Die Trollhöhle - Daniel Sigmanek - E-Book

Die Trollhöhle E-Book

Daniel Sigmanek

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Beschreibung

Als Tado erwartungsvoll seinen ersten Auftrag entgegennimmt, ahnt er noch nicht, in welchem Ausmaß dieser schließlich ausufern würde: Der Lord des Feuers, ein übermächtiger Magier, hat es vollbracht, ein riesiges Heer aus Trollen und anderen Kreaturen zu bekehren, die nun in seinem Namen den Kontinent Gordonien überfallen und seine Bewohner versklaven. So sieht sich Tado plötzlich mit dieser gewaltigen Macht konfrontiert, denn der Lord hat keinen geringeren Ort als die Trollhöhle zu seiner Festung auserkoren - Tados Ziel. Nachdem sich fast der gesamte Kontinent in den Händen des finsteren Magiers befindet, liegt in Tado bald schon die einzige Hoffnung, ihn zu vernichten und Gordonien zu retten; eine Aufgabe, der er allein nicht gewachsen ist. Der Weg zur sagenumwobenen Trollhöhle führt ihn durch blutige Schlachten und setzt ihn Gefechten mit finsteren Kreaturen aus, die die Welt der Fantasy bis jetzt noch nicht gesehen hat. Dies ist der erste Band einer Trilogie.

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Seitenzahl: 728

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Die Herren von Telkor

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Die Trollhöhle

Impressum

Die Herren von Telkor – Die Trollhöhle

Daniel Sigmanek

Copyright: © 2013 Daniel Sigmanek

Umschlaggestaltung: © 2013 Daniel Sigmanek

2. Auflage, 2016

Die Trollhö[email protected]

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Published by: epubli GmbH, Berlin

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt meinem Vater, der mich fortwährend zum Weiterschreiben animierte und nicht unerheblich an der Korrektur der endgültigen Version beteiligt war.

Der Auftrag

Es regnete. Schon seit Stunden ergossen sich riesige Wassermassen über die niedrigen Häuser und Straßen und verwandelten den vormals trockenen Boden zusehends in Schlamm. Mächtige, dunkelgraue Wolken verdeckten den Himmel und vereitelten jegliche Versuche der warmen Sonnenstrahlen, sich bis zur Erde vorzutasten. So war es trotz des erst wenig vorangeschrittenen Tages bereits sehr dunkel und allem Anschein nach würde bald ein heftiges Gewitter aufziehen.

Tado störte all dies nicht. Er ging ruhig, aber dennoch schnell durch die verlassenen, unbefestigten Straßen, denn kein Mensch und kein Tier wagten sich bei diesem Wetter hinaus. Er hielt sich dicht an den Häuserwänden, sodass die wenig hervorstehenden Holzdächer ihn wenigstens ein kleines bisschen vor den Wassermassen schützten. Leider funktionierte dieser Plan nicht sehr gut, und so stand er schließlich völlig durchnässt vor einem breiten, etwas höheren Gebäude. Hier arbeiteten die Botschafter. Sie überbrachten Nachrichten oder wertvolle Objekte von einer Stadt zur anderen, sie waren eine Elitegruppe, vom Erfolg ihrer Aufträge konnte die Entscheidung über Krieg oder Frieden abhängen.

Lange hatte Tado auf diesen Tag gewartet. Schon als er noch sehr klein war, wünschte er sich, später einmal Botschafter zu werden. Nun hatte er endlich das nötige Alter erreicht, um sich der Aufnahmeprüfung zu unterziehen. Mit einem Gefühl von Freude und Angst betrat er das große Gebäude, in dessen Innern eine angenehme Wärme herrschte. Durch das wenige Licht, das von draußen herein schien, wirkte die Halle, in der er sich nun befand, unfreundlich und unbewohnt. Ein älterer Mann führte ihn eine Treppe hinauf. Vermutlich wurde er schon erwartet. Sie betraten einen kleinen Raum, der nahezu gänzlich von einem Tisch und drei Stühlen ausgefüllt wurde. Auf einem dieser Stühle saß jemand, den Tado nur allzu gut kannte und dessen Anwesenheit ihn mit Unbehagen erfüllte: Haktir.

Haktir war ein Jahr älter als er und daher schon seit einiger Zeit Botschafter. Innerhalb weniger Monate war es ihm gelungen, so weit aufzusteigen, dass er nun nicht mehr selbst Aufträge erfüllen musste, sondern diese lediglich verteilte. Und genau das stellte das Problem dar. Tado und er verstanden sich nicht sehr gut, genauer gesagt verband sie eine abgrundtiefe Feindschaft.

„Du bist vier Minuten zu spät“, schleuderte ihn Haktir an den Kopf, noch bevor er den Raum überhaupt betreten hatte. Er saß auf einem der Stühle, die Füße lagen auf der Tischplatte. Missbilligend sah er Tado an.

„Du bist durchnässt“, stellte er schließlich fest. Der alte Mann, der ihn hierher geleitet hatte, bedeutete dem Neuankömmling, sich zu setzen, und nahm indes seinerseits Platz.

„Ja, immerhin regnet es draußen“, antwortete Tado, bemerkte jedoch wenig später, dass seine Aussage völlig überflüssig war, da sich auf der gegenüberliegenden Seite der Tür ein großes Fenster befand, durch das man den Wassertropfen zusehen konnte, wie sie auf den Straßen eine Pfütze nach der anderen bildeten.

„Ich weiß“, entgegnete Haktir. „Darum habe ich den Termin für dieses Gespräch doch auch genau für heute festgelegt.“

Tado ertrug geduldig die Sticheleien seines Gegenübers. Er befand sich zurzeit in der niedrigeren Position, und er wollte auf keinen Fall Gefahr laufen, durch seine Aufnahmeprüfung zu fallen, noch bevor diese überhaupt begonnen hatte.

„Da ich nicht sonderlich erpicht auf deine Gesellschaft bin, lass uns das ganze abkürzen“, fuhr Haktir fort. In Tado machte sich ein Gefühl der Aufgeregtheit breit.

„Deine Aufnahmeprüfung besteht aus einem simplen Auftrag. Wenn du diesen erfolgreich beendest, wirst du zum Botschafter erklärt.“

Er atmete innerlich erleichtert auf. Ehrlich gesagt hatte er Schlimmeres erwartet.

„Was für ein Auftrag ist das?“, fragte Tado, wurde jedoch, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, von Haktir unterbrochen: „Es geht um eine kleine Schatulle. Sie wurde vor einiger Zeit gestohlen, als Trolle unser Dorf überfielen. Sie brachten sie tief in die Trollhöhle im Norden und bewahrten sie dort zusammen mit anderen Schätzen auf. Gerüchten zufolge geriet ihre Schatzkammer irgendwann in Vergessenheit, aus einem bis heute ungeklärten Grund. Die Schatulle muss also noch dort sein. Wenn du sie heil zurückbringst, hast du deinen Auftrag beendet.In der Zwischenzeit soll sich dort übrigens eine Person, die sich Lord des Feuers nennt, eingerichtet haben. Du gehst ihr besser aus dem Weg.“

„Und was befindet sich in dieser Schatulle?“, wollte Tado wissen.

„Das hat dich nicht zu interessieren. Ich gebe dir einhundert Tage. Die Zeit läuft ab morgen. Wenn du bis dahin nicht zurückgekehrt bist, ist deine Chance, Botschafter zu werden, für alle Zeit verwirkt.“

Erfüllt von Euphorie und Tatendrang vergaß Tado, weitere Fragen zu stellen, beispielsweise wusste er nicht einmal, wo genau sich die Trollhöhle befand. Stattdessen gab ihm Haktir eine Zeichnung der zu suchenden Schatulle und bedeutete ihm unmissverständlich, den Raum zu verlassen.

Als die Tür sich wieder schloss, erhob zum ersten Mal der alte Mann die Stimme und richtete sie an Haktir: „Was ist das für ein merkwürdiger Auftrag? Der letzte Angriff der Trolle ist weit über zwanzig Jahre her, damals lebtest du noch gar nicht. Wie kannst du davon wissen?“

„Du hast Recht. Der letzte Angriff liegt weit zurück. Ich habe in einem Buch darüber gelesen, und auch über die verschwundene Schatulle“, entgegnete Haktir.

