Die Teilung der Erde - Oli Harder - E-Book

Die Teilung der Erde E-Book

Oli Harder

0,0

Beschreibung

WENN DIE ERDE NICHT MEHR SO EXISTIERT, WIE WIR SIE KENNEN Die Erde teilte sich. Erdbeben zerstörten das Land. Überflutungen spülten Inseln fort, Vulkane brachen aus und die heiße Lava ergoss sich auf ihrem Weg über Mensch, Tier und die Natur. Die Kontinentalplatten verschoben sich und es verschwanden ganze Kontinente, während neue entstanden. Nur wenige überlebten die vernichtenden Naturkatastrophen. Hundertsechzig Sommer nach ihrer Teilung ist die Erde unbarmherzig und gnadenlos zu den Menschen. Nur wer sich der Herrschaft des Sir O unterordnet und ihm dient, hat eine Chance zu überleben. So auch Sava. Sie ist die erbittertste Soldatin der Herrschaft und mit ihrer Mannschaft durchkämmt sie die Erdhälfte auf der Suche nach Relikten. Doch was passiert, wenn sie sich völlig allein und dem Tod ausgeliefert in der Ödnis wiederfindet?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 751

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Oli Harder, geboren 1986 in Russland, schreibt seit sie einen Stift halten kann und war schon immer fasziniert von Geschichten und Büchern. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Erzieherin, liebt es, um die Welt zu reisen und sich von der Vielfalt der verschiedenen Kulturen inspirieren zu lassen.

Für Lidia,

die rote Rose ist für Dich!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Prolog

Die Erde.

Ein runder Planet.

Ein Planet voller Wunder und Mysterien, voller Licht und Dunkelheit, voller Wärme und Kälte, voller Liebe und Hass, voller Reichtum und Armut.

Ein Planet, der so unterschiedlich ist und doch so gleich. Ein Planet, der ein Zuhause für Milliarden von Menschen, Tieren und Geschichten bietet. Ein Planet, den es nur ein einziges Mal gibt.

Die Erde, ein Planet, der lebt.

Doch trotz allem, obgleich der vielen Möglichkeiten und der unendlichen Vielfalt an Optionen, beginnt der dritte Weltkrieg.

Ein Krieg, der jegliche Menschheit auszurotten droht, Millionen Soldaten, die sich gegenseitig in die Luft sprengen und dabei in Stücke gerissen werden.

Ein Krieg, in dem Mensch gegen Mensch, Herz gegen Herz kämpft. Flüchtlinge, die aus ihren Städten fliehen, um zu überleben, werden in anderen Ländern nicht willkommen geheißen – stattdessen werden sie getötet. Mensch gegen Mensch, Herz gegen Herz.

Doch die Menschheit ist nicht gleich, nein, denn manche Menschen sind wichtiger, wertvoller als andere, hatten es weitaus mehr verdient, zu leben und zu überleben.

Die Erde erzittert. Atomwaffen werden eingesetzt, um das Ende des Krieges zu beschleunigen, um Menschen von dieser kostbaren Erde auszumerzen, denn es ist nicht genügend Platz auf ihr vorhanden. Mensch gegen Mensch, Herz gegen Herz. Kinder, die hungern und einen großen Bauch haben, Kinder, die zu viel Nahrung besitzen und einen großen Bauch haben. Menschen, die sich gegenseitig niedermetzeln, um sich auf der Erde einen Platz zu sichern. Naturkatastrophen, durch Menschenhand entfacht, reißen über die Erde hinweg, zerstören Stück für Stück ihre Schönheit, ihre Wunder. Blut fließt, es tränkt die Erde in ein kräftiges Rot. Die Erde, ein Bildnis von unglaublicher Schönheit, wird von den Menschen verschandelt, sie blutet, jeden Tag ein bisschen mehr. Und dann …

Die Erde verteidigt sich.

An einem dreizehnten Juli teilte sich die Erde, sie zerbrach in ihrer Mitte wie ein rohes Ei.

Fast die gesamte Menschheit starb. Erdbeben zerstörten das Land. Überflutungen spülten Inseln fort, Vulkane brachen aus und die heiße Lava zerstörte jegliches Leben.

Die Schwerkraft hielt das Wasser nur bedingt auf der Erde, es floss in einen gewaltigen Krater und verdampfte im heißen Erdkern.

Die Kontinentalplatten verschoben sich, und es verschwanden ganze Kontinente, während neue entstanden.

Die Erde veränderte sich.

Trotz allem überlebte sie und hatte eine Chance auf ein neues Leben. Die meisten Menschen waren fort, der Krieg war beendet und die Erde heilte, reinigte sich selbst von den inneren und äußeren negativen Einflüssen.

Die Erde hatte diese Chance verdient, sie hatte es verdient, zu leben, zu atmen, das Böse des Planeten abzustoßen, neues Glück und unzählige Wunder einziehen zu lassen.

Die Erde.

Kein runder Planet mehr, aber immer noch voller Wunder, neuer Chancen und gesegnet mit Frieden. Fürs Erste.

Kapitel Eins

„Rul, was siehst du?“, fragte Sava ihren Ersten Offizier. Sie knieten auf weichem Boden, versteckt im Unterholz eines Waldes und beobachteten ein Dorf, das sich in einiger Entfernung vor ihnen erstreckte.

Rul schaute durch sein Fernglas und sah Holzhütten, die eng aneinandergereiht zwischen Ahornbäumen erbaut worden waren. Das dichte, bunte Laub der Bäume spendete den Bewohnern des Dorfes Schutz vor den Strahlen der erbarmungslosen Sonne und vor den heftigen Gewittern, die regelmäßig über das Land hinwegfegten.

Etwa hundertsechzig Sommer waren seit der Teilung der Erde vergangen. Hundertsechzig brutale und erbarmungslose Sommer, die diese Erdhälfte malträtiert und gedemütigt hatten.

Die kalte Winterzeit, die es vor der Teilung noch gegeben hatte, war verschwunden und hatte ein dürres und hungerndes Land hinterlassen, in dem nur noch vereinzelte Seen und Flüsse für Nahrung und Wasser sorgten. Selbst die Strahlen der Sonne hatten sich verändert, sie waren intensiver als noch vor der Teilung und ließen wenig Wachstum und Fortpflanzung zu.

Ein großer Kontinent war das einzige Stück Land, das auf dieser Erdhälfte übrig geblieben war. Die anderen Länder und Inseln waren während der Teilung bis auf ihre letzten Partikel ausgelöscht worden.

„Ich sehe einige Dorfbewohner“, antwortete Rul.

Er gehörte Savas Mannschaft an und unterstand ihrem direkten Befehl. Rul erhob sich leise aus seiner unbequemen Position auf dem Boden. Dabei durchbrach das Knacken eines Zweigs die Stille, doch niemand hörte es, denn Sava und Rul befanden sich weit genug vom Dorf entfernt. „Es sind hauptsächlich Frauen und Kinder im Dorf, keine Männer“, ergänzte er seine Beobachtungen und legte sein Fernglas nieder.

„Wo sind sie bloß? Warum haben sie nicht ein paar Wachen hiergelassen, zumindest als Schutz vor wilden Tieren aus dem Wald?“

In seiner dunklen Stimme schwebte stets ein Kratzen mit, das sie irgendwie unangenehm klingen ließ. Rul war ein groß gewachsener Mann mit dunklen, kurz geschorenen Haaren. Er hatte markante Gesichtszüge, die durch seine schmalen Lippen noch imposanter wirkten. Seine braunen Augen stachen deutlich aus seinem Gesicht hervor. Doch das Außergewöhnlichste an ihm waren seine Narben. Sein Gesicht war übersät mit unzähligen feinen Linien, die sich bis hinunter zu seinem Hals zogen.

Narben, die nicht einfach willkürlich platziert waren, sondern sein Gesicht dynamisch und schwungvoll zierten. Sie überkreuzten sich, hatten leichte Beugungen und ergaben dadurch ein erstaunliches Muster.

„Wir haben es wahrscheinlich mit naiven und einfachen Bauern zu tun“, antwortete Sava leise. Ihre Mannschaft hatte bereits eine Menge Dörfer auf dieser Erdhälfte eingenommen, und sie waren häufig auf erbarmungslose Gegenwehr gestoßen, eher selten trafen sie auf ein Dorf, das ihnen so schutzlos ausgeliefert war.

„Umso einfacher wird es für uns, Rul, wenn die Männer des Dorfes so dumm sind und ihre Frauen und Kinder unbewacht zurücklassen. Wir sollten nicht mehr zu lange mit der Übernahme warten“, ergänzte sie.

Rul runzelte nachdenklich die Stirn, wobei sich die vielen Narben in seinem Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzogen. Er warf erneut einen Blick durch sein Fernglas, das ein wertvolles Relikt der alten Erde war. Dieses Fernglas war sein größter Reichtum. Es bedeutete ihm mehr als so manch ein Menschenleben.

Er betrachtete erneut die komplette Umgebung, um keine Gefahren oder möglichen Komplikationen zu übersehen. Das Dorf, das sich zwischen den Ahornbäumen befand, fiel erneut in sein Blickfeld.

Der Wald war nicht all zu dicht bewachsen und bot reichlich Platz für etwa vierzig einfach gebaute Holzhütten. Dafür hatten die Bewohner des Dorfes das helle und stabile Holz der Ahornbäume genutzt und sich somit eine sichere und beständige Unterkunft errichtet. Einige Kinder spielten auf dem weichen Waldboden mit dünnen Stöcken, ein ihm fremdartiges Spiel. Frauen rührten in großen Kochtöpfen, die um verschiedene Lagerfeuer verteilt waren.

