Die Treuhand -  - E-Book

Die Treuhand E-Book

0,0

Beschreibung

Die Treuhandanstalt steht für viele Menschen für all das, was bei der Wiedervereinigung Deutschlands schiefgelaufen ist. Vor allem in Ostdeutschland ist sie zum Synonym geworden für Ausverkauf, Raubzug und Willkür, also vieles, was bis heute mit den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung verbunden ist. In diesem Buch berichten 17 Akteurinnen und Akteure aus dem Inneren der nach wie vor umstrittenen Behörde. Vorstände, Referentinnen oder Abteilungsleiter erzählen von langen Arbeitstagen, schwierigen Rahmenbedingungen und großem öffentlichem Druck. Sie erinnern sich an die ersten Arbeitstage, an die enge Zusammenarbeit im Kollegium und an überraschende Details zu bekannten Privatisierungsfällen in Ostdeutschland. Es kommen mehrere Vorstandsmitglieder zu Wort, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Personalbereich, der Öffentlichkeitsarbeit, der Rechtsabteilung oder den regionalen Niederlassungen. Die Erinnerungen an die Arbeit innerhalb der Treuhand fügen insofern der Debatte um ihr Wirken eine weitere wichtige Perspektive – nämlich die von innen – hinzu.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 564

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Editorischer Hinweis: Für die Aussagen der Gesprächspartnerinnen und -partner in den Interviews sind diese verantwortlich. Es war den Herausgebern nicht möglich, jedes Erinnerungsdetail zu überprüfen.

Umschlagabbildung: Eingang der Treuhandanstalt am Alexanderplatz in Berlin, 25.01.1991 (Quelle: IMAGO / Detlev Konnerth, Bild-Nr. 0058978796)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der

Freigrenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage

© 2024 mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)

www.mitteldeutscherverlag.de

Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

ISBN 978-3-96311-933-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Olaf Jacobs

Die Treuhandanstalt – Perspektiven auf eine Behörde

Michael Schönherr

Interviews

Hero Brahms

– Vorstand (1991–1994)

Alexander Koch

– Personalvorstand (1990–1992)

Brigitta Kauers

– Abt. Grundsätze, Pressestelle u. a. (1990–1994)

Wolf Klinz

– Vorstand (1990–1994)

Detlef Scheunert

– Direktor (1991–1994)

Hans-Jürgen Meyer

– Direktor (1991–1994)

Hartmut Maaßen

– Leiter Unternehmensentwicklung (1991–1994)

Alexander Graf Matuschka

– Abteilungsleiter (1990–1994)

Wolf Schöde

– Leiter Öffentlichkeitsarbeit (1990–1994)

Maxie Böllert-Staunau

– Mitarbeiterin Personalabteilung (1991–1993)

Hans Richter

– Leiter Stabstelle Recht (1991/92)

Petra Wiedmann

– Bereich Privatisierung, Halle (Saale)/Berlin (1991–1994)

Martin Ahrens

– Direktor für Finanzen und Beteiligungen/Leiter, Schwerin (1990–1994)

Christian Böllhoff

– Vorstandsassistent von Wolf Klinz (1991–1994)

Richard J. Flohr

– Referent/Abteilungsleiter Privatisierung/Verkauf, Halle (Saale) (1991/92)

Norbert Thiele

– Referent IT/Controlling (1991–1994)

Angelika Kirchner

– Teamleiterin Exportfinanzierung (1991–1994)

Chronik der Treuhandanstalt

Abkürzungsverzeichnis

Bildnachweis

Vorwort

An wohl keiner anderen Stelle war der Transformationsprozess im Zuge der deutschen Wiedervereinigung so konkret wie in der Treuhandanstalt. Als eine Art Staatsholding fasste sie Betriebe und Vermögen, welches im sogenannten Volkseigentum der DDR stand, in sich zusammen. Mehr als vier Millionen Menschen arbeiteten überall in Ostdeutschland in diesen Betrieben.

Der Beitritt der DDR zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde von der damals in Verantwortung stehenden Politik gern als der „Königsweg“ zur deutschen Einheit bezeichnet. Für die Treuhandanstalt bedeutete er, dass binnen kürzester Zeit die Anpassung der von ihr verwalteten Betriebe an ein ganz neues Wirtschaftssystem erfolgen musste. Der Wandel von der sozialistischen Planwirtschaft hin zur sozialen Marktwirtschaft wurde hier konkret. Dass die meisten der Betriebe darauf in keiner Weise vorbereitet waren, zeigte sich schnell – und das veränderte die Rolle der Treuhand.

Ursprünglich gegründet wurde sie noch von der letzten SED-Regierung unter Hans Modrow, um „das Volkseigentum zu wahren“ und die Betriebe des Landes in die neue Zeit zu führen. Von der Bewahrerin des Volksvermögens der DDR wurde sie schnell zu der Einrichtung, in der die ökonomische Krise der DDR in ihren letzten Jahren mit voller Wucht sichtbar wurde. Die Treuhand hielt Betriebe am Leben, privatisierte, sanierte oder schloss sie. An jeder einzelnen Entscheidung hingen Erwerbsbiografien, Menschen, Einkommen und Schicksale. Genau das gab der Treuhandanstalt trotz ihrer nicht einmal vierjährigen Geschichte eine emotionale Aufladung, die bis in die Gegenwart reicht.

Die Treuhand ist zum Synonym für den wirtschaftlichen Niedergang in den neuen Ländern, für die biografische Entwertung von Ostdeutschen und die negativen Erfahrungen in den ersten Jahren der deutschen Einheit geworden. Dass sie in einem politischen Rahmen agierte, wird dabei häufig ebenso vergessen wie die weitgehend unbeantwortete Frage nach den möglichen Alternativen.

Bis heute ist die Erzählung über die Treuhandanstalt weitgehend die Erzählung der direkten und der ihr zugeordneten Folgen ihres Wirkens. Was weitgehend fehlt, ist die Perspektive aus der Treuhandanstalt selbst. Hinter jeder Entscheidung standen neben dem politischen Rahmen auch hier Menschen. Viele waren gekommen, weil sie mitgestalten wollten, sich in den Dienst der neuen Zeit stellten und am größten gesellschaftlichen Umbruch der Nachkriegsgeschichte mitwirken wollten, und das in einer Behörde, von der frühzeitig klar war, dass sie nicht lange existieren sollte.

Es ist an der Zeit, auch diese Perspektive in die öffentlichen Betrachtung stärker einzubringen, weil sie das Bild vom Prozess der deutschen Wiedervereinigung um eine wertvolle Facette ergänzt.

Das unter dieser Prämisse entstandene Buch besteht aus Gesprächen mit ehemaligen Mitarbeitenden der Treuhandanstalt, ergänzt um eine zeitgeschichtliche Einführung von Michael Schönherr.

Der Bericht derer, die seinerzeit mitgestaltet haben, erinnert auf bewegende Weise an ökologische Verhältnisse, an Arbeitsbedingungen und einen Raubbau an Ressourcen, die heute unvorstellbar sind. Dass dem bis heute eine fragwürdige Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in Elitepositionen ebenso gegenübersteht, wie eine kaum umzukehrende demografische Entwicklung und eine Deindustrialisierung, die nicht allein durch die Zeit geheilt werden kann, verleugnet diese Perspektive nicht. Sie hilft jedoch, die Gegenwart Ostdeutschlands besser verstehbar zu machen.

Es ist das Privileg des Rückblicks, mehr zu wissen als seinerzeit im beschriebenen Moment. In diesem Fall erfolgt der Blick auf die Zeit der Treuhandanstalt mit Nachdenklichkeit, oft mit einem tiefen Verständnis für die nachfolgenden Entwicklungen, auch mit Humor und immer als ein Bericht von einer unglaublichen Zeit des eigenen Lebens.

Das vorliegende Buch ist in enger Verbindung mit einem Schwerpunkt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur entstanden. Die im Buch enthaltenen Interviews sowie eine größere Anzahl weiterer Gespräche sind dort als zeithistorische Dokumente archiviert. Zeitgleich mit dieser Publikation erscheint eine Serie von Podcasts – einige der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner dieses Buches finden sich darin wieder.

Damit schließt sich eine Lücke in der bisherigen Betrachtung der Arbeit der Treuhandanstalt. Die konsequente Innensicht war bisher nicht erzählt, auch weil einige von denen, die sie hätten erzählen können, gezögert haben, sie zu öffentlich zu machen. Deshalb gilt ein besonderer Dank zunächst all denen, die für die Gespräche bereitstanden.

Dank gilt darüber hinaus Matthias Hoferichter der die Interviews in akribischer Arbeit vorbereitet und geführt hat, Michael Schönherr und Matthias Buchholz für die Redaktion sowie Dr. Kurt Fricke vom Mitteldeutschen Verlag für Lektorat und Betreuung.

Olaf Jacobs

Januar 2024

Die Treuhandanstalt – Perspektiven auf eine Behörde

Michael Schönherr

Treuhand – es gibt kaum ein Schlagwort, das so sehr die Wahrneh-mung bestimmt, inwieweit die deutsche Wiedervereinigung als gelungen gilt oder nicht. Sie wirkt rückblickend oft wie ein Monolith der Zeitgeschichte, der stets polarisiert, zumindest aber Emotionen hervorruft. Dahingehend liegt die Treuhand schwer auf dem Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland, wie ein Ballast, der nicht so leicht abzuwerfen ist.

Allein, dass jene Behörde, die die DDR-Betriebe ab 1990 in die Marktwirtschaft überführen sollte, nach über 30 Jahren noch immer heftig umstritten ist, noch immer erforscht und besprochen wird, offenbart, dass zumindest offene Fragen zu klären sind. Das Urteil über sie ist oft entweder vernichtend oder wohlwollend. Grautöne gibt es nicht. Die Beurteilung hängt auch davon ab, aus welcher Perspektive der Blick auf ihre Funktion, ihre Aufgabe und ihr Wirken fällt.