„Aber dieser Auftrag ist viel zu gefährlich für einen Anfänger. Du weißt doch, dass es keine Ausbildung für einen Botschafter gibt.“

„Ja. Wer bei seinem ersten Auftrag erfolgreich ist, wird angenommen, wer versagt, wird aussortiert. Tados Auftrag ist nicht schwieriger als all die anderen.“

Der alte Mann ließ es nicht dabei bewenden: „Aber es gibt Gerüchte, dass die Trollhöhle von einer finsteren Macht beherrscht wird, der nichts und niemand gewachsen sein soll. Es wird sein sicherer Tod sein, wenn du ihn gehen lässt.“

„Wie es scheint, kann ich dir nichts vormachen“, meinte Haktir, nicht sonderlich überrascht. „Selbstverständlich weiß ich von den Gerüchten, ebenso wie ich weiß, dass sie wahr sind. Die Macht geht von dem Lord des Feuers aus. Tado wird von diesem Auftrag nicht mehr wiederkehren.“

„Aber warum schickst du ihn in den Tod?“

„Die Gründe dafür kannst du nicht verstehen, alter Mann. Doch früher oder später werden wir alle sterben. Die Macht ist nicht mehr aufzuhalten. Dennoch soll er der erste sein, der ihr zum Opfer fällt.“ Haktir sprach diese Worte mit einem ausdruckslosen Gesicht. Etwas schien ihn zu betrüben.

„Das kann ich nicht zulassen“, meinte der alte Mann entschlossen und wollte zur Tür gehen.

„Bei meinem ersten Auftrag vor einem Jahr lernte ich eine Gruppe Waldmenschen kennen“, sagte Haktir, den Blick aufs Fenster gerichtet. Der alte Mann hielt inne. „Sie lehrten mich, einen begangenen Mord zu verschleiern. Wenn du also den Versuch unternehmen solltest, ihn irgendwie zu warnen, dann seid ihr beide schon morgen nur noch zwei leblose Hüllen, verscharrt unter den Wurzeln eines alten Baumes in der Nähe der südlichen Sümpfe.“

Der alte Mann verließ den Raum wortlos.

Tado hatte das Gespräch zwischen ihm und Haktir nicht mehr mitbekommen, zu schnell war er zurück auf die noch immer den herabstürzenden Wassermassen ausgesetzten Straßen gegangen.

Zuhause angekommen, holte er einen verstaubten Rucksack hervor, den ein reisender Händler einmal als Geschenk zurückgelassen hatte, befreite ihn vom Dreck, und füllte ihn mit Dingen, die er für seine Reise als wichtig erachtete. Dazu gehörten unter anderem ein Seil, falls er irgendwo eine Klippe hinuntersteigen musste, denn er beabsichtigte, um Zeit zu sparen, den Weg durchs Mauergebirge zu nehmen, eine Axt zum Holzfällen, die ihm als Waffe diente, eine Decke, ein Messer und Verbandszeug. Er steckte nur sehr wenig Proviant ein, sodass er schon nach wenigen Tagen auf die Jagd würde gehen müssen - eine Tätigkeit, die er bisher noch nicht einmal im Ansatz beherrschte.

Tado verspürte große Aufregung über das, was auf ihn zukommen mochte. Aus diesem Grund ging er an diesem Abend ungewöhnlich früh schlafen, ehe die Sonne, die sich nach vielen Stunden endlich wieder durch die schweren Regenwolken gekämpft hatte, ihre letzten Strahlen hinter dem Horizont verbarg.

Noch bevor der erste Hahn krähte, schreckte er hoch. Es war noch mitten in der Nacht, da aber im gesamten Dorf keine Lichter mehr brannten, musste es gegen vier Uhr sein.

Er hatte einen merkwürdigen Traum gehabt. Er schwebte über der Erdscheibe, die zur einen Hälfte aus Feuer und zur anderen aus Eis bestand. Unter sich sah er zerstörte Städte und Horden von gigantischen Kreaturen und dann rauschte etwas mit gewaltigen Flügeln über seinem Kopf hinweg und...

Das war es auch, was ihn geweckt hatte: Das Schlagen von Flügeln. Tado stand auf. Vorsichtig wankte er zum Fenster, um nach der Ursache für das Flattern zu suchen. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihm den Atem stocken. Riesige Fledermäuse, deren Schwingen eine Spannweite von ungefähr zwei Armlängen haben mussten, flogen zu tausenden über die nassen Holzdächer, und dass sie nirgendwo anstießen, glich einem Wunder. Inmitten des Getümmels stand eine Person. Sie trug einen schwarzen Umhang und blickte in seine Richtung. Tado atmete schneller - zumindest versuchte er das. Es war, als hätten seine Lungen plötzlich Löcher bekommen. Er konnte einatmen, so viel er wollte, er bekam keine Luft. Gleich würde er ersticken. Nein, zuerst vielleicht in Ohnmacht fallen, dann wäre sein Tod nicht ganz so grässlich. Gleich...

Mit einem Hustenanfall kam er wieder zu sich. Es schien nur ein Traum gewesen zu sein. Das beruhigte ihn zunächst.Vielleicht hätte ihm dieser jedoch eine erste Warnung auf das Bevorstehende sein sollen, stattdessen tat er ihn jedoch nur als Nebenprodukt seiner Aufregung ab.

Unsicher prüfte Tado schließlich, ob er wieder normal atmen konnte. Er lag noch immer im Bett, allerdings schien draußen bereits die Sonne.

Eine halbe Stunde später machte er sich auf den Weg. Das Dorf, in dem er - seit er denken konnte - lebte, schrumpfte schnell hinter ihm zusammen. Es lag im Südwesten Gordoniens, eines kleinen Kontinents inmitten eines gigantischen Ozeans. Noch nie hatte Tado bisher seine Heimat für länger als einen Tag verlassen, daher kannte er sich in der Gegend, in die er nun marschierte, nicht besonders gut aus. Er war direkt nach Norden gegangen, in Richtung des Grünen Waldes, an den das Mauergebirge grenzte. Was sich dahinter befand, entzog sich seinen Kenntnissen. Nicht viele, die sich dorthin begaben, kehrten je wieder zurück, um davon zu berichten. Darum wagte sich auch keiner, der nicht danach strebte, zu sterben, zu nah an das Mauergebirge heran. Aus diesem Grund hatte man eine große Straße um die Berge herum gebaut. Tado wollte jedoch keine Zeit verlieren und den Umweg von mehreren hundert Kilometern vermeiden, sodass er voller Tatendrang und Freude über seinen ersten Auftrag jegliche Gefahren vergaß.

Der Weg bis zum Grünen Wald verlief ohne nennenswerte Probleme. Nach einer guten Stunde Fußmarsch erreichte er die ersten Bäume und stand bald darauf am Saum des Idylls, hinter dem sich majestätisch die schneebedeckten Gipfel des Mauergebirges erhoben. In den Wipfeln der riesigen Eichen nistete eine Vielzahl von Vögeln, deren Federkleid die unterschiedlichsten Farben aufwies. Doch so schön der Wald auch aussah, so tückisch konnte er sein, wenn man sich darin verlief.

Tado hatte schon Geschichten gehört, in denen Menschen von riesigen Erdschrandern angegriffen worden waren. Als Erdschrander bezeichnete man marderähnliche Wesen mit langem, braunem Fell, das oftmals auf dem Boden schleifte.

Trotz allem zögerte er nicht, den Wald, der größtenteils aus Laubbäumen - überwiegend Eichen - bestand, zu betreten. Er war hier schon einige Male gewesen und kannte sich zumindest im südlichen Bereich sehr gut aus.

Durch das in den unterschiedlichsten Grüntönen schimmernde Blätterdach drang gerade so viel Licht, dass er einen Weg erkennen konnte, der tiefer in den Wald hineinführte. Seine Schritte und das Knacken einiger Zweige auf dem Boden, auf die er versehentlich trat, wurden vom Gezwitscher der Vögel größtenteils übertönt.

Stunde um Stunde verging. Der Wald war nicht besonders groß, sodass Tado sich schon bald Gedanken darüber machte, ob er sich nicht vielleicht verlaufen hätte. Schließlich blieb er stehen, um sich einen Platz zu suchen, an dem er etwas essen konnte.

Das Geräusch eines brechenden Astes ließ ihn aufhorchen. Er hielt mitten in der Bewegung inne. Aus den Augenwinkeln sah er einen Schatten vorbeihuschen. Ein Tier? Erneut knackte ein Zweig, diesmal hinter ihm.Er war nicht allein.

Wie ein kalter Schauer traf ihn diese Erkenntnis. Mit einem Ruck wandte er sich um, nahm neben sich eine Bewegung wahr und sprang zur Seite.

Seine Reaktion kam zu spät. Etwas Hartes, Kühles, donnerte mit gewaltiger Kraft gegen seine Schläfe. Er taumelte und fiel überaus unsanft auf eine Baumwurzel. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er sah noch, wie sich einige Männer um ihn herum versammelten und verlor dann endgültig das Bewusstsein.

* * *

Das leise Gemurmel von Stimmen weckte ihn. Er befand sich, so weit er das beurteilen konnte, unter der Erde. Man hatte ihn auf einer Art Steinbett aufgebahrt, das direkt aus der Wand herausgemeißelt war.

Tado setzte sich auf. Er suchte seinen Rucksack. Dieser lehnte unweit an der grauen Felswand. Sein Blick glitt weiter und blieb schließlich an einer kleinen Gruppe von Männern hängen, die um ein Feuer saßen und eifrig diskutierten.

