Die Täter des Judenpogroms 1938 in Innsbruck -  - E-Book

Die Täter des Judenpogroms 1938 in Innsbruck E-Book

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Beschreibung

EINE NACHT VOLLER SCHRECKEN UND TERROR Das Attentat eines jungen polnischen Juden in der Deutschen Botschaft in Paris nutzten die Nationalsozialisten als willkommenen Anlass, um gegen alle Juden im Deutschen Reich gesetzlich vorzugehen. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ging als eine der gewaltvollsten in die Geschichte ein. Die Nationalsozialisten demonstrierten ihre Macht auf erschreckende Weise: Synagogen wurden in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte demoliert und ausgeraubt, tausende Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. ÜBERALL IST AUCH HIER Die gewaltvollen Übergriffe fanden im gesamten Deutschen Reich, in großen und kleinen Städten, statt – auch Innsbruck war davon nicht ausgenommen. Thomas Albrich stellt erstmals die Ereignisse dieser Nacht in Innsbruck sehr eindringlich und detailreich dar. Der Schwerpunkt dieses Sammelbandes liegt vor allem auf den Tätern und allen Beteiligten der "Kristallnacht" aus Tirol. Der Herausgeber gibt einen umfassenden Überblick und detaillierte Hintergrundinformationen WER WAR DABEI? Die Einzelbiographien von rund 70 Männern sind detailreich und mit vielen Hintergrundinformationen aufbereitet. Alle verurteilten, gefallenen, ins Ausland geflüchteten sowie unbestraften Täter aus Tirol werden anhand von Archivbildern und neuen Dokumenten und Protokollen genannt.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ähnliche


Thomas Albrich (Hg.)

Die Täter des Judenpogroms 1938 in Innsbruck

Inhaltsverzeichnis

Der Novemberpogrom oder die „Reichskristallnacht“ vom 9./10. November 1938. Eine Einleitung (Thomas Albrich)

Die Innsbrucker Kommandoebene im Novemberpogrom

Gauleiter Franz Hofer (Sarah Scheitnagl)

SS-Untersturmführer Gustav Fast (Dominik Weber)

SS-Oberführer Johann Feil (Maximilian Oswald)

SA-Brigadeführer Vinzenz Waidacher (Nikolaus Hagen)

SS-Hauptsturmführer Dr. Leopold Spann (Verena Weissensteiner)

SS-Untersturmführer Dr. Adolf Franzelin (Carina Gruber)

SS-Unterscharführer Ing. Hermann Duxneuner (Elisa Koller)

Die SS im Novemberpogrom in Innsbruck (Thomas Albrich)

Die SS-Gruppe Fleiss:Die Zerstörung des Bethauses (Synagoge) in der Sillgasse

SS-Standartenführer Erwin Fleiss (Sabine Sonnweber)

SS-Mann Walter Linser (Juliane Thialer)

Das SS-Mordkommando Gänsbacherstraße 5:Die Ermordung von Ing. Richard Graubart und Dr. Wilhelm Bauer

SS-Hauptsturmführer Johann (Hans) Aichinger (Nikolaus Bliem)

SS-Obersturmführer Rudolf Schwarz (Franziska Niedrist)

SS-Untersturmführer Rudolf Exner (Nikolaus Hagen)

SS-Untersturmführer Benno Bisjak (Ulrike Gamper)

SS-Oberscharführer Gottfried Andreaus (Verena Weissensteiner)

SS-Oberscharführer Robert Huttig (Philip Pollak)

SS-Oberscharführer Herbert Rendl (Franziska Niedrist)

SS-Oberscharführer Franz Dobringer (Philip Pollak)

SS-Scharführer Walter Saurwein (Verena Weissensteiner)

Das SS-Kommando Gänsbacherstraße 4:Der Überfall auf Karl Bauer

SS-Obersturmführer Alois Schintlholzer – „Schlächter der Juden“ (Nikolaus Bliem)

SS-Oberscharführer Hans Müller (Lisa Pechlahner)

Das SS-Mordkommando Anichstraße 13:Die Ermordung von Ing. Richard Berger

SS-Obersturmführer Dr. Gerhard Lausegger (Martin Kühne)

SS-Untersturmführer Walter Erich Hopfgartner (Thomas Albrich)

SS-Oberscharführer Dr. Robert Duy (Verena Gögele)

SS-Mann Ernst Mayr (Florian Pichler)

Die „andere“ SS: Kriminalpolizei und Gestapo

SS-Mann Dr. Herbert Mannlicher (Sabine Sonnweber)

SS-Obersturmführer Werner Hilliges (Katrin Ellecosta)

SS-Mann Ferdinand Obenfeldner (Maximilian Oswald)

Die SA im Novemberpogrom in Innsbruck (Thomas Albrich)

Die SA-Gruppe Waidacher und Mathoi

SA-Standartenführer Johann Mathoi (Maximilian Oswald)

SA-Obersturmführer Arthur Schöffthaler (Johanna Maier)

Der SA-Eisenbahnersturm:Gewaltverbrechen mit Todesfolge – Der Fall Adler

SA-Sturmführer Ing. Heinrich Huber (Sabine Sonnweber)

SA-Truppführer Otto Mohr (Sarah Patscheider)

SA-Scharführer Johann Schöpf (Katrin Ellecosta)

SA-Scharführer Alfons Ullmann (Florian Pichler)

SA-Mann Josef Girardi (Juliane Thialer)

SA-Mann Georg Weintraut (Thomas Albrich)

SA-Mann Richard Petermichl (Bettina Gratzer)

SA-Mann Josef Perner (Philip Pollak)

SA-Mann Alfons Steinwendter (Thomas Albrich)

Die SA-Gruppe Stanzel

204 SA-Obersturmführer Karl Stanzel (Franziska Frei)

Die SA-Gruppe Rosenbaum

SA-Rottenführer Anton Haupt (Ulrike Gamper)

SA-Truppführer Richard Paul Dietrich (Verena Gögele)

SA-Scharführer Alfred Gnesetti (Stefanie Lutz)

SA-Gruppe Eder

SA-Scharführer Wilhelm Eder (Thomas Albrich)

SA-Scharführer Maximilian Adermann (Elisa Koller)

Der Innsbrucker SA-Sanitätssturm

SA-Sanitäts-Hauptsturmführer Dr. Theodor Tapavicza (Lisa Pechlaner)

SA-Obertruppführer Dr. Hubert Stoiber (Christine Rainer)

SA-Gruppe Gferer

SA-Scharführer Theodor Haller (Stefanie Lutz)

SA-Rottenführer Josef Schäffer (Katrin Ellecosta)

Die SA-Gruppe Stigger

SA-Sturmmann Otto Stigger (Thomas Albrich)

Ein verdächtiger Solist?

SA-Oberscharführer Michael Stengg (Anna Lena Eberl)

Das NSKK im Novemberpogrom in Innsbruck (Thomas Albrich)

NSKK-Gruppe Mayerbrucker bzw. Hochrainer

NSKK-Staffelführer Rudolf Mayerbrucker (Sarah Scheitnagl)

NSKK-Obersturmführer Alois Hochrainer (Franziska Frei)

NSKK-Sturmführer Josef Ramersdorfer (Martin Kühne)

NSKK-Scharführer Hans Berger (Anna Lena Eberl)

NSKK-Scharführer Josef Alois Seipt (Nikolaus Hagen)

NSKK-Rottenführer Konrad Saumweber (Martin Kühne)

NSKK-Sturmmann Martin Liedoll (Nikolaus Hagen)

NSKK-Mann Hermann Moser (Anna Lena Eberl)

NSKK-Mann Vinzenz Stauder undNSKK-Oberscharführer Karl Oberforcher (Stefanie Lutz)

NSKK-Mann Georg Walcher (Johanna Maier)

NSKK-Gruppe Dagostin

NSKK-Oberscharführer Ing. Dr. Richard Dagostin (Bettina Gratzer)

NSKK-Gruppe Hanl

NSKK-Sturmführer Karl Hanl (Johanna Maier)

NSKK-Scharführer Heinrich (Heinz) Robert Wallpach (Carina Gruber)

Die NSKK-Gruppe Ebner

NSKK-Obertruppführer Josef Ebner (Carina Gruber)

NSKK-Scharführer August Hörhager (Bettina Gratzer)

NSKK-Rottenführer Hans Ruedl (Dominik Weber)

NSKK-Scharführer Karl Tautermann (Thomas Albrich)

NSKK-Mann Josef Schneider (Lisa Pechlaner)

Unbekannte Täter im Novemberpogrom in Innsbruck (Michael Guggenberger)

Der juristische Umgang mit den Tätern des Novemberpogroms nach 1945. Eine Bilanz (Thomas Albrich/Michael Guggenberger)

Auswahlbibliographie zum Novemberpogrom in Innsbruck und Tirol-Vorarlberg (1984–2015)

Bildnachweis

Der Novemberpogrom oder die „Reichskristallnacht“ vom 9./10. November 1938. Eine Einleitung

Thomas Albrich

Als Ende Oktober 1938 aus dem ganzen Reichsgebiet rund 16.000 Juden polnischer oder ehemals polnischer Staatsangehörigkeit nach Polen abgeschoben wurden1, waren auch in Tirol und Vorarlberg etwa 25 Personen von dieser Zwangsmaßnahme betroffen. Bei ihnen handelte es sich meist um Zuwanderer aus der österreichisch-ungarischen Monarchie und deren Kinder, die, obwohl teilweise hier geboren, nach 1918 die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erhalten hatten und nun entweder als Staatenlose oder als Ausländer galten. Sie wurden auf Weisung von Gauleiter Franz Hofer am 28. Oktober nach Wien abgeschoben und zum Teil am folgenden Tag den polnischen Grenzbehörden übergeben.2 Aus Vorarlberg wurden in diesem Zusammenhang die Familien Iger aus Bludenz und Greif aus Bregenz ausgewiesen.3 Gleichzeitig erfolgten auch Ausweisungen in die CSR.4

Das Schicksal der von Hitler-Deutschland Ausgewiesenen, die von Polen nicht aufgenommen und an der Grenze beider Staaten im Niemandsland hin- und hergeschoben wurden, darunter auch die Eltern des 17-jährigen Herschel Grünspan, war unmittelbarer Anlass zu dessen Attentat auf das deutsche Botschaftsmitglied Ernst vom Rath am Montag, den 7. November 1938 in Paris. Teilweise begannen die darauf folgenden antijüdischen Ausschreitungen in kleineren Orten der Gaue Kurhessen und Magdeburg-Anhalt bereits am Dienstag den 8. November und dauerten mancherorts – wie in Wien – noch über den 10. November hinaus an. An diesem 8. November 1938 war Adolf Hitler in München eingetroffen und hielt um 19:30 Uhr im Münchner „Bürgerbräukeller“ anlässlich des Jahrestags des Putsches von 1923 eine Rede. Am 9. November erfolgte mittags der Gedenkmarsch vom „Bürgerbräukeller“ zur Feldherrnhalle und zum Königlichen Platz. Dabei versuchte der Schweizer Maurice Bavaud, Hitler beim Marsch durch München zu erschießen, konnte sein Ziel wegen der vor ihm stehenden Menschen aber nicht anvisieren.5

Als der deutsche Diplomat vom Rath am frühen Abend dieses 9. November seinen Verletzungen erlag, blieben die in ganz Deutschland einsetzenden brutalen Übergriffe auf Juden auch in Tirol nicht aus.

