Die Südstadtdetektive - Mathias Wünsche - E-Book

Die Südstadtdetektive E-Book

Mathias Wünsche

5,0

Beschreibung

Der dreizehnjährige M Punkt – die Kurzform für Marius Maximilian Magnus – erhält einen mysteriösen Telefonanruf. Der Anrufer behauptet, entführt worden zu sein – allerdings im Jahr 1969. Als M Punkt und seine Freunde beschließen, den Fall aufzuklären, befinden sie sich bereits mitten in einem unfassbaren Abenteuer zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Können sie es schaffen, das Opfer zu befreien, ohne dabei das Zeitgefüge der Welt gefährlich durcheinanderzubringen?

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Mathias Wünsche, geboren 1957 in Köln, schrieb im zarten Alter von acht Jahren seine erste Story, eine Science-Fiction-Kurzgeschichte. Sie ist leider unveröffentlicht und leider verschollen. Nach dem Studium der Sozialpädagogik ist er seit fast zwanzig Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe in Köln tätig. »Die Südstadtdetektive« ist sein erster Kriminalroman im Emons Verlag.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2014 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch und Franziska Emons Satz: César Satz & Grafik GmbH, Köln eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-736-9 Köln Krimi für Pänz Originalausgabe

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Wir dürften gar nicht hier sein

Ach herrje, in welchen Schlamassel sind wir da bloß wieder hineingeraten! Fabian, Tarik, Petit und ich befinden uns in einer wildfremden Wohnung. Und nicht nur das: Wir wissen, dass sich hier vor weniger als einer Stunde etwas Schreckliches und Ungeheuerliches abgespielt haben muss.

Mein Blick fällt auf das Telefon am Boden: schwarz, klobig, der Hörer ist daran mit einer Schnur verbunden. Und doch: Der Hilferuf, der mir noch immer eine Gänsehaut einjagt, kam von diesem vorsintflutlichen Gerät. Wäre das Ganze hier ein Film, würde jetzt dramatisch-schaurige Musik erklingen. Doch das hier ist kein Film, sondern die unfassbare Wirklichkeit!

Unfassbare Wirklichkeit?

Ich sehe es direkt vor mir, wie ihr ungläubig die Stirn runzelt und wie ihr eure Mundwinkel spöttisch nach unten zieht.

Ihr denkt, dass ich übertreibe?

Okay, dann lest weiter und ihr werdet eure Meinung ändern. Jede Wette!

Ich bemerke, wie sich Fabian neben mir in Bewegung setzt und mit kleinen Schritten vorsichtig zum Fenster geht. Die Sommersonne hat mittlerweile an Kraft verloren, die Abenddämmerung breitet sich aus. Am Fenster angekommen bückt sich mein Freund, streckt dabei die Hand aus, um etwas vom Fußboden aufzuheben.

»Nichts anfassen!«, raunt Tariks Stimme schroff durchs Halbdunkel. Fabian zuckt erschrocken zusammen, dreht den Kopf zu uns herum und mault: »Ich wollte doch bloß Petits Ball…«

»Pssst!« Tarik legt den Finger auf den Mund. »Willst du die komplette Nachbarschaft aufwecken?«, presst er stinkwütend zwischen den Zähnen hervor.

»Pah, immer motzt du mich an«, kontert Fabian aufgebracht. »Darauf hab ich langsam keine Lust mehr. Such dir jemand anderen, den du herumkommandieren kannst.«

Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, und mir tropft der Schweiß von der Stirn. Tarik will etwas erwidern, doch ich komme ihm zuvor: »Hey, Leute«, flüstere ich eindringlich, »jetzt bloß keinen Stress, die Situation ist schon spooky genug, dann müssen wir uns nicht auch noch in die Haare kriegen.« Tarik nickt zustimmend.

»Das ist korrekt, MPunkt«, erklärt er, wobei sich seine Miene verfinstert, »aber wir müssen uns hier mit äußerster Vorsicht bewegen. Jeder Schritt von uns könnte das Zeitgefüge komplett durcheinanderbringen. Und was das bedeuten kann, habe ich euch ja bereits erklärt.«

Tarik legt mir seine Hand auf die Schulter und sieht mich todernst an.