Unter ihnen befand sich auch ein Junge, der ungefähr im gleichen Alter sein musste wie er. Sie waren allesamt in grünbraune Umhänge gekleidet und trugen Hosen und Schuhe der gleichen, nicht genau zu definierenden Farbe. Neben ihnen lagen lange Bögen, vermutlich ihre Waffen.

Einer der Männer sah auf und richtete dann ein paar Worte an die anderen. Das Gespräch verstummte augenblicklich. Nun sahen alle zu Tado hinüber. Schließlich erhoben sich drei des halben Dutzend Leute und steuerten ihn an.

Tados Haltung versteifte sich. Sein Rucksack stand nur wenige Meter entfernt. Er könnte aufspringen, sich ihn schnappen und würde vielleicht verschwunden sein, noch ehe die anderen überhaupt mitbekamen, was eigentlich geschah.

Doch leider wusste er weder, wo er war, noch, ob sein Körper diese Anstrengung aushalten würde. Also entschloss er sich widerwillig, erst einmal abzuwarten.

Doch zu seiner Überraschung wie zu seiner völligen Verblüffung starrten ihn die drei Männer, die schnurstracks auf ihn zumarschierten nicht misstrauisch oder gar feindselig an, sondern lächelten nur entschuldigend.

„Endlich bist du aufgewacht“, sagte der Älteste unter ihnen, vermutlich ihr Anführer, erleichtert.

„Du musst entschuldigen,wir wollten dich wirklich nicht verletzen.“

Erst jetzt bemerkte Tado, dass seine Schläfe mehr oder weniger gut verbunden worden war.

„Habt ihr aber“, erwiderte er fast feindselig.

„Ich kann verstehen, dass du sauer bist. Aber wir haben dich nur gerettet“, meinte der Mann ernst.

„Gerettet?“, entfuhr es Tado.

Doch noch bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr der andere im gleichen Tonfall fort: „Trolle. Hättest du weiterhin deinen merkwürdigen Kurs nach Norden hin gehalten, wärst du ihnen direkt in die Arme gelaufen.“

Tado schwieg. Seit wann gab es hier in der Gegend Trolle?

„Wo wolltest du überhaupt hin, dass du so eine merkwürdige Richtung einschlägst?“

Tado ignorierte die Frage.

„Wohin sind die Trolle gegangen?“, fragte er, ohne den vermeintlichen Anführer anzusehen.

„Nach Norden. Warum?“

Tado überging auch diese Frage. Etwas in ihm drin atmete erleichtert auf. Er wusste nicht, wie er reagiert hätte, wenn sie nach Süden, auf sein Dorf zugehalten hätten.

Dem grünbraun gekleideten Mann schien das Schweigen allmählich unbehaglich zu werden, denn er versuchte erneut, ein Gespräch anzufangen: „Verzeih meine Unhöflichkeit. Ich hätte mich vielleicht erst einmal vorstellen sollen. Mein Name ist Natrell, Anführer des Volkes der Waldtreiber. Wie heißt du?“

„Tado“, erwiderte Tado so kurz wie möglich, um zu sehen, wie Natrell nun wieder versuchen würde, ein Gespräch zu beginnen.

Er hatte sich vorgenommen, den Anführer auf diese Weise zu ärgern, weil er diesem die Wunde an seiner linken Schläfe immer noch nicht verziehen hatte.

„Tado? Ein komischer Name.“, murmelte Natrell vor sich hin.

Tado hatte es allerdings vernommen und beschloss, von nun an am besten gar nicht mehr auf seine Fragen einzugehen.

„Es tut uns wirklich sehr Leid“, beteuerte Natrell noch einmal. „Wenn wir irgendetwas für dich tun können, lass es uns wissen.“

Tadosah sich nun allerdings doch gezwungen, etwas zu erwidern: „Ihr könntet mir sagen, wie ich wieder auf meinen alten Weg zurückfinde und mich in Ruhe lassen.“

„Natürlich“, antwortete der Anführer der Waldtreiber sofort. „Das ist nicht besonders schwer. Du befindest dich nämlich keine zweihundert Meter östlich deines Weges. Aber du könntest jemanden von unserem Volk mitnehmen. Er ist dem Leben als Waldtreiber überdrüssig geworden und sehnt sich nach einem Dasein alsBewohner eines Dorfes oder einer Stadt.“

Das passte Tado gar nicht. Aber er widersprach nicht. Immerhin hatten die Waldtreiber ihm das Leben gerettet, auch wenn sie selbst es eherweniger so sahen.

Natrell winkte den Jungen, der noch am Feuer saß, zu sich heran. Dieser hatte seinen Umhang abgelegt. Er wirkte etwas... tollpatschig.

„Tado, das ist Spiffi.“

Nachdem er nun die Gelegenheit hatte, sich die ihm vorgestellte Person genauer anzusehen, beschloss er, seinen Auftrag doch keiner Gefahr in Form dieses Waldtreibers auszusetzen.

„Ich muss euch leider enttäuschen. Aber ich habe nicht vor, in naher Zukunft zu einer Zivilisation zurückzukehren“, log Tado. „Ich bin gewissermaßen auf Reisen.“

„Umso besser“, meinte Natrell. „Dann sieht er wenigstens etwas von der Welt außerhalb unseres Lagers.“

Tado biss sich auf die Zunge. Egal, was er versuchte, der Waldtreiber hatte immer eine Antwort parat. Und so musste er wohl oder übel Spiffi als Reisegefährten mitnehmen. Spiffi selbst schien glücklich darüber zu sein. Auf dem Weg durch die Höhle nach draußen bewahrheitete sich Tados Gedanke über seinen neuen Begleiter: Spiffi war ein Tollpatsch. Mehr als einmal stolperte er über einen Stein, den er mit geschlossenen Augen hätte wahrnehmen können. Mehr als einmal rutschte er auf dem Boden aus, der so rau war, dass jeder Versuch, irgendetwas darauf umher zu schleifen, kläglich misslingen müsste.

Doch schließlich kamen sie ohne schwere Verletzungen aus der Höhle heraus. Was Tado sah, verschlug ihm geradezu den Atem. Das „Lager“, als welches es Natrell bezeichnet hatte, stellte sich als eine riesige Anzahl von Baumhäusern heraus! Manche waren um den Stamm einer großen Eiche gebaut, andere befanden sich in den Baumwipfeln, sodass man sie von bestimmten Positionen aus nicht einmal sehen konnte. Diese stellten vermutlich eine Art Wachturm dar. Aber das war nicht alles. So einfach die Häuser auch gebaut sein mochten, so reich schienen ihre Besitzer zu sein, denn überall standen massive Truhen herum. An sich nichts besonderes, fast jeder in Gordonien hatte seine eigene „Schatztruhe“, in der er seine Klamotten und wertvolle Dinge verstaute. Aber manche dieser Truhen hier standen offen, sodass Tado ihren Inhalt sehen konnte: Gold. In einigen glitzerten zwar auch einige Edelsteine, aber größtenteils herrschte Gold vor: goldene Armbänder, Ketten, Ringe, Goldmünzen, Kerzenständer, teils sogar Schwerter aus Gold. Der Wert dieser Dinge musste so gewaltig sein, dass kein Mensch der Welt sie zu kaufen vermochte.

In Natrells Gesicht, der Tados Faszination bemerkte, erschien ein stolzer Ausdruck.

„Wir überfallen Räuber und Wegelagerer“, sagte er zur Erklärung. „Die gibt es hier wie Felsen im Gebirge. Du solltest dich vorsehen, vielleicht machst du sonst schon bald Bekanntschaft mit ihnen.“

Tado hatte zwar noch nie von Räubern im friedlichen Grünen Wald gehört, aber das interessierte ihn im Moment auch gar nicht. Er war immer noch fasziniert von der Einfachheit der Baumhäuser, die aber gleichzeitig sehr effektiv im Kampf zu sein schienen. Die Leitern, die die einzige Zugangsmöglichkeit darstellten, konnte man bei Bedarf hochziehen. Den Angreifern blieb nun keine Möglichkeit mehr, auf die Bäume zu gelangen, ohne von Pfeilen durchbohrt zu werden. Für den Reichtum interessierte sich Tado nach einem kurzen Moment des Erstaunens weniger. Er hatte schon von Königen gehört, deren Schätze - aufeinander gestapelt - so hoch wie ein Berg waren. Natürlich übertrieben die Erzähler bei solchen Geschichten immer maßlos, aber ein Körnchen Wahrheit mussten sie wohl enthalten, wenn er sich die Kostbarkeiten der Waldtreiber so ansah.

Spiffi holte noch schnell einen Rucksack, den er auch von einem gewissen reisenden Händler hatte, seinen Bogen und einen prall gefüllten Köcher mit Pfeilen, bevor sich Tado und er von dem sonderbaren Volk verabschiedeten.