Die verharmlosend „Reichskristallnacht“ genannte Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 war kein „spontaner Ausbruch des Volkszorns“, wie die Nationalsozialisten behaupteten, sondern es waren von höchster Stelle angeordnete und von der Partei auf Gau- und Kreisebene organisierte Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung im gesamten Deutschen Reich.6 Propagandaminister Joseph Goebbels nutzte den Tod des deutschen Diplomaten in Paris, um am späteren Abend des 9. November in München vor den zur Gedenkfeier des „Marsches auf die Feldherrnhalle“ versammelten hohen Parteifunktionären, SA-Führern und alten Kämpfern in einer antijüdischen Hetzrede zu Gewalttaten aufzurufen. Der Führer habe zwar entschieden, „dass derartige Demonstrationen von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren seien“, aber sollten sie spontan entstehen, so sei ihnen „nicht entgegenzutreten“. Keiner der Anwesenden konnte einen Zweifel haben, was von ihnen erwartet wurde.

Die Rede von Goebbels löste – nach Ende der Veranstaltung – ab 22:30 Uhr eine Kette von Weisungen und Befehlen der in München anwesenden Gauleiter und SA-Führer an die ihnen Untergebenen aus, denen im Laufe der Nacht Anweisungen an Polizei, SS und SD folgten.7 Um 24 Uhr wurden dann in München und im ganzen Deutschen Reich SS-Rekruten der SS-Verfügungstruppe und der Totenkopfverbände mit folgenden Worten vereidigt: „Ich schwöre Dir, Adolf Hitler, Treue und Tapferkeit. Ich gelobe Dir Gehorsam bis in den Tod. So wahr mir Gott helfe!“8

Da die allgemeine SS erst ab 1:30 Uhr die Weisung erhielt, sich aus den Aktionen herauszuhalten, nahm sie vielerorts bereits aktiv an den Übergriffen teil – so auch in Innsbruck, Wien und Graz. Fernschriftliche Anweisungen von Goebbels an die Gaupropaganda-Ämter, von Reinhard Heydrich an die Sicherheitspolizei und Kurt Daluege an die Ordnungspolizei brachten dann eine Spur von Ordnung in das hereinbrechende Chaos.9 Hitler selbst ließ sich nach Eintreffen der ersten Meldungen von Ausschreitungen gegen Juden in München an der in der Nähe brennenden Synagoge vorbei zurück zu seiner Wohnung fahren.10

Im Verlaufe der Aktionen dieser Nacht wurde der Primat der Partei über die Staatsmacht deutlich: Die NSDAP und ihre Gliederungen – in erster Linie Parteifunktionäre vom Gauleiter bis zu den Ortsgruppenleitungen, sowie Mitglieder von SA, SS und NSKK – organisierten und exekutierten diesen in der neueren Geschichte Deutschlands einzigartigen Pogrom. Unzählige Jüdinnen und Juden wurden gedemütigt und misshandelt, viele dabei schwer verletzt oder in den Selbstmord getrieben; 91 wurden nach offiziellen Zahlen ermordet. Synagogen wurden in Brand gesteckt und zerstört, Friedhöfe geschändet, Waren und Wertgegenstände konfisziert, geplündert und gestohlen, jüdische Wohnungen und Geschäfte verwüstet.

Ein wesentlicher Aspekt der Aktion waren die von Heinrich Himmler angeordneten und von Ordnungs- und Sicherheitspolizei vorgenommenen Massenverhaftungen von Juden: Neben Tausenden, die von lokalen Stellen vorläufig festgenommen und nach Stunden oder Tagen wieder freigelassen wurden – allein für Wien ist von über 6.800 die Rede –, lieferte das NS-Regime zeitweilig fast 30.000 in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen ein.11 In der österreichischen Historiografie wird bis heute die These vertreten, dass die Aktionen in Wien bzw. in der „Ostmark“ brutaler gewesen seien, als im „Altreich“.12 Der Pogrom verfolgte vor allem den Zweck der Einschüchterung und Erhöhung des Auswanderungsdrucks auf die noch verbliebene jüdische Bevölkerung und wird vielfach als Vorstufe zur später einsetzenden Massenvernichtung angesehen.13

Dies ist der Hintergrund für den auch in Innsbruck stattfindenden Judenpogrom, der von der SS, der SA und dem NSKK durchgeführt wurde. Schon die Monate nach dem „Anschluss“ im März 1938 waren für die jüdische Bevölkerung im Gau Tirol-Vorarlberg eine Zeit der Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung und Beraubung – Stichwort „Arisierung“ jüdischen Besitzes – gewesen. Schon im April hatte die SA alle jüdischen Geschäfte in Innsbruck mit „Jude“ gekennzeichnet und bis Anfang November war der Großteil dieser Geschäfte entweder „arisiert“ oder liquidiert worden. Eine Reihe von Jüdinnen und Juden hatte Selbstmord begangen und die Lage war vor allem für ältere Menschen fast hoffnungslos.14

Was nun aber in der Nacht zum 10. November passierte, überstieg alles, was man sich bis dahin vorstellen konnte. Am Morgen des 9. November schrieben die Innsbrucker Nachrichten unter dem Titel „Die Feier des 9. November in Innsbruck“:

„Mit ganz Großdeutschland begeht der Kreis Innsbruck der NSDAP heute die Feier des 9. November zum Gedenken an die Gefallenen der nationalsozialistischen Bewegung.

Heute abends gegen 20 Uhr werden alle Formationen der Bewegung auf dem Adolf-Hitler-Platz vor dem Stadttheater aufmarschieren.

Im Stadttheater selbst findet die Feierstunde statt, bei der nach einem musikalischen Vorspiel, dem Fahnenspruch der HJ, dem Gedenken an die Gefallenen und einem Liedvortrag der HJ der Gaupropagandaleiter Pg. [Parteigenosse] Artur Lezuo sprechen wird. Nach dem Gesang eines gemeinsamen Liedes wird mit der Ehrung des Führers und den Hymnen der Nation die Feier abgeschlossen.

Die Feierstunde mit der Rede des Gaupropagandaleiters wird durch Lautsprecher auf den Adolf-Hitler-Platz übertragen.

Wie bereits mitgeteilt, findet nachher um 23:30 Uhr die Vereidigung der SS-Angehörigen der Standorte Innsbruck und Hall statt. Diese Vereidigung ist umrahmt von der Rundfunkübertragung der gleichzeitigen Feier in München, bei der der Führer zu den Schutzstaffeln spricht.“15

Am Abend des 9. November 1938 fand dann, wie angekündigt, in Innsbruck im Stadttheater und am Adolf-Hitler-Platz erstmals nach dem „Anschluss“ die Feier zum Gedenken an die Toten des Novemberputsches 1923 und die Vereidigung von SS-Angehörigen statt. Schon früher am Abend hatten hier SA und NSKK Appelle abgehalten. Das war der Ausgangspunkt für die gewalttätigen Ereignisse der Nacht zum 10. November. Wie schilderte die regionale Presse die Ereignisse der Nacht?

„Der Zuschauerraum der Städtischen Bühne hatte sich unterdessen dicht gefüllt. Der aus dienstlichen Gründen abwesende Gauleiter wurde vom stellvertretenden Gauleiter Pg. Parson vertreten; mit dem Kreisleiter Pg. Hanak waren sämtliche in Innsbruck anwesenden politischen Leiter, Gliederungsführer, Vertreter der Wehrmacht, des Staates, der Stadt sowie der Gendarmerie und Polizei erschienen. Als sich an der Rückwand der festlich geschmückten Bühne die Fahnen der Bewegung und davor eine Schar Hitlerjungen und ein Fanfarenzug des Jungvolkes aufgestellt hatten, wurde die Feier mit Richard Wagners Lohengrin-Vorspiel eröffnet. Einem Kampflied der HJ folgten Gedenksprüche, die von Hitlerjungen gesprochen wurden, und die Verlesung der Namen der 16 Toten von der Feldherrnhalle, sowie der 5 Blutzeugen der Bewegung im Gau Tirol-Vorarlberg: Silvester Fink, Josef Kantner, Franz Dornauer, Josef Honomichl und Friedrich Wurnig. […]

Es ist 24 Uhr. Wieder leuchten die Opferschalen in flammendem Schein. Die SS der Standorte Innsbruck und Hall steht dicht aufgeschlossen vor dem Mahnmal auf dem Adolf-Hitler-Platz. Davor die Fahne, SS-Oberführer Feil und die Führer aller Gliederungen der Bewegung, die Vertreter von Staat und Wehrmacht. Nun setzt die Übertragung von München ein, wo vor dem Führer die Rekruten der SS-Verfügungstruppen und der Totenkopfverbände zur feierlichen Vereidigung Aufstellung genommen haben. So wie in München und in Innsbruck, stehen nun im weiten Großdeutschen Reiche die Angehörigen der SS und harren des großen Augenblicks, wo sie dem Führer das Gelöbnis unverbrüchlicher Treue bis in den Tod werden ablegen dürfen.“16

Außergewöhnlich am Ablauf der folgenden Ereignisse dieser Nacht in Innsbruck war der Umstand, dass es sich hier um eine fast generalstabsmäßig durchgeführte Aktion mit klarer Befehlsstruktur gehandelt hat: Der Tiroler Gauleiter Franz Hofer, der ebenfalls bei Goebbels’ Ansprache im Alten Rathaus in München anwesend war, hatte den Ausführungen des Reichspropagandaministers entnommen, dass es sich „um eine sehr weitgehende Aktion gegen das Judentum handeln sollte“, damit, wie er selbst sagte, „mit dem Judentum aufgeräumt werde“.17 Noch von München aus informierte er telefonisch seine Dienststelle in Innsbruck und setzte für 1 Uhr früh eine Besprechung an, zu der er die Tiroler Führer von SS und SA sowie Vertreter des SD und der Gestapo beorderte. Schon vor Mitternacht hatten entsprechende Anweisungen aus Berlin auch die Tiroler SA und das NSKK erreicht.

