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Ein tödlicher Schatten breitet sich aus … FINSTERES GRAB: Nach seinem letzten Einsatz liegt der Waliser Sergeant Trevor Joseph in einer Nervenheilanstalt. Selbst sein Kollege Peter Collins beginnt die Hoffnung zu verlieren, dass der eins so scharfsinnige Polizist wieder ins Leben zurückfinden wird. Doch dann wird im Garten der Klinik die Leiche einer Frau gefunden,. Zu Peters Entsetzen fällt der Verdacht ausgerechnet auf Trevor: Wird es den beiden Männern gelingen, seine Unschuld zu beweisen? TÖDLICHES LOS: Der Anblick dieses Toten schockiert sogar den abgebrühten Sergeant Trevor Joseph. Das Gesicht brutal zerschnitten, der Körper bei lebendigem Leib verbrannt. Einziger Verdächtiger ist ein Obdachloser, der in der Nähe gesehen wurde. Als Trevor nach dem Mann fahndet, stößt er auf ein neues Rätsel: Der Gesuchte sieht einem Rechtsanwalt zum Verwechseln ähnlich, der seit zwei Jahren tot ist … SCHWARZE NARZISSEN: Unaufhaltsam breitet sich die Designerdroge »Black Narcissus« in Wales aus – und hinterlässt eine Spur von Tod und Verzweiflung. Trevor Joseph und Peter sollen undercover ermitteln. Doch bald werden die ersten ihrer Teammitglieder ermordet. Gibt es einen Verräter unter ihnen? Als Peters Freundin spurlos verschwindet, wissen die beiden, dass ihnen die Zeit davonzulaufen droht … Ein packender Sammelband für alle Fans von Val McDermid und Nicci French.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
FINSTERES GRAB: Nach seinem letzten Einsatz liegt der Waliser Sergeant Trevor Joseph in einer Nervenheilanstalt. Selbst sein Kollege Peter Collins beginnt die Hoffnung zu verlieren, dass der eins so scharfsinnige Polizist wieder ins Leben zurückfinden wird. Doch dann wird im Garten der Klinik die Leiche einer Frau gefunden,. Zu Peters Entsetzen fällt der Verdacht ausgerechnet auf Trevor: Wird es den beiden Männern gelingen, seine Unschuld zu beweisen?
TÖDLICHES LOS: Der Anblick dieses Toten schockiert sogar den abgebrühten Sergeant Trevor Joseph. Das Gesicht brutal zerschnitten, der Körper bei lebendigem Leib verbrannt. Einziger Verdächtiger ist ein Obdachloser, der in der Nähe gesehen wurde. Als Trevor nach dem Mann fahndet, stößt er auf ein neues Rätsel: Der Gesuchte sieht einem Rechtsanwalt zum Verwechseln ähnlich, der seit zwei Jahren tot ist …
SCHWARZE NARZISSEN: Unaufhaltsam breitet sich die Designerdroge »Black Narcissus« in Wales aus – und hinterlässt eine Spur von Tod und Verzweiflung. Trevor Joseph und Peter sollen undercover ermitteln. Doch bald werden die ersten ihrer Teammitglieder ermordet. Gibt es einen Verräter unter ihnen? Als Peters Freundin spurlos verschwindet, wissen die beiden, dass ihnen die Zeit davonzulaufen droht …
Über die Autorin:
Katherine John wurde als Tochter einer deutschen Mutter und eines walisischen Vaters in Pontypridd unweit von Cardiff geboren. Sie studierte Englisch und Soziologie in Swansea; danach lebte und arbeitete in den USA und Europa, bevor sie nach Wales zurückkehrte und sich seitdem ganz dem Schreiben widmet. Katherine John lebt mit ihrer Familie auf der Gower-Halbinsel an der Südküste von Wales.
Katherine John veröffentlichte bei dotbooks bereits die »Wales Killings«-Reihe mit den Bänden »Finsteres Grab«, »Tödliches Los«, »Schwarze Narzissen« und »Kalter Hass«.
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Sammelband-Originalausgabe August 2025
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Die englische Originalausgabe von »Finsteres Grab« erschien erstmals 1995 unter dem Originaltitel »Six Feet Under« bei Hodder Headline. Die Übersetzungsvorlage, eine von der Autorin überarbeitete und erweiterte Ausgabe, erschien 2006 unter dem Titel »Midnight Murders« bei Accent Press, London. Copyright © 2006 by Katherine John. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Atemlos« bei Rowohlt; Copyright © 2008 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg; Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München.
Die englische Originalausgabe von »Tödliches Los« erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Murder of a Dead Man« bei Hodder Headline; Copyright © 2006 by Katherine John. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Leblos« bei Rowohlt; Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg; Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München.
Die englische Originalausgabe von »Schwarze Narzissen« erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Black Daffodil« bei Accent Press, London; Copyright © 2008 by Katherine John. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Schonungslos« bei Rowohlt; Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg; Alle Rechte an der deutschen Übersetzung von Bettina Zeller bei Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg; Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de unter Verwendung von Motiven von Shutterstock und MIdjourney
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98952-924-3
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Katherine John
Die Toten von Wales
Drei Krimis in einem eBook: »Finsteres Grab«, »Tödliches Los« & »Schwarze Narzissen«
dotbooks.
Finsteres Grab
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Tödliches Los
Widmung
Prolog
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Epilog
Schwarze Narzissen
WIDMUNG
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
Lesetipps
Aus dem Englischen von Carola Kasperek
Eine Schusswunde kann verheilen – doch was geschieht, wenn die Psyche zerschmettert worden ist? Nach seinem letzten Einsatz liegt der Waliser Sergeant Trevor Joseph in der Nervenheilanstalt Compton Castle, unfähig, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Selbst sein bester Freund und Kollege Peter Collins beginnt die Hoffnung zu verlieren, dass der früher so scharfsinnige Polizist das Sanatorium jemals wieder verlassen wird. Doch dann wird im Garten der Klinik die Leiche einer Frau gefunden, die lebendig begraben wurde. Zu Peters Entsetzen fällt der Verdacht der Ermittler ausgerechnet auf Trevor: Wird es den beiden Männern gelingen, seine Unschuld zu beweisen, während der unbarmherzige Killer wieder und wieder zuschlägt?
Für Ralph Spencer Watkins
Die Wolken verdeckten den Mond. Der Garten wurde nur von den Straßenlaternen beleuchtet, deren gedämpftes Licht über die hohe Einfassungsmauer fiel und die altmodischen Eisenspitzen oben auf der Mauerkrone kalt und unheimlich aufblitzen ließ. Ein kühler Nachtwind rüttelte an den Knospen der Bäume und fuhr raschelnd durch die Gerippe der toten Blätter, die tief im Unterholz dem Rechen des Gärtners entgangen waren.
Wie Scherenschnitte ragten die Gebäude aus dieser grauen Schattenwelt – eine wuchtige gotische Silhouette, umgeben von tiefschwarzen Quadern. Hier und da drang ein schmaler Lichtstrahl unter einer Jalousie hindurch, und am Ende der langen Reihen glänzender dunkler Fensterscheiben leuchteten einige Rechtecke in sanftem bernsteinfarbenem Licht und verrieten, wo die Küchen, Badezimmer und Stationsbüros lagen, in denen auch nachts noch gearbeitet wurde.
Durch den Garten huschte ein Phantom. Leise und verstohlen glitt es im Schatten von Bäumen und Mauer dahin. Hin und wieder verharrte es, doch stets im Schutz eines Baumes oder Strauches, der es verbarg. Es lief so gebückt, dass es bucklig wirkte, sein Schatten war eine missgestaltete klobige Masse auf spindeldürren Beinen. Immer weiter driftete es, von Baum zu Baum, von einem Busch zum nächsten, und jedes Mal, wenn es innehielt, schienen alle seine Sinne aufs äußerste gespannt.
Der scheppernde Schlag einer Uhr ließ für einen Augenblick das Geraschel der Feldmäuse und Wühlmäuse verstummen. Eine Schleiereule stieß auf ihre Beute herab und schrie auf, als sie sie verfehlte. Irgendwo bellte ein Hund, jenseits der Mauer in der Vorortsiedlung, die sich erst vor kurzem auf einem Gelände ausgebreitet hatte, das früher einmal zum Krankenhaus gehört hatte.
Draußen auf der Straße heulte ein Motor auf, gleich darauf ertönte die Sirene eines Polizeiwagens. Das Phantom kauerte sich ins Unterholz und wartete, bis der Lärm verebbte. Dann – eine ganze Weile später – setzte es im Schneckentempo seinen Weg fort, bis es zum Rand einer schimmernden Rasenfläche kam. Zu seiner Linken erhob sich ein niedriger Erdhügel. Der Wind strich über den Rand der pechschwarzen Grube davor und fuhr durch die Kronen der Bäume, die sich in der Brise wiegten.
Vorsichtiges Zögern, dann ein rasches Huschen. Wieder verharrte die gekrümmte Gestalt. Dann richtete sie sich auf und war auf einmal nicht mehr bucklig. Groß und kräftig zeichnete sie sich gegen den Himmel ab. Aus dem Erdhaufen ragte der Umriss einer Schaufel. Das Phantom bückte sich, griff danach und begann mit stetigen, gleichmäßigen Bewegungen die Erde vom Hügel in die Grube daneben zu schaufeln.