„Diese Menschen rechnen nicht mit einem Angriff, umso einfacher wird dieser Auftrag für uns“, sagte er hämisch und blickte ein letztes Mal durch sein Fernglas. „Dieses Dorf hier ist unsere letzte Station, danach werden wir endlich zurück in den Norden ziehen.“

Vorfreude klang in seiner Stimme mit, die Sava ebenfalls in sich aufkommen spürte.

Schon seit einigen Wochen war Sava mit ihrer Mannschaft auf dieser Erdhälfte unterwegs. Ihr aktueller Auftrag hatte sie und ihre Männer vom recht warmen Norden dieser Erdhälfte bis hinab in den sehr heißen und unbekannten Süden geführt. Dieser Auftrag war bisher der Zeitintensivste, und nun befanden sie sich endlich, nach unzählig vielen Wochen, auf der südlich liegenden und schmalen Landspitze dieser Erdhälfte.

Allein ein großer und zum Teil unbekannter Wald sowie ein Fluss, der in einem kleinen See mündete, befanden sich auf dieser Landspitze. Der perfekte Ort, um ein Dorf anzusiedeln, dachte Sava. Der Wald schützte die Bewohner vor dem unberechenbaren Wetter und der Fluss versorgte sie mit Wasser und Nahrung.

Aus südlicher Richtung drohten dem Dorf keine unerwarteten Gefahren, da das Land in einer tiefen Schlucht endete. Dies war der Rand dieser Erdhälfte, ein unüberbrückbarer metertiefer Abgrund, der den gesamten Kontinent umgab und nur eine weite und unbekannte Ferne erahnen ließ. Also war nur der nördliche Teil des Dorfes ungeschützt, da er keine natürlichen Schutzbarrieren besaß. Eindringlinge, so wie Sava und ihre Mannschaft, hatten es leicht, problemlos bis zum Dorf zu gelangen.

Parasiten, die sich ungefragt alles nahmen und nichts als Chaos und Tod zurückließen.

Sava stand leise auf, wandte sich vom Dorf ab und ging zurück zum Lager ihrer Mannschaft.

Ihre schmale Statur war unter einer großen Jacke versteckt, und trotz der starken Hitze hatte sie die Kapuze ihrer Jacke tief in ihr Gesicht gezogen. Nichts von ihren langen, blonden Haaren und ihren feinen Gesichtszügen war zu sehen.

Mit schnellen Schritten ging sie durch den Wald zum Lager, das sie vor einem Tag auf einer kleinen Lichtung aufgeschlagen hatten. Sava bewegte sich leise und geschmeidig, und ihre Schritte waren, trotz der schweren Stiefel, die sie trug, kaum auf dem Waldboden zu hören. Rul folgte ihr, und fast gleichzeitig betraten sie die Lichtung. Es warteten etwa hundert Männer sowie deren Pferde auf ihre Rückkehr. Keiner der Männer war länger als fünfundzwanzig Sommer auf dieser Erdhälfte, bis auf Rul, der schon über achtundzwanzig Sommer auf ihr überlebt hatte. Die Kleidung der Männer war schwarz und von der langen Reise völlig verdreckt.

Das äußerliche Erscheinungsbild der Mannschaft erweckte einen ähnlich schlechten Eindruck: Sie waren ungewaschen, erschöpft und hungrig. Jedoch war den Gesichtszügen eines jeden Mannes die feste Entschlossenheit abzulesen, ihrer Anführerin Sava bis in den Tod Folge zu leisten.

Sava nickte Rul zu, und er begann zu sprechen: „Männer, wir haben unsere letzte Station für diese lange und anstrengende Reise erreicht. Leander hat ein Dorf in diesem Waldgebiet entdeckt und uns darüber in Kenntnis gesetzt. Es wird unsere letzte Übernahme sein, und dann ist es an der Zeit, nach so vielen Wochen auf Reisen, wieder in den Norden zurückzukehren. Wir sind in unzählige Dörfer eingefallen und haben viele Relikte für Sir O eingenommen. Unser Herrscher wird sehr zufrieden mit uns sein, wenn wir wieder zu ihm zurückgekehrt sind.“

Die Männer nickten ihrem Ersten Offizier stumm zu und dachten an die prall gefüllten Säcke, die bepackt waren mit Hunderten Gegenständen von der alten Erde.

Sobald sie dieses letzte Dorf eingenommen hatten, würden sie alle wertvollen Relikte der vergangenen Zeit zu Sir O transportieren. Alte Uhren, wertvolle Teppiche, verschiedene Skulpturen, Münzen, Kristalle und andere glänzende Gegenstände. Die Menschen aus den Dörfern hatten sie nach der Teilung der Erde ausgegraben und aufbewahrt. Sie hatten nicht viel mit den funkelnden Steinen und den verrosteten Metallen anfangen können, doch für Savas Mannschaft bedeutete dies ein besseres Leben in der Herrschaft. Für all die Fundstücke würde es eine Belohnung von Sir O, ihrem alleinigen Herrscher, geben.

Die Männer konnten es kaum erwarten, in ihre Heimat zurückzukehren, um dort endlich ein besseres Leben zu führen. Ihr Zuhause war die gewaltige und monströse Herrschaft, die von Sir O geführt wurde.

Er war ein grausamer Herrscher, der jeglichen kleinsten Widerstand seiner Diener mit einem brutalen Tod bestrafte. Eine gigantische Steinmauer umzäunte die komplette nördliche Seite dieser Erdhälfte und ließ keine Eindringlinge passieren. Hinter der Mauer hausten auf engstem Raum tausende Bewohner, in einfachen Holzhütten und erledigten die niedersten Arbeiten, die in der Herrschaft anfielen.

Einzelne kümmerten sich um die Tierzucht, um Sorge zu tragen, dass täglich frisches Fleisch für Sir O vorhanden war. Andere widersetzten sich der vernichtenden Dürre auf dieser Erdhälfte und ließen Obstbäume und Getreidefelder sprießen.

Und die übrigen Bewohner waren Soldaten, die in Mannschaften unterteilt waren, regelmäßig Aufträge des Sir O ausführten und die Herrschaft beschützten.

Es war ein hartes und brutales Leben, doch die Bewohner hatten alles, was sie zum Überleben brauchten. Sogar ein einzelner Fluss Namens LiarO mündete mitten in der Herrschaft in einem kleinen See und versorgte die Bewohner mit frischem und klarem Wasser.

Weit oberhalb des Herrschaftsgebiets durchzog ein solider Holzzaun die nördlichste Spitze, hinter dem sich das prächtige Herrschaftshaus befand, welches nur wenigen Menschen und Sir O vorbehalten war.

Sava unterstand seinem direkten Befehl und zählte somit zum inneren Kreis der Herrschaft. Diese Tatsache brachte ihr einen kleinen Wohnraum im Herrschaftshaus ein, und seit nun mehr als drei Sommern war sie die Anführerin ihrer eigenen Mannschaft.

Sava lebte gerade mal achtzehn Sommer auf dieser Erdhälfte, als Sir O ihr eine eigene Mannschaft aus fünfzig Soldaten übertragen hatte. Inzwischen waren nur noch wenige dieser Männer am Leben, da Sava und ihre Mannschaft in den vergangenen drei Sommern sehr vielen Gefahren ausgesetzt gewesen waren. Besonders war auch, dass Sava Anführerin einer Mannschaft geworden war, obwohl sie eine Frau war. Denn Frauen bedeuteten in der Herrschaft nicht mehr als das Vieh auf den Weiden.

„Unsere Erkundungen haben ergeben, dass sich in diesem Dorf bisher nur Frauen und Kinder aufhalten. Wir vermuten, dass die Männer einfache Bauern sind und sich gerade bei ihrer Arbeit auf den Feldern befinden. Es erwartet uns also vorerst wenig Gegenwehr und wir greifen sofort an. Nehmt die Frauen, die Alten und die Kinder als Gefangene und scheucht sie in der Mitte des Dorfes zusammen. Der Rest läuft wie die vorherigen Male ab“, sprach Rul weiter und eilte zu seinem schwarzen Mustang, dessen weiches Fell mit dünnen Narben übersät war.

„Los, packt eure Sachen“, befahl er mit seiner unangenehmen Stimme und schwang sich auf sein Pferd.

Sava ging zu ihrem braunen Palomino, streichelte sanft seine schwarze Mähne und griff nach den Zügeln.

Flink stieg sie in den Steigbügel und zog sich in den schwarzen Sattel. Ihr Pferd Mo machte ein paar unruhige Schritte nach vorne, denn er spürte die Anspannung, die in der Luft lag. Sava berührte seinen langen, schlanken Hals und flüsterte ihm beruhigende Worte zu.

„Bald ist es geschafft, Mo, und wir reiten zurück zur Herrschaft.“ Das Pferd schnaubte und trabte gemächlich einige Schritte vorwärts.

„Nino, du reitest neben Rul und mir“, befahl Sava laut, und aus der Menge der Soldaten löste sich ein blonder, großer Mann und führte sein braunes Pferd zu Sava herüber. Nino war ihr Zweiter Offizier, und seine grünen Augen funkelten voller Vorfreude in seinem auffallend hübschen Gesicht. Als er lächelte, offenbarte er eine kleine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen.

