Die Tote in der Bibliothek - Agatha Christie - E-Book

Die Tote in der Bibliothek E-Book

Agatha Christie

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Es ist sieben Uhr morgens. In der Bibliothek der Bantrys liegt eine Leiche in einem Abendkleid. Wer ist sie? Wie kommt sie hierher? Fragen, auf die weder der Colonel noch seine Frau eine Antwort wissen. Vielleicht kann eine Freundin von Mrs. Bantry helfen - Jane Marple macht sich sofort auf die Jagd. Schnell ist die Leiche identifiziert und das Motiv erkannt: Es ging um Geld, viel Geld.  Die beiden Damen quartieren sich im Majestic Hotel in Danemouth ein, wo Miss Marple den Täter zur Strecke bringen will - mit viel Gespür und noch mehr Verstand.

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Seitenzahl: 242

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Agatha Christie

Die Tote in der Bibliothek

Ein Fall für Miss Marple

Aus dem Englischen von Barbara Heller

Atlantik

Meiner Freundin Nan

Vorwort

Zu bestimmten Arten von Prosaliteratur gehören bestimmte Klischees. Der »stolze, böse Baron« beispielsweise zum Kitschroman, die »Leiche in der Bibliothek« zum Kriminalroman. Mehrere Jahre trug ich mich mit dem Gedanken an eine angemessene »Variation über ein bekanntes Thema«. Ich stellte mir dafür bestimmte Bedingungen. Die Bibliothek musste eine streng konventionelle Bibliothek sein, die Leiche dagegen eine ganz und gar ungewöhnliche, sensationelle Leiche. Das waren die Vorgaben, doch einige Jahre blieb es dabei, und das Projekt gelangte nicht über ein paar Zeilen in einem Schulheft hinaus. Dann aber verbrachte ich einmal einige Sommertage in einem mondänen Hotel am Meer und beobachtete dort an einem Tisch im Speisesaal eine Familie: ein älterer Mann im Rollstuhl, umgeben von einer Schar jüngerer Familienmitglieder. Am nächsten Tag reisten sie glücklicherweise ab, und meine Phantasie konnte sich unbelastet von jeglichem Wissen ans Werk machen.

Wenn ich gefragt werde, ob in meinen Büchern reale Personen vorkommen, lautet die Antwort: »Es ist mir völlig unmöglich, über Menschen zu schreiben, die ich kenne, mit denen ich einmal gesprochen oder von denen ich auch nur gehört habe!« Aus irgendeinem Grund wären sie damit für mich mausetot. Wohl aber kann ich eine »Marionette« nehmen und sie mit Eigenschaften und Phantasien eigener Erfindung ausstatten.

So wurde ein älterer Invalide zum Mittelpunkt der Geschichte, und Colonel Bantry und seine Frau, zwei alte Freunde meiner Miss Marple, hatten genau die richtige Bibliothek. Nach Art eines Kochrezepts gebe man folgende Zutaten hinzu: einen Tennistrainer, eine junge Tänzerin, einen Künstler, eine Pfadfinderin, eine Eintänzerin und noch einiges mehr. Und dann serviere man à la Miss Marple!

Agatha Christie

Erstes Kapitel

I

Mrs Bantry träumte. Ihre Gartenwicken hatten bei der Blumenschau den ersten Preis gewonnen. Der Pfarrer, in vollem Ornat, verteilte die Preise in der Kirche. Seine Frau schritt im Badeanzug vorbei, doch wie es in Träumen wunderbarerweise so geht, nahm die Gemeinde keinen Anstoß daran, was sie im wirklichen Leben zweifellos getan hätte …

Mrs Bantry genoss ihren Traum in vollen Zügen, wie meist bei diesen morgendlichen Träumen, die mit der Ankunft des Tees ihr Ende fanden. Noch halb im Unterbewusstsein nahm sie die üblichen Morgengeräusche des Hauses wahr. Im Treppenhaus rasselten die Vorhangringe, als das Dienstmädchen die Gardinen aufzog, auf dem Flur draußen klapperte das zweite Dienstmädchen mit Schaufel und Besen, und unten wurde mit Gepolter der Riegel an der Haustür zurückgeschoben.

Ein neuer Tag begann. Mrs Bantry musste die Blumenschau noch nach Kräften auskosten, denn schon wurde deutlich, dass es nur ein Traum war …

Im Erdgeschoss wurden die großen hölzernen Fensterläden des Salons geöffnet. Mrs Bantry hörte es, ohne es zu registrieren. Noch eine gute halbe Stunde würde es so weitergehen: diskrete, gedämpfte Geräusche, so vertraut, dass sie nicht weiter störten. Zum Schluss würden sich auf dem Flur schnelle, gleichmäßige Schritte nähern, ein Kattunkleid würde rascheln, ein leises Klirren würde zu vernehmen sein, wenn das Teetablett auf dem Tisch vor der Tür abgestellt wurde, dann ein sachtes Anklopfen. Und schließlich würde Mary eintreten und die Vorhänge öffnen.