Für viele Ostdeutsche ist die Treuhand bis heute ein argumentativer Heimathafen für Unzufriedenheit über die Folgen der deutschen Wiedervereinigung, in den sie immer wieder gerne zurückkehren. Treuhand-Forscher Marcus Böick war der Erste, der diesem Rückzugsort einen modernen Namen gab: „Man könnte von einer erinnerungskulturellen Bad Bank sprechen, mit der vor allem die ostdeutschen Generationen, die die Arbeit der Organisation bewusst erlebt haben, ihre negativ besetzten Umbruchserfahrungen symbolisch in Verbindung setzten.“

Die Enttäuschung über die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft nach dem Ende der DDR-Planwirtschaft war groß nach all den Hoffnungen und Erwartungen im Rausch der Einheitseuphorie, nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland. In Ostdeutschland jedoch war die Enttäuschung viel größer, war der Alltag doch geprägt von Abwicklung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Schätzungsweise 80 Prozent der vormals in der DDR Beschäftigten wurden in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung entlassen, mussten auf einen anderen Beruf umschulen oder wurden in den Vorruhestand geschickt. Statt der von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ gab es überfüllte Flure in den Arbeitsämtern der damals noch neuen Bundesländer. Neben dem persönlichen Erleben sorgten die Massenentlassungen, medienwirksame Skandale um Privatisierungsbetrug und die Abwicklung von großen Traditionsmarken für zunehmende Kritik an der Treuhand. Hierbei wurde die jahrzehntelang bewährte Qualität von DDR-Produkten und das teilweise jahrhundertealte Industrieerbe betont, verbunden mit einem gewogenen Blick auf die größtenteils verschlissenen DDR-Betriebe. Auf der anderen Seite dieser kritischen, eher ostdeutschen Perspektive standen von Anfang an die Verteidiger der Treuhand, allen voran die Führungsspitze um Detlev Rohwedder und später Birgit Breuel sowie weitere Direktoren und Manager und nun vermehrt auch ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für sie hatten der SED- Sozialismus und die marode DDR-Planwirtschaft abgewirtschaftet. Die überdimensionierten, schwerfälligen Industriekombinate hatten viel zu viele Beschäftigte, die viel zu wenig zur Wertschöpfung beitrugen, angestellt, um eine Vollbeschäftigung vorzugaukeln, die in Wahrheit keine war. Die Betriebe, die der Sozialismus im Osten hinterlassen hatte, waren nach dieser Lesart extrem veraltet, ökologisch am Ende und insgesamt oft schrottreif. Dies vermischte sich freilich mit der allgemeinen Wahrnehmung von der DDR, in der graue Straßenzüge langsam verfielen, Dampfloks aus Vorkriegszeiten den Fernverkehr bedienten und Fahrzeuge im Design der 1960er über die Straßen knatterten.

In den letzten Jahren kamen im Zuge innerdeutscher Dialoge und Aufarbeitungsprozesse weitere Stimmen und Ansichten zumeist westdeutscher Herkunft hinzu. Einer der Ausgangspunkte war die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 und der nachfolgende Aufstieg der AfD in Ostdeutschland. Es brachen alte Wunden im Ost-West-Verhältnis offen zutage, inklusive gegenseitigem Unverständnis, offener Ablehnung und zunehmend aggressivem Ton. Als 2019 wieder einmal der Stand der deutschen Einheit bilanziert wurde, nutzten einige westdeutsche Publizisten die Gelegenheit, dem „Ostgejammer“ etwas entgegenzusetzen und verteidigten die Arbeit der Treuhand als alternativlos, missverstanden und letztendlich erfolgreich.

Die zahlreichen Positionierungen und Stimmen trafen von Beginn an in Medien aufeinander, die den bipolaren Konfliktherd Treuhand schlagzeilenträchtig aufzugreifen wussten. Allein das „Medienarchiv“ über die Treuhand, das diese 1994 digitalisiert veröffentlichte, enthielt über 100.000 Einzelbeiträge.

Für eine sachlichere Einordnung der Treuhandanstalt lohnt es sich, drei Aspekte nicht außer Acht zu lassen. Zunächst war sie erstens kein unabhängiger Akteur mit uneingeschränkter Handlungsmacht, sondern unterlag als „bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts“ der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesfinanzministeriums. Sie war also organisatorisch, personell und ideell eingebettet in einen politischen Kontext, nämlich den der gerade wiedervereinigten Bundesrepublik mit ihrer christlich-liberalen Bundesregierung unter Helmut Kohl. Zweitens liegt ihre Existenz zeitlich nach dem Ende des Kalten Krieges, einer globalen Systemkonfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus, die der Erstgenannte für sich entscheiden konnte. Dieser westlich dominierte Kapitalismus befand sich zudem in einer neoliberalen Phase, geprägt von Privatisierungen großer Staatsbetriebe. Die Privatisierungsbehörde für Ostdeutschland agierte daher auch eingebettet in einer bestimmten weltwirtschaftlichen Lage mit dynamischen Märkten. Drittens sind die oben genannten vielfältigen Perspektiven mitzudenken, aus denen das Wirken der Treuhand betrachtet wird und wurde, ob aus damaliger oder aus gegenwärtiger Sicht, ob von innen oder von außen.

Die Entstehung der Treuhand

Im Zuge der friedlichen Revolution im Herbst 1989 und der immer wahrscheinlicher werdenden Wiedervereinigung wurde bald deutlich, dass Realsozialismus und Planwirtschaft in der DDR ein Ende haben und die Marktwirtschaft eingeführt werden würde. In dieser Zeit waren die DDR-Betriebe bereits in einem starken Umbruch begriffen, mit gewerkschaftlichen Demokratisierungsversuchen und Produktionsausfällen. Durch die Zuwendung zur Markwirtschaft der BRD galt es, tausende der sogenannten volkseigenen Betriebe (VEB) der DDR in Kapitalgesellschaften umzuwandeln und auf den freien Markt vorzubereiten. Am Ende waren es in der Treuhand rund 8.500 VEBs in 370 Kombinaten, von der Schiffswerft bis zur Autowerkstatt, vom Maschinenbaukombinat bis zur Tageszeitung.

Wie das ablaufen könnte, skizzierte eine kleine Gruppe oppositioneller Wissenschaftler um den Kirchenhistoriker Wolfgang Ullmann, die am 12. Februar 1990 eine „Kapital-Holding-Treuhandgesellschaft“ vorschlug, die die Rechte der DDR-Bevölkerung am „Gesamtbesitz des Landes“ sichern sollte. Anteilsscheine am Staatsbesitz, also an den VEBs, sollten ausgereicht werden. Auch wenn dies so nicht umgesetzt wurde, die Holding „Treuhandanstalt“ kam.

Ließ sich schon 1990 auf das Abenteuer Treuhand ein, Alexander Graf Matuschka

Am 1. März 1990 erließ die DDR-Regierung den „Beschluß zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“. Auf der Basis von zwei Regierungsverordnungen sollte sie die Aufgabe übernehmen, die DDR-Betriebe zu Kapitalgesellschaften umzubauen, dabei aber das Volkseigentum zu „wahren“ und „willkürliche ungesetzliche Veräußerungen“ zu verhindern. Nicht in den Geschäftsbereich der Treuhand fielen volkseigene Vermögen, die sich „in Rechtsträgerschaft der den Städten und Gemeinden unterstellten Betriebe und Einrichtungen“ befanden, „sowie das volkseigene Vermögen der als Staatsunternehmen zu organisierenden Bereiche und durch LPG genutztes Volkseigentum“.

Eine schwierige Aufgabe

Als kurz nach ihrer Gründung, mit dem Ergebnis der ersten freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990, endgültig feststand, dass die DDR zügig dem Grundgesetz der Bundesrepublik beitreten würde, wurde auch die Aufgabe der Treuhand klarer umrissen: Bereits in dieser Zeit waren für die gesamte DDR Millionenhilfen aus dem Westen nötig, weswegen von der Bundespolitik Eile bei der Privatisierung gefordert wurde. Egal ob Chefetage oder Großraumbüro – die Aufgabe in den Räumen der Treuhandanstalt am Alexanderplatz war gigantisch: In wenigen Jahren sollten über 8.000 DDR-Betriebe privatisiert und die Volkswirtschaft eines ganzen Landes umgebaut werden. Um hierfür schnell Investoren zu finden, beschloss die letzte Volkskammer der DDR am 17. Juni 1990 das „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens“ (Treuhandgesetz), das in Verbindung mit dem Einigungsvertrag vor allem auf Privatisierung und Verkauf der Betriebe zielte.

Rund vier Millionen Menschen, also fast die Hälfte aller in der DDR Beschäftigten, bekamen fast über Nacht die Treuhand zur neuen Arbeitgeberin. Auch dies machte das Wirken der Treuhand zu einer kollektiven Erfahrung vieler Ostdeutscher. Jede Entlassung und jeder Unternehmensumbau war mit ihrem Namen verbunden – und damit auch jeder Protest und jede Nachrichtenmeldung über einen kriselnden DDR-Betrieb. Selbst nach Privatisierungen und erfolgreichen Verkäufen an neue Eigentümer konnte der Treuhand bei einem Misserfolg eine Mitschuld gegeben werden.

Dabei war die Ausgangslage der Unternehmen mehr als schwierig. Die Sicht auf die DDR-Wirtschaft wird bis heute von veralteten, maroden und die Umwelt zerstörenden Industriestandorten geprägt. Tatsächlich konstatierte dies bereits eine „Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen“, das sogenannte Schürer-Papier, vom 30. Oktober 1989. Gerhard Schürer war seit 1965 der Vorsitzende der Zentralen Plankommission der DDR und damit Herr über die Planwirtschaft. Nach der Absetzung Erich Honeckers analysierten er und andere Fachleute den Zustand der DDR-Wirtschaft. In dem Bericht, der als Offenbarungseid galt und grundlegende Wirtschaftsreformen forderte, wurde unter anderem der Verschleißgrad von Maschinen und Anlagen angegeben, z. B. in der Industrie mit 54 Prozent, im Bauwesen mit 67 Prozent und dem Verkehrswesen mit 52 Prozent. Die Herstellung von Produkten war vergleichsweise aufwändig, wenig produktiv und kaum weltmarktfähig. Dass die DDR dennoch so viel exportieren konnte, lag daran, dass sie innerhalb der Weltwirtschaft und gegenüber dem westlichen Kapitalismus ein Billiglohnland war. Trotz all dieser Faktoren kursierte 1990 eine Bilanzsumme der DDR-Wirtschaft in Höhe von 600 Milliarden DM – ein „Wert“, den auch Detlev Rohwedder selbst kommunizierte und der enorme Erwartungen in Politik und Wirtschaft schürte.