„Endlich gibt es wieder etwas zu tun“, brummte er zufrieden. Sava schmunzelte und streichelte Mos schwarze Mähne.

„Dieser Auftrag wird dich nicht glücklich machen, er ist zu einfach“, antwortete sie ihm nüchtern.

„Solange die Frauen in diesem Dorf schöner sind als die aus dem letzten, kann ich heute getrost auf einen Kampf verzichten.“

„Wie nobel von dir. Ich weiß nur nicht, wer sich mehr im Dorf darüber freuen wird – die Frauen, die es dann mit dir zu tun bekommen, oder die Männer, die du verschonen wirst?!“

Nino lachte leise und strich sich mit seiner linken Hand, an der sein kleiner und der vierte Finger fehlten, durch die Haare. Die Abtrennung dieser Finger war eine Bestrafung gewesen, denn Nino hatte einen wichtigen Kampf gegen einen anderen Soldaten verloren und sein nicht entschuldbares Versagen bezahlen müssen. Rul näherte sich den beiden.

„Die Männer sind bereit“, sagte er und griff nach seinem Schwert, das im Sattel seines Pferdes steckte.

„Los“, befahl Sava leise, und ihre Mannschaft setzte sich in Bewegung. Sie zog eine Machete aus dem Gürtel ihrer Hose und führte Mo Richtung Dorf.

Neben ihr ritten Nino und Rul, und hinter ihr befand sich ihre Mannschaft, die ihr bedingungslos sogar bis in den Tod folgen würde. Langsam bewegten sie sich durch den Wald, damit keines der Pferde über einen Ast stolperte und sich verletzte.

Die Vögel zwitscherten ihre fröhlich klingenden Lieder und bemerkten die dunklen Schatten, die sich durch ihren Wald schlichen, vorerst nicht. Rul führte die Männer immer tiefer in den Wald hinein, und nach einiger Zeit schlug der Mannschaft ein köstlicher Essensduft entgegen. Sie waren beinahe an ihrem Ziel angekommen, es fehlten nur noch wenige Meter.

Gleich würden die ersten Bewohner des Dorfes die Mannschaft entdecken, und Panik würde sich unter ihnen ausbreiten. Sava nutzte den Augenblick der Stille, atmete einmal tief ein und hob ihren rechten Arm.

Dies war das Zeichen zum Angriff, und ihre Männer reagierten sofort. Sie trieben ihre Pferde zur Eile an und ritten im schnellen Tempo an Sava, Rul und Nino vorbei, geradewegs auf das Dorf zu.

Die Männer hielten ihre Waffen in den Händen, und ein wilder Blick war in den Augen eines jeden Soldaten zu lesen. Die ersten Angstschreie durchbrachen die Stille des Waldes und scheuchten einige von Panik ergriffene Vögel auf, die laut zwitschernd davonflogen.

Mehrere Frauen aus dem Dorf ließen alles um sich herum fallen und blickten entsetzt auf die vor sich ausbreitende Gefahr. Die Fassungslosigkeit über diese surreale Situation hatte sie erstarren lassen.

Savas Männer stattdessen handelten wie bei den vielen Übernahmen zuvor: Sie strömten aus und verteilten sich um das kleine Dorf herum, um Niemanden entkommen zu lassen. Sava ritt gemächlich zu den einfachen Hütten hinüber, während Rul und Nino verängstigte Frauen und Kinder in die Mitte des Dorfes scheuchten.

„Los, bewegt euch, es passiert euch nichts, wenn ihr euch nicht wehrt! Los, schneller!“, herrschte Rul eine alte Frau an. In kürzester Zeit entstand ein ohrenbetäubender Lärm, die Frauen schrien panisch nach ihren Männern, und ihre Kinder weinten und hielten sich Hilfe suchend an ihnen fest.

Die Soldaten der Herrschaft jagten auf ihren Pferden an den Holzhütten vorbei und trieben mit ihren Waffen die verängstigten Bewohner zur Mitte des Dorfes.

Einige andere Soldaten hatten ihre Gefangenen auf die Rücken ihrer Pferde abgelegt und transportierten sie zum Treffpunkt, um sie dort wieder auf dem Boden abzusetzen. Die Alten, Frauen und Kinder scharrten sich verängstigt zusammen und blickten mit großen Augen auf die in schwarz gekleideten, gefährlich aussehenden Männer.

Es dauerte eine Weile, bis das tosende Geschrei und das ängstliche Gemurmel der Bewohner verstummt waren, und erst dann erhob Rul das Wort.

„Es tut mir sehr leid für diese Unannehmlichkeiten, die wir euch gerade bereitet haben“, erklärte er zwar mit freundlichen Worten, doch eine tiefe Boshaftigkeit war deutlich in seiner Stimme zu hören.

Alle Blicke waren nun auf Rul gerichtet. Er hatte sich der vor ihm befindlichen und verängstigten Menschenmenge zugewandt und schaute vom Rücken seines Pferdes aus auf sie herab.

„Sicherlich werden wir dies wiedergutmachen, doch zuallererst will ich uns einmal vorstellen. Wir sind die Soldaten des Sir O und kommen aus dem weit entfernten Norden dieser Erdhälfte. Unser Soldat Leander, er ist wirklich einer unserer Besten, hat euer Dorf entdeckt und uns umgehend darüber in Kenntnis gesetzt. Seit einigen Wochen befinden wir uns hier im Süden dieser Erdhälfte und suchen nach Dörfern, die bisher noch nichts von Sir Ound seiner Herrschaft im Norden gehört haben. Deshalb sind wir jetzt bei euch, denn ihr bekommt die Möglichkeit und habt zudem die große Ehre, euch der Herrschaft des Sir O anzuschließen.“

Viele verdutzte Gesichter blickten zu Rul empor.

„Wo sind eure Männer?“, fragte er mit lauter Stimme, denn jeder Gefangene sollte ihn hören und sich vor ihm fürchten. Rul entdeckte eine kleine, junge und zierliche Frau, die mutig einen Schritt auf ihn zugemacht hatte. „Sprich“, forderte er sie barsch auf.

„Unsere … Unsere Männer gehen ihrer Arbeit nach, ssie sind auf den Feldern“, antwortete die Frau mit zitternder Stimme.

„Wo befinden sich diese Felder?“

„E-einige Kilometer von unserem Dorf entfernt.“

Die Frau senkte betroffen ihren Blick, als ob sie soeben ein wertvolles Geheimnis verraten hätte. Rul setzte sein Pferd in Bewegung und trappte zu der Frau hinüber. Sobald er sich den anderen Frauen des Dorfes näherte, wichen diese erschrocken vor ihm zurück und zogen beschützend ihre Kinder in ihre Arme. In allen Augen waren Angst und blankes Entsetzen zu lesen sowie die Frage, ob sie diesen Tag überleben würden.

Als Rul bei der Frau angekommen war, stieg er von seinem Pferd ab, stellte sich vor ihr auf und schaute von oben auf sie herab. Sie war einen ganzen Kopf kleiner als er und blickte zuerst ängstlich zu Boden, doch dann streckte sie ihm ihr Gesicht trotzig entgegen. Tiefe Abscheu spiegelte sich in ihren Augen, und sie blickte provokativ auf sein zerschundenes Gesicht.

„Wer hat dir erlaubt, mich anzuschauen?“, fauchte Rul wütend und schlug der Frau mit seiner Faust mitten in ihr zartes Gesicht. Alle umstehenden Bewohner schrien erschrocken auf und entfernten sich ein weiteres Stück von dem gefährlichen und unberechenbaren Soldaten.

Der harte Schlag hatte die Frau zu Boden gerissen, und Blut rann ihr aus der Nase. Rul bückte sich augenblicklich nach ihr und zerrte sie wieder auf die Füße. Schwankend stand sie vor ihm, und das stetig aus ihrer Nase fließende Blut tropfte auf den Boden.

„Wie heißt du?“, fragte der Erste Offizier und blickte begierig auf den Körper der jungen Frau.

„Utah“, flüsterte sie leise und wischte sich mit ihrem Handrücken das Blut von den Lippen.

„Ich wollte nicht so hart mit dir umspringen, Utah. Das musst du mir glauben, denn du gefällst mir. Du bist mutig, ja sogar ein wenig lebensmüde, aber das lässt mein Blut pulsieren.“ Rul strich ihr liebevoll eine braune Haarsträhne hinter das Ohr. Utah zuckte unter seiner Berührung zusammen und Tränen lösten sich aus ihren Augenwinkeln. Der Erste Offizier musterte sie von oben bis unten und blieb dann mit seinen braunen Augen an ihrem ängstlichen Blick hängen. Dann schlug er völlig unerwartet erneut zu, und abermals fiel die kleine Frau zu Boden.

„Ich glaube, ich habe mich in dir getäuscht. Du bist genauso feige und dumm wie die anderen verdammten Weiber hier“, sagte er angewidert, wandte seinen Blick von der am Boden liegenden Frau ab und stieg wieder auf sein Pferd.

„Egal“, tat er das soeben Geschehene gleichgültig ab. „Kommen wir nun endlich zu den wichtigen Dingen. Du hast bis Sonnenuntergang Zeit, um eure Männer vom Feld zu holen und mit ihnen zum Dorf zurückzukehren. Für jeden Augenblick, den du und die Männer zu spät hier eintreffen, stirbt eines eurer Kinder. Also los, beweg dich.“ Der Menge entwich erneut ein lautes Aufschreien, und die Kinder klammerten sich noch fester an ihre Mütter.