Die Goblins

Bald hatten sie Tados ursprünglichen Weg erreicht und marschierten weiter nach Norden. Als sie dem Mauergebirge so nahe waren, dass dieser durch die Bäume hindurch schon einige Felsen sehen konnte, stellte Spiffi die Frage, die er so gefürchtet hatte: „Wohin geht deine Reise eigentlich?“

Er zögerte. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Sollte er ihm sagen, dass er sich auf dem Weg zur Trollhöhle befand? Zwar erhielten die Botschafter seines Dorfes keine richtige Ausbildung, denn alles, was sie wissen mussten, würden sie auf ihrem ersten Auftrag lernen, dennoch hatte Tado erfahren, dass es besser sei, niemandem von seinem Vorhaben zu erzählen, um es in keiner Weise zu gefährden.

Eigentlich war er ein guter Lügner, dem sehr schnell passende Ausreden einfielen, nur in diesem Moment wusste er nichts anderes als die Wahrheit auf diese Frage zu antworten. Also sagte er geradeheraus: „Zur Trollhöhle.“

Diese Antwort kam so plötzlich, dass sein Begleiter abrupt stehen blieb und einen Laut vor sich gab, der sich wie das heisere Grunzen eines Schweins anhörte.

„Zur Trollhöhle?!“, krächzte er. Natürlich hatte auch Spiffi von der Trollhöhle gehört, und im Gegensatz zu Tado wusste er, was es bedeutete, zur Trollhöhle zu wollen. Nicht nur der Weg dorthin war so gefährlich, dass manche sich wohl lieber lebendig begraben lassen würden, als ihn zu gehen.Die Höhle selbst galt als einer der schrecklichsten Orte, die Gordonien zu bieten hatte.

Tado hielt nun auch an, wartete, bis Spiffi zu ihm aufgeschlossen hatte und fuhr dann mit einer Erklärung fort: „Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Mehr darf ich dir leider nicht sagen.“ Er fühlte sich wichtig, als er diese Worte sagte.

„Aber das ist reiner Selbstmord“, entgegnete Spiffi. Tado sah ihn nur verständnislos an.

„Es gibt Gerüchte, dass eine mächtige Person die Trollhöhle unterworfen und die darin lebenden Trolle zu seinen Untertanen gemacht hat. Diese Person nennt sich Lord des Feuers.“

Diese Worte brachten Tado zum Nachdenken. Er konnte diese Argumente nicht ausschließen. Er wusste ohnehin nur sehr wenig über die Länder außerhalb seines Dorfes, sollte ihm also dieses Gerücht entgangen sein, wäre es nicht weiter verwunderlich. Und Haktir würde er es ebenso zutrauen, ihm einen solchen Auftrag zu vermitteln, zumal er ebenfalls den Lord des Feuers erwähnte. Die Worte des Waldtreibers mochten also wahr sein.

Heftig diskutierend setzten sie ihren Weg fort.

Tadoverteidigte dabei sein Vorhaben, zur Trollhöhle zu gelangen, konnte der Argumentation Spiffis allerdings wenig entgegensetzen. Darum bot er ihm mehrmals an, dass er wieder zurück zu seinem Volk gehen könne, dies lehnte der Waldtreiber jedoch strikt ab. Schließlich könne er jemanden, der so wenig Ahnung von den Gefilden Gordoniens hat, nicht alleine lassen, so lautete seine Begründung.

Nach einer halben Stunde erreichten sie den Waldrand. Der Streit hatte sich inzwischen gelegt und Tado und Spiffi verstanden sich mittlerweile sehr gut.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seit ungefähr sieben Stunden nichts mehr gegessen hatte, denn sein Mittagsmahl war ihm von den Waldtreibern verdorben worden. Also setzten sich er und sein Begleiter unter eine große Eiche, deren Krone ihnen Schatten bot. Es herrschten warme Temperaturen und kaum eine Wolke trübte den Himmel.

Während er aß, dachte Tado darüber nach, wie es weitergehen sollte, nachdem er das Mauergebirge durchquert hatte. Sowohl er als auch Spiffi wussten nahezu nichts über die Gebiete dahinter.

Ein komisches Geräusch, das sich wie das Schaben von Holz auf Stein anhörte, riss ihn aus seinen Gedanken.

„Was war das?“, fragte er verwirrt.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Spiffi, „aber es klang nicht so, als wenn es einen natürlichen Ursprung hätte.“

Tado packte schnell alle Sachen zusammen und stand auf. Das Geräusch ertönte erneut. Und endlich konnte er es orten. Es kam direkt aus dem Wald. Hinter ihm und Spiffi erschien eine Gestalt. Sie war riesig, mindestens zehn Fuß hoch und wirkte irgendwie... unförmig.

Allein der Anblick ließ in Tado die Alarmglocken läuten. Er bedeutet Spiffi, ihm zu folgen, und zwar auf eine Art, die keine Fragen offen ließ und rannte auf das nur wenige Meter vor ihnen liegende Gebirge zu. Genauer gesagt: auf einen Pfad zwischen den nahezu senkrechten Felswänden, welcher nicht besonders steil in die Höhe führte. In der Breite maß er nur etwa fünf Armlängen. Letzterer gab zu bedenken, dass dies nicht der geeignete Weg sei, um das Mauergebirge zu durchqueren, wurde aber von einem halblauten Gebrüll des Wesens übertönt.

Die Gestalt hatte sie bereits entdeckt. Sie ließ ein wütendes Grunzen vernehmen und rannte auf den Weg zu, in dem Tado und Spiffi sich gerade zu verstecken versuchten.Weiterlaufen würde nicht viel nützen, ihr Verfolger war weitaus schneller. Doch endlich konnte er sehen, um was es sich bei ihrem Jäger handelte.

Um einen Troll.

Zumindest glaubte Tado das, denn so hatte er sich Trolle immer vorgestellt: Groß, dick, graue Hautfarbe, kurze, aufgeblähte Beine, zerknautschtes Gesicht. In der breiten Hand trug er eine Keule, die, im Gegensatz zu seinem übrigen Erschienungsbild, eher lächerlich wirkte. Hinter ihm erschien ein weiterer Troll, dieser war mit einem übergroßen Stein bewaffnet, der im Durchmesser gute anderthalb Meter aufweisen musste.

Inzwischen hatte der erste die Felslücke erreicht.

Sein Knüppel beschrieb wilde Kreise in der Luft, während er mit der freien Hand versuchte, nach Tados Bein zu greifen, als dieser an der nahezu senkrechten Felswand empor kletterte. Spiffi, der auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls hinaufgekraxelt war, wollte ihm helfen. Er hatte einen schmalen Felssims erreicht, sich draufgesetzt und einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens gelegt. Doch seine Hände zitterten so, dass er nicht mal auf diese kurze Distanz traf.

Es blieb Spiffi keine Zeit, erneut zu schießen. Der zweite Troll war nun auch herangekommen und warf seinen übergroßen Felsbrocken in seine Richtung. Das Geschoss donnerte mit einer solchen Wucht gegen die Wand unmittelbar neben ihm, dass die gesamte Umgebung zu beben begann. Eine Sache schien der Troll jedoch nicht bedacht zu haben: Sein Stein zersprang nicht am Fels, sondern flog wieder hinunter, genau auf den Kopf des grauen Ungetüms.

Erneut bebte die Erde. Diesmal war jedoch der Troll Schuld, dessen eigenes Wurfgeschoss ihm den Kopf zerschmettert hatte. Er krachte der Länge nach mit einem lauten Knall auf den harten Steinboden. Doch es blieb immer noch sein Gefährte übrig, der nun mit der Keule nach Tado schlug. Tados Gesicht und auch das Spiffis wiesen zahlreiche Kratzer auf, die vermutlich durch winzige Steinsplitter verursacht worden waren.

Er trat nach dem Kopf des Trolls, verfehlte ihn jedoch. Derweil hatte Spiffi erneut seinen Bogen gespannt. Diesmal traf der Pfeil. Zwar nur in den Arm, aber immerhin reichte der Schmerz aus, um das Ungetüm wild um sich schlagen zu lassen. Dabei brach er sich auch noch etliche Finger, als sein Arm gegen die Steinmauer schlug. Tado kletterte weiter nach oben. Die Felswand war von den beiden heftigen Erschütterungen rissig geworden.

Schließlich passierte es: Ein gewaltiger Brocken löste sich, genau dort, wo er seine Hände hatte. Tado fiel zusammen mit dem Steinklotz in die Tiefe. Kurz bevor er auf dem Boden aufschlug, stieß er sich von dem Felsen ab und landete nur einen Meter weiter unsanft auf der Leiche des anderen Trolls.

Doch der losgelöste Stein hatte eine erneute Erschütterung herbeigeführt, sodass eine ganze Lawine aus Geröll die nahezu lotrechte Wand hinunterprasselte.