Mrs Bantry runzelte die Stirn. Etwas Störendes drang in ihren Traum ein, etwas, das nicht dazugehörte. Schritte im Flur, zu hastige, zu frühe Schritte. Unbewusst lauschte sie auf das Klirren des Teegeschirrs, aber da klirrte kein Geschirr.

Jetzt klopfte es. Aus den Tiefen des Traums rief Mrs Bantry mechanisch: »Herein!« Die Tür ging auf – gleich würden rasselnd die Gardinen zurückgezogen werden.

Doch kein Rasseln ertönte. Aus dem grünen Dämmerlicht kam Marys Stimme, in höchster, atemloser Erregung: »Madam, Madam! In der Bibliothek liegt eine Tote!«

Das Mädchen brach in wildes Schluchzen aus und rannte aus dem Zimmer.

II

Mrs Bantry setzte sich auf. Entweder hatte ihr Traum eine äußerst merkwürdige Wendung genommen oder aber – oder aber Mary war wirklich hereingestürzt und hatte gesagt – unfassbar! grotesk geradezu! –, dass in der Bibliothek eine Tote liege.

»Unmöglich«, sagte Mrs Bantry zu sich selbst. »Das muss ich geträumt haben.«

Doch noch während sie es sagte, wurde ihr klar, dass sie es keineswegs geträumt hatte, dass Mary, ihre vernünftige, überlegene Mary, diese absurden Worte wirklich ausgesprochen hatte.

Mrs Bantry überlegte eine Weile und versetzte dann ihrem schlummernden Gatten einen dringlichen ehelichen Rippenstoß.

»Arthur, Arthur, wach auf!«

Colonel Bantry ächzte, murmelte etwas und drehte sich auf die andere Seite.

»Wach auf, Arthur! Hast du gehört, was Mary gesagt hat?«

»Durchaus möglich«, nuschelte Colonel Bantry. »Ich bin ganz deiner Meinung, Dolly.« Und schon war er wieder eingeschlafen.

Mrs Bantry rüttelte ihn.

»Nun hör doch! Mary sagt, in der Bibliothek liegt eine Tote!«

»Äh, was?«

»Eine Tote! In der Bibliothek!«

»Wer sagt das?«

»Mary.«

Colonel Bantry raffte seine fünf Sinne zusammen und begann sich mit der Lage zu befassen.

»Unsinn, altes Mädchen«, sagte er. »Du hast geträumt.«

»Das dachte ich auch erst, aber ich habe nicht geträumt. Mary war hier im Zimmer und hat es wirklich gesagt.«

»Dass in der Bibliothek eine Tote liegt?«

»Ja.«

»Das kann nicht sein.«

»Nein – nein, eigentlich nicht«, sagte Mrs Bantry unsicher, doch dann straffte sie sich und fuhr fort:

»Aber warum sagt sie dann so etwas?«

»Sie kann es gar nicht gesagt haben.«

»Sie hat es aber gesagt.«

»Das bildest du dir ein.«

»Nein.«

Inzwischen war Colonel Bantry hellwach und bereit, den Dingen ins Auge zu sehen. Freundlich sagte er: »Du hast geträumt, Dolly, das ist alles. Das kommt von diesem Kriminalroman, den du neulich gelesen hast, Das Geheimnis des abgebrochenen Zündholzes, du weißt schon, wo Lord Edgbaston das schöne blonde Mädchen tot auf dem Kaminvorleger in der Bibliothek findet. Im Roman wird die Leiche immer in der Bibliothek gefunden. Im wirklichen Leben habe ich so etwas noch nie gehört.«

»Dann wirst du’s vielleicht jetzt hören. Auf jeden Fall musst du aufstehen und nachsehen, Arthur.«

»Aber das kann doch nur ein Traum gewesen sein, Dolly. Träume erscheinen beim Aufwachen oft noch so wunderbar real. Man ist sich dann ganz sicher, dass die Dinge wirklich passiert sind.«

»Ich habe aber etwas ganz anderes geträumt, von einer Blumenschau und von der Pfarrersfrau im Badeanzug – oder so ähnlich.«

Mit ungeahnter Energie sprang Mrs Bantry plötzlich aus dem Bett und zog die Vorhänge auf. Das Licht eines schönen Herbsttages strömte ins Zimmer.

»Ich habe das nicht geträumt«, erklärte sie entschieden. »Steh jetzt auf, Arthur, geh hinunter und sieh nach, was da los ist.«

»Ich soll hinuntergehen und fragen, ob in der Bibliothek eine Tote liegt? Ich mach mich doch nicht lächerlich!«

»Du brauchst ja nicht zu fragen. Wenn tatsächlich irgendwo eine Leiche ist – vielleicht hat Mary ja den Verstand verloren und sieht Dinge, die gar nicht da sind –, dann wirst du es sofort erfahren. Du selbst brauchst da gar nichts zu sagen.«

Murrend hüllte sich Colonel Bantry in seinen Morgenrock und verließ das Zimmer. Er schritt den Flur entlang und die Treppe hinab. Unten stand dicht zusammengedrängt ein Grüppchen Dienstboten; einige von ihnen schluchzten. Der Butler trat gewichtig vor.