SS-Untersturmführer Gustav Fast vom SD-Unterabschnitt Tirol war der Protokollführer bei der Besprechung, die Gauleiter Franz Hofer am 10. November 1938 um 1 Uhr früh nach seiner Rückkehr aus München in seinem Büro im Landhaus abhielt. Diese Sitzung war der Auftakt für eine Nacht der Gewalt in Innsbruck. Der Bericht von Fast lautet folgendermaßen:

„Der Gauleiter traf Punkt 1 Uhr, von München kommend, in seinem Dienstzimmer ein. Anwesend waren die Führer der Gliederungen SS-Oberführer Feil, SA-Brigadeführer Waidacher usw. sowie die Leiter der Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei, SS-Hauptsturmführer Dr. Spann von der Stapostelle Innsbruck, SS-Untersturmführer Dr. Franzelin von der Polizeidirektion Innsbruck usw., außerdem der Beauftragte für die Arisierung Pg. Hermann Duxneuner und ich als Vertreter des SD-Unterabschnittes Tirol.

Der Gauleiter gab folgendes bekannt: Als Antwort auf den feigen jüdischen Mordüberfall auf unseren Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris hat sich die kochende Volksseele im Reich bereits gegen die Juden gewandt. Unter anderem seien bereits mehrere Synagogen in Brand gesteckt worden. Es sei notwendig, daß sich auch in Tirol in dieser Nacht (vom 9. auf 10.11.1938) die kochende Volksseele gegen die Juden erhebe. Eventuell entstehende Brände von jüdischem Eigentum seien Sache der Feuerwehrlöschpolizei und nicht Sache des Eingreifens von Gliederungen der Bewegung. Die Polizeibehörden hätten im Rahmen der gesamten Aktion folgende Aufgaben:

1. Plünderungen seien zu verhindern, ebenso die Vernichtung oder Beschädigung arischen Vermögens.

2. Die Juden seien gegen Ende der Aktion zu ihrer eigenen Sicherheit in Schutzhaft zu nehmen, u. zw. sofort als möglich, insbesondere arbeitsfähige. Der kochenden Volksseele sei bis in der Früh 6 Uhr volle Aktionsfähigkeit zu gewähren; bis dahin habe die Polizei nirgends den Demonstranten gegenüber in Erscheinung zu treten.

Während dieser Besprechung erhielt der stellvertretende Leiter der Stapostelle SS-Hauptsturmführer Dr. Spann ein F. S. [Fernschreiben] des Gruppenführers Heydrich aus München, mit den bekannten Anweisungen für die Stapo und den SD bezüglich der Judenaktion.

Anschließend – gegen 2:30 Uhr – wurden an Hand der Judenliste, die von Pg. Duxneuner beschafft wurde, die einzelnen Gliederungen planmäßig zur Aktion gegen jüdische Objekte und Personen eingesetzt, in Verbindung mit einem strengen Befehl zum Anlegen von Zivilkleidung. Die allgemeine SS erhielt folgende Objekte und Personen zugeteilt:

1. Synagoge in der Straße der Sudetendeutschen

2. die jüdischen Anwesen Gänsbacherstraße 4 (Graubart) und Gänsbacherstraße 5 (Bauer & Schwarz)

3. den Leiter der jüdischen Kultusgemeinde Dr. (sic) Berger Richard, Anichstraße 13.

Der SD-Unterabschnitt Tirol hat sich an der Aktion nur insofern beteiligt, daß jüdisches SD-mäßig wichtiges Material sichergestellt wurde. Aktionen gegen Eigentum und Personen des Judentums wurden von den Angehörigen des SD nicht durchgeführt.

Ich habe die Angehörigen des SD-Unterabschnittes Tirol schon während der Besprechung beim Gauleiter durch eine Ordonanz angewiesen, Zivilkleider anzulegen und sich auf der Dienststelle in Bereitschaft zu halten. Gegen 3:30 Uhr erfolgte dann auf meinen Befehl der Einsatz:

1. Unterstützung der staatspolizeilichen Maßnahmen.

2. Sicherstellung des Materiales der jüdischen Kultusgemeinde.

Das Material befindet sich auf der Dienststelle des SD-Unterabschnittes Tirol.

Über das Ergebnis der Sühneaktion gegen die Juden in Innsbruck und seine stimmungsmäßige Auswirkung wurde unterm 12.11.1938 folgender Bericht an den SD-Donau abgegeben:

‚In der Nacht vom 9. und 10. ds. Mts. wurde von seiten der Bevölkerung schlagartig eine Aktion gegen die Juden Innsbrucks unternommen. Im Verlaufe dieser Aktion wurden die Wohnungen aller noch nicht ausgewanderter Juden schwer beschädigt. Falls Juden bei dieser Aktion keinen Schaden erlitten haben, dürfte dies darauf zurückzuführen sein, daß sie übersehen wurden. Zu Plünderungen ist es nirgends gekommen. In zwei Fällen wurde das Eigentum von Ariern zerstört, in einem Fall aus Unkenntnis über die Abstammung des Wohnungsinhabers, im anderen Fall war die Wohnung vor kürzerer Zeit in arische Hände gelangt. Auch die Synagoge wurde zertrümmert. Darüber wurde in der Gaupresse berichtet.

Abschließend liegt folgendes Ergebnis vor:

Es wurden bis jetzt drei Juden getötet. Es sind dies Richard Graubart, Karl Bauer [richtig: Wilhelm Bauer] und Richard Berger, der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde. Wilhelm Bauer [richtig: Karl Bauer] liegt mit schweren Kopfverletzungen im Spital; die Ärzte zweifeln an seinem Aufkommen.

Außerdem wurden insgesamt 18 Juden festgenommen. Es handelt sich vorwiegend um arbeitsfähige Personen. Nahezu alle von ihnen waren verletzt, jedoch nur einer auf schwerere Art.

Das Ehepaar Popper wurde nach Zerstörung seiner Wohnung in die Sill geworfen, es konnte sich jedoch ans Ufer retten. Der Mann befindet sich unter den Inhaftierten.

Die Wohnung eines Juden befand sich im selben Hause, in dem auch der italienische Konsul wohnt. Dieser war anfangs sehr empört, daß die Leute durch das Schlafzimmerfenster seiner Frau eingestiegen waren, um in die Wohnung zu gelangen. Nach Aufklärung des Sachverhaltes war er jedoch sofort beruhigt.

In einigen Teilen der Bevölkerung ist man der Meinung, daß es sich bei den Urhebern um Provokateure handelt. In manchen Kreisen glaubte man, daß es sich um Kommunisten handle. In liberalen Kreisen sowie auch bei den Klerikalen äußerte man sich erwartungsgemäß gegen die Art und Weise des Vorgehens.

Irgendwelche Aktionen gegen Juden auf dem Lande konnten nicht festgestellt werden. Dies hat seinen Grund darin, daß die Anzahl der Juden auf dem Lande, besonders in Vorarlberg, eine äußerst geringe ist. Die näheren Einzelheiten der ganzen Aktion sind unter der Bevölkerung noch nicht bekannt. Daher gehen auch viele unsinnige Gerüchte herum. Unter den Nationalsozialisten wurde die Mitteilung von diesen Aktionen sowie die Ankündigung noch zu erwartender Gesetze einmütig mit großer Genugtuung aufgenommen.‘

In der Nacht vom 10. auf 11.11.1938 wurden die Angehörigen des SD-Unterabschnitts Tirol der Staatspolizeistelle Innsbruck nochmals zum staatspolizeilichen Einsatz in Uniform zur Verfügung gestellt. Es wurde dabei die Durchführung der Verlautbarung des Reichspropagandaministeriums, wonach sämtliche Selbsthilfeaktionen der Bevölkerung mit dem 10.11.1938 abgeschlossen sind, überwacht. Ein Einschreiten war nicht notwendig, da in Anbetracht der Disziplin der nationalsozialistischen Bevölkerung ein weiteres Aufflackern der Sühneaktion nicht mehr in Erscheinung trat.“18

Der Pogrom in den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 war in Innsbruck im Verhältnis zur jüdischen Bevölkerungszahl einer der blutigsten Schauplätze im Deutschen Reich. Der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde, Bundesbahn-Oberbaurat a. D. Ing. Richard Berger, der Kaufmann und Chef der jüdischen Handelsorganisation, Dr. Wilhelm Bauer sowie der Kaufmann Ing. Richard Graubart wurden in dieser Nacht ermordet und viele weitere zum Teil schwer verletzt, darunter Oberbaurat Ing. Josef Adler, ein aktiver Zionist, seine Frau Gertrud und sein Vater Itzig Adler, Karl Bauer, Flora Bauer und ihr Sohn Stefan, Rudolf und Julie Brüll, Berta Dannhauser, Ephraim und Mina Diamand, Eduard Fuchs, Arthur Goldenberg, Alfred Graubart, Julius Meisel, Friedrich und Dora Pasch, Julius und Laura Popper, Louis Rado, Helene Rosenstein und ihr Sohn Fritz, Richard Schwarz und sein Sohn Viktor, Martin Steiner und seine Frau Rosa, sowie Wolf Meier Turteltaub und sein Sohn Fritz. Josef Adler erlag seinen Verletzungen zwei Monate später. 18 Juden wurden festgenommen, die Wohnungen der meisten damals noch nicht ausgewanderten Juden schwer beschädigt, zwei Geschäfte – jene von Egon Dubsky und Alois Hermann – geplündert sowie die Einrichtung der Synagoge zerstört. Die Innsbrucker Bevölkerung beteiligte sich – im Gegensatz zu den Ereignissen in Wien – nicht an den Übergriffen.

Beteiligt an den Ausschreitungen waren die SS unter Führung von Johann Feil (SS-Chef von Tirol, Vorarlberg und Salzburg19) und SS-Standartenführer Erwin Fleiss, die SA unter Führung von Vinzenz Waidacher und Johann Mathoi sowie das NSKK unter Führung von NSKK-Oberführer Eugen Willam und NSKK-Staffelführer Rudolf Mayerbrucker. Den nominell obersten Rang – NSKK-Gruppenführer – hatte bis 1945 übrigens Gauleiter Franz Hofer inne.

Im Einsatz waren vier Gruppen von SS-Männern, dazu die SA mit mehreren Gruppen und mindestens drei Gruppen von NSKK-Männern. Fast alle Täter des Pogroms waren zwischen 1933 und 1938 illegale Nationalsozialisten gewesen, also „gestandene“ und kampferfahrene Männer. Die meisten waren Offiziere oder Unteroffiziere der Gliederungen und bezeichneten sich als „gottgläubig“, d. h. sie waren keine Atheisten, aber aus den anerkannten Religionsgemeinschaften ausgetreten.