Wieder warf sich Tado zur Seite, während der Troll, der nicht so geistesgegenwärtig handelte, sondern nur weiter den fallenden Steinen entgegenstarrte, unter einem Berg von Staub und Schutt begraben wurde.

Als er wieder halbwegs klar sehen konnte, bemerkte Tado, dass nicht nur vor ihm ein Geröllberg entstanden, sondern auch der gesamte Zugang zur Felsspalte eingestürzt war, sodass ein Umkehren nunmehr unmöglich schien. Er würde diesem Weg, in den er nur wegen des Trolls geflüchtet war, folgen müssen. Also kletterte er über den Steinhügel vor ihm. Spiffi hatte mittlerweile seinen Felssims verlassen und stand wieder auf festem Boden.

„Wo kamen die so plötzlich her?“, fragte Tado und deutete auf die Leiche des ersten Trolls, der sich mit seinem eigenen Felsen erschlagen hatte.

Er blutete aus zahlreichen Schrammen.

„Ich denke, das waren einige von der Gruppe von Trollen, vor der wir dich gerettet haben.“ Spiffi deutete in die Richtung, aus der sie kamen. „Sie müssen dich gewittert haben.“

Dass der Weg zur Trollhöhle derartige Gefahren bergen würde,hatte Tado nicht erwartet. Langsam zweifelte er daran, dass dies ein angemessener Auftrag für einen Anfänger wie ihn war.

Nach einer kurzen Pause machte er sich mit Spiffi wieder auf den Weg. Da sie nicht wussten, in welche Richtung sie gehen sollten, folgten sie einfach dem Pfad. Der Aufstieg wurde nun immer beschwerlicher. Bald mussten sie die Hände zu Hilfe nehmen. Außerdem schien der Weg kein Ende nehmen zu wollen. Ab und zu bogen sie um leichte Kurven, die Umgebung blieb jedoch stets gleich: Felsen, wohin man sah, Wände aus Stein zu beiden Seiten. Als sie schließlich weitere zwei Stunden unterwegs waren, hörte der Pfad abrupt auf. Tadoblieb fassungslos stehen und auch sein Begleiter machte nicht gerade einen erfreuten Eindruck.

Er sah hoch. Ein paar Meter über ihnen befand sich eine Felsöffnung.

„Vielleicht kommen wir da hinauf“, meinte er und deutete auf das Loch im Granit. Seine Euphorie hatte nach dem Zwischenfall erheblich nachgelassen.

„Sicher“, antwortete Spiffi, „wenn du zufällig ein Seil dabei hast.“

Auf dem Gesicht des Angesprochenen machte sich ein leicht triumphierendes Grinsen breit, als er aus seinem Rucksack tatsächlich einen langen Strick hervorholte. Tado band seine Axt daran fest und schleuderte die gesamte Vorrichtung in Richtung Felsöffnung. Es verstrichen einige Minuten, bis sie sich nach etlichen Versuchen tatsächlichen in einer Felsspalte verfing. Er und Spiffi zogen ein paar Mal an dem Seil, um seine Festigkeit zu prüfen, ehe Ersterer sagte: „Ich glaube, das sollte fürs Erste reichen.“

Er bedeutete seinem Gefährten, hinaufzuklettern, was diesem jedoch nicht zu gefallen schien: „Wie wäre es, wenn du zuerst hochkletterst, ich halte dir hier unten den Rücken frei, falls wieder Trolle auftauchen sollten.“

Tado bezweifelte zwar, dass Spiffi wirklich etwas gegen diese würde ausrichten können, beließ es aber bei einem Achselzucken und machte sich daran, den Fels hinaufzusteigen. Auf halber Strecke drehte er sich noch einmal um und sah zu seinem Begleiter, der tatsächlich mit gespanntem Bogen den hinter ihnen liegenden Weg absuchte.

Mit einem Kopfschütteln kletterte er nun weiter, und war auch bald oben angekommen. Er rief Spiffi zu, dass er nachkommen solle. Widerwillig entspannte dieser seinen Bogen und ergriff das Seil. Er war im Klettern nicht gerade der Schnellste und brauchte allein für die Hälfte des Weges doppelt so lange wie Tado für die Strecke in ihrer Gänze. Also vertrieb der Wartende sich damit die Zeit, nun seinerseits den Gebirgspfad, den sie gekommen waren, nach möglichen Feinden abzusuchen.

Und tatsächlich weiteten sich seine Augen nach einigen Augenblicken des Ausschauhaltens, als er nämlich eine kleine Gruppe von grauen Schatten ausmachte, die sich in beträchtlichem Tempo ihrem jetzigen Standort näherten.

Als Tado mit einer Hand seine Blicke vor der brennenden Sonne schützte, erkannte er, dass es sich um Trolle handeln musste. Er hätte gerne gewusst, wie sie den herabgeregneten Geröllberg hatten überwinden können, realisierte aber, dass es nicht der passende Augenblick war, um sich über so etwas Gedanken zu machen.

Stattdessen rief er Spiffi in hektischem Tonfall zu: „Beeil dich! Wir werden anscheinend verfolgt!“

„Von wem?“, wollte Spiffi wissen.

„Konzentrier dich lieber auf das Klettern“, versuchte Tado seine Frage zu umgehen. „Sonst sind wir tot.“

Wie auf Stichwort löste sich die Axt, die sich bis eben noch in einer kleinen Felsspalte verhakt hatte, und fiel mitsamt dem Seil und Spiffi in die Tiefe.

Zumindest wäre sie das, wenn Tado nicht geistesgegenwärtig seine Hand ausgestreckt und das Beil zu fassen bekommen hätte.

Er rief dem Kletternden zu, dass er sich beeilen solle, lange könne er das Seil nicht mehr festhalten. Danach sah er sich nach einem Halt um. Er musste immerhin das gesamte Gewicht Spiffis sichern, zudem wurde seine Hand langsam rutschig und die Klinge der Axt schnitt ebenfalls fortwährend in seinen Arm.

Das Holz glitt langsam durch seine Hand, Blut färbte den Boden. Bis Spiffi hinaufgeklettert war, dauerte es noch gut eine Minute, viel zu lange, um dieser Belastung standzuhalten. Seine Schuhe schliffen langsam in Richtung Abgrund. Er brauchte einen festen Stand. Ein Blick auf ihre Verfolger, die nun kaum noch hundert Meter entfernt waren, gab ihm noch einmal neue Kraft. Seine rechte Hand griff nach dem Seil, welches rauer war als der glatt polierte Holzgriff der einfachen Holzfälleraxt, während seine linke einen Spalt an der Wand des Tunnels, in den die Felsöffnung führte, ergriff. Das Metall des Beils bohrte sich noch tiefer in seinen Arm.

Genau in dem Moment, in dem Spiffi nach der Kante fasste, erreichte der erste Troll das Seil, und begann, daran herumzuzerren.

Spiffi warf seinen Bogen und den Köcher zu Tado in die Felsöffnung. Dieser schaffte es, die Axt an der Tunnelwand zu befestigen, legte einen Pfeil auf die Sehne und zielte auf den Kopf des Ungetüms. Er hatte noch nie mit so einem Gerät hantiert, also spannte er die Waffe so weit, dass das Holz ächzte. Dann ließ er das Geschoss auf den Troll zuschnellen. Er traf überraschend gut. Die Metallspitze durchbohrte einige Halswirbel, sodass der Getroffene einfach nur nach hinten kippte und dabei zwei seiner nachfolgenden Gefährten niederriss.

Spiffi kletterte derweil endlich über den Rand und Tado holte das Seil ein. Nachdem die Gefahr gebannt war, atmeten beide tief ein und aus, tranken etwas, bevor sie sich den vor ihnen liegenden Tunnel besahen. Er wurde von Fackeln erhellt, die sich in alten, rostigen, scheinbar symmetrisch angeordneten Halterungen befanden. Durch das flackernde Licht sah Tados Schnittwunde schlimmer aus als sie war, wirkte schon fast bedrohlich. Seine Schläfe zierte weiterhin die unrühmliche Wunde, die ihm die Waldtreiber beigebracht hatten, denn der Verband schien sich gelöst zu haben.

Die Kletterei hatte die beiden ziemlich erschöpft, und sie tranken fast ihren gesamten Wasservorrat leer. Auch aßen sie nicht gerade wenig. In Tados Rucksack befand sich hauptsächlich Obst, während der Spiffis bis oben hin mit Käsebroten gefüllt war. „Wir sollten langsam weiter“, meinte Ersterer schließlich. Er stand auf. Nach kurzem Zögern erhob sich auch sein Gefährte.

Einige weitere Sekunden verstrichen, bevor sie in den vor ihnen liegenden Tunnel hineinmarschierten. Ihre Schritte hallten unnatürlich laut wider. Die Luft war erfüllt von einem Geruch, der sie beide vorsichtiger werden ließ.