Als der Mond hinter den zarten grauen Wolkenfetzen hervorkam und die Szenerie in ein silbernes, winterliches Licht tauchte, arbeitete das Phantom noch rascher. Es nahm sich kaum Zeit, sich mit dem Arm über die Stirn zu wischen. Immer kleiner wurde der Erdhügel, und noch immer schaufelte die Gestalt. Wachsam und stets auf der Hut, verharrte sie jedes Mal lauschend zwischen zwei Schaufelladungen.
In der Grube war es dunkel, feucht und eiskalt.
Es stank nach Moder und Verwesung. Die Gestalt dort unten war so eng in ein Laken gewickelt, dass sie mehr einer riesigen Insektenpuppe als einem menschlichen Wesen glich, und hielt den Blick unablässig nach oben gerichtet. Nur noch die Augen gehorchten ihrem Willen. Ohne zu blinzeln starrte sie angestrengt auf das längliche Viereck, in dem sich der Nachthimmel mit seinen Wolkenschleiern und den Millionen von Sternen, klein wie Nadelstiche, zeigte. Die silbrig leuchtende Scheibe in der linken Ecke mit ihren Linien und Kratern musste der Mond sein. Daneben stand der Orion, bekannt seit der Schulzeit und Gegenstand der einzigen Astronomiestunde im gesamten Geographieunterricht.
Es lag nicht nur an der lähmenden Kälte. Wie sehr sich das Gehirn auch mühte, die Gliedmaßen in Bewegung zu setzen, blieben sie doch schlaff und bleiern; nutzlose Anhängsel eines leblosen Körpers, in dem nur der Verstand mit schmerzhafter Klarheit arbeitete. Jeder Versuch, die letzten Kräfte zu sammeln, war vergeblich. Der Körper war so vollständig erstarrt, dass er nicht einmal vor Kälte zittern konnte.
Während die Augen reglos nach oben blickten, arbeitete der Verstand fieberhaft, um die Gedanken in eine logische Reihenfolge zu bringen. Die letzte Erinnerung war der Weg vom Sprechzimmer zum Tor. Die Füße waren in den frischen, von der Frühlingssonne weich gewordenen Asphalt eingesunken. Der warnende Geruch hatte sich zu spät bemerkbar gemacht, um zu verhindern, dass die klebrige schwarze Masse die nagelneuen grünen Lederschuhe ruinierte. Doch der Ärger über die verdorbenen Schuhe hatte die Freude nicht schmälern können.
Der letzte Termin war vorüber, und hinter dem Tor wartete die Freiheit. Jetzt ging es hinaus in ein ungebundenes, selbständiges Dasein. Zwar war die Depression, der Grund für die Gefangenschaft, noch nicht völlig auskuriert, doch der Rest ließ sich auch draußen im normalen Leben behandeln.
Der Gang zum Tor – ein Ruf – ein Schrei ... Und dann graue, eisige Finsternis. Starre, die ihren Grund nicht allein in der Lähmung und dem engen Laken hatte. Lichtblitze, Nadelstiche in schmerzempfindliche Haut, Dunkelheit ... noch mehr Dunkelheit ... und dann der Himmel. Der wunderschöne, kristallklare Nachthimmel.
Trocken, staubig, pulvrig prasselte Erde auf das straff gespannte Tuch. Und mit dem Geräusch kam, wie ein vernichtender Blitz, die Erkenntnis – und die Panik. Da hagelte auch schon die nächste Ladung herab. Sinnlos der verzweifelte Versuch, die zusammengeklebten Lippen auseinanderzuzwingen und einen Schrei auszustoßen. Lippen und Kehle versagten den Dienst und brachten nicht einmal ein Wimmern hervor.
Während das Gehirn langsam seinen verzweifelten Kampf aufgab, bahnte sich das nackte Entsetzen schleichend seinen Weg und legte sich als widerlicher Geschmack auf die Zunge. Wie eine Schlange kroch die Furcht das Rückgrat empor, und mit ihr kam die Gewissheit des nahen Todes.
Diese Grube lag doch nicht in einer Einöde! Vielleicht hielten sich ja ganz in der Nähe Leute auf. Leute, die das Loch nicht sehen konnten, aber einen Schrei hören würden.
Anstrengung, Konzentration – deutlich hörbar riss die Haut an den trockenen Lippen. Doch der Schmerz wurde gemildert durch die Erkenntnis, dass der Körper endlich wieder gehorchte. Der Mund öffnete sich. Da kam von oben ein dicker, feuchter Erdklumpen, legte sich schwer auf die Zunge. Kein Gedanke mehr an Geräusche, nur ein verzweifeltes Ringen nach Atem. Zunge und Zähne, die sich krampfhaft mühten, die Erde wieder auszuspucken, brennende Lungen, die vor Luftmangel fast barsten. Doch der Erdklumpen füllte den Rachen, blockierte die Kehle.
Ganz ruhig – kämpfen – ruhig bleiben – leben.
Die wilde Verzweiflung ließ nach, als endlich Luft in die wunden Lungen drang: Atemluft, eingesogen gegen den Widerstand der Erdkrumen, die sich jetzt auch auf die Nasenlöcher legten. Feiner Staub rieselte herab, gefolgt von weiteren wassergesättigten Klumpen. Die Erde traf ein Auge, stach und brannte und verstopfte die Nase – trocken – erstickend ...
Sie würden kommen. Sie mussten einfach kommen! Wenn sie sich doch nur beeilen würden! Es gab keine Luft mehr, keinen Atem ... kann nicht atmen ... kann nicht ...
Plötzlich eine Silhouette. Groß und breit schwang sie die Schaufel, löschte das Licht und die Sterne aus. Alles wurde schwarz in der Grube, schwärzer als in der finstersten Nacht. Nur ganz unten in der Tiefe waberte rote Glut und schwelte so stark, dass sie die nutzlosen Lungen versengte.
Die Gestalt trat zurück. Weitere Erde prasselte herab – und noch mehr – immer mehr.
Zum ersten Mal seit dem Gang über den frisch asphaltierten Weg wurde es warm. Warm und behaglich. Das Ringen nach Luft hatte aufgehört – wie alles andere auch. Da war nichts mehr als ein ruhiges Dahingleiten. Ein Schweben auf einer daunenweichen grauen Wolke, die den ganzen Körper zärtlich einhüllte und ihn hinuntertrug in den tiefen, erholsamen Schlummer.
Die Schaufel steckte wieder aufrecht in der Erde. Der Erdhügel war kleiner geworden, doch nicht so viel, dass ein zufälliger Blick es bemerkt hätte. Schon gar nicht der Blick eines achtlosen Gärtnerlehrlings. Ein leichtes Klopfen mit dem Fuß, ein paar Handgriffe, um ein wenig trockene Erde auf dem restlichen Hügel zu verteilen. Ein prüfender Blick in die Grube. Nichts als Dunkelheit, Stille und Schweigen. Nirgendwo blitzte ein verräterischer Zipfel des weißen Lakens auf, das dort unten verborgen lag.
Das Phantom glitt zwischen die Bäume zurück. Als im nächstliegenden Stationsgebäude eine Zimmertür geöffnet wurde, fiel ein Dreieck aus Licht auf den Rasen, erlosch jedoch sogleich wieder. Das Ganze dauerte nur einen Augenblick, doch lange genug, dass man die Gestalt einer Frau erkennen konnte. Steif und aufrecht stand sie am Fenster, die Hände zu beiden Seiten des Gesichts an die Scheibe gepresst. Das Phantom im Garten blickte auf und sah sie.
Und die Frau schaute zurück. Selbst nachdem das Licht ausgegangen war, konnte jemand, der wusste, dass sie dort stand, noch ihr weißes Spitzennachthemd erkennen.
Dann zog eine unsichtbare Hand die Jalousie herunter. Man vermochte sich leicht vorzustellen, wie die Krankenschwester die widerstrebende Patientin sanft wieder ins Bett brachte. Eine Patientin, die – was? – gesehen hatte. Alles? Genug, um zu reden? Genug, um ... Das Phantom lächelte, als es sich weiter in den Schatten zurückzog. Wer würde der Frau schon glauben? Oder irgendeinem anderen Patienten, der von seltsamen Vorgängen in der Nacht berichtete?
Psychiater und Schwestern mussten ihren Patienten zuhören. Dafür wurden sie bezahlt. Doch früher oder später lernten sie, nicht weiter auf das Geschwätz zu achten. Die Patienten im Compton Castle hatten häufig Schwierigkeiten damit, zwischen Wirklichkeit und Einbildung zu unterscheiden.
Selbst wenn diese Frau noch nie zuvor Visionen und Erscheinungen gehabt hatte – irgendwann war immer das erste Mal. Schließlich war sie verrückt. Und wer würde schon einer Verrückten glauben?
Peter Collins hupte ungeduldig, als ein älterer Mann sich nicht entscheiden konnte, ob er auf der Einfahrt zum Besucherparkplatz des Krankenhauses nach links oder rechts abbiegen sollte. Darüber erschrak der Mann so, dass er zu schnell von der Kupplung ging und den Motor abwürgte. Laut fluchend gab Peter Gas, lenkte den Wagen auf den Bordstein, überfuhr einen sorgfältig gemähten Rasenstreifen und parkte den Wagen nach einem scharfen, exakten Wendemanöver so, dass er nach seinem Besuch schnell wieder wegkommen würde.