»Wir dürften gar nicht hier sein«, brummt er mit rauer Stimme, »oder besser: Wir können eigentlich gar nicht hier sein. Vergesst nicht, es ist Montag, der 21.Juli« Tarik macht eine kurze Pause, und ich muss unwillkürlich schlucken, bevor er das Unfassbare ausspricht: »1969! Verstehst du, MPunkt? Wir sind soeben in die Vergangenheit gesprungen! In das Jahr 1969… MPunkt, wir… wir sind Zeitreisende!«

Zeitreisende! Da seid ihr platt, was? Ich schätze, ich habe meine Wette gewonnen.

Wie und weshalb?, höre ich euch fragen.

Okay, die Geschichte hat unüberlesbar mit einem Zeitsprung zu tun.

Ich nehme an, es dürfte kein Problem sein, die Uhr eine Stunde zurückzudrehen, um flugs zum Anfang der Story zurückzukehren und euch in alles einzuweihen.

Mein Name ist MPunkt. Was das für ein Name ist? Hm, sagen wir mal, es handelt sich dabei um einen Decknamen. Ja, genau, wie es bei Geheimagenten so üblich ist. Alles Quatsch! Mein richtiger Name lautet Marius Maximilian Magnus. Noch Fragen? Was sich meine Eltern dabei gedacht haben?

»Wir konnten uns einfach nicht auf einen Namen einigen.« Meine Mutter nennt mich Marius, mein Vater Maximilian. Und wenn sie so richtig sauer auf mich sind, rufen sie gemeinsam: »Magnus!«

Ich bin dreizehn Jahre alt, habe dunkelblonde Haare und blaugrüne Augen. Den Abstand zwischen meinen Füßen und meinem Kopf würde ich als durchschnittlich bezeichnen, auch wenn meine Oma Lissy – sie ist die Mutter meiner Mutter– da anderer Meinung ist.

»Der Junge wächst ja gar nicht, und außerdem ist er viel zu dünn. Das Kind muss mehr essen!«

Sie sagt übrigens MPunkt zu mir. Mein Opa Ralf nennt mich ebenfalls so. Er ist Hauptkommissar bei der Polizei.

Ich besuche die siebte Klasse des Humanistischen Gymnasiums in der Kölner Südstadt. Das »humanistisch« soll wohl unsere Lehrer daran erinnern, mit uns Schülern human umzugehen. Kleiner Scherz.

In meiner Freizeit bin ich viel mit meinem Fahrrad oder den Inlinern unterwegs. Zweimal in der Woche gehe ich zum Judotraining, spiele mit meinen Freunden regelmäßig Fußball, mein Lieblingsverein ist übrigens Viktoria Köln. Ich stehe auf Punk- und Rockmusik, verschlinge kiloweise Fantasyromane und Batman-Comics. Doch am meisten reizt mich das Knacken von Geheimnissen.

Samstag, 21.07.2012, 19.15Uhr

Der Rest der Meute

Lara springt mit einem Satz aus dem Motorboot, rennt den Bohlensteg hoch, der direkt zum Blockhaus führt, und steht nun vor der massiven Holztür. Ihre Hand legt sich auf die Klinke, doch die Tür lässt sich nicht öffnen.

Mist, auf diesem Weg ist kein Hineinkommen möglich. Wäre auch zu einfach gewesen.

Sie tritt zwei, drei Schritte zurück, wirft den Kopf in den Nacken und schaut nach oben, suchend. Da, am Kamin bleibt ihr Blick hängen.

Das könnte gehen.

Lara wirbelt herum und entscheidet sich für die rechte Seite des Hauses. Die Regenrinne, darunter das Fass, da muss man nicht lange überlegen. Lara geht halb in die Hocke, stößt sich dann vom Boden ab und landet im nächsten Augenblick zielgenau auf dem äußersten Rand des vollen Wasserfasses. Eine winzige Verschnaufpause, dann zieht sie sich mit den behandschuhten Händen kraftvoll an der Rinne hoch, um kurz darauf mit beiden Füßen sicher auf dem Dach zu stehen.

Mühelose schreitet sie die Schräge empor, erreicht den Kamin, hüpft ein Stück in die Höhe, wobei sich ihre Finger am Sims festkrallen, und zieht sich mit einem Ächzen nach oben. Da steht sie nun, hoch droben und blickt in den tiefschwarzen Schlund des Kamins.

Soll sie wirklich springen?

Was erwartet sie dort unten?