Utah rappelte sich langsam auf, sie wirkte verwirrt und orientierungslos. Ruls Befehl, seine bedrohlichen und grausamen Worte, waren noch nicht bis zu ihr durchgedrungen.

Doch dann, mit einem Mal, war blankes Entsetzen auf ihrem Gesicht zu sehen. Sie spuckte Blut auf den Boden und rannte im nächsten Augenblick los, Richtung Westen. Die anderen Frauen des Dorfes ließen sie passieren und riefen ihr panisch zu, sich zu beeilen. Als sie außer Sichtweite war, kehrte wieder Ruhe in die Menge der verängstigten Bewohner ein.

„Dann hoffe ich für euch und eure Kinder, dass Utah wirklich wiederkommt“, stellte Rul boshaft fest. „Solange wir auf eure Männer warten, bereitet ihr Weiber uns etwas zu essen vor.“ Er deutete auf eine Gruppe von Frauen und setzte sein Pferd in Bewegung. „Glaubt mir eines – wenn nur einer von euch versuchen sollte zu flüchten, bringen wir alle eure Kinder um.“

Einige Zeit später standen Rul und Sava beieinander und beobachteten die untergehende Sonne. Längst hatte sie die Spitzen der Baumkronen erreicht und verwandelte den Wald in ein wunderschönes Schauspiel. Tausende Schatten tanzten durch die Äste der Ahornbäume und ließen die Blätter durch die Sonnenstrahlen in den buntesten Farben funkeln.

„Sie haben nicht mehr viel Zeit“, stellte Rul freudig fest. Sava schüttelte den Kopf. „Wir geben ihnen noch einen Augenblick, denn mir ist heute nicht danach, Kinder niederzumetzeln“, antwortete sie und wandte sich von Rul ab. Sie richtete ihre Kapuze und ging hinüber zu Nino, der gelassen an einem Baum lehnte.

Die Frauen des Dorfes hatten sich auf dem weichen Waldboden niedergelassen und blickten gebannt in Richtung Westen.

„Das Essen war unglaublich lecker“, raunte Nino mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Er dehnte und streckte seinen muskulösen Körper, und dadurch rutschten die Ärmel seines Shirts nach oben und entblößten seine nackten Oberarme.

Viele dicke und dunkle Narben zierten seine helle Haut. Ein lebendiges Muster aus verschieden tiefen Furchen, die bis hinauf zu seinen Schultern reichten.

„Welches Kind töten wir zuerst?“, fragte er grinsend. Sava schüttelte den Kopf.

„Ich höre sie kommen“, flüsterte sie und entfernte sich von Nino. Stumm nickte sie Rul zu, ging hinüber zu Mo und stieg in den Sattel auf. Rul gab den übrigen Männern ein Zeichen, und diese gingen herüber zu ihren Pferden und stiegen ebenfalls auf.

Die Soldaten der Herrschaft verteilten sich um die Bewohner des Dorfes und hielten ihre Waffen einsatzbereit in ihren Händen. Die Sonne sendete ein paar letzte funkelnde Sonnenstrahlen durch die Baumstämme, bevor sie schlussendlich gänzlich verschwand. Eine fast greifbare Stille breitete sich über das Dorf aus, und alle hielten den Atem an, denn die Zeit war abgelaufen. Utah hatte es nicht rechtzeitig zu den Feldern geschafft, und nun würde ein unschuldiges Kind dafür zahlen müssen.

Doch plötzlich drangen Geräusche zu ihnen durch. Schritte.

„Sie kommen“, wisperte eine Frau erleichtert. „Ich höre sie auch“, stimmte eine andere zu. Aufgeregtes Geflüster verbreitete sich unter der Gruppe, und eine neu erwachte Hoffnung überwältigte sie, löste Tränen der Erleichterung aus.

„Entzündet ein Feuer“, donnerte Rul plötzlich und zog eine ältere Frau brutal vom Boden hoch. „Los.“

Er schubste sie von sich und sie fiel schwankend zu Boden.

„Ich habe gesagt, entzünde ein Feuer!“, spie er erneut aus und trat der alten Frau unsanft in die Seite. Sie brüllte vor Schmerz und krümmte sich qualvoll auf dem Boden zusammen. Hastig stand eine andere Frau vom Boden auf.

„I-ich mache das Feuer“, stotterte sie ängstlich und entfernte sich von der Gruppe.

Nach einem kurzen Moment erschien sie mit einer brennenden Fackel in der Hand und entfachte die zuvor erloschenen Kochstellen erneut. Danach holte sie weitere Fackeln, steckte sie tief in die weiche Erde des Waldes, und das Dorf war nun etwas erleuchtet.

„Ich kann die Männer sehen“, flüsterte Rul Sava leise zu. „Es sind mehr, als wir angenommen haben, wahrscheinlich sind wir ihnen sogar zahlenmäßig unterlegen. Das wird ein Spaß.“ Rul lachte leise, stieg auf sein Pferd und beobachtete die große Gruppe, die hastig auf sie zusteuerte.

An der Spitze der Gruppe machte er die junge Frau aus, die er losgeschickt hatte, um die Männer zu holen. Sie kamen in einem schnellen Lauftempo auf sie zu, und eine tiefe Unruhe war in ihren Augen zu lesen. Erschöpft und schwer atmend blieben sie vor Savas Mannschaft stehen. Direkt neben Utah stand ein weißhaariger, alter Mann, der mit weit aufgerissenen und entsetzten Augen auf Rul blickte. Langsam versuchte er wieder zu Atem zu kommen und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß von der Stirn. Dann blickte er panisch in alle Richtungen, entdeckte die schwer bewaffneten Soldaten und versuchte die Situation einzuschätzen.

Sein Herz raste und heftiges Seitenstechen peinigte ihn. Durch die tägliche und anstrengende Arbeit auf den Feldern, während die Sonne erbarmungslos auf ihn herunterschien, war seine Haut mit der Zeit ledrig und faltig geworden. Zaghaft bewegte er sich einige Schritte vor und atmete ein letztes Mal tief ein.

„Mein Name ist Najek, und ich bin der Älteste in diesem Dorf.“ Seine tiefe Stimme klang freundlich und beherrscht. Najek versuchte sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, doch seine weit aufgerissenen Augen verrieten ihn.

„Meine Männer und ich waren gerade auf unseren Feldern, als eine Bewohnerin zu uns eilte und uns von eurem Besuch berichtete. In unserem kleinen Dorf Luneck helfen wir häufig Menschen, die eine kurze Rast einlegen und zu Kräften kommen wollen, um dann gestärkt weiter zu reisen. So wollen wir auch gerne euch für eine Nacht einladen, ihr dürft Gäste in unserem Dorf sein.“

Erleichtert atmete Najek aus und entfernte sich einen Schritt von den bedrohlichen Männern. Nun war es an ihnen, das Wort zu ergreifen. Rul begann hämisch zu lachen, und verstörende, krächzende Laute verließen seinen Mund.

„Was für eine tolle kleine Rede“, spottete er los, sobald er sich wieder gefangen hatte. „Ich bin sehr gerührt, dass wir so herzlichst von euch empfangen werden. Jedoch sollten wir zuerst ein paar grundlegende Dinge klarstellen. Wir sind keine Gäste, sondern der Feind. Das Böse, das euch in euren Albträumen verfolgt und euch nicht ruhig schlafen lässt.“ Rul lachte erneut auf.

Panik suchte die Bewohner heim, und sie blickten wie erstarrt auf Ruls vernarbtes und unheimliches Gesicht.

„Gut, ich sehe euch an, dass ihr mich richtig verstanden habt“, sagte Rul schmunzelnd und stieg von seinem Pferd ab. Bedrohlich ging er zu Utah hinüber und streichelte zärtlich ihre Wange. Tränen der Angst lösten sich erneut aus ihren Augen.

„Wir sind die Soldaten der Herrschaft und töten Menschen. Männer, Frauen und auch unschuldige Kinder, wir verschonen niemanden.“

Er wandte sich von Utah ab und starrte in Najeks alte Augen. „Deshalb hört ihr mir jetzt genau zu. Ich heiße Rul, und wir sind im Auftrag des Sir O hier, denn seit der Teilung der Erde ist er der alleinige Herrscher über diese Erdhälfte. Leider gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass wir erst jetzt zu euch in das Dorf gelangt sind. Kennt ihr die tiefe Schlucht auf dieser Erdhälfte?“

Rul blickte in fragende und verängstigte Gesichter. Niemand sagte ein Wort, und Rul entschloss sich, einfach weiterzusprechen. „Was seid ihr nur für unwissende Idioten! Die Schlucht ist ein gewaltiger Graben, der sich genau in der Mitte dieser Erdhälfte vom Westen bis fast zum Osten erstreckt. Weit im Osten liegt das nicht überquerbare Sturm-Gebirge, und nur ein enger und schmaler Pass, der sich am westlichen Rand des Gebirges befindet, verbindet die zwei Teile dieser Erdhälfte. Viele Sommer, nein, wahrscheinlich Hunderte Sommer lang lebten die Stuhi-Menschen im Sturm-Gebirge und bewachten den engen Pass. So war es niemandem möglich, vom Norden in den Süden zu reisen, außer man suchte nach dem sicheren Tod.“

Rul lachte. „Die Stuhi-Menschen waren nicht besonders zimperlich, wenn es darum ging, Menschen, die es wagten, durch den engen Pass zu reisen, zu steinigen.“

Er wandte sich von den verängstigten Menschen ab und zog sein Fernglas aus einer Tasche an seinem Sattel.