Polizei und Gestapo, deren Innsbrucker Zentrale sich zu diesem Zeitpunkt in der heutigen Bundesbahndirektion in der Bienerstraße 8 befand, mussten sich bis zum Morgen des 10. November zurückhalten und griffen vorerst nicht ein. Allerdings führte die Gestapo im Anschluss an die Gewalttätigkeiten Verhaftungen jüdischer Männer durch. Die zehn Schutzhäftlinge des 10. November 1938, die länger als nur einige Stunden in Haft blieben, waren die in der Anichstraße 7 in Innsbruck wohnhaften Kaufleute und Brüder Franz Brüll, der am 19. November 1938 wieder entlassen wurde, Rudolf Brüll, der am 21. November 1938 und Josef Brüll, der am 24. November 1938 entlassen wurde.20 Weiters wurde der Kaufmann Bernhard Diamand verhaftet und am 21. November 1938 wieder entlassen.21 Sein Vater Ephraim Diamand, ebenfalls Kaufmann, wurde verhaftet und am 23. November 1938 aus der Schutzhaft entlassen.22 Der am 10. November verhaftete Kaufmann Friedrich Pasch kam am 22. November 1938 frei. Der Handelsangestellte Fritz Rosenstein, geboren 1910, war der jüngste der Schutzhäftlinge und wurde am 24. November 1938 wieder aus der Haft entlassen.23 Der in der Falkstraße 18 wohnhafte Kaufmann Richard Schwarz wurde bereits am 17. November 1938 aus der Haft entlassen.24 Zudem wurden Wolf und Fritz Turteltaub, Vater und Sohn, in Schutzhaft genommen und kamen am 18. November 1938 wieder frei.25

Die in allen drei Innsbrucker Mordfällen anlaufenden Untersuchungen der Kriminalpolizei wurden bereits nach wenigen Stunden von der Gestapo, welche die weiteren Nachforschungen an sich nahm, unterbunden.26 Die Erhebungsergebnisse der Gestapo wurden gegen Jahresende 1938 dem Obersten Parteigericht der NSDAP übergeben, wo im Zuge der reichsweiten Untersuchung von Exzessen des Novemberpogroms auch gegen zwei Innsbrucker Täter – Hans Aichinger im Zusammenhang mit den Morden an Ing. Richard Graubart und Dr. Wilhelm Bauer und Walter Hopfgartner wegen des Mordes an Ing. Richard Berger – ein Verfahren eingeleitet, jedoch am 9. Februar 1939 eingestellt wurde, obwohl der festgestellte Tatbestand lautete:

„In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 kam es auch in Innsbruck zu Aktionen gegen das Judentum. In deren Verlauf wurde der Jude Richard Graubart und Dr. Wilhelm Bauer durch den SS-Hauptsturmführer Hans Aichinger und der Jude Richard Berger durch den SS-Untersturmführer Walter Hopfgartner getötet.“27

Die Morde wurden als „Mord auf Befehl“ klassifiziert, den beiden SS-Männern wurde Befehlsnotstand zugebilligt, angesichts des Ablaufes der Aktion in Innsbruck aus Sicht der NSDAP nur konsequent. Entsprechend hieß es im Bericht an Hermann Göring wenige Tage später:

„Das Verfahren gegen die Pgg. Aichinger Hans, SS-Hauptsturmführer, wohnhaft in Innsbruck, […] und Hopfgartner Walter, SS-Untersturmführer, wohnhaft in Innsbruck, […] wegen Tötung der Juden Graubart, Dr. Bauer und Berger wurde bereits aufgrund der Ermittlungen der Stapo und der Einzelvernehmungen des Obersten Parteigerichts eingestellt.“28

Das Protokoll, das eine genaue Schilderung der Befehlsausgabe und Tatausführung enthielt, lag später auch dem Volksgericht Innsbruck vor. Aus den nicht an den Überfällen beteiligten SS-Männern wurde in der Pogromnacht eine Sicherungstruppe aufgestellt, die zum Abrücken uniformiert in den Sturmlokalen zu erscheinen hatte und schließlich ausrückte. Sie führte Straßensperren zum vorgetäuschten Schutz der Juden vor der angeblichen Volkswut durch. Damit wurde tatsächlich die Bevölkerung getäuscht: Nachträglich ging dann in Innsbruck das Gerücht um, dass sich gerade die SS bei den Pogromen vorbildlich gezeigt hätte und „daß sie es eigentlich war, die einen Schutz ausgeübt hat“. Laut Stadtgespräch soll das NSKK an den Judenpogromen „hauptbeteiligt“ gewesen sein, erst an zweiter Stelle wäre dann die SA zum Einsatz gekommen.29 Das stellte die Tatsachen völlig auf den Kopf, denn die Mörder waren SS-Leute in Zivil!

Am 12. November 1938 forderte Reichsmarschall Hermann Göring von den Juden deutscher Staatsangehörigkeit eine Milliarde Reichsmark als Entschädigung, da er die Juden für die Tat Grünspans verantwortlich machte. Zweck dieser Verordnung in Verbindung mit der Verordnung über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben war es, die Juden wirtschaftlich zu ruinieren und zur Auswanderung zu zwingen.

Seit 1997 steht auf dem Innsbrucker Landhausplatz die Menorah – ein Mahnmal zum Gedenken an die ermordeten Juden der Pogromnacht 1938: Richard Berger, Richard Graubart, Wilhelm Bauer und Josef Adler. Gemessen an der Zahl der jüdischen Bevölkerung wurden in keiner anderen Stadt des Deutschen Reiches so viele Menschen umgebracht. Die Morde waren aber, wie zu zeigen sein wird, nur die Spitze der Ausschreitungen. Verschärft wurde die Situation in Tirol durch den kranken Ehrgeiz des damaligen Gauleiters Franz Hofer, sein Herrschaftsgebiet Tirol-Vorarlberg als ersten judenfreien Gau nach Berlin zu melden.

Zum Abschluss möchte ich meinen 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die als Studierende mein Forschungsseminar „Täter und Tatverdächtige“ im Sommersemester 2015 besucht haben, herzlich für ihr Engagement danken. Sie sind in gewissenhafter Recherche in Archiven und an anderen Orten rund 120 Namen nachgegangen, die als Tatverdächtige im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom in Innsbruck 1938 aufgetaucht waren. Rund 70 Männer blieben übrig, die als Täter im weiteren Sinne gelten konnten und erstmals biografisch erforscht im vorliegenden Band präsentiert werden.

Ein derartiger Band kann aber nicht ohne Hilfe von außen fertiggestellt werden. Herzlichen Dank an Sabine Albrich-Falch, Nikolaus Hagen, Niko Hofinger und Ulrike Scherpereel für die kritische Lektüre der anfangs nicht immer leicht zu lesenden Texte. Vielen Dank auch an Gertraud Zeindl vom Tiroler Landesarchiv und Christian Herbst vom Innsbrucker Stadtarchiv für ihre große Unterstützung bei unserer Bildersuche! Für eventuelle inhaltliche Fehler stehe ich natürlich als Herausgeber gerade.

Innsbruck und Pfaffenhofen im Herbst 2016

Thomas Albrich

Anmerkungen

    1 Sybil Milton, Menschen zwischen den Grenzen. Die Polenausweisung 1938, in: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), Das Novemberpogrom 1938. Die „Reichskristallnacht“ in Wien, Wien 1989, 46–52.

    2 WuVT, Bd. 1, 447, Dok. 21; Köfler, Tirol und die Juden, in: Albrich/Eisterer/Steininger (Hg.), Tirol und der Anschluß, 178.

    3 WuV, Bd. 1, 447, Dok. 21.

    4 TLA, Präs., Zl. 640 XII 57 ex 1939.

    5 Harald Sandner, Hitler – Das Itinerar. Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945, Bd. III: 1934–1939, Berlin 2016, 1626f.

    6 Ausführlich zum Pogrom in Innsbruck vgl. Thomas Albrich, Die Jahre der Verfolgung und Vernichtung unter der Herrschaft von Nationalsozialismus und Faschismus 1938 bis 1945, in: Thomas Albrich (Hg.), Jüdisches Leben im historischen Tirol, Bd. 3: Von der Teilung Tirols bis in die Gegenwart, Innsbruck 2013, 221–239. Über Hintergründe, Motive, Anlass, Ablauf und Folgen dieser reichsweiten Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung liegt eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur vor, die zum Teil in der Auswahlbibliographie angeführt ist.

    7 Adam Uwe Dietrich, Wie spontan war der Pogrom? In: Walter H. Pehle (Hg.), Der Judenpogrom. Von der „Reichskristallnacht“ zum Völkermord, Frankfurt am Main 1988, 74–93, hier 88.

    8 Sandner, Hitler – Das Itinerar. Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945, Bd. III: 1934–1939, 1628.

    9 Dietrich, Wie spontan war der Pogrom? In: Pehle (Hg.), Der Judenpogrom, 74–93, hier 88f.

  10 Sandner, Hitler – Das Itinerar. Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945, Bd. III: 1934–1939, 1627.

  11 Jonny Moser, Österreich, in: Benz Wolfgang (Hg.), Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 33), München 1991, 67–93, hier 88, 91.

  12 Gerhard Botz, „Judenhatz“ und „Reichskristallnacht“ im historischen Kontext: Pogrome in Österreich 1938 und in Osteuropa um 1900, in: Kurt Schmid/Robert Streibel (Hg.), Der Pogrom 1938. Judenverfolgung in Österreich und Deutschland. Dokumentation eines Symposiums der Volkshochschule Brigittenau, Wien 1990, 9–24, hier 10.

  13 Walter H. Pehle (Hg.), Der Judenpogrom 1938. Von der „Reichskristallnacht“ zum Völkermord, Frankfurt am Main 1988.

  14 Zur Entwicklung zwischen „Anschluss“ und „Novemberpogrom“ vgl. Thomas Albrich, Die Jahre der Verfolgung und Vernichtung unter der Herrschaft von Nationalsozialismus und Faschismus 1938 bis 1945, in: Thomas Albrich (Hg.), Jüdisches Leben im historischen Tirol, Band 3: Von der Teilung Tirols 1918 bis in die Gegenwart, Innsbruck–Wien 2013, 87–220.

  15Innsbrucker Nachrichten, 9.11.1938.

  16Deutsche Volkszeitung, 10.11.1938, 1.

  17 Beschluss Oberstes Parteigericht in Sachen SS-Hauptsturmführer Hans Aichinger und SS-Untersturmführer Walter Hopfgartner (beide aus Innsbruck), 9.2.1939, abgedruckt bei Helmut Heiber (Hg.), Der ganz normale Wahnsinn unterm Hakenkreuz. Triviales und Absonderliches aus den Akten des Dritten Reiches, München 1996, Dokument 117, 134–136.

  18 Aus: Widerstand und Verfolgung in Tirol 1934–1945. Eine Dokumentation, hrsg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1984, Bd. 1, 451–455.

  19 Michael Gehler, Murder on Command. The Anti-Jewish Pogrom in Innsbruck 9th–10th November 1938, in: Leo Baeck Institute (Hg.), Yearbook 38 (1993), 119–153, hier 132.

