typ eine mögliche Freizeitbeschäftigung, nichtdieFreizeitbeschäftigung. Deshalb kommt ein „Neckermann“ auch oft allein oder mit wechselnden Personen ins Stadion, steht selten im Fan-Block (eher in der Gegengerade oder hat einen Sitzplatz) und ist auch nicht in Fan-Clubs aktiv.
„Kutten“ sind die traditionellen Fußballfans. Sie stehen hundertprozentig hinter ihrem Verein. Heitmeyer schreibt, dass für fußballzentrierte Fans „dasErleben von Spannungssituationen auch in engem Zusammenhang mit den sportlichen Darbietungen[steht, Anm. d. Verf.],ist aber nicht ausschließlich leistungsfixiert, sondern die (fast) absolute Treue, selbst bei sportlichen Misserfolg, zählt.“52Nach Heitmeyer suchen die meist jugendlichen Fußballfans Anerkennung. Im Fan-Block - das eigene Territorium - wird die Gemeinschaft zelebriert und Gruppenorientierung ist stark ausgeprägt.53Der Begriff „Kutte“ kommt von den Westen und Jacken (meistens aus Jeansstoff), die mit Aufnähern des bevorzugten Vereins selbst verziert wurden. Auch Autogramme auf den Kutten gehören mit dazu. Darüber hinaus befinden sich auf den Kutten„Anti-Vereins-Signets“54,bei denen die Hassgegner diffamiert werden (zum Beispiel durch „Tod dem…“). Seit den spä-49vgl.Engelin, Bruno: Ein Fan ist ein Fan ist ein Fan, in: Schulze-Marmeling, Dietrich (Hrsg.): „Holt Euch das Spiel zurück!“, 1995, S.102
50Krauss, Martin: Fußball und Gewalt, in: Schulze-Marmeling, Dietrich: Der gezähmte Fußball, 1992, S. 244
51Heitmeyer/Peter, 1992, S. 33, a.a.O.
52Heitmeyer/Peter, 1992, S. 33, a.a.O.
53vgl. Heitmeyer/Peter, 1992, S. 33, a.a.O.
54nach Engelin, in: Schulze-Marmeling (Hrsg.), 1995, S. 101, a.a.O.