»Gut, dass Sie kommen, Sir. Ich habe Anweisung gegeben, vorläufig nichts zu unternehmen. Wäre es Ihnen recht, wenn ich jetzt die Polizei rufe, Sir?«

»Die Polizei? Wieso denn das?«

Der Butler warf einen vorwurfsvollen Blick nach hinten, wo eine hochgewachsene junge Frau an der Schulter der Köchin hemmungslos weinte.

»Ich nahm an, Mary hätte Sie unterrichtet, Sir. Sie sagte es zumindest.«

»Ich war so aufgeregt«, stieß Mary schluchzend hervor, »ich weiß gar nicht mehr, was ich gesagt habe. Plötzlich hab ich sie wieder vor mir gesehen, ich bekam weiche Knie, der Magen hat sich mir umgedreht … Wie sie da lag – ogottogottogott!«

Sie sank wieder an Mrs Eccles’ Schulter. »Na, na, meine Liebe«, beruhigte die Köchin sie nicht ohne Genuss.

»Mary ist verständlicherweise noch etwas durcheinander, Sir«, erklärte der Butler. »Schließlich war sie es, die den grausigen Fund gemacht hat. Sie ist wie immer in die Bibliothek gegangen, um die Vorhänge aufzuziehen – und dabei wäre sie fast über die Tote gestolpert.«

»Wollen Sie damit sagen«, fragte Colonel Bantry, »dass eine Leiche in meiner Bibliothek liegt – in meiner Bibliothek?«

Der Butler hüstelte. »Wenn Sie sich vielleicht selbst überzeugen möchten?«

III

»Hallo, hallo, hier Polizeirevier. Ja, wer ist am Apparat?«

Constable Palk hielt in der einen Hand den Hörer, mit der anderen knöpfte er sich den Uniformrock zu.

»Ja, ja, Gossington Hall. Ja? Oh, guten Morgen, Sir.« Der Wachtmeister milderte seinen ungnädigen Amtston ein wenig, als er den großzügigen Förderer des Polizeisports und höchsten Beamten des Bezirks erkannte.

»Ja, Sir? Was kann ich für Sie tun? Entschuldigen Sie, Sir, ich verstehe nicht ganz – eine Tote, sagen Sie? Ja? Ja, wenn ich bitten darf, Sir. In Ordnung, Sir. Ihnen unbekannte junge Frau, sagen Sie? – Ganz recht, Sir. Ja, ich kümmere mich darum.«

Constable Palk legte den Hörer auf, stieß einen lang gezogenen Pfiff aus und wählte dann die Nummer seines Vorgesetzten.

Mrs Palk streckte den Kopf durch die Küchentür, und ein verlockender Duft nach gebratenem Speck zog ins Zimmer.

»Was ist passiert?«

»Total verrückte Sache. In Gossington Hall hat man die Leiche einer jungen Frau gefunden. In Colonel Bantrys Bibliothek.«

»Ermordet?«

»Erwürgt, sagt er.«

»Und wer ist sie?«

»Er sagt, er hat keine Ahnung.«

»Was hatte sie dann in seiner Bibliothek zu suchen?«

Der Wachtmeister brachte seine Frau mit einem vorwurfsvollen Blick zum Schweigen und schlug dann wieder seinen Amtston an.

»Inspektor Slack? Hier Constable Palk. Soeben wird gemeldet, dass heute um sieben Uhr fünfzehn eine junge Frau tot aufgefunden wurde …«

IV

Miss Marple kleidete sich gerade an, als das Telefon klingelte. Sie war ein wenig irritiert. Eine ungewöhnliche Zeit für einen Anruf. Ihr sittsames Altjungfernleben war so wohl geordnet, dass unerwartete Anrufe zu einem Quell lebhafter Mutmaßungen wurden.

»Du meine Güte«, sagte sie und fasste den klingelnden Apparat erstaunt ins Auge. »Wer kann das sein?«

Nachbarliche Telefongespräche wurden im Dorf stets zwischen neun und halb zehn geführt. In dieser Zeit machte man Pläne für den Tag, sprach Einladungen aus und Ähnliches mehr. Nur der Metzger rief hin und wieder kurz vor neun an, wenn eine Krise im Fleischereigewerbe eingetreten war. Auch im Laufe des Tages konnte gelegentlich ein Anruf kommen, nach halb zehn abends zu telefonieren aber galt als ungehörig. Miss Marples Neffe allerdings, ein Schriftsteller und daher sprunghaft, hatte schon zu den unmöglichsten Zeiten angerufen, einmal sogar kurz vor Mitternacht. Doch so exzentrisch Raymond West auch sein mochte – ein Frühaufsteher war er nicht. Weder von ihm noch von irgendjemandem aus Miss Marples Bekanntenkreis war anzunehmen, dass er vor acht Uhr morgens anrief. Um Viertel vor acht, um genau zu sein. Selbst für ein Telegramm war es noch zu früh, denn die Post machte erst um acht auf.