Die Hoffnung – auf beiden Seiten –, in Ostdeutschland „schon in wenigen Jahren blühende Landschaften“ zu erschaffen, wie es Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Ansprache am Vorabend des 3. Oktober 1990 formulierte, schwand schnell. Denn bereits einen Tag zuvor, am 2. Oktober 1990, teilte die Treuhand den 5.700 Beschäftigten des weltbekannten Dresdner Kameraherstellers Pentacon mit, dass der Betrieb geschlossen werden müsse. Marktanalysen ergaben, dass man gegen die Konkurrenz aus Asien nicht überlebensfähig sei. Diese erste große Betriebsschließung kam zur Unzeit, da am selben Abend am Brandenburger Tor die deutsche Wiedervereinigung gefeiert wurde.

Die maßgebliche Ursache für die schwierige Lage von Pentacon und anderen Betrieben lag einige Monate früher. Denn die eigentliche wirtschaftliche Wiedervereinigung Deutschlands brachte bereits die Einführung der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990. Im Rahmen der weitreichenden Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen beiden Staaten verschärfte sich über Nacht die ungünstige Ausgangslage der DDR-Betriebe. Denn nach einer längeren politischen Debatte wurde auf Drängen von Bundeskanzler Helmut Kohl – und der Bürgerinnen und Bürger in der DDR – ein Umrechnungskurs von 1 : 1 für Löhne, Gehälter, Renten und Mieten angesetzt. Für Sparguthaben galt der Kurs je nach Alter für Mindestbeträge von 2.000 bis 6.000 DDR-Mark. Größere Beträge konnten nur im Kurs von 2 : 1, teilweise 3 : 1, von Mark der DDR in D-Mark getauscht werden. Die meisten Ostdeutschen begrüßten diesen Umtauschkurs, da er ihre Löhne und Renten stark erhöhte und damit auch die Kaufkraft. Insofern war die Einführung der D-Mark auch eine sozialpolitische Entscheidung.

Einige Wirtschaftsexperten warnten jedoch im Vorfeld vor einem 1 : 1-Kurs, weil die Ausgaben der Betriebe für Produktion und Personal explodieren und der Export ins Ausland erschwert würden. Und genau das trat ein: Die Betriebe, die bereits unter Schulden, Umweltbelastungen und veralteter Technik litten, hatten nun noch höhere Ausgaben. Es war die neue Eigentümerin Treuhandanstalt, und damit der Bundeshaushalt der Bundesrepublik, die schließlich die daraus resultierenden Verluste zu tragen hatte.

Personal aus dem Westen

Vor diesem Hintergrund sandte die Bundesregierung ab Sommer 1990 erfahrene westdeutsche Manager wie Detlev Rohwedder in die Führungspositionen der Treuhandanstalt. Rohwedder war Chef des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch und machte sich in Westdeutschland einen Namen als knallharter Manager und Sanierer. Er baute den Konzern in den 1980er Jahren um und richtete ihn neu aus. Mit dieser Erfahrung war er frühzeitig ein Kandidat der Bundesregierung für das höchste Amt in der Treuhandanstalt. Nachdem er im Juli 1990 von der letzten DDR-Regierung zum Vorsitzenden des Treuhand-Verwaltungsrates ernannt wurde, übernahm er bereits im August die Funktion als Treuhandchef.

Dr. Wolf Klinz kam mit über zwei Jahrzehnten Wirtschaftserfahrung zur Treuhand

Tausende weitere Westdeutsche bekamen Posten in der Zentrale in Berlin oder in den Regionalstellen, um mit ihrer Erfahrung mit dem bundesdeutschen Modell die Marktwirtschaft in der DDR erfolgreich umzusetzen und die Betriebe vor dem Untergang zu retten. Ob als Berater oder festangestellt, sie waren es, die die Betriebe umbauen, modernisieren, Beschäftigte entlassen oder die Betriebe ganz abwickeln sollten. Nach einer ersten Bewerbungsphase, in der zunächst ältere, erfahrenere Unternehmer gewonnen wurden, die zum Ende ihres unternehmerischen Schaffens eine neue Herausforderung annehmen wollten, musste die Treuhand zunehmend jüngeres, wenig erfahrenes, aber hochmotiviertes Personal anheuern. Dabei wurden sogar ganze Absolventenjahrgänge von westdeutschen Hochschulen angeworben, für die die Treuhand zum Karrieresprungbrett werden sollte. Beispielsweise waren laut einer Studie von 1993 die Referenten mit westdeutscher Herkunft im Schnitt 32 Jahre, die aus dem Osten 46 Jahre alt.

Viele Manager, die in die ostdeutschen Betriebe fuhren, die sich ein Bild von der Lage machen sollten, die auf die Betriebsleitung und Beschäftigten trafen, hatten also wenig oder keine Erfahrung im Umgang mit verunsicherten Belegschaften oder mit wirtschaftlichen Krisensituationen wie diesen. Dabei trafen sie nicht selten auf sehr erfahrene, fachlich hochqualifizierte und engagierte Betriebsangehörige. Dass dies zu zwischenmenschlichen Konflikten in den ostdeutschen Betrieben führen musste und letztendlich auch führte, war sogar einigen älteren und erfahrenen Treuhandvorständen bewusst. Obwohl 1992 nur gut 30 Prozent der Treuhandbelegschaft aus dem Westen stammte, prägte dieser spezifische Personenkreis früh das Bild vom sogenannten Besserwessi (Wort des Jahres 1991) und erzeugte nachhaltig Misstrauen im Osten. Hier wurzelten die Klischees vom Sportwagen fahrenden, Trenchcoat tragenden und Parfum umwehten „Wessi“, der mit hohen Provisionen und Tagessätzen in den Osten gelockt wurde, um dort die Betriebe umzukrempeln oder zu schließen.

Dass die zusätzliche Bezahlung umgangssprachlich im Westen auch noch quasikolonialistisch „Buschzulage“ genannt wurde, war ein weiterer Aspekt für das im Osten empfundene Machtgefälle gegenüber dem Westen, verbunden mit dem Erleben von Ostdiskriminierung. Diese Schlagseite schwang auf vielen Ebenen im Prozess der Wiedervereinigung mit: Schon das weltpolitische und weltgeschichtliche Momentum beim Fall des „Eisernen Vorhangs“ war zu begreifen als Ende des Kommunismus mit seiner ineffizienten Plan- und Mangelwirtschaft und als Sieg der liberalen, marktwirtschaftlichen Demokratien mit ihrer prosperierenden Marktwirtschaft nebst Konsumgesellschaft. Neben dieser globalen Perspektive ist in Deutschland unter anderem auch die Verfassungsfrage zu nennen. Nach einer langen Debatte im Jahr 1990, ob das wiedervereinigte Deutschland eine neue Verfassung erhalten sollte, die von allen Deutschen in einer gemeinsamen Volksabstimmung zu bestätigen wäre, kam es am Ende doch zum Beitritt der DDR zum Gebiet des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des damaligen Grundgesetzes. Hinzu kamen die Übernahmen der D-Mark, des Sozialsystems, des föderalen politischen Systems, des Rechtswesens, des Schulsystems, des Sportfördersystems usw. usf. Dies war Teil der allgemeinen Stimmung und wirkte sich sicherlich auf das Selbstverständnis und das Auftreten der Menschen aus.

Die Treuhandbelegschaft – aber auch alle anderen am Transformationsprozess Beteiligten – hatte kein Wissen, wie man eine Planwirtschaft erfolgreich in eine Marktwirtschaft umwandelt. Ein Lehrbuch hierfür gab es nicht. In der Gründungs- und der Aufbauphase wurden Varianten von DDR-Wirtschaftsreformen diskutiert, aber nach der Volkskammerwahl 1990 und durch das von der Bundespolitik geforderte Tempo gab es keine Atempause oder den politischen Impuls für die Erarbeitung einer volkswirtschaftlichen Gesamtstrategie. Einzelne Vorschläge wie eine Sonderwirtschaftszone, zum Beispiel mit protektionistischen Maßnahmen oder einer eigenen Währungspolitik, wie sie in anderen osteuropäischen Staaten möglich waren, wurden nicht ernsthaft ins Auge gefasst und hatten keine politische Mehrheit. Sie hätten in Ostdeutschland als Teil der Bundesrepublik aber auch nur schwer umgesetzt werden können. Wie er sich die Privatisierung vorstellte, skizzierte Treuhandchef Rohwedder in einem intern „Osterbrief“ genannten Schreiben an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am 27. März 1991. Die Devise „Schnelle Privatisierung, entschlossene Sanierung, behutsame Stilllegung“ bedeutete, die Betriebe vor dem Verkauf zunächst zu sanieren.

Führungs- und Strategiewechsel

Nur wenige Tage nach diesem Schreiben, am Ostermontag, dem 1. April 1991, wurde auf Detlev Rohwedder ein Attentat verübt, das er nicht überleben sollte. An seinem Wohnhaus in Düsseldorf fielen spät in der Nacht mehrere Schüsse, bereits der erste war tödlich. Nach einem Staatsakt im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin übernahm die frühere niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel den Platz an der Spitze der Treuhand. Sie setzte andere Schwerpunkte und fuhr eine gegensätzliche Linie, wollte „Privatisieren vor Sanieren“ und erhöhte in nur kurzer Zeit das Tempo beim Verkauf der Betriebe.

Mit Birgit Breuel, hier im Gespräch mit Hartmut Maaßen, änderte sich die Ausrichtung der Treuhandanstalt

Inwieweit sich das Privatisierungsgeschehen mit dem Führungswechsel veränderte, zeigt eine Datenanalyse von 2023. Die Auswertung zeigt auch deutlich das Arbeitspensum der zwischenzeitlich rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhand in den ersten Jahren. Bereits im ersten Monat unter Birgit Breuel wurden so viele Betriebe verkauft wie in dem halben Jahr zuvor unter Detlev Rohwedder. Es waren teilweise bis zu 500 Entscheidungen pro Monat über Abwicklungen, Privatisierungen und Reprivatisierungen. Während Rohwedder und andere Treuhandmanager 1990 noch von einer langjährigen Aufgabe ausgingen, war bis Ende 1992 bereits ein Großteil der Betriebe an Investoren gegangen und damit auch die Verantwortung für Sanierungen, Entlassungen und Umstrukturierungen.