Er nahm zwei Plastiktüten vom Beifahrersitz, schlug die Tür zu, verriegelte den Wagen und marschierte im Eilschritt auf das Hauptgebäude zu. Dabei blickte er mit grimmiger Genugtuung auf die wütenden Fahrer in der Autoschlange, die sich hinter dem alten Mann gebildet hatte. Peter, schon unter normalen Umständen nicht der Geduldigste, war schlecht gelaunt, und das nicht nur wegen des Autofahrers. Schon wieder musste er einen Besuch im Compton Castle, dieser verhassten psychiatrischen Klinik, machen.
Er verabscheute Krankheiten und Krankenhäuser – wie alles, was an Schwäche und seine eigene Sterblichkeit erinnerte. Dabei war ihm, wie er in den vergangenen Wochen festgestellt hatte, die Psychiatrie ganz besonders zuwider. Doch nagende Gewissensbisse und die Loyalität gegenüber seinem langjährigen Kollegen und Freund Trevor Joseph trieben ihn hierher, wann immer sich seine dienstfreie Zeit mit den Besuchszeiten deckte.
Er sprang über eine niedrige Mauer und nahm die Abkürzung über den Rasen. Während drei endloser Wochen, in denen Trevor auf der Intensivstation um sein Leben rang, hatte Peter an seinem Bett gesessen. Danach hatte er ihn viereinhalb Monate lang täglich auf der neurologischen Station des Allgemeinen Krankenhauses besucht, wo sich die Schwestern hingebungsvoll um Trevor kümmerten und ihm jeden Wunsch von den Augen ablasen. Doch trotz regelmäßiger Behandlung durch eine kurvenreiche blonde Krankengymnastin und eine hübsche brünette Psychologin hatte sich Trevor nicht genügend zusammenreißen können, um der Verlegung in die »Klapsmühle« zu entgehen, wie ihr Vorgesetzter Bill Mulcahy die Einrichtung wenig feinfühlig nannte.
Zugegeben, es war nicht Trevors Schuld, dass ihm ein psychopathischer Serienmörder den Schädel eingeschlagen hatte, doch insgeheim war Peter der Meinung, dass er an Trevors Stelle ganz anders mit dem Mörder fertiggeworden wäre. Und Brüche, selbst ein Schädelbruch und der Trümmerbruch eines Handgelenks mit nachfolgenden Komplikationen, heilten mit der Zeit und unter ärztlicher Fürsorge. Beides hatte Trevor reichlich gehabt, doch um Verletzungen zu überstehen, musste man sich nun einmal ein bisschen zusammennehmen. Und damit haperte es Peters Ansicht nach bei Trevor.
Er kam am Gärtner und seinem Gehilfen vorbei, die Rosensträucher in ein frisch umgegrabenes Beet pflanzten. Der Rasen rings um das Beet war mit einer dicken Schicht Erde bedeckt, und Peter erinnerte sich an einen verwitterten Cupido aus Stein, der hier gestanden hatte, als er Trevor zum ersten Mal im Castle besuchte. War das tatsächlich erst drei Wochen her?
Er hätte gern gewusst, wo sich der Cupido jetzt befand. So eine Figur hätte er sich auch in den Garten gestellt – wenn er einen gehabt hätte. Sein Zuhause, in dem er sich nur selten aufhielt, war eine Wohnung in einem heruntergekommenen hundert Jahre alten Reihenhaus direkt am Meer.
»Wenn das nicht mein Lieblingsbesucher ist! Wie schön, Sie zu sehen, Sergeant Collins.« Jean Marshall, die Oberschwester, begrüßte Peter in demselben jovialen Ton, den sie im Krankenhaus jedem gegenüber – ob Patient, Besucher oder Arzt – anschlug. Ihre Stimme, die Peter an Übungen im Knotenmachen, Lagerfeuer und forsche Pfadfinderinnen erinnerte, machte ihn immer ganz kribbelig.
»Wie geht’s ihm heute?«, fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür zu Trevors Einzelzimmer, das er mehr seinem Status als Polizist denn seinem Gesundheitszustand zu verdanken hatte.
»Gut.« Als Jean ihm einen Rippenstoß versetzte, stieg ihm der schwere Duft von Estée Lauder in die Nase. »Heute Morgen war er in Spencers Malgruppe.« Das Wort »therapeutisch« ließ sie weg. »Vielleicht zeigt er Ihnen ja, was er gemalt hat.« Mit gerunzelter Stirn blickte sie auf die Plastiktüten. »Was scheppert denn da so?«
»Alkoholfreies Bier und Chips. Trevor braucht was Anständiges zu essen zum Ausgleich für den Mist, mit dem ihr ihn füttert.«
»Hauptsache, es ist kein Alkohol«, sagte sie mahnend.
»Wollen Sie es nachprüfen?« Er schenkte ihr sein gewinnendstes Lächeln.
»Was ist, wenn ich ja sage?«
»Wenn Sie nein sagen, haben Sie was bei mir gut.«
»Auf den Drink im Green Monkey, den Sie mir beim letzten Mal versprochen haben, damit ich ein Auge zudrücke, warte ich immer noch.«
»Eines Tages werde ich Sie überraschen.«
»Denken Sie daran, die leeren Flaschen wieder mitzunehmen«, murmelte sie, bevor sie Vanessa Hedley nachlief, die in einem knallroten Negligé über den Flur spazierte. Peter wusste aus Erfahrung, dass Vanessa es fertigbrachte, die sonderbarsten Schlafzimmerphantasien in aller Öffentlichkeit auszuleben.
Jean war eine adrette, beeindruckende Frau, hochgewachsen und wohlproportioniert. Sie hatte einmal einen Sohn erwähnt, der auf die Universität ging, daher schätzte Peter sie auf ungefähr vierzig bis fünfundvierzig. Sie wirkte jedoch jünger, und Peter musste zugeben, dass sie mit ihrer stattlichen Figur, den roten Haaren und grünen Augen durchaus attraktiv war. Und sie hatte ihm signalisiert, dass sie einer näheren Bekanntschaft nicht abgeneigt war. Peter, der geschieden war und sich oft nach weiblicher Gesellschaft sehnte, schlug selten ein derartiges Angebot aus. Doch irgendetwas an ihr stieß ihn ab. Vielleicht war es ihre handfeste Tüchtigkeit in Kombination mit dem Geruch nach Desinfektionsmitteln, der ihr Parfüm oft überdeckte. Oder es lag daran, dass sie so felsenfest von ihren eigenen Reizen überzeugt war, dass es ihm den Spaß an der Eroberung verdarb.
Wie auch immer, er flirtete unverbindlich mit ihr, wenn sie ihm Avancen machte, und hütete sich ansonsten, außerhalb ihrer Dienststunden dem Green Monkey zu nahe zu kommen – einem Pub gegenüber vom Compton Castle, in dem sich das Krankenhauspersonal nach Feierabend traf.
Peter wandte sich von Jean ab und öffnete die Tür zu Trevors Zimmer, welches direkt gegenüber vom Stationszimmer lag. Zu seiner Bestürzung fand er Trevor in genau der gleichen Haltung vor, in der er ihn zwei Tage zuvor verlassen hatte. Wenn Jean nicht die Malgruppe erwähnt hätte, hätte er wirklich annehmen können, Trevor säße seit zwei Tagen und Nächten zusammengesunken im Sessel. Sein Stoppelbart sah jedenfalls danach aus.
Trevor war entsetzlich dünn, fast bis auf die Knochen abgemagert, und hatte eine ausgeblichene, ehemals schwarze Freizeithose an, dieselbe, die er Tag für Tag trug, seit man ihm nahegelegt hatte, sich anzuziehen. Sein dunkelblaues Sweatshirt war an Ärmeln und Kragen ausgefranst und hätte nicht einmal mehr als Kleiderspende getaugt. Peter konnte sich nicht entsinnen, dass Trevor jemals so abgerissen herumgelaufen war, noch nicht einmal, als sie undercover in der Unterkunft für Penner und Junkies in der Jubilee Street ermittelt hatten.
»Hab dir Bier mitgebracht.« Peter ließ die Tragetaschen auf Trevors Schoß sinken. »Es ist kalt. Frisch aus meinem Kühlschrank.«
»Danke«, murmelte Trevor mechanisch.
»Mach die Tüte doch mal auf«, drängte Peter. »Da sind auch Chips drin. Räucherschinkengeschmack.«
Trevor fummelte an den Griffen der Tragetasche herum.
»Nein, nicht die.« Gereizt riss Peter ihm die Tüte weg. »Das ist deine saubere Wäsche. Meine Putzfrau hat sie für dich gewaschen.«
»Danke.« Trevor schaute nicht auf, als Peter die Schranktür öffnete und die Plastiktüte achtlos hineinwarf.
Dann nahm er sich eine der vier Bierdosen, riss sie auf und trank. »Kannst du deine selbst aufmachen, oder soll ich das für dich tun?«
»Ich komm schon klar.«
»Darf ich zusehen?«, fragte Peter in bissigem Ton.
»Was?«
»Mein Gott! Ich bin zu Besuch gekommen. Ich habe dir was Leckeres mitgebracht ...«
»Vielen Dank.« Sogar Trevors Stimme schien von weit her zu kommen.