»Da muss sich jemand verwählt haben«, entschied Miss Marple. Sie trat zu dem ungeduldigen Apparat, nahm den Hörer ab und brachte den Lärm damit zum Verstummen. »Ja?«, sagte sie.

»Bist du’s, Jane?«

Miss Marple war höchst überrascht.

»Ja. Du bist ja früh auf, Dolly.«

Mrs Bantry sprach in atemloser Erregung.

»Etwas Entsetzliches ist passiert!«

»O Gott, meine Liebe …«

»Bei uns liegt eine Tote in der Bibliothek!«

Einen Moment lang glaubte Miss Marple, ihre Freundin habe den Verstand verloren.

»Eine was?«

»Ja, kaum zu glauben, nicht wahr? Ich dachte immer, so etwas passiert nur in Romanen. Ich musste stundenlang auf Arthur einreden, bis er überhaupt nachsehen ging.«

Miss Marple versuchte sich zu fassen. Aufgeregt fragte sie: »Und wer ist sie?«

»Eine Blondine.«

»Eine was?«

»Eine Blondine. Ein schönes blondes Mädchen, auch wie im Roman. Keiner von uns kennt sie. Sie liegt einfach so in der Bibliothek, tot, und deshalb musst du sofort kommen.«

»Ich?«

»Ja, du, ich schicke dir den Wagen.«

»Natürlich, meine Liebe«, sagte Miss Marple skeptisch, »wenn du meinst, es wäre dir eine Beruhigung …«

»Nein, nein, ich brauche keine Beruhigung. Aber du kennst dich doch mit Leichen so gut aus.«

»Aber woher denn. Meine bescheidenen Erfolge waren doch überwiegend theoretischer Natur.«

»Doch, doch, von Mord und Totschlag verstehst du was. Sie ist nämlich ermordet worden, erwürgt. Ich finde, wenn schon im eigenen Haus ein Mord passiert, dann kann man ihn doch auch genießen, oder nicht? Und deshalb möchte ich, dass du kommst und mir hilfst, den Täter aufzuspüren und das Rätsel zu lösen und so weiter. Ist das nicht schrecklich aufregend?«

»Nun ja, natürlich, meine Liebe, wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann …«

»Wunderbar! Arthur ist ja so eigen. Anscheinend findet er’s nicht in Ordnung, dass ich mich über die Sache freue. Es ist natürlich furchtbar traurig und so, ich weiß, aber ich kenne das Mädchen doch gar nicht. Irgendwie wirkt sie überhaupt nicht real – wenn du sie siehst, wirst du verstehen, was ich meine.«

V

Ein wenig außer Atem stieg Miss Marple aus dem Wagen der Bantrys, dessen Tür ihr der Chauffeur aufhielt.

Colonel Bantry trat auf die Stufen hinaus. Er schien ein wenig überrascht.

»Miss Marple? Äh – sehr erfreut, Sie zu sehen.«

»Ihre Frau hat mich angerufen«, erklärte Miss Marple.

»Fabelhaft, ganz fabelhaft. Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert, sonst klappt sie uns noch zusammen. Im Moment macht sie zwar gute Miene zum bösen Spiel, aber Sie wissen ja, wie das ist …«

In diesem Augenblick erschien Mrs Bantry auf der Bildfläche und rief: »Bitte, geh wieder ins Speisezimmer und iss dein Frühstück, Arthur. Der Speck wird kalt.«

»Ich dachte, der Inspektor kommt.«

»Er kann jeden Moment hier sein, und deshalb solltest du unbedingt vorher frühstücken. Du brauchst etwas im Magen.«

»Du aber auch. Komm mit und iss erst einmal etwas, Dolly.«

»Ich komm gleich nach. Geh du nur schon hinein, Arthur.«

Colonel Bantry wurde wie ein störrisches Huhn ins Haus zurückgescheucht.

»So!«, sagte Mrs Bantry triumphierend. »Komm mit.«

Sie führte Miss Marple eilig durch den langen Flur in den Ostflügel des Hauses. Vor der Tür zur Bibliothek hielt Constable Palk Wache. Gewichtig vertrat er Mrs Bantry den Weg.

»Tut mir leid, aber hier darf niemand rein, Madam. Befehl vom Inspektor.«

»Unsinn, Palk«, sagte Mrs Bantry, »Sie kennen doch Miss Marple.«

Das musste der Wachtmeister zugeben.