„Doch dann passierte etwas Unglaubliches!“, erklärte er enthusiastisch. „Ein gewaltiges Erdbeben löschte mit einem Schlag alle Stuhi-Menschen aus, und der enge Pass war endlich wieder passierbar.“

Freudestrahlend lachte Rul, und seine tiefen Narben verzogen sich zu einer grauenhaften Grimasse.

„Sir O ließ natürlich viele Kundschafter ausströmen, und alle kehrten lebend in die Herrschaft zurück. Somit war der Weg in den Süden frei, und dies führt uns nun wieder zu euch. Da sich euer Dorf im tiefsten Süden auf dieser Erdhälfte befindet, wurdet ihr bisher von den Soldaten der Herrschaft verschont. Aber nun ist eure Schonfrist vorüber, und wir sind endlich bei euch angekommen.“

Die Dorfbewohner blickten mit angehaltenem Atem zu Rul herüber. Sie trauten ihren Ohren nicht – es gab tatsächlich jemanden, dem diese Erdhälfte gehörte?

Immer waren sie der Ansicht gewesen, auf freiem und friedvollem Land zu leben, auf kostbaren Boden, das niemand sein Eigen nannte. Najek schossen Tausende Gedanken durch den Kopf, er verstand diesen Überfall auf sein kleines Dorf nicht. Wenn doch Sir O schon die gesamte Erdhälfte gehörte, was wollte er dann mit diesem kleinen Stückchen Land? Er fasste erneut seinen Mut zusammen und begann zu sprechen.

„Was … Was genau wollt ihr von uns?“ Seine Stimme zitterte leicht, und kalter Angstschweiß rann an seinen Schläfen hinunter. Er blickte auf den bedrohlichen Mann und fragte sich, was ihm bloß Schlimmes widerfahren war? Sein Gesicht war mit Narben übersät, die sich bei jedem Wort, das er sprach, zu den abscheulichsten Grimassen verwandelten.

Das Unheimlichste an seinem Gesicht jedoch waren seine Augen. Darin saß tief sitzender Hass.

Eine Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus, die ganz sicher nicht von der Kälte der beginnenden Nacht herrührte. „Was wir von euch wollen?“ Rul schüttelte verachtend den Kopf. „Die Soldaten der Herrschaft sind bis hierher gereist, um das Land, auf dem du und die anderen Bewohner sich befinden, und euer Dorf einzunehmen. Dies alles gehört ab sofort unserem Herrscher Sir O, und ich will, dass du mir augenblicklich alle Relikte der alten Erde, die in eurem Besitz sind, vor die Füße legst. Wie dieses Fernglas hier in meinen Händen. Es ist ein wertvolles Überbleibsel der früheren Zeit.“

Rul hob das Fernglas hoch und präsentierte es den Dorfbewohnern. „Wenn ihr keine Relikte besitzt, dann werden wir eure Frauen mit in die Herrschaft nehmen, aber leider überlebt selten eine von ihnen den weiten Weg.“

„Was?“, fragte Najek fassungslos und blickte panisch in Ruls Augen.

„Warum sollten wir mit deinen Forderungen einverstanden sein? Warum sollten wir unser Land, unsere Frauen und unser Dorf freiwillig an Sir O abtreten, von dem wir gerade zum allerersten Mal etwas gehört haben? Zudem besitzen wir keine Relikte der alten Erde.“

Sava war es leid, diesem dummen Mann weiterhin zuzuhören. Sie zog leicht an Mos Zügeln und er trappte vorwärts.

„Genug!“, donnerte sie mit lauter Stimme über die Köpfe der Bewohner des Dorfes hinweg.

„Diese Entscheidung liegt nicht in eurer Hand, denn Sir O ist der alleinige Herrscher dieser Erdhälfte. Ihm gehört alles, jedes kleinste Dorf, die Felder, auf denen ihr arbeitet, die Seen und sogar jeder kleine Stein, der auf eurem Boden liegt. Entweder tretet ihr jetzt euren materiellen Besitz an Sir O ab und wir verlassen euer Dorf wieder, oder ihr werdet harte Konsequenzen erfahren.“

Verblüfft blickte Najek zu Sava herüber. Wer war diese Frau und warum versteckte sie ihr Gesicht unter dieser seltsamen Kapuze?

Najeks Gedanken drehten sich unaufhörlich in seinem Kopf, und er wollte sich die Konsequenzen, über die die Frau gerade gesprochen hatte, nicht ausmalen. Er hatte die gefährlichen Waffen der Soldaten in dem Moment gesehen, als er das Dorf betreten hatte. Sein Herz raste und schlug heftig gegen seine Brust.

„Unseren Besitz? Wir besitzen rein gar nichts Wertvolles“, erklärte er verzweifelt und trat näher an Rul heran. „Bitte, verlasst jetzt unser Dorf.“

„Nein“, erwiderte Sava barsch. „Wir werden das Dorf nicht mit leeren Händen verlassen, auch wenn das bedeutet, dass ich deinen Kopf mitnehmen muss.“

Najek wurde blass. Panisch wischte er sich den Schweiß von der Stirn und schaute Hilfe suchend in die Gesichter der anderen Bewohner. Keiner reagierte, und alles, was Najek sah, waren ängstliche Augenpaare, die alle auf ihn gerichtet waren. Seine Augenlider begannen unkontrolliert zu zucken.

Auf einmal spürte er eine schwere Hand auf seiner Schulter, die fest zudrückte und ihn wieder erdete.

Najek drehte sich um, und vor ihm stand sein Sohn Vik. Mit einem ruhigen Blick nickte er seinem Vater zu, und die in ihm aufkommende Panik verschwand fast augenblicklich. Vik war einer der stärksten und tapfersten Männer des Dorfes.

Er hatte das Glück, sehr groß gewachsen zu sein, und außerdem war er ein ansehnlicher und schöner Mann, von dem alle Frauen des Dorfes schwärmten. Nicht nur seine körperliche Statur war bewundernswert, auch seine geistigen Fähigkeiten waren überdurchschnittlich.

Vik würde einmal die Führung des Dorfes übernehmen, denn die Menschen schätzten und vertrauten ihm.

Er beugte sich zu seinem Vater hinunter und flüsterte ihm leise ins Ohr: „Ich habe eine Idee.“

Najek bekam eine Gänsehaut, denn er kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, welche gefährliche Idee ihm gekommen war. Traurig blickte er seinem geliebten und einzigen Sohn tief in die Augen, und alles was er darin lesen konnte, war Wut. Najek nickte zustimmend, denn es blieb ihm keine andere Wahl. Vik ließ die Schulter seines Vaters los und stellte sich vor die Soldaten.

„Ich heiße Vik, und ich bin Najeks Sohn. Ich will euch einen Vorschlag unterbreiten.“

Rul begann spöttisch zu lachen und packte das Fernglas zurück in die Tasche.

„Erzähl“, forderte er Vik amüsiert auf.

Es war immer dasselbe mit den Bewohnern eines Dorfes. Jedes verfluchte Mal dachten sie, mit den Soldaten der Herrschaft verhandeln zu können, um ihr Leben zu retten. Jedes Mal verfielen sie jedoch dieser Naivität und verloren dabei ihr Leben, anstatt es zu retten.

„Wir werden uns euch nicht einfach kampflos unterwerfen, stattdessen werden wir uns bis zu unserem bitteren Ende wehren, aber dabei würde viel unnötiges Blut vergossen werden. Deshalb biete ich einen Kompromiss an. Ich verlange einen Kampf. Einen Kampf zwischen mir und einem eurer Männer. Sollte ich gewinnen, dann zieht ihr augenblicklich ab und kommt nie wieder zurück in unser Dorf. Falls ihr jedoch den Kampf gewinnen solltet, dann nehmt all unseren Besitz mit. Unser Land gehört euch, die Tiere und unsere Ernte, denn Relikte von der alten Erde besitzen wir nicht.“

Vik verschränkte selbstbewusst seine Arme vor der Brust. Er durfte bloß keine Schwäche zeigen, ansonsten hatte er diesen Kampf schon jetzt verloren.

„Das ist dein Todesurteil“, sagte Rul kühl, „aber wie du willst, wir nehmen deinen Vorschlag an und werden somit schneller zum Spaß mit euren Frauen übergehen können.“ Er lachte spöttisch und warf Utah lüsterne Blicke zu.

„Jedoch kämpfst du nicht gegen einen Mann, sondern gegen unsere Anführerin, Sava.“

Vik blickte erstaunt zu Rul hinüber. Er hatte angenommen, dass der Mann mit den Narben im Gesicht der Anführer der schwarzen Soldaten war.

Im gleichen Moment stieg die Person, die ihr Gesicht durch die tief hängende Kapuze versteckt gehalten hatte, von ihrem Pferd hinunter.

Geschmeidig bewegte sie sich einige Schritte vor und zog dann ihre Kapuze von ihrem Kopf. Vik und die anderen Dorfbewohner blickten sie verblüfft an. Sie sahen ein schmales, feines Gesicht, schwungvolle Lippen und eine kleine Nase. Das Licht der Fackeln erleuchtete glänzende blonde, lange Haare, die der Nachtwind sanft um ihr Gesicht blies.

Was die Dorfbewohner jedoch am Anblick der Frau am meisten verwunderte, war das schwarze schmale Tuch, das um ihre Augen gebunden und an ihrem Hinterkopf verknotet war.