  20 WuV in Tirol, Bd. 1, 473f.

  21 WuV in Tirol, Bd. 1, 474.

  22 WuV in Tirol, Bd. 1, 474.

  23 WuV in Tirol, Bd. 1, 479.

  24 WuV in Tirol, Bd. 1, 480f.

  25 WuV in Tirol, Bd. 1, 481f.

  26 LG Innsbruck, 10 Vr 104/46, Zeugenaussage Werner Hilliges, 13.6.1946.

  27 Abgedruckt bei Heiber Helmut (Hg.), Der ganz normale Wahnsinn unterm Hakenkreuz. Triviales und Absonderliches aus den Akten des Dritten Reiches, München 1996, Dokument 117, 134–136.

  28 SS-Obergruppenführer Walter Buch, Geheimer Bericht des Sondersenats des Obersten Parteigerichts der NSDAP an Generalfeldmarschall Hermann Göring, 13.2.1939. Abgedruckt bei Lauber, 225–233, hier 230.

  29 Einvernahme Hans Aichinger, 22.8.1945. TLA, 10 Vr 104/46.

Die Innsbrucker Kommandoebene im Novemberpogrom

Gauleiter Franz Hofer

Sarah Scheitnagl

Gauleiter Franz Hofer war zweifellos der führende Mann in der Nacht des Pogroms in Innsbruck. Er gab die Anweisungen, nach denen in der Folge die Ausschreitungen gegen die Juden in Innsbruck durchgeführt wurden.

Franz Hofer kam am 27. November 1902 in Bad Hofgastein/Salzburg als Sohn von Franz Hofer senior aus Tirol und Rosie, geborene Heinzle, aus Götzis in Vorarlberg zur Welt. Die Familie verblieb nur wenige Jahre in Salzburg und zog schon bald nach Tirol, genauer nach Innsbruck, wo Franz Hofer senior als Pächter des Gasthauses Breinößl fungierte. Nach dem Besuch der Volksschule sowie der Oberrealschule in Innsbruck machte sich Franz Hofer selbstständig, indem er ein Geschäft für Radiogeräte eröffnete.

Seine ersten politischen Gehversuche startete Hofer in der Heimatwehr, diese waren aber von eher bescheidenem Erfolg gekrönt: er wurde von Stabschef Waldemar Pabst „wegen völliger Nichteignung“1 entlassen. Am 15. September 1931 fand er durch seinen Beitritt bei der NSDAP ein neues politisches Tätigkeitsfeld. Dort stieg er innerhalb kürzester Zeit (es dauerte nur ca. eineinhalb Jahre) vom Ortsgruppenleiter zum Gauleiter für Tirol und Vorarlberg auf. Daneben schaffte er es ebenfalls, die NSDAP, die zu Beginn seiner politischen Laufbahn gespalten gewesen war, so weit zusammenzuführen und zu stärken, dass die Partei große Wahlerfolge verzeichnen konnte. So führte die am 23. April 1933 stattgefundene Ergänzungswahl für den Innsbrucker Gemeinderat zu einem riesigen Erfolg für die Nationalsozialistische Partei und Franz Hofer erhielt als Spitzenkandidat in Innsbruck sogar 41 % der Wählerstimmen – ein Phänomen, das vor allem Hofers Führungsstil, der sich unter anderem durch Propaganda und organisatorisches Geschick2 auszeichnete, zu verdanken war.3

Die NSDAP, nunmehr die „drittstärkste Fraktion“ in Innsbruck, war nun unter anderem durch Franz Hofer als einer der drei NS-Stadträte in der Innsbrucker Stadtregierung vertreten. Nachdem die NSDAP auch in Landeck einen Erfolg mit über 30 % der Wählerstimmen feierte, durften in ganz Österreich Landtags- und Gemeindewahlen nicht mehr durchgeführt werden, da die Christlich-Sozialen weitere Erfolge der NSDAP und damit deren unaufhörlichen Aufstieg befürchteten.4

Zeitgleich mit ihren politischen Erfolgen steigerte die NSDAP ihre gewalttätigen Übergriffe. So kam es am 11. Juni 1933 in Innsbruck zu einem Attentat auf den Kommandanten der Tiroler Heimatwehr, Richard Steidle, das dieser verletzt überlebte; ein weiterer Angriff erfolgte am 19. Juni 1933 auf christlichsoziale Turner, welchen die Nationalsozialisten mit einer Handgranate verübten.5

In der Illegalität

Als Konsequenz dieser Anschläge wurde die NSDAP in Österreich verboten und gegen Hofer – dieser war im Juli/August 1934 in das Gefangenenhaus in Innsbruck verbracht worden – ein Prozess wegen Hochverrats angestrebt. Bevor es zur Durchführung weiterer rechtlicher Schritte gegen Hofer kommen konnte, gelang es ihm mit Hilfe von vier Mitgliedern der Tiroler SA zuerst nach Bozen und sodann mit dem Flugzeug nach München zu fliehen. Eine während der Flucht am Brennerpass durch einen Gendarmen beigebrachte Schusswunde nutzte Hofer gekonnt, um sich am „Parteitag des Sieges“, der vom 31. August bis 3. September 1933 in Nürnburg stattfand, auf einer Bahre liegend in Szene zu setzen und dabei eine „flammende Rede“ zu halten.6

1934 wurde Franz Hofer die österreichische Staatsbürgerschaft durch die Regierung Dollfuß aberkannt. Trotzdem war er bis zum Juliputsch 1934 von Deutschland aus als Leiter der Tiroler NSDAP tätig und publizierte ebenso die in Österreich illegale Zeitung des Gaues Tirol-Vorarlberg, den Roten Adler. Nach dem Juliputsch erfolgte die Auflösung der österreichischen Landesleitung in Bayern und Franz Hofer übersiedelte daraufhin im Jahr 1937 nach Berlin, von wo aus er bis 25. Mai 1938 die Leitung der Leiter- und Mitglieder-Sammelstelle innehatte, welche die Aufgabe hatte, aus Österreich aufgrund des dortigen Verbots vertriebene Nationalsozialisten in Berlin unterzubringen und einzubürgern.

Zurück in Tirol

Nach der Annexion Österreichs im Frühjahr 1938 konnte sich Hofer trotz massiver Widerstände in den eigenen Reihen gegen die Tiroler Illegalen etablieren, und es erfolgte am 25. Mai 1938 seine Bestellung zum Gauleiter von Tirol-Vorarlberg sowie zum Landeshauptmann von Tirol. Zudem war er bereits Mitglied des Reichstages. Im November 1938 wurde er NSKK-Gruppenführer und damit ranghöchster Funktionär dieser Gliederung im Gau. Tirol und Vorarlberg unterstanden als Gau Tirol-Vorarlberg der Führung Hofers, Osttirol allerdings als Kreis Lienz dem Gau Kärnten. Weitere Ernennungen Hofers waren im November 1942 jene zum „Reichsverteidigungskommissar“ sowie im September 1943 zum „Obersten Kommissar der Operationszone Alpenvorland“, welche die Provinzen Bozen, Trient und Belluno umfasste.7 In seiner Tätigkeit als Oberster Kommissar schaffte es Hofer, die Gemeinden des Bozner Unterlandes, die seit 1923 zum Trentino gehörten, sowie Ampezzo-Buchenstein an die Provinz Bozen anzuschließen, was ihm positiv angerechnet wurde.

Franz Hofer war in der Umsetzung seiner Ziele absolut unbarmherzig und schreckte nicht vor Gewaltanwendung zurück. So wurden circa 160 deutsche und ladinische Südtiroler in Konzentrationslager, weitere 140 in Gefängnisse verbracht, 21 starben in Konzentrationslagern sowie durch Hinrichtung; ebenso wurden über ein Durchgangslager in Bozen Tausende in Vernichtungslager deportiert, worüber Hofer Bescheid wusste.8 Hofer war in seinem Machtbestreben nicht nur ohne jegliche Rücksicht, sondern auch mit absolutem Herrschaftsanspruch, was bedeutete, dass er alle Entscheidungen selbst traf, ohne seine Stellvertreter und Amtswalter mit einzubeziehen.9 Ein wichtiges Ziel Hofers war es, die nach wie vor große Macht der katholischen Kirche im Gau Tirol-Vorarlberg zu brechen, um Hitler einen weitgehend klosterfreien sowie kirchenlosen Gau präsentieren zu können. Im Zuge dieser Politik erkannte er unter anderem den apostolischen Administrator DDr. Paulus Rusch nicht an und war maßgeblich an der Verhaftung und Verfolgung von Provikar Prälat Dr. Carl Lampert beteiligt. Insgesamt wurden in Tirol mindestens elf Priester ermordet oder in Konzentrationslager verbracht.10

Verhaftung 1945

Im April 1945 wurde Hofer von Adolf Hitler zum Leiter der Bauarbeiten für die so genannte Alpenfestung ernannt, deren Bau er Hitler in einem Memorandum im November 1944 selbst vorgeschlagen hatte. Allerdings dürfte Hofer zu diesem Zeitpunkt durchaus bewusst gewesen sein, dass eine solche Festung aufgrund der Entwicklungen im Krieg und angesichts alliierter Truppen, die bereits vor der Grenze standen sowie im Wissen um die so genannte „Operation Sunrise“, die Verhandlungen über eine deutsche Kapitulation in Italien, reine Utopie sein konnte.11 Das Ende des Zweiten Weltkrieges verbrachte Hofer zusammen mit dem US-Fallschirmagenten Fred Mayer, einer für ihn wichtigen Geisel, sowie engen Mitarbeitern auf dem Lachhof bei Innsbruck. Dort traf er am 3. Mai 1945 auf amerikanische Soldaten, die ihn zwei Tage unter Hausarrest stellten, bevor das Counter Intelligence Corps dafür sorgte, dass Hofer nach Deutschland gebracht und interniert wurde. Die Zeit bis 1948 verbrachte er in verschiedenen Internierungslagern: in Augsburg, Seckenheim, Kornwestheim, Heilbronn, Zuffenhausen und Dachau. Hofer selbst konnte diese Internierung nicht verstehen, da er sich – nach eigenem Empfinden – in den Kriegsjahren nichts Schlimmes zuschulden hatte kommen lassen. Im März sowie Mai 1946 verfasste er daher zwei Schreiben, in denen er um Entlassung aus den Internierungslagern oder Auslieferung nach Österreich ersuchte.12

Nachkriegsjustiz

Nicht nur Hofer begehrte die Überstellung nach Österreich, umgekehrt kam es ab 1947 auch zu Auslieferungsbegehren der Republik Österreich. Es gab für die amerikanische Behörde, die bislang mit der Causa Hofer betraut gewesen war, nach Abschluss ihrer Ermittlungen nunmehr zwei Möglichkeiten, wie mit Hofer verfahren werden könnte: Die Auslieferung nach Österreich oder ein Spruchkammerverfahren in Deutschland. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte in der Staatsanwaltschaft Innsbruck allerdings kein wie auch immer gearteter Akt in der Angelegenheit Hofer; offensichtlich war die österreichische Justiz davon ausgegangen, dass die amerikanischen Alliierten einen Prozess gegen ihn anstreben würden. Am 14. Dezember 1947 wurde von der Staatsanwaltschaft Innsbruck daher der Haftbefehl samt Beantragung der Untersuchungshaft gegen Franz Hofer ausgestellt, in welchem er wegen Verbrechen der §§ 10, 11 Verbotsgesetz, wegen Hochverrats sowie nach §§ 1–8 Kriegsverbrechergesetz angeklagt wurde, die Übersendung nach Deutschland samt Auslieferungsgesuch erfolgte am 15. Dezember 1947 an die zuständige Behörde in München.13