»Es ist sehr wichtig, dass Miss Marple die Tote sieht. Nun stellen Sie sich nicht so an, Palk. Es ist schließlich meine Bibliothek, nicht wahr?«

Constable Palk gab nach, aus lebenslanger Gewohnheit, den Wünschen der Aristokratie zu entsprechen. Der Inspektor brauchte ja nichts davon zu wissen.

»Es darf aber nichts berührt oder in irgendeiner Weise verändert werden«, warnte er die Damen.

»Natürlich nicht«, gab Mrs Bantry ungeduldig zurück. »Das ist uns klar. Sie können ja mitkommen und aufpassen, wenn Sie möchten.«

Der Wachtmeister machte von dieser Erlaubnis Gebrauch. Er wäre so oder so mit hineingegangen.

Triumphierend führte Mrs Bantry ihre Freundin zu dem großen altmodischen Kamin. »Da!«, sagte sie mit viel Sinn für die dramatische Zuspitzung.

Jetzt verstand Miss Marple, warum ihre Freundin gesagt hatte, die Tote wirke überhaupt nicht real. Die Bibliothek war ein für seine Besitzer sehr typischer Raum: groß, schäbig und unordentlich, breite durchgesessene Sessel, ein Sammelsurium von Pfeifen, Büchern und Papieren auf dem großen Tisch, an den Wänden ein, zwei gute alte Familienporträts, einige schlechte viktorianische Aquarelle und ein paar gewollt spaßige Jagdszenen und in der Ecke eine Vase mit großen Astern. Der ganze Raum war dämmrig und behaglich. Man sah ihm an, dass er seit Generationen von einer traditionsbewussten Familie benutzt wurde.

Doch auf dem Bärenfell vor dem Kamin lag etwas Neues, Grelles, Melodramatisches. Ein knallig aufgemachtes junges Mädchen. Ein Mädchen mit unnatürlich blondem, in kunstvollen Locken und Kringeln hoch getürmtem Haar. Den schlanken Körper umschloss ein rückenfreies Abendkleid aus weißem, paillettenbesetztem Satin. Das Gesicht war stark geschminkt. Der Puder stach grotesk gegen die blauen Schwellungen ab, die Wimperntusche lag dick auf den verzerrten Wangen, das Scharlachrot der Lippen glich einer klaffenden Wunde. Die Fingernägel waren blutrot lackiert, ebenso die Zehennägel in den billigen silbernen Riemchenschuhen. Eine vulgäre, aufgedonnerte Erscheinung, höchst unpassend inmitten der soliden, altmodischen Gemütlichkeit von Colonel Bantrys Bibliothek.

»Verstehst du jetzt, was ich gemeint habe? Es kann einfach nicht wahr sein!«, sagte Mrs Bantry leise.

Die alte Dame neben ihr nickte. Lange und nachdenklich sah sie auf die verkrümmte Gestalt hinab.

»Ein ganz junges Ding«, sagte sie schließlich leise.

»Ja – ja, in der Tat«, pflichtete Mrs Bantry bei, als hätte sie soeben eine überraschende Entdeckung gemacht.

Miss Marple beugte sich hinab. Sie berührte das Mädchen nicht. Sie betrachtete die Finger, die sich vorn in das Kleid gekrallt hatten. Das Mädchen musste verzweifelt nach Luft gerungen haben.

Draußen knirschten Autoreifen über den Kies.

»Das wird der Inspektor sein«, sagte Constable Palk aufgeregt.

Und gemäß seinem tief verwurzelten Glauben, dass man von der Aristokratie niemals im Stich gelassen wurde, strebte Mrs Bantry in der Tat augenblicklich der Tür zu. Miss Marple folgte ihr.

»Keine Sorge, Palk«, sagte Mrs Bantry.

Der Wachtmeister war unendlich erleichtert.

VI

Nachdem Colonel Bantry hastig den letzten Bissen Marmeladentoast mit einem Schluck Kaffee hinuntergespült hatte, eilte er in die Halle und sah draußen zu seiner Erleichterung Colonel Melchett, den Polizeichef der Grafschaft, in Begleitung von Inspektor Slack aus einem Auto steigen. Chief Constable Melchett war ein Freund des Colonels. Für Slack dagegen – einen energischen Mann, der seinen Namen Lügen strafte und seinen Übereifer mit einem gerüttelt Maß an Grobheit gegenüber Leuten verband, die er für unwichtig hielt –, für Slack hatte Colonel Bantry noch nie viel übriggehabt.

»Morgen, Bantry«, sagte der Chief Constable. »Dachte, ich komme besser selbst. Scheint ein ungewöhnlicher Fall zu sein.«

»Es ist – es ist …« Colonel Bantry fehlten die Worte. »Es ist unfassbar, grotesk geradezu!«

»Keine Ahnung, wer die Frau ist?«

»Nicht die geringste. Hab sie noch nie gesehen.«

»Weiß der Butler etwas?«, fragte Inspektor Slack.