„Sie ist blind“, stellte Vik völlig überrascht fest.

Kapitel Zwei

Erleichterung machte sich in Vik breit, denn sein gefährlicher Gegner entpuppte sich bloß als eine blinde Frau. Oft genug hatte er sich in seinem Dorf gegen andere Männer im Kampf erprobt. Ziel dabei war es, sich zu messen und herauszufinden, wer als Stärkster aus diesem Zwist hervorging – jedoch mit der eindeutigen Vereinbarung, kein Blut fließen zu lassen-, und viele Male war Vik als Gewinner aus solch einem Kampf hervorgegangen.

Und nun stand vor ihm eine kleine und zierliche Frau, die noch dazu blind war.

Voller Übermut und Hoffnung für sein Dorf, huschte ein Lächeln über seine Lippen, denn es hatte sich gerade eine große Chance aufgetan, die Bewohner seines geliebten Dorfes vor diesen widerwärtigen Eindringlingen zu verteidigen.

Dann traf ihn mit einem Schlag eine harte Erkenntnis. Der Mann mit den Narben, Rul, hatte gesagt, dass diese Frau die Anführerin der Soldaten sei.

Keine Mannschaft würde eine schwache Soldatin als Anführerin dulden. Sie musste besondere Fähigkeiten im Kampf besitzen, trotz ihrer offensichtlichen Schwäche.

Vik atmete erleichtert aus – gut, dass ihm diese Erkenntnis vor dem Kampf gekommen war, denn es wäre ein fataler Fehler gewesen, seine Gegnerin zu unterschätzen.

„Ich glaube, trotz ihrer Blindheit und der Tatsache, dass sie eine Frau ist, darf ich diesen Kampf nicht unterschätzen“, flüsterte er seinem Vater zu.

„Ja, dieser Gedanke ist mir ebenfalls gekommen. Diese schwarzen Soldaten sind anders als wir, denn ich sehe eine unbeschreibliche Brutalität in ihren Augen. Sie haben schon unzählige Dörfer überfallen und geplündert. Es wirkt alles sehr routiniert. Sie zeigen keinerlei Anzeichen von Unsicherheit, und diese Frau, Vik, die macht mir am meisten Angst.“

Vik blickte in das besorgte Gesicht seines Vaters.

„Ich werde vorsichtig sein“, raunte er.

„Ich will dich nicht verlieren Vik. Vielleicht sollten wir die Vereinbarung rückgängig machen und ihnen ohne Gegenwehr geben was sie verlangen?“

„Das ist keine gute Idee, Vater. Ich habe die Befürchtung, dass sie zu unserem Besitz auch unsere Frauen und Kinder zählen. Ich … Ich würde mir das niemals verzeihen, wenn ich bei diesem Überfall der schwarzen Soldaten nur tatenlos danebenstehen würde.“

Vik schaute zu Rul hinüber und nickte ihm fest entschlossen zu.

„Lasst uns kämpfen“, sagte er mit fester Stimme. Rul befahl einigen Männern, eine freie Fläche zu schaffen, auf der der Kampf stattfinden sollte.

Die verängstigten Frauen und Kinder wurden brutal zur Seite geschoben und suchten Schutz bei den Männern des Dorfes. Erleichtert fielen sie sich in die Arme und waren glücklich darüber, dass sie fürs Erste noch am Leben und unverletzt waren.

Vik und sein Vater Najek gingen mit schwerfälligen Schritten zu dem freigeräumten Kampfbereich.

„Vik, du brauchst eine Waffe“, flüsterte ihm Najek aufgeregt zu. Sie schauten zu Sava herüber, die mit ihrer Machete ein paar Meter von ihnen entfernt stand.

„Rul, gib ihm dein Schwert, ich habe Lust auf einen ausgeglichenen Kampf“, befahl Sava ihrem Ersten Offizier. „Sie … Sie hat mich gehört, und das, obwohl ich geflüstert habe“, stellte Najek fassungslos fest und schaute panisch zur Anführerin der schwarzen Soldaten herüber.

Verärgert gehorchte Rul Savas Anweisung und überreichte Vik sein Schwert.

„Ich bekomme es sowieso jeden Augenblick ungebraucht zurück“, sagte er an Vik gewandt und grinste spöttisch.

Eine tiefe Unruhe überkam Vik, und er begann leicht zu frösteln. Längst war der Mond am Himmel deutlich auszumachen und ein kühler Nachtwind fegte durch seine Haare. Obwohl die aufgestellten Fackeln den kleinen Kampfbereich erleuchteten, musste Vik sich wegen der Dunkelheit stark konzentrieren.

Die Schatten des flackernden Lichts durften ihm während des Kampfes keinen Streich spielen und seine Sinne täuschen. Najek trat an seinen einzigen Sohn heran und nahm ihn in die Arme.

„Du sollst wissen, egal wie es ausgeht, ich bin immer sehr stolz auf dich gewesen, denn du bist ein unglaublicher und beeindruckender Mensch. Ich liebe dich“, flüsterte er leise in Viks Ohr.

Nach diesen letzten Worten verließ er den Kampfbereich und eilte hinüber zu den anderen Bewohnern des Dorfes.

Rul blickte grinsend in die Menge und sah verängstigte und besorgte Gesichter, die Sava nicht einen Moment aus den Augen ließen.

„Der Kampf beginnt jeden Moment, doch zuvor werde ich noch die Regeln dieses Kampfes erklären.“ Rul lachte. „Eigentlich gibt es nur eine Regel: Der Kampf ist erst dann zu Ende, wenn euer Freund tot am Boden liegt.“

Einige Frauen schrien erschrocken auf und schauten fassungslos zu Vik hinüber. Sava zog ihre Jacke aus und schmiss sie achtlos auf den Boden. Darunter trug sie ein leichtes schwarzes Shirt.

Dann wandte sie sich an Vik. Er würde den heutigen Tag nicht überleben. Sava fragte sich, warum dieser Mann solch eine fatale Entscheidung getroffen hatte?

Warum ging er einen gefährlichen Kampf ein, gegen Soldaten, die ihm unbekannt waren und dessen Fähigkeiten er nicht zu ermessen wusste? Er überschätzte sich und würde dafür mit seinem Leben bezahlen.

Sie fasste den Griff ihrer Machete fester, sie lag gut und sicher in ihrer Hand, und mit dieser Waffe hatte sie bereits viele Menschen getötet. Sava war bereit für den Kampf. Sie atmete einmal tief ein und wieder aus.

„Es kann losgehen!“, rief sie Vik zu. Es würde keine große Anstrengung von ihr erfordern, Vik zu besiegen.

Sie erspürte zwar, dass er ein großer und stämmiger Mann war und durch die tägliche Arbeit auf den Feldern viel Muskelkraft besaß, jedoch war sie selbst viel erprobter im Kampf. Das Kämpfen gehörte zu ihrem täglichen Leben dazu. Wenn Sava sich im Norden dieser Erdhälfte aufhielt, trainierte sie jeden Tag im angrenzenden Wald der Herrschaft, oder im Kampfsaal, der sich im Herrschaftshaus des Sir O befand.

Die Dorfbewohner, die um sie herum das Geschehen betrachteten, waren allesamt still, und niemand rührte sich. Ein Vorteil für mich, dachte Sava, so würde sie Vik besser wahrnehmen können, ohne von anderen Geräuschen oder Stimmen abgelenkt zu werden.

In diesem Moment spürte sie, dass Vik einige Schritte auf sie zuging. Sie spannte ihre Muskeln an und wartete ab. Dann plötzlich, mit einer schnellen Bewegung, stürzte Vik auf Sava zu und versuchte das Schwert in ihren Bauch zu rammen. Sava erahnte seinen Angriff.

Eine Warnung, wie ein heller Blitz, tauchte in ihrem Inneren auf, und sie wich nach links, um dem Hieb des Schwertes auszuweichen. Sava lief an Vik vorbei, platzierte sich flink hinter ihm und holte mit ihrem Bein aus. Sie trat ihm mit ihrer gesamten Kraft gegen den Rücken, und er knallte hart auf dem Boden auf.

„Ahh …“, stöhnte Vik schmerzerfüllt.

„Steh wieder auf!“, fauchte Sava genervt. Dieser Kampf war viel zu einfach. „Ich will einen anspruchsvollen Kampf gegen dich austragen, bevor ich dich töte.“

Hastig erhob Vik sich vom Boden und schlug ein weiteres Mal mit dem Schwert auf sie ein. Sava wich erneut geschickt zur Seite aus und ließ ihre Machete auf Viks Kopf niedersausen. Er parierte mit dem Schwert, versuchte im nächsten Augenblick mit seiner linken Faust auf Savas Kopf einzuschlagen, aber sie wand sich rechtzeitig von ihm ab und der Schlag ging ins Leere.

Vik schlug erneut zu und traf wieder nicht. Er hatte noch nie mit einem Schwert gekämpft, denn das Kämpfen hatte er bisher immer seinen Fäusten überlassen. Frustriert brüllte er auf und stürzte mit erhobenem Schwert auf Sava zu. Sie rannte ihm entgegen, parierte den Angriff, holte erneut aus und schnitt Vik mit ihrer Machete in den Arm. Blut trat aus der Wunde, und verwundert blickte Vik darauf.

„Du … Du hast mich verletzt“, stellte er fassungslos fest. „Das wirst du mir büßen.“

Wütend schluckte er den aufkommenden Schmerz hinunter und stürzte sich auf die kleine Frau. Sava war flinker als er und wich aus.