Etwa eine Handvoll Ganoven, schwer bewaffnet? Und wird sie den Aufprall überhaupt unbeschadet überleben?

Ich zögere und kaue nervös auf meiner Unterlippe herum.

»Nun mach schon!«, höre ich Lara neben mir quengeln. »Meine Namensnichte wartet auf deinen Befehl.«

»Hey, das ist das letzte Level, und ich will es nicht versaubeuteln, indem ich eine falsche Entscheidung treffe!«, erwidere ich entnervt. Ich hänge noch ein »Nee, so kann ich nicht arbeiten« dran, drücke auf die Taste »Speichern« meines Gamepad und lasse mich auf dem Sofa erschöpft zurückfallen.

»Klaro. Jetzt ist der Herr MPunkt wieder mal beleidigt und zieht sich in seine Schmollecke zurück.«

Darf ich vorstellen: Lara Schätzer! Nicht zu verwechseln mit Lara, meiner computeranimierten Lieblingsheldin. Im Gegensatz zur virtuellen Lara kann die Reality-Lara eine ganz schöne Kratzbürste sein.

Sie ist ebenfalls dreizehn, geht in dieselbe Klasse wie ich und hat ziemlich reiche Eltern. Lara träumt davon, einmal ein berühmtes Topmodel zu werden. Okay, das Aussehen hat sie: lange blonde Haare und große braune Augen. Sie behauptet, größer zu sein als ich, was ich jedoch für reines Wunschdenken halte. Na ja, egal. Eigentlich ist Lara ganz nett, wenn sie will. Außerdem ist sie ein ziemlich helles Köpfchen und gefürchtet schlagfertig. Ihre Zunge ist mitunter scharf wie ein Schwert, und sie lässt sich nicht so schnell einschüchtern.

Yo, und wo wir gerade beim Vorstellen sind, hier der Rest der Bande:

Neben ihr sitzt Yagmar. Sie ist mit vierzehn die Älteste und die mit Abstand Vernünftigste von uns. Yagmar ist die große Schwester von Tarik und Can. Sie geht in die neunte Klasse des Bertolt-Brecht-Gymnasiums und will mal Psychologie studieren.

Der, der gerade mit einem Stück Pizza im Mund aus der Küche trabt, ist Fabian. Ein Riesentyp und das im wahrsten Sinne des Wortes. Fabian ist gut zwei Köpfe größer als ich, obwohl er ein knappes Jahr jünger ist.

Lara stichelt zwar oft, er sei zu dick, ist er aber nicht. Fabian ist halt kräftig gebaut. Seine dunkelbraunen Haare trägt er meist zerzaust, und er legt im Allgemeinen nicht so viel Wert auf Äußerlichkeiten. Fabian sitzt in der Klasse neben mir. Und auch wenn es manchmal so scheint, als würde er auf der Leitung stehen, so ist er doch ein großartiger Kumpel, mit dem Herz eines Löwen, der Ungerechtigkeiten überhaupt nicht abkann.

Dann haben wir da noch Tarik: the Brain. Er ist zwar erst dreizehn, wirkt jedoch älter. Körper und Geist, ihr versteht schon. Er ist in fast allen Wissensbereichen ein Genie. Tarik möchte später mal Physik studieren. Zudem ist er ein geschickter Judoka und hat es schon bis zum braunen Gürtel gebracht.

Der Typ, der gerade zum tausendsten Mal den Tennisball gegen die Wand wirft, obwohl er das nicht soll… ähm, Moment…

»Hey, Can, du nervst! Wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass meine Eltern nicht auf Ballabdrücke auf ihren Wohnzimmerwänden stehen?« ’tschuldigung. Ja, das ist Can. Berufswunsch Macker und der größte Sprücheklopfer auf zwei kurzen Beinen, den die Menschheit je verkraften musste. Okay, okay, das ist ein bisschen übertrieben. Aber nur ein bisschen.

Can ist zehn und an manchen Tagen nur schwerlich zu ertragen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Oh Mann, jetzt fang ich schon an zu rappen. Nee, soooo schlimm ist er eigentlich gar nicht. Bildet euch eure eigene Meinung, ihr werdet ihn ja noch im Laufe der Geschichte näher kennenlernen.

Tja, und dann wäre da noch Rosa, die von uns allen Wirbel genannt wird, und ihr über alles geliebter Petit. Wirbel ist die jüngere Schwester von Fabian, und obwohl sie gerade mal neun ist, ist sie enorm mutig und schreckt vor keinem Abenteuer zurück.