Am 8. Januar 1948 kam es zur Überstellung Hofers in das Lager Dachau, da nunmehr die deutsche Behörde für ihn zuständig war. Für die Amerikaner war Hofer aufgrund des Umstandes, dass er sich nichts gegen Alliierte zuschulden kommen hatte lassen, nicht mehr interessant genug, um weitere rechtliche Schritte gegen ihn einleiten zu lassen. Zwischenzeitlich wurde in Innsbruck die Beschlagnahme von Hofers Vermögen in die Wege geleitet. Die von Österreich beantragte Auslieferung Hofers erfolgte – wie irrtümlich von der österreichischen Behörde angenommen – nicht, vielmehr sollte nunmehr auf Hofer das „Spruchkammerverfahren vor der Lagerspruchkammer Dachau“14 zukommen, im Zuge dessen sich die Spruchkammer zwecks Beweisaufnahme am 21. April 1948 in einem Schreiben an die Bundespolizeidirektion in Innsbruck wandte. Hofer entzog sich dem Spruchkammerverfahren ebenso wie einer möglichen Auslieferung nach Österreich mit der Aussicht auf ein weitaus härteres Urteil, indem er am 22. Oktober 1948 floh. Wie er diese Flucht bewerkstelligt hatte und bei wem er in der folgenden Zeit untertauchen konnte, ist unbekannt. Am 7. März 1949 erfolgte die Einbringung der Klageschrift und am 14. Juni 1949 in Abwesenheit des Schuldigen eine mündliche Verhandlung; das Urteil lautete unter anderem: Einstufung Hofers in Kategorie I, zehn Jahre Arbeitslager sowie „Einziehung“ des „Vermögens bis auf 3.000 DM“.15 Am 28. August 1952 wurde nach eingelegter Berufung das Strafmaß Hofers auf drei Jahre und fünf Monate herabgesetzt, jener Zeitrahmen, den Hofer bereits in Internierungslagern verbracht hatte.

War Hofer bis zu diesem Zeitpunkt noch unter die Kategorie I als sogenannter Hauptschuldiger eingestuft worden, änderte sich dies am 14. Oktober 1955 mit dem gleichzeitigen Ende des Spruchkammerverfahrens gegen ihn, als er – wie alle Gauleiter – auf Kategorie II zurückgestuft wurde und nunmehr auch keine Auslieferung an Österreich mehr zu befürchten hatte. Die österreichische Justiz indes versuchte im Mai 1957, mithilfe eines Untersuchungsrichters herauszufinden, inwieweit Hofer sich bei den Euthanasieverbrechen als Mittäter schuldig gemacht hatte. Hofer selbst lebte zwischenzeitlich bereits wieder unter seinem richtigen Namen und betrieb in Mühlheim an der Ruhr zusammen mit seiner dritten Frau das Geschäft „Ruhrarmatur GmbH Mühlheim/Ruhr“. 1960 kam es in Österreich zu einem weiteren Versuch gerichtliche Schritte gegen Hofer einzuleiten, und zwar zusammen mit der Israelitischen Kultusgemeinde Innsbruck für Tirol und Vorarlberg als Privatbeteiligte. Erstmals befasste sich die Justiz dabei auch mit Hofers Beteiligung am Novemberpogrom 1938.16

Es erfolgte ein neuerlicher Haftbefehl gegen Franz Hofer, dieses Mal vorwiegend „wegen Beihilfe zum Mord“.17 So hieß es darin unter anderem, dass Hofer „für die Durchführung des Judenpogroms am 9.11.1938 in Innsbruck mit-verantwortlich“18 sei, d. h. auch für die Ermordungen von Ing. Richard Graubart, Dr. Wilhelm Bauer und Ing. Richard Berger. Daneben wurde er auch der Mittäterschaft an den Euthanasieverbrechen „von über 700 Geisteskranken“ angeklagt, ebenso für „schwere Körperverletzung“ mit Todesfolge „im Lager Reichenau“.19

Es kam zu einem Ermittlungsverfahren gegen Hofer in Duisburg, die Einstellung des Verfahrens wegen etwaiger Mittäterschaft an Euthanasieverbrechen erfolgte am 5. November 1963. Wegen Hofers eventueller Mittäterschaft am Novemberpogrom wurde weiter ermittelt, allerdings erfolgte keine Anklage. Auch in Köln waren mittlerweile bereits zwei Ermittlungsverfahren gegen Hofer anhängig, durch die man herausfinden wollte, inwieweit eine Mittäterschaft Hofers an den Verbrechen in den Konzentrationslagern zu beweisen war. Ebenso ging es in den Ermittlungsverfahren um Hofers Schuld am Tod von Provikar Prälat Dr. Carl Lampert. Ein drittes Ermittlungsverfahren befasste sich mit dem Tod des ehemaligen Heimatwehrführers Dr. Richard Steidle im KZ Buchenwald.

Alle drei Ermittlungsverfahren wurden jedoch mangels an Beweisen fallengelassen. Am 26. März 1974 kam es zur Einbringung der Anklageschrift im Verfahren der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, in welcher Hofer vorgeworfen wurde, „vorsätzlich und mit Überlegung sowie aus niedrigen Beweggründen vier Menschen“20 in der Pogromnacht ermordet zu haben. Auch dieser Versuch, Hofer gerichtlich für seine Taten zu belangen, verlief ergebnislos, da in weiterer Folge kein weiteres Verfahren eröffnet wurde. Das Landgericht Duisburg, II. Strafkammer, stützte sich auf die These, dass die dem Gericht vorgelegten Beweise nicht ausreichen würden, um Hofer anzuklagen. Hauptentlastungszeuge hiefür war neben den Aussagen Hofers selbst vor allem Gustav Fast, dem eine Besprechung mit Hofer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nicht mehr erinnerlich war. Dies reichte dem Gericht aus, die Klage gegen Hofer in der Angelegenheit einer Mit- bzw. eine Täterschaft am Novemberpogrom fallenzulassen. Interessantes Detail dabei: Gustav Fast widersprach seiner am 28. April 1964 vorgebrachten Aussage, in welcher er mitgeteilt hatte, dass Hofer bei der Besprechung sehr wohl anwesend gewesen war. Der abweisende Beschluss und damit gleichzeitig das letzte gegen Hofer anhängige Ermittlungsverfahren erlangte am 13. Februar 1975 Rechtskraft. Die Einstellung des Verfahrens in Innsbruck erfolgte nach dem Tod von Franz Hofer am 18. Februar 1975.21

SS-Untersturmführer Gustav Fast

Dominik Weber

SS-Untersturmführer Gustav Jakob Fast vom SD war Protokollführer bei der Sitzung von Gauleiter Franz Hofer in den frühen Morgenstunden des 10. November 1938. Er wurde am 7. März 1912 in der Gemeinde Annweiler, die heute Annweiler am Trifels heißt, geboren. Seine Eltern waren Philippina, geborene Klein, und Adam Fast. Beide waren evangelisch.22 Gustav Fast war zur Zeit des Novemberpogroms Mitglied der SS und des SD und war vom Anschluss Österreichs bis etwa 1941 dem SD-Abschnitt Innsbruck zugeteilt, wo er seinen Dienst als Sachbearbeiter für Organisation und Personal versah. Im November 1938 hatte er den Rang eines Untersturmführers inne.23 Zu seiner Rolle in der Pogromnacht schrieb Fast am 12. November 1938 u. a.:

„Nach der Vereidigung der SS am 9. November 1938, 24 Uhr, forderte mich der Führer der 87. SS-Standarte, SS-Sturmbannführer Erwin Fleiß, auf, in Vertretung des dienstlich abwesenden SS-Obersturmführers Dr. Gelb um 1 Uhr im Dienstzimmer des Gauleiters Hofer zu erscheinen.“24

Bei der Besprechung im Büro des Gauleiters Franz Hofer, der gerade aus München zurückgekommen war, war Fast als Protokollführer anwesend.25

Im Jahr 1942 meldete sich Gustav Jakob Fast in Innsbruck nach Marburg ab.26 Am 28. April 1964 wurde der mittlerweile in Köln-Mühlheim wohnende Gustav Fast im Rahmen des Prozesses gegen Franz Hofer in Köln vernommen, wo er angab, mit Ausnahme der Besprechung nicht in Berührung mit dem Novemberpogrom gekommen zu sein.27 Am 20. Mai 1958 heiratete Gustav Fast die am 8. Juli 1922 geborene Gertrud Eva Lohse. Die beiden zogen schließlich nach Sankt Martin bei Edenkoben. Gustav Jakob Fast verstarb am 15. Juni 1981 in Klingenmünster.28 Seine Witwe Gertrud Eva Fast zog am 25. April 1996 nach Chemnitz.29

Gustav Fasts Angaben zur Besprechung vom 10. November 1938

Wann Gauleiter Franz Hofer eintraf, ob dieser von München kam und ob er selbst einen Bericht über die Besprechung verfasst hatte, konnte Gustav Fast bei seiner Vernehmung am 28. April 1964 nicht mehr sagen. Am 12. November 1938 erstellte Gustav Fast eine Anwesenheitsliste der Besprechung, konnte später aber nicht bestätigen, ob diese korrekt sei. Er bestätigte nur die Anwesenheit von SS-Oberführer Feil und des Leiters der Feuerlöschpolizei, da von der Vermeidung von Ausbreitung der Brände die Rede war. Eingangs sprach Franz Hofer von der Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath und dem deshalb bestehenden Volkszorn. An den genauen Wortlaut, die Ausdrucksweise und die Intention Hofers sowie an die Aufforderung, dass mehrere Synagogen (sic!) in Brand gesteckt werden sollen, will sich Fast später nicht mehr erinnern können. Von der Besprechung wusste er bei seiner Vernehmung 1964 nur noch, dass von der Verhütung der Ausdehnung der Brände und von Zurückhaltung der Polizei gegenüber den „Demonstranten“30 die Rede war. Gustav Fast wollte sich bei der Vernehmung aber nicht mehr daran erinnern können, ob ein Fernschreiben von SS-Gruppenführer Heydrich eingetroffen sei, ob eine Judenliste vorhanden war, ob ein planmäßiger Einsatz gegen Objekte und Personen befohlen wurde, und ob das Tragen von Zivilkleidung vorgeschrieben war. Er nahm an, dass es so war, wie es im Bericht stand. Außerdem gab Fast an, dass bei der Besprechung keine Morde befohlen worden waren, und die Mörder Einzeltäter gewesen seien.31