Plötzlich roch Sava Angstschweiß, denn sein Körper wusste schon vor seinem Verstand, dass sie ihm überlegen war und er sterben würde. Vik versuchte trotz allem, schneller als Sava zu sein, denn nur so war es ihm möglich zu überleben.

Mit ein wenig Anlauf rannte er los und versuchte sie erneut mit seiner Faust zu treffen. Sava umging fast tänzerisch diesem Vorstoß, bewegte sich geschickt von seiner Faust weg, doch Vik war diesmal auf diese Ausweichtaktik vorbereitet und schlug mit seinem Schwert in die Richtung, in die Sava flüchtete.

Er traf jedoch nur ins Leere, denn Sava war einfach zu schnell für seine Angriffe. Viks Atmung wurde schwerer, und Schweiß lief seine Schläfen hinab. Sava näherte sich ihm und schlug mit ihrer Machete immer wieder auf ihn ein. Mit dem Schwert parierte Vik die harten, auf ihn einprasselnden Schläge. Als Sava einen Moment mit ihrem nächsten Hieb zögerte, nutzte Vik diesen Augenblick aus und wechselte die Rollen.

Nun war er der Angreifer, und Sava musste ihr Leben gegen ihn verteidigen. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, ließ er das Schwert wieder und wieder auf die zierliche Frau hinuntersausen.

„Endlich“, rief Sava lachend und parierte geschickt jeden Schlag von Vik. „Ich dachte schon, du hast rein gar nichts zu bieten, aber so gefällt mir der Kampf schon besser.“

Sava erspürte Viks aufkommende Wut, und die Schläge seines Schwertes wurden noch kräftiger. Seine Muskeln sind doch zu etwas zu gebrauchen, dachte Sava amüsiert und führte ihre Machete präzise gegen jeden von Viks Vorstößen. Plötzlich jedoch streifte seine Klinge ihren nackten Oberarm, und ein feiner Schnitt entstand in ihrem weichen Fleisch.

„Ich sollte aufhören, mit dir zu spielen“, zischte sie verärgert und stürzte sich auf den Hünen vor sich.

Sava war schnell, geübt mit ihrer Waffe und kannte keinerlei Gnade. Mit viel Kraft führte sie den nächsten Hieb aus, doch Vik gelang der Rückzug. Erneut ging sie mit ihrer Waffe auf ihn los, und jeder ihrer Schläge wurde härter, gefährlicher und näherte sich Viks schutzlosem Körper. Ihm blieb weiterhin nur die Flucht zurück, dann wich er nach links aus, um den heftigen Hieben auszuweichen, die immer wieder auf ihn einschlugen wie ein gewaltiger Blitz in einen Baum. Sava folgte ihm, ließ ihm keine Atempause und schlug immer weiter auf Vik ein.

Er spürte, dass die Angriffe an Kraft gewannen und schneller wurden. In diesem Moment wurde Vik bewusst, wie unglaublich brutal und stark diese Frau war. Sie würde sein Leben niemals verschonen. Ihre Kraft wuchs von Schlag zu Schlag, und sein Widerstand gegen diese verrückte Frau wurde schwächer.

Grob drängte Sava ihn weiter nach hinten. Die aufeinandertreffenden Klingen gaben fortlaufend ein klirrendes Geräusch von sich und durchbrachen ein aufs andere mal die eisige Stille der Nacht.

Dann geschah es: Vik vernachlässigte einen kurzen Augenblick seine Deckung, und Sava traf ihn.

Mit der Spitze ihrer Machete schnitt sie ihn auf Höhe seiner Brust, und dunkles Blut quoll aus der Wunde hervor.

Vik schrie erschrocken auf, während das dicke Blut sein Shirt in tiefem Rot tränkte. Sava lächelte und schlug ihre Machete mitten auf seine Brust.

Überrascht sah er auf sich herunter und betrachtete die Machete. Dann fiel er tot zu Boden.

Die umstehenden Menschen waren allesamt still, und fassungslose Blicke richteten sich auf den am Boden liegenden Vik.

Er war tot.

Eine Waffe steckte in seiner Brust und seine Augen waren vor Verwunderung weit aufgerissen. Sava beugte sich über Viks Leichnam und zog ihre Machete aus seiner Brust heraus. Dabei entstand ein schmatzendes Geräusch, und noch mehr Blut sprudelte aus der offenen Wunde hervor. Sava wischte das Blut, das an ihrer Machete klebte, an Viks Shirt ab.

„Was … Was hast du getan?“, hörte Sava die entsetzte und fassungslose Stimme von Najek, der panisch auf sie zu gerannt kam. Mit einer fließenden Bewegung lief sie ihm entgegen, packte seine Schulter und schlug ihre Machete gegen seinen Bauch.

„W-w-warum?“, stotterte Najek entsetzt und blickte ihr ins Gesicht. Sava lächelte. Sie hielt ihn weiterhin an seiner Schulter fest und zog dann mit einem Ruck ihre Machete wieder aus ihm heraus.

„Weil ich eine Soldatin der Herrschaft bin“, flüsterte sie böse und ließ Najeks schweren Körper los.

Das Blut floss schwallartig aus seinem Bauch, und er versuchte mit seinen Händen, den nicht enden wollenden Strom zu stoppen. Sava spürte Najeks hasserfüllten Blick auf sich ruhen, dabei war sein Gesicht vor qualvollen Schmerzen völlig verzerrt.

Mit letzter Lebenskraft hauchte er:

„Du … Du bist ein Monster.“ Die Bewohner des Dorfes standen tatenlos um die eben geschehene Situation herum.

Niemand rührte sich, während Najek qualvoll starb.

„Das war zu einfach“, sagte Nino amüsiert und biss ein Stück Fleisch von einer Hasenkeule ab. Es war so zart und saftig, dass ihm der fettige Saft am Kinn hinunterrann.

Geistesabwesend wischte er sich mit seinem Handrücken über den Mund und aß genüsslich weiter.

Ein kleiner Teil der Mannschaft saß an einem langen, schweren Tisch in einem großen Zimmer in der Hütte des Ältesten Najek. Die Wände des Zimmers waren behangen mit verschiedenen alten und verrosteten Gerätschaften für die Felder. Ein schwarzer Ofen stand in einer Ecke und beheizte den spärlichen Raum, und dicke Kerzen spendeten Licht. Nach dem Tod von Najek und Vik hatten sich einige Soldaten hierher zurückgezogen und feierten die Übernahme des Dorfes Luneck.

Viel größer jedoch war die Freude darüber, dass dies ihr letzter Auftrag gewesen war. Nun endlich würden sie alle zurück in den Norden reisen und ihre verdienten Belohnungen für ihre großartigen Taten in der Herrschaft empfangen.

„Und trotzdem hat der Hüne Savas Arm verletzt“, beurteilte Rul vorwurfsvoll den Kampf zwischen Sava und Vik. „So etwas darf dir nicht noch einmal passieren, ansonsten …“ Mitten im Satz hielt er inne, denn plötzlich spürte er, dass er zu weit gegangen war.

Niemals durfte er kritische Worte an seine Anführerin richten. Sava blickte von ihrem Essen auf, und eine unheilvolle Stille breitete sich im Raum aus.

Nur das leise Wimmern einiger Frauen aus dem Dorf war zu hören, die verängstigt an der Wand der Hütte standen und auf weitere Befehle warteten. Die Soldaten der Herrschaft waren nicht zimperlich mit ihnen umgegangen, und jede von ihnen hatte viele Schläge einstecken müssen. Umso schneller stand nun das gute Essen auf dem Tisch. Savas Finger zuckten. Ich muss mich nur ein Stück zum zubereiteten Hasen vorbeugen, mir das scharfe Messer schnappen, und schon wäre Rul ein toter Mann, dachte Sava und schmunzelte amüsiert bei dieser Vorstellung, aß jedoch unbeeindruckt weiter.

„Ich bin gespannt, wie lange du noch am Leben bleibst, Rul“, sagte Leander lachend, strich sich seine blonden, schulterlangen Haare hinter die Ohren und löste mit einem einzigen Satz die angespannte Situation wieder auf. Die anderen Soldaten begannen ebenfalls zu lachen.

Sava wandte sich überrascht zu ihm herüber, denn nur selten sprach er ein Wort.

Leander war Kundschafter der Mannschaft und gehörte ebenfalls zum inneren Kreis der Herrschaft.

Seine kämpferischen Fähigkeiten waren nicht besonders gut, denn durch seine dünne Statur und seine viel zu langen Arme und großen Hände war er zumeist sehr ungeschickt.

Jedoch sahen seine eng anliegenden und mandelförmigen Augen alles, was um ihn herum passierte, und niemand sonst war so eng verbunden mit der Natur wie er. Selten lebte er länger als ein paar Tage in der Herrschaft, lieber streifte er auf dieser Erdhälfte herum und erforschte unentdeckte Gebiete. Nur wenigen Menschen war es erlaubt, die Herrschaft ungefragt zu verlassen, aber Leander war einer von ihnen. Vor vielen Sommern hatte er den Tod der Stuhi-Menschen aus dem Sturm-Gebirge entdeckt und war dafür mit dem Wechsel in den inneren Kreis der Herrschaft belohnt worden.

„Du Mistkerl, ich werde dich bei lebendigem Leib …“, schimpfte Rul, der es niemals akzeptierte, wenn jemand über ihn lachte, und sprang von seinem Stuhl auf.