„Hoffentlich endet der Gang bald. Ich möchte gar nicht wissen, was hier drinnen alles haust“, sagte Spiffi, während er den schussbereiten Bogen vor sich hielt.

„Wir sollten uns lieber darüber Gedanken machen, welchen der beiden Wege wir nehmen“, meinte Tado und deutete auf eine Weggabelung.

„Der linke scheint mir sicherer. Rechts werden die Fackeln weniger und da sind lauter Spinnweben an den Wänden“, meinte sein Gefährte angewidert.

„Aber wenn wir nach links gehen, laufen wir Gefahr, auf irgendwelche Kreaturen zu stoßen. Die Fackeln müssen nämlich ab und zu erneuert werden, und wer sollte dies auf einem unbewohnten Pfad tun?“

„Kreaturen, die uns angreifen wollten, würden aber eher nicht ihren Gang für uns ausleuchten“

Also schlugen die beiden die von Spiffi genannte Abzweigung ein. Als sie eine Weile gegangen waren, stellen sie erleichtert fest, dass es wohl der richtige Weg gewesen sein musste. Nur die absolut gleichen Abstände der Fackeln, dass sie alle genauso weit heruntergebrannt und die Felswände nicht geschwärzt waren, machten Tado stutzig. Zudem schien nirgendwo ein Spalt im Gestein zu sein, durch das der Rauch abziehen konnte.

Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als plötzlich ein Geräusch ertönte. Die beiden hielten ihre Waffen - den Bogen und die Axt - fester umschlossen. Der Gang beschrieb an dieser Stelle eine Biegung. Als die Gefährten am Ende der Kurve angelangt waren, stellten sie erleichtert fest, dass der Laut wohl doch einen natürlichen Ursprung besaß, nahmen jedoch mit Schrecken wahr, dass sich der Weg erneut gabelte - diesmal in vier Richtungen. In diesem Moment tauchte vor ihnen so etwas wie eine schwarze Kugel auf, die den beiden ihre Waffen regelrecht aus den Händen schleuderte. Erst auf den zweiten Blick stellten sie fest, dass es sich um einen Morgenstern handelte.

Plötzlich segelte von der Decke ein Schatten herab, der sich als eine kleine Gestalt entpuppte. Tado konnte nichts Näheres erkennen, außer dass sie nur etwa einen Meter fünfzig maß und eine lange Nase hatte. Die Hautfarbe war bei dem flackernden Licht nicht besonders gut zu erkennen, aber sie schien ins Grünliche zu gehen.

Während die beiden Angegriffenen nur völlig fassungslos dastanden, musterte sie das kleine Wesen aufmerksam.

„Wer seid ihr?“, fragte es in nicht gerade höflichem Tonfall.

„Wir werden dich nicht angreifen“, begann Tado.

„Wozu ihr auch gar nicht in der Lage wärt“, meinte der andere.

„Doch, ich habe ein Messer in meinem Rucksack“, erwiderte er, bemerkte allerdings selbst, dass seine Aussage gepaart mit seinem unsicheren Tonfall eher lächerlich wirkte.

Das Wesen maß ihn mit einem stechenden Blick.

„Egal, wer seid ihr?“, fragte es noch einmal in einem nicht viel freundlicheren Ton.

„Tado und Spiffi.“ Letzterer war noch zu geschockt, um etwas zu sagen.

„Eigentlich meinte ich: Was seid ihr?“

„Sieht man das nicht? Wir sind Menschen“, meinte Tado etwas verwirrt.

„Man kann ja nie wissen. Wir haben seit langer Zeit keine Menschen mehr gesehen, da kann man das Aussehen solcher Kreaturen schon einmal vergessen. Und nun folgt mir. Ich bringe euch zu meinem König.“

„Und wenn wir nicht mitkommen?“, fragte Spiffi, der langsam seine Fassung wiederbekam.

„Wenn ihr hier jemals lebend herauskommen wollt, dann solltet ihr mir folgen.“

Mit diesen Worten drehte sich die Kreatur um und schlug den zweiten Weg von links ein. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich noch einmal um: „Bevor ich es vergesse, ihr seid hier im Reich der Goblins. Erwartet also nicht zu viel Freundlichkeit oder gute Behandlung.“

Er setzte seinen Weg fort, hielt dann allerdings noch einmal inne: „Übrigens, mein Name ist Regan. Und ich bin ein Goblin.“

Er wartete, bis die beiden Gefährten aufgeholt hatten, und marschierte dann weiter. Ihre Waffen nahm ihr Führer in Verwahrung.

Leise flüsterte Tado zu Spiffi: „Er scheint mir ein wenig merkwürdig zu sein.“

„Ja“, antwortete der Angesprochene, „und sein Morgenstern ist auch plötzlich verschwunden.“

Dann gingen sie schweigend weiter. Der Gang war ziemlich lang und schmutzig und das kleine Wesen hatte ein recht zügiges Tempo eingeschlagen. Als sie um eine Ecke bogen, kamen sie an zwei weiteren Goblins vorbei, die gerade den Tunnel säuberten und sie nur verwundert musterten.

„Wir sind gleich da“, ließ Regan vernehmen und deutete auf einen Durchgang an der linken Wand. Die drei durchquerten ihn und fanden sich in einer gigantischen Höhle wieder, deren Decke sich gute zwanzig Meter über dem Erdboden wölbte. Es gab hier keine Tropfsteine und auch die Fackeln brannten nicht. Dafür wurde der gesamte Raum von Sonnenlicht erhellt, das durch in regelmäßigen Abständen in den Fels gehauene Löcher drang. Jedes davon besaß einen Durchmesser von ungefähr zwei Metern.

Auf dem Boden befanden sich unzählige Kuppeln, die den Goblins vermutlich als Behausung dienten.

Anscheinend waren Menschen, obwohl sie, wie Regan längere Zeit keine mehr zu Gesicht bekommen hatten, für sie nichts Ungewöhnliches, denn kaum einer schenkte ihnen Beachtung. Dies konnte allerdings auch daran liegen, dass sie sie nicht sahen, denn das Licht besaß hier keine allzu große Wirkung.

Regan marschierte zusammen mit seinen beiden Gefangenen, wie er Tado und Spiffi inzwischen nannte, an einigen Häusern vorbei und hielt direkt auf das Zentrum der Höhle zu. Dort befand sich eine Kuppel größeren Ausmaßes, die auch einige Türme aufwies.

„Das ist der Palast des Goblinkönigs, des mächtigen Kaher von Fukistuin. Er erwartet euch bereits.“

Spiffi war etwas verwirrt: „Woher weiß er denn von uns?“

„Nachrichten verbreiten sich schnell“, erwiderte Regan nur, während er auf das große Tor, welches den Eingang zum Königshaus darstellte, zuschritt. Tado fand zwar nicht, dass diese graue Hütte irgendetwas Palastähnliches hatte, aber das wagte er nicht auszusprechen.

Inzwischen hatten sie die große Steintür erreicht. Auf dem rechten Flügel war in Kopfhöhe des Goblins ein Stern aufgemalt, dessen Farbe sich bei dem schlechten Licht nur unsicher bestimmen ließ, durch den leichten Glanz konnte man jedoch auf Silber oder Gold schließen. Regan legte seine Hand auf das Bild. Tado erwartete, dass die Tür lautlos aufschwingen würde, sich einfach nur auflöste oder dass sich der Eingang zum Palast auf eine andere, unerklärliche Weise vor ihnen auftäte. Doch nichts dergleichen geschah. Sie erhob sich immer noch vor ihnen - kalt, rau und unbeweglich.

Plötzlich vernahm Tado ein Geräusch. Es klang wie ein Flüstern, leise, schleichende und auf irgendeine Weise betäubende Laute, die die Sinne wie ein Schleier umhüllten, die Sicht trübten und das Hörvermögen schwächten. Der schreckliche Zustand schien auch Spiffi zu befallen, jedoch fand er ein jähes Ende, als ein weiterer Ton zu vernehmen war: Das Schleifen von Stein auf Stein.

Tados Blick klarte auf, und er sah, wie die zwei Torflügel langsam nach innen aufschwangen.

Das Innere des Palastes entsprach nicht gerade seinen Vorstellungen. Statt in einen weitläufigen Gang, der zum Thron führte und von unzähligen Goblins gesäumt wurde, blickte er nur auf die nächste Wand. Auf seinen fragenden Blick hin antwortete Regan nur mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Nachdem sie eine ganze Weile schon einen Gang entlang marschierten, zu dessen linker und rechter Seite Türen eingelassen waren, begriff Tado den Aufbau dieses Gebäudes: Das Ganze stellte eine Art gigantisches Schneckenhaus dar, in dessen Mitte sich der Thronsaal befand.

Wie auf ein Stichwort standen die drei erneut vor einem steinernen Tor, was zu seiner Verwunderung sofort und lautlos aufschwang.