»Ich will keinen verdammten Dank, ich will dir Gesellschaft leisten.«
»Tut mir leid. Ich bin zurzeit nicht besonders gesellig.«
»Das sehe ich«, gab Peter zurück, bevor er mit einem einzigen gierigen Zug die halbe Dose hinunterkippte. »Dann willst du wohl auch nicht wissen, was auf dem Revier los ist.«
»Eigentlich nicht.«
»Lässt es dich denn völlig kalt, dass du in ein, zwei Wochen wieder bei der Drogenfahndung bist?«
»Ja.« Zum ersten Mal seit seiner Verwundung wirkte Trevor ein wenig lebhafter. Er riss sogar seine Bierdose auf. Vielleicht spornte ihn die Aussicht auf Arbeit ja doch an.
»Diesen Monat sind die Clubs dran. Gutes Bier, guter Whisky, sexhungrige geschiedene Frauen, die sich jedem x-beliebigen Mann an den Hals werfen, ohrenbetäubende Musik – und das alles auf Spesen. Was will man mehr?«
»Ein ruhiges Leben.« Trevors Blick huschte hinüber zu einem Zeichenblock, der umgedreht auf seinem Nachtschränkchen lag. Peter beugte sich vor und griff danach, bevor Trevor ihn daran hindern konnte.
»Diese Florence Nightingale da draußen hat mir erzählt, dass du beim Malkurs warst.«
»Das heißt noch lange nicht, dass du dir das ansehen darfst«, raunzte Trevor ihn an.
Doch es war schon zu spät. Peter hatte bereits das Deckblatt zurückgeschlagen. Er stieß einen langen, leisen Pfiff aus, während er die Skizze einer Frau mit großen traurigen Augen und langem Haar, das ihr ums Gesicht hing, begutachtete.
»Das Mädchen deiner Träume?«, fragte er geringschätzig und warf den Block aufs Bett. »Ist es nicht langsam Zeit, dass du erwachsen wirst und dich nach einer echten Frau umsiehst, von der du auch mal einen Kuss bekommst?«
»Bloß keine großen Ansprüche an das Leben stellen, was?«, brauste Trevor auf.
Peter versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn dieser Ausbruch freute. Nach all den Monaten hatte er endlich eine Reaktion ausgelöst. Vielleicht nicht unbedingt die erwünschte, aber immerhin. »Genau. Und so ein kleiner Anspruch ist das Pub. Wie wär’s, wenn ich die Wärterin da draußen überrede, dich so lange rauszulassen, dass wir einen trinken gehen können?«
»Nein.«
So entschieden hatte sich Trevor lange nicht mehr geäußert.
»Alle vom Revier lassen dich grüßen. Ich soll dir von Bill ausrichten, dass er die besten Jobs aufhebt, bis du wieder zurückkommst.«
»Vielleicht komme ich ja nicht mehr zurück.«
»Mensch, kapierst du denn nicht? Es gibt in Wahrheit noch nicht mal genug Arbeit für hochqualifizierte, intelligente Menschen, geschweige denn für Ex-Bullen, die dumm genug waren, sich im Dienst zu Hackfleisch verarbeiten zu lassen. Also los, trink aus.« Peter leerte seine eigene Bierdose. »Was gibt es denn hier Neues?«
»Nicht viel.«
»Ich habe mit Harry Goldman über dich gesprochen.« »Wieso?«, fragte Trevor argwöhnisch, die geöffnete Bierdose noch in der Hand.
»Weil dein Bruder und deine Mutter in Cornwall sitzen und keine Zeit haben, jedes Wochenende zu kommen. Und weil sie mich gebeten haben, mich ein bisschen um dich zu kümmern. Ob es dir nun gefällt oder nicht, aber Ärzte übernehmen nur ungern allein die Verantwortung für ihre Patienten. Sie beraten sich gern mal mit jemand anderem. Mit Verwandten, Freunden und in deinem Fall, da leider kein anderer zur Verfügung steht, mit mir.«
»Was hat Goldman gesagt?« Zum ersten Mal, seit Peter das Zimmer betreten hatte, hob Trevor den Kopf und sah ihm in die Augen.
»Dass du fit genug bist, um hier rauszukommen. Du brauchst nur einen Schubs in die richtige Richtung.«
»Und den versetzt du mir mit Wonne, nehme ich an.«
»Du kannst dich nicht ewig hier verstecken und verlorenen Träumen nachhängen«, sagte Peter und wies mit dem Daumen auf den Zeichenblock.
»Ich bekomme immer noch oft Kopfschmerzen. Ich bin schwach ...« Trevor betete dieselbe Liste von Ausflüchten herunter wie seit Monaten, doch Peter gab schon längst nichts mehr darauf.
»Wann hast du das letzte Mal dieses Zimmer verlassen?« Peter ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf, sodass strahlendes Nachmittagslicht in den düsteren Raum fiel.
»Wie du weißt, bin ich heute Morgen in Spencers Malkurs gewesen.« Trevor kniff die Augen gegen das grelle Licht zusammen.
»Tolle Leistung. Du bist gerade mal zwei Flure weit gegangen«, spottete Peter. »Los jetzt, Kumpel, wir beide gehen raus.«
»Nein.«
»Doch.« Peter warf einen Blick auf Trevors abgelatschte Pantoffeln, dann öffnete er den Schrank und holte ein Paar Stoffturnschuhe heraus. »Zieh die an.«
»Nein.«
»Keine Sorge, wir gehen nicht ins Pub, nur einmal übers Gelände. Draußen ist niemand«, log er, während er die Patienten und Besucher beobachtete, die über den Rasen spazierten.
»Ich kann kein Sonnenlicht vertragen.«
»Nimm die hier.« Peter zog eine Sonnenbrille aus der Brusttasche seines Jacketts, setzte sie Trevor auf die Nase und riss die Tür auf. »Entweder du gehst jetzt freiwillig mit, oder ich trage dich hier raus«, drohte er. »Und so, wie du im Moment aussiehst, schaffe ich das mit einer Hand auf den Rücken gebunden.«
Trevor starrte ihn kurz an, und Peter dachte schon, er hätte wieder einmal verloren. Doch da streifte sich Trevor langsam die Pantoffeln von den Füßen und griff nach den Turnschuhen. Er zeigte allerdings keine Spur von Begeisterung dabei.
Da er nicht genug Energie aufbrachte, um sich noch länger gegen Peters Drängen zu wehren, hatte sich Trevor entschlossen, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Schließlich blieb dieser Mensch ja nie lange, und sobald er fort war, konnte Trevor wieder in sein Zimmer zurückkehren, zu seinem Sessel, dem Skizzenblock und – was das Wichtigste war – zu seinen »verlorenen Träumen«, wie Peter es so verächtlich genannt hatte.
»Noch einen Schritt, und du hast diese Zelle hier tatsächlich hinter dir gelassen.« Peter legte Trevor eine Hand auf die Schulter und bugsierte ihn zur Tür.
»Ich brauche meinen Stock«, sagte Trevor und schwankte bedenklich, da der Bruch in seinem rechten Bein zwar verheilt, es jedoch durch die lange Schonung noch immer schwach war.
Peter holte den Stock hinter der Tür hervor und drückte ihn Trevor in die Hand. Als sie aus dem Zimmer traten, musste Peter zu seinem Ärger feststellen, dass er Trevor geradewegs in eine handfeste Auseinandersetzung zwischen Jean und der zierlichen Vanessa mit den scharfen Gesichtszügen gelotst hatte. Vanessa war ihm vor allem wegen ihrer ständig wechselnden Haarfarbe in Erinnerung. Heute trug sie ihr Haar schwarz, doch bei seinem letzten Besuch war es rotbraun und davor blond gewesen.
Jean hielt ihr eine Standpauke, in dem entschiedenen, belehrenden Ton, den sie immer dann anschlug, wenn ein Patient Schwierigkeiten machte – was ziemlich häufig vorkam, soweit Peter es beurteilen konnte.
»In diesem Negligé können Sie unmöglich nach draußen gehen, Vanessa. Kommen Sie mit in Ihr Zimmer, dann helfe ich Ihnen, etwas Passendes auszusuchen ...«
Vanessa entschlüpfte Jeans Griff. Bevor die Oberschwester sie daran hindern konnte, verschwand sie in einer engen, mit Regalen vollgestellten Vorratskammer, in der soeben Lyn Sullivan einen Medikamentenwagen verstaute. Peter war scharf auf die bildhübsche, eins achtzig große Schwesternschülerin, hatte sich jedoch mit Bedauern eingestehen müssen, dass ein Teenager – auch wenn er schon auf die zwanzig zuging – einfach zu jung für ihn war.
»Kommen Sie da raus, Vanessa!«, befahl Jean.
»Von dir lasse ich mich nicht rumkommandieren, du alte Ziege!«, gab Vanessa zurück.
»Niemand kommandiert Sie herum, Vanessa.« Lyn fasste die Patientin beim Arm. »Wir wollen nur aufpassen, dass Ihnen nichts geschieht.«
»Du hältst mich wohl für blöd.« Vanessa starrte Lyn ins Gesicht. »Du denkst, ich wüsste nicht, dass du was mit meinem Ian hast. Ihr seid alle gleich, ihr Flittchen!« Das letzte Wort stieß Vanessa mit schriller Stimme hervor, dann verdrehte sie die Augen und begann zu kreischen. Dabei ruderte sie wild mit den Armen. Sie bekam eine Ecke des Wägelchens zu fassen und stieß es heftig gegen ein Regal, sodass Lyn in einer Ecke eingekeilt wurde. Vanessa grapschte auf dem Wagen herum und fegte alles, was darauf stand, herunter. Fläschchen und Gläser flogen durch die Luft und zerschellten in einem Durcheinander aus Scherben, Pillen und verschütteter Medizin auf dem Fliesenboden.