„Es reicht!“, widersprach Sava augenblicklich ihrem Ersten Offizier. „Halte dich zurück.“

Wütend setzte Rul sich wieder auf seinen Stuhl und aß weiter.

Der süße Mais, der auf seinem Teller lag, schmeckte ihm plötzlich nicht mehr, und frustriert schob er das Essen von sich weg.

„Morgen treten wir unsere Rückreise an, und dann braucht ihr euch eine lange Zeit nicht wiederzusehen“, schnaubte Sava verächtlich.

Sie war dieses ständige, prollige Gehabe ihrer Männer leid. Es war dringend an der Zeit, in die Herrschaft zurückzukehren. Nino lachte und schlug Leander fest auf den Rücken.

„Wie sieht es aus, bist du fertig mit dem Essen?“

Leander nickte, und beide erhoben sich und verließen die kleine Hütte. Zurück blieben Sava, Rul und noch zwei weitere Soldaten, die sich über die Reste des Hasen hermachten.

Sava genoss die Ruhe im Raum des Ältesten und den guten Wein, den die Bewohner hier in großen Mengen besaßen. Ihre Mannschaft hatte bereits einige Flaschen des Weinbestandes geleert, und der Alkohol stieg ihnen allmählich zu Kopf.

Plötzlich drangen lautes und betrunkenes Lachen ihrer Männer und klägliche Schreie von Frauen bis zu ihr durch. Vorbei war es mit der angehnehmen Ruhe.

Sava seufzte genervt, erhob sich von ihrem Stuhl und griff nach dem Messer, das im übrig gebliebenen Gerippe des Hasen steckte. Vielleicht brauche ich die Waffe doch noch, um Rul damit zum Schweigen zu bringen, dachte Sava schmunzelnd und verließ die Hütte.

Rul folgte ihr augenblicklich nach draußen.

„Wohin gehst du?“, fragte er und zog sein Schwert hervor, das er sich nach Viks Dahinscheiden aus dessen erstarrten Händen zurückgeholt hatte.

Kalte Nachtluft blies ihr ins Gesicht und sorgte für eine Erfrischung. Ihre Mannschaft reiste im südlichen Teil dieser Erdhälfte zumeist in der Nacht, da die Hitze des Tages unerträglich für die Pferde und für ihre Reiter war.

Sava liebte die Nächte im Süden, denn sie sorgten immer wieder für eine Abkühlung der erhitzen Körper. Im Norden hingegen waren die Nächte viel kälter, und viele Menschen waren bereits erfroren, weil sie das Wetter unterschätzt hatten.

„Ich brauche keinen Begleiter. Du bleibst stattdessen hier und stehst Wache, bis ich wiederkomme“, befahl Sava.

„Warum?“, fragte Rul starrsinnig. „Hier sind bereits mehr als genug Männer als Wachen positioniert.“

„Das ist mir klar. Trotzdem unterstützt du die Soldaten“, erwiderte Sava aggressiv.

„Nein“, widersprach Rul verärgert.

Sava drehte sich um und zückte das Messer. Mit wenigen Schritten war sie bei Rul angekommen und drückte die scharfkantige Klinge an seine Kehle. Rul war viel größer als sie selbst, aber er hatte den Angriff nicht kommen sehen und versuchte erschrocken vor Sava zurückzuweichen.

Sava verstärkte den Druck der Klinge an seinem Hals und flüsterte drohend: „Willst du dich wirklich mit mir anlegen? Überleg dir deine Antwort gut, denn du weißt, Rul, ich bin nicht zimperlich, was das Ermorden von Soldaten der Herrschaft angeht.“

Rul schluckte schwer, und dabei verstärkte sich der Druck der Klinge auf seinem Hals. Er hatte keine Angst.

Er wusste, dass Sava ihn niemals töten würde, doch trotz allem nahm er ihre Drohung ernst, denn viele unzählige Male hatte er sie beim Töten beobachtet und studiert. Sava war wie eine flinke und geschmeidige Raubkatze, die sich auf ihre Beute stürzte und sie mit ihren spitzen und gefährlichen Zähnen in kürzester Zeit zerfleischte.

Viele ihrer Opfer waren Menschen aus der Herrschaft gewesen, und er würde sich nicht unnötigerweise mit Sava anlegen.

„Nein“, knurrte er verärgert zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Gut“, sagte sie, ließ von ihm ab und entfernte sich von Najeks Hütte. Sie ging gemächlich an den vielen Hütten vorbei und zog erneut die frische Luft in ihre Lungen ein. Die verschiedensten Geräusche um sie herum drangen in ihre Ohren. Soldaten, die laut lachten, einander unverständliche Dinge zubrüllten und sich die Frauen des Dorfes nahmen. Sava hasste diesen Teil der Übernahme. Jedoch würde sie nichts dagegen unternehmen, denn es war dringend notwendig, ihre Mannschaft, die einzig und allein aus Männern bestand, irgendwie im Griff zu behalten.

Sie musste ihnen Möglichkeiten bieten, ihren Druck abzubauen, ohne dass sie sich am Ende womöglich noch über sie selbst hermachten.

Savas Männer respektierten sie bedingungslos und gehorchten wie räudige Köter aufs Wort. Doch sobald sie eine solch lange und aufreibende Reise hinter sich hatten, waren sie unberechenbar. Deshalb blieb ihr keine andere Wahl, sie musste sie irgendwie kontrollieren.

So wie es Sir O in der Herrschaft mit ihr gemacht hatte. Um die eigene Lebensqualität zu verbessern, war es wichtig, Opfer zu bringen. Es war von großer Bedeutung, den Befehlen des Sir O Folge zu leisten, denn sein Wort war Gesetz in der Herrschaft. Sava erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem Sir O ihr zum ersten Mal den Befehl gab zu morden.

Sie war gerade neun Sommer auf dieser Erdhälfte gewesen und hörte seine durchdringende Stimme heute noch in ihrem Kopf, als wäre es gestern gewesen:

„Töte den Jungen.“

Einige Tage zuvor hatte sie sich geweigert, ein Menschenleben zu nehmen, doch für diese Feigheit hatte Sir O sie buchstäblich bluten lassen.

„Töte den Jungen.“

Der Befehl war unmissverständlich gewesen. Sie hatte das Leben des Jungen, der nicht viel mehr Sommer auf dieser Erdhälfte überlebt hatte als sie selbst, und gegen den sie gerade im gewaltigen Kampfsaal, im Inneren des Herrschaftshauses, kämpfte, nicht verschonen dürfen.

Er hatte auf dem Boden gelegen, zu geschwächt von ihren Schlägen, um wieder aufzustehen und weiterzukämpfen. Sein feines Gesicht war besudelt gewesen mit seinem eigenen dunklen Blut, und mit seiner hellen, kindlichen Stimme hatte er um sein Leben gefleht.

Doch in Savas kleinem Kopf hatte es gerauscht, und nur die durchdringe Stimme des Sir O war darin zu hören gewesen.

„Töte den Jungen“, hatte sie bestimmend geflüstert, und plötzlich hatte sie bedrohlich über dem kindlichen Körper gestanden. Ihre kleinen Hände hatten ein Messer gehalten und unaufhörlich gezittert. Sie hatte deutlich die Angst des Jungen unter ihr gespürt. Wie war noch einmal sein Name gewesen? Dini?

Ja, Dini hatte sein Name gelautet. Dini hatte erst einen Tag zuvor einen Apfel von einem der Obstfelder gestohlen und ihn ihr zum Essen gegeben.

„Töte den Jungen“, hatte die Stimme des Sir O in ihrem Kopf sie erneut gefoltert, und schließlich hatte sie es getan. Mit einem verzweifelten Aufschrei hatte sie das Messer in die Brust des kleinen Dini gestoßen…

Von diesem prägenden Augenblick an hatten ihre Albträume begonnen.

Sava ging weiter über den weichen Waldboden und erreichte plötzlich den Rand des kleinen Dorfes. Endlich war nur noch das Pfeifen des Windes zu hören und die vielen Schreie und Stimmen waren in ihren Ohren verstummt. Tausende Sterne funkelten am Firmament, und der helle, volle Mond ließ das Dorf unter den vielen Ahornbäumen erstrahlen.

Sava sog die frische Nachtluft tief ein und genoss die Ruhe. Sie liebte die Natur und die sich ihr dadurch bietenden unzähligen Möglichkeiten.

In der Herrschaft lebten sie wie zusammengepferchte Schweine, in einem kleinen, übel riechenden Stall. Überall stank es entsetzlich nach Fäulnis und Exkrementen. Die Holzhütten waren dicht aneinandergereiht, um möglichst viele Menschen zu beherbergen.

Überall mangelte es an Platz zum Atmen. Für Sava war es einer der schönsten Momente in ihrem erst kurzen Leben gewesen, als Sir O ihr eröffnet hatte, dass sie von nun an im Herrschaftshaus wohnen würde, denn dies bedeutete gleichzeitig, dass sie endlich zum inneren Kreis der Herrschaft gehörte und somit viele neue Privilegien besaß. Freudig verließ sie ihre stinkende Hütte, in der sie gemeinsam mit fünf Menschen gelebt hatte, und zog ins Herrschaftshaus. Dieses Privileg wurde nicht jedem zuteil.

So lebte Rul seit vielen Sommern vor dem angrenzenden Holzzaun in einer Hütte mit zwei anderen Menschen. Sie wusste nicht, warum er nicht zum inneren Kreis gehörte und warum Sir O