»Lorrimer ist genauso perplex wie ich.«

»Hm.«

»Das Frühstück steht noch im Speisezimmer, Melchett«, sagte Colonel Bantry. »Wie wär’s mit einem Happen?«

»Nein, nein, machen wir uns lieber gleich an die Arbeit. Haydock muss jeden Moment hier sein – ah, da ist er ja.«

Ein zweites Auto fuhr vor, dem der große, breitschultrige Doktor Haydock entstieg, der auch als Polizeiarzt fungierte. In einem dritten Wagen waren zwei Männer in Zivil eingetroffen, einer davon mit einem Fotoapparat.

»Alles klar?«, fragte der Chief Constable. »Gut. Dann also los. In der Bibliothek, sagt Slack.«

Colonel Bantry stöhnte. »Es ist nicht zu fassen! Als meine Frau heute Morgen steif und fest behauptet hat, das Mädchen hätte gesagt, in der Bibliothek liegt eine Tote, da hab ich ihr kein Wort geglaubt.«

»Das kann ich gut verstehen. Hoffe nur, die Frau Gemahlin ist nicht allzu echauffiert.«

»Sie hält sich großartig, ganz großartig. Die alte Miss Marple ist bei ihr, aus dem Dorf, du kennst sie ja.«

»Miss Marple?« Der Chief Constable stutzte. »Wieso denn das?«

»Na, als Frau hat man wohl gern eine andere Frau um sich, meinst du nicht?«

Colonel Melchett lachte leise. »Also, wenn du mich fragst: Deine Frau möchte sich gern ein bisschen als Amateurdetektivin betätigen. Miss Marple ist ja die große Spürnase hier in der Gegend. Hat es uns damals ganz schön gezeigt, was, Slack?«

»Das war was anderes.«

»Als was?«

»Das war eine lokale Sache, Sir. Der alten Dame entgeht ja wirklich nichts, was sich im Dorf abspielt. Aber hier wird sie sich die Zähne ausbeißen.«

»Sie tappen ja selbst noch im Dunkeln, Slack«, erwiderte Melchett trocken.

»Warten Sie’s ab, Sir, nicht mehr lange.«

VII

Im Speisezimmer nahmen Mrs Bantry und Miss Marple das Frühstück ein. Nachdem Mrs Bantry ihren Gast mit allem versorgt hatte, fragte sie gespannt: »Nun, Jane?«

Miss Marple blickte ein wenig verwundert auf.

»Erinnert dich das Ganze nicht an irgendetwas?«, fragte Mrs Bantry hoffnungsvoll.

Denn was Miss Marple zu einiger Berühmtheit verholfen hatte, war ihre Fähigkeit, unbedeutende Dorfereignisse mit ernsteren Problemen zu verknüpfen und dadurch Licht in Letztere zu bringen.

»Nein«, sagte Miss Marple nachdenklich, »nicht, dass ich wüsste – noch nicht zumindest. Einen Moment lang musste ich zwar an Edie denken – du weißt schon, Mrs Chettys Jüngste –, aber wohl nur, weil das arme Mädchen genauso abgekaute Fingernägel und etwas vorstehende Zähne hat, das ist alles. Und Edie«, spann Miss Marple den Vergleich weiter, »hatte die gleiche Vorliebe für billigen Putz.«

»Du meinst das Kleid?«

»Ja, dieser ordinäre Satin – ganz mindere Qualität.«

»Wahrscheinlich aus einem von diesen grässlichen Läden, wo alles nur ein paar Shilling kostet. Aber sag mal«, fuhr Mrs Bantry erwartungsvoll fort, »was ist eigentlich aus Mrs Chettys Edie geworden?«

»Sie hat gerade ihre zweite Stelle angetreten und macht sich da recht gut, soviel ich weiß.«

Mrs Bantry war ein wenig enttäuscht. Die Dorfparallele schien nicht sehr vielversprechend.

»Wenn ich nur wüsste«, sagte sie, »was das Mädchen in Arthurs Bibliothek zu suchen hatte. Das Fenster ist aufgebrochen worden, sagt Palk. Vielleicht ist sie mit einem Einbrecher hergekommen, sie haben sich gestritten und – aber das ist wohl alles Unsinn, was?«

»Für einen Einbruch war sie auch nicht angezogen«, sagte Miss Marple gedankenvoll.

»Nein, eher für eine Tanzveranstaltung, eine Abendgesellschaft oder dergleichen. Aber so etwas gibt es hier ja gar nicht, und in der näheren Umgebung auch nicht.«

»Nein …« Miss Marple zögerte.

»Du denkst doch an etwas Bestimmtes, Jane«, drängte Mrs Bantry.