Gustav Fasts Angaben zum Bericht

Er nahm an, dass er in dem Bericht seine Worte nicht sehr sorgfältig abgewogen habe und dass dieser seine Unterschrift trage. Außerdem sei es möglich, dass der Bericht nicht von ihm selbst abgefasst wurde, sondern von den Sachbearbeitern Dr. Chlan und Dr. Töpfel und er den Bericht nur unterzeichnet hätte. Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Bericht aus mehreren Teilen zusammengesetzt und später noch Teile hinzugefügt worden waren.32

Der Bericht

Der Bericht, wie in der Einleitung zu lesen war, handelt davon, dass SS-Sturmbannführer Erwin Fleiss Gustav Fast am 9. November 1938 um 24 Uhr aufforderte, im Dienstzimmer des Gauleiters Hofer zu erscheinen. Dieser traf um Punkt 1:00 Uhr von München kommend ein. Außerdem waren die Führer der Gliederungen anwesend. Allen voran SS-Oberführer Feil, SA-Brigadeführer Waidacher, SS-Hauptsturmführer Dr. Spann, SS-Untersturmführer Dr. Franzelin und Hermann Duxneuner als Beauftragter für Arisierung und Gustav Fast selbst als stv. Leiter des SD-Unterabschnittes Tirol.33

Dann gab Gauleiter Hofer bekannt, dass sich die kochende Volksseele aufgrund des Mordanschlags auf den Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath in Paris gegen die Juden erhebe. Außerdem sei es notwendig, dass sich auch in Tirol der Volkszorn gegen die Juden richte. Zudem solle die Polizei der kochenden Volksseele bis in der Früh 6:00 Uhr volle Aktionsfähigkeit gewähren. Außerdem seien Plünderungen und die Beschädigung von arischem Eigentum zu verhindern.34

Im zweiten Teil des Berichts schildert Gustav Fast die Bilanz der Pogromnacht in Innsbruck. Die Aktion beschränkte sich nur auf Innsbruck, da auf dem Land kaum Juden lebten. Die Synagoge und die Wohnungen der Opfer wurden schwer beschädigt, allerdings gab es keine Plünderungen. In zwei Fällen wurden Wohnungen von Ariern verwüstet. Diejenigen Juden, die keinen Schaden nahmen, habe man wohl übersehen. Außerdem wurden Richard Graubart und Richard Berger ermordet. Karl Bauer, der auch ermordet werden sollte, überlebte. Gustav Fast gab zudem an, dass Wilhelm Bauer bald sterben würde. Zudem wurde das Ehepaar Popper in die Sill geworfen. Allerdings konnten sie sich selbst ans Ufer retten. Daraufhin wurde der Mann inhaftiert. Insgesamt wurden 18 Juden verhaftet, die alle arbeitsfähig aber verletzt waren.35

SS-Oberführer Johann Feil36

Maximilian Oswald

Johann Feil kam am 13. Juni 1896 in Leonfelden im heutigen Oberösterreich als Sohn des Staatsbeamten Eduard Feil und der Anna, geborene Kastner, zur Welt.37 Seine Schulbildung erhielt Feil in Linz, wo er nach der Volksschule vier Jahre die Mittelschule und anschließend die Staatslehrerbildungsanstalt besuchte.38 Nach der Matura meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger zur k. u. k.-Armee und wurde im Jahr 1915 an die Front entsandt. Im Laufe des Krieges stieg er bis zum Leutnant der Reserve auf und diente am Schluss als Zugs- und Kompanieführer in einem Sturmbataillon.39 Nach Kriegsende war Feil als Fachlehrer für kunstgewerbliches Zeichnen in Linz und Schärding tätig.40

Seinem Lebenslauf zufolge war der Pädagoge sozialistischem Gedankengut durchaus nicht abgeneigt. So sei er der sozialistischen Gewerkschaft beigetreten. Dass darin auch Juden führend tätig waren, schien Feil jedoch maßgeblich zu stören und er wandte sich vermehrt nationalsozialistischen Ideen zu. Im April 1932 wurde er Mitglied der NSDAP, im Juli desselben Jahres trat er der SS (SS-Nummer 41.93741) bei.42 Dort stieg er schnell bis zum Obersturmbannführer43 auf und wurde mit der Leitung der 37. SS-Standarte betraut. Aus einem zeitgenössischen internen Rundschreiben geht hervor, dass er von seiner Mannschaft unbedingten Gehorsam forderte, um dem politischen Gegner nicht durch unautorisierte Aktionen einzelner SS-Männer Propagandamaterial gegen sie zu liefern.44

Trotz seines politischen Engagements konnte er seine Lehrerstelle bis zum Jänner 1934 behalten. Auf eine kurze Haftstrafe folgte eine bis zum Mai 1934 andauernde Suspendierung und Maßregelung, danach wurde er wiedereingestellt.45

Als der nationalsozialistische Juliputsch 1934 scheiterte, setzte sich Feil am 23. Juli ins Deutsche Reich ab.46 Bis zu diesem Zeitpunkt war er als Führer der oberösterreichischen SS tätig.47 Von August bis November absolvierte er eine Ausbildung im SS-Lager Dachau und arbeitete dort anschließend als Stabsoffizier.48 Das SS-Lager diente zu dieser Zeit der Unterbringung und Ausbildung österreichischer NS-Emigranten. Auch hier war Feil für seine Strenge bekannt und griff bei Verstößen gegen Befehle der Lagerführung hart durch.49 Nachdem er 1935 zum Standartenführer ernannt worden war, übernahm er nach dem „Anschluss“ im März 1938 die hauptamtliche Führung des SS-Abschnitts der Gaue Salzburg und Tirol-Vorarlberg im Rang eines SS-Oberführers.50 In Innsbruck ließ er sich mit seiner Frau Maria, geborene Zembran51, und seiner Tochter zunächst in der Maria-Theresien-Straße nieder, bevor er später nach Hötting zog.52

Feils Rolle während des Novemberpogroms:

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fand im gesamten Deutschen Reich die Vereidigung der allgemeinen SS statt, so auch in Innsbruck am damaligen Adolf-Hitler-Platz (vor dem heutigen Landestheater gelegen, Anm. d. V.). Nach der Veranstaltung rief Johann Feil die anwesenden SS-Führer zu sich und berichtete ihnen, dass vom Rath seinen Verletzungen erlegen war und es nun zu Vergeltungsaktionen gegen die Juden kommen sollte. Dafür mussten die Sturmführer bewährte Männer aus ihren Reihen bestimmen, die sich dann in Zivilkleidung beim SS-Abschnitt im Innsbrucker Hochhaus in der Salurnerstraße einzufinden hatten.53 Nach einer Sitzung im Landhaus bei Gauleiter Hofer erhielten die Männer von Feil, im Beisein von SS-Standartenführer Erwin Fleiss, den Auftrag, die in der Gänsbacherstraße wohnhaften Juden auf lautlosem Wege umzubringen. Dezidiert wurden Ing. Richard Graubart, Dr. Wilhelm Bauer und Karl Bauer genannt.54 Auch sollte der Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde, Ing. Richard Berger, liquidiert werden.

Ing. Graubart und Dr. Bauer wurden von SS-Männern, die in ihre Wohnungen eingedrungen waren, so schwer durch Messerstiche verletzt, dass sie daran verstarben, während Karl Bauer schwer verletzt überlebte. Ing. Berger wurde von einem Kommando entführt und in Kranebitten am Inn ermordet.55

Über Feils Reaktion auf die Ergebnisse des Pogroms gibt es unterschiedliche Aussagen. Während Hans Aichinger bei seiner Befragung am 12. September 1945 angab, dass sich der Oberführer einige Tage später allgemein lobend über die Aktion geäußert, dabei aber keine Details angesprochen hatte56, war er laut Vernehmungsprotokoll von Alois Schintlholzer vom 21. April 1961 überaus aufgebracht ob der Tatsache, dass Karl Bauer den Pogrom schwer verletzt überlebt hatte.57 Eine völlig andere Aussage machte Karl Bator, einvernommen am 7. August 1945. Demnach war Feil sichtlich unzufrieden mit den Vollzugsmeldungen seiner SS-Männer. Er brachte erregt zum Ausdruck, dass er „dies“ (vermutlich waren die Ermordungen gemeint, Anm.) so nicht gewollt hätte. Sein Verhalten empörte die Täter, da Feil zuvor diese Taten angeordnet hatte, im Nachhinein aber wohl die Verantwortung dafür abstreiten wollte.58

Die Gänsbacherstraße 4, ehemals Wohnort der Familie des überfallenen Kaufmanns Karl Bauer, wurde bald darauf von der Stadtsparkasse aufgekauft und dem SS-Abschnitt, dem Feil vorstand, zur Verfügung gestellt.59 Der Oberführer wählte die Villa dann ab Dezember 1939 selbst als seinen Wohnsitz.60

Feil im Krieg

Noch im April 1940 wurde Feil eine uk-Stellung für seine Tätigkeit als SS-Abschnittsführer zuerkannt61, aber schon im Mai desselben Jahres wurde er als Sturmbannführer der Reserve zur 12. SS-Totenkopfstandarte eingezogen. Diese SS-Standarten wurden im Laufe des Jahres zu Waffen-SS-Regimentern umstrukturiert und teils für die Bewachung von Konzentrationslagern verwendet. Feil wurde im Februar 1941 Kommandant eines solchen Wachbataillons. Nach seiner Beförderung zum Obersturmbannführer wurde er im August Leiter des Truppenübungsplatzes Debica. Ab April 1942 befehligte er ein Bataillon der 7. SS-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“, der später schwere Kriegsverbrechen in Jugoslawien vorgeworfen wurden. Da Feil seit 1941 aber an einem Zwölffingerdarmgeschwür und einer Gallenerkrankung litt, wurde er im Oktober 1942 aus der Waffen-SS entlassen und trat erneut seine Stellung als hauptamtlicher SS-Oberführer in Innsbruck an.62 Zuvor wurde ihm von seinem Vorgesetzten ein besonderer Eifer attestiert.63