Ihr Hobby sind das Schlagzeugspielen und natürlich Petit. Petit, der Irische Wolfshund, der locker fünfzig Kilo Muskelmasse auf die Waage bringt, liegt Wirbel friedlich zu Füßen und lässt sich von ihr ausgiebig den Kopf kraulen.

Chipskrümel und Ball-Generv

»Voll toll von deinen Eltern, dass du allein zu Hause bleiben darfst«, sagt Wirbel fröhlich, während sie erneut in die Tüte mit dem Paprikaaufdruck greift, fünf Chips kurzzeitig zum Vorschein bringt und sie sogleich genüsslich in ihren Mund schiebt.

»Ja«, antworte ich misslaunig und starre dabei auf die unzähligen fettigen braunen Krümel, die der Erdanziehungskraft folgend auf den hellen Teppichboden rieseln.

»Nur wären Ma und Pa überhaupt nicht amüsiert darüber, wenn sie das da«, ich zeige streng mit dem Finger auf Wirbels Hinterlassenschaften, »sehen würden.«

»Ups!«, piepst Wirbel verlegen. »Sorry, mach ich sofort wieder sauber. Guck, das geht ganz fix und…«

»Nein!«, rufe ich energisch dazwischen, dass selbst Petit die Ohren aufstellt. »Nicht mit der Hand! Dann verreibst du es nur, und die Flecken bekommt man nie wieder raus. Hol den Handstaubsauger aus der Küche und bring dir einen Teller mit.«

Wirbel verzieht schuldbewusst das Gesicht und trottet mit hängenden Schultern nach nebenan. Während Fabians kleine Schwester Krümel saugt, höre ich im Geiste die mahnende Stimme meiner Mutter: »Und Marius, tu mir den Gefallen, wenn deine Freunde zu Besuch sind, geht in dein Zimmer. Beim letzten Mal, als dein Vater und ich unterwegs waren, sah die Wohnung danach aus wie ein Schlachtfeld.«

»Aber Mama, das ist doch schon über ein Jahr her. Vertrau mir einfach. Ich bin älter und reifer gewor…«

»Wo sind deine Eltern eigentlich?«, will Yagmar wissen und reißt mich aus meiner gedanklichen Auseinandersetzung.

»Wie? Ähm, in Würzburg, bei einem Symposium, also bei einer Art Konferenz oder so. Pa wurde eingeladen, dort einen Vortrag über den Untergang des Römischen Reiches zu halten. Na, und da wir Sommerferien haben und ich nicht zur Schule muss, ist Ma mitgefahren. Sie bleiben bis Freitag. Also sieben Tage Elternurlaub.«

Mein Vater ist Geschichtsprofessor und lehrt an der Kölner Universität. Mama ist Psychologin und hat eine eigene Praxis im gleichen Haus, in dem wir wohnen. Also nicht, dass ihr jetzt denkt, die beiden wären Rabeneltern, die mich so locker allein lassen würden, nein, nein! Oma Lissy kommt einmal am Tag, exakt um dreizehn Uhr vorbei, schaut, ob es mir gut geht, und sorgt für einen vollen Teller. Heute gab es selbst gebackene Pizza, total lecker und reichlich.

»Können wir nicht einen Film gucken?«, mault Can, der mal wieder seiner derzeitigen Lieblingsbeschäftigung nachgeht – Ball gegen Wand werfen–, was ihm postwendend einen bösen Blick seiner Schwester einbringt.

»Ich weile mich lang«, meckert unsere Nervensäge unbeeindruckt.

Dong, dong, dong.

Petit hält nun nichts mehr auf seinem Platz. Er hechtet dem Ball laut bellend hinterher und springt – Vorderpfoten voran– gegen die Wand.

»Oh nein!«, rufe ich ärgerlich. »Nicht auch noch Tatzenmuster auf der Raufaser.«

»Es reicht!«, schimpft Tarik und gibt seinem kleinen Bruder einen Klaps auf den Hinterkopf.

»Aua, das hat wehgetan«, protestiert Can und reibt sich mit der Hand über die malträtierte Stelle.

Wirbel hält sich die Finger vor den Mund und kichert.