»Hm, ich überlege gerade …«

»Ja?«

»Basil Blake.«

»Nein!«, entfuhr es Mrs Bantry. Und gleichsam als Erklärung fügte sie hinzu: »Ich kenne seine Mutter.«

Die beiden Frauen sahen sich an. Miss Marple seufzte und schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe ja, dass du das nicht gern hörst.«

»Selina Blake ist die reizendste Person, die man sich vorstellen kann. Ihre Staudenrabatten – einfach prachtvoll, da kann man nur vor Neid erblassen. Und sie ist äußerst großzügig mit Ablegern.«

Miss Marple überhörte diesen Appell zur Rücksichtnahme auf Mrs Blake und sagte: »Trotzdem. Du weißt ja, es wird allerhand geredet.«

»Ja, ja, ich weiß. Arthur sieht rot, wenn er nur den Namen Basil Blake hört. Und Blake hat sich ihm gegenüber auch wirklich unmöglich benommen. Seitdem lässt er kein gutes Haar an ihm. Diese geringschätzige Art, die diese jungen Männer heutzutage an sich haben – machen sich lustig über Leute, die ihre Schule in Ehren halten oder das Empire und Ähnliches. Und wie er sich anzieht! Manche halten es ja für völlig unwichtig, was man auf dem Land trägt, aber das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Gerade auf dem Land achtet doch jeder darauf.«

Mrs Bantry machte eine Pause und setzte dann wehmütig hinzu: »Und als kleines Kind war er so wonnig!«

»Letzten Sonntag war ein entzückendes Bild von dem Cheviot-Mörder als Baby in der Zeitung.«

»O Gott, Jane, du glaubst doch nicht …«

»Aber nein, meine Liebe, woher denn. Das hieße nun wirklich voreilige Schlüsse ziehen. Ich habe nur überlegt, was die junge Frau hierhergeführt haben mag. Sie passt so gar nicht nach St. Mary Mead. Und da kam mir als einzig mögliche Erklärung Basil Blake in den Sinn. Bei ihm finden ja Gesellschaften statt. Mit Gästen aus London, Leuten vom Film – weißt du noch letzten Juli? Geschrei, Gesang, ein fürchterlicher Lärm, alle sturzbetrunken, und das Chaos und die Scherben am nächsten Morgen – ich weiß es von der alten Mrs Berry –, unvorstellbar geradezu, und in der Badewanne hat eine junge Frau geschlafen, mit praktisch nichts am Leib!«

»Das werden Filmleute gewesen sein«, meinte Mrs Bantry nachsichtig.

»Höchstwahrscheinlich. Und dann – du hast es ja bestimmt gehört –, vor ein paar Wochen, da hat er eine junge Frau hierhergebracht, eine Platinblonde.«

»Du meinst, das ist sie?«, rief Mrs Bantry

»Ich überlege gerade … Aus der Nähe hab ich sie nie gesehen, nur wenn sie mit dem Auto angekommen oder weggefahren ist, und einmal, als sie sich im Garten gesonnt hat, nur in Shorts und Büstenhalter. Ihr Gesicht konnte ich nicht genau sehen. Sie schauen ja auch alle gleich aus, diese Mädchen mit ihrem Make-up, ihren Frisuren und ihren lackierten Fingernägeln.«

»Stimmt. Aber immerhin – eine Möglichkeit wäre es, Jane.«

Zweites Kapitel

I

Eine Möglichkeit, die auch Colonel Melchett und Colonel Bantry gerade erörterten.

Der Chief Constable hatte die Leiche in Augenschein genommen, seine Leute mit den üblichen Untersuchungen beauftragt und sich dann mit dem Hausherrn in dessen Arbeitszimmer im anderen Flügel des Hauses begeben.

Colonel Melchett war ein reizbar wirkender Mann, der die Angewohnheit hatte, an seinem kurzen roten Schnurrbart zu zupfen. Das tat er auch jetzt. Er warf seinem Freund einen besorgten Seitenblick zu und platzte schließlich heraus:

»Hör mal, Bantry, ich muss das einfach loswerden. Du hast also wirklich keine Ahnung, wer das Mädchen ist?«

Colonel Bantry wollte aufbrausen, doch Melchett kam ihm zuvor.

»Schon gut, schon gut, alter Junge, aber sieh’s mal so: Könnte verdammt unangenehm für dich werden – verheirateter Mann, versteht sich gut mit seiner besseren Hälfte und so weiter. Ganz unter uns: Solltest du doch etwas mit dem Mädchen zu tun haben, sag’s lieber gleich. Ist nur natürlich, dass man mit so etwas nicht gern herausrückt – ginge mir ganz genauso. Wird aber nicht zu umgehen sein. Ist immerhin ein Mordfall, mit dem wir’s hier zu tun haben. Früher oder später kommen die Fakten ja doch ans Licht. Verflucht noch mal, ich sage ja nicht, dass du das Mädchen erwürgt hast. Dass du so was nie tun würdest, ist mir klar. Aber sie ist nun mal hier, in deinem Haus. Angenommen, sie ist in die Bibliothek eingestiegen und hat auf dich gewartet, und irgendein Kerl ist ihr gefolgt und hat sie umgebracht. Könnte doch sein. Verstehst du, was ich meine?«

»Zum Teufel, Melchett, ich sage doch, ich habe sie noch nie gesehen! Ich bin nicht so einer.«

»Schon gut, schon gut, war nicht so gemeint. Ich weiß, du bist ein Mann von Welt. Aber trotzdem: Was hatte sie dann bei dir zu suchen? Von hier ist sie nicht, so viel steht fest.«

»Ein Alptraum ist das!«, schnaubte der erzürnte Hausherr.