Ab April 1944 war Feil als Polizei- und SS-Kommandeur in Udine tätig, bis man ihn im Herbst desselben Jahres des Postens enthob.64 Grund hierfür war eine Auseinandersetzung mit einem deutschen Sonderberater vor Ort, im Zuge derer Feil verbal ausfällig geworden war. Es wurde nach einer neuen Verwendung für ihn gesucht, Gauleiter Hofer lehnte eine mögliche Rückkehr nach Tirol „höflich“ ab.65 Schließlich versetzte man ihn nach Linz, um ihn beim dortigen Polizeipräsidenten einzuarbeiten.66 Über seinen weiteren Weg sind die Informationen recht dünn. Im Februar 1945 soll er das letzte Mal vor Kriegsende seine Familie besucht haben. Seine Frau gab bei einem Verhör vom 12. September 1945 an, im April eine Art Abschiedsbrief aus Berlin zugestellt bekommen zu haben, wonach der Krieg verloren gewesen sei. Zuvor hatten sie immer darüber gesprochen, dass sich Johann, sollte das Deutsche Reich eine Niederlage erfahren, das Leben nehmen würde. Jedenfalls habe sie seitdem nichts mehr von ihm gehört.67 Als gesichert gilt, dass Feil über das Netzwerk von Bischof Hudal über Südtirol nach Argentinien flüchten konnte, um sich so einer Anklage zu entziehen.68

Gesucht für ein Pogromverfahren

Währenddessen wurden am Volksgericht Ermittlungen gegen die Täter der Reichspogromnacht eingeleitet, Feils Aufenthaltsort galt jedoch als unbekannt. Der SS-Oberführer wurde schon bald als Auftraggeber der Morde ausgemacht. Die Erhebungen der Staatsanwaltschaft führten schließlich – da sie Feil zwecks einer Einvernahme nicht habhaft werden konnte – am 13. Dezember 1957 zur Ausstellung eines Haftbefehls.69 Anscheinend war ihnen nicht bekannt, dass Feil – im März 1956 krebskrank aus Argentinien zurückgekehrt und in Mittenwald/Bayern wohnhaft – dort bereits am 30. Jänner 1957 verstorben war.70

Im November 1958 stellte die Staatsanwaltschaft Innsbruck schließlich den Antrag, das offene Verfahren gegen Feil et al. gemäß der NS-Amnestie 1957 einzustellen.71 Johann Feil, Auftraggeber der Morde an Dr. Bauer, Ing. Graubart und Ing. Berger, musste sich für seine Befehle niemals vor Gericht verantworten.

SA-Brigadeführer Vinzenz Waidacher

Nikolaus Hagen

Vinzenz Waidacher war von 1935 bis zu seinem Tod im September 1941 oberster Führer der SA im Gau Tirol-Vorarlberg. Waidacher war nicht nur einer der Hauptorganisatoren des Novemberpogroms, sondern auch persönlich an mindestens drei Überfällen auf jüdische Geschäfte und Haushalte beteiligt.

„Arbeiter der Faust“

Vinzenz Waidacher wurde am 19. Juli 1900, als Sohn von Alois und Pauline Waidacher, in Mieders geboren.72 Eigentlich war Waidacher gelernter Mechaniker, tat aber seit dem „Anschluss“ Dienst als hauptamtlicher SA-Führer und ab 1939 als (Unter-)Offizier in der Wehrmacht. Waidacher war bis zu seinem Tod im Herbst 1941 der oberste SA-Mann im Gau Tirol-Vorarlberg. Als Führer der SA-Gebirgsjägerbrigade 99, im Rang eines SA-Oberführers, vollzog er seine Tätigkeit im Brigadestab, der insgesamt dreißig Personen umfasste, nach dem März 1938 hauptamtlich.73 Die SA-Gebirgsjägerbrigade 99, die geographisch das gesamte Gebiet des Gaus Tirol-Vorarlberg umfasste, untergliederte sich in vier Standarten und war ihrerseits Teil der SA-Gruppe Alpenland, mit Stabssitz in Linz. Die vier Standarten der Brigade hatten ihre Sitze in Innsbruck (GJ 1), Imst (GJ 2), Dornbirn (GJ 3) und Schwaz (GJ 4). Der Brigadestab selbst hatte seine Dienststelle unweit des Landhauses in der Wilhelm-Greil-Straße 10.74

Mit Waidacher hatte sich ein Vertreter der „Illegalen“ an der Spitze der Tiroler und Vorarlberger SA durchgesetzt. Dabei kam ihm vermutlich zu Gute, dass er die SA in der Illegalität straff und relativ unabhängig von der damaligen Gauleitung unter Edmund Christoph geführt hatte. Zudem hatte sich Waidacher als entschiedener Gegner der von Christoph betriebenen „Befriedungspolitik“ gezeigt.75 Waidacher war einer der „Alten Kämpfer“ der Tiroler NSDAP und bereits 1932 zur Partei gestoßen. In einer Rede anlässlich Waidachers Todes im Spätherbst 1941 würdigte Gauleiter Franz Hofer den Verstorbenen als einen „Arbeiter der Faust […] und immer dann zum Kampf bereit […] wenn es am härtesten herging“.76 Damit war das Aufgabenfeld des obersten NS-Schlägers, wenn auch verklausuliert, gut beschrieben.

Bereits an der so genannten „Höttinger Saalschlacht“ vom 27. Mai 1932 war Waidacher handfest beteiligt gewesen und hatte, wie eine amtliche Liste der Verletzten und Verwunderten festhält, eine „Schlagverletzung [an] Stirn u. Schädel“ erlitten.77 Erst drei Monate zuvor, am 12. Februar 1932, war Waidacher in die Partei eingetreten und hatte die Mitgliedsnummer 895.838 erhalten.78 Sein Aufstieg in der im Jahr darauf in Österreich verbotenen Partei erfolgte rapide. Nachdem der spätere Gauinspekteur Klaus Mahnert, der ab 1934 die SA als Brigadeinspekteur geleitet hatte, im September 1935 ins Deutsche Reich geflohen war, stieg Waidacher zum neuen SA-Führer auf.79

Für die zahlreichen illegalen Aktionen wurde Waidacher vor Gericht mit über zwei Jahren Kerker bestraft.80 Die Machtposition, die sich Waidacher – trotz seiner zeitweiligen Inhaftierung – in der Illegalität aufgebaut hatte, zeigte sich deutlich in der nach dem „Anschluss“ berufenen Wahlleitung zur Volksabstimmung vom 10. April 1938, die der Annexion nachträglich einen demokratischen Anstrich verleihen sollte. Die Besetzung der Wahlleitung spiegelte die damalige Führungsriege der NSDAP in Tirol wider und Waidacher selbst fungierte als stellvertretender Gauwahlleiter.81 Als Franz Hofer, der zwischenzeitlich von Hitler zum Gauleiter für Tirol und Vorarlberg auserkoren worden war, am 25. Mai 1938 im Festzug am Innsbrucker Bahnhof eintraf, begrüßten ihn Edmund Christoph und Waidacher gemeinsam.82

Während Christoph und dessen Gefolgsleute im Kampf um die höchsten Posten in der Gauleitung den Kürzeren zogen, verblieb Waidacher als SA-Brigadeführer. Offenbar hatte er sich in der Illegalität für die Partei bewährt und sein distanziertes Verhältnis zu Christoph kam ihm bei Hofer sicherlich zu Gute. Zwar war die SA „eine dem Führer unmittelbar unterstellte soldatisch aufgebaute Gliederung“83, deren Führer nicht den politischen Leitern der Partei unterstellt waren, trotzdem war in der Praxis ein gutes Einvernehmen mit den so genannten Hoheitsträgern der Partei notwendig. Dieser, d. h. der jeweiligen Gau- oder Kreisleiter, hatte auch das Recht, wie es das Organisationsbuch der NSDAP vorsah, die sich in seinem Bereich befindliche SA zur „Lösung der ihm übertragenen politischen Aufgaben“84 heranzuziehen, sofern es dafür eine begründete Notwendigkeit gab. Die anschließende Durchführung der angeforderten Aufgabe erledigte die SA autonom unter der Leitung ihres jeweiligen Führers.

Während die SA im Altreich zwischen 1934 und 1938 zu einer „Veteranenorganisation der alten Kämpfer und zum politisch einflußlosen Wehrsportverband“85 geworden war, war sie in Österreich in der Illegalität ungebrochen als revolutionäre, terroristische Kampftruppe in Erscheinung getreten. Der März 1938, der im Altreich ebenfalls für eine unerwartete Renaissance der SA sorgte, brachte der SA in Tirol ein breites „Betätigungsfeld“. Bei unzähligen wilden Verhaftungen, Übernahmen von Institutionen und Unternehmen, Überfällen auf politische Gegner, illegalen Vermögensentzügen und anderen terroristischen Maßnahmen der neuen Machthaber, war die SA an vorderster Front beteiligt.

In der Öffentlichkeit trat Waidacher bei verschiedenen Feierlichkeiten und Kundgebungen des Regimes in Erscheinung. So etwa bei einer gemeinsamen Propagandafahrt mit Gauleiter Hofer und dem Innsbrucker Kreisleiter Primbs durch das Umland der Landeshauptstadt am 1. Mai 1939. Die Tour, die in der NS-Presse als idyllische „Frühlingsfahrt“, vorbei an „frohe[n] und glückliche[n] Menschen“, beschrieben wurde86, enthielt zahlreiche für die Masseninszenierungen des NS in Tirol typische Elemente: Standschützenaufmärsche, Schießstandbesuche, Musikkapellen, Volkstänze und Marketenderinnen. Die gemeinsame Fahrt illustriert das Naheverhältnis zwischen Hofer und Waidacher und dessen zentrale Rolle im regionalen Machtgefüge. Typischer für Waidachers öffentliche Auftritte waren aber wohl die Aufmärsche und Paraden der paramilitärischen NS-Formationen. Eine solche erfolgte am 25. November 1940 bei der Vergabe von SA-Wehrabzeichen an Angehörige der Schutzpolizei vor dem mit Hakenkreuzen beflaggten Landestheater, auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz.87 In Waidachers Rede – paraphrasiert in den Innsbrucker Nachrichten – finden sich zahlreiche Versatzstücke der NS-Ideologie, darunter das von Waidacher eingeforderte „Bekenntnis zu unserem Volkstum und zu Blut und Boden“, die Geißelung der „innerlich hohlen und morschen Demokratien“ und ein Treuegelöbnis auf Adolf Hitler.88 Teil der typisch nationalsozialistischen Inszenierung waren auch zahlreiche Formationen von Partei und Staat, welche bei Marschmusik an Waidacher vorbei defilierten. Es dürfte sich dabei um einen der letzten großen öffentlichen Auftritte Waidachers im Gaugebiet gehandelt haben.

Co-Organisator des Novemberpogroms

Ohne Zweifel war Waidacher einer der maßgeblichen Organisatoren des Novemberpogroms in Innsbruck, obwohl die Quellenlage auf den ersten Blick relativ dünn erscheint. Da Waidacher schon im September 1941 im Krieg gefallen war, kam es nach 1945 nie zu einem Gerichtsverfahren gegen ihn, und dementsprechend wurde Waidachers Rolle auch nur untergeordnetes Interesse beigemessen.89 Die Indizienlage ist allerdings eindeutig: Wie in zahlreichen Gerichtsurteilen gegen andere Tatbeteiligte festgestellt wurde, war die