Lyn duckte sich und versuchte, an Vanessa vorbei durch die Tür zu entwischen, doch sie war nicht schnell genug. Ein großes Glas mit weißen Pillen traf sie zwischen den Schulterblättern. Sie stolperte und landete mit einem Schmerzensschrei inmitten der Glassplitter.
Mit einem irren Lachen schnappte sich Vanessa eine gusseiserne Waage, die schon längst nicht mehr benutzt wurde und ganz hinten ins Regal verbannt worden war. Vanessa schwenkte sie drohend über Lyns Kopf. Peter und Jean rannten gleichzeitig los und blieben wie in einer schlechten Slapstickszene zusammen in der Tür zur Vorratskammer stecken. Schließlich war es Trevor, der zwischen ihren Beinen hindurchkroch und Lyn die Hand hinstreckte. Sie griff nach seinen Fingern, doch er packte sie ums Handgelenk und zog sie heraus, ohne auf ihr Geschrei zu achten – die Glassplitter waren durch den dünnen Stoff ihres Schwesternkittels gedrungen.
Als Jean zurücktrat und die Tür freigab, beruhigte sich Vanessa. Einen Augenblick lang stand sie da und blickte auf das Chaos, das sie angerichtet hatte. Peter ergriff die Gelegenheit und ging auf sie zu.
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, flüsterte Vanessa ihm zu.
»Ja, sicher.« Er streckte die Hand nach der Waage aus.
»Kommen Sie schon, Vanessa«, gurrte Jean und quetschte sich ebenfalls in das Kämmerchen. »Sie sind müde und sollten sich hinlegen, damit es Ihnen bald wieder bessergeht.«
»Ich will mich nicht hinlegen.« Vanessa hob die Waage noch höher. »Sie ist dort, ich sag’s euch. Im Blumenbeet. Eingepflanzt wie eine Tulpenzwiebel. Und die ganze Erde auf ihr drauf. Viele Schaufeln voll. Sie kann sich nicht mehr rühren«, versicherte sie Peter mit ernster Stimme. Dann wurden ihre Augen immer größer, bis das Weiße hervortrat. »Glaubt ihr, sie wollten einen Menschenbaum aus ihr ziehen?« Sie stieß ein freudloses Lachen aus. »Sie ist tot«, sagte sie plötzlich mit unheimlicher Ruhe. »Das muss sie wohl sein, mit der ganzen Erde auf ihr drauf. Mausetot. Sie ist tot, und keiner von euch macht sich die Mühe, sie zum Friedhof zu schaffen. Dort bringt man nämlich die Toten hin. Das weiß ich.« Als sie einen Schritt auf Peter zu machte, bekam er die Waage zu fassen. »Ich wollte meinen Ian dorthin bringen, aber die da ...« – Vanessa warf einen wütenden Blick auf Jean und Lyn, der Trevor gerade auf die Füße half –, »... die haben es nicht zugelassen. Sonst wäre er jetzt da, wo ich ihn haben wollte.« Sie kam noch einen Schritt näher, und Peter nutzte die Chance und packte die Waage mit beiden Händen. »Er würde noch immer mir gehören, denn er müsste ja dort bleiben und warten, bis ich mit Blumen käme, nicht wahr? Was anderes bliebe ihm nicht übrig.«
Sie holte aus, um die Waage auf Jean zu schleudern, doch Peter riss sie ihr aus der Hand.
» Du steckst mit diesen Schlampen unter einer Decke!« Vanessa schnappte sich das letzte Pillenfläschchen vom Wagen und warf es ihm ins Gesicht. Peter duckte sich, die Waage noch immer fest umklammert, doch er schaffte es nicht rechtzeitig. Die Flasche traf sein Jochbein mit solcher Wucht, dass die Haut aufplatzte.
»Ian ist bestimmt noch bei dieser Hure, aber es ist nicht die, mit der ich ihn überrascht habe«, brabbelte Vanessa. »Die ist ihm nicht mehr hübsch genug, nach dem, was ich mit ihr angestellt habe ...«
»Vanessa, sehen Sie mich an!«, befahl Peter. Während er ihr starr in die Augen blickte, tastete er nach dem Regal neben sich und stellte die Waage darauf ab. Kaum hatte er die Hände frei, ging alles blitzschnell. Er packte Vanessas Handgelenke und riss ihr die Arme auf den Rücken. »Wo soll sie hin?«, fragte er Jean.
»Erst mal raus aus diesem verdammten Kabuff.« Aus Jeans Stimme klang dumpfe Verzweiflung angesichts der Verwüstungen, die Vanessa angerichtet hatte.
»Sie hätten es abschließen sollen.« Peter stieß Vanessa in den Korridor.
»Vor drei Monaten klemmte auf einmal das Schloss. Als wir darum baten, es reparieren zu lassen, hängte man ein Vorhängeschloss an die Tür. Das nützt einem wirklich viel, wenn man drinnen beschäftigt ist. Seit drei Monaten beschwere ich mich Tag für Tag, aber es hat bisher nichts gebracht.«
»Ich habe den Sicherheitsdienst angerufen, sie sind schon unterwegs. Ich habe ihnen auch gesagt, sie sollen noch zwei Pflegehelfer und einen Pfleger mitbringen«, kam Lyns Flüstern von der Tür zum Stationsbüro. Trevor hatte ihr in einen Sessel geholfen. Da saß sie nun und tupfte mit einem Taschentuch an den Schnittwunden in ihren Armen und Beinen herum, in denen noch immer Glassplitter steckten.
Jean betrachtete sie mit fachkundigem Blick. »Ruf einen Krankenwagen und lass dich in die Notaufnahme ins Allgemeine bringen.«
»Es ist schon in Ordnung«, erwiderte Lyn und nippte an einem Glas Wasser, das Trevor ihr aus seinem Zimmer gebracht hatte.
»Keine Widerrede! Ruf jetzt an. Sobald ich hier fertig bin, werde ich mich selbst davon überzeugen, ob alles ›in Ordnung‹ ist. Können Sie Mrs. Hedley noch festhalten, Sergeant Collins?«
»Wird schon gehen.« Peter verstärkte seinen Griff, da Vanessa versuchte, ihn gegen das Schienbein zu treten. Mit ihren Pantoffeln hätte sie ohnehin nicht viel Schaden anrichten können.
»Ich dachte, alle wären im Garten«, sagte Lyn entschuldigend.
»Das sind sie wohl auch, bis auf uns und die Dame hier.« Peter schenkte Vanessa ein breites Krokodilgrinsen.
Jean fand den Schlüssel zum Vorhängeschloss zwischen den Trümmern auf dem Fußboden und zog die Tür über den Teppich aus Scherben zu.
»Ich mag gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn sich noch mehr Patienten hier aufgehalten hätten oder Sie nicht da gewesen wären.« Lyn gab Trevor das Glas zurück.
Peter spürte, dass Vanessa langsam unruhig wurde. Sie starrte auf den Sicherheitsmann, die beiden Pflegehelfer und den Pfleger, die über den Flur gelaufen kamen. Jean ließ das Vorhängeschloss zuschnappen.
»Bringen Sie Mrs. Hedley bitte ins Behandlungszimmer, Sergeant Collins«, bat Jean.
Peter drängte Vanessa in das Zimmer. Jean und der Pfleger folgten.
Während Jean leise auf Vanessa einredete, zog der Pfleger hinter ihrem Rücken eine Spritze auf. Als er fertig war, schob die Oberschwester Vanessas Ärmel hoch. Innerhalb weniger Minuten beruhigte sich die Patientin und ließ sich widerstandslos von Jean in ihr Vierbettzimmer führen.
»Da sind wir schon, Vanessa, an Ihrem schönen, frischbezogenen Bett. Jetzt müssen wir nur noch die Vorhänge zuziehen, dann können Sie ein Nickerchen machen«, sagte Jean mit deutlich hörbarer Ironie.
»Ich will nicht schlafen«, lallte Vanessa. »Du alte Ziege ... du blöde alte Ziege ...« Schließlich war Ruhe, und Jean trat zu Peter hinaus auf den Flur.
»Danke. Ohne Ihre Hilfe hätten wir es nicht geschafft.« Sie ging mit ihm zurück zum Behandlungsraum.
»Jeder andere Besucher hätte dasselbe getan.«
»Die meisten Besucher hätten sie gar nicht bändigen können. Kommen Sie rein, damit ich den Schnitt an Ihrer Wange versorgen kann.«
»Sollten Sie sich nicht lieber zuerst um Lyn Sullivan kümmern?« Peter wollte Jean nur ungern so nahe an sich heranlassen.
»Ich kann hier nicht genug für sie tun. Und außerdem will ich Karl nicht ins Gehege kommen.«
Als Peter einen Blick in das Stationsbüro warf, sah er, wie sich der Pfleger über Lyn beugte, während Trevor, noch immer mit dem Glas Wasser in der Hand, untätig danebenstand. Peter fuhr sich mit der Hand über die linke Wange und stellte überrascht fest, dass sie voller Blut war.
»Im Gesicht sieht es immer schlimmer aus, als es ist«, erklärte Jean.
»Die Erfahrung habe ich auch schon machen müssen.« Peter hielt still, während sie die Wunde reinigte und ein Pflaster daraufklebte.