»Die Frage ist: Was hatte sie in deiner Bibliothek zu suchen?«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe sie nicht hergebeten.«

»Ja, sicher, aber sie ist nun mal da. Sieht aus, als hätte sie zu dir gewollt. Du hast nicht irgendwelche merkwürdigen Briefe bekommen oder so?«

»Nein.«

»Was hast du gestern Abend gemacht?«, forschte Colonel Melchett behutsam weiter.

»Ich war bei der Versammlung der Konservativen Gesellschaft. Um neun, in Much Benham.«

»Und wann bist du zurückgekommen?«

»Ich bin um kurz nach zehn dort los. Hatte unterwegs eine kleine Panne, musste ein Rad wechseln. Um Viertel vor zwölf war ich wieder hier.«

»In der Bibliothek bist du dann nicht mehr gewesen?«

»Nein.«

»Schade.«

»Ich war müde. Bin gleich ins Bett.«

»Hat hier im Haus jemand auf dich gewartet?«

»Nein. Ich nehme immer den Schlüssel mit. Lorrimer geht um elf schlafen, wenn ich nichts anderes anordne.«

»Und wer schließt die Bibliothek ab?«

»Lorrimer. Um diese Jahreszeit normalerweise gegen halb acht.«

»Kommt es vor, dass er im Lauf des Abends noch einmal hineingeht?«

»Nicht, wenn ich außer Haus bin. Das Whiskytablett hatte er in der Halle abgestellt.«

»Aha. Und deine Frau?«

»Keine Ahnung. Sie hat schon fest geschlafen, als ich kam. Möglich, dass sie am Abend noch in der Bibliothek oder im Salon gesessen hat. Ich hab sie gar nicht danach gefragt.«

»Na ja, die Einzelheiten werden wir ja bald erfahren. Natürlich könnte auch jemand vom Personal etwas damit zu tun haben, was meinst du?«

Colonel Bantry schüttelte den Kopf.

»Kaum. Das sind alles rechtschaffene Leute. Sie sind seit Jahren bei uns.«

»Ja – nicht sehr wahrscheinlich, dass sie in die Sache verwickelt sind«, pflichtete Melchett bei. »Sieht ganz so aus, als sei das Mädchen aus der Stadt gekommen, vielleicht mit irgendeinem jungen Burschen. Aber warum sie hier eingedrungen sind …«

»London«, unterbrach ihn Bantry, »ja, das passt schon eher. Hier tut sich ja nichts, jedenfalls …«

»Ja?«

»Donner und Doria!«, brach es aus Colonel Bantry hervor. »Basil Blake!«

»Wer ist Basil Blake?«

»Ein junger Mann, hat mit der Filmbranche zu tun. Ganz übler Bursche. Meine Frau nimmt ihn immer in Schutz, weil seine Mutter eine Schulkameradin von ihr war, aber wenn einer ein dekadenter, nichtsnutziger junger Laffe ist, dann er! Was der braucht, ist ein Tritt in den Hintern! Hat das Haus in der Lansham Road gekauft, du kennst es ja, dieser scheußliche moderne Kasten. Ständig wird da gefeiert, ein Lärm und ein Gekreische ist das, und übers Wochenende hat er Mädchen da.«

»Mädchen?«

»Ja, erst letzte Woche wieder, eine von diesen Platinblonden …«

Dem Colonel blieb der Mund offen stehen.

»Eine Platinblonde?«, wiederholte er nachdenklich.

»Ja. Aber du glaubst doch nicht …«

»Möglich ist alles«, sagte der Chief Constable energisch. »Das würde jedenfalls erklären, wie so ein Mädchen nach St. Mary Mead kommt. Werde mal losfahren und mich mit dem jungen Mann unterhalten – Braid, Blake, wie hieß er noch?«

»Blake. Basil Blake.«

»Weißt du, ob er im Moment da ist?«

»Äh, was haben wir heute? Samstag? Normalerweise kommt er im Laufe des Samstagvormittags.«

»Na, dann wollen wir mal sehen«, sagte Colonel Melchett grimmig.

II

Basil Blakes Landhaus in St. Mary Mead, dessen abscheuliches Pseudotudorfachwerk allen nur erdenklichen Komfort umschloss, war der Post und seinem Erbauer William Brooker unter dem Namen »Chatsworth« bekannt, Basil und seine Freunde nannten es »Das Museumsstück«, und für die Leute im Dorf war es schlicht »Mr Brookers neues Haus«.