»Klaro, das sollte es wohl auch«, bemerkt Lara spitz und wendet sich mir zu, »aber das mit dem Film finde ich eine gute Idee. Was hast du denn da?«

»Tja, ›Fluch der Karibik3‹ hätte ich im Angebot. Oder ›Spiderman4‹ oder…« Weiter komm ich nicht mit meiner Aufzählung, da das Telefon läutet.

»Das wird der Kontrollanruf meiner Eltern sein«, kommentiere ich augenzwinkernd den melodiösen Klingelton und schaue mich suchend im Zimmer um.

»Hier, unter deiner Jacke«, ruft Fabian, greift danach und streckt mir das Telefon entgegen.

Der mysteriöse Anruf

»Detektivbüro MPunkt. Mit wem spreche ich?«, melde ich mich mit verstellter Stimme und blicke schmunzelnd in die Runde. Meine Eltern können schon einen Spaß vertragen.

Nichts! Keine Antwort, bloß ein unangenehmes Knirschen, Zischen und Rauschen ist zu hören.

»Haaallo!«

Nichts! Mistiger Mist, das Telefon scheint kaputt zu sein. Oder die Leitung ist gestört.

Ich versuche es noch einmal.

»Haaallo, bitte sprechen Sie jetzt! Mein Name ist MPunkt, wer sind Sie?«

Wieder nichts, nur dieses fiese Krrrr, Ziiii, Schschsch, verflixt noch eins, ich glaub, ich drück das jetzt weg.

Wieder schau ich in die Gesichter meiner Freunde, nur diesmal ratlos.

Da, mit einem Mal eine Stimme, wie aus endlos weiter Ferne. Ich presse den Hörer fester an mein Ohr. Papa? Mama?

»Ich kann euch kaum verstehen, bitte sprecht etwas lauter.«

»Ich, ich werde hier gefangen gehalten, bitte helfen Sie mir.«

»Was, was sagen Sie? Wer… wer sind Sie?« Meine Stimme überschlägt sich fast.

»Sie werden gefangen gehalten?«, echoe ich in den Hörer. Tarik springt aus dem Sessel.

»Drück auf die Freisprechtaste«, raunt er mir aufgeregt zu. Gute Idee. Jetzt können meine Freunde mithören.

»Ja doch!«, keucht die dünne Stimme. »Ich bin gefesselt! Ich wurde entführt!«

»Soll das ein Joke sein?«, hake ich misstrauisch nach.

»Ein was?«

»Na, ein Scherz! Wenn das ein Scherz sein soll, ist es ein ziemlich mieser.« Die Stimme auf der anderen Seite der Leitung stöhnt.

»Nein, nein, um Himmels willen, kein Scherz. Bitte legen Sie nicht auf! Ich bin Frederick von der Heide. Mein Vater ist der bekannte Fabrikant, Sie werden ihn kennen.«

»Hä, von der Heide? Tut mir leid, nie gehört. Von wo aus rufen Sie an? Und überhaupt, wenn Sie gefesselt sind, wie haben Sie es geschafft, diese Nummer zu wählen?«

Wieder ein tiefes Stöhnen, dann: »Wo ich jetzt bin, weiß ich nicht. Ich kam vom MSC, war auf dem Weg vom Tennisspielen nach Hause, kurz nach dem Forstbotanischen Garten, Ecke Schillingsrotter Weg. Ein schwarzer, großer Wagen hielt neben mir, ein Mann sprang heraus und schubste mich ins Auto, wo ein anderer mich packte und mir ein feuchtes Tuch aufs Gesicht drückte. Von da an habe ich nichts mehr mitbekommen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in diesem Zimmer. Und hier gibt es dieses Telefon. Die haben wohl nicht damit gerechnet, dass ich so schnell wieder zu mir komme und trotz meiner Fesseln telefonieren kann.«

»Sind Sie ein Zauberkünstler, oder wie haben Sie das angestellt?«, frage ich spöttisch nach.

»Nein, ach was! Ich habe mit meinem Kopf den Hörer von der Gabel gestoßen und mit der Nase so lange die Gabel gedrückt, wieder und wieder, bis ein Freizeichen zu hören war. Sie kennen das doch, das ist wie morsen.«

»Nee, kenn ich nicht«, gebe ich ehrlich zu, und Can brüllt mir entgegen: »Ey, frag den Meister mal, seit wann man denn eine Gabel zum Telefonieren braucht.«

»Sei leise!«, fährt ihn Yagmar an. Can zieht eine Flappe, hält sich aber bedeckt.