Es stand außer Frage, dass die ostdeutschen Betriebe Investitionen in Millionen-, ja Milliardenhöhe benötigen würden, um unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu überleben. In den Augen Birgit Breuels sollten dies vor allem die investierenden Unternehmen selbst leisten, nicht der deutsche Staat. Damit folgte die CDU-Politikerin einem neoliberalen Trend, der seine Wurzeln in den USA und Großbritannien hatte und zu zahlreichen Privatisierungen öffentlicher Unternehmen in den 1980er und 1990er Jahren führte. Auch die konservativ-liberale Regierung unter Helmut Kohl, seit 1982 Bundeskanzler, folgte diesem Trend und privatisierte unter anderem die Bahn, die Telekommunikation und die Post. Exakt in eine solche wirtschaftspolitische Phase fiel das Ende der DDR und die Privatisierung ihrer Betriebe.

Investitionen westdeutscher Unternehmen im Osten

Die für den wirtschaftlichen Umbau benötigten Investoren suchten die Treuhand und die Bundesregierung zunächst vor allem in Westdeutschland. So gingen beispielsweise die großen SED-Tageszeitungen, die Kinos, die Brauereien oder die Zuckerfabriken an die in den jeweiligen Branchen führenden westdeutschen Unternehmen. Die alten DDR-Staatsmonopole sollten nicht durch neue Monopole ersetzt werden. Dennoch wirkte der flächendeckende Verkauf an Westunternehmen vielerorts wie ein „Ausverkauf der DDR“. Bis 1994 wurden rund 85 Prozent der großen Ostbetriebe an westdeutsche Unternehmen, 10 Prozent an ausländische Investoren und nur 5 Prozent an Ostdeutsche verkauft. Den Ostdeutschen, die sich für die Übernahme eines Betriebes interessierten und den unternehmerischen Mut mitbrachten, fehlte es schlicht an Startkapital. Denn in der DDR war es nicht möglich gewesen, ein hierfür nötiges Vermögen oder andere finanzielle Sicherheiten aufzubauen. Gleichzeitig glaubten die zumeist westdeutschen Entscheiderinnen und Entscheider in der Treuhand lange Zeit, die Ostdeutschen seien nicht in der Lage, „ihre“ Unternehmen selbst zu führen. Auch die Banken sahen das in der Regel so und vergaben Kredite nur, wenn neben einem ostdeutschen Interessenten ein in der Marktwirtschaft erfahrener westdeutscher Manager mit in der neuen Geschäftsführung saß.

Diese Bevorzugung westdeutscher Käuferinnen und Käufer war im Nachhinein einer der vielen Kritikpunkte. Zum Beispiel fragte sich mit Blick auf die genannten Zuckerfabriken, Kinos oder einige Brauereien kaum jemand, ob diese nach gewiss notwendigen Investitionen auf eigene Faust marktfähig gewesen wären. Alternative Privatisierungs- und Verkaufsstrategien wurden nicht diskutiert. Bei vielen Branchen streckten die westdeutschen Interessenten bereits kurz nach dem Mauerfall ihre Fühler aus, wie bspw. die Steigenberger-Hotelkette, die schon im Juli 1990 ein Joint-Venture mit den Interhotels der DDR abschloss, das für Steigenberger extrem lukrativ war. Die Treuhandspitze um Rohwedder stoppte den Deal, um die Interhotels gut vorbereitet zum Verkauf auszuschreiben und mehr Geld einzunehmen.

Detlef Scheunert bei der Unterzeichnung eines Privatisierungsvertrages

Auch dass potenzielle ostdeutsche Unternehmer nicht ernst genommen wurden, muss auf lange Sicht als suboptimal angesehen werden. Zum einen wurde zum Teil das bis heute bestehende Klischee vom Besserwessi verstärkt, der den Ostdeutschen nichts zutraut. Zum anderen bremste dies möglicherweise auch eine unternehmerische Dynamik für eigenständige Entwicklungen ostdeutscher Unternehmen. Dass es auch anders ging, zeigten Erfolge wie die des heutigen Sekt-Marktführers Rotkäppchen-Mumm aus Freyburg an der Unstrut.

Damit die Verantwortung für die Sanierung der Betriebe möglichst schnell vom Staat an die Investoren übergehen konnte, war der Zeitdruck bei der Privatisierung enorm hoch. Nach den Regeln des Marktes sinken die Preise beim Überangebot einer Ware – in diesem Fall waren es die Ostbetriebe, die für dieses Überangebot sorgten und keine kostendeckenden Preise erzielen konnten. Viele davon wurden in der Eile für lediglich eine symbolische D-Mark verkauft, sobald der Investor bestimmte Arbeitsplatzgarantieren zugesagt hatte. Im Gegenzug flossen häufig Fördermittel für Investitionen, vor allem aber für die Sanierung ökologischer Altlasten.

Von den kurzfristig ausgehandelten Deals profitierten einige Unternehmen auch langfristig. Da sich manch großer Konzern aus Westdeutschland Vertriebs- oder Produktionsstätten in den ostdeutschen Bundesländern zulegte – teilweise auch potenzieller Konkurrenz entledigte –, erweiterten sich Absatzmärkte in Richtung Ostdeutschland oder Osteuropa. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen sind noch heute spürbar: Ostdeutschland ist nach wie vor geprägt von sogenannten verlängerten Werkbänken des Westens, also Produktionsstätten westdeutscher oder ausländischer Konzerne. Ein Beispiel ist die deutsche Automobilindustrie mit ostdeutschen Fabriken der Marken Volkswagen, Opel, Mercedes-Benz, Porsche oder BMW. Laut einer Liste des „Manager Magazins“ von 2019 hatten zu diesem Zeitpunkt von den 500 größten Unternehmen Deutschlands nur 16 ihren Sitz in den fünf ostdeutschen Flächenländern, 13 von diesen waren zudem im Besitz westdeutscher oder ausländischer Eigentümer. Die übrigen drei waren öffentliche Versorgungsunternehmen. Trotz zahlreicher Startups konnte in Ostdeutschland noch keine vergleichbare Unternehmenslandschaft entstehen, wie sie in Westdeutschland besteht.

Betriebsschließungen und Massenentlassungen

Trotz großer Anstrengungen hat die Treuhand für tausende Ostbetriebe keine Abnehmer und auch keine nachhaltige Lösung für ihren Erhalt gefunden. Durch die geringe Produktivität und die Verteuerung der Produkte durch die D-Mark hatte sich Anfang der 1990er Jahre auch die gesamtwirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Die Weltwirtschaft stagnierte und litt unter Überproduktion. Außerdem brachen die Exportmärkte weg, vor allem in Osteuropa und in der Sowjetunion, die Anfang der 1990er unter politischem Chaos zerfiel. Die Betriebe dort mussten schließen oder kauften nach dem Fall des Eisernen Vorhangs lieber westeuropäische Maschinen als die nun teureren Maschinen aus Ostdeutschland. Rund ein Drittel der Unternehmen, darunter viele große Industriebetriebe mit tausenden Arbeitsplätzen, musste die Treuhand abwickeln.

Im Zuge solcher Betriebsschließungen erschien die Treuhand fast täglich in den Schlagzeilen, zumal gleichzeitig immer mehr Menschen entlassen wurden. Von den rund vier Millionen Beschäftigten, die zu Beginn der Treuhandtätigkeit in den Betrieben gezählt wurden, blieben 1994 noch 1,5 Millionen übrig. Die meisten Berufstätigen in Ostdeutschland hatten in 40 Jahren Planwirtschaft erlebt, dass sie stets einen Arbeitsplatz bekommen, manchmal sogar ihr Leben lang im selben Betrieb arbeiten konnten. Nun waren sie zum ersten Mal mit der Gefahr oder dem konkreten Erleben von Arbeitslosigkeit konfrontiert, zudem auch noch in einem massiven Ausmaß. Im Kampf um ihre Arbeitsplätze war in den Augen vieler Ostdeutscher die Treuhand hauptschuldig am Niedergang „ihrer“ Betriebe. Viele Kritiker werfen ihr und der damaligen Bundespolitik bis heute vor, nicht geduldig genug gewesen zu sein und viele strukturell wichtige Betriebe nicht gerettet zu haben.

Dr. Wolf Klinz (r.) und sein Assistent Christian Böllhoff

Ein Medienereignis, das selbst international Wellen schlug, war der Fall „Bischofferode“. Am 1. Juli 1993 traten 40 Kumpel der Kaligrube „Thomas Müntzer“ in einen unbefristeten Hungerstreik, um die Schließung des Schachts zu verhindern. Vorausgegangen war eine Zusammenlegung west- und ostdeutscher Kalistandorte unter der ursprünglich westdeutschen „Kali und Salz“, bei dem auch die Grube in Bischofferode mit ihren 700 Bergleuten geopfert werden sollte. Bei der Fusion sollten tausende Arbeitsplätze gleichermaßen in West und Ost verschwinden. Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, wegbrechende Absatzmärkte und neue Kartellvorgaben führten die Treuhand zu diesem für sie logischen Schritt. Doch als der Betriebsrat von Bischofferode einen alternativen Investor vorschlug, lehnte Birgit Breuel Neuverhandlungen öffentlich ab. Dies führte zum Hungerstreik und zu einem monatelangen Medienecho, das für die Außenwirkung der Treuhand katastrophal war. Erst im Dezember 1993 fanden die Proteste ein Ende. Eine Betriebsdelegation stimmte der Schließung zu, einhergehend mit hohen Abfindungen oder befristeten Ersatzarbeitsplätzen für die Bergleute.

Datenanalysen der Treuhandtätigkeit zeigen, dass der Anteil an Abwicklungen bis 1994 immer weiter zunahm. Von den über 12.500 Betriebseinheiten, die bis dahin durch Entflechtungen der Kombinate und Betriebe entstanden waren, wickelte die Treuhand rund ein Drittel ab. 53 Prozent wurden privatisiert, also in der Regel an Investoren verkauft, und 13 Prozent an in der DDR-Zeit enteignete Vorbesitzer zurückgegeben. 2,5 Prozent wurden an Kommunen übertragen, zum Beispiel öffentliche Versorgungs- oder Verkehrsbetriebe. Dieses statistische Ergebnis nach vier Jahren liegt erstaunlich nahe an einer Projektion aus dem Mai 1990, die die DDR-Ministerien für Wirtschaft und Finanzen in Abstimmung mit der Treuhand erstellt hatten. Auf der Datenbasis von 2.200 VEBs wurden die Folgen einer Währungsunion abgeschätzt. Auch hier galten 27 Prozent als „konkursgefährdet“. Daneben erschienen 42 Prozent „mit Verlust“, „aber sanierungsfähig“ und nur 31 Prozent als sofort „rentabel“.