»Warum musste sich Vanessa für ihren Anfall ausgerechnet die Besuchszeit am Sonntagnachmittag aussuchen«, beklagte sich Jean, während sie sich die Hände wusch. »Am Wochenende ist die Station kaum zur Hälfte besetzt, und um diese Zeit macht ein Viertel der knappen Belegschaft auch noch Teepause.«
»Es kommt immer alles auf einmal.« Peter zuckte zusammen, als der Schnitt schmerzhaft zu brennen begann.
»Tun Sie mir einen Gefallen?«, fragte Jean.
»Ich habe nichts gehört und gesehen. Ich war überhaupt nicht hier.«
»Ich möchte Sie ja nicht um Ihre Tapferkeitsmedaille bringen, aber wenn die Klinikleitung herausfindet, dass ich einem Besucher erlaubt habe, ein bisschen grob mit einer Patientin umzuspringen, nimmt der Papierkram kein Ende mehr.«
»Welcher Besucher?« Mit dem Einfordern einer Gegenleistung war Peter jedoch rasch bei der Hand. »Kann ich später nochmal wiederkommen und Trevor einen Happen mitbringen? Er sieht aus, als hätte er seit Monaten nichts mehr gegessen, und auf dem Revier war er für einen späten Imbiss immer sehr zu haben.«
»Es wäre ein Wunder, wenn er etwas essen würde.«
»Ich würde es gern mal probieren.«
»Von mir aus.« Jean ging voran aus dem Behandlungszimmer und schloss es mit einem der Schlüssel ab, die an ihrem Gürtel baumelten. Als sie am Vorratsraum vorüberkamen, waren die Pflegehelfer damit beschäftigt, unter den Augen des Sicherheitsmannes den Boden von Glasscherben und verschütteter Medizin zu reinigen. »Als Oberschwester sollte ich so etwas gar nicht sagen, sondern es Mr. Goldman überlassen. Aber Sie wissen ja selbst, dass wir nichts für Trevor tun können. Er ist depressiv, aber nicht im klinischen Sinne. Jedenfalls nicht mehr als jeder andere auch, der so etwas durchgemacht hat. Und bestimmt nicht mehr als jemand, der jeden Tag gründlich die Zeitung liest. Aber man hat ihn nun mal zu uns überwiesen. Dabei hätte er schon längst wieder in sein normales Leben zurückkehren sollen. Mr. Goldman war von Anfang an dafür, dass Trevor nachmittags allein einen kurzen Spaziergang macht. Wenigstens schon mal bis zum Tor. Und wenn Trevor nicht langsam in die Gänge kommt, setzen wir ihn vor die Tür.«
»Wir waren gerade auf dem Weg nach draußen, als Sie uns dazwischenkamen«, erwiderte Peter.
»Es ist ja schön, dass Sie ihm helfen wollen, aber er muss sich vor allem selbst Mühe geben.« Vor dem Stationsbüro blieb Jean stehen.
Peter warf einen Blick hinein und sah, dass Trevor noch immer hinter Lyns Sessel stand. »Er hat immerhin Lyn Sullivan aus der Kammer gezogen.«
»Stimmt.« Jean beobachtete, wie Karl Lyns Bein verband. »Vielleicht ist das ein erster kleiner Schritt.«
»Ich werde ihm einen Schubs geben, damit er auch den nächsten macht.« Was Trevor anging, war Peter nicht mehr so zuversichtlich gewesen, seit der Arzt auf der Intensivstation ihm eröffnet hatte, dass sein Freund überleben würde.
»Kommen Sie mit dem Essen auf jeden Fall vor acht«, riet ihm Jean. »Dann endet nämlich meine Schicht, und die Nachtschwester ist nicht so entgegenkommend wie ich.«
»Mein Dienst fängt schon um neun an, also werde ich so gegen sieben hier sein.«
Bei diesen Worten erstarb Jeans Lächeln, denn sie hatte gehofft, ihn nach Feierabend ins Green Monkey lotsen zu können.
Es war beinahe vier Jahre her, dass ihr Mann, ein Schrotthändler, sie wegen einer Schönheit hatte sitzenlassen, die halb so alt war wie Jean. Daraufhin hatte sie sich einen guten – und teuren – Anwalt genommen, der dafür sorgte, dass sie finanziell wohlversorgt aus der Scheidung hervorging. Ihr Anteil am Besitz ihres Mannes umfasste die komfortable Vierzimmerwohnung am Yachthafen, eine Yacht mit fünf Kabinen und so viele erstklassige Aktien, dass sie es eigentlich nicht mehr nötig gehabt hätte zu arbeiten.
Doch Jean hatte feststellen müssen, dass Geld kein Ersatz für emotionale oder sexuelle Befriedigung war. Sie hatte die Nase voll von Singlegruppen, vom Bridgeclub, in dem die geradezu unanständig glücklich verheirateten Ehepaare in der Mehrzahl waren, und davon, allein zu schlafen. Peter Collins war ein harter Mann, doch er war körperlich fit und durchaus attraktiv. Außerdem war Jean sicher, seinen weichen Kern aufspüren zu können, falls sie es schaffte, ihn in ihr Bett zu locken.
Sie war überzeugt davon, dass er einen weichen Kern besaß – so wie jeder Mann. Sie musste es nur richtig anfangen und seinen Widerstand brechen.
»Nimm die Schubkarre und die Schaufel mit.« Jimmy Herne, der Hauptgärtner des Compton Castle, warf seinem siebzehnjährigen Lehrling Dean Smith das Werkzeug zu. »Und dann geh dahinten zu der Weide, wo ich den Rasen mit Kalk markiert habe. Hörst du mir überhaupt zu, Junge?«, blaffte er.
Dean zuckte nur mit den Achseln, was Jimmy noch mehr in Rage brachte. Dean war es gewohnt, angebrüllt zu werden, und zwar nicht nur von Jimmy Herne. Seine Eltern taten es, seit er denken konnte, und später dann die Lehrer in der Schule ebenfalls. Daher störte er sich gar nicht mehr daran, wenn eine Autoritätsperson ihrem Ärger Luft machte.
Er lebte nur für die Stunden, in denen er in der Spielhalle Außerirdische abschoss und feindliche Kommandotrupps austrickste oder sich mit seinen Kumpels im Little Albert – der einzigen Kneipe in der Stadt, die Alkohol an Minderjährige ausschenkte – ein unerlaubtes Bier genehmigte und dabei die Mädchen begaffte.
»Ich komme in zehn Minuten nachsehen«, drohte Jimmy. »Wenn du dann nicht weit genug mit dem Umgraben bist, kannst du was erleben. Verstanden, Junge?«
»Ja, Mr. Herne.« Dean warf die Schaufel in die Schubkarre und zockelte damit zu dem Weidenbaum. Dort stieß er die Schaufel zaghaft in die Erde und hob vorsichtig ein Stückchen Grassoden heraus. Wenn die Ränder nicht ordentlich abgestochen waren, regte sich der alte Knacker nur wieder auf, und dann hieß es für den Rest der Woche Blätter fegen und Rinnsteine kehren. Er und Jason Canning, der andere Lehrling, den das städtische Gartenbauamt ins Compton Castle geschickt hatte, wetteiferten ständig miteinander um die zweifelhafte Ehre, wer die schlechtesten Karten bei Jimmy Herne hatte. Zum Glück für Dean war heute Jason dran. Jimmy hatte ihn dabei erwischt, wie er in der Küche ein Schwätzchen mit Mandy Evans hielt, anstatt die Geranien aus dem Beet zu holen. Also musste heute Jason die Drecksarbeit machen.
Dean legte den etwa zehn Quadratzentimeter großen Grassoden mitten in die Schubkarre und stützte sich dann auf seine Schaufel, bevor er das nächste Stück in Angriff nahm. Ein fetter Regenwurm schlüpfte rasch ins dunkle Erdreich zurück. Allerdings nicht rasch genug. Dean hackte ihn mit der Kante seiner Schaufel mittendurch und sah zu, wie sich die beiden Hälften krümmten.
»He, Junge!«
Die Spitze eines Regenschirms stupste ihn in den Rücken und lenkte seine Aufmerksamkeit von dem Wurm ab.
»Grab mal da drüben.« Der Regenschirm wies in die Richtung der Blumenbeete, die Dean eine Woche zuvor umgegraben hatte.
Die Frau war klein und erinnerte ihn mit ihrer Hakennase an eine Lehrerin, die er in der Grundschule gehabt hatte. Doch sie hatte einen weißen Kittel an, deshalb war er auf der Hut. Nur Ärzte trugen weiße Kittel, und von denen ließ sich sogar Jimmy Herne etwas sagen.
»Diese Beete habe ich doch erst letzte Woche umgegraben, Miss.« Er redete wie in seiner noch nicht allzu lange zurückliegenden Schulzeit.
»Ist mir egal. Jetzt gräbst du da jedenfalls ein Loch!«
Ihr Befehlston machte Dean Beine. Er warf die Schaufel wieder in die Schubkarre und schob sie zum Beet hinüber.
Die Frau war schon vor ihm da. Sie grub ihren Absatz in die lockere Erde, um ihm die richtige Stelle zu zeigen. »Hier, und zwar ein bisschen dalli!«
Dean holte die Schaufel aus der Karre und stieß sie in den Boden. Es ging ganz leicht. Das Erdreich war locker, krümelig und ziemlich trocken.
»Schmeiß doch den Aushub nicht in die Schubkarre, du Idiot! Hier muss ein tiefes Loch hin, für einen – einen Baum. Der ganze Aushub passt nicht in die Schubkarre, und ich will nicht, dass du Zeit damit vergeudest, ihn durch die Gegend zu fahren. Wirf die Erde einfach aufs Gras.«
»Aber das kriegt man später schlecht wieder weg. Mr. Herne ...«
»Nichts da, Mr. Herne«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Mit einem harten Besen geht das schon. In zehn Minuten will ich ein Loch sehen, das groß genug für eine ausgewachsene Buche ist.«
Dean hätte gern gefragt, was die Hast sollte, wo doch gar kein Baum zu sehen war, aber er traute sich nicht. Die Frau stand dicht neben ihm, während er langsam immer tiefer grub. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick über die Schulter in den Garten, als erwarte sie jemanden. Denjenigen mit dem Baum, vermutete Dean. Zwischendurch trieb sie ihn immer wieder an, als ob ihr Leben davon abhinge.
»Ein Neunzigjähriger schaufelt ja schneller als du, Junge. Mal ein bisschen mehr Schwung! Und dafür ist jetzt keine Zeit!« Sie knallte ihm den Schirm gegen den Arm, als er sich einen Augenblick lang auf die Schaufel stützte. Er funkelte sie böse an. Noch nicht einmal Jimmy Herne wagte es, ihn zu schlagen. Doch dann stieß er das Schaufelblatt erneut in das Loch, das seiner Meinung nach schon groß genug für jeden erdenklichen Baum war.
»Was zum Teufel machst du denn da, Junge?« Jimmy Herne kam über den Rasen auf ihn zugestapft. Sein runzeliges Affengesicht war vor Wut ganz verzerrt.
»Er arbeitet für mich.«
Dean fuhr fort zu graben. Die Erklärungen überließ er nur zu gern der Frau.
»Hier muss ein tiefes Loch hin, für einen Baum. Und zwar auf der Stelle.«
»Das ist ja das Neueste, was ich höre. Außerdem ist es mein Garten«, entgegnete Jimmy. »Und das hier ist ein Blumenbeet, da kommt kein Baum hin. Es ist auch schon tief genug. Wenn wir noch ein, zwei Ladungen Dünger hineingeben, können Rosen gepflanzt werden.«
» Das Loch ist noch nicht fertig.«
Etwas in ihrem Verhalten ließ bei Jimmy die Alarmglocken schrillen. »Sie sind eine von denen, stimmt’s?« Er schlug sich lachend auf die Schenkel. »Die hat dich reingelegt, Junge, und zwar gründlich.« Er grinste Dean an, der mit bleichem Gesicht in das Loch starrte.
»Mr. Herne, sehen Sie sich das an!« Als Dean ihn mit schreckgeweiteten Augen anblickte, trat Jimmy ein wenig vor und spähte ebenfalls hinunter.
Ein Büschel verfilzter blonder Haarsträhnen, ein Stückchen graues Gesicht und mittendrin ein einzelnes Auge. In blindem Entsetzen starrte es aus der Erde empor.
Die Frau in dem weißen Kittel hüpfte und tanzte um den Erdhaufen auf dem Gras herum und sang unablässig: »Ich hab’s doch gesagt – ich hab’s doch gesagt – ihnen allen habe ich es gesagt, aber sie wollten ja nicht auf mich hören.«
Jimmy packte Dean bei der Schulter.
»Lauf rein, Junge! Sag ihnen, sie sollen die Polizei holen! Sag ihnen, ich hätte es dir aufgetragen.«
Als Dean an der Frau vorübereilen wollte, hielt sie ihn am Hemd fest. »Aber du hast auf mich gehört, Junge, nicht? Du hast zugehört und sie gefunden.« Ihr Gesicht war jetzt so dicht vor seinem, dass er die roten Äderchen in ihren Augen erkennen konnte, die groben Poren in ihrer Haut und das Make-up, das die Falten zukleisterte. »Du hast den Haupttreffer gelandet, Junge.«
Ihr gackerndes Lachen gellte hinter ihm her, als er Hals über Kopf zum Hauptgebäude rannte.
Spencer Jordan, der festangestellte Kunsttherapeut am Compton Castle, war bei Patienten und Personal gleichermaßen beliebt, auch wenn man zugeben musste, dass es eine Weile dauerte, bis man ihn besser kennenlernte. Neue Patienten fühlten sich oft durch seine schiere Größe eingeschüchtert. Er war ein Zweimetermann mit dem schlanken, muskulösen Körper eines Basketballspielers, was ihm sehr zugutegekommen war, als er nach der Kunsthochschule noch ein Jahr Textilkunst an einer kalifornischen Universität studiert hatte. Sein Haar war lang, aber gepflegt, ebenso wie sein Bart. Er sprach mit ruhiger, sanfter Stimme und trug immer Jeans oder legere schwarze Hosen und Pullover – und es waren diese Pullover und ihre Farben, die den Leuten als Erstes an ihm auffielen. Einige ähnelten abstrakten Kunstwerken, andere zeigten Tiere oder Landschaften. Auf dem Pullover, den er an diesem Montagmorgen trug, tummelten sich wild aussehende schwarz-weiße Hasen vor einem Hintergrund aus knallrotem Gras, das mit grünen und purpurfarbenen Blümchen gesprenkelt war. Und das Erstaunlichste an Spencer Jordans Pullovern war, dass er sie selbst zwischen den einzelnen Malstunden strickte.
»Gute Zeichnung, Trevor.« Spencer blickte Trevor, der in der dunkelsten Zimmerecke vor einer Staffelei stand und Pastellfarben auf sein Bild auftrug, über die Schulter. »Mir gefallen die Farben des Hintergrunds. Die Dame mit den langen dunklen Haaren und den grauen Augen ist wohl dieselbe, die wir schon kennen. Darf ich wissen, wer sie ist?«
»Eine Ausgeburt meiner Phantasie.« Trevor nahm eine graue Pastellkreide zur Hand, um die Wolken über ihrem Kopf noch dunkler zu machen.
»Schade. Die würde ich gern mal kennenlernen.« Spencer wartete noch einige Augenblicke, doch als Trevor nichts mehr sagte, ging er weiter zur nächsten Staffelei, wo sein jüngster männlicher Patient, Michael Carpenter, an seinem Bild arbeitete. Nach Art einer Postkartenidylle stellte es ein strohgedecktes Cottage dar, mit Kletterrosen, die sich um eine spitzgiebelige Holzveranda rankten, und kleinen bleiverglasten Fenstern. Genau in der Mitte war ein Mädchen mit kastanienbraunem Haar und einem Blümchenkleid platziert, das einen Strauß Glockenblumen auf dem Schoß hielt.
So wie Trevor Joseph ständig dunkelhaarige Frauen zeichnete, malte Michael Carpenter immer Mädchen mit kurzen rotbraunen Locken. Spencer wusste, dass Trevor ein Polizeibeamter war, der lebensgefährliche Verletzungen erlitten und in der Folge eine Depression entwickelt hatte, doch nicht, welche Rolle die dunkelhaarige Frau in Trevors Vergangenheit gespielt hatte. Michaels Dame dagegen war ihm vertraut. Alle Äußerungen des jungen Mannes drehten sich einzig und allein um Angela, und sie war auch der Grund dafür, dass er hier im Compton Castle saß. Michael war ein Bankangestellter, dessen Interessen nie über seine Arbeit, seine Freundin Angela und seine Modelleisenbahn hinausgegangen waren. Als Angela ihm mitteilte, dass es jemand anderen in ihrem Leben gab und sie die Beziehung zu Michael beenden wollte, wurde er nicht damit fertig. Er fing an, ihr und ihrem neuen Freund nachzustellen. Hielt sie sich bei ihren Eltern auf, übernachtete er dort im Garten. Es half alles nichts – weder die Drohungen ihrer Familie noch die Ermahnungen der Polizei oder die Hilfsangebote seiner besorgten Angehörigen.
Eines Nachts, eine Stunde nachdem das letzte Licht in Angelas Haus erloschen war, schnitt Michael ein Loch in das Esszimmerfenster, zündete einige aufgerollte Zeitungen an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und schob sie durch das Loch ins Zimmer. Sie landeten unmittelbar hinter den Gardinen auf dem Teppich, und innerhalb weniger Minuten stand der gesamte Raum in Flammen. Wenn nicht ein Nachbar – ein pensionierter Polizist – das Feuer von seinem Wohnzimmerfenster aus entdeckt hätte, wäre die ganze Familie in ihren Betten verbrannt.
Nach der Verurteilung und einem Aufenthalt im Gefängnis war Michael im Compton Castle gelandet, mit der Auflage, sich einer Therapie zu unterziehen. Doch allmählich zweifelte Spencer daran, ob die Therapie Michaels Probleme wirklich lösen konnte. Seit sechs Monaten war Michael in seiner Malgruppe, und noch immer zeigten seine Bilder idyllische Katen, in deren Garten seine Exfreundin saß. Früher oder später musste Michael einsehen, dass Angela nicht mehr Teil seines Lebens war und es auch nie wieder sein würde. Wenn er sich weiterhin gegen diese Erkenntnis sträubte, würde er wohl den Rest seines Lebens in einer Anstalt verbringen.
»Bitte sehen Sie sich mal mein Bild an, Spencer.« Alison Bevan, eine berufstätige Mutter, litt an einer Wochenbettdepression nach der Geburt ihres neunten Kindes – der Frucht ihrer vierzehnten »festen« Beziehung in ebenso vielen Jahren. Spencer trat an ihre Staffelei. Ihr Bild, das spielende Kinder darstellte, hätte selbst von einem kleinen Kind stammen können. Keine der Figuren besaß gleich lange Arme oder Beine, und alle Gesichter zeigten ein starres Grinsen. In der linken Ecke sah man die übergroß gemalten Gestalten eines Mannes und einer Frau. Die Frau grinste genauso breit wie die Kinder, der Mann dagegen hatte kein Gesicht.
»Ist er nicht glücklich, Ali?« Spencer zeigte auf das Strichmännchen.
»Wie denn auch?«, erwiderte Alison. »Er ist ein Mann, und jeder weiß doch, dass Männer arbeiten und Geld verdienen müssen.«
»Also trägt er die ganze Verantwortung?«
»Ist das bei Ihnen nicht genauso, Spencer?«, fragte sie verschlagen.
»Nein, Alison.« Spencers Stimme bekam einen warnenden Unterton. »Ich brauche nur für mich selbst zu sorgen.«
»Da müssen Sie aber einsam sein«, sagte sie.
»Sie kommen gut voran mit Ihrem Bild.« Er ignorierte ihre letzte Bemerkung. »Mir gefällt, wie die Blumen auf dem Boden zu denen passen, die die Kinder in der Hand halten.« Er ging weiter zu Lucy Craig, einer pummeligen, nervösen Siebzehnjährigen, die unter dem Leistungsdruck vor der Abiturprüfung zusammengebrochen war. Sie blickte gerade aus dem Fenster.
»Schauen Sie mal, Mr. Jordan.« Obwohl Spencer es ihr angeboten hatte, brachte Lucy es nicht fertig, ihn beim Vornamen zu nennen. »Da unten fährt ein Polizeiwagen über den Rasen.« Sie blickte Spencer an, doch der beobachtete Trevor. Emsig und mit gesenktem Kopf wischte Trevor an seiner Pastellzeichnung herum und schien sich nicht im Geringsten für die Vorgänge draußen zu interessieren. Spencer fragte sich, ob der Spruch »einmal Polizist, immer Polizist« wirklich stimmte.
Constable Michelle Grady stand zwanzig Meter von dem Loch entfernt, das Dean gegraben hatte. Die breiten Absätze ihrer Laufschuhe waren in das weiche Erdreich eingesunken, und ihre Uniform fühlte sich in der warmen Frühlingssonne heiß, kratzig und beengend an. Doch sie wich keinen Fingerbreit von ihrem Posten. Auf der Polizeischule hatte sie Geschichten von Neulingen gehört, die zugelassen hatten, dass wichtige Beweise am Tatort zerstört wurden. Eine solche Nachlässigkeit sollte man ihr nicht vorwerfen können.
Ihr geübter Blick hatte einige Erdklümpchen entdeckt, die ein Stück von Deans Erdhaufen entfernt im Gras lagen. Lächelnd malte sie sich aus, wie sie ihren Vorgesetzten davon Mitteilung machte, doch schon hörte sie im Geiste Sergeant Peter Collins’ verächtliche Stimme: »Natürlich wurde das Loch mehr als einmal ausgehoben, Sie dumme Person! Sonst hätte man die verdammte Leiche doch gar nicht dort verbuddeln können.«
Michelle Grady verlagerte ihr Gewicht auf die Fersen. Sie konnte es sich nicht leisten, Binsenweisheiten von sich zu geben, denn Sergeant Collins war nicht der einzige höhere Beamte auf dem Revier mit einer scharfen Zunge.
Mühsam löste sie die Hacken aus dem Boden und marschierte ein wenig auf und ab. Das ewige Warten war das Schlimmste: warten auf die Vorgesetzten, warten auf die Leute von der Mordkommission, warten auf den Forensiker. Verschwendete überhaupt jemand einen Gedanken an das arme Opfer, das da unten in dem Loch lag?
»Sie brauchen gar nicht so ungeduldig herumzustapfen, Constable. Dem da unten macht es nichts mehr aus zu warten.« Dan Evans, ein Inspector der Mordkommission, tauchte hinter ihr auf.
»Inspector.« Sie nickte ihm zu. Dan Evans, ein Berg von einem Mann, war früher einmal ein international bekannter Gewichtheber gewesen. Mit seinen Einsneunzig bei einem Gewicht von fast einhundertunddreißig Kilogramm überragte er alle Kollegen auf dem Revier. Bevor er zur Polizei ging, war er Bauer gewesen, und Michelle wusste, dass seine Familie nach wie vor Landwirtschaft in der Nähe von Carmarthen betrieb. Daher auch sein singender walisischer Tonfall und die quälend langsame Sprechweise.
»Wenn Sie erst einmal an so vielen Fällen mitgearbeitet haben wie ich, werden auch Sie sich mehr Zeit lassen. Wer es zu eilig hat, macht nur Fehler.«
»Ich muss immerzu an diese arme Frau denken ...«
»Woher wollen Sie wissen, dass das dort unten eine Frau ist?« Seine schleppende Stimme und seine Haarspaltereien gingen ihr auf die Nerven.
»Weil sie lange blonde Haare hat. Und außerdem trägt sie leuchtend blauen Lidschatten.«
»Könnte doch auch ein Schwuler sein«, konterte Dan.
»Sie sieht aus wie eine Frau, und sie wurde ermordet ...«
»Ermordet«, echote Dan nachdenklich. »Wie kommen Sie darauf?«
»Weil sie hier auf dem Krankenhausgelände verscharrt wurde. Jemand wollte die Leiche verschwinden lassen.«
»Oder er konnte sich keine Beerdigung leisten. Die werden auch immer teurer. Pfefferminz?« Er hielt ihr eine zerknüllte Papiertüte unter die Nase.
»Nein, danke«, sagte sie förmlich.
»Sie müssen viel lockerer werden, Constable ...«
»Grady. Michelle Grady, Sir.« Sie richtete sich zu ihrer vollen Länge von einem Meter siebzig auf.
Er fuhr sich mit den Fingern durch das helle, schütter werdende Haar und blickte zum Tor hinüber, durch das soeben ein verbeulter blauer Kombi kam.
»Das ist der Forensiker. Kennen Sie Patrick O’Kelly?«
»Nicht persönlich, Sir.« Michelle hatte zahlreiche Geschichten über Patrick O’Kelly gehört, und alle bestätigten sich bei der Pflicht-Autopsie, an der sie, wie alle Polizeineulinge, hatte teilnehmen müssen.
»Dann steht Ihnen ja noch ein Vergnügen bevor.« Dan Evans schob sich ein weiteres Pfefferminzbonbon zwischen die Lippen, bevor er die Tür von O’Kellys Wagen öffnete, der auf dem Rasen angehalten hatte.
»Was gibt’s denn?« O’Kelly stieg aus und hievte eine ramponierte Holzkiste vom Rücksitz.
» Ein Gesicht, teilweise erkennbar, in einer frisch ausgehobenen Grube«, erwiderte Dan knapp. »Constable Grady glaubt an einen Mord.«
»Könnte auch jemand gewesen sein, der sich die Beerdigungskosten sparen wollte.«
»Das habe ich auch gesagt.«
»Ist der Polizeikrankenwagen schon da?«
»Noch nicht.«
»Ich lege trotzdem schon mal los.« O’Kelly schaute auf den umliegenden Rasen. »Wer ist denn hier herumgetrampelt?« Er warf einen argwöhnischen Blick auf Michelle.
»Der Lehrling, der das Loch gegraben hat, die Patientin, die ihm die Anweisung dazu gab, der Gärtner. Und ich«, zählte Michelle auf.
»Welche Patientin hat dem Lehrling was für eine Anweisung gegeben?«, fragte Dan.
Michelle zog ihr Notizbuch aus der Tasche und blätterte darin herum. »Eine gewisse Mrs. Vanessa Hedley behauptet, sie hätte gesehen, wie jemand vorletzte Nacht eine Leiche im Garten vergraben hat. Das Pflegepersonal auf ihrer Station hat ihr nicht geglaubt, und als sie auf ihrer Behauptung bestand, haben sie sie ruhiggestellt. Nach Aussage des Klinikleiters, Mr. Tony Waters, ist Mrs. Hedley aufgrund ihrer Krankengeschichte nicht glaubwürdig. Sie durfte ihr Zimmer erst heute Morgen wieder verlassen. Sie beschaffte sich einen weißen Kittel, um sich als jemand vom Personal zu tarnen. Dann kam sie hierher und befahl einem der Gärtnerlehrlinge, ein Loch zu graben ...«
»Und der hat einer Insassin gehorcht?«, fragte O’Kelly ungläubig.
»Er hielt sie für eine Ärztin«, erinnerte Michelle ihn.
»Das bringt mich ganz durcheinander«, mischte sich Dan ein. »Wer hat hier eigentlich das Sagen?«
Patrick schob sich die Brille höher auf die Nase und zog ein Paar Gummihandschuhe an.
»Ich bin genau in die Fußstapfen von Mrs. Hedley und dem Lehrling Dean Smith getreten und habe dafür gesorgt, dass keiner dem Loch zu nahe kam«, sagte Michelle dienstbeflissen.
»Kommst du mit, Dan?« O’Kelly ging über den Rasen.