Der Raum dahinter entsprach zumindest halbwegs Tados Vorstellungen: Ein Saal, viel zu groß - die Hälfte stand leer - mit einer etliche Meter hohen Decke, an der zahlreiche Kronleuchter hingen. An der linken Wand befand sich ein Bücherregal.

Und gegenüber der Tür stand der Thron. Zumindest saß darauf ein Goblin mit Krone, rotem Mantel und Stab in der Hand. Sein Sitzplatz stellte sich jedoch als ganz normaler Holzstuhl heraus, was den ganzen Raum irgendwie lächerlich wirken ließ. Der darauf Sitzende stand auf und ging ein paar Schritte auf die eben Hereingekommenen zu. Er maß nur etwa einen Meter dreißig, sodass seine Erscheinung nicht majestätisch, sondern eher wie die eines verkleideten Kindes wirkte. Tado musste sich ein Lachen verkneifen, als er die dicken Pantoffeln sah, mit denen der König einher schritt.

„Seid gegrüßt! Mein Name ist Kaher von Fukistuin und ich bin der Herrscher über die Goblinstadt“, sagte die kleine grüne Gestalt. „Ich muss mich für all diese Unannehmlichkeiten entschuldigen, Regan konnte ja nicht wissen, dass ihr keine feindlichen Absichten habt, sondern zur Trollhöhle wollt.“

Kaher verzog sein Gesicht, das Ergebnis sollte wohl ein Lächeln darstellen. Er war mehr als merkwürdig. Woher wusste er das alles? Sie hatten niemandem davon erzählt und wenn er Gedanken zu lesen vermochte, konnte er dies ziemlich schnell, da er die drei vor noch nicht einmal einer Minute zum ersten Mal sah.

„Tado, Spiffi, warum setzt ihr euch nicht?“, begann Kaher von Neuem und deutete auf einen kleinen, runden Tisch zur Rechten des Regierungsstuhls. Er kannte ihre Namen?

Regan drückte den beiden ihre Waffen in die Hand, während sie der Aufforderung nachkamen.

„Ihr müsst entschuldigen, der Palast wird gerade renoviert und für einen Thron fehlt uns im Moment das Material. Dann erzählt doch mal, wie ihr dazu kamt, diesen lebensgefährlichen und von vornherein keinen Erfolg versprechenden Versuch, euch in den Hort der Trolle und in die Hände des Lords des Feuers zu begeben, zu unternehmen?“

Dass diese Worte nicht besonders ermutigend waren, schien dem Goblinkönig nicht aufzufallen.

Wozu fragst du uns, wenn du alles über uns weißt?, fragte Tado in Gedanken. Als er aber weder telepatisch eine Antwort erhielt, noch eine Regung auf Kahers Gesicht wahrnahm, begann er widerwillig, in knappen Worten von seinem Auftrag und ihrer ersten Begegnung mit den unheimlichen Geschöpfen zu erzählen. Spiffi pflichtete ihm mit detailgenauen Schilderungen der Trolle bei.

„Das ist sehr interessant“, meinte der oberste Goblin schließlich. „Auch wir wurden schon oft von diesen Wesen angegriffen. Sie denken sich immer wieder die verschiedensten Verkleidungen aus, um unsere Wachen überlisten zu können.“ Er machte eine kurze Pause. „Solltet ihr noch einmal mit ihnen kämpfen, zielt auf den Hals oder Kopf. Verwundungen an anderen Stellen sind selbst bei Volltreffern nicht lebensgefährlich.“

„Ich würde gerne wissen, wann wir denn eigentlich wieder weiterziehen dürfen“, versuchte Tado den Redefluss des Goblins zu unterbrechen.

„Eine törichte Frage, Junge. Du solltest sie niemals stellen, wenn du dir nicht sicher bist, ob du als Gefangener oder Gast behandelt wirst. In solchen Fällen ist es sinnvoll...“ Tado verdrehte innerlich die Augen und hörte nicht weiter zu. Er hatte eine kurze Antwort erhofft und kein minutenlanges Geschwafel. Aber er wartete geduldig, bis der König zu Ende gesprochen hatte und stellte erneut seine Frage, die dieser zu beantwortenvergaß: „Dürfen wir denn jetzt weiter oder nicht?“

„Aber natürlich dürft ihr das. Nur ist es bereits dunkel und die Schatten könnten zum Leben erwachen. Man kann nie wissen, wem man in einer sternenklaren, warmen, regenlosen Sommernacht so begegnet.“ Tado beschloss, die Sache mit den Schatten einfach zu ignorieren und sich nicht weiter unnötig den Kopf darüber zu zerbrechen.

„Also, was ist euch lieber: die Nacht draußen zu verbringen bei Troll und Tod oder hier drinnen bei Frieden und gutem Essen?“

Er atmete innerlich tief durch und ein kurzer Blick zu Regan sagte ihm, dass nicht nur er diese Worte so interpretierte, als wollte der Oberste der Goblins nichts mehr, als dass seine Gäste nicht ihren Weg fortsetzten. Er hatte trotzdem nicht vor, das Angebot anzunehmen. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, ergriff Spiffi das Wort: „Natürlich werden wir hier übernachten. Ich wüsste keinen Grund, warum wir diese nette Einladung abschlagen sollten.“

Diese Worte trafen Tado wie ein Eimer eiskaltes Wasser mitten ins Gesicht. Es dauerte noch etwa zehn Stunden bis zum Sonnenaufgang, und er würde es keine fünf Minuten mehr mit dieser kleinen Gestalt in einem Raum aushalten können, ohne unweigerlich den Verstand zu verlieren.

„Na das ist doch toll!“, freute sich Kaher. „Regan wird euch auf eure Zimmer führen.“

Wenigstens einmal war ihnen das Glück hold. Er musste keine Zeit mehr mit diesem grünen Wesen unter einem Dach verbringen. Zumindest trennten sie jetzt mehrere Wände. Plötzlich blieb Tado stehen. „Ein paar Fragen hätte ich da noch“, begann er.

„Woher wisst ihr all das über uns? Könnt ihr Gedanken lesen? Und dann...“ Er machte eine kurze Pause. „Was war das vorhin am Tor?“

„Also“, erwiderte Kaher lächelnd. „Gedanken lesen kann ich nicht.“ Sein Gesichtsausdruck wurde etwas ernster und sein Tonfall leiser: „Es ist das Gebirge. Die Felsen flüstern. So lautlos wie Schatten. Ich kann mit ihnen reden. Jeder, der diesen Berg passiert, gibt seine Geheimnisse ungewollt an das Gestein preis. Es lebt nicht, nicht wirklich zu mindest, aber es ist der beste Spion, die beste Wache. Niemand sonst versteht ihre Sprache. Am Eingangstor wart ihr unmittelbar an der Quelle der Verbindung zwischen mir und dem Fels und ihr vernahmt jene Laute.

Ich werde euch kurz den Mechanismus hinter der Steintür verraten: Legt man seine Hand auf den goldenen Stern am rechten Torflügel, spricht der Fels zu mir, dass jemand Eintritt ersucht und nennt mir dessen Absichten, Namen und alles, was ich wissen will. Ich antworte dann, natürlich in gleicher Sprache, sofern keine bösen Absichten vorliegen, dass ihnen der Zutritt gewährt sei. Und nur dann bewegt sich das meterdicke Gestein zur Seite und offenbart den Eingang.“

„Aber wenn der Fels lautlos spricht, warum haben wir dann etwas gehört?“, wunderte sich Spiffi.

„Da kein Lebewesen die Sprache so perfekt wie der Berg beherrscht, musste der Fels hörbar reden, damit ich es verstehe. Diese Gabe wird in der Königsfamilie von Generation zu Generation vererbt.“

Für einen Moment herrschte Stille. Nur das leise Atmen der vier Anwesenden war zu vernehmen.

Nach einigen unerträglichen Minuten des Schweigens sagte Regan endlich: „Ich zeige euch nun eure Zimmer.“

Tado war innerlich dankbar dafür, dass der Goblin die Totenstille gebrochen hatte.

Der Weg zu ihren Unterkünften führte sie aus dem Palast hinaus zu einer der grauen Kuppeln zur Linken, welche mehrere Fenster und Etagen aufwies. Regan steuerte, kaum durch die Eingangstür getreten, sofort die Wendeltreppe in der Mitte des Gebäudes an. Die Stufen waren abgenutzt und rutschig. Im obersten Geschoss angekommen, in dem sich - aufgrund des Platzmangels - nur vier Zimmer befanden, marschierte der Goblin auf das erstbeste zu und öffnete die kleine Tür. Mit einer Handbewegung bedeutete er Tado und Spiffi, einzutreten.