Die Treuhand galt als „Plattmacher“. Dabei hatte die Arbeitsmarktkrise auch ihre Wurzeln in der DDR, die im Rahmen ihrer realsozialistischen Ideologie Vollbeschäftigung anstrebte. Doch die Anstellung von Menschen mit nur wenig Arbeitsvolumen machte die hohen Beschäftigtenzahlen zur Chimäre. Daneben war die DDRWirtschaft jahrzehntelang auf eine breite Industrieproduktion ausgelegt, während sich die globale Marktwirtschaft des Westens seit Jahrzehnten hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickelte, zwar mit schmerzhaften Transformationsprozessen wie zum Beispiel im Ruhrgebiet, allerdings über einen lang gestreckten Zeitraum. In einer „Schocktherapie“ musste nun auch die ostdeutsche Wirtschaft transformiert werden, in einem viel kürzeren und damit schmerzhafteren Prozess. Den größten Beschäftigungsrückgang gab es in den Jahren nach 1990 in den Bereichen Maschinenbau (minus 81 %), Landwirtschaft (minus 78 %), Elektrotechnik (minus 78 %) und chemische Industrie (minus 33 %).

Es sind auch diese Zusammenhänge, die zeigen, dass die Arbeit der Treuhand und die damit verbundenen Entscheidungen letztlich auch abhängig von Faktoren waren, die sie selbst kaum beeinflussen konnte, von veralteten Anlagen der DDR-Betriebe, Weltmarktentwicklungen, schwieriger Investorensuche, politischen Entscheidungen bis hin zu kriminellen Umtrieben. Aus der inländischen und vor allem der ostdeutschen Perspektive war dennoch weiterhin der Akteur „Treuhand“ an fast allem schuld. Dabei war sie als Behörde dem Bundesfinanzministerium unterstellt, also Ministern und Staatssekretären, die für die Treuhand mindestens mitverantwortlich waren. Doch damals wie heute haben nicht Bundesfinanzminister Theo Waigel oder die Bundeswirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann und Günter Rexrodt im Fokus der Kritik gestanden, auch nicht der damals prägende Finanzstaatssekretär und spätere Bundespräsident Horst Köhler. Meist waren und sind es die führenden Treuhandköpfe wie Birgit Breuel.

Bei aller Kritik, es gab über die Jahre auch innerhalb der Treuhand Ideen und Versuche, die eigene Privatisierungsstrategie zu hinterfragen, allerdings nicht tiefgreifend gesamtwirtschaftlich gesehen – das war auch nicht ihre Aufgabe –, sondern eher als Antwort auf die Massenschließungen und um Betriebe zu erhalten. Dazu gehören Maßnahmen wie die sogenannten Management-KGs, die schwer vermittelbare Betriebe länger begleiten sollten, oder die Unternehmensmesse „Made in Germany“ Ende 1992 in Leipzig. Die bedeutsamste Strategie ab 1991/92, sogenannte industrielle Kerne langfristig zu sanieren und damit zu erhalten, hat einige große Industriezentren gerettet. So wurden Stahlwerke in Brandenburg und Sachsen erhalten, und auch Chemieparks wie die in Leuna oder Bitterfeld-Wolfen wuchsen in den letzten Jahrzehnten durch erhebliche Subventionen wieder – und das trotz massiver ökologischer Altlasten und hoher Kosten.

Massenentlassungen trüben die Bilanz der Treuhandanstalt

Von dem 1990 kursierenden „Wert“ der DDR-Wirtschaft waren am Ende der Treuhandanstalt nur noch Schulden übrig. Sie wurde offiziell am 31. Dezember 1994 in ihrer ursprünglichen Form aufgelöst und in die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) umgewandelt. Diese übernahm noch einige operative Aufgaben und kontrollierte beispielsweise die Einhaltungen der Privatisierungsverträge. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Verkäufe der Betriebe rund 70 Milliarden DM eingebracht. Demgegenüber schlugen fast 350 Milliarden DM als Aufwendungen zu Buche. Darunter sind jedoch auch etwa 100 Milliarden an sogenannten Altkreditforderungen, die aus den Zeiten der Planwirtschaft auf den Betrieben lasteten. Zusammen mit anderen Zahlungen blieb unterm Strich ein Schuldenberg von 204,4 Milliarden DM – also 60 Millionen Mark für jeden Tag der Treuhandtätigkeit. Birgit Breuel stellte diesem hohen Defizit 170 Milliarden DM Investitionszusagen der Käuferinnen und Käufer sowie Arbeitsplatzzusagen für 1,1 Millionen Beschäftigte gegenüber, dabei waren bei weitem nicht alle davon bei Nichteinhaltung mit Vertragsstrafen bewehrt.

Doch der Verkauf an Investoren unter den genannten Bedingungen bedeutete nicht immer die nachhaltige Rettung des Betriebes oder der Arbeitsplätze. Viele gingen zum Beispiel durch Aufkäufe oder Fusionen in anderen Unternehmen auf. Einige der Betriebe zeigten sich langfristig nicht konkurrenzfähig genug oder wurden inzwischen als Tochterfirmen zugunsten anderer Standorte aufgegeben. Auch nach solchen späteren Betriebsauflösungen fühlten sich einige Beschäftigte unter Umständen von der Treuhand betrogen. Dabei hat die Behörde während ihres Bestehens selbst mit zahlreichen Betrugsfällen zu kämpfen. Hierfür richtete die Bundesregierung eigens eine Behörde namens ZERV (Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität) ein. Diese sollte die verbreitete Wirtschafts kriminalität im Zuge der Privatisierung verfolgen und musste am Ende in gut 4.000 Fällen ermitteln. Bei nur 128 dieser Verfahren kam es zu rechtskräftigen Urteilen. Die Schadenssumme wurde auf bis zu 26 Milliarden DM geschätzt.

Langfristige Folgen für Ostdeutschland

Die Folgen der friedlichen Revolution seit dem Herbst 1989 und die deutsche Wiedervereinigung bedeuteten für Ostdeutschland einen massiven Umbruch, gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Dies unterstreichen verschiedene Kennzahlen. So ging die ostdeutsche Industrieproduktion in wenigen Jahren um fast drei Viertel zurück, also mehr als nach den beiden Weltkriegen. Für die gesamte ostdeutsche Wirtschaft, die stark auf den Industriesektor basierte, war das ein beispielloser Strukturwandel. Die Folgen wie Massenarbeitslosigkeit, Unsicherheit, Existenzangst und fehlende berufliche Perspektiven prägten jene, die direkt betroffen waren, aber auch nachwachsende Generationen. So sank ab 1990 die Geburtenrate auf ein Rekordtief, während gleichzeitig Millionen junge und gut ausgebildete Ostdeutsche nach Westdeutschland zogen, wo sie sichere Arbeit und höhere Löhne erwarteten. Viele Regionen, zum Beispiel Bayern, profitierten von diesem Fachkräftezuzug ohne Sprachbarriere.

Die gesamte Region Ostdeutschland ragt bis heute bei vielen innerdeutschen Datenvergleichen heraus und ist in ihrer Demografie sogar im globalen Vergleich auffällig: Hier gibt es weit weniger junge Frauen, weniger Kinder und ein höheres Durchschnittsalter als in den meisten Teilen der Welt. Vor allem im ländlichen Raum sind die Zahlen extrem. In einigen Landkreisen ist der Männerüberschuss einer der größten in Europa. In Folge des massiven Bevölkerungsrückgangs verschwanden Schritt für Schritt auch die Infrastruktur, von der Bahn- oder Busanbindung über Postämter oder Bankfilialen bis zum Supermarkt.

Erinnerungstasse an die Treuhandtätigkeit des Unternehmensbereichs 4 Dienstleistungen mit den Namen privatisierter volkseigener Betriebe

Diese Entwicklungen seit der Wiedervereinigung hinterließen auch Spuren im Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland. Die wirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Kennzahlen, aber auch Umfrage- und Wahlergebnisse in Ostdeutschland werden heute auch mit dem Wirken der Treuhand in Verbindung gebracht. In Umfragen sagen viele Ostdeutsche, sie fühlten sich als „Bürger zweiter Klasse“. Einige Parteien haben das Schlagwort „Treuhand“ bereits in der politischen Kommunikation genutzt, wie die Linkspartei oder die AfD. Über die Treuhand wird wie eingangs beschrieben bis in die Gegenwart vor allem zwischen zwei Polen diskutiert. Viele, selbst jüngere Ostdeutsche, Gewerkschafter oder linke Politiker betonen, dass die Treuhand die DDR-Wirtschaft zu billig verschachert habe. Auf der anderen Seite verteidigen Ökonomen, konservativ-liberale Politiker und besonders die frühere Treuhandmitarbeiterschaft selbst ihre Praxis immer häufiger als eine Art alternativloser Schocktherapie. Die Meinungsverschiedenheiten basieren meist auf einem unterschiedlichen persönlichen Erleben. Die Ostdeutschen erlebten einen Umbruch in ihren Biografien und projizieren negative Erlebnisse nach der Wiedervereinigung auch auf die Treuhand als eine Fehlkonstruktion des Westens. Den meisten Westdeutschen dagegen fehlte das unmittelbare Erleben der rasanten Umstrukturierung durch das Wirken der Treuhand und dadurch auch das Verständnis für die Unzufriedenheit vieler Ostdeutscher. Insofern prägen sowohl das konkrete Handeln als auch das Bild von der Treuhand noch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung die gesellschaftliche Stimmung.

Die Aufgaben der Treuhand, ihre Strategien, ihr Personal und ihre Entscheidungen waren überaus vielschichtig und komplex, ebenso die Folgen für Ostdeutschland und damit letztlich die Wahrnehmung im Rückblick. Zwar hat sich die eher kritische Retrospektive nach über 30 Jahren – besonders im Zuge breiter historischer Aufarbeitung durch den Zugriff auf die Treuhandakten – langsam einer nüchternen Analyse angenähert. Zunehmend treten Emotionen, Vereinfachungen und Verklärungen in den Hintergrund. Doch das hat möglicherweise auch mit einer mittlerweile stabileren Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland und dem zeitlichen Abstand zu tun. So konstruktiv diese Tendenz für das Ost-West-Verhältnis sein mag, so zeigt der lange Zeithorizont doch auch, wie tief der Stachel noch sitzt und wie lange die komplette erinnerungskulturelle Aufarbeitung noch auf sich warten lassen könnte. Auch das hängt sicherlich von der jeweiligen Perspektive ab.

Quellen und Literatur

Behling, Klaus: Die Treuhand. Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte, Berlin 2019.

Beschluß zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) vom 1. März 1990, https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/DC_20_I_3_2922_0065.pdf (10.01.2024).

Böick, Marcus: Die Treuhand. Idee – Praxis – Erfahrung. 1990–1994, Berlin 2020.

Böick, Marcus: „Die Treuhand hat uns plattgemacht!“ – „Im Osten war aber alles Schrott!“, in: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/dossiers/fakten-meinung-mythen-die-ddr-als-projektionsflaeche/treuhand (10.01.2024).

Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: Die Treuhand und die Folgen, https://treuhandanstalt.online (10.01.2024).

Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990, https://www.gesetze-im-internet.de/treuhg/TreuhG.pdf (10.01.2024).

Jacobs, Olaf (Hg.): Treuhand – Ein deutsches Drama, Halle 2020.

Jarausch, Konrad H.: Die unverhoffte Einheit. 1989–1990, Frankfurt am Main 1995.

Kohl, Helmut: Rundfunk- und Fernsehansprache von Bundeskanzler Helmut Kohl vom 2. Oktober 1990, https://www.chronik-der-mauer.de/material/180425/rundfunk-und-fernsehansprache-von-bundeskanzler-helmut-kohl-2-oktober-1990 (10.01.2024).

Kowalczuk, Ilko-Sascha: Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde, München 2019.

Schürer, Gerhard u. a.: Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen, Vorlage für das Politbüro des Zentralkomitees der SED vom 30. Oktober 1989 (Schürer-Papier), https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/w5.grenze.1989_10_30_PB_Vorlage_Schuerers_Krisen_Analyse_BArch_DY%2030_J_IV_2_2A_3252.pdf (10.01.2024).

Seibel, Wolfgang: Verwaltete Illusionen. Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990–2020, Frankfurt am Main 2005.

Statut der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) vom 15. März 1990, https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/DC_20_I_3_2935_0120.pdf (10.01.2024).

Treuhandanstalt (Hg.): Dokumentation 1990–1994, Berlin 1994.

Hero Brahms

„Es war eine Erfolgsgeschichte, die Privatisierung. Daran mitgewirkt zu haben, das können Sie mit keinem Job der Welt ausgleichen.“

Hero Brahms wurde 1941 in Münster geboren. Nach seiner Banklehre hat er Betriebswirtschaftslehre in München und Münster studiert. Anschließend arbeitete er viele Jahre bei der Hoesch AG und war dort eine Zeit lang persönlicher Mitarbeiter von Detlev Karsten Rohwedder. Von Juni 1991 bis November 1994 war er als Vizepräsident der Treuhandanstalt zuständig für den Unternehmensbereich Schwermaschinenbau. Nach der Zeit in der Treuhand war Brahms als Vorstands-oder Aufsichtsratsmitglied bei verschiedenen Konzernen wie der Kaufhof Holding AG, der Bremer Vulkan AG oder der Linde AG tätig.

Herr Brahms, gibt es Dinge, die Sie früh im Leben geprägt haben, bei denen Ihnen später klargeworden ist, hier ist der Zug aufs Gleis Richtung Treuhandanstalt gesetzt worden?

Ja, ich habe mich sehr früh für betriebswirtschaftliche Dinge interessiert. Angeregt durch die Tätigkeit meines Vaters, der auch nicht dagegen war, dass ich ihn ab und zu in seiner Firma besuchte. Später durfte ich sogar einen Anzug anziehen und dann auf die Hauptversammlung der Gesellschaft gehen. Das hat mich schon sehr, sehr früh wirtschaftlich geprägt, und das ist dann geblieben.

Wie ging der berufliche Findungsprozess weiter?

Nach dem Abitur wollte ich unbedingt eine Banklehre machen. Das war damals Mode, um sich dann aufs Studium vorzubereiten. Danach habe ich angefangen zu studieren, Betriebswirtschaftslehre in München fünf Semester und dann noch mal den Abschluss in Münster. 1969 habe ich mir gesagt, jetzt fängst du an zu arbeiten, und bin dann zu Hoesch in Dortmund gegangen. Das war dann eigentlich eine sehr schöne Zeit, die ich bei der Hoesch AG verbracht habe, bis auf das Ende. Das war dann nicht so schön.

Was ist denn da passiert?

Das hatte dann schon mit der Treuhandanstalt zu tun. Detlev Rohwedder, damals Vorsitzender des Vorstands bei Hoesch, drängte es nach einer neuen Herausforderung. Dann kam die Wiedervereinigung, und Rohwedder war der ideale Kandidat, um sich um dieses Thema zu kümmern. Er wurde zunächst Verwaltungsratspräsident der Treuhandanstalt und wurde dann gebeten, das Präsidialamt, also die operative Führung der Treuhandanstalt, zu übernehmen. Das war im Herbst 1990. Dann kam der Tag, an dem Rohwedder ermordet wurde, am 1. April 1991. Das Ergebnis war der Beginn meiner Tätigkeit bei der Treuhandanstalt. Weil a) die Politik wusste, dass ich bei Hoesch wohl aufhören würde, b) dass ich einen guten industrieerfahrenen Ruf hatte in der Wirtschaft. Die Politik wollte dann, dass Frau Breuel Präsidentin wird, ihr aber als Ersatz für Rohwedder ein industrieerfahrener weiterer Manager zur Seite gestellt wird.

Sie waren dann Vizepräsident der Treuhand vom Juni 1991 bis November 1994. Was hatten Sie denn ursprünglich für eine Beziehung zur DDR?

Also, wenn ich ehrlich bin, gar keine. Im Gegensatz zu Rohwedder und meinem Verkaufsvorstand, die immer zu den Messen fuhren und ein Messebild mitbrachten – also wenn Sie so wollen ein geschöntes Bild der DDR –, bin ich nicht in die DDR gefahren. Das hatte einen einfachen Grund: Ich war der Sicherheitsbeauftragte bei Hoesch. Hoesch produziert unter anderem auch wehrtechnisch relevante Teile. Ich war sogenannter Geheimnisträger, und deswegen bin ich nie in die DDR gefahren. Familienmäßig war ich sehr wohl verbunden, weil meine Mutter aus Magdeburg stammte. Sie hatte eine Schwester und einen Schwager in Magdeburg, und ihre Mutter wohnte in Wolmirstedt, das ist bei Magdeburg. Ich muss allerdings gleich hinzufügen, dass meine Tante, also die Schwester meiner Mutter, verheiratet war mit einem Professor einer Hochschule, die für die Nachwuchskader der DDR sorgte. Und die beiden haben nie wieder einen Ton mit mir gesprochen, seitdem ich zur Treuhandanstalt gegangen bin. Danach war der Kontakt tot, und sie haben mich gehasst.

Welche inneren Beweggründe hatten Sie denn, zur Treuhand zu gehen?

Die Entscheidung habe ich als meine patriotische Pflicht empfunden, weil ich genau wusste, was auf mich zukommt. Ich habe damals meiner Familie gesagt: „Ihr seht mich jetzt die nächsten Jahre nicht mehr, ihr müsst das wollen. Ich will es, wenn ihr wollt.“ Und ich muss immer wieder sagen: Ich habe diese Aufgabe nicht nur patriotisch, sondern auch gerne gemacht, obwohl das Standing dieser Aufgabe nicht das Allerbeste war. Das muss man einfach sehen. West-deutsche Industriemanager hatten sich ziemlich rar gemacht, um da eine Rolle zu spielen. Nur die jungen Leute waren so patriotisch und wollten was bewegen. Also, ich war da schon etwas abwägender, wusste genau, was passiert. Aus der Sicht von später muss ich sagen: Es war die einmalige Chance, in einem Leben wirklich gestalterisch an einer Nahtstelle tätig zu werden, so dass das die wichtigsten und tollsten Jahre meines Lebens waren.

War Ihnen als erfahrener Industriemanager das Ausmaß dieses Transformationsprozesses, den die Treuhand leisten sollte, bewusst?

Was das bedeutete, das habe ich am Anfang nicht begriffen. Man muss auch sehen: Die Treuhandanstalt ist durch die DDR entstanden. Das heißt, der Runde Tisch hat versucht, das industrielle Volksvermögen zu bündeln, mit der Absicht, später Voucher auszugeben und die Bevölkerung der DDR am Volksvermögen zu beteiligen. Es war den Menschen aber überhaupt nicht klar, was das wirklich bedeutete, über 8.000 Unternehmen zu betreuen, aus denen dann später über 12.000 wurden, weil wir Teile abgespalten und vereinzelt haben. Die Dimension der Aufgabe und die finanziellen Folgen sind total unterschätzt worden. Auch von mir.

Welche gesellschaftspolitischen Entwicklungen muss man denn für die Arbeit der Treuhand sehen und verstehen? Zum Beispiel in Bezug auf die Einführung der D-Mark? Was war die Ausgangssituation?

Die DDR hatte beschlossen, die Treuhandanstalt einzuführen, und sie war bestückt mit Leuten, die aus der DDR-Nomenklatura kamen. Die hatten aber von Wirtschaft gar keine Ahnung. Und dann entstand ein Deus ex Machina: Die Einführung der D-Mark. Das war ein solcher Bruch der Geschichte. Das bedeutete für die Unternehmen eine Katastrophe. Denn über Nacht verloren sie ihre ganzen Exportmärkte. Der nationale Markt Ostdeutschland war klein. Und dann sollten sie gegen den Westen mit der D-Mark konkurrieren. Das war unmöglich, das war einfach total unterschätzt worden. Diese Firmen hatten null Chancen. Wir waren die größte Holding der Welt mit diesen 12.000 Unternehmen und Unternehmensleitungen und vier Millionen Beschäftigten.

Die 12.000 Unternehmen hatten durch die Einführung der D-Mark jedes Problem, was man sich überhaupt nur vorstellen kann. Sie hatten kein Rechnungswesen, kein Marketing, kein Produkt. Sie hatten eine Produktivität, die im Durchschnitt bei einem Drittel der westdeutschen Wettbewerber lag. Kein Markt mehr. Und jetzt kam eben das weitere Drama: Die DDR hat die nationalen Unternehmen finanziert durch das Sparaufkommen der Bürger. Was passierte mit dem Geld? Das Geld ging an die Staatsbank, und die Staatsbank gab es als Kredite an diese großen Kombinate und auch an die kleinen Kombinate. Und was wurde aus diesen Kombinaten? Beschäftigungsgesellschaften. Es gab keine Arbeitslosigkeit in der DDR. Also waren diese vier Millionen Leute in diesen Kombinaten beschäftigt, aber ohne die entsprechende wirtschaftliche Gegenleistung. Und das Drama für die Firmen war nicht nur, dass ihre Märkte weggebrochen sind, sondern sie standen über Nacht plötzlich ohne Liquidität da. Sie hatten Schulden bei der Staatsbank, die das Sparaufkommen der Sparer benutzte, um Kredite zu geben. Und diese Kredite und die Staatsbank gab es nicht mehr in der Sekunde, in der die D-Mark eingeführt wurde.

Dann kamen alle nach Berlin und schrien: „Geld, Geld, Geld!“ Und in Berlin wusste keiner, wer das ist. Und bei dieser Gelegenheit hat dann die Treuhandanstalt bei allen überlebensfähigen Unternehmen sehr früh, nach Prüfung natürlich, die Altschulden, die Staatsbankschulden übernommen. Das waren 100 Milliarden DM. Von dem Defizit, was wir gemacht haben, von ungefähr 240 Milliarden DM, stammen 100 Milliarden DM aus der Übernahme von Altschulden, die die Sparer über die Staatsbank an die Kombinate zur Beschäftigung und zum Verlustausgleich gegeben haben. Das muss man in diesem Zusammenhang einfach sehen, wenn man über die Geschichte der DDR redet, und das war einfach furchtbar. Und dann kamen westdeutsche Manager und haben versucht, mit westdeutschen Methoden Konzerne zu halten und zu schaffen. Das war die Ausgangssituation.

Man darf aber nicht vergessen, dass die bundesdeutsche Wirtschaft zum damaligen Zeitpunkt auch nur zu 70 Prozent ausgelastet war und es eine relativ hohe Arbeitslosigkeit gab. Die DDR hatte rund 16 Millionen Einwohner. Theoretisch gab es also überhaupt keinen Bedarf, Firmen zu erhalten. Die Bundesrepublik hätte dieses Land auch ohne DDR-Betriebe versorgen können.

Ja, das kommt noch dazu. In der Tat war die westdeutsche Wirtschaft nicht so ausgelastet. Das war eine rezessive Phase, und die haben unglaublich profitiert von dem Wiedervereinigungsboom. Und was haben diese Ostdeutschen gemacht? Völlig marktwirtschaftlich haben sie in der Tat kein einziges DDR-Produkt mehr gekauft, sondern sie haben natürlich alle einen Volkswagen gekauft und keinen Trabant mehr. Der Trabant lief mit zehn Jahren Auftragsbestand über Nacht leer und hatte keine Aufträge mehr. Die Beschäftigten standen rum. Wer war schuld? Die Treuhandanstalt. So wurde das dann gespielt. Ja, aber das war ein marktwirtschaftliches Verhalten. Und in der Tat hat die westdeutsche Wirtschaft einen Mordsboom gehabt. Und in der Tat gab es immer wieder die Bemerkungen: „Wir brauchen euch eigentlich gar nicht.“ Und dazu muss ich sagen, da hat die Treuhandanstalt den Westdeutschen was gepfiffen, weil wir alles versucht haben, auch mit sehr viel Geld, die ostdeutsche Wirtschaft und die ostdeutsche Industrie zu erhalten.

Sie waren bei der Treuhand zuständig für die Transformation in den Bereichen Schwere Maschinen und allgemeiner Maschinenbau und haben das Konzept einer Management GmbH & Co. KG entwickelt, als Auffanggesellschaft für Unternehmen, die privatisierungsfähig waren. Welche Überzeugungen standen hinter dem Konzept?

Das war eigentlich naheliegend: Wir waren angetreten mit der Grundsatzüberzeugung, dass wir unmöglich 12.000 Unternehmen sanieren können. Wohin wollen Sie eine Trabi-Fabrik sanieren? Das geht einfach nicht, sondern da musste was Neues geschaffen werden. Und deswegen waren wir beseelt von der Überzeugung, dass wir privatisieren müssen. Wir müssen die Investoren binden, mit Verträgen, die sie verpflichten, Investitionen durchzuführen, um ein Konzept zu verwirklichen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das war unsere Grundüberzeugung. Und wir waren auch überzeugt, dass wir das in vier Jahren schaffen müssen, denn je länger das dauerte, desto schwieriger würde das.

Warum genau vier Jahre?

Weil dann die Regelung über die Treuhandanstalt als Bundesanstalt des öffentlichen Rechts auslief. Das darf man nicht vergessen. Das war ein großer Vorteil. Wir unterlagen nicht den Regeln des Haushaltes. Wenn wir denen unterlegen hätten, wären wir wahrscheinlich alle straffällig geworden, weil wir gegen Dinge verstoßen haben, die man haushaltsrechtlich nicht machen kann. Ein Beispiel: Zum Wohle der Unternehmen, um die Firmen zu retten, haben wir ständig unter Liquidationswert verkauft.

Wie wurde das von der Bevölkerung aufgefasst?

Das war überhaupt das größte Problem, das den ostdeutschen Menschen nahezubringen. Das war nicht zu vermitteln, das verstehe ich auch. Firmen, in denen sie Zeit ihres Lebens verbracht haben, geschafft haben, die sie aufgebaut haben, stolz auf das Produkt waren, haben wir für eine Mark verkauft. Wenn ich mit den Leuten gesprochen habe, habe ich gesagt: „Es ist noch schlimmer: Wir haben es nicht für eine Mark verkauft, sondern wir haben noch 100 Millionen DM mitgegeben, um es für eine Mark verkaufen zu können. Damit wir seriöse Leute haben, mit Konzept, mit Vertrag, die sich verpflichten.“ Das waren schwierige Zeiten.

Welche Überlegungen standen denn hinter der Idee der Management-KGs?

Ich war zuständig für einen sogenannten Leitungsausschuss. Das war ein vom Staat eingesetztes unabhängiges Gremium mit einem neutralen Vorgesetzten, mit Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern. Das war unendlich teuer, aber notwendig. Die haben die Unternehmen von Eins bis Sechs klassifiziert. Eine Eins hatte so gut wie kein Unternehmen, eine Sechs war dann nicht mehr sanierungsfähig, musste liquidiert und abgestuft werden. Und auch wenn es eine Fünf war, haben wir gekämpft, um die Firmen trotzdem zu erhalten. Gemeinsam mit dem Team haben wir überlegt, was wir eigentlich mit Firmen machen, die überlebensfähig und sanierungswürdig sind, aber im Jahr 1994 noch nicht. Das waren insbesondere mittelständische Unternehmen. Und dann sind wir auf diese Idee gekommen, Unternehmer oder auch ehemalige Mitarbeiter zu gewinnen, solche Management-KGs zu gründen. Die haben wir mit vier, fünf mittelständischen Unternehmen ausgestattet, mit dem Ziel, sie weiter zu sanieren und dann später zu privatisieren. Und dann haben wir Incentives-Modelle dafür entwickelt. Damit haben wir etwa 25 Unternehmen in diese Management-KGs gebracht, die dann später privatisiert worden sind. Auch erfolgreich.

Wie sah so eine Abwicklung im Bereich Schwermaschinenbau genau aus? Können Sie das an einem Beispiel erzählen?

Also Abwicklung ist der völlig falsche Ausdruck. Wir haben Zukunft geschaffen für diese Firmen. Wir waren Brückenbauer in dem Sinne, dass wir versucht haben, die industriellen Unternehmen, die eine Chance hatten, zumindest vorübergehend zu erhalten, um eine neue Basis zu schaffen. Einer der Schwerpunkte dabei war der Maschinenbau, weil die ehemalige DDR und die Firmen da relativ zügig wieder wettbewerbsfähig werden konnten. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen:

Die Firma Heckert, ein großer Drehmaschinenhersteller in der DDR, der machte 1992 oder 1993 noch einen Umsatz von vielleicht 40 bis 50 Millionen DM, mit tausenden Beschäftigten. Ich habe diese Firma nicht nur persönlich besucht und gesprochen, sondern wir haben sie dreimal finanziell saniert. Das heißt, wir haben viel Geld gebraucht, immer wieder, um diese Altlasten zu bedienen, auch um das Personal dann peu à peu abzubauen, um Heckert zu erhalten. Bei der Treuhandanstalt gab es scherzhaft eine sogenannte Treuhand-Rendite, und das war bei Heckert der Fall: Wenn der Verlust der Firma nur noch so hoch war wie der Umsatz. Und das haben wir bei Heckert irgendwann erreicht, da gab es Rotkäppchen Sekt. Aber das war die Situation: Wir hatten so viele Altlasten, weggebrochene Märkte und unzureichende Produktivität, um gegen die westdeutschen Gildemeisters oder Mahos zu wettbewerben, so dass wir dann einfach immer durchgezogen haben gegen marktwirtschaftliche Regeln.

Wie genau haben Sie das durchgezogen?

Wir wollten Heckert fusionieren und verkaufen. Ich möchte die Firma in Stuttgart nicht nennen. Das Besondere dieses Falles war, dass wir Angst hatten, dass die westdeutsche Firma sich der Liquidität, die wir Heckert mitgegeben hatten, bemächtigt. Und was haben wir da gemacht, gegen Widerstand des Verwaltungsrates? Wir haben bei dem westdeutschen Unternehmen eine Kapitalerhöhung gezeichnet. Was ich dem Verwaltungsrat aber nicht mitteilen konnte, war, dass ich diese Beteiligungen bereits wieder verkauft hatte an eine Bank. Dabei sprang sogar noch ein kleines Plus raus. So sind wir vorgegangen.

Anderes Beispiel, der sogenannte Schleifring: Das war ein Kombinat, also ein kleineres, mittelständisches, hochspezialisiertes, auch technisch hervorragendes Unternehmen. Und der sehr kreative Direktor, den wir dort hatten, Herr Charbonnier, der hat diese Firmen zusammengefügt und wollte eigentlich noch westdeutsche Firmen ergänzend dazu kaufen, um daraus eine Schleifring-Gruppe zu bilden. Wir haben das mit dem Zukauf nicht mehr hinbekommen und das Konzept und diese ostdeutschen Firmen an Hauni-Körber in Hamburg, der diese großen Zigarettenmaschinen produziert, verkauft. Den Schleifring gibt es heute immer noch. Das waren also im Maschinenbau zwei praktische, kreative Beispiele.

Sehr viel schwerer war es im Anlagenbau. Da gab es keine Lösung. Und dann war es eben eine meiner Aufgaben, auch die westdeutschen Aufsichtsräte zu überzeugen, dass zum Beispiel TAKRAF als Kombinat keine Zukunft hat und dass man da auch keine Privatisierung hinbekommt. Da war es immer die Schwierigkeit, den Leuten nahezubringen, dass aus TAKRAF zehn Einheiten wurden.

Ein anderes Beispiel war die Firma SKET in Magdeburg. Ich wollte das Gleiche machen wie bei der TAKRAF. Das Kombinat konnte nicht bestehen bleiben, ein Kombinat, das Stahlwerksausrüstungen macht, Verseilmaschinen für das Herstellen großer Seile, an denen Brücken hängen, und Zementanlagen. Dafür gab es keine große Lösung, das ging nur vereinzelt. Und dort haben sich die Belegschaft und auch die Gewerkschaft – ich will mich mal vorsichtig ausdrücken – sehr unkooperativ verhalten. Ich bin dort öffentlich aufgetreten und sollte Rede und Antwort stehen – da flog dann schon mal ein Ei.

Gab es denn jemanden, der dafür Verständnis hatte oder das unterstützt hat?

Die Leute, die am meisten Kenntnis von den Unternehmen hatten und wussten, dass, wenn es ums Überleben geht, Opfer gebracht werden müssen, auch personelle Opfer – das waren die Betriebsräte. Die Betriebsräte waren meistens akademisch gebildet. Die hatten sich kurzfristig etabliert, hatten eine sehr hohe Kenntnis. Mit denen war sehr vernünftig und sehr gut zu reden. Eigentlich muss ich sagen, nur mithilfe der Betriebsräte ist es gelungen, diese vielen Lösungen hinzubekommen, die wir dann gefunden haben für diese Unternehmen.

So wie Sie das eben gerade gesagt haben, klingt das so, als wenn Sie bei Betriebsräten im Westen weniger akademische Bildung vorgefunden hätten?

Ja, da hat man die unternehmerischen Interessen manchmal hintangestellt. Nicht immer, aber manchmal schon.

Wie war denn die Atmosphäre, als Sie im Frühsommer 1991 zur Treuhand kamen? Es war gerade mal drei Monate her, dass Rohwedder ermordet wurde, mit dem Sie über viele Jahre lang eng zusammengearbeitet hatten. Sie hatten das Attentat mitbekommen. Die Anfeindungen, das Image der Treuhand – das war ja ein negatives Bild.

Also die Atmosphäre war zwiegespalten. Innerhalb der Treuhandanstalt habe ich ein sehr motiviertes, kollegiales Team vorgefunden, was also überhaupt kein Verständnis hatte für das, was außen passierte. Und das ist auch wieder nachvollziehbar: Die Ermordung Rohwedders und der Druck auf Rohwedder.

War es Ihnen klar, dass das möglicherweise ein Kamikazeunternehmen war?

Ja, das war natürlich auf der einen Seite ein Kamikazeunternehmen. Wenn jemand erschossen wird, dann lässt das die Führungscrew nicht gerade locker zurück. In der Tat muss ich ehrlich sagen, dass ich mir darüber aber keine Gedanken gemacht habe. Ich bin am Anfang geschützt worden, hatte eine gepanzerte Limousine und musste andere Wege fahren, auch in Dortmund. Aber ich war da sehr fatalistisch, wenn es denn sein muss, dann ist es halt so!

Sie sagten, die Stimmung sei zwiegespalten gewesen?

Genau, die öffentliche Stimmung vor dem Zeitpunkt, an dem Rohwedder ermordet wurde, war katastrophal. Das heißt, die Zeitungen haben draufgehauen, die Politik hat draufgehauen. Die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten, die jeden Montagmorgen wutentbrannt aus ihren Wahlkreisen kamen und dort nur mit Klagen überhäuft wurden, was wir für Idioten sind und was wir alles verkehrt machen. Die kamen wutentbrannt und ließen dann auch ihre Wut in Berlin und Bonn ab. Also die Stimmung war so aggressiv, da passt die Ermordung dann schon rein. Die Theorien sind ja unterschiedlich. Ich persönlich glaube, dass es tatsächlich die RAF war, die geglaubt hat, dass dann die DDR noch mal ein zweites Leipzig oder einen zweiten Montag macht. Das war, glaube ich, der Hintergrund. Davon bin ich zumindest persönlich überzeugt. Danach hat sich das Klima etwas entspannt, auch der mediale Druck. Ich bin also, wenn Sie so wollen, in einer Phase zur Treuhandanstalt gekommen, wo es sich etwas versachlichte.

Die mediale Berichterstattung hat auch enormen Druck aufgebaut. Was war Ihre Rolle in der Kommunikation, und wie würden Sie das im Nachhinein einschätzen?

Ich habe Vorträge gehalten vor der journalistischen Gesellschaft und habe ihnen aus meiner Sicht die Dinge geschildert, wie ich sie sehe. Und das Ergebnis dieser Darstellung war, dass die Journalisten mir gesagt haben: „Einer lügt hier, entweder Berlin oder Sie.“ Die haben das auch aus der Distanz gesehen. Vor Ort hatten die ein völlig anderes Weltbild, da war die Treuhandanstalt gleich Mist.

Sie waren weltweit unterwegs, um Vorträge zu halten und Investo ren zu finden. Wie lief das ab?

Wir waren eine Anstalt des öffentlichen Rechts, ungefähr wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW-Bank. Unter dem Namen Treuhandanstalt konnten wir uns selbst finanzieren, mit Garantie des Bundes. Und dafür haben wir dann auch unglaubliche Mengen an Anleihen überall auf der Welt ausgegeben. Davon musste man Investoren überzeugen. Die mussten ja wissen und verstehen, was diese Treuhandanstalt da eigentlich macht und welche Risiken damit verbunden sind, auch als Finanzier. Und dafür bin ich dann öfter in Tokio, in New York, auch in Europa und Gott weiß wo gewesen.

Wieso hat sich das für Investoren gelohnt?

Wenn der Coupon bei der Bundesrepublik Deutschland, sagen wir mal, bei 5 Prozent lag, dann haben wir 5,1 Prozent geboten. Aber das muss man den Leuten erst klarmachen, dass damit keine Besonderheiten und keine Nachteile verbunden sind. Ich bin auch in China gewesen, um auch Chinesen dafür zu interessieren, sich vielleicht das eine oder andere in Ostdeutschland anzusehen, ob das nicht eine Plattform wäre für den Aufbau einer chinesischen Basis.

Und wie war die Resonanz im Ausland?

So schlecht das Image der Treuhandanstalt in Deutschland war, so viel Bewunderung habe ich im Ausland erfahren. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Leute haben nicht für möglich gehalten, dass wir über Nacht die größte Holding der Welt geworden sind, beseelt sind davon, Firmen, die jedes Problem dieser Welt haben, zu privatisieren und dabei auch Geld mitzugeben, um eine bestmögliche Lösung und ein Konzept zu haben. Sich allein dieser Aufgabe zu stellen, hat wirklich Bewunderung hervorgerufen. Ich habe an Hochschulen in New York geredet. Die Leute haben es gar nicht glauben können, was ich da erzählt habe.

Also hat es gut funktioniert, die Finanzierung?

Wir haben die Anleihen alle gut platziert. Wir hatten ein sehr erfahrenes Finanzteam. Heute heißt das Treasurer, aber damals war das eine sehr gut geführte Finanzabteilung, die sehr kreativ war. Und denen habe ich geholfen.

Wie muss ich mir denn so Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Wann ging das los, wann hat der geendet?

Schrecklich. Eine brutale Zeit. Ich bin froh, dass ich das überlebt habe, also rein physisch. Ich bin morgens um 7.30 Uhr in die Treuhandanstalt gefahren, über verschlungene, immer wieder mal neue Wege, weil das das Sicherheitskonzept so vorsah. Dann bin ich bis 21 oder 22 Uhr geblieben. Häufig bin ich damals noch nach Dortmund gefahren, um am Samstag zu Sitzungen zu fahren. Es gab einen harten Kern des Verwaltungsrates, der ja jeden Monat tagte und auch wichtige Entscheidungen abhaken und genehmigen musste.

Zur Vorbereitung, aber auch um bestimmte delikate, schwierige, auch politisch schwierige Dinge zu besprechen, gab es außerdem sehr häufig Sitzungen am Wochenende in Bonn, in Köln, in Berlin, mit Teilen des Verwaltungsrates, auch den Staatssekretären, die dort waren, und Frau Breuel und mir. Wenn Sie das einmal nicht gemacht haben, dann kam ich zu Hause an wie ein Harvard-Student, hatte zwei große, dicke Aktenordner zu lesen.

Am Dienstag war immer Vorstandssitzung. Ich fühlte mich für alle industriellen Belange verantwortlich, und es kam zu wichtigen Kreditentscheidungen. Wir haben als Zentralvorstand nur Firmen betreut, wenn die mehr als 100 Millionen DM Kreditbedarf hatten. Darunter durften die Direktoren oder die Niederlassungen entscheiden.

Was war mit den Entscheidungen über 100 Millionen DM Kreditbedarf?