Mein detektivischer Eifer ist geweckt. Ab jetzt stelle ich meine Fragen so, wie es mein Opa machen würde.

Bloß nicht auflegen

»Hören Sie, wenn Sie möchten, dass ich Ihnen helfe, müssen Sie mir noch ein paar Einzelheiten nennen.«

»In Ordnung, fragen Sie.«

»Wie alt sind Sie?«

»Dreizehn.«

Ich stutze kurz, er klingt viel älter.

»Okay, dann können wir uns duzen. Ich bin auch dreizehn. Wo wohnst du?«

»In Köln, in der Marienwalder Straße1.«

Ich pfeife kurz.

»Wow, in Köln wohn ich auch, nur dass du in der Champagner-Siedlung zu Hause bist.«

»Wenn du damit das Villenviertel meinst, ganz recht. Wirst du mir jetzt helfen?«

»Deine Geschichte klingt zwar völlig abgedreht, aber ich glaube dir. Hör zu, bleib am Hörer, ich rufe mit meinem Handy die Polizei, okay?«

Einen Augenblick ist es ganz still am anderen Ende, dann: »Was meinst du damit?«

»Wie, was ich damit meine? Das was ich gesagt habe: Ich rufe mit meinem Handy die Polizei an.«

Ich schüttele den Kopf, der arme Kerl scheint durch die Betäubung und den Schock total durcheinander zu sein.

»Was ist ein Händi?«, höre ich Frederick unsicher fragen.

Jetzt muss ich doch laut lachen.

»Wie, du kennst kein Handy? In welchem Zeitalter lebst denn du?«

Die Antwort kommt zögerlich.

»Ich… ich, wieso? Was redest du da? Was stellst du da für eine Frage? Zeitalter? Was sollen wir denn für ein Zeitalter haben… 1969 natürlich!«

Ich höre die Ratlosigkeit am anderen Ende förmlich durch die Leitung kriechen.

»…und… und ich kenne auch kein Händi! Was soll das sein? Händi?«

Ach herrje, da fällt mir doch die Kinnlade herunter und das bis zu den Füßen. Entweder der Typ ist absolut durchgeknallt, oder… er ist durchgeknallt. Meine Freunde sehen das anscheinend ebenso, denn sie glotzen mich an, als hätten sie gerade einen rosa Elefanten auf Inlinern durch das Zimmer rauschen gesehen.

»Klaro, der Kerl ist doch total verrückt«, stöhnt Lara.

Bloß Tarik sieht aus, als würde es in seinem Großhirn rattern und dampfen. »Frag ihn, welches Datum heute ist!«, schießt es jäh aus ihm heraus.

»Heute ist der 21.Juli, Montag. Was sollen all diese Fragen?«, keucht mir Frederick ins Ohr. Gerade als ich antworten will, höre ich Stimmen am anderen Ende: rau und gemein. Gefolgt von einem heftigen Poltern. Und Frederick schreit heiser: »Hilfe! Hilfe!«, und dann flehentlicher: »Wohin bringen Sie mich? Tun Sie mir bitte nichts! Bi–«

Dann: Stille. Zumindest keine Stimmen mehr. Nur das Rauschen, Knirschen und Zischen. Wie angewurzelt stehe ich da und glotze ungläubig auf das Telefon in meiner Hand. Wieder ist es Tarik, der als Erster aus der Schockstarre erwacht.

»M

»Was sollte das denn jetzt gewesen sein?«

Lara verdreht die Augen und verzieht das Gesicht, als hätte sie in eine unreife Zitrone gebissen.

»Das war doch wohl eine Theater-AG, die ein Testpublikum gesucht hat.«

Yagmar kräuselt die Stirn.

»Das glaube ich nicht«, sagt sie mit nachdenklicher Miene, nippt an ihrem O-Saft und fährt fort: »Die Stimme klang nicht verstellt…«

»Ach komm, hör auf«, unterbricht sie Lara, die aufgebracht ihre Wangen plustert. »Die Leitung war viel zu schlecht, um das sagen zu können.«

»Trotzdem«, beharrt Yagmar, »der Junge war in einer echten Notlage.«

»Was machen wir denn jetzt?«, fragt Fabian, der kreidebleich um die Nase ist.