Der Raum hatte eine sich nach hinten weitende Fächerform, an den mit Bergen bemalten Seitenwänden standen zwei hart aussehende Betten, eines links und eines rechts, daneben je ein niedriger Tisch auf denen Schalen mit Obst niedergelegt waren. Des Weiteren befand sich nur noch ein kleines Fenster in der der Tür gegenüberliegenden Wand.

„Wir sind da“, sagte Regan nur und verließ auch gleich das Zimmer.

„Er ist nicht besonders gesprächig“, meinte Spiffi.

„Dafür redet dieser kleine König umso mehr“, erwiderte Tado, während er sich auf ein Bett - welches übrigens bequemer war, als es aussah - sinken ließ und in der gleichen Bewegung seinen Rucksack und die Axt ablegte, sowie nach einem Apfel griff. Spiffi hatte wesentlich mehr Schwierigkeiten, seinen großen Bogen irgendwo griffbereit unterzubringen, ohne dass dieser ihm ein Auge ausstach.

„Ich finde es komisch, dass sie uns hier so gut behandeln“, sagte Tado schließlich. „Regan hatte doch gesagt, dass wir keine Freundlichkeit erwarten sollen.“

„Ist doch egal“, meinte sein Gefährte. „Wenn sie zu uns freundlich sind, sollten wir uns lieber freuen, als es zu hinterfragen.“

Mit diesen Worten legte er sich schlafen und auch Tado fielen bald die Augen zu.

Die verrückten Kobolde

„Aufstehen!“ Das Geschrei und der vorangegangene Knall waren so laut, dass Tado und Spiffi regelrecht aus den Betten geschleudert wurden.

Regan hatte die Tür aufgeschlagen und ihnen dieses eine Wort an die Köpfe geklatscht.

„Der König erwartet euch!“ Und damit verschwand der Goblin auch schon wieder, und ließ die verdutzten Gefährten zurück.

Diese standen jedoch betont langsam auf und befanden sich erst nach einer geschlagenen Stunde vor der Tür zum Thronsaal.

„Bist du sicher, dass es richtig war, diesen Kaher von Furufara so lange warten zu lassen?“, fragte Spiffi.

„Ja“, antwortete der Angesprochene. „Vielleicht denkt er dann mal daran, seine Untergebenen anzuweisen, uns etwas freundlicher zu behandeln.“

Sie wollten gerade anklopfen, als die Tür aufschwang und den Blick auf einen leicht gereizten, auf und ab gehenden König preisgab.

Als dieser die beiden erblickte, verfinsterte sich seine Miene.

„Vor einer Stunde hatte ich Regan losgeschickt und ihr seid erst jetzt hier?!“

„Guten Morgen“, sagte Tado betont freundlich.

„Was ist an dem gut? Die Trolle...“

„Wie ich sehe, habt ihr schon mit dem Thron angefangen“, unterbrach ihn Spiffi und deutete auf ein halbes Dutzend Goblins, die an einem großen Gesteinsklumpen herumwerkelten. Regan stand daneben und betrachtete das Treiben interessiert.

Kaher war mittlerweile vor Wut rot angelaufen, was durch seine grüne Hautfarbe braun wirkte.

„Hört mir gefälligst zu! Einige Trolle haben unsere einzige Trinkwasserquelle genommen! Sie haben einen ihrer Kameraden zurückgelassen, um sie zu bewachen.“

„Und was haben wir damit zu tun?“, fragte Tado vorsichtig.

Der Goblinkönig musste kurz Luft holen.

„Ihr werdet zusammen mit mir und Regan dorthin gehen und die Quelle zurückerobern!“

„Ich wüsste nicht, wieso wir das tun sollten“, meinte Spiffi.

„Als Dank für unsere Gastfreundschaft. Ansonsten wärt ihr nämlich jetzt tot.“

Langsam begriff Tado, warum Kaher am Vortag so sehr gegen ihre Weiterreise gewesen war: Er wollte, dass sie ihm nun einen Gefallen taten.

„Gibt es denn nur einen Weg zu eurem Wasser?“, fragte er nachdenklich.

„Ja“, meinte Kaher.

Das war Tado eigentlich schon bewusst gewesen, bevor er die Frage gestellt hatte. Sie würden also nicht um eine Konfrontation herum kommen. „Und wir werden noch heute aufbrechen“, sagte Regan, der mittlerweile nicht mehr den Thronbau verfolgte, sondern sich zu ihnen gesellt hatte. „Warum gehen denn nur wir vier los?“, fragte Spiffi.

„Damit der Feind keinen Verdacht schöpft. Wenn ich nämlich noch mehr Mitglieder meines Volkes dorthin schicken würde, sähe dies ziemlich verdächtig aus. So wird man uns für ganz normale Wanderer halten“, erwiderte der Goblinkönig.

„Außerdem“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, „ist es nur ein einzelner Troll. Ein gezielter Schuss auf den Kopf und wir sollten ihn los sein.“

Tado und Spiffi schwiegen.

In voller Montur schritt Kaher nun zur Tür, Regan und seine Gäste schlossen ihm sich etwas verdutzt an.

Sie verließen ohne Umschweife den Palast und die Stadt und befanden sich wieder im Tunnel, dessen Verlauf sie folgten.

Nach einigen Minuten kam der Ausgang in Sicht. Tado und Spiffi hatten ihre Rucksäcke mitgenommen, als sie zum König gegangen waren. Nun stellten sie fest, dass auch Regan einen trug.

„Woher hast du den?“, fragte ihn Spiffi.

„Ein reisender Händler hatte mal einige davon als Geschenk zurückgelassen“, antwortete dieser daraufhin.

Schon wieder dieser Händler, dachte Tado bei sich.

Die vier sahen sich um.Vor ihnen erstreckte sich ein mehr oder weniger ebenmäßiges Plateau, auf dessen rechten Rand der Goblinkönig nun zuschritt. Dahinter erhoben sich riesige Felswände. Der Trupp steuerte einen Spalt an, durch den man sich geradeso hindurchzwängen konnte. Das veranlasste Tado dazu, zu überlegen, wie wohl ein Troll dort hindurchgepasst hat. Es musste ein sehr dünner sein.

Als hätte Kaher seine Gedanken gelesen, sagte er plötzlich: „Bei dem Erdbeben vor ein paar Tagen haben sich die Wände aufeinander zu bewegt. Wir werden wohl demnächst die Öffnung vergrößern müssen.“

Tado schenkte den Worten nicht viel Glauben, sein Dorf lag zwar ziemlich abseits, aber von einem derart starken Beben, dass solch riesige Felsen bewegt, hätte sogar er zweifelsohne gehört. Und außerdem, hatte der König nicht vorhin gesagt, dass die Trolle erst seit heute morgen die Quelle besetzten? Demnach hätte auch das Beben erst heute sein können...

„Wie weit ist es noch bis zu eurer Quelle?“, fragte Spiffi ungeduldig.

„Da vorne ist der Eingang zu einer kleinen Höhle, in der sich eine Treppe befindet, die hinauf zu der Quelle führt“, erwiderte Regan.

Tados Aufregung stieg. Die vier näherten sich dem schmalen Eingang. Sie mussten hintereinander gehen, da der Gang recht schmal war. Schließlich erreichte Kaher, der voran ging, die Felsöffnung und marschierte hindurch. Ihm folgten die anderen, wobei Regan als letzter die Höhle betrat, die unerwartet hell war.

Auf der Treppe, von der er gesprochen hatte, saß der Troll und schien zu schlafen. Tado sah sich um, entdeckte jedoch keine Vorräte, stattdessen lagen überall Knochen herum und abgemagert schien das graue Ungetüm auch nicht zu sein.

Spiffi legte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens und schoss. Jedoch übermannte ihn mal wieder die Aufregung und das Geschoss prallte nur gegen den kalten Stein. Dies allerdings weckte den Troll. Langsam erhob er sich.

„Spiffi, schieß ihm in den Kopf!“, rief Kaher.

„Geht nicht“, antwortete der Angesprochene. „Meine Pfeile sind alle verbraucht!“

Der Goblinkönig murmelte irgendeine Verwünschung. Der Troll stand mittlerweile und starrte die vier an. So verharrten sie alle. Nach einigen Sekunden erwachte das grauhäutige Ungetüm vollends und griff nach einem Felsbrocken, der sich neben ihm auf dem Boden befand und warf damit nach Regan. Dieser wich jedoch mit fast spielerischer Leichtigkeit aus und schwang seinen Morgenstern.

Tado war sich absolut sicher, dass der Goblin dieses sperrige Gerät bis eben noch nicht bei sich gehabt hatte. Zudem staunte er darüber, mit welcher Leichtigkeit er diese riesige Waffe zu bedienen vermochte, als die schwarze Stahlkugel auf den Bauch ihres Gegners krachte.

Allerdings spürte der Troll dies wohl kaum, da er einen weiteren Stein in die Hand nahm. Seine Haut musste steinhart sein. Erneut warf er sein Geschoss, diesmal in die Richtung von